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V.

Auch Herrn Guido Goldheimer hatte der Morgen vielfache Aufregungen, zum Theil der peinlichsten Art, gebracht. Er pflegte sonst in seinem Cabinet, aus welchem man durch eine Thür mit matt geschliffenen Scheiben in die Comptoirs gelangte – eine zweite führte auf den säulengeschmückten Flur des Wohnhauses – erst um elf Uhr zu erscheinen; heute hatte der erste Procurist, Herr Samueli, dessen Pult unmittelbar neben der Fensterthür stand, den Chef bereits um zehn gehört, aber vergeblich auf das Zeichen geharrt, das ihn herein rief. Er wollte noch fünf Minuten warten und dann selbst anklopfen; es war heute zu viel zu thun.

Unterdessen schritt Herr Goldheimer hastig in dem Gemache auf und nieder, von dem Kamine in der Tiefe des Zimmers, auf dessen Sims eine prachtvolle Stutzuhr stand, bis zu dem großen Geldschrank – einem Meisterwerke der Schlosser- und Stahlarbeiterkunst – zwischen den beiden Fenstern, über welchem eine schöne Marmorbüste des Landesherrn von einem Ebenholz-Consol herabschaute. Ein paar Mal blieb er stehen und starrte auf das bunte Muster des dicken türkischen Teppichs, oder blätterte mechanisch in den Briefschaften, die auf seinem Arbeitstisch geordnet lagen, oder in den Zeitungen auf dem Conferenztisch in der Mitte, und setzte dann seine Wanderung wieder fort, um am Kamin vor der Uhr, deren Zeiger mit grausamer Gleichgiltigkeit vorwärts rückte, einen Plan zu fassen, den er bereits eine halbe Minute später vor dem Geldschrank wieder aufgab. Es war eine abscheuliche Situation. Auf zwölf hatte Wild sich angesagt – er selbst wollte sich verleugnen lassen – natürlich! und – so viel hatte er wenigstens von Melanie erlangt, daß auch sie nicht zum Vorschein kommen würde; aber was war damit gewonnen? Eine halbe Stunde später sollte Herrn Silbermann's Kabriolet vorfahren; Vater und Sohn würden aussteigen, der Vater, um zu ihm in sein Cabinet, der Sohn, um nach oben zu den Damen zu gehen; fünf Minuten darauf würde Eugen in dem Cabinet erscheinen, um den beiden Vätern zu melden, daß er sein Jawort habe, und die drei Herren wollten dann zusammen nach der Börse fahren, ihre – jetzt gemeinschaftlichen – Geschäfte abzumachen. Was sollte es nun werden, wenn Melanie alles Ernstes im entscheidenden Augenblick Nein sagte, wie sie es eben gesagt, und wieder gesagt, obgleich er seine ganze Beredtsamkeit aufgeboten, ihr seine Lage – viel verzweifelter, als sie in Wirklichkeit war – vorgestellt; und seine Frau hatte dabei gesessen und das Taschentuch nur von den Augen gebracht, um einmal: quäle unser Kind nicht! und das andere Mal: Du wirst dem Vater das nicht anthun! zu sagen, und dann hinter dem Taschentuch weiter zu schluchzen. – O diese Weiber! diese Weiber! daß man ihnen so viel Rechte eingeräumt hat! daß man überhaupt nur fragt, und thut, als ob sie einen Willen, einen vernünftigen Willen hätten! Und es konnte ja auch ihr Ernst nicht sein! Melanie, seine kluge Melanie, die immer den Nagel auf den Kopf traf, die in schwierigen Geschäftsfragen, welche er ihr im Scherz vorlegte, wie spielend sich zurecht fand – sie könnte wirklich, einer romantischen Grille willen –

Herr Goldheimer, der zuletzt, einem Raubthier im Käfig gleich, eiligen, schleppenden Schrittes mit scharfen Wendungen hin und her gelaufen war, blieb abermals stehen und stampfte mit dem Fuß. – Ich hasse ihn, den hochmüthigen Menschen mit den stolzen blauen Augen – diesen langbeinigen, breitschulterigen Germanen, der auf uns, wie auf Sclaven, wie auf eine niedrige Kaste, herabsieht, und uns eine überschwängliche Ehre zu erweisen glaubt, wenn er uns wie seines Gleichen behandelt. Seines Gleichen! wer ist er denn, daß er auf uns herabsehen könnte! Wenn er noch einer von ihrem Adel wäre, von den Junkern einer, deren Väter unsere Väter geknechtet und gemartert haben – es wäre ein Stolz, sagen zu können: Mein Herr Baron, oder mein Herr Graf, es ist allerdings ein wenig gegen meine Grundsätze und Überzeugungen, indessen, da Sie ohne meine Melanie – und so weiter! – es wäre doch etwas! Aber dieser Schulmeistersohn, dieser Demokrat, dieser Atheist, dieser Schwindler – der Mensch ist ein Schwindler – woher nimmt er die Mittel zu seinem Aufwande? – wenn ich nur seine Vergangenheit, seine Verhältnisse – aber das ist ja alles zu spät, viel zu spät; ich hätte vor einem halben Jahr daran denken sollen – halb elf! Was wollen Sie?

Herr Samueli, nachdem er mehreremals vergeblich geklopft, hatte sich erlaubt, die Thür zu öffnen, ohne das Herein! des Herrn Goldheimer abzuwarten, da eine ganze Reihe von äußerst wichtigen Sachen vorläge, deren Entscheidung er ganz unmöglich auf seine Verantwortung nehmen könne.

