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Dreizehntes Kapitel

Gott's Donnerwetter, da muß ich hin! rief der aus Neuenfähr; einen Augenblick, Herr! – und er lief in das Haus.

Der Herr, welcher im Begriff gewesen war, den Wagen zu besteigen, trat zurück und stampfte wütend mit dem Fuß.

Ist denn die Hölle gegen mich entfesselt? knirschte er durch die Zähne.

Er hatte vor wenigen Minuten, vorsichtig durch das Dunkel zu dem Gasthof heranschleichend, den er heute nachmittag aus seiner Fahrt durch das Dorf wohl bemerkt, und wo er am ehesten Fahrgelegenheit zu finden hoffen durste, den aus Neuenfähr getroffen, der eben seine Pferde wieder ansträngte, für die der Wirt bei bestem Willen keinen Platz schaffen konnte, wenigstens nicht, bevor ein Stück der Scheune ausgeräumt war. – Die Mähren werden verschlagen, hatte der Mann bei sich gesagt; ich tue am Ende besser, ich fahre zurück.

Er bastelte noch an der Leine, die sich in der Dunkelheit verknotet hatte, als jemand, der plötzlich neben ihm stand, gefragt hatte:

Wollen Sie mich fahren, Freund?

Wohin, Herr?

Nach Neuenfähr.

Wieviel geben Sie, Herr?

Soviel Sie wollen.

Steigen Sie auf, Herr! hatte der aus Neuenfähr gesagt, froh, daß er, anstatt den weiten Weg in solchem Wetter leer zurück zu fahren, nun einen Passagier haben sollte, der so viel geben würde, wie er haben wollte. Er wollte es nicht billig tun; aber den Mordlärm mußte er doch noch hören.

Er wird sobald nicht wiederkommen, murmelte der Herr; und ich laufe Gefahr, ihm noch einmal zu begegnen; ist es so schon ein halbes Wunder, daß er mich nicht gesehen hat.

Ottomar hatte in seiner unmittelbaren Nähe gestanden, als er vorhin seine Befehle an die Leute gab. Er hatte auch, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verschaffen, seinen Namen genannt, und daß es seine Tante und seine Schwester wären; und daß sie keine Sekunde verlieren sollten, oder es wäre zu spät.

Der Herr trat tiefer in das Dunkel des Schuppens, vor dem der Wagen stand. Er wollte auf alle Fälle gesichert sein. Da aber kam der aus Neuenfähr bereits zurück – in großer Aufregung:

Die junge Dame sei totgestochen, die er mit dem jungen Herrn hierher gefahren! Gott's Donnerwetter, wenn er gewußt hätte, daß es der Herr von Werben war! und daß die schöne junge Dame, die gnädige Frau Gemahlin, so bald totgestochen werden sollte von einem fremden Landstreicher – gewiß demselben, den er schon in Neuenfähr immer habe um ihn herumspionieren sehen, als er mit dem Wagen vor dem Gasthofe an der Brücke gehalten – ein junger Kerl mit schwarzen Locken und schwarzen Augen – und die schwarzen Locken habe er jetzt auch wieder gesehen, als der Kerl aus der Haustür stürzte – ganz deutlich, er könne es beschwören. Der Kerl könne sie noch unterwegs anfallen; er für sein Teil fürchte sich nicht, er fürchte sich vor dem Teufel nicht; aber, wenn der Herr doch am Ende nun lieber hier bleiben wolle –

Dem Manne war in der Aufregung der Branntwein, den er vorhin reichlich getrunken, zu Kopf gestiegen; er wäre jetzt gern selbst geblieben; er war ja hier offenbar eine wichtige Person, und der Herr war ordentlich zurückgetaumelt, als er von dem Landstreicher sprach, und hatte was in den schwarzen Bart gemurmelt, was er nicht verstanden.

Sollen wir hier bleiben, Herr?

Nein, nein, nein! fahr zu! ich gebe dir das Doppelte von dem, was du forderst!

Damit war der Herr in den Wagen gesprungen. Der aus Neuenfähr hatte vorhin fünf Taler fordern wollen; jetzt würde er es unter zehn nicht tun, und hätte dann also zwanzig.

