Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Es war an einem Abend im Sommer. Die Sonne war bereits hinter dem Walde untergegangen, aber die Schwüle nach einem glühend heißen Tage lag noch brütend in der Luft. Auf der Dorfgasse in dem Staub, der unter den eilfertigen nackten Füßen aufwirbelte, spielten und balgten sich schreiende Jungen; vor den Thoren der Hütten, auf den zermürbten, eingesunkenen Bretterzäunen der Gärtchen saßen und hockten alte Männer und Weiber mit den kleinen Kindern in den Armen, auf dem Schoße; aus den beiden Schenken kamen die Brummtöne des Basses, das Quinquilieren der Geigen und wüster Lärm und Gejohle.

Albinka sah das alles, hörte das alles, aber nur auf Momente; dann kam wieder eine Blutwelle und sie hörte nur noch das dumpfe Klopfen ihres Herzens und starrte aus dem offenen Fenster, an dem sie saß, in das Gärtchen, ohne etwas zu sehen, ohne etwas zu denken, als das eine, daß sie ihn endlich einmal haben wolle, haben müsse; daß die Gelegenheit so günstig sei, wie möglich, und daß, wenn sie die Gelegenheit nicht benutzte, sie nicht die kluge unwiderstehliche Albinka, sondern eine dumme Gans sei, die nichts Besseres verdiene als einen alten, schon halb kindischen Mann, der ihr lächerlich und verächtlich war. Der alte Mann war in die Stadt gegangen, sich wieder einmal eines der dummen Bücher zu kaufen, für die er das Geld aus dem Fenster warf; Marthe, die Verhaßte, war bei einer kranken Freundin – beide würden vor Nacht nicht wieder kommen. Christoph und Boleslaw konnten noch lange auf der Gasse spielen; es war niemand im Hause, nur sie und er. Sollte sie hinaufgehen? Unter welchem Vorwande? Unter irgend einem. Und was bedurfte es eines Vorwandes? War sie nicht die schöne Albinka? und hatte ihren besten Sonntagsstaat an, in dem sie hatte zu Tanz gehen wollen, bei welchem ein Dutzend Liebhaber sie erwarteten? Und nun doch nicht gegangen war – um seinethalben! Seinethalben, der es ihr angethan hatte mit seinen großen blauen Augen, seinen frischen Lippen, die so freundlich lächelten, und den Händen, welchen die Arbeit ihre Feinheit nicht hatte rauben können. Was waren neben ihm die anderen Männer – Grzegorz Sosniza, Boleslaw Dupzeck und wie sie hießen, von denen sie jeden haben konnte, jeden – und nur diesen einen nicht! Und war's auch nur für einmal! einmal sollte er ihr gehört haben.

Sie war von dem niedrigen Sitz am Fenster aufgesprungen und hatte ein paar Schritte nach der Thür hin gemacht; da hörte sie seinen Schritt oben, dann die Treppe herab. Das Herz schlug ihr bis in die Kehle. Ging er aus dem Haus, so war alles verloren.

Aber da hörte sie, wie er durch den Flur an die Thür kam, in der Dunkelheit, die da schon herrschte, nach der Klinke tastete; und jetzt stand er in der geöffneten Thür, verwundert über die Gestalt mitten im Zimmer, die er nicht sofort erkannte. Dann hatte er sie erkannt und trat herein, die Thür offen lassend.

Wie denn? sagte er; Sie noch hier?

Sie antwortete nicht, konnte nicht antworten.

Ich wollte mir ein paar Zündhölzchen holen, fuhr er fort; ich habe keine mehr.

Und er wollte nach einer Ecke gehen, wo er auf einem Tisch neben der Blechlampe das Kästchen zu finden hoffte, blieb aber stehen, erstaunt darüber, daß die sonst so Redselige kein Wort sprach und sich noch immer nicht regte. Unwillkürlich trat er an sie heran.