Herr Samueli wußte sich heute in seinen Chef nicht zu finden. Auf seine Mittheilung, daß die Kasse zur Ausgleichung der bewußten Differenz und zur Auszahlung der fälligen Coupons der beiden russischen und der drei amerikanischen Bahnen noch mindestens hunderttausend brauche, hatte Herr Goldheimer mit einer gewissen Gereiztheit: das weiß ich so gut wie Sie! geantwortet, und bei andern Fragen, die allerdings weniger brennend, aber doch noch hinreichend dringend waren, entweder ganz geschwiegen, oder die Achsel gezuckt und ungeduldig ausgerufen: weiter, weiter! was kommen Sie mir mit diesen Bagatellen; machen Sie das doch, wie Sie wollen! weiter; weiter!

Ich hätte für den Augenblick nichts weiter vorzutragen, sagte Herr Samueli, seine Papiere zusammenlegend, außer daß ich heute Morgen an Fräulein Christiane Kempe aus Oschatz ihr Ultimo März vor zwei Jahren frei gewordenes und für sie bereit liegendes Depot von Zehntausend sammt den aufgelaufenen Zinsen der letzten drei Jahre ausgeliefert habe. Die Dame hat sich von Kreppelmann recognosciren lassen; war mir übrigens selbst noch wohl erinnerlich, da sie mit ihrem Vater vor drei Jahren einmal im Comptoir war. Der alte Herr Kempe präsentirte bei der Gelegenheit einen Kreditbrief für Herrn Doctor Wild, von welchem der Herr Doctor übrigens nie Gebrauch gemacht hat –

Und das sagen Sie mir jetzt erst, Herr! rief der Banquier, aus seinem Sessel emporschnellend; sind Sie bei Sinnen?

Herr Samueli hätte gern erwiedert, ob der Chef sich nicht vielleicht in dem Subject seiner Frage geirrt habe; aber er hütete sich wohl, sondern that, als habe er nur noch den letzten Befehl gehört, Herrn Kreppelmann, oder Kreppelmännchen, wie ihn die jüngeren Herren scherzweise unter sich nannten, zu dem Chef zu bescheiden.

Sie sollen sogleich kommen, sagte Herr Samuel!, es ist, glaube ich, wegen des Kempe'schen Depots; ich habe keine Ahnung, was er will: haben Sie eine?

Ob der alte Mann, der unter den buschigen, tief in die Stirn herabhängenden, grauen Haaren ihn mit den matten blauen Augen anstarrte, eine Ahnung von der betreffenden Sache habe oder nicht, mußte für Herrn Samueli unentschieden bleiben. Wenigstens antwortete er mit keiner Sylbe, sondern schrieb erst den angefangenen Satz ruhig zu Ende, wischte dann die Feder aus, rutschte von seinem hohen Drehsessel herunter und hinkte durch die lange Flucht des Comptoirs nach der Glasthür, die ihm – zu Herrn Samueli's unaussprechlicher Verwunderung – von Herrn Goldheimer selbst geöffnet wurde.

Das hat man nun von Leuten, die man vierzig Jahre schon im Geschäft hat! herrschte der Banquier den Eingetretenen an.

Zweiundvierzig, wenn es auf mich geht, erwiederte der alte Mann, und Ihr Herr Vater hat immer freundlich mit mir gesprochen.

Herrn Goldheimer's dunkles Gesicht verfärbte sich. Ich habe keineswegs die Absicht, unfreundlich gegen Sie zu sein, lieber Herr Kreppelmann – wollen Sie nicht einen Stuhl nehmen? – aber ich finde es doch auch von Ihnen nicht eben freundlich, wenn Sie, – ein so alter, bewährter Mitarbeiter – mir in einer Sache, von der Sie wissen, daß sie mir am Herzen liegt, so wenig entgegenkommen. Sie treffen gestern hier mit dem Herrn Doctor Wild zusammen; ich sehe auf den ersten Blick, daß Sie sich kennen, und daß keinem von Ihnen die Begegnung lieb ist. Als der Doctor gegangen, lasse ich Sie rufen, bitte Sie, mir zu sagen, was Sie von dem Herrn wissen. Daß ich nicht aus müssiger Neugier fragte, lieber Herr Kreppelmann, fühlten Sie wohl und Sie theilten mir ja – ich muß jetzt glauben: noch in der ersten Erregung – Einiges mit; nannten unter Anderem auch den Namen unseres alten Geschäftsfreundes, des Herrn Thomas Kempe, der an dem Herrn Doctor wie an einem Sohn gehandelt habe, und dem der Herr Doctor eigentlich Alles verdanke; und als ich meine Verwunderung darüber zu erkennen gebe, daß der Doctor nie in unserer Gegenwart eines so intimen Verhältnisses Erwähnung gethan, zucken Sie die Achseln, und ich kann weiter kein Wort aus Ihnen herausbringen. Sie wissen von nichts, ich solle doch den Herrn Doctor fragen; Sie haben auch Herrn Kempe seit drei Jahren nicht gesehen – von der Tochter kein Wort. Und heute Morgen führen Sie die junge Dame zu uns, assistiren ihr bei der Aushändigung des Depot – was soll ich davon denken, Herr Kreppelmann? ich habe Sie stets für einen so braven, wackeren Mann gehalten – halte Sie natürlich noch dafür –

Wüßte auch nicht, daß ich etwas gethan hätte, weshalb man mich jetzunder geringer taxiren sollte; murmelte der Alte.

Sie wollen mich nicht verstehen, erwiederte der Banquier mit einem hastigen Blick von dem unbeweglichen Gesicht des Alten nach der Uhr, auf welcher der Zeiger mit grauenhafter Schnelligkeit vorwärts rückte – oder Sie verstehen mich auch vielleicht wirklich nicht; Sie haben, so viel ich weiß, nie Kinder gehabt. Und so begreifen Sie die Aengstlichkeit nicht, mit der ein Vater sich über den Character eines Mannes aufzuklären sucht –

Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet; murmelte der Alte.