Dafür konnte man selbst eine Mordgeschichte im Stiche lassen!

Macht Platz! Zum Donnerwetter! fluchte der aus Neuenfähr und knallte mächtig mit der Peitsche über den Köpfen der dunklen Gestalten, die ihm auf der Dorfstraße entgegen liefen und von denen er mehr als eine beinahe überfahren hätte.

Für zwanzig Taler konnte man wohl einen schon ein bißchen überfahren – in der Dunkelheit!

In der Dunkelheit und in dem Sturm!

Das war ja wahrhaftig noch schlimmer, als vorhin, obgleich's da auch schon schlimm genug gewesen; und er habe hundertmal gesagt: wir wollen in Faschwitz bleiben, Herr; und hernach, als sie nach Gransewitz gekommen; wir wollen in Gransewitz bleiben, Herr! aber der junge Herr – was ja der Herr von Werben gewesen – habe immer gerufen: fort, fort! weiter, weiter! Wenn der gewußt hätte, daß eine halbe Stunde später die gnädige Frau mausetot sein würde! und habe sich noch die Pferdedecken geben lassen, um ihr die Füße einzuwickeln! hier, auf dieser selbigen Stelle!

Dem aus Neuenfähr erschien die Erinnerung so wichtig, daß er still hielt, dem Herrn die Stelle ordentlich zu zeigen und nebenbei die Pferde ein bißchen verschnaufen zu lassen, die kaum gegen den Sturm ankommen konnten. Rechts an dem Wege zog sich eine steile, mannshohe Mergellehne hin, auf deren Rand ein paar Weiden standen, die der Sturm schrecklich zerzauste; nach links waren ganz ebene Marschen bis zu dem Meere, das noch eine Viertelmeile oder so entfernt sein mußte, obgleich es von daher donnerte, als ob es neben dem Wege wäre.

Fort, fort! rief der Herr.

Na, na! sagte der aus Neuenfähr; haben Sie's denn auch so eilig? – und brummte dann noch etwas von Handlungsreisenden, die seines Wissens keine Offiziere wären und einen alten Reservisten nicht so anzuschnauzen brauchten; hieb aber denn doch wieder auf die Pferde, als der Herr, der schon hinter ihm im Wagen gestanden, ihn mit der rechten Hand an der Schulter packte und, mit der linken nach links deutend, rief: da! dahin!

Wohin? sagte der aus Neuenfähr.

Gleichviel! dahin!

Wir kommen schon noch aneinander vorüber, sagte der aus Neuenfähr, nicht anders meinend, als, der Herr fürchte, er werde dem Wagen, der, ihnen entgegenkommend, eben aus dem grauen Dunst auftauchte und wohl noch ein paar hundert Schritt entfernt sein mochte, auf dem schmalen Wege nicht ausweichen können.

Der Herr hatte ihn an beiden Schultern gepackt.

Gott's, Donnerwetter! schrie der aus Neuenfähr; sind Sie denn ganz verrückt?

Ich gebe Ihnen hundert Taler!

Ich will für hundert Taler nicht versaufen!

Zweihundert!

Hot! schrie der aus Neuenfähr und peitschte auf die Pferde, die er nach links gerissen hatte, von dem sandigen Wege herunter, in die Marschen hinein. Das Wasser klatschte unter den Hufen: dann aber kam festerer Grund; es war am Ende so schlimm nicht, und zweihundert Taler –

Hot! schrie der Mann und peitschte wieder auf die Pferde.

Die liefen, als ob der Teufel hinter ihnen wäre: er konnte sie nur mit Mühe in der Hand behalten. Darüber war er viel weiter abgekommen, als er gedacht. Er hatte nur eben ein bißchen vom Wege abhalten und hernach wieder einbiegen wollen. Aber, als er sich umsah, war der Weg mitsamt den Bäumen verschwunden, als wäre alles mit einem nassen Schwämme weggewischt. Und um ihn sprühte es aus der grauen dicken Luft, daß er nicht mehr wußte, ob er geradeaus, oder rechts oder links halten solle; er konnte sich auch nicht mehr auf sein Gehör verlassen. Auf dem Wege hatte er den Donner des Meeres links gehabt, hernach gerade vor sich – jetzt war's ein solcher Höllenlärm ringsumher – konnte er denn schon so nahe an der Brandung sein?

