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Viertes Capitel.

Die Plötzlichkeit von Aennchen's Erscheinen hatte die beiden, aus einer so seltsamen Unterredung aufgeschreckten Männer für ein paar Momente völlig der Fassung beraubt. Kaum daß Lebrecht, den Doctor vorstellend, etwas von seinem »ältesten und besten Freunde« murmeln konnte und der Doctor: »Gott zum Gruß, schöne Frau! willkommen in Woldom!« in seinen unverständlichsten Kehllauten gurgelte. Dazu machte er dann eine beängstigend gravitätische Verbeugung, um, nachdem er die lange hagere Gestalt wieder aufgerichtet, von seiner Höhe durch die funkelnden Brillengläser auf Aennchen herabzustarren, während diese mit ein paar freundlich-leisen Worten seinen Gruß erwiederte und auf einem der Lehnstuhle Platz nahm, die Lebrecht in verlegener Hast an den Kamin gerückt, auch den Freund auffordernd, sich zu ihnen zu setzen. Der Doctor aber brummte etwas Unverständliches durch die Zähne und fing an, mit langen Schritten auf- und abzugehen, wie es seine Gewohnheit war, wenn ihm in seiner Praxis ein unvorhergesehenes oder unvorhersehbares Moment begegnete, über das er, unbekümmert um den Patienten und sonstige Anwesende, erst einmal mit sich in's Reine kommen wollte.

Dies hatte er nicht vorhergesehen, nicht vorhersehen können!

Er hatte sich, nach Lebrecht's kärglichen Schilderungen, Aennchen als ein kleines, niedliches, immer bewegliches, zu Scherz und Lachen und allerlei Schelmerei und Neckerei stets bereites, von luftigen Bändern umflattertes Persönchen vorgestellt – ein wenig oder auch ein wenig sehr coquett und – Alles in Allem – fürchterlich verwöhnt und verzogen, aber doch trotz oder gerade wegen dieser Eigenschaften die rechte Frau für seinen etwas allzu ernsten, hin und wieder bis zur Melancholie trübsinnigen und bis zur Pedanterie steifstelligen Freund. Und dies luftige Figürchen hatte er immer wieder vor seines Geistes Auge gesehen während der ganzen sonderbaren Unterredung, die er eben mit dem Freund gehabt, und das hatte ihn eben so außer sich gebracht. Der Liebling seiner Seele, sein Idol, ja sein Ideal – wie viel er auch an ihm zu mäkeln und zu schelten fand – der schöne, stolze Mann, der König von Woldom – in einer Situation von einer so greulichen Lächerlichkeit, daß, wenn er anstatt dessen den Hans Fliederbusch wirklich todt geschlagen und gekocht und aufgegessen hätte, es ihm – dem Doctor Adalbert Bertram – als der verzeihlichere Fall erschienen sein würde, und Alles das – um das luftige Figürchen! das kleine Persönchen, das ohne Zweifel dem blonden Recken kaum bis an's Herz reichte! das der Recke wie eine Puppe auf den Arm nehmen konnte, um mit: Eiapopaia, was raschelt im Stroh? ihr das lächerliche Geheimniß lachend in die kleinen Puppenohren zu singen! Wollte die Puppe bös werden? stille, Püppchen, stille! du bekommst sonst heute Abend dein Stück Zucker nicht! Und das Püppchen ist still und – es raschelt nicht mehr im Stroh!

Da wendet er sich – und vor ihm steht eine junge Dame, in Allem und Jedem der vollkommene Gegensatz von dem Bilde seiner voreiligen Phantasie: eine elastische Gestalt, die den Kopf nur um ein weniges zu heben braucht, dem Recken Lebrecht die Lippen zu berühren. Und welcher Kopf! keck und zierlich wie der der Diana von Versailles, mit herrlichen, göttlich-klaren Contouren – das blauschwarze, leichtgekräuselte Haar die breite und doch zarte Stirn überwölbend, hinten in dem schlanken Nacken zu einem griechischen Knoten mit kühner Grazie zusammengebunden – ein bei aller Zartheit plastisches, edelblasses Gesicht – unter sanft geschweiften schmalen Brauen große, schwarze, leuchtende Augen – ein kleiner Mund mit weichen und doch energischen Lippen, daß man zweifelhaft ist, ob sie besser küssen oder befehlen können – an der hohen geschmeidigen Figur Alles beisammen wie aus einem Guß, und jede Pose, jede leichteste Handbewegung die einer liebenswürdigen Königin – der Ton der Stimme selbst weich und dunkel, wie das Gewand, das die Göttliche umfließt – dem Doctor war, als sei ihm eine himmlische Offenbarung geworden.

Eine himmlische – furchtbare Offenbarung!

