Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Elses alte Köchin saß auf ihrem Schemel, die Ellenbogen auf die Knie gestemmt, und starrte auf die Fliesen; August, der in dem Fenster lehnte, fuhr stillschweigend fort, sich mit seinem Messer die Nägel zu putzen, und Friedrich, der Bursche, der auf dem Tische hockte, mit den langen Beinen zu schlenkern.

Nun schlägt es zwölf, sagte die Köchin mit einem verzweifelten Blick nach dem Herde, auf dem der Wasserkessel noch immer, wie seit dem frühen Morgen, einsam über dem Feuer stand; – könnt ihr beide denn nicht wenigstens das Maul aufmachen?

Was soll man dazu sagen, erwiderte August; – das wird nun bei uns vom Militär nicht anders sein.

Eine Sünde und eine Schande ist es! sagte die Köchin.

Aus dem Effeff! bestätigte August.

Die Schwarzwälder Uhr tickte, der Kessel brodelte; Friedrich ließ sich von dem Tisch heruntergleiten und reckte die Arme.

Ich bin sonst nicht sehr für dem Exerzieren, sagte er; – aber heute hätten wir Burschen meineswegen immer mitmachen können.

Ja, der junge Herr hat's immer am besten, sagte die Köchin; – weit davon ist gut vor dem Schuß; ich an seiner Stelle hätte ihnen heute was exerzieren wollen!

Sie strich sich die Schürze glatt; August schüttelte den Kopf:

Das wird nun bei uns vom Militär –

Ach was! unterbrach ihn die Köchin; – Militär hin, Militär her! wenn einer meinem Vater den Stuhl vor die Tür setzt, setze ich ihm wieder den Stuhl vor die Tür, und damit Punktum.

Sie gab ihrer Schürze einen letzten energischen Strich, stand auf, trat an den Herd, drehte den Wasserkessel um und fing, da die Angelegenheiten dadurch offenbar nicht aus der Stelle rückten, im Gefühl ihrer Ohnmacht heftig zu weinen an.

Na, sagte die Kammerjungfer, die eben in die Küche trat, ist denn hier auch das Lamento los!

Sie setzte sich auf den Schemel, von dem die Köchin aufgestanden, und strich, wie jene ihre grobe Küchenschürze, ihr schwarzseidenes Tändelschürzchen glatt: So! ich hab's nun satt! bei alten Jungfern, die in Ohnmacht fallen, wenn mal was im Hause schief geht, Krankenpflegerin spielen, das paßt mir nicht. Und sich von dem gnädigen Fräulein aus dem Zimmer weisen lassen, weil man zu laut auftritt, und ihr die Pauline, die dumme Gans, schicken müssen, paßt mir auch nicht. Und überhaupt: alle vierzehn Tage eine Gesellschaft, wenn's hoch kommt, das bin ich nicht gewohnt, und jetzt wird es ja wohl auch damit vorbei sein, ich danke für das Vergnügen, und morgen können sie sich eine andere Kammerjungfer suchen, wenn das überhaupt noch eine Kammerjungfer braucht; und –

Nun hab' ich's aber auch satt! sagte die Köchin.

Ich werde reden können, wie's mir beliebt, sagte die Kammerjungfer.

Aber nicht in meiner Küche! rief die Köchin, ihre noch immer kräftigen Arme in die Seite stemmend und vor die Freche hintretend. – Was! hier von »das« zu sprechen, alten, ehrlichen Dienstboten ins Gesicht, die zwanzig Jahre im Hause sind, oder acht Jahre, wie der August, von Friedrich da gar nichts zu sagen, obgleich er auch ein ehrlicher Mensch ist, und heute lieber zum Exerzieren gegangen wäre, als hier sitzen und den Jammer so mit ansehen? Wissen Sie wohl, wer »das« ist? Ihr Krethi und Plethi, von denen Sie sich zu uns verlaufen haben, die sind »das« mit samt ihren ellenlangen Schleppen und Trara und Gummirädern! und Sie sind »das«, Sie unverschämte Person, Sie! und wenn Sie jetzt nicht im Augenblick Ihr Grinsen lassen und von meinem Schemel aufstehen und sich aus meiner Küche scheren, so gebe ich Ihnen ein paar Katzenköpfe, daß Sie an »das« noch sieben Tage lang denken sollen.

