Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Es hatte eine kleine Aufregung in dem alten, schmalen, hochgegiebelten Hause gegeben, als gestern Abend noch so spät eine junge Dame von auswärts zum Besuch bei Onkel Kreppelmann kam. Aber der alte Herr, der selten vor zwölf Uhr zu Bette ging, war auch dieses Mal noch aufgewesen, und er war nach einigen Minuten zu Frau Kummer in die Küche gekommen und hatte mit wenigen Worten Alles schicklich erklärt: wie Fräulein Christiane Kempe ihrem Vater nachgereist sei, um ihm ein paar wichtige Papiere zu bringen, die er vergessen und morgen nothwendig bei seinen Geschäftswegen haben müsse; und daß die junge Dame so spät nicht mehr in dem Grünen Maibaum habe vorfragen wollen; und wenn das Theewasser koche, wolle er's gleich selbst mit hinein nehmen, und Frau Kummer möge unterdessen eines der beiden Meßzimmer in Ordnung bringen, denn seine Nichte sei von der eiligen Fahrt angegriffen und solle sich gleich hernach hinlegen, um so mehr, als sie morgen in aller Frühe wieder heraus müsse.

Frau Kummer hatte, als sie wieder allein war, den Kopf nicht wenig geschüttelt; denn wenn Herr Kreppelmann auch nun bereits zwanzig Jahre bei ihr wohnte, so hatte sie ihn doch noch nie so viel hintereinander sprechen hören; aber es war gewiß Alles genau so, wie er sagte, da es einen würdigeren, braveren Mann als ihn, in Frau Kummers Augen, in der weiten Welt überhaupt nicht gab. Ueberdies kannte sie seine verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen so gut wie ihre eigenen; und Fräulein Christiane Kempe aus Oschatz war vor drei Jahren schon einmal bei ihm zum Besuch gewesen; und was da aus dem gedämpften Gespräch, das die beiden in der Stube führten, dann und wann herausklang, so mochte es unterdrücktes Weinen sein, oder nicht sein; sie hatte noch nie gelauscht und wollte es auch auf ihre alten Tage nicht – an Herrn Kreppelmanns Thür am allerwenigsten. Und da ward ja auch schon die Thür aufgethan, – just als sie anklopfen wollte, um zu sagen, daß das Zimmer für das Fräulein bereit sei – und Herr Kreppelmann hatte seiner Nichte die Hand gegeben und ihr gute Nacht gewünscht; und das Fräulein, das wirklich recht angegriffen ausgesehen, hatte mit einer sanften Stimme alle Hilfe, die ihr Frau Kummer geschäftig anbot, abgelehnt, und nur gebeten, daß man sie um sechs Uhr morgen früh wecken möge, falls sie die Stunde verschlafen sollte.

Aber sie hatte die Stunde nicht verschlafen, war im Gegentheil schon vor der Zeit auf, und jetzt bereits seit einigen Minuten bei Herrn Kreppelmann in eifrigem Gespräch, das sich ganz gewiß nicht um den Kaffee drehte, welchen Frau Kummer eben fertig hatte, und wohl hätte hineinbringen können. Aber zu Frau Kummers Grundsätzen gehörte auch, daß sie, wo es sich irgend vermeiden ließ, nie ungerufen kam, – zumal wenn sie – wie es hier doch offenbar der Fall – sicher sein konnte, die Betreffenden zu stören. Und da Herr Kreppelmann die beiden kleinen Meißner Tassen, die, so lange er bei ihr wohnte, noch niemals gebraucht waren, heute selbst aus dem Schrank genommen, gereinigt und auf den Tisch gestellt hatte, konnte man ja nicht wissen, ob er sich nicht am Ende auch den Kaffee selbst vom Feuer holen würde. Und es war also sicherlich nur in der Ordnung – und jede rechtschaffene Canzleisekretärswittwe, die seit dreißig Jahren möblirte Zimmer an einzelne Herren vermiethet, würde nicht anders gehandelt haben – wenn Frau Kummer den Kaffeetopf nur so eben ein wenig vom Feuer abrückte und bis auf weiteres mit den Kesseln und Kannen ein Geräusch machte, das mit den geringen wirtschaftlichen Resultaten in keinem rechten Verhältniß stand.