Er hatte auf einmal Alles begriffen, was ihm noch vor wenigen Minuten ein krauser Rebus gewesen war, der möglicherweise eine sehr tiefsinnige, aller Wahrscheinlichkeit nach aber eine überaus abgeschmackte Erklärung hat. Das wunderliche Problem war gelöst – zur Beschämung und zugleich tiefsten Beunruhigung des Rathers. Lebrecht's ursprünglicher Gedanke, der ihm eine Feigheit und Absurdität zugleich gedäucht hatte, erschien ihm plötzlich als geniale Kühnheit; Lebrecht's Zaudern, die Entdeckung herbeizuführen, mindestens völlig begreiflich; seine augenblickliche Lage nicht im Geringsten mehr lächerlich, vielmehr im allerhöchsten Grade bedenklich, ja fast verzweifelt; ein Geradedraufgehen, wie er es eben noch als selbstverständlich hingestellt und empfohlen, nur dem allerkühnsten Muthe möglich und trotzdem hinsichtlich des Erfolges zweifelhaft; eine vorbereitende Cur sehr indicirt, vielleicht nothwendig, um so mehr, als hier von jener unterwürfigen, leicht einzuschüchternden, schließlich Alles verzeihenden Liebe nicht die Rede sein konnte. Wer so schön war, hatte fraglos das Geliebtwerden so bequem gehabt; weshalb sich die Mühe des Wiederliebens auferlegen? Blickte ein junges liebendes Weib so? sprach ein junges liebendes Weib so – so fein und gemessen, verständig und kühl – an dem ersten Abend in dem Hause ihres geliebten Gatten, bei der ersten Zusammenkunft mit dem besten Freunde ihres Gatten? Denn daß sie, wie er bei ihrem Eintreten gefürchtet, etwas von ihrem Gespräche gehört, und wär's auch nur so viel, um sie stutzig, verlegen zu machen – davon war er längst zurückgekommen. Keine Spur von Verlegenheit! Die Miene einer Prinzessin, die mit dem Empfange, mit den getroffenen Einrichtungen nicht ganz zufrieden, aber viel zu vornehm ist, um sich das merken zu lassen! Vielleicht paßte es der Gnädigen nicht, daß er hier war – noch hier war, nachdem sie lange genug mit ihrem, Kommen gezögert und ihm Zeit gelassen hatte, sich zu drücken! – Hier aus diesem Zimmer? – wissen Sie, Madame, daß ich – der Doctor Adalbert Bertram – ein Anrecht an diesem Zimmer habe, das Sie sich erst erwerben sollen? Wissen Sie, daß Ihr Gatte, der Ihnen jetzt so schweigsam und verstimmt am Kamin Gesellschaft leistet, und ich, der Doctor Adalbert Bertram, dort – an jenem lieben alten massiven Tisch von solidem Eichenholz – Jahre und Jahre, Abend für Abend zusammengesessen haben bis tief in die Nacht hinein, trinkend, plaudernd, rauchend, unsere Gedanken und unsere Herzen austauschend, auch wenn wir schwiegen, auch wenn wir uns nicht in tollen Scherzen überboten oder die confuse Welt in langen, von Weisheit überfließenden Reden in die gebührende Ordnung brachten? Und jetzt kommen Sie und machen den muthigsten Mann zum Feigling? hetzen die treuesten Freunde an einander? sitzen da, wie ein schönes Gespenst, daß ich, der Doctor Adalbert Bertram, der sich vor dem Teufel nicht fürchtet, auf diesem meinem wohlerworbenen Grund und Boden, auf diesem dicken verruchten Teppich, der blos Ihrethalben gelegt ist, kaum noch aufzutreten und mir nicht mal mehr ein Glas Wein einzuschenken wage, trotzdem mir von dem vielen Sprechen und der nervösen Aufregung, die ich im ganzen Leibe fühle, die Zunge am Gaumen klebt? Nun, bei Gott, mich sollen Sie nicht in Ihre Netze verstricken, schöne Teufelin! und den armen Schlucker da auch nicht, oder sollen ihn wieder losgeben, so wahr ich Doctor Adalbert Bertram heiße! –

Und der Doctor trat an den Tisch, füllte sich sein Glas bis zum Rande, leerte es auf einen Zug, und – setzte seine Wanderung fort, seinen Nerven fluchend, die heute ganz rebellisch waren; heimlich mit Lebrecht zankend, dessen Feigheit unzweifelhaft contagiös war; die Schönheit der jungen Frau verwünschend, in welcher er jetzt schon nicht mehr die Gelegenheitsursache, sondern den eigentlichen Grund und die Wurzel des Uebels sah.

Der lange hagere Mann, der, so vieles Verfängliche und Bedenkliche in seiner Seele wälzend, kaum Zeit fand, dann und wann ein abgerissenes, kaum verständliches, noch dazu in seltsam höhnischem Tone gesprochenes Wort in die dürftige Unterhaltung zu werfen, würde wohl auf Jeden, der ihn zum ersten Male sah, einen befremdenden, ja unheimlichen Eindruck gemacht haben, – dem armen, von trübsten Ahnungen, schrecklichen Befürchtungen ohnehin verdüsterten und verstörten Aennchen erschien er entsetzlich, obgleich sie alle Kraft zusammennahm, um ihre wirklichen Empfindungen zu verbergen. Dies war viel schlimmer, als sie gefürchtet! und sie hatte sich vor dem Doctor gefürchtet und ihn oft genug schon, halb im Ernste und halb im Scherz, den Mephisto und bösen Genius ihres geliebten Lebrecht genannt! Las er, der nach Lebrecht's Aussage den Leuten die geheimsten Gedanken aus der Seele spähe, jetzt auch in ihrer Seele, während er, wo er auch ging und stand, die in dem Feuer des Kamins wie Kohlen glitzernden Brillengläser auf sie gerichtet hielt? Freute er sich ihrer Angst, die immer greifbarere Form annahm und wuchs und wuchs, wenn ihr scheuer Blick jetzt über Lebrecht schweifte, von dessen schönem Gesicht die gelassene Heiterkeit, welche sie einst so bezaubert, für immer und immer geschwunden schien? War der Mann, der da so schweigsam in die Kohlen schaute mit den düstern, eingesunkenen Augen – war es denn wirklich ihr stolzer, kühner, großherziger, angebeteter Lebrecht?

