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Neuntes Kapitel

Mieting verfolgte ihren heroischen Plan, ohne sich durch irgend etwas einschüchtern zu lassen, selbst nicht durch Tante Rikchens Brille. – Und das ist kein Ding zum Spaßen, sagte Mieting, als sie am Abend die Ereignisse der ersten Sitzung erzählte; – da will ich selbst noch die Lorgnette der Baronin Kniebreche eher aushalten. Denn dahinter ist nichts als ein Paar alte verloschene Augen, vor denen ich alles andere eher als Furcht habe; aber wenn Tante Rikchen die Brille bis auf die Nasenspitze sinken läßt, dann fängt sie erst recht zu sehen an, daß einem angst und bange werden könnte, wenn man kein so gutes Gewissen hätte. Und, weißt du, Else: da muß zwischen euch und den Schmidts etwas Besonderes vorgefallen sein – was? ist mir freilich noch schleierhaft, denn die gute Dame wirft alles wie Kraut und Rüben durcheinander; aber auf euch Werbens war sie nicht gut zu sprechen, etwa so, wie mein Papa auf die Griebens, unsre Nachbarn, die ihm immer die Grenze wegackern, sagt er; und ihr habt den Schmidts auch was weggeackert, und das, sollst du sehen, ist auch der Grund, weshalb Reinhold so scheu geworden ist. Von dem erfahren wir's nicht; aber Tante Rikchen kann nichts auf dem Herzen behalten, und wir sind schon die besten Freundinnen. Ich sei ein braves Mädchen, sagte sie, und ich könne ja schließlich nichts dafür; und die Taube, die das Ölblatt auf die Erde gebracht, habe auch nicht gewußt, was sie im Schnabel gehabt, und ich sah, daß Reinhold, der mit im Atelier war, ihr mit den Augen zuwinkte, und auch Herr Anders machte ordentlich ein nachdenkliches Gesicht und sah wieder Reinhold an – die drei wissen was, soviel ist klar, und ich will's schon herausbringen, verlaß dich drauf!

Aber Mieting brachte es nicht heraus und konnte es auch nicht, da Tante Rikchen selbst den eigentlichen Sachverhalt nicht kannte und die andern sich sorgfältig hüteten, sie in das Geheimnis einzuweihen. Mietings Mitteilungen trugen deshalb keineswegs zu Elses Beruhigung bei, und wenn Else in den ersten Tagen wenigstens die Freude gehabt hatte, durch Mieting über Reinhold zu hören: wie er in das Atelier gekommen und ihnen eine Zeitlang Gesellschaft geleistet, und was er gesagt, und wie er ausgesehen habe, so floß auch diese Trostesquelle immer spärlicher und schien nach und nach ganz versiegen zu wollen. An einem Tage war er kaum fünf Minuten dagewesen, an einem andern nur eben durch das Atelier gegangen; an einem dritten hatte Mieting ihn gar nicht gesehen, an einem vierten wußte sie nicht einmal, ob sie ihn gesehen habe oder nicht. Else glaubte zu wissen, was sie von dieser scheinbaren Nachlässigkeit zu halten habe: Mieting hatte etwas in Erfahrung gebracht, was sie ihr nicht sagen mochte, oder sich auch ohne das von der Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe überzeugt; und die ausführlichen Berichte, die sie von ihren sonstigen Erlebnissen und Beobachtungen in dem Atelier gab, sollten nur dazu dienen, ihre Verlegenheit zu verbergen.