Dem Manne war der Branntweinrausch mit einem Male verflogen; statt dessen bemächtigte sich seiner eine fürchterliche Angst. Wer war der unheimliche Passagier, den er da hinter sich auf dem Wagen hatte und der ihm zweihundert Taler geben wollte, wenn er dem andern Wagen, der ihm entgegengekommen, auswich? War es ein Mordgeselle von dem Landstreicher? er hatte ebensolche schwarze Augen und schwarzes Haar, und einen langen schwarzen Bart dazu, und hatte ebenso eine wunderlich fremdländische Aussprache! War es der leibhaftige Teufel, dem er seine arme Seele verkauft für zweihundert Taler? und der ihm vorhin schon das Genick abdrehen wollte, als er ihn so bei den Schultern packte? und ihn jetzt in dieser greulichen Nacht hier auf die Marschen gelockt hatte, um ihm in Sturm und Nebel den Garaus zu machen? Und seine Frau und seine Kinder in Neuenfähr!

Herr Gott! Herr Gott! stöhnte der Mann, laß mich hier heraus! ich will's bei Gott nicht wieder tun! – Herr Gott! Herr Gott!

Der Wagen fuhr durch schieres Wasser; der Mann hörte es durch die Räder zischen. Er hieb wie rasend auf die Pferde; die bäumten sich und schlugen aus, aber er kam keinen Schritt vorwärts.

Mit einem Satz war der Mann vom Wagen herunter bei den Pferden; es gab nur noch eine Rettung: absträngen, fortjagen, was die Mähren laufen wollten!

Er hatte nichts gesagt, es verstand sich ja alles von selbst; hatte auch gedacht, daß ihm der im Wagen helfen werde. Eben hatte er das zweite Pferd los und hob den Kopf, und – die Haare sträubten sich ihm, als ob alles, was bis jetzt passiert, nur Kinderspiel gewesen gegen das, was er jetzt sah. Er hatte doch nur einen auf dem Wagen gehabt, und jetzt waren es ihrer zwei; und die zwei hatten sich an den Kehlen gepackt und rangen miteinander und schrien durcheinander; der eine, sein Passagier, als wenn er um Gnade bäte, und der andere gellte dazwischen wie der leibhaftige Teufel, und – der andere war der Mordhund von vorhin –

Mehr sah der Mann aus Neuenfähr nicht. Er hatte sich mit einem verzweifelten Sprung auf das Sattelpferd geworfen; das war mit ihm davongejagt, die Beimähre nebenher; und das Wasser war über ihn weggespritzt; und dann war er bis an den Leib im Wasser gewesen, und dann bis an die Schultern, während die Mähren schwammen, und dann hatten sie wieder Grund unter sich gehabt, und er war auf dem Festen gewesen, und die Mähren hatten gestanden, weil sie nicht mehr konnten, und die, auf der er saß, hatte so gezittert, daß er fast herunter gerutscht wäre. Und er hatte sich umgesehen, was das denn eigentlich gewesen? und wo er eigentlich war?

Er war auf einem Hügelrücken, und vor ihm lag ein Dorf. Das konnte doch kein anderes als Faschwitz sein; nur daß Faschwitz eine halbe Meile in gerader Linie vom Meere lag, und da hinter ihm, wo er herkam – es war gerade ein wenig heller geworden, so daß er doch eine Strecke sehen konnte – war die offenbare See, die fürchterliche Wogen schlug, die weiter und weiter, brausend und schäumend, wer weiß wie weit, in das Land rollten.

Die sind ersoffen wie Katzen, und mein schöner neuer Holsteiner – daß dich das –

Dem aus Neuenfähr war, als ob er jetzt doch wohl nicht fluchen dürfe.

Er war abgestiegen, hatte die Mähren am Zügel genommen und leitete sie, die kaum aus der Stelle konnten, Schritt vor Schritt nach Faschwitz, während ihm selbst die Knie bei jedem Schritt zitterten.


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