Aber freilich zweifelte Lebrecht an sich selbst; ja, er war der Verzweiflung nahe. Bertram hätte wahrlich vorhin nicht so viele Worte zu machen und nicht so pathetisch zu werden brauchen, um ihm zu beweisen, daß er eine Dummheit und eine Feigheit begangen; daß er, wenn er kein hirn- und herzloser Wicht sei, wenigstens jetzt sprechen müsse; daß jeder Moment, den er verfließen ließ, seine scheußliche Lage verschlimmere. Ja, ja, ja! er war entschlossen zu sprechen; er wiederholte sich wieder und wieder die Worte, die er sagen wollte, und hoffte dann, diese Worte würden plötzlich von selbst laut werden, und erschrak vor dem Schrecken, den er empfinden mußte, wenn sie es würden. In Bertram's Gegenwart! es war unmöglich! er wollte es thun in dem Moment, da Bertram zur Thür hinaus wäre. Warum ging er nicht? was hatte er hier mit den langen Beinen zwischen Mann und Frau, die sich die wichtigsten Dinge mitzutheilen hatten, herumzulaufen und durch seine diabolischen Gesten und Blicke ihn heimlich aufzufordern, seine Pflicht zu thun? Er würde schon seine Pflicht thun, aber nicht unter Bertram's Brillengläsern. Und dann dachte er, wie er sich auf den Augenblick gefreut, in welchem er den alten Freund und seine Frau – die beiden liebsten Wesen, die er auf Erden hatte – mit einander bekannt machen wollte; und daß dieses dumpfe, verlegene, qualvolle Beisammensein eben jener heißersehnte Augenblick war!

Du hast heute Abend keine Patienten mehr zu besuchen, Adalbert? fragte er.

Der Doctor blieb stehen, blickte über die Brillengläser auf den Freund herab mit einem höhnischen Lächeln, als wollte er sagen: Du hast ja doch den Muth nicht, mon cher! und setzte seine Promenade schweigend fort.

Ich hatte gehofft, der Herr Doctor werde mit uns zur Nacht essen, sagte Aennchen.

Bertram verbeugte sich, indem er dabei ein wenig mit den schmalen Schultern zuckte, so daß es ebenso wohl heißen konnte: ich danke! oder: ich bedaure sehr, gnädige Frau!

Es wird freilich noch ein wenig lange dauern, fuhr Aennchen zögernd fort; Frau Uelzen hat erklärt, daß sie unser Abendbrot nicht vor zehn Uhr, zu welcher Stunde sie uns erwartet hatte, fertig haben könne; jetzt ist es –

In fünf Minuten dreiviertel neun, sagte der Doctor, erst flüchtig auf die Uhr und dann sehr starr auf Lebrecht blickend; – dabei fällt mir ein, daß ich, wenn Sie mich wirklich hier behalten wollen, gnädige Frau, allerdings auf kurze Zeit um Entschuldigung bitten muß; auf kürzeste Zeit, Lebrecht!

Also doch Ihre Patienten? sagte Aennchen.

Gott bewahre! erwiederte der Doctor, ganz gesunde Jungen; die jungen Herren aus den Comtoirs und – so weiter. Sie wollten sich um dreiviertel auf neun bei Mutter Ihlefeldt – unserm grand restaurant, gnädige Frau, – zusammenfinden, um bis zur angesetzten Stunde ein Octett, das sie sich eingeübt, – Text von mir, gnädige Frau! – noch einmal zu probiren und sich mit einem Seidel oder zwei die von Ehrfurcht und Erwartung etwas rauhen Kehlen extra zu schmeidigen. Sie weichen nicht von der Stelle, bis ich sie zu holen komme, und ich möchte, als ein mitleidiger Mann, der ich bin, sie doch nicht die ganze Nacht sitzen lassen. Also in fünf oder zehn Minuten!

Der Doctor trat an den Seitentisch, auf welchen er beim Hereintreten Hut und Stock gelegt. Lebrecht, der ihn eben noch so heiß fortgewünscht, rieselte es kalt durch die Adern. Wenn Bertram ging, so war der Moment da – es mußte gesagt werden, was ihm die Brust beklemmte und die Kehle zusammenschnürte. Konnte der Kelch nicht noch eine Zeit lang ungetrunken bleiben? eine kleine Frist, ein paar armselige Stunden nur, die ihm blieben, wenn Bertram blieb!

