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Siebentes Kapitel.

Eine hatte die Hoffnung nie geteilt; eine hatte alles nur geschehen lassen, weil sie es nicht hindern konnte: Marthe. Wäre es nach ihr gegangen, nie hätte er einen Schritt über die Schwelle der Fabrik gesetzt, nie hätte er die Giebelstube in ihrem Hause bezogen. Da er sich für beides nicht zu schämen schien, so that sie es für ihn. Für das heiße Streben heraus aus dem Wust der Gemeinheit, die sie umgab, war ihr bereits seit Jahren Justus' Existenz symbolisch erschienen. Eines simpeln Försters Sohn und also nicht gar so hoch über dem Stande, aus dem sie selbst stammte, sprach er doch eine andere Sprache, hatte andere Manieren, einen anderen Blick, Ton der Stimme, wie sämtliche Knaben sonst, die sie kannte. Mit ihm an einem Sonntagnachmittag spielen zu dürfen, hatte ihr immer als die höchste Ehre gegolten, die ihr widerfahren könne; glückselig war sie nach Hause gekommen, und die Freude der Woche war die Hoffnung auf den nächsten Sonntag gewesen. Sie hatte keine Ahnung davon gehabt, daß sie den alle Zeit freundlichen Knaben liebte, der so herrliche Geschichten so anmutig erzählte; sie hatte nur gewußt, daß sie Isabel haßte, nicht, weil die so viel schöner war, als sie, sondern weil das hoffärtige Ding Justus' Huldigungen entgegennahm, als ob sich das von selbst verstände, und ihm für all seine Liebe nicht den kleinsten Dank bot. An diesem Hassesgefühl gegen die Undankbare war ihr nach und nach klar geworden, daß sie Justus lieber hatte als alle anderen Menschen, ihren Vater selbst nicht ausgenommen, und daß sie, wenn es sein müßte, mit Freuden für ihn gestorben wäre.

So hatte es mit ihr gestanden, als Justus die Einladung auf das Schloß bekam. Sie hatte ihm in ihrer kurzen Weise gesagt: gehe nicht hin! Er war doch gegangen, und sie hatte sich an dem Abend in den Wald geschlichen an eine einsame Stelle und hatte geweint, wie sie in ihrem Leben nicht geweint, daß sie gemeint hatte, das Herz werde ihr, brechen. Darüber war sie selbst erschrocken gewesen; sie weinte sonst nicht leicht, und worüber weinte sie denn? Als ein verständiges Mädchen mußte sie sich doch sagen, daß es ein großes Glück für Justus war, wenn er auf das Schloß kam, vorausgesetzt, daß er es da aushielt, woran sie zweifelte; aber das war schließlich seine Sache. Und als sie ihm sagte: gehe nicht hin! nun ja, sie hatte ihn der Isabel nicht gegönnt. Das war's! Nicht, daß sie ihn für sich hätte haben wollen! Daran dachte sie nicht; aber Isabel sollte ihn auch nicht haben, die ihn mir unglücklich machen würde, ihn schon so oft unglücklich gemacht hatte. Daran war nun nichts zu ändern; er war weg und würde nicht wiederkommen. Arme, häßliche Mädchen, wie sie, haben eben kein Glück.

So war sie heimgekehrt, und niemand, auch der Vater nicht, hatte ihr angemerkt, daß ihr etwas Besonderes begegnet war und sie einen tiefen Schmerz weiter so tapfer niederkämpfte.

Dann war er doch wiedergekommen, ihr halb zur Freude und halb zum Leide. Zur Freude, denn die andere hatte ihn nicht mehr, und sie durfte ihn pflegen; zum Leide, denn was sollte nun aus ihm werden?