Es war deshalb auch nur mit sehr geteiltem Herzen, daß Else diesen Berichten zuhörte: wie Mieting täglich in Tante Rikchens Gunst steige, die wirklich eine ganz prächtige alte Dame sei und das Herz auf dem rechten Flecke habe, wenn ihre Brille auch immer schief oder auf der Nasenspitze sitze. – Und wie die gute Person für sie noch ganz was besonders Rührendes habe, denn gerade so werde sie in fünfzig Jahren auch einmal aussehen. Aber noch viel rührender sei ihr ein schönes, junges, blindes Mädchen, das jetzt jeden Tag komme, weil Herr Anders sie beide nebeneinander auf dem einen Relief anbringen wolle; wenn die spreche, das sei gerade, als ob eine Lerche hoch, hoch oben in der blauen Luft singe an einem Sonntagmorgen, wenn alles still auf den Feldern; und Justus sage, einen solchen Gegensatz, wie sie und Cilli, habe die Natur nicht wieder hervorgebracht, und wenn es ihm gelänge, das so darzustellen, dürften die Leute nur noch mit dem Hute in der Hand zu ihm sprechen. – Es sei auch neben dem Atelier von Justus ein zweites, das ihre ganze Neugier errege, weil sich die Bewohnerin niemals blicken lasse und sie sich von einer Dame, die in Ton knete, oder an dem Marmor herumhämmere, keine Vorstellung machen könne, am wenigsten von einer wunderschönen, eleganten Dame, wie Justus sage, daß Fräulein Schmidt sei; – denn, weißt du, Else, ein Bildhauer sieht sonst aus, wie ein Bäcker, bloß, daß er statt des Teiges Ton an den Fingern hat und anstatt mit Mehl mit Marmorstaub eingepudert ist, daß man so ein kurioses Menschenkind kaum für einen anständigen Herrn, geschweige denn für einen großen Künstler halten kann; und der einzige, der immer reinlich aussieht und ordentlich elegant trotz seiner Arbeitsbluse, und so wunderschön ist, wie ich in meinem Leben noch nichts gesehen habe – das ist eigentlich kein Künstler, sagt Justus, denn er kann weiter nichts als punktieren und aushauen; aber, du armes Kind, weißt wohl gar nicht, was punktieren ist? Punktieren ist nämlich, wenn einer mit dem Schnabelstorch oder Storchschnabel, weißt du –

Und nun kam eine sehr lange und sehr wirre Erklärung, aus der Else weiter nichts als Mietings Wunsch heraushörte, von allem zu sprechen, nur nicht von dem, was ihr selbst einzig und allein am Herzen lag. – Die Arbeit wird fertig werden, sprach Else bei sich, und der ganze Erfolg des schönen Planes darin bestehen, daß ich Reinholds Zurückhaltung nicht mehr für Zufall halten kann.

Aber die Arbeit schien nicht fertig werden zu wollen. – Ein solches Gesicht sei ihm noch nicht vorgekommen, sage Justus; ebensogut könne man Frühlingswolken modellieren, die jeden Augenblick ihre Gestalt wechseln. – Und wieder, als das Reliefbild fertig war – Du glaubst nicht, wie entsetzlich lächerlich ich aussehe, Else, wie eine Chinesin! – hatte sich Justus an die Ausführung der »Hilfsbereitschaft« gemacht, und – da kann ich doch den armen Menschen, der sich so abquält, nicht im Stich lassen; denn, weißt du, Else, jetzt handelt es sich nicht mehr bloß um den Kopf – den hat er, – sondern um die ganze Figur: die Haltung, Geste, – um neue Motive, mit einem Worte, weißt du – aber ich glaube, du armes Kind weißt gar nicht, was ein Motiv ist. Motiv ist nämlich, wenn einer nicht weiß, was er machen soll und nun plötzlich etwas sieht, woran im Grunde gar nichts zu sehen ist, sagen wir: eine Katze oder eine Waschbütte –

Es war die längste, aber auch die letzte Erklärung, die Mieting für ihre Freundin aus der Fülle ihrer neuen Weisheit schöpfte. In den nächsten Tagen hatte Else mehr als gewöhnlich in der Wirtschaft zu tun, und eine andere Angelegenheit nahm ihr Interesse gebieterisch in Anspruch. Es fand bei dem Vater, nachdem nun beinahe zwei Monate lang hinüber und herüber verhandelt war, die Schlußkonferenz über die zukünftige Verwaltung des Warnowschen Vermögens statt, in der mit den drei Stimmen der Herren von Wallbach, des Geheimrats Schieler und Giraldis, des Mandatars der Baronin, gegen die eine Stimme des Generals, der seine dissentierende Ansicht mit den Motiven zu Protokoll gab, der möglichst sofortige Verkauf des ganzen Komplexes beschlossen und Graf Axel von Golm eintretenden Falles nach Annahme der von dem Familienrat ebenfalls vereinbarten Verkaufsbedingungen als Käufer akzeptiert wurde. – Der Vater kam bleich und erschöpft, wie Else ihn nie gesehen, aus der mehrstündigen Konferenz.