Sehr schön, sehr wahr! nur für mich nicht recht brauchbar, lieber Herr Kreppelmann! ich will auch gar nicht richten, ich will nur ein Urtheil haben, ein klares, positives Urtheil; und wenn nun Jemand, der – der – warum soll ich vor Ihnen, dem bewährten Freunde meines Hauses, ein Geheimniß machen aus einer Sache –

Welche die halbe Stadt weiß; murmelte der Alte.

Eben deshalb! wenn also dieser Jemand seine Vergangenheit, so weit sie sich eben verbergen läßt, auf das sorgfältigste vor uns verbirgt; wenn er die Namen seiner alten Freunde und Wohlthäter uns gegenüber niemals über die Lippen bringt; wenn diese Freunde, diese Wohlthäter ihrerseits den Mann halb und halb und mehr als halb verleugnen, wie Sie es doch zum Beispiel ganz offenbar thun; wenn der brave Herr Thomas Kempe, der früher in jeder Messe kam, sein Conto persönlich zu reguliren, sich jetzt drei Jahre lang nicht hat sehen lassen, das heißt: genau so lauge, als der Herr Doctor in meinem Hause verkehrt; und dieser wiederum von einem Creditbrief, den Thomas Kempe für ihn bei uns – doch gewiß nicht zum Spaß – damals vor drei Jahren präsentirte, niemals Gebrauch macht, niemals spricht; und Fräulein Kempe sich das Legat ihrer Tante, das allerdings schon seit zwei Jahren fällig ist, jetzt, gerade jetzt auszahlen läßt, ohne uns auch nur vorher davon zu avisiren – nun, mein lieber Herr Kreppelmann, Sie werden mir zugeben: es bedarf keines großen Scharfsinns, sich aus dem Allen eine Geschichte zusammenzusetzen, in welcher der Herr Doctor unter keinen Umständen eine sehr Vertrauen erweckende Rolle spielt. Ich muß es natürlich Ihnen überlassen, ob Sie mir helfen wollen, die mir bis jetzt noch dunklen Partien dieser Geschichte aufzuhellen; aber selbst, wenn Sie es vorziehen sollten, mir Ihre guten Dienste zu versagen – auf die ich doch einigen Anspruch zu haben glaube – nun denn, Ihr Schweigen ist sehr beredt; und ich werde es mir natürlich interpretiren, wie es mir paßt; ob es dem Herrn Doctor eben so passen wird, ist freilich eine andere Frage, die ich nicht zu beantworten habe.

Der Banquier war aufgesprungen, seine Stirn glühte; er hatte, als er zu sprechen begann, kaum gewußt, wo er hinaus wollte, und jetzt hatte er durchaus die Empfindung, daß er auf der rechten Spur sei, daß es vielleicht nur eines ganz unbedeutenden Fingerzeiges bedürfe, ihn ein gutes Stück weiter, wenn nicht gar an's Ziel zu bringen. Würde ihm dieser Fingerzeig werden? Seine schwarzen Augen hafteten unverwandt an der Gestalt des Alten, der, den grauhaarigen Kopf in die welke Hand gestützt, in tiefes Nachdenken versunken, regungslos vor ihm im Sessel sitzen geblieben war. Und jetzt hob der Alte den Kopf; die Augen waren geröthet und hatten einen wunderlich wirren Ausdruck, wie Herrn Goldheimer däuchte, und so – wunderlich wirr – klangen auch die ersten Worte, als wenn er mit sich selber spräche: Ich kann es nicht; er hat nicht gehalten, – aber er hat doch einmal für die Freiheit gekämpft, gelitten, und er ist noch immer gut gegen die Armen – und – und –

Sein Blick, seine Stimme wurden fester; er besann sich augenscheinlich jetzt erst, daß er sprach und zu wem er sprach:

Und wenn sie, die es ganz allein angeht, ihn frei gibt, ganz frei; wenn sie, das edelherzige Kind – eigens heute Nacht herüber gekommen ist, ihm das zu sagen, ihm die Steine aus dem Wege zu räumen, die ihr eigener Vater herbeigeschleppt – was können wir sagen, was können wir thun, einen Bund zu hindern, den ein Engel segnet?

Der Alte hatte das Cabinet verlassen; der Banquier blickte ihm mit finsterer Miene nach.

Der Faselant! daß man solche Menschen um sich duldet, die unsere Feinde sind und bleiben und wenn sie vierzig Jahre unser Brod essen. Das hängt zusammen wie die Kletten! Für die Freiheit gekämpft – gut gegen die Armen! – Larifari! Nonsens! Narren, Narren! und wenn sie Methusalems Alter erreichen. Und nun das Mädchen gar! das edelherzige Kind, das ihn frei giebt, den sauberen Herrn! es fehlt nur noch, daß sie selber kommt, ihn Melanie selber bringt und ihre Hände in einanderlegt! Wie hätte ich das verwerthen können! Ich ahnte es ja, und nun schlägt es noch zu seinem Vortheil aus: eine verlassene Elvire, die sich aufs Kuppeln legt – diese Race ist heillos! Und was will sie mit dem Gelde? ihm die Steine ans dem Wege räumen, die ihr eigener Vater –

Herr Goldheimer, der seine ruhelose Wanderung wieder begonnen hatte, blieb abermals stehen: ihr eigener Vater! also doch wenigstens der! und mit Geld? das heißt, es sind da alte Verbindlichkeiten, Verpflichtungen, Schulden – ich habe immer gesagt: so groß ist seine Praxis noch nicht! im Gegentheil! er treibt den Aufwand nur, um möglichst schnell eine große Praxis zu haben. Wenn man ihn da fassen konnte! so ein bischen Bedenkliches, das sich für den soliden Mann nicht schickt, den Herrn Doctor ein wenig compromittirt – es ist ja dummes Zeug; aber man würde ein großes Wesen daraus machen können, besonders wenn der alte Herr selbst – eine pathetische Scene –

Der Banquier schlug sich vor die Stirn.