Drinnen aber, im Zimmer des Alten, saß Christiane auf dem bescheidenen, mit schwarzem Leder überzogenen Sopha, und starrte, den Kopf in die Hand gestützt, auf die Vergißmeinnicht in dem Grunde der kleinen Tasse vor ihr, während der Alte selbst, ihr gegenüber, in seinem Lehnsessel kauerte – den lahmen Fuß in die Höhe gezogen – den großen Kopf mit dem buschigen grauen Haar jetzt in tiefer Nachdenklichkeit auf die eingefallene Brust sinken lassend, und ihn jetzt wieder hebend, und sich das Haar von der Stirn streichend, um das Mädchen aus den tiefliegenden, halb erloschenen Augen anzublicken und das Wort zu ergreifen mit einer gebrochenen Stimme, die erst nach einiger Zeit die nöthige Festigkeit gewann.

Das ist Alles gut und richtig, liebes Kind – nein, nein! richtig ist es nicht, und deshalb ist es auch nicht gut. Nur Du bist gut, viel zu gut, wie die Welt einmal ist, und vor Allem, wie er ist – geworden ist, wenn Du lieber willst. Denn er war nicht immer so. Habe ich ihn doch von Kindesbeinen gekannt, und seine Entwickelung verfolgen können; denn wenn ich auch später selber nicht wieder hinauskam in ihr einsames Bergdorf, so kam doch sein Vater, der unruhige Geist, jedes Jahr ein und das andere Mal den weiten Weg hereingewandert, den Buben, von dem er sich keinen Augenblick trennte, auf dem Buckel oder an der Hand; und als er bei Euch in Oschatz war, ist er oft genug hier gewesen und hat mich stets besucht; und in den Maitagen in Dresden, weißt Du, hatte man mich ja hingeschickt, unsere Ausstände einzutreiben, es traute sich Niemand von den jungen Leuten hinein – ja, da habe ich ihn erst recht kennen gelernt, und ich sage noch einmal: da war kein Fehl und kein Falsch an ihm; und wäre er damals für die große Sache gestorben, so wäre kein Himmel zu hoch und hehr gewesen, daß er nicht hätte darin eingehen können. Aber von der Zeit an ist's mit ihm abwärts gegangen, erst allmälig, und dann schneller und schneller, und ich weiß nicht, wie lange schon – aber jetzt ganz gewiß ist er dem Dämon verfallen.

Christiane blickte auf, mehr durch den unheimlich-mystischen Ton, in welchem der alte Herr die letzten Worte gesprochen, als durch die Worte selbst erschreckt.

Ja, ja, fuhr der Alte fort – und dabei blitzten die sonst so trüben Augen durch das Haargewirr, in welchem er mit der magern weißen Hand wühlte – dem Dämon, dem Teufel, der da Mammon heißt, und dem man nicht dienen kann, ohne seinen Gott abzuschwören. Glaub' mir, mein Kind: ich, der ich seit fünfzig Jahren unter ihnen lebe, die tagtäglich um das goldne Kalb tanzen, die keinen Gedanken im Kopf und keine Regung im Herzen haben, welche nicht aus der einen großen Leidenschaft stammten, oder in sie zurückflössen; ich, der ich an Hunderten beobachtet habe, wie der Teufel, welcher Mammon heißt, erst den kleinen Finger nimmt, den man ihm bietet, und dann die Hand, und endlich den ganzen Kerl – ich weiß, wie er seine Leute zeichnet, wie sie aus den Augen blicken, – aus den harten, metallenen Augen – wie es hämisch und höhnisch um ihre Lippen zuckt, wie herzlos und gottverlassen es aus ihrer glatten, höfischen Rede klingt.

Das ist sein Bild nicht; murmelte Christiane.