Was ist Ihnen? fragte er.

Wieder kam keine Antwort; er hörte nur, daß ihr Atem schwer ging.

Mein Gott! sagte er, sind Sie krank?

Ja! sagte sie.

Es war röchelnd, unartikuliert herausgekommen: er hatte es eben nur verstehen können. Er griff nach ihrer Hand, die mit kaltem Schweiß bedeckt war.

Mein Gott, rief er erschrocken, was ist das? was fehlt Ihnen?

Nichts, nichts! murmelte sie. Du, nur Du!

Mit einem unheimlichen Laut, der halb ein Schluchzen und halb ein Stöhnen war, hatte sie die Arme um seinen Hals geschlungen und ihr glühendes Gesicht gegen das seine gepreßt. Mit einem Ruck hatte er sich von ihr losgemacht.

Sie sind toll, Albinka! rief er heftig.

Er hatte längst gefürchtet, daß es einmal so kommen werde, daß die Unbefangenheit, die er zur Schau getragen, ihn nicht davor bewahren würde; ja, er hatte zuletzt den Augenblick herbeigewünscht in der Überzeugung, daß um der Frau, um Marthes, um seiner selbst willen eine Entscheidung stattfinden müsse. Dennoch bebte er an allen Gliedern; es hatte ihn eben trotz aller Vorbereitung doch unvorbereitet getroffen. Und eines hatte er ganz aus der Rechnung gelassen: das Mitleid mit der Frau, die sonst der Übermut selber war und jetzt wimmernd und stöhnend zu seinen Füßen lag, seine Knie umklammernd.

Stehen Sie auf! sagte er in milderem Tone. Wenn jemand Sie so sähe!

Mir ist alles eins! schluchzte die Frau.

Er hatte sie mit Mühe aufgerichtet; sie zitterte am ganzen Leibe und schwankte so, daß er fürchten mußte, sie werde zusammenstürzen. Wäre sie betrunken gewesen, wie schon oft, es hätte ihn nur geekelt; er wußte, daß sie nicht betrunken, daß die Leidenschaft, die sie durchwühlte, echt war. Er faßte die Bebende um den Leib und führte, schleppte sie halb nach dem kleinen harten Sofa an der Längswand des Zimmers, wo er sie niedersetzte. Dabei war er an den runden Tisch vor dem Sofa gestoßen, hatte das Gleichgewicht verloren und war auf dem Rande des Sofas neben ihr zu sitzen gekommen. Er wollte sich alsbald wieder erheben; es war unmöglich, sie hatte ihn plötzlich mit beiden Armen umklammert, die er vergeblich zu lösen versuchte und dabei seltsamerweise verspürte, wie ihm in jedem Momente mit der Kraft sich loszumachen auch der Wille schwand, während sie erst mit zitternden Lippen seinen Mund suchte, um dann Kuß auf Kuß darauf zu drücken – immer längere, heißere, glühendere; und ihr üppiger Busen an seiner Brust klopfte, und aus dem Gärtchen durch das offene Fenster der Duft der Levkojen in süßen schwülen Wolken in das dunkle Zimmerchen hereinwogte, daß er nicht mehr wußte, war es Blumenduft, war es der Atem des schönen Weibes?

Arme Albinka, murmelte er, es kann ja nicht sein.

Und es soll sein, es muß sein – einmal, einmal! hauchte sie zurück.