Sie haben es fertig gebracht, Else, sagte er; – die Warnowschen Güter, die nun zweihundert Jahre im Besitz der Familie gewesen sind, werden ausgeschlachtet und verschachert werden – deine Tante Valerie mag es verantworten, wenn sie kann. Denn sie, und sie allein, trägt die Schuld, daß hier ein alt-ehrwürdiges Geschlecht kläglich zugrunde geht. Wäre sie meinem Freunde ein gutes und treues Weib gewesen – doch was hilft es, über vergangene Dinge zu jammern! Es ist töricht selbst in meinen Augen, geschweige denn in den Augen jener, denen die Gegenwart alles ist. Und ich muß es einräumen: die Herren haben ganz im Sinne unserer Zeit gehandelt: klug, rationell, in eurem Interesse. Ihr alle werdet, wenn der Verlauf so glänzend ausfällt, wie der Geheimrat triumphiert, mindestens um das Doppelte reicher. Es ist sehr unväterlich, Else, aber ich hoffe: er triumphiert zu früh. Der Graf, den er als Käufer nennt, kann den unsinnigen Preis, – denn der wirkliche Gesamtwert der Güter ist kaum eine halbe, geschweige denn eine ganze Million – nur zahlen, wenn er sicher ist, daß man ihm die ungeheuere Last sofort wieder von den Schultern nimmt, das heißt, wenn das skandalöse Projekt, dessen staatsgefährliche Torheit ich mit Hilfe der Herren vom Generalstabe und des Kapitän Schmidt so schlagend nachgewiesen habe, zustande kommt. Käme es dennoch zustande, erteilte man die Konzession, so wäre das ein Affront gegen das bißchen Autorität, das ich beanspruchen darf, aber auch so beanspruche, daß ich es ansehen würde, als hätte man mich in dem diesmaligen Avancement übergangen: ich würde sofort meinen Abschied nehmen. Die Entscheidung steht vor der Tür. Für Golm ist es eine Lebensfrage; er ist entweder heillos ruiniert, oder ein Krösus; und ich eine Exzellenz, oder ein armer Pensionär – ganz im Sinne der Zeit, die überall va banque spielt. Nun, wie Gott will! ich kann nur gewinnen, nicht verlieren, denn das Höchste, Beste: mein reines Gewissen, das Bewußtsein, treu zu der alten Fahne gestanden, gehandelt zu haben, wie ein Werben handeln muß, kann mir nichts und niemand rauben.

So sprach der Vater zu Elsen in einer Aufregung, die, so sehr er sich zu beherrschen suchte, aus jedem seiner Worte, aus dem schwingenden Ton selbst seiner tiefen Stimme hervorzitterte und bebte. Es war das erste Mal, daß er sie so in sein innerstes Vertrauen zog, sie zum Zeugen eines Kampfes machte, den er sonst in seiner verschwiegenen, stolzen Seele still durchgekämpft haben würde. War es Zufall? war es Absicht? war das allzuvolle Gefäß nur eben übergeströmt? oder ahnte, kannte der Vater ihr Geheimnis? wollte er ihr sagen: auch an dich wird vielleicht bald eine solche Entscheidung herantreten; ich wünsche, ich hoffe, daß auch du zu der Fahne stehen wirst, die mir heilig ist, daß auch du ein Werben sein wirst?