Ich werde mich auch mit Ihnen streiten, sagte die Kammerjungfer, sich mit einiger Eile erhebend und unter der erhobenen Rechten ihrer Widersacherin nach der Tür schlüpfend; – dazu sind Sie mir –

Raus! sagte die Köchin.

Zu ordinär!

Und die Kammerjungfer schlug die Tür hinter sich zu.

Das ist eine aus dem Effeff! sagte August.

Eine richtige, sagte Friedrich.

Und ihr seid Schlummerköpfe! rief die Köchin, euch so was ruhig gefallen zu lassen!

Mit so einer läßt man sich doch nicht ein, sagte Friedrich.

Es hat an der Hausflur geklingelt, sagte August, froh, das Gespräch, das eine so unliebsame Wendung nahm, abbrechen zu können. – Unser Herr wird doch nicht schon wieder zurück sein? Und annehmen werden wir ja wohl heute keinen?

Es kommt darauf an, sagte die Köchin. Unser armes Fräulein hat heut noch keine Menschenseele nicht gesehen, und das liebe Herzchen wird sich doch auch wohl aussprechen wollen; aber es muß ein guter Freund sein.

Nu, natürlich, sagte August, sich seinen Livreerock zuknöpfend, einer aus dem Effeff: Herr von Schönau, oder –

Machen Sie nur, daß Sie hinaufkommen!

Ach, der Herr Kapitän! rief August, Reinhold auf dem Vorsaal erblickend.

Der Herr Kapitän stand bei August in großer Gunst, und der Herr Kapitän, der immer so freundliche Augen machte, schaute heute so ernst darein –

Der Herr Kapitän werde es gewiß auch schon wissen, sagte August.

Um Himmels willen! rief Reinhold, was ist geschehen? Ist jemand im Hause krank?

Krank auch schon, erwiderte August, – aber nur vor Schrecken – das gnädige Fräulein Sidonie, die gleich in Ohnmacht fallen werden; und so werden wir es ja denn natürlicherweise alle zu erfahren bekommen. Der Herr Leutnant werden natürlicherweise schon zum Exerzieren sein und vor Abend nicht zurückkommen, da sie hernach in der Kaserne Dienst haben; und dem Herrn General werde ich alle Orden an die Uniform stecken müssen und wird hingehen, Sr. Exzellenz, dem Herrn Minister, und den andern Exzellenzen zu sagen: so und so, und das gnädige Fräulein wird bei Fräulein Sidonie sein, aber sie wird sich auch wohl einmal aussprechen wollen, und wenn der Herr Kapitän hier so lange einzutreten belieben –

August hatte Reinhold, der in seiner Bestürzung mechanisch folgte, die Treppe hinaufgeführt und ihm die Tür zum Salon geöffnet. Reinhold blieb ein Paar bange Minuten allein. Was konnte sich ereignet haben, das die Familie in einen Schrecken versetzte, der sich selbst auf dem Gesicht des Dieners widerspiegelte? und das heute, gerade heute! als ob ihm das Herz nicht schon schwer genug war!

Ein leichter Schritt kam über das Parkett des Speisesaales und über den Teppich des Seitenkabinetts, und Else streckte ihm, hereintretend, die Hand entgegen.

Sie kommen, um Abschied zu nehmen! ich weiß alles von Fräulein – von Mieting.

Ich komme, um Abschied zu nehmen, erwiderte Reinhold; aber, bevor wir davon sprechen, sagen Sie mir, wenn es möglich ist, welches Unglück Sie betroffen hat. Es muß ein Unglück sein!