Im nächsten Moment war er, das Weib von sich schleudernd, den schweren Tisch mit solcher Gewalt zurückstoßend, daß er krachend umfiel, aufgesprungen, in Entsetzen über den Anblick einer dunklen weiblichen Gestalt, die auf der Schwelle in der offenen Thür stand, vielleicht schon länger da gestanden hatte. Es konnte nur Marthe sein. Vor ihren Augen, vor den Augen der Reinen, Braven, Guten, der er dies hatte ersparen wollen, ersparen zu können so sicher gehofft hatte! Scham und Wut erfüllten seine Seele; er schleuderte Albinka, die dem Fliehenden nachgestürzt war und ihn wieder umklammern wollte, mit einem wilden Wort von sich, und jetzt hatte auch sie die dunkle Gestalt in der Thür gesehen. Ein Schrei, der nichts Menschliches mehr hatte, brach aus ihrer Kehle. In dem Augenblick, wo sie ihrer süßen Beute ganz sicher zu sein glaubte, war sie ihr entrissen von ihr, die sie haßte, verachtete; war sie verschmäht, gedemütigt worden vor der Dirne, die zweifellos ihre Nebenbuhlerin war!

Und wieder stieß sie einen Schrei aus, und Justus meinte, sie sei abermals wie vorhin zusammengesunken, aber sie hatte sich nur gebückt nach etwas, das mit anderen Dingen, die auf dem Tisch gelegen hatten, zu Boden gefallen war; und, wieder emporschnellend, stürzte sie auf Marthe zu, in der hocherhobenen Rechten das Messer, dessen Klinge Justus in dem Schein des Lichtes, das aus einer gegenüberliegenden Hütte in das Zimmer streifte, blinken sah. Mit einem Satze war er neben ihr und hatte ihren Arm gepackt; sie rangen miteinander; er hielt sie mit der Rechten, mit der Linken versuchend, ihr das Messer zu entwinden, wobei ihm Marthe im Wege war, die sich zwischen sie geworfen hatte und sie auseinander zu reißen suchte. Jetzt hatte er das Messer und mußte es sofort wieder fallen lassen vor einem scharfen Schmerz, der durch seine Hand zuckte, die plötzlich wie gelähmt und von einer warmen Flüssigkeit überrieselt war. Nun summte, sauste und brauste es vor seinen Ohren; das Licht von drüben aus der Hütte tanzte hin und her und erlosch plötzlich in finsterer Nacht.

Als er wieder erwachte, brannte wiederum Licht, aber in der Hand von Marthe, die dem alten Doktor Malthus leuchtete, der eben mit dem Verband zu stande gekommen war und sich in die Höhe richtete. Er blickte verwundert auf den Doktor, auf Marthe, die das Licht auf das Tischchen hinter ihm gestellt hatte, ohne zu wissen, wie er hierher in sein Zimmer, in sein Bett gekommen war, bis ein wilder Schmerz, der wieder durch seine Hand fuhr, mit einem Schlage alles, was da unten geschehen war, ihm in die Erinnerung zurückrief.

Doktor Malthus, der mit Marthe leise gesprochen, hatte sich wieder zu ihm gewandt und ihm die Hand auf die Stirn gelegt.

Na, sagte er, da wären wir ja mal wieder beisammen. Ich denke, wir werden mit einer Woche, oder so davon kommen, wenn wir uns hübsch ruhig halten und hier unserer braven Marthe folgsam sind. Ich bin morgen früh wieder hier, und Marthe –

Er war zu Marthe getreten und sagte ihr etwas leise. Dann mußte er das Zimmer verlassen haben, ohne daß Justus es bemerkt. Als er die Augen abermals aufschlug, saß Marthe an seinem Bett.

Weiß er es? fragte Justus.

Nein, erwiderte Marthe; er ist noch immer nicht zu Haus. Er soll es nicht erfahren. Laß mich nur machen! Sie –

Sitzt unten und heult. Der Herr Doktor wird sie jetzt wohl zu Bett schicken. Er hält reinen Mund, weißt Du.

Wie kam es, daß er gerade –

Das kam so. Ich sage Dir das alles morgen.

Was ist es mit meiner Hand?

Morgen, Justus! Jetzt darfst Du kein Wort mehr sprechen.

Er konnte es auch nicht; der Blutverlust aus der zerschnittenen Hand war zu stark gewesen.


 << zurück weiter >>