Weshalb wolltest Du Dich bemühen, sagte er, das kann Nebelow ebenso gut besorgen.

Besorgen wohl, aber nicht so gut, sagte der Doctor, die Hand nach dem Hut ausstreckend.

Die armen jungen Herren! sagte Aennchen, sie haben sich gewiß darauf gefreut! es ist recht häßlich, daß wir sie um die Freude betrogen haben und – uns.

Wenn es Ihnen Freude macht, gnädige Frau, sagte der Doctor rasch, – die kommen – jeden Augenblick.

Lebrecht zitterte. Offenbar traute ihm Bertram noch immer nicht, und dies war nichts als eine Finte, jene Situation, welche unzweifelhaft die Entdeckung brachte, und die er deshalb mit so großer Sorgfalt umgangen, trotzdem herbeizuführen; ihn also indirect zu einer Erklärung zu zwingen, die selbstverständlich, bevor die jungen Leute kamen, geschehen sein mußte. Er wollte sich nicht zwingen lassen, nicht zum Spielball in der Hand Bertram's werden.

Verzeihe, lieber Freund, sagte er, wenn ich Einspruch erhebe und Nebelow hinschicke, um definitiv absagen zu lassen. Es ist mir peinlich genug, den jungen Leuten den Scherz verdorben zu haben; aber ich sehe nicht, wie die Sache auf diese Weise besser würde. So etwas hat nur Sinn und ist nur erfreulich, wenn es im rechten Augenblick geschieht.

Lebrecht war aufgestanden und hatte den Knopf der elektrischen Klingel an der Thür berührt, Bertram, der schon an der Thür stand, mit einem Druck seiner starken Hand zurückschiebend.

Also Du willst nicht, sagte der Doctor leise; und dann laut, aber zu Aennchen gewandt: Im rechten Augenblick! das ist freilich die Hauptsache: wehe denen, die den rechten Augenblick versäumen!

Aber er ist nun einmal versäumt! rief Lebrecht, sich mit verdrossener Miene wieder in seinen Stuhl werfend.

Man kann jeden Augenblick zum rechten machen; ja, er wird es nur dadurch, daß man ihn ergreift, sagte der Doctor mit einem höhnischen Grinsen; – freilich, zum rechten Augenblick gehört der rechte Mann.

Vielleicht bin ich nicht der rechte Mann.

In diesem Augenblicke wenigstens nicht.

In keinem in Deinen Augen! sprich es nur aus! ich bin ja dergleichen echt freundschaftliche Beurtheilungen aus Deinem Munde von Alters her gewohnt!

Dann sollten sie Dich wenigstens nicht mehr so überraschen, wie es leider den Anschein hat, sagte der Doctor; – ich habe die Ehre, gnädige Frau –

Bleiben Sie! rief Aennchen.

Sie war aufgesprungen und hatte ein paar rasche Schritte nach dem Doctor gemacht. – Sie dürfen mir dies Leid nicht anthun! Es ist das erste Mal, daß ich Sie mit meinem Lebrecht zusammensehe, und Sie wollten sich im Hader von ihm trennen? Soll ich annehmen, daß ich die Veranlassung eines Streites zwischen zwei so alten Freunden bin? ich –

Eine fieberhafte Röthe bedeckte ihre Wangen. Sie strich sich über Stirn und Augen und fuhr in ruhigerem Ton und mit einem Lächeln auf den Lippen, zu welchem die ängstlich starren Augen nicht recht stimmen wollten, fort:

Nein, nein! lieber Herr Doctor, jetzt müssen Sie bleiben! Lebrecht hat ja auch wirklich Recht; einen reinen Klang giebt es heute Abend nicht mehr. Und dann –

Sie hatte sich nach dem Tisch gewendet und glättete die Decke, welche der Doctor bei seinem Hin- und Herlaufen verschoben.

Und dann: ich käme wirklich in Verlegenheit durch einen so zahlreichen Besuch, den ich nicht unbewirthet fortlassen dürfte. Frau Uelzen würde wohl ihre Schuldigkeit thun, und an Wein fehlt es gewiß nicht; aber gänzlich, oder so gut wie gänzlich, an Silbergeschirr. So – so sagte wenigstens Frau Uelzen, und daß mein sonst so vorsichtiger Lebrecht –

Sie stand noch immer am Tisch, den beiden Männern den Rücken zuwendend. Der Doctor hatte sich während ihrer letzten Worte Lebrecht gegenübergestellt und funkelte durch seine Brillengläser auf ihn herab, der die stumme Aufforderung mit einem trotzigen Lächeln beantwortete und mit einer Ruhe, die den Doctor empörte, Aennchen in die Rede fallend, sagte:

Den Schlüssel zu dem Schranke verloren hat – das ist ganz richtig; und ebenso, daß es viele Umstände machen würde, den Schrank zu öffnen. Ich habe aber nicht die geringste Lust, mir heute Abend diese Umstände noch zu machen. Aennchen weiß das, und – nun genug davon! Nicht wahr, Aennchen?