Es ist alles zu spät! ich kann ihn nicht hier aus dem Teppich stampfen; aber ich gäbe – was wollen Sie?

Jean hatte eine Karte zu präsentiren; er habe dem Herrn gesagt, daß Herr Goldheimer schwerlich zu sprechen sein würde; aber der Herr mache es so dringend.

Der Banquier hatte einen Blick auf die Karte geworfen: Notar Weikert? sind Sie toll? weshalb weisen Sie den Menschen nicht in die Comptoirs?

Habe ich auch, gnädiger Herr! habe ihm gesagt, von dieser Seite würden nur Privatbesuche gemeldet; aber er sagt ja: er käme in Privatangelegenheiten; er hat auch ein paar Worte hinten auf die Karte geschrieben.

Herr Goldheimer drehte die Karte um: bittet in Angelegenheiten des Herrn Thomas Kempe contra Dr. W… dringend um eine kurze vertrauliche Unterredung.

Ein freudiger Schrecken durchzuckte den Aufgeregten; die schwarzen Augen, die sich jetzt auf Jean richteten, schossen Blitze: Was stehen Sie noch da? der Herr möchte die Güte haben, einzutreten – hören Sie nicht?

Der Banquier hatte sich an seinen Arbeitstisch gesetzt, und schien, als Weikert von Jean eingelassen wurde, zu beschäftigt, um seine Papiere sogleich aus der Hand legen zu können; Herr Weikert kannte das; er hätte die Secunde zu bestimmen vermocht, wann der kleine, schwarze Herr die goldene Lorgnette von der stattlichen Nase nehmen und, sich zu ihm wendend, nach dem schon bereit stehenden Sessel deuten würde.

Ich hatte bisher nicht die Ehre? fragte der Banquier.

In Ihre Comptoirs haben mich meine Geschäfte ab und zu geführt, erwiderte der Notar.

Die beiden Männer sahen sich ein paar Momente scharf spähend auf Stirn, Mund und Augen, und wandten dann gleichzeitig die Blicke ab. Jeder hatte genug und hatte so ziemlich das gesehen, was er erwartet.

Und die ungeschäftliche Geschäftssache, welche mir heute die Ehre verschafft? begann der Banquier von neuem.

Bezieht sich auf diese Wechsel hier, erwiderte der Notar, die betreffenden Papiere aus seiner Brieftasche nehmend, im Betrage von zusammen zehntausend fünfhundert Thalern in verschiedenen Appoints, welche sämmtlich heute fällig, sämmtlich von Herrn Doctor Wild acceptirt sind, und von denen ich annehme, daß das Haus Goldheimer Sohn sie nicht ungern discontiren würde.

Und woher diese Annahme? fragte Herr Goldheimer.

Er spielte mit seiner Uhrkette; aber die Finger zuckten, und so zuckten die Stirnmuskeln über den buschigen Augenbrauen; Herr Weikert war seiner Sache so gut wie gewiß.

Ich glaube aus Ihrer Frage und noch mehr aus dem Tone derselben schließen zu dürfen, daß ich mich geirrt habe; sagte er, sich erhebend, und bitte wegen der verursachten Störung um Entschuldigung.

Bleiben Sie sitzen, verehrter Herr, bleiben Sie sitzen! rief der Banquier; Sie haben mich mißverstanden, vollkommen mißverstanden!

Dann möchte ich, zur Verhütung fernerer Mißverständnisse, mir den unmaßgeblichen Vorschlag verstatten, daß wir ganz offen mit einander sprechen.

Aber, verehrter Herr, ich bitte darum, ich bitte dringend darum! Wollen Sie mir einmal erlauben?

Der Banquier ließ die Wechsel, welche ihm der Notar mit dem flüchtigsten Schimmer eines Lächelns auf dem schmalen Gesichte überreicht hatte, durch die Finger laufen. Es waren bedenkliche, zum Theil abscheuliche Namen, die sich da um Wild's Namen geschaart hatten – wie Dohlen um einen verwundeten Falken – Namen, die in der Praxis anständiger Firmen gar nicht vorkamen, und die Herr Guido Goldheimer doch kannte – alle kannte – aus den Chroniken der dunklen Gasse, in welcher der Vater Isaak Goldheimer seine dunkle Jugend verlebt. Und eine dunkle, sehr dunkle Geschichte war es, die er zwischen den kurzen, verhängnißvollen Zeilen las, mit denen die Rückseiten bedeckt waren – die Geschichte eines Mannes, der ein Spiel spielt, das er nicht verlieren darf, weil die Summen, die da auf dem Avers verzeichnet stehen, nur der scheinbare Einsatz sind – der wirkliche Einsatz aber seine Ehre, vielleicht sein Leben. Ja, sein Leben, seine Ehre! Er – Guido Goldheimer Sohn – hatte sie jetzt in der Hand, wenn er für sein Theil das Spiel richtig spielte! Und es war ja klar genug vorgezeichnet! Weshalb sollte der alte Herr Kempe, dessen Name überall die lange Reihe auf der Rückseite schloß, die Wechsel angekauft haben, wenn nicht, um einen entscheidenden Einfluß auf Wild zu gewinnen, ihm, so zu sagen, die Bedingungen dictiren zu können? Weshalb verkaufte er die gewiß nicht mühelos und ohne große Kosten zusammengekauften wieder? Weshalb hatte er sich vor Allem noch heute diesen Sichtwechsel über viertausend Thaler geben lassen? Doch ohne Zweifel nur, weil der Versuch mißglückt war, weil Wild – es sah ihm das so ähnlich! – die halb zur Versöhnung und halb zur Drohung ausgestreckte Hand des alten Mannes stolz zurückgewiesen, stolz in der sicheren Zuversicht, er werde sich heute Mittag das Ja Melanie's und den Segen von Melanie's Eltern holen – leicht, wie man Kirschen vom Baum pflückt!