Er hatte ihre Hand noch immer in der seinen und starrte, selbst bleich vor Aufregung und Teilnahme, in ihr bleiches, schönes Gesicht, in die geliebten braunen Augen, die sonst so mutig und fröhlich blickten, und heute so trüb und traurig.

Der Vater würde mich schelten, wenn er hörte, daß ich ein Unglück nenne, worauf er stolz zu sein behauptet. Und doch, wer weiß, wie es in seinem Herzen aussieht, wie er es in seinem Herzen trägt und – ertragen wird!

Sie unterdrückte mit einem tiefen Atemzuge die wehmütige Regung, die in ihrem Herzen aufwallte, und fuhr, Reinhold einen Stuhl anbietend und selbst auf dem Sofa Platz nehmend, in ruhigerem Tone fort:

Der Vater ist im Avancement, vor dem er stand, übergangen. Sie wissen, was das heißt; er ist eben hin, sein Abschiedsgesuch persönlich dem Minister vorzutragen.

Großer Gott! rief Reinhold; ein Offizier von dieser lautersten Gesinnung, von diesen hohen Verdiensten um das Vaterland – ist es möglich!

Else saß da, starren, brennenden Auges vor sich niederblickend; ein bittres Lächeln zuckte um die feinen Lippen, während sie ein paarmal langsam mit dem Kopfe nickte. Reinhold sah, wie künstlich die Fassung war, mit der sie ihm entgegengetreten, wie tief sie die Kränkung schmerzte, die ihrem Vater widerfahren war.

Und nun denken zu müssen, sagte er mit dumpfer Stimme, daß ich selbst dazu beigetragen, diese Katastrophe herbeizuführen! – Ihr Herr Vater hat mir wiederholt angedeutet, mit welchen Schwierigkeiten er überdies zu kämpfen habe, wie prekär, wie erschüttert seine Stellung sei, und daß vielleicht ein weniges genüge, sie unhaltbar zu machen –

Else schüttelte den Kopf. – Nein, nein, sagte sie, das ist es nicht. Der Vater war entschlossen, seinen Abschied zu nehmen, sobald die unglückliche Konzession gegen seinen Willen durchging. Aber, daß man nicht so lange gewartet hat, ihm nicht einmal die wenigen Stunden gelassen hat, seinen Entschluß auszuführen, das ist es, was ihn empört und woran, fürchte ich, sein stolzes Herz verblutet.

Aus den starren Augen rannen die Tränen über die bleichen Wangen; Reinholds Herz war von Liebe und Teilnahme zum Überfließen voll; in ihm rief es immerfort: armes, armes geliebtes Mädchen! aber aussprechen durfte er es ja nicht.

Else hatte sich mit dem Tuch die Tränen getrocknet.

Sie dürfen auch nicht so trüb darein blicken, sagte sie mit einem Versuch, zu lächeln; – der Vater hat seine Pflicht getan, Sie haben Ihre Pflicht getan. Ist dies Bewußtsein nicht der beste, der einzige Trost in Lagen, wie diese, die wir annehmen müssen, wir mögen wollen oder nicht?

Gewiß, sagte Reinhold, und doch wie traurig klingt das aus solchem Munde!

Weil ich ein Mädchen bin, sagte Else. – Ich meine, daß gerade wir Mädchen, die wir so wenig für uns selbst tun dürfen, die wir den Verhältnissen oft so machtlos gegenüberstehen, nicht früh genug uns mit diesem Gedanken vertraut machen können. Was wäre schon in diesen Tagen aus mir geworden, wenn ich es nicht getan hätte; wenn ich nicht wenigstens, soviel an mir ist, versucht hätte, es zu tun! Und nun gar heute! heute, wo ich auch noch von dem Vater über Ottomar –

Reinhold blickte erschrocken auf; Else hatte ihre Augen gesenkt, ein flammendes Rot war ihr in die Wangen geschossen; sie fuhr langsam leise fort:

Wo ich alles erfahren habe!