Das war am Vormittag gewesen; zum Mittag hatte Mieting, ausnahmsweise, nachdem sie vorher wieder eine Sitzung gehabt, eine Einladung bei einer Freundin ihrer Mutter angenommen. Sie wollte vor Abend nicht zurückkommen. Else vermißte zum ersten Male die Freundin nicht; es war ihr lieb, daß sie allein bleiben und still ihren Gedanken nachhängen durfte. Sie waren nicht heiter, diese Gedanken; aber sie fühlte die Pflicht, sie zu Ende zu denken, in sich klar zu werden, wenn es ihr möglich war. Sie glaubte, daß es ihr möglich gewesen, und empfand darüber eine stille Genugtuung, die freilich, wie sie sich sagte, der ganze Ersatz sein würde für alles, worauf sie ins Geheim verzichtet.

Und in dieser resignierten Stimmung nahm sie denn auch mit leidlicher Fassung eine Nachricht entgegen, die ihr Mieting beim Nachhausekommen mitbrachte und die sie sonst mit Trauer erfüllt haben würde: Mieting wollte fort, mußte fort. Sie hatte bei der Dame, von der sie kam, einen Brief der Mama vorgefunden, in der die Mama über ihre lange Abwesenheit so schmerzlich Klage führte, daß sie gar nicht anders könne, als auf der Stelle, das heißt: morgen früh abreisen. Wie ihr dabei zu Mute sei, wolle sie und könne sie nicht sagen.

Ein wunderlicher Gemütszustand war es jedenfalls; denn, während sie jetzt in Tränen zerfließen zu wollen schien, geriet sie im nächsten Augenblicke in ein Lachen, das sie vergebens zu unterdrücken suchte, bis der Lachkrampf wieder in einen Weinkrampf umschlug. So trieb sie es den Rest des Abends. Am nächsten Morgen hatte diese Stimmung eine solche Höhe erreicht, daß Else ernstlich für das wunderliche Mädchen fürchtete und sie beschwor, ihre Abreise zu verschieben, bis sie sich einigermaßen beruhigt haben würde. Aber Mieting blieb fest; sie sei einmal entschlossen, und Else würde ihr recht geben, wenn sie alles wüßte, und sie solle alles wissen; – aber brieflich – mündlich könne sie das nicht, ohne sich tot zu lachen, und sie dürfe gerade jetzt nicht sterben aus Gründen, die sie auch wieder nicht angeben könne, ohne sich tot zu lachen.

So trieb sie die Possen, bis sie in den Wagen stieg, in dem sie August zur Bahn bringen sollte. Sie hatte sich jede andere Begleitung auf das Entschiedenste verbeten, – aus Gründen, Else, weißt du, die – na! Du wirst eben alles lesen in dem Briefe, weißt du, der – adieu, geliebte, süße, einzige Else!

Damit fuhr Mieting davon.

Am Abend übergab August, nicht ohne einige Feierlichkeit, Elsen einen Brief, den ihm das gnädige Fräulein im letzten Augenblicke vor der Abreise gegeben hatte mit der ausdrücklichen Weisung, ihn pünktlich zwölf Stunden später, Schlag neun Uhr abends, abzuliefern. – Es war ein dicker Brief in Mietings verworrenster Handschrift, aus dem Else mit Mühe das Folgende enträtselte.

»Nachmittags sechs Uhr.