Gewiß, gewiß! sagte Aennchen; ganz wie Du willst.

Gewiß! ganz wie er will! rief der Doctor. Vielherrschaft ist mißlich! Einer soll Herr sein! – ein vortreffliches Wort! ein lustiges Wort! O, über den alten Schalk von Homer! über den ironischen Schalk!

Der Doctor schien völlig vergessen zu haben, daß er vorhin hatte gehen wollen, ebenso wie Lebrecht, daß er nach dem Diener geklingelt. Man saß wieder um den Kamin wie vorhin, nur daß Niemand ein Wort sprach und Keiner die lange Pause zu bemerken schien, die auf Alle wie eine schwere Last drückte.

Eine unerträgliche Last für das arme Aennchen. Ihr war, als sei eine Ewigkeit vergangen, seitdem sie, ihren ganzen Muth zusammenraffend, durch jene Thür eingetreten, und doch konnte, kaum eine halbe Stunde verflossen sein. Wie sollte sie das ertragen? Aus dem Herzen quoll es heiß herauf: Lebrecht! lieber Lebrecht! sag' es mir! jetzt, jetzt! demüthig oder zornig – es ist ja ganz gleich – aber Alles, Alles, Alles! – Und immer wieder kroch der Schrei, der schon auf den Lippen lag, zu dem dumpf klopfenden Herzen zurück. Hier! hier war es gewesen! innerhalb dieser ellendicken Wände, die jeden zornigsten Ruf, jeden lautesten Schrei ersticken zu müssen schienen, und doch für die Lauscherin an der Thür nicht erstickt hatten! Durch jene zweite Thür war er geflohen, der Zornige ihn verfolgend – durch den Salon – durch die Zimmer alle, die prächtigen, von Gold und Seide strahlenden, glänzenden Zimmer, die sie vorhin im Halbdunkel und eben jetzt in blendendem Kerzen- und Lampenlicht durchschritten – bis zu dem Schlafgemach, bis an das Fenster –

Ein langgezogener heulender Ton, wie aus einer ungeheuren verstimmten Trompete, schreckte sie jäh aus ihren fürchterlichen Phantasieen auf.

Großer Gott, was ist das?

Ein alter Bekannter von uns, sagte der Doctor; der Kapellmeister Nordost. Er tutet immer zuerst in das schmale Rathhausgäßchen, um zu probiren, ob er noch in der rechten Stimmung ist; dann fällt das ganze Orchester ein. Da geht es schon los. Ist das nicht eine prächtige Musik, gnädige Frau? und kostet weiter nichts.

Als höchstens ein paar Fensterscheiben oder Schiffe, sagte Lebrecht, eine gewaltsame Anstrengung machend, um in die Unterhaltung hineinzukommen.

A propos, alte Bekannte, fuhr der Doctor fort, Lebrecht so wenig beachtend, als ob er mit Aennchen allein am Kamin säße; wissen Sie, gnädige Frau, daß Sie einen alten Bekannten hier vorfinden werden? ich glaube das wenigstens aus gewissen Andeutungen des Mannes schließen zu dürfen und aus dem ganz ungewöhnlichen Interesse, welches er an Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl zu nehmen scheint.

Einen Bekannten? und noch dazu einen alten? und hier in Woldom? wie ist das möglich?

Der Doctor war nicht ganz sicher, daß die schöne junge Frau wußte, was sie sagte; ihre großen dunklen Augen blickten so starr, als wären ihre Gedanken ganz wo anders; aber er sprach auch nicht für sie, sondern für Lebrecht, obgleich er sich fortwährend den Anschein gab, denselben nicht zu bemerken.

Wie das möglich ist? Sie müssen sich dafür bei dem großen Säemann, Staat genannt, bedanken, der die unschätzbaren Körner seiner hochaufgespeicherten Intelligenz in Gestalt seiner Beamten ausstreut über alle Lande, auch über unsern öden Dünensand, auf dem allerdings für gewöhnlich so kostbare Pflanzen nicht gedeihen.

Sie machen mich neugierig, sagte Aennchen mit demselben starren verlorenen Blick.

Gewiß nicht so, wie der Mann – ich weiß nicht, ob von Natur oder aus Beruf – ist. Lorenz Sterne – nebenbei einer meiner Heiligen, gnädige Frau – würde ihn zu den most inquisitive travellers gerechnet haben, im Besitz eines Rundreisebillets durch alle Familienheimlichkeiten und Geheimnisse zehn Meilen im Umkreis mit sechs Wochen Gültigkeit. Länger dauert nämlich das Commissorium nicht, das er hier, als interimistischer Polizeidirector, hat; dann geht's recta via nach Berlin in's Ministerium, wo allerdings ein größerer Spielraum für solche Köpfe ist. Inzwischen hat er, wie gesagt, auch hier nicht gefeiert: er weiß Alles; ich wette, er weiß, daß wir hier zusammensitzen und von wem wir sprechen.

Wenn wir nur erst wüßten, von wem Du sprichst, sagte Lebrecht.