Ein Arbeiter in der Fabrik und ihr Hausgenosse! Sie wußte nicht, was schlimmer war. Sie, die mit allen Kräften aus dem Elend, das sie umgab, herausstrebte, sollte ruhig zusehen, wie er, dem sie das glänzendste Los auf Erden wünschte und für den ihr das Höchste erreichbar schien, sich freiwillig in dasselbe Elend stürzte! Sie zürnte ihm, daß er einen Entschluß hatte fassen können, der ihr thöricht und feig zugleich dünkte; sie zürnte ihrem Vater, der ihn in diesem Entschluß mindestens bestärkt hatte. Zum erstenmal in ihrem Leben hatte sie jetzt darüber nachgedacht, wie es mit den Lehren des Vaters, die sie bis dahin gläubig aufgenommen, denn eigentlich bestellt sei, und zu ihrem Erstaunen gefunden, daß es damit nicht gut stehe. Helfen, wo Hilfe not that: sie hatte nichts dagegen, sie hatte es selbst ihr Leben lang geübt, es lag ihr im Fleisch und Blut; aber helfen, wo es nicht not that, wo die Menschen sich selber helfen könnten, helfen müßten, durch die unnötige Hilfe, die man ihnen leistet, nur fauler und schlechter werden – das war Unsinn. Und was der Vater da sagte von dem gleichen Anspruch aller auf Arbeit und gleichen Anspruch auf Lohn, die Arbeit mochte sein, wie sie wolle, das schien ihr doch, indem es die Klugen und die Dummen, die Faulen und die Fleißigen in einen Topf warf, auf denselben Unsinn hinauszulaufen. Justus nicht mehr und nichts Besseres als der stiernackige Stanik Stolarzeck mit den runden, halb blödsinnigen Augen, der sie durchaus zur Frau haben wollte, oder der Julik Pjerek, der ihr immer, wenn er ihr begegnete, so frech zunickte und dabei seine weißen Wolfszähne zeigte – wenn das kein Unsinn war, so gab es keinen. Nein, wenn Justus behauptete, er habe nicht auf das Schloß gehört – in die Fabrik gehörte er noch viel weniger, und sie segnete im voraus den letzten Tag, den er da zubrachte.

Und auch den letzten in ihrem Hause.

Sein Aufenthalt im Hause war ihr zur Pein geworden. Anfangs hatte sie gemeint, sie würde sich daran gewöhnen; aber es ging nicht; es wurde nur immer schlimmer. Sie spähte ihm auf Stirn und Augen, ob sie den Widerwillen, den Ekel nicht entdecken möchte über all das Häßliche, das er im Hause zu sehen bekam, oder wie er sich insgeheim über so viel Unschickliches, das er in den Kauf nehmen mußte, lustig machte. Sie konnte nichts entdecken: er schien nichts zu sehen, alles ruhig in den Kauf zu nehmen. Sie war überzeugt, daß seine Ruhe nur ein Spiel war, und daß er log, wenn er wieder und wieder versicherte, wie wohl er sich in ihrem Hause fühle und daß er sich nichts Besseres wünsche.

Und sie hätte alles ertragen: die Armseligkeit der Wirtschaft, die Unsauberkeit, die in dem kleinen Hause nicht immer zu vermeiden war, die Roheiten von Christoph und Boleslaw, die mit jedem Monat wilder und unbändiger wurden, die Bequemlichkeit, die sich der Vater in seinem Hause erlauben zu dürfen glaubte, selbst daß sie sich nur zu oft in einem Anzuge vor ihm sehen lassen mußte, dessen sie sich in den Grund der Seele hinein schämte – alles und nur das eine nicht.

Sie hatte es jetzt vor einem Vierteljahr bemerkt, als ihre Stiefmutter von einer Taufe, die sie im Dorfe mitgemacht, berauscht nach Hause gekommen war, und Justus, der ihr auf dem Flur begegnete, um den Hals fiel und abküßte und kein Ende finden konnte. Daß Albinka, die im Dorf, wo es an schönen Mädchen nicht mangelte, als die schönste gegolten hatte und jetzt mit ihren kaum dreißig Jahren noch immer als ein schönes Weib gelten konnte, sich gegen die Männer sehr frei betrug – das wußte sie, und es war ihr immer ein Ärgernis gewesen, und sie hatte sich stets gewundert, daß der Vater es duldete. Doch war es schließlich seine Sache, und wenn Albinka es auch oft toll genug trieb. Marthe hatte nicht das Gefühl gehabt, daß sie es eigentlich bös meinte, sondern nur in ihrem trunkenen Übermut die Grenze nicht finden konnte.