»Geliebte Else! glaub' mir kein Wort von allem, was ich Dir, wenn ich nach Hause komme – ach! das hilft Dir ja nicht; Du wirst ja diesen Brief erst lesen – ich schreibe ihn, um keine Zeit zu verlieren, gleich hier bei Frau von Randow – August soll ihn Dir geben, wenn ich weg bin – also: es ist alles nicht wahr; meine Mutter hat gar nicht geschrieben; ich habe Dich schon seit acht Tagen auf das Grenzenloseste belogen und betrogen, denn ich bin seitdem gar nicht mehr um Deinethalben hingegangen, und es wäre auch das unzweckmäßigste Mittel gewesen, da, wie mir jetzt klar ist, Dein Reinhold längst gemerkt hatte, wie es mit uns stand, und aus dem Wege blieb, noch bevor wir selbst eine Ahnung hatten, und das kannst Du glauben, Else, so ein paar Herren, wenn sie gute Freunde sind, die stehen einander in solchen Dingen bei, daß wir Mädchen es auch nicht besser könnten. Und vor der lieben blinden Cilli, glaubten wir, brauchten wir weiter keine Sorge zu haben, weil sie immer so heiter lächelte, als wir uns neckten, und dann konnte sie ja auch nicht sehen, und die Augen spielen doch bei so etwas eine so große Rolle, weißt Du! Überhaupt hat es mit den Augen angefangen, denn bis dahin ging alles ganz gut. Als er aber an die kam, sagte er: bei der Gelegenheit werde ich auch herausbringen können, von welcher Farbe eigentlich Ihre Augen sind; ich habe mir schon alle die Tage darüber den Kopf zerbrochen. – Ich behauptete, sie wären gelb; Tante Rikchen meinte, grün; er selbst: braun, und Cilli, die den Ausschlag geben sollte, sagte: sie wäre überzeugt, daß sie blau seien, ich sei so heiter, und heitere Menschen müßten blaue Augen haben. So haben wir hin und her gescherzt, und jeden Tag fing er wieder von meinen Augen an, und weil man doch nicht gut von Augen sprechen kann, ohne sich in die Augen zu sehen, sah ich ihm in die Augen, während er mir in die Augen sah, und – ich weiß nicht, ob Du dieselbe Erfahrung gemacht hast, Else – wenn man das so ein paar Tage lang getan hat, fängt man an, klarer und immer klarer zu sehen, was da auf dem Grunde vorgeht, – ganz kuriose Dinge, sage ich Dir, daß es einen heiß und kalt überläuft und man manchmal nicht weiß, ob man den, der einen so ansieht, auslachen und ihm einen Nasenstüber geben, oder an zu weinen fangen und ihm um den Hals fallen soll.

So war mir schon ein paarmal zu Mute gewesen, und heute mittag wieder, nur noch ein bißchen schlimmer, als früher. Die Gehilfen hatten nämlich Mittag gemacht, und Tante Rikchen war gegangen, um nach ihrer Wirtschaft zu sehen; es waren nur noch er und ich und Cilli da, und Justus wollte weiter arbeiten, wenn es uns recht wäre, damit er endlich einmal fertig würde. Er arbeitete aber gar nicht recht fleißig, wie sonst, und weil ich das merkte, saß ich auch nicht still, wie sonst, und wir – das heißt er und ich – trieben allerhand Possen mit Lesto, der sich tot stellen mußte und mich wütend anbellte, wenn ich tat, als ob ich seinen Herrn schlagen wollte, und anderes Zeug, bis wir plötzlich die Tür, die nach der Gartenseite führt, ins Schloß fallen hörten und – Gott, Else, wie soll ich Dir das nur beschreiben? – Cilli war weggegangen, ohne daß wir es gemerkt hatten; wir mußten es also doch wohl ein bißchen arg gemacht haben und wurden dafür beide still, mäuschenstill, daß man eine Nadel hätte können fallen hören, wenn eine gefallen wäre, und mir so beklommen wurde, Else, so beklommen, weißt Du! und immer beklommener, als er plötzlich dicht vor mir kniete – ich hatte mich nämlich, weil mir selbst die Knie zitterten, hingesetzt – und mir wieder so in die Augen schaute, und ich ihn – das mußte ich doch, Else? – fragte, aber ganz leise, – was das heißen solle? – Das soll heißen, sagte er – aber auch ganz leise – daß Sie endlich einmal Farbe bekennen müssen. – Ich gebe Ihnen, wenn Sie nicht gleich aufstehen, einen Nasenstüber, sagte ich noch leiser. – Ich stehe nicht auf, sagte er, aber so dicht an meinen Ohren, daß ich ihm gar keinen Nasenstüber mehr geben konnte, sondern ihm alles Ernstes um den Hals fallen mußte, worüber denn Lesto, der gewiß glaubte, daß es seinem Herrn ans Leben ginge, fürchterlich zu bellen anfing, und ich, bloß um Lesto zu beruhigen und Justus wieder von den Knien aufzubringen, zu allem, was er wollte, Ja sagte: daß ich ihn liebe und sein Weib werden wolle, und was man denn alles in solchem schrecklichen Augenblicke sagt.