Denn für Sie Beide schwärmt er, fuhr der Doctor, immer zu Aennchen gewandt, fort; er nennt es den größten Kummer seines Lebens, daß er Cöln verlassen mußte, acht Tage vor Ihrer Hochzeit, und so verhindert war, das Fest durch seine Gegenwart und durch seine Poesie zu verherrlichen, in welcher letzteren er, nach seinen Andeutungen zu schließen, Goethe und Schiller über ist.

Also einer von Deinen vielen Anbetern, Aennchen, sagte Lebrecht.

Der Doctor ärgerte sich über den höhnischen Ton, in welchem Lebrecht seine Bemerkung hingeworfen, die Aennchen tief verletzt zu haben schien. Sie hatte sich plötzlich in ihrem Stuhl aufgerichtet, sank dann aber wieder zurück, ebenso schnell, wie das glühende Roth auf ihren Wangen gekommen und verschwunden war.

Ohne Zweifel, sagte er, es ist das Privilegium der Sonne, von Vielen angebetet zu werden: von Gerechten und Ungerechten, von Giganten und – Pygmäen.

Natürlich der kleine bucklige Assessor, sagte Lebrecht, – Frank oder wie der widerwärtige Kerl hieß.

Von Frank – Oskar von Frank, sagte der Doctor; sonst stimmt es bis auf die Widerwärtigkeit, die ja Geschmackssache ist. Finden Sie ihn auch so widerwärtig, gnädige Frau?

Er ist Jahre lang in meinem elterlichen Hause aus- und eingegangen, sagte Aennchen.

Er rühmt sich dessen, sagte der Doctor; und um so tiefer sein Bedauern, die süße Gewohnheit in Ihrem Hause hier nur noch so kurze Zeit fortsetzen zu können.

Ich denke, er wird sie gar nicht fortsetzen, sagte Lebrecht; – ich hasse den Menschen.

Sollte das vielleicht auf Gegenseitigkeit beruhen?

Der Doctor hatte den ironischen Ton, in welchem er bis jetzt gesprochen, plötzlich fallen lassen und sich wieder zu Lebrecht gewendet.

In allem Ernst, mon cher, ich glaube, daß es der Fall ist; und daß die ganz ungemeine Rührigkeit, welche der betreffende Herr vom ersten Augenblicke seines Hierseins in einer gewissen Angelegenheit entwickelt hat, – wir sprachen eben über diese Angelegenheit, gnädige Frau, als Sie kamen – Lebrecht wird sie Ihnen wohl gelegentlich mittheilen – keineswegs, wie der Herr allerdings vorgiebt, ihre Quelle in freundschaftlicher Theilnahme und humaner Hilfsbereitschaft hat, sondern im Gegentheil: aus der sehr unlauteren eines tief und doch nicht tief genug versteckten Grolles fließt. Auf mich wenigstens hat das Benehmen des Mannes diesen Eindruck gemacht; ich wollte Dir das schon vorhin sagen und Dich zur Vorsicht dem glatten Heuchler gegenüber ermahnen; sehe nun freilich zu meiner Beruhigung, daß es unnöthig gewesen wäre. – Was ist Ihnen, gnädige Frau?

Der eifrige Doctor hatte ebenso wenig wie Lebrecht, – dem bei dieser brüsken Erwähnung der fatalen Geschichte das Blut in den Ohren sauste – bemerkt, daß Aennchen, todbleich, einer Ohnmacht nahe, die Hand auf das Herz pressend, dagesessen; und die beiden Männer wurden daher gleicherweise durch ihr krampfhaftes Schluchzen erschreckt.

Sie sprangen von ihren Sitzen, aber auch Aennchen hatte sich bereits erhoben, lächelnd und die Bestürzten durch eine Handbewegung bittend, sich nicht zu ängstigen.

Verzeihung! sagte sie, es ist nichts, wirklich nichts – die Abspannung von der Reise höchstens – nein, Sie dürfen nicht fort, Doctor; im Gegentheil! Sie sehen ja, daß ich mich möglichst beeile, zu Ihren Patienten zu gehören. Nur daß dergleichen – Gott sei Dank – bei mir nicht lange währt, – eine Minute, ich versichere Sie! – gewiß, lieber Lebrecht, es ist bereits vorüber, ganz vorüber! Ich glaube gar, mir fehlt nichts als ein Bissen – wir sind nämlich eigentlich noch ganz nüchtern, lieber Doctor, – und Sie sind gewiß auch hungrig – ich werde einmal nach dem Essen sehen – Du brauchst nicht zu fürchten, Lebrecht, daß ich der Frau Uelzen – sie soll ihr Regiment unbestritten haben – heute Abend mindestens – Sie lachen, Doctor? – ich bin wirklich nicht streitsüchtig wie gewisse Leute.

Sie reichte dem Doctor eine Hand, die dieser, tief seine lange Gestalt beugend, an die Lippen drückte: Sie sind eine herrliche Frau, sagte er; ich muß Ihnen dies Bekenntniß machen, sollte mir auch der eifersüchtige Lebrecht dafür das Haus verbieten wie dem unglücklichen Polizeicommissarius.