Ein finsterer Schatten nach dem anderen jagte über Herrn Goldheimer's dunkles Gesicht, während er so, combinirend, calculirend, Rache brütend, in den ominösen Papieren blätterte. Nur Eins war bedenklich – und Herr Goldheimer, der sich bereits zu dem Notar gewandt hatte, mußte noch einige Unterschriften prüfen. Es waren dies hier offenbar die Steine, welche ihm der Alte in den Weg gelegt, und »das edelherzige Kind« wieder weg zu räumen so eifrig bemüht war. Zu dem Zwecke hatte sie sich ihr Vermögen aushändigen lassen – selbst die Summen stimmten so ziemlich – und der Herr Doctor würde natürlich, wenn er sich hier abgewiesen und seine stolzen Hoffnungen gescheitert sah, die Rettung »des Engels« gerne und willig annehmen. Aber mochte er, mochten sie Alle doch nachher thun, was sie wollten! Es handelte sich ja nur um diese eine Stunde, die sich jetzt für ihn entscheiden mußte. Hier hatte er es ja Schwarz auf Weiß, daß der Mann, der in einer Stunde kommen wollte, um die Hand Melanie's zu begehren, ein Schwindler, ein Abenteurer war, den sein eigener Onkel oder Pflegevater – Gott weiß was – aufgegeben; – und die Tochter – von deren Anwesenheit in Leipzig, von deren »edelherzigen« Absichten der Vater Kempe und der Notar offenbar keine Ahnung hatten – nun ja, der konnte man getrost die thränenreiche Elvirenrolle zutheilen, ohne fürchten zu müssen, daß die Engelflügel sichtbar würden. Und zahlte und rettete sie dann wirklich hinterher – desto besser, so bekam man ja das Anlagekapital wieder; aber das war für den Augenblick und war überhaupt ganz gleichgiltig. Um dies zu erreichen, was jetzt kein bloßer Wunsch mehr, was jetzt allernächste Möglichkeit, war keine Summe zu groß!

Herr Goldheimer schlichtete die Papiere, die er so sorgfältig geprüft zu haben schien.

Ich werde Ihnen die Wechsel discontiren, sagte er, selbstverständlich –

Wir haben sie sehr theuer gekauft, unterbrach ihn der Notar; die Wechsel des Herrn hatten noch vor einem halben Jahre einen sehr niedrigen Cours in den betreffenden Kreisen; in letzter Zeit standen sie beinahe pari. Es war ein richtiges Speculationspapier.

Und man soll nicht unrichtig speculirt haben, sagte der Banquier; ich werde sie pari nehmen. Herr Samueli, darf ich bitten?

Der Procurist war eingetreten und beugte sich sehr nahe zu seinem Chef, während Herr Weikert der Rokokouhr auf dem Kaminsims eine eingehende Betrachtung widmete. Der Banquier gab dem Commis mit halblauter Stimme seine Instructionen; Herr Samueli brachte den Mund an das Ohr des Chefs: Haben Sie die Wechsel sehr genau geprüft? Der Banquier nickte.

Der Herr Notar da ist ein notorischer Lump; ich habe neulich drohen müssen, ihn durch den Comptoirdiener hinauswerfen zu lassen.

Der Banquier nickte abermals und sagte dann laut: Wollen Sie so gut sein, selbst das Nöthige zu veranlassen, Herr Samueli?

Herr Samueli hatte das Nöthige veranlaßt; der Notar knöpfte sich den Rock über einem ziemlich umfangreichen Packete zu und nahm seinen Hut. Herr Goldheimer begleitete ihn bis an die Thür.

Und was ich sagen wollte, Herr Notar; würde es wohl Ihren Intentionen nicht widersprechen, wenn ich Sie bäte, mir – aber es müßte freilich sofort geschehen – den alten Herrn herzuschicken, der Sie sicher hier irgendwo in der Nachbarschaft erwartet?

Ich weiß wirklich nicht –

O, Sie finden ihn gewiß, wenn Sie wollen, lieber Herr Notar; und ich – ich würde sehr dankbar – sehr erkenntlich sein. Sie haben doch Ihre Adresse aufgegeben? Ich verkehre gern mit intelligenten Männern, von denen man überzeugt sein kann, daß sie auch ein halbes Wort verstehen. Und dasselbe Interesse, welches ich an Dr. Wild und Allem nehme, was sich auf ihn bezieht, vorzüglich auch an den Personen, die in seinem früheren Leben eine so wichtige Rolle spielten, wie der brave Herr Thomas Kempe – überdies ja ein alter Kunde von uns – dieses Interesse –

Ich verstehe, sagte der Notar mit einem eigenthümlichen Lächeln; nur daß ich nicht weiß, ob die entente cordiale, welche ich zwischen Ihnen und dem Herrn Doctor vorausgesetzt, und, wie ich jetzt sehe, mit Recht vorausgesetzt habe, durch die Mittheilungen der Personen, die dem früheren Leben des Herrn Doctors –

Ich verstehe, sagte der Banquier, ebenfalls eigenthümlich lächelnd; aber was können sie dem glücklichen Besitzer jener Papiere – er deutete nach seinem Arbeitstisch, auf welchem die Wechsel jetzt unter einem goldenen Briefbeschwerer lagen – noch viel Neues erzählen?

Man kann nicht wissen, sagte Herr Weikert, die Achseln zuckend.

Nicht genug wissen, sagen Sie lieber! So wüßte ich zum Beispiel gern, ob Sie – Sie selbst, Herr Notar, nicht ebenfalls zu denjenigen Personen gehören, welche den Herrn Doctor gekannt haben, bevor –

Bevor er Wechsel – acceptirte?