Konnte Ihnen nicht wenigstens das erspart werden? sagte Reinhold nach einer dumpfen Pause.

Ich glaube, nein, sagte Else, wieder aufblickend. – Ich glaube, daß der Vater einem richtigen Gefühle folgte, als er heute morgen, wo er mit mir, wie mit einem Freunde – ach! ich bin ihm sehr dankbar dafür und bin so stolz darauf! – seine Lage, unsere Lage – alles durchsprach, mir auch das vertraute. Ja, ich kann mich von dem Gedanken nicht losmachen: es wäre besser gewesen, und es stünde besser um – um uns alle, hätte ich es, wenn nicht von Anfang an, doch wenigstens an jenem schrecklichen Morgen sogleich erfahren. Was da hinüber und herüber gefehlt und versehen – alle die verworrenen Fäden – sie konnten, war es überhaupt noch möglich, wohl nur von einer Frauenhand geschlichtet werden. Was gäbe ich um die unersetzlichen Minuten, die da verloren gingen! Ach, ich weiß, ich würde die Worte gefunden haben, die zu Ottomars Herzen, zu dem Herzen Ihrer Cousine gesprochen hätten! Die arme Ferdinande! was muß sie gelitten haben! was muß sie leiden! Und auch mein armer Ottomar! Er ist wahrlich so schuldig nicht, als er vielleicht selbst Ihnen scheint. Sie können nichts dafür, daß Sie ihn nicht besser kennen gelernt haben, daß mein innigster Wunsch: Sie möchten recht vertraute Freunde werden, nicht in Erfüllung gegangen ist. Wir wissen ja jetzt, weshalb er Sie gemieden, wie freilich auch seine besten Freunde: Schönau und die anderen – selbst mich – uns alle. Und so hat er sich in seiner Herzenseinsamkeit so weit, so hilflos weit verirrt! Und doch! ich kenne ihn aus früheren, besseren Tagen: wie weich, wie liebebedürftig und liebevoll sein Herz, wie es für das Schöne und auch für das Gute empfänglich ist, wenn er auch wohl nie die Kraft gehabt hat, es in sich reifen zu lassen, ihm allein zu leben. Wer, wie schwer mag es auch sein in dem Leben, das ihn umgibt, an dem er doch teilnehmen muß, an dem ich doch selbst in meiner Weise teilgenommen und mich glücklich gefühlt habe – in all diesen Vorurteilen des Standes, der gesellschaftlichen Rücksichten, die wir gar nicht mehr als solche empfinden, weil wir in ihnen groß geworden sind, und von denen sich wohl keiner von uns ohne schweren Kampf losringt. Und wenn er in diesem Kampfe unterlegen, so haben die wunderlichen Verhältnisse unserer Familie gewiß auch dazu beigetragen; und nun zuletzt die Zurückweisung, die er in der Person unseres Vaters erfahren, den er – ich weiß es – in seinem innersten Herzen aufs tiefste verehrt – ach! ich will es ja nicht verteidigen, daß er da, leidenschaftlich und heftig, wie er ist, aus dem Hause stürzte – wir wußten ja nicht, keiner von uns, was er vorhatte! – und als Carlas Verlobter zurückkam; aber verdammen, ganz verdammen kann man ihn doch nicht.

Sie blickte mit gefalteten Händen so angstvoll in Reinholds Gesicht; ein bitteres Gefühl wollte sich in ihm regen. Wenn sie so lebhaft-beredt für die eigentümliche Lage sprach, in der sich ihr Bruder befunden hatte in dem Augenblicke der Entscheidung, war diese Lage nicht auch die ihre? würde sie in dem letzten Augenblicke nicht ebenso für sich sprechen? ebenso für sich entscheiden? oder war dies alles schon für sie gesprochen? hatte sie sich entschieden? sollte er ihre Entscheidung zwischen ihren Worten heraushören? Er sagte:

Ich entschließe mich schwer, jemand zu verdammen – in dem Menschenherzen sind so viele Tiefen, in die kein Senkblei hinabreicht – und so habe ich auch Ihren Bruder nie verdammt. Im Gegenteil! ich habe um seinetwillen, und – ich darf es nicht leugnen – um Ihretwillen –

Seine Stimme bebte, aber er raffte sich mit gewaltsamer Anstrengung auf und fuhr gelassener fort: – Alles getan, was ein Bruder in einem solchen Momente für den Bruder tun würde. Ich habe selbst die Freundschaft, die Liebe meines Onkels, der mir sehr teuer ist, aufs Spiel gesetzt und, ich fürchte, verloren. Daß es vergebens gewesen, daß ich geschehen lassen mußte, wovon ich voraussah, daß es für die zunächst Beteiligten ein tödlicher Schlag sein würde, der auf uns alle ohne Ausnahme mehr oder weniger zurückfiel – ich weiß nicht, ob ich Ihnen zu sagen brauche, wie schwer ich daran getragen habe und – trage.

Sie brauchen es nicht, sagte Else. – Und hier – nehmen Sie den Dank der Schwester für den des Bruders! Sie glauben vielleicht doch nicht, wie dankbar ich Ihnen bin und wie mich Ihre Worte erquicken. Seit heute morgen habe ich in all dem Kummer, der über uns hereingebrochen, mich immer gefragt, wie Sie, Sie dabei empfänden; habe ich mich gesehnt, diese Worte von Ihnen zu hören. Nun, da ich sie gehört, ist mir so viel leichter ums Herz; nun wird – zwischen uns wenigstens – alles wieder werden, wie es war.

Das glauben Sie, glauben Sie wirklich? fragte Reinhold.

Von ihren Lippen schwand das reizende Lächeln; sie zog ihre Hand, die sie ihm vorhin gegeben und die er festgehalten, leise zurück, das Blut schoß ihr wieder in die Wangen, die dann noch bleicher wurden, als zuvor.

Sollte ich mich geirrt haben? stammelte Else.

Ich denke nicht, sagte Reinhold, weil ich – verzeihen Sie mir – nicht denken kann, daß Sie in diesem Moment ganz aufrichtig gewesen sind. Und – Sie haben es ja selbst ausgesprochen – was hat das Verderben über Ihren Bruder, über meine Cousine gebracht, als daß sie nicht aufrichtig waren – weder gegen sich selbst, noch einer gegen den andern, noch gegen ihre Freunde – daß sie nicht den Mut ihrer Überzeugung, daß sie nicht den rechten Mut der Liebe hatten? Nun wohl! ich für mein Teil will und darf diesen Vorwurf nicht auf meine Seele laden; ich will mein Gewissen frei haben, wie schwer auch mein Herz bleiben mag. Darf ich sprechen, wie es mir ums Herz ist? und wollen Sie mir antworten, wie es Ihnen das Herz gebietet?

Sie saß da, bleich, regungslos – nur die Hand, die sie ihm vorhin gegeben und die jetzt auf ihrem Schoß lag, zitterte. Ich will es, sagte sie mit tonloser Stimme.

Nun denn, sagte Reinhold: – ich bin gekommen, von Ihrem Herrn Vater Abschied zu nehmen! bevor ich von Ihnen Abschied nahm, ihm aus dem Grunde meines Herzens zu danken für die Güte, durch die er mich beglückt, für das Vertrauen, dessen er mich gewürdigt. Vielleicht, so dachte ich, würde er dann, da ich ja nun in Ihrer Nähe bleibe, mein Beruf mich auch wohl öfter hierher führt, gesagt haben, daß er wünsche und hoffe, mich wiederzusehen. Und ich würde ihm haben erwidern müssen, daß ich, als ehrlicher Mann, von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch machen könne – es wäre denn unter einer Bedingung. Und – würde ich gesagt haben – diese Bedingung Herr General, ist unmöglich. Ich habe bei jener unglückseligen Veranlassung und in den wiederholten vertraulichen Gesprächen, mit denen Sie mich vorher und nachher beehrt, vollauf Gelegenheit gehabt, mich in Ihr Denken und Empfinden einzuleben; Sie haben es sogar nicht verschmäht, mich in die Verhältnisse einzuweihen, die in Ihrer Familie obwalten, und so bin ich überzeugt, daß Sie nie aus freiem Herzen meine Bewerbung um die Hand Ihrer Tochter verstatten werden, die – ich liebe.