Du schwatzest heute das Blaue vom Himmel, sagte Lebrecht gezwungen lachend, und dann in ärgerlichem Tone zu dem alten Diener, der eben eintrat:

Wo stecken Sie denn eigentlich? ich habe schon vor einer halben Stunde nach Ihnen geklingelt. Sie sollen – was haben Sie denn da?

Eben abgegeben, sagte Nebelow mit seiner hohlen Stimme, dem Herrn mit zitternder Hand eine Depesche hinhaltend.

Nun dann, her damit! rief Lebrecht ungeduldig.

Er war an den Tisch getreten und hatte unter die Empfangsbescheinigung seinen Namen gekritzelt. Hier! und hernach kommen Sie wieder, aber sofort! hören Sie?

Der Alte ist heute wieder einmal betrunken, sagte Lebrecht, die Depesche erbrechend; ich werde ihn doch wohl fortschicken müssen, so leid –

Was ist geschehen? rief Aennchen.

Sie hatte bemerkt, wie Lebrecht, nachdem er kaum einen Blick in das Blatt geworfen, sich verfärbte; Lebrecht antwortete nicht sofort.

Um Gotteswillen! rief Aennchen; sage es mir: Mama ist krank, oder Papa –

Ach was! krank! sie kommen – heute Abend.

Aennchen stieß einen Freudenschrei aus, das Blatt, welches Lebrecht hatte auf den Tisch fallen lassen, hastig ergreifend und den Inhalt laut lesend, als sollten die Ohren den in Thränen schwimmenden Augen zu Hilfe kommen:

»Mama vor Sehnsucht halb todt; hofften, Euch heute in Berlin zu treffen! kommen nun mit Schnellzug; bitte für Mama Equipage an Station, für mich Königsbowle bereit halten, übrigens selber brauen wollen. Bringen auch Lisette mit« – das ist mein Kammermädchen, Herr Doctor – »Dein alter Papa!« – O wie glücklich ich bin! o wie glücklich ich bin!

Sie küßte das Blatt wieder und wieder unter strömenden Thränen.

Glaub' ich Ihnen, gnädige Frau, glaub' ich Ihnen, sagte der Doctor mit Reminiscenz der Lieblingsgestalt seines Lieblingsdichters; und dann, in echtem Bräsig'schen Messingsch, Norddeutsche Mischsprache aus dem Niederdeutschen und der hochdeutschen Standardsprache; bekannt aus Fritz Reuters »Ut mine Stromtid« (1862), wo dieses »Missingsch« von Inspektor Bräsig gesprochen wird. leise zu Lebrecht, der, wie angewurzelt, mit gerunzelten Brauen an dem großen Tische stand: Daß Du die Nase im Gesicht behältst; wirst Du jetzt endlich mit der Sprache herauskommen?

Aennchen hatte die Worte nicht verstanden; aber, so leise und schnell der Doctor es gesagt, doch das Flüstern vernommen. Der schwarze Schleier von vorhin wollte wieder über ihre helle Freude sinken; sie riß ihn gewaltsam zurück.

Nun schnell! schnell! rief sie; Sie müssen Lebrecht entschuldigen! und mich – ich fahre auch mit. Nein, das geht ja nicht – es ist am Ende besser, wenn, wenn – was wollte ich doch sagen?

Der Doctor betrachtete mit theilnehmender Miene die junge Frau, die ihm jetzt doppelt schön erschien und die in ihrer freudigen Erregung offenbar kaum wußte, was sie sprach.

Sie wollten vielleicht sagen, ob es nicht besser wäre, wenn ich Ihre Eltern vom Bahnhof abholte?

Aennchen und Lebrecht blickten ihn zu gleicher Zeit an; Aennchen erstaunt, Lebrecht erschrocken.

Entgehen können sie mir nicht, fuhr der Doctor ruhig fort; der Nachtzug ist nie sehr besetzt, und so distinguirte Personen fände auch ein weniger geübtes Auge sofort. Lebrecht und Sie könnten dann in Gemeinschaft und voller Ruhe Ihre Vorbereitungen treffen.

Wie gut Sie sind! sagte Aennchen, dem Doctor abermals die Hand reichend.

Auf keinen Fall! rief Lebrecht.

Wie so auf keinen Fall? fragte der Doctor, über die Schulter gewandt.

Was würden die Eltern denken! unmöglich! und was hätte denn ich für Vorbereitungen zu treffen?

Sollen Deine Schwiegereltern mit Blechlöffeln essen? sagte der Doctor, Aennchen's Hand los lassend und so zwischen sie und Lebrecht tretend, daß die Erstere nichts von der halb höhnischen, halb drohenden Grimasse sah, die er dem Letzteren machte und welche dieser mit einer mehr trotzigen als verlegenen Miene beantwortete und mit den mürrischen Worten:

Es wird auch so gehen –

Sagte der Krug, bis er brach! stieß der Doctor heftig heraus. – Was meinen Sie, gnädige Frau?

Es wird gewiß gehen, sagte diese sehr sanft; man könnte ja im Nothfalle aus der Nachbarschaft –

Sehr anständig für den König von Woldom! brummte der Doctor.