Sie wollten ein anderes Wort brauchen; geniren Sie sich nicht; zwischen Männern von Welt, wie wir, ist solche Gene sehr unnöthig, sehr deplacirt. Wenn Sie also etwa gegen den Herrn Doctor, um dessen intime Verhältnisse Sie sich doch, mindestens in letzterer Zeit, ganz speciell gekümmert haben müssen –

Ich kenne den Herrn bereits seit langer – seit sehr langer Zeit. Wir haben zusammen auf den Bänken derselben Dorfschule gesessen.

Ich hätte es mir fast denken können; Jugendfreundschaften sind unverwüstlich. Derselben Dorfschule? in der That! und da haben sich die Herren ohne Frage später noch oft genug im Leben getroffen; man begegnet ja den lieben Jugendfreunden auf Tritt und Schritt.

Freilich! und so war ich auch neunundvierzig sehr liirt mit Conrad Wild – in Dresden. Sie kennen die Rolle, welche er damals gespielt hat?

Der Banquier zuckte ungeduldig mit den Achseln. Pah! sagte er; man ist ja amnestirt; und so ein paar Jahre Zuchthaus, die man nie absitzt, geben dem Manne in den Augen mancher Leute noch ein gewisses Relief. Etwas aus jüngster Zeit, mon cher! eine kleine liaison dangereuse mit einer Dame aus der Gesellschaft – ein junger, unverheiratheter, vielbeschäftigter Arzt –

Um des Advokaten dünne Lippen spielte ein böses Lächeln.

Ich werde damit schwerlich dienen können; sagte er; ich gehöre nicht eigentlich zur Gesellschaft; wenigstens mache ich keine Ansprüche darauf, wie mein genialer Freund, dem es freilich nicht zu verdenken ist, wenn er derjenigen Gesellschaft, in welche er durch seine Geburt gehört, durch seine Verwandtschaft, durch alle Bande, die sonst dem Menschen heilig sind –

Den Rücken wendet! Natürlich! natürlich! Der arme alte Herr Kempe! und hat es sich so viel kosten lassen! Freilich, was thut ein Vater nicht für sein Kind, noch dazu, wenn es, wie es scheint, sein einziges ist.

Sie scheinen vortrefflich unterrichtet, Herr Goldheimer.

Ein ganz klein wenig, nur so eben, was man für's Haus und im Hause braucht; sagte der Banquier, sich die Hände reibend; man hat doch schließlich seine Augen, um zu sehen; und da sieht man denn Manches – Manches; zum Beispiel, daß der Geschmack von Fräulein Kempe in gewissen Dingen, oder für gewisse Personen – nun, nun, lieber Herr Notar, dies ist eine vertrauliche, ganz vertrauliche Unterredung. Der Geschmack junger Damen ist ja auch, Gott sei Dank, variabel; es läßt sich da viel thun, wenn man nur die rechten Mittel kennt; und was die Wechsel hier von unserem gemeinschaftlichen Freunde betrifft, so sind sie ja – unter uns – faul, sehr faul; aber doch nur vom kaufmännischen Standpunkt – vielleicht haben Sie noch andere, bei denen eine kleine Ungenauigkeit, eine geistreiche Extravaganz, ein geniales Quiproquo, wissen Sie – nun, lieber Herr Notar, vielleicht besinnen Sie sich, und unterdessen schicken Sie mir den alten Herrn; und halten Sie sich heute Nachmittags in Ihrer Wohnung, oder besser: sprechen Sie so gegen fünf noch einmal vor, und lassen Sie sich wieder direkt bei mir melden; ich werde um die Zeit voraussichtlich Ihrer ausgezeichneten Dienste abermals bedürfen.

Die Mahagonithür war hinter dem Notar geräuschlos ins Schloß gefallen; Herr Guido Goldheimer rieb sich die Hände: Dummköpfe sind sie Alle, auch die Klügsten! Welch albernes Gesicht der Mensch machte: Er glaubte, mit mir spielen zu können und ich habe mit ihm gespielt, ihn so im Kreise herumgedreht, daß er nicht mehr weiß, was rechts oder links ist. Desto besser; desto sicherer kann ich mich darauf verlassen, das er thut, was ich will.

Der Banquier ging wieder auf und nieder, aber nicht mehr mit dem dumpfen, schleppenden Raubthierschritt von vorhin; die Lackstiefel traten so fest auf, daß es selbst auf dem dicken türkischen Teppich ein Geräusch gab, und das schwärzliche Gesicht, das sich jetzt in dem Spiegel beschaute, sah ordentlich wie verjüngt und beinahe hell aus, wurde aber sofort wieder mehrere Jahre älter und dunkelte stark ein, als es sich dem Zifferblatte der Rokokouhr auf dem Kamine gegenüber befand. Schon halb Zwölf! Der Sieg war ja jetzt so gut, wie gewiß; aber doch immer noch nicht gewiß; und wie schnell war eine Stunde vergangen, obgleich man es auf der anderen Seite auch wieder als ein Glück betrachten mußte, daß für irgend welche ungeschickte Zufälle, die das Spiel durchkreuzt hätten, eigentlich gar keine Zeit blieb. Das reine Blindekuhspiel! Dort die edelherzige Tochter, die es sich hinter dem Rücken des Vaters 10 000 Thaler kosten ließ, dem sauberen Herrn Bräutigam eine andere Frau zu verschaffen; hier der biedere Vater, der, ohne Wissen der Tochter, eben so viel riskiren wollte, den wackeren Schwiegersohn zurückzukaufen, aber doch schlau genug war, sich nach Deckung umzusehen in dem Momente, wo der Handel bedenklich wurde. Dann der abgewiesene Liebhaber, der seinen Rivalen erst einmal in Wechselarrest bringen will, um freie Bahn zu haben. Prächtig, prächtig! wie das Alles paßt, ineinandergreift, welch Capital daraus zu schlagen ist. Das wird der alte Esel sein – mein lieber, mein würd'ger, mein beklagenswerther Freund!