Das ist sein Bild; sagte der alte Mann, so, genau so hat er gestern morgen vor mir gestanden; so, genau so hat er auf mich herabgeblickt, hat er mit mir gesprochen, – mit mir, vor dem er ehemals keinen geheimen Gedanken hatte, mit mir, den er mehr als einmal seinen zweiten Vater, seinen Vater im Geist genannt hat; denn von dem eigenen, dem rauhen Sonderling, habe er wohl das Temperament und die Leidenschaft der Freiheit, ich aber hätte ihn erst die Brüderlichkeit gelehrt, ohne welche die Freiheit nichts ist als ein brutaler Instinkt, der ganz gemeine Trieb des Selbstgenusses, wie ihn der Wilde und das Thier, und jeder Baum und jede Pflanze, ja und auch der Blitz hat, der im Selbstgenuß sich selbst verzehrt, denn darauf kommt es schließlich doch hinaus.

Nein, nein! rief Christiane, die beiden Hände, mit denen sie während der letzten Minuten ihr Gesicht bedeckt hatte, wie zur Abwehr von sich streckend.

Und ich sage Dir: ja, und abermals ja! erwiderte der alte Mann heftig. Er wird sich selbst verzehren und zerstören und vernichten, ganz und gar, wie er sein besseres Theil bereits vernichtet hat, als er sein Herz von Dir wandte. Ich weiß, was Du mir entgegnen willst; ich kenne die Theorie, die Du Dir zurechtgemacht hast, und Gott mag wissen, was sie Dich gekostet: die Theorie von dem ungewöhnlichen Menschen, der nicht die gewöhnlichen Wege gehen kann, und für den Du viel zu unbedeutend seiest. Unbedeutend! larifari! ich möchte wohl wissen, was an dem kleinen Judenmädchen, das ihn am Narrenseil führt, so viel Bedeutendes ist. Und, was das antrifft, daß Du ihm im Wege gestanden, so ist es, bei Licht besehen, doch auch nur der erbärmlichste, nichtigste Vorwand. Er ist um Deinetwillen – oder doch eigentlich Deiner Mutter willen, die Dich nicht fortlassen wollte – von Paris in sein Vaterland zurückgekehrt, in das jeder ordentliche Mensch von Gottes- und Rechtswegen gehört. Sie haben ihm hier das Leben sauer gemacht mit ihren elenden pedantischen Chikanen – ich gebe es zu. Ist er daran gestorben? hat er nur etwas dabei verloren? Im Gegentheil: er hat nachlernen müssen, was er schließlich auf die Dauer doch nicht entbehren konnte, wenn er es in seiner Wissenschaft so weit bringen wollte, wie er es gewiß bei seinen herrlichen Gaben, bei seinem rastlosen Fleiß, bei seiner gewaltigen Willenskraft bringen kann und bringen wird, und schon gebracht hat. Denn es muß wohl etwas Großes um ihn sein, wenn die alten staubigen Perrücken dem jungen Mann, den sie kaum erst examinirt haben, freundlich zunicken, ja, sich vor ihm beugen; wenn unser berühmter Weberlich, der sonst Niemand neben sich aufkommen lassen will, nicht geruht hat, bis er ihn zu seinem Assistenten an dem Universitätskrankenhause bekam; wenn Reich und Arm wetteifern, ihn zum Arzt zu haben. Freilich, die Armen haben guten Grund, sich an ihn zu wenden; sie haben dann nicht blos den Arzt, sondern auch die Arzenei umsonst. Sein Feind muß es ihm lassen: kleinlich ist nichts an ihm, und was er thut, das thut er ganz.

Des alten Mannes Augen hatten einen eigenen Glanz bekommen, während er mit seltsam schwingender Stimme also sprach; über Christianens bleiches Gesicht spielte ein melancholisches Lächeln.

Siehst Du, Onkel Kreppelmann; sagte sie; Du kannst nicht von ihm sprechen, ohne ihn zu loben und zu preisen, wie er es gewiß verdient, wenn er auch, trotz aller seiner Klugheit, nicht zu begreifen vermag, weshalb denn gerade ich zu seinem Glücke nothwendig bin.