Und nun denke Dir, Else, Else! – als wir nach fünf Minuten Lesto denn endlich beruhigt hatten und fort wollten – denn ich sagte, ich hätte geschworen, verständig zu sein und Dir Ehre zu machen, und bliebe keine Sekunde länger mit einem so gefährlichen Menschen an einem so einsamen Orte mit all den schrecklichen Marmorfiguren – und wir, Arm in Arm, nach hinten gehen, tritt uns plötzlich zwischen den Marmorfiguren Cilli entgegen, selbst so weiß wie Marmor, aber mit dem himmlischen Lächeln auf dem süßen Gesicht, und sagt, wir dürften ihr nicht zürnen, die Tür sei zugeschlagen, und sie habe sie nicht aufbekommen können, und sie habe alles gehört, sie höre so leise, und in dem Atelier schalle es so laut. Ach, Else! ich schämte mich fast in die staubigen Dielen hinein, denn, ich glaube, es war nicht bei den Worten geblieben; aber das himmlische Geschöpf, als ob sie gesehen hätte, wie rot ich wurde, nahm mich bei der Hand und sagte, ich solle mich nicht schämen; einer ehrlichen, herzlichen Liebe brauche man sich nicht zu schämen, und ich wüßte ja noch gar nicht, wie glücklich ich sei und wie stolz ich sein dürfe; aber ich würde es nach und nach erfahren, und dann solle ich für mein stolzes Glück dankbar sein und Justus sehr, sehr lieben, denn ein Künstler brauche viel, viel Liebe, mehr als ein anderer Mensch. Und dann nahm sie auch Justus' Hand und sagte: und Sie, Justus, Sie werden sie so lieb haben, wie den Sonnenschein, ohne den Sie nicht leben können! und, wie sie das sagte, fiel ein Sonnenstrahl durch das hohe Atelierfenster gerade auf das süße Mädchen, und sie sah so verklärt aus, so überirdisch schön mit den armen blinden, nach oben gerichteten Augen, daß ich nun schließlich doch furchtbar weinen mußte und sie alle Mühe hatte, mich zu beruhigen. Und da sagte sie: Sie dürfen in dieser Aufregung hier nicht bleiben, Sie müssen sogleich nach Hause reisen und es Ihrer Mutter sagen, und niemand vorher, denn, daß ich es weiß, ist ein Zufall, an dem Sie unschuldig sind. Und ich versprach ihr alles in die Hand, was sie von mir verlangte, und ich fühle jetzt schon, wie recht der Engel hatte, denn ich bin ganz unsinnig vor Freuden und würde vor Freuden lauter Unsinn angeben, und das darf ich nicht, weil ich geschworen habe, verständig zu sein und Dir Ehre zu machen. Morgen früh wird gereist, morgen abend acht Uhr bin ich zu Hause, halb neun habe ich der Mama alles gesagt, und um neun Uhr gibt Dir August diesen Brief, denn nach der Mama bist Du selbstverständlich die Nächste dazu. Das habe ich Cilli gerade herausgesagt, und sie hat es erlaubt, und ihr letztes Wort war: bitten Sie Gott, daß Ihre Freundin so glücklich werde, wie Sie es jetzt sind. Das will ich tun, Else, verlaß Dich drauf, und verlasse Dich auch in jeder andern Hinsicht auf Deine Dich über alles liebende

verständige Miete.«

»P. S. Bei dem ›alles‹ ist ›er‹ jetzt natürlich ausgenommen; es tut mir schrecklich leid, aber es geht nicht anders, weißt Du!«

Das liebe närrische Kind! sagte Else, als sie den Brief zu Ende gelesen, mit einem tiefen Atemzuge – ich gönne es ihr von ganzem, ganzem Herzen!

Und während sie so dasaß und darüber nachdachte, wie das doch so wunderlich gekommen sei und wie glücklich die beiden wohl in ihrer Liebe sein möchten, wurden ihre Augen immer starrer, ihr Atem immer schwerer, und dann drückte sie die Hände in die Augen, neigte ihren Kopf auf Mietings Brief und weinte bitterlich.


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