Herr Guido Goldheimer war dem Vater Christianen's, welcher von Jean eben fast zur Thüre hineingeschoben war, mit weit ausgestreckten Händen entgegengegangen, und hatte ihn jetzt in einen Fauteuil gedrückt, um unmittelbar vor ihm sich auf den Rand eines anderen Fauteuil zu setzen, und, indem er die kalten, zitternden Hände des alten Mannes noch immer fest hielt, abermals zu rufen:

Mein vortrefflicher, unglücklicher Freund! ich kann Ihnen nicht sagen, wie schmerzlich ich bewegt bin, daß wir uns nach drei langen Jahren so – unter so betrübenden Verhältnissen wieder sehen müssen! Und doch bin ich froh, daß ich Sie sehe, froh, daß ich Sie endlich habe, den Einzigen, dem ich mein übervolles Herz ausschütten darf, weil er dasselbe gelitten hat, ja, ich sehe es, in diesem Augenblicke noch leidet, was ich gelitten habe und leide!

Herr Goldheimer ließ die kalten, zitternden Hände los, um denselben Gelegenheit zu geben, nach dem baumwollenen Taschentuche zu greifen und die zwinkernden Augen zu trocknen. Die Situation schien zu erfordern, daß er selbst mit dem weißen Batist sich über das Gesicht fuhr.

Ich danke Ihnen, hochgeehrter Herr, schluchzte der kleine Mann hinter dem baumwollenen Taschentuch; ich bin allerdings in einer entsetzlichen Lage und weiß noch gar nicht, ob ich nicht gezwungen sein werde, aus unserer Ressource auszuscheiden. Und wie ich meiner armen Christiane wieder unter die Augen treten soll, der ich kein Sterbenswort von dem Allen gesagt habe, sondern daß ich hierher machen müßte wegen der Rosinen von E. F. Lick Söhne – sehen Sie, hören Sie, hochgeehrter Herr Goldheimer, mir wird selber ganz dunkel vor den Augen, wenn ich blos daran denke; und es ist gewiß recht schön und menschenfreundlich von Ihnen, daß Sie sich das zu Herzen nehmen; aber daß Sie dasselbe leiden sollten, was wir leiden, weil er nun Ihr Schwiegersohn wird, anstatt unserer, wollte sagen meiner, nachdem meine Christiane nicht geruht, bis ihre Mutter, meine gute Seelige, ihr kleines Vermögen, und sie selbst vom ersten Augenblicke an die sämmtlichen Zinsen der Zehntausend von ihrer Tante Martina, die bei Ihnen deponirt sind, hergegeben bis vor drei Jahren, wo er mit einem Male nichts mehr von uns nehmen wollte, und ich sagte gleich: Christiane, sagte ich, Du sollst sehen, nunmehro, da er von Dir nichts mehr nimmt, nimmt er Dich auch nicht – daß Sie darüber so schrecklich unglücklich sein sollten – hören Sie, sehen Sie, das begreife ich nicht.

Der Banquier, der immer noch an seiner stattlichen Nase herumgewischt hatte, blickte mit dem Ausdruck eines so großen Erstaunens auf, daß auch Herr Thomas Kempe sein stumpfes Näschen in Ruhe ließ und seinerseits erschrocken den Banquier anstarrte.

Begreifen Sie nicht? sagte der Banquier in gedehntem Tone, dann nehmen Sie an, daß meine Tochter kein Herz hat, daß es ihr gleichgiltig ist, ob der Mann, den Sie denn doch – aber wäre es möglich, daß Sie mich, daß Sie uns für fähig halten, aus dem Unglück einer so braven Familie Vortheil zu ziehen? daß –

Der Banquier schien vergeblich nach Worten zu suchen; den kleinen Mann beschlich eine dunkle Empfindung, daß er dem Herrn Goldheimer Sohn irgend wie ein großes Unrecht gethan habe.

Der Herr Weikert, stammelte er –

Soll ich einen Fremden in mein Herz sehen lassen? rief der Banquier mit einer pathetischen Handbewegung nach einem der zwei Diamantknöpfe, die auf seiner Chemise funkelten; und auch er würde mich verstanden haben, wenn er mich hätte verstehen wollen; wenn unser inniger Wunsch, den jungen Mann zu seiner Pflicht zurückzuführen, realisirt werden könnte, ohne daß der Herr Advokat selbst auf gewisse Hoffnungen, Pläne verzichten müßte, die übrigens durchaus ehrbar, durchaus loyal sein mögen. Aber daß Sie – Sie –

Warum haben Sie denn meine Wechsel discontirt? rief Herr Kempe ganz verzweifelt.

Der Busen des Banquiers wurde von stolzem Unwillen so geschwellt, daß jetzt auch der dritte Diamantknopf aus der ausgeschnittenen Weste auftauchte.

Das Haus Goldheimer pflegt das Vertrauen, mit welchem man es betraute, nicht zu täuschen! ich würde die Schulden des Herrn Doctor bezahlt haben, und wenn ich anstatt zehntausend –

Sechstausend, sagte Herr Thomas Kempe.