Else antwortete nicht, sie regte sich nicht, nur ihr Busen hob und senkte sich ungestüm.

Die ich geliebt habe, fuhr Reinhold mit vor Erregung zitternder Stimme fort – ich darf sagen: vom ersten Moment, da ich sie erblickt; an die ich seitdem gedacht habe zu jeder Stunde des Tages und wenn ich in der Nacht erwacht bin; deren Bild vor meiner Seele gestanden – hellen, stetigen Glanzes, unverrückbar, wie der Nordstern, und daß ich überzeugt bin, wie von meinem Leben, wie diese Liebe nur mit meinem Leben schwinden kann. – So würde ich zu Ihrem Vater gesprochen haben.

Und dann, sagte Else leise, dann wären Sie zu mir gekommen?

Ja, sagte Reinhold, dann wäre ich zu Ihnen gekommen.

Ein liebliches Rot lag auf ihren Wangen; ihre Augen, die groß und fest auf ihm ruhten, glänzten durch Tränen, wie ihre Stimme jetzt vor Lust aufjauchzen zu wollen schien und wieder in Rührung erzitterte.

Und ich hätte Ihnen gesagt, daß ich in der Gewißheit, von Ihnen geliebt zu sein, namenlos glücklich bin; und daß ich Sie liebe von ganzem, ganzem Herzen und lieben werde immerdar!

Sie hielten sich umschlungen; er küßte ihr Haar und Stirn und Lippen; sie lehnte schluchzend den Kopf an seine Schulter.

O mein Gott, mein Gott, wie ist dies möglich? heute morgen – noch, als ich dort zur Tür hereinkam – hier, hier! sieh! ich wollte es dir geben, – mein Kleinod! wollte mich von ihm trennen, wollte verzichten auf alles Glück! – Und nun, und nun! nicht wahr, nun darf ich es behalten und meinen Herrn suchen wie die Nadel den Pol! – ich hab's ja von ihr gelernt!

Sie küßte den Kompaß und ließ ihn zurück in die Tasche gleiten und schlang wieder ihre Arme um Reinhold und sagte:

Und nun, Geliebter, da du weißt, daß ich dir treu sein werde im Wachen und im Traum, und dein Weib sein will und dir folgen werde bis ans Ende der Welt, wann immer du mich rufst – jetzt rufst du mich nicht und läßt mich hier bei meinem Vater, dessen Trost und Stütze ich in dieser Trübsal bin, bei meiner Tante Valerie, die sich an mich klammert in ihrer Herzensangst. Ach, da ist so viel des Leides, das ich zum Teil nur ahne und das darum doch nicht weniger vorhanden ist und von dem ich weiß: es wird hereinbrechen, sobald ich den Rücken wende. Es kommt auch so vielleicht, und ich kann es nicht hemmen; aber ich habe dann meine Pflicht getan – weißt du, würde Mieting sagen.

Das alte herzige Lächeln glänzte in den braunen Augen, die zu ihm aufleuchteten: Wir müssen nur Geduld haben und klug sein und uns sehr, sehr lieb haben – da muß sich ja alles finden; nicht wahr, Geliebter?

Wer sich von dir geliebt weiß, flüsterte Reinhold, der fürchtet auf der Welt nur eines: deine Liebe nicht zu verdienen!


 << zurück weiter >>