Ich sage: nur im Nothfalle; aber, lieber Lebrecht, Papa und Du – Ihr habt so oft von der großen silbernen Bowle gesprochen – und daß Euer erster Trunk aus der Bowle sein sollte – und der Papa hat nun ausdrücklich darum gebeten – wenn es möglich wäre –

Hier hilft kein Widerstreben Verszeile aus der Arie »Reich mir die Hand, mein Leben« aus einer deutschen Übersetzung des Librettos von Lorenzo da Ponte zu Mozarts Oper »Don Giovanni«. – sang der Doctor in greulich falschen Tönen.

Lebrecht war zu Muthe, wie einem verbellten Hirsch sein mag, der kein Entrinnen mehr sieht und sich gerade deshalb zum Kampfe entschließt. Er wollte es denn doch darauf ankommen lassen, ob Bertram es wagen würde.

Von Widerstreben ist hier gar keine Rede, sagte er, sondern von einer einfachen Unmöglichkeit. Die Bowle ist natürlich auch in dem Schranke –

Der sich nebenbei in jener Wand befindet, gnädige Frau, sagte der Doctor, nach der Zimmerecke neben dem zweiten Fenster rechts deutend; schicke zu Peter Hinrich, er macht Dir jedes Schloß binnen fünf Minuten auf.

Nur dieses nicht – ich weiß es.

Auf Deutsch: Du willst Deinem Schwiegerpapa die kleine Freude nicht machen?

Wenn ich könnte –

Der Mensch kann, was er will –

Nun denn, so will ich nicht.

Das hättest Du doch gleich sagen sollen.

Was für ein Schlüssel war es? fragte Aennchen.

Mein Gott! ich habe es ja schon gesagt! rief Lebrecht: ein alter, großer, höchst wunderlich geformter Schlüssel aus dem sechszehnten oder gar fünfzehnten Jahrhundert, wie er jetzt gar nicht mehr vorkommt und vorkommen kann. Ich erinnere mich sogar, daß der alte Hinrich sich gelegentlich einmal vor Jahren stundenlang vergeblich an dem Schlosse abgequält hat.

Dann geh', sagte Aennchen; sonst finden die armen Eltern gar Niemand auf dem Bahnhof.

Es ist noch reichlich Zeit, sagte der Doctor; etwas über neun! eine volle Stunde – man fährt in zehn Minuten hin.

Und angespannt muß doch auch werden, sagte Lebrecht; wir brauchen überdies einen zweiten Wagen für das Gepäck – ich werde unseres gleich mitbringen, Aennchen. Hast Du sonst noch etwas?

Nein, ich danke Dir, sagte Aennchen.

Der Ton schnitt Lebrecht in's Herz. Sie ahnte ja nicht, weshalb er ihr eine so bescheidene Bitte abgeschlagen, und daß er nur das Eine wünschte: es wäre bereits Alles gesagt und er hätte ihr folglich die Bitte nicht abzuschlagen brauchen. Aber noch war es ja nicht zu spät – Bertram wollte fort – er selbst konnte dann unter irgend einem Vorwande bleiben oder zurückkommen, bevor er wegfuhr – so zwischen Thür und Angel sagte es sich vielleicht am besten.

Du gehst wohl mit, Bertram? Nebelow kommt nicht wieder, richtet die Bestellung auch vielleicht falsch aus – es giebt ein Mißverständniß –

Gewiß, sagte der Doctor; Alles, nur keine Mißverständnisse! Ich habe die Ehre, gnädige Frau –

Die beiden Männer bewegten sich nach der Thür.

Herr Doctor!

Bertram wandte sich: Sie befehlen –

Ich wollte Sie etwas fragen – über Mama, lieber Lebrecht; Damenangelegenheiten – nichts für Dich, lieber Lebrecht; – Mama's altes Uebel – ich weiß, sie wird noch heute Abend davon anfangen und es mir nie vergeben, unseren Freund auf eine so wichtige Sache nicht wenigstens vorbereitet zu haben. Möchten Sie wohl noch ein paar Minuten bleiben, Herr Doctor?

Lebrecht knirschte mit den Zähnen; es sollte also nicht sein!

Ich will nicht stören, sagte er; auf Wiedersehen denn!

Er war zur Thür hinaus.

Der Doctor hatte Hut und Stock in der Hand; er war wüthend auf Lebrecht und wüthend auf Aennchen, welche in der hergebrachten Frauenzimmermanier, ohne eine leiseste Ahnung dessen, was sie that, Augenblicke, von denen Tod und Leben abhingen, mit irgend einer Nichtigkeit verplaudern zu dürfen glaubte. Eben wollte er mit einem: es thut mir leid, Madame – ein ander Mal! Lebrecht nach, als die junge Frau, die wie lauschend dagestanden, auf ihn zustürzte und, die weißen Hände gegen ihn ausstreckend, in angstvollen Tönen rief: Gehen Sie nicht! gehen Sie nicht! ich muß Sie sprechen!

Ah! sagte der Doctor; Sie müssen mich sprechen! das ist etwas Anderes. Bitte, nehmen Sie wieder Platz, gnädige Frau; was ist es?



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