Mit Ihrem Sicht-Wechsel von heute –

Der kleine Mann sprang von seinem Stuhle auf: Den nicht, den nicht! rief er ganz außer sich. Ei, Herr Jesus, wie kommt denn der dazwischen! ei, Herr Jesus! den muß ich wieder haben! das würde mir meine Christiane im Leben nicht vergeben, wenn ich den aus den Händen ließe! Sie weiß ja, so wie so, nichts davon, das arme Kind – ich habe ja Alles, so zu sagen, auf meine Kappe genommen; und es sollte ja auch nur eigentlich eine Drohung sein, ein letzter Versuch, so zu sagen, dies Felsenherz zu erweichen. Aber, wie er mich empfangen hat – sehen Sie, hören Sie, ich bin kein schlechter Mensch, hochverehrter Herr Goldheimer, ich kann Niemand nichts zu Leide thun, und wenn ich einen meiner Lehrlinge mal am Ohr zupfe, dann muß er es schon recht sehr schlimm gemacht haben; und nun gar der Conrad, auf den ich immer so stolz gewesen bin, wenn ich es mir auch nie habe merken lassen; und wenn er's wollte, ich würde ihm den letzten Groschen bringen, so in meinem Vermögen – aber der getretene Wurm krümmt sich schließlich auch, und als ich wieder auf der Straße stand – ich weiß noch jetzt nicht, wie ich die Treppe hinunter gekommen bin – und der Weikert mir zuredete, ich solle das schöne Geld doch nicht zum Fenster hinauswerfen und Sie würden für den künftigen Herrn Schwiegersohn gewiß ein Uebriges thun – ich will es Ihnen gestehen: ich glaubte nicht recht, was mir der Herr Weikert schon längst in die Ohren getuschelt. Er hat, so zu sagen, eigentlich nie etwas getaugt, und an Conrad, sagt meine Christiane, hat er damals in Dresden vor sechs Jahren in der unglücklichen Maigeschichte wie ein Schelm gehandelt, und, wenn ich ganz aufrichtig sein soll: es hat mich eigentlich gefreut, als sie ihm neulich, wie er wieder drüben war, einen Korb gegeben; und daß Conrad, wenn er auch, Gott sei es geklagt, von dem lieben Gott nichts wissen will, ein, eine – na, hochverehrter Herr Goldheimer; es ist nun einmal nicht anders! Niemand kann über seinen Schatten springen, und die vier oder fünf von Ihrer Nation, die in unserem Städtchen wohnen – aber schließlich glauben wir doch Alle an einen Gott, und hier in Leipzig, und nun gar in Ihrem schönen Hause – da sieht es freilich anders aus, und Sie, hochverehrter Herr Goldheimer, zeigen ja auch, daß Sie ordentlich ein christliches Gemüth haben, und Ihre liebe Frau ist gewiß so, wie Sie, und Ihr Fräulein Tochter – siebzehn Jahre, sagt der Herr Weikert – du lieber Gott, und sie liebt ihn von Herzen und das Herz bricht ihr, wenn sie ihn lassen soll, denn – das muß wahr sein – so einen, wie den Conrad, findet man nicht zum zweiten Male; und wenn meine Christiane dies Alles so wüßte und hier wäre, hören Sie, sehen Sie: ich war alle diese Zeit und noch gestern Abend, als ich abreiste, fuchswild; aber es wäre doch wohl besser gewesen, ich hätte auf sie gehört, und nicht auf den Weikert, der gleich schön angefangen, als er mich gestern Nacht statt in den Grünen Maibaum in den Wilden Mann einlogirte, wo es noch viel schlechter ist und ein solcher Heidenlärm die ganze Nacht, daß ich kein Auge zugethan, sondern immer an die Christiane gedacht habe; und sehen Sie, hören Sie, jetzunder bin ich überzeugt, sie würde Ihrem Mädel um den Hals fallen und sprechen: nimm ihn denn und der gütige Gott möge Euren Bund segnen. Amen!

Der gute, alte Mann hatte wieder zu dem baumwollenen Taschentuche seine Zuflucht nehmen müssen. Der Banquier secundirte ihm dies Mal nicht mit dem weißen Batist.

Seine schwarzen Augen funkelten vor Verachtung, Aerger und Zorn; das bartlose Gesicht war wieder sehr eingedunkelt, und hatte ganz den Ausdruck, als ob Herr Goldheimer Sohn dem Herrn Thomas Kempe anstatt des alten wollenen Shawls einen neuen hanfenen Strick um den Hals wünsche.

Diese Schlafmützen ohne Hirn und ohne Galle! diese unheilbaren Cretins! Da hatte er den Menschen kommen lassen, um ihn vollends in die Rolle des unglücklichen Vaters hinein zu reden, und dann das Treppchen hinauf in den Salon vor Melanie zu bringen – mit dem rothgeweinten Näschen, dem bunten Kattuntaschentuch in den unbehandschuhten Händen, dem dicken verknoteten Shawl unter dem hohen Rockkragen aus der Urväter Zeit: sieh diesen würdigen Greis, Melanie, den trauernden Vater einer Tochter, welche verzweifelt – und jetzt, jetzt konnte er froh sein, wenn er den alten Dummkopf aus dem Hause hatte, bevor sein Geplärr noch zu Melanie's Ohren kam.

Guido, Guido! ertönte eine dumpfe, geisterhafte Stimme.

Herr Thomas Kempe sah sich erschrocken um, und riß die zwinkernden Augen weit auf, als der Banquier von seinem Stuhle emporsprang, nach der Wand eilte und sein Ohr auf eine silberne Muschel oder etwas der Art hielt, welche aus der Tapete hervorblinkte.

Unsere Melanie ist in Ohnmacht gefallen; ich beschwöre Dich, komme sogleich!

Der Banquier brachte seinen Mund an die Stelle, wo eben sein Ohr gelegen, und ein paar Töne erschallten, die so gräulich klangen, daß der alte Herr jetzt ebenfalls in die Höhe fuhr, nach seiner Mütze griff und eine Minute später wieder einmal auf der Straße stand, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen.

Herr Guido Goldheimer aber rief mit kreischender Stimme in das Comptoir, daß er für keinen Menschen zu sprechen sei, und stürzte dann die schmale Treppe hinauf, welche aus seinem Cabinet direkt in das Boudoir seiner Frau führte.



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