Diesmal war es anders gewesen, etwas Besonderes, wie ihr Weinen im Walde, als Justus in das Schloß zog, eine Offenbarung, die wie eine Fackel in ihre bis dahin dunkle Seelengründe hinabgeleuchtet hatte, nur daß es diesmal nicht ihre eigene Seele, sondern die einer anderen war, und was sie da entdeckte, ihr abscheulich, ja unerträglich dünkte. Und das sie nun doch ertragen mußte, jetzt bereits monatelang ertragen hatte. Was sollte sie thun? Den Vater warnen? Sie konnte es nicht übers Herz bringen. Es würde auch nichts gefruchtet haben bei ihm, der aller Welt vertraute und sein junges schönes Weib mit allen ihren Untugenden anbetete bis zur Verblendung. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß seine Augen, die doch sonst scharf genug waren, von allem nichts sahen: die gierigen Blicke, mit denen sie Justus verschlingen zu wollen schien? die Geflissenheit, mit der sie sich an ihn drängte, in seinen Arm hing, jede Gelegenheit benutzte, die ihr die Möglichkeit gewährte, ihn nur zu berühren? den Wechsel der Farbe auf ihren vollen Wangen, wenn er kam und ging? sich auf seinem Zimmerchen zu schaffen machte, wo es nichts für sie zu thun gab? es so einzurichten wußte, daß er ihr auf der schmalen Treppe begegnen mußte, auf der sich zwei Menschen nur eben aneinander vorüber drängen konnten?

Und Justus? war er so unschuldig, daß er, der doch der Gegenstand dieser aufdringlichen Leidenschaft war, von allem nichts merkte? Sie betete zu Gott, daß es so sein möge, und getröstete sich, daß Gott ihr Gebet erhört habe. Und dann kamen Stunden, Tage, wo ihr Glauben schwankte, ja ganz dahin war, und eine wütende Eifersucht ihr Herz zerfleischte, im Vergleich zu der ihr jene, welche sie gegen Isabel empfunden, die reine Kinderei erschien. Hier war eben niemand mehr ein Kind: nicht die Versucherin, nicht sie selbst und ganz gewiß auch nicht Justus, – jetzt ein junger Mann von neunzehn Jahren, der fast um einen Kopf gewachsen war, dem die Arbeit die Glieder mächtig gestählt hatte, und dem bereits ein dunkles Bärtchen die Oberlippe zu schmücken begann. Freilich, sie hatte nie gesehen, nie gehört, daß er mit einem der Weiber, oder Mädchen in der Fabrik schön gethan hätte; er begleitete die Stiefmutter nie auf den Tanzboden, auf den sie fast allsonntäglich ging, so sehr sie ihn auch darum quälte. Wenn aber alles nur Verstellung und Heuchelei war? er nur den Ahnungslosen, Tugendhaften spielte, sie und den Vater sicher zu machen, und sich heimlich mit seiner Buhle über die beiden hinters Licht Geführten ins Fäustchen lachte?

Der Verdacht erschien ihr sündhaft, schamlos, ein Verbrechen, und doch konnte sie sich seiner nicht erwehren. Sie legte sich auf die Lauer; sie grübelte darüber, wie sie den beiden eine Falle stellen könne, in der sie sich fangen müßten, und war außer sich, daß es ihr nicht gelingen wollte. Sie fühlte sich dem Wahnsinn nahe, ja, sie fragte sich manchmal, ob sie nicht schon wahnsinnig sei. Dann meinte sie, sie müsse, ohne von ihm Abschied zu nehmen, fortlaufen in die weite Welt, oder besser: in den kleinen See hinter dem Dorfe, oder in der Fabrik sich zwischen die Räder der Maschine werfen, oder den stiernackigen Stanik heiraten, – irgend etwas thun, das sie von dieser unerträglichen Qual erlöste.


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