Das Lächeln schwand von ihren Lippen; ein strenger, beinahe finsterer Ernst lagerte sich auf ihrem lieben sanften Gesicht, und ihre milde Stimme klang tiefer und voller, als sie jetzt, die großen schönen Augen fest auf den alten Mann richtend, fortfuhr:

Was er thut, das thut er ganz; und kleinlich ist nichts an ihm! So hat er stets vor meiner Seele gestanden, so steht er noch heute, so wird er stets vor meiner Seele stehen. Aber gerade deshalb darf ja auch ich nicht halb thun, was ich thue und thuen muß. Ich habe nur schon zu lange gezögert, zu lange mich in der Hoffnung gewiegt, es könne doch noch Alles gut werden. Mag sein, was Du sagst, daß ich, wenn nicht seiner werth, wie Du meinst, doch mehr werth bin, wie er wähnt; daß ich nicht ganz mehr das kindische, gedankenlose Geschöpf bin, das er einst zu lieben geglaubt hat; daß ich vielleicht mehr hätte thun können, als ich gethan habe, ihm zu zeigen, wie redlich ich gearbeitet und gestrebt habe, seiner immer würdiger zu werden. Mag sein! was hülfe es, jetzt noch darüber zu grübeln, wo nichts mehr daran zu ändern, wo es zum Aeußersten gekommen ist. Ich muß eben dulden und tragen, was ich abzuwenden nicht die Kraft, oder die Einsicht, oder das Glück gehabt habe. Das aber wäre unerträglich, könnte er auch nur einen Augenblick für möglich halten: ich hätte Ja gesagt zu der erbärmlichen Intrigue, in die sich der gute Vater – ganz gewiß ohne sich etwas Arges dabei zu denken, ganz gewiß nur, um mir in seiner Weise zu nützen – durch den schlechten Menschen hat verwickeln lassen.

Eine dunkle Röthe flammte in ihren Wangen auf und schoß über die Schläfen bis in die Stirn. Sie erhob sich eilends.

Komm, Onkel, sagte sie, die Zeit verrinnt, der Boden brennt mir unter den Füßen.

Gemach, gemach! sagte der Alte, seine Uhr ziehend; es ist kaum sieben; vor acht kann selbst Dein Vater nicht zu Lick gehen – das sollte ja wohl sein erster Gang sein? – und wir haben von hier bis zum Maibaum keine fünf Minuten – meine Lahmheit eingerechnet. Und unser Kaffee will doch auch getrunken sein; er ist jedenfalls schon längst fertig, wenn ich nach dem Lärmen schließen darf, den Frau Kummer in der Küche vollführt. Weshalb die alberne Person ihn nur nicht bringt? ich werde ihn wohl selber holen müssen.

Er hinkte nach der Thür, blieb aber auf halbem Wege stehen:

Und Du glaubst wirklich, er werde Dein Geld nehmen?

Ich hoffe, es wird nicht so weit kommen; erwiederte Christiane; ich hoffe, der Vater wird einsehen, daß er mir dies nicht anthun darf. Sollte er aber wirklich schon zu weit gegangen, oder zu fest in jenes schlechten Menschen Händen sein, nun denn: ich weiß nicht, wie ich es durchführen und wie ich es ihm sagen soll; aber daß ich es durchführen und zur rechten Stunde das rechte Wort finden werde – laß mir den Glauben, Onkel Kreppelmann; laß mir den Glauben!

Sie streckte ihm, plötzlich in Thränen ausbrechend, beide Hände entgegen. Der alte Mann zog sie an sich und küßte sie, unverständliche Worte murmelnd, auf die Stirn. Dann ließ er sie los und rief, die Thür aufreißend, nach dem Kaffee mit einer so lauten und drohenden Stimme, daß die gute Frau Kummer vor Schrecken das Präsentirbrett, welches sie eben zur Hand genommen, klirrend auf den Estrich der Küche fallen ließ.



 << zurück weiter >>