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Zweites Capitel.

Aennchen war erschrocken in die Höhe gefahren und hatte, so gut es gehen wollte, ihre Thränen zu verbergen gesucht. Es schien unmöglich, daß Frau Uelzen nichts bemerkt haben sollte, wenn diese auch keineswegs desgleichen that, sondern, ein kleines Marmortischchen heranrückend und den Kaffee servirend, die gnädige Frau um Entschuldigung bat, daß es so lange gedauert; und wenn sie die gnädige Frau nicht so geschickt bediente, wie es jedenfalls die Kammerzofe thun würde, die ja wohl der Herr Commerzienrath und die Frau Commerzienrath in acht Tagen mitbrächten.

Ich weiß nicht, ob meine Eltern den versprochenen Besuch so bald ausführen werden; sagte Aennchen.

Der Herr meinte doch, erwiederte Frau Uelzen, und ich denke auch, sie werden's schon. So liebe Eltern haben ja Sehnsucht nach ihrem Töchterchen, und das Töchterchen hat ja Sehnsucht nach den lieben Eltern. Das ist im Leben nie getrennt gewesen und soll's nun auf einmal sein; aber Scheiden und Meiden thut weh. Ich bin schon bei vielen gnädigen Herrschaften gewesen, die eben erst verheirathet waren und die sich lieb hatten wie die Turteltäubchen. Ei freilich! nur daß man von der Liebe allein, so zu sagen, nicht leben kann, sondern noch Manches dazu gehört, und bis sich das Alles gefunden hat, da vergehen Monate und manchmal Jahre, und manchmal findet es sich gar nicht.

Lebrecht hatte dafür gesorgt, daß Aennchen mit keiner allzu hohen Meinung von Frau Uelzen in das Haus kam. Er hatte sie eine Person genannt, die, in ihrer Art brauchbar genug, doch manche Schwächen habe, unter denen eine unbezähmbare Schwatzhaftigkeit in seinen Augen, oder vielmehr für seine Ohren, die schlimmste sei. Und die vorsichtige Mama hatte sie noch in den letzten Tagen wiederholt ermahnt, sich mit der einflußreichen Person, die bereits zehn Jahre das Hauswesen geleitet, wenigstens im Anfang gut zu stellen, bis sie selbst festen Boden unter den Füßen fühle.

Aber Aennchen dachte jetzt an nichts weniger als an diese Warnungen und Vorsichtsmaßregeln. Was die dicke alte Dame da, während sie die fleischigen Hände über dem Magen gefaltet hielt, behaglich langsam sagte – in jenem köstlichen Dialekt, den sie zuerst von Lebrecht gehört, und der sie deshalb so anmuthete – das war ja Alles so durchaus richtig! ihr so aus der beklommenen Seele gesprochen!

Findet es sich gar nicht! wiederholte sie.

Frau Uelzen hatte bereits gefürchtet, sie möchte denn doch wohl für den Anfang etwas zu weit gegangen sein. Nun, da ihre Worte in dem Herzen der jungen Frau offenbar eine so gute Stätte fanden, fuhr sie völlig beruhigt fort:

Ja wohl, gar nicht! obgleich man das niemals zugeben darf und immer zum Besten reden und so einer armen jungen Dame Muth einsprechen muß, wie ich das bei der jungen gnädigen Frau von Milzow auch stets gethan, wo ich schon vorher ein halbes Jahr lang dem jungen Herrn Baron die Wirtschaft allein geführt, der so ein guter Herr war, wenn er auch seine Eigenheiten hatte, wie wir Alle, und manchmal eine Flasche mehr trank, als ihm gut sein mochte. Na, gnädige Frau, wenn das ein Grund wäre für eine junge Frau, um unglücklich zu sein, so gäbe es nicht viele glückliche, wenigstens nicht bei uns zu Lande; und, was meine junge gnädige Frau von damals war, die war unglücklich, so recht aus dem Herzensgrunde, und blieb unglücklich, so viel ich auch reden mochte, bis wir sie eines Morgens in dem Teich hinten im Park fanden, aber da war sie schon ein paar Stunden todt.

Großer Gott! rief Aennchen, und man hat nie erfahren, weshalb sie sich das Leben nahm?

Nie so recht, erwiederte Frau Uelzen, den Kopf wiegend. Die Einen sagen, sie habe schon vorher einen Liebsten gehabt, einen Lieutenant, der in Böhmen geblieben ist, und den sie gar zu gern geheirathet hätte, blos daß die lieben Eltern es nicht wollten, und sie meinen gnädigen Herrn heirathen mußte; und der Andere – was der Lieutenant war – hat sich blos darum todt schießen lassen. Aber das sind denn so Redereien; mir hat sie nie was davon erzählt, und das hätte sie gewiß gethan, wenn etwas daran gewesen wäre, denn sie war sehr mit mir zufrieden und sagte immer: Wie Sie wollen, Frau Uelzen! oder: Machen Sie das ganz nach Ihrem Belieben, Frau Uelzen! Und was kann denn auch so eine junge Dame Besseres thun, als einer alten verständigen Person vertrauen, die das Hauswesen kennt und niemals nicht etwas für sich will, sondern immer nur für die gnädigen Herrschaften. Denn auf die Dienstboten ist ja doch kein Verlaß, besonders hier in Woldom, wo ihnen allen der Auswanderungsteufel im Kopfe steckt, weil mal die Eine oder die Andere ihr Glück in Amerika gemacht hat; und dann sagen die Leute: ich wäre daran schuld, wenn keine lange bei uns bliebe, aber die gnädige Frau werden sich ja bald überzeugen, daß ich nicht daran schuld bin.

Aennchen war, während sie in kleinen Zügen den vortrefflichen Kaffee trank, mit ihren Gedanken noch immer bei der unglücklichen jungen Frau, die sich ertränkt hatte. Niemand wußte warum; und hatte keine Ahnung, wie Frau Uelzen von diesem tragischen Gegenstande auf das Dienstbotencapitel gekommen war; sie wollte sich aber ihre Unachtsamkeit nicht merken lassen und sagte deshalb auf gut Glück: Weshalb sollten auch Sie daran schuld sein?

Nicht wahr? sagte Frau Uelzen eifrig. Weshalb sollte ich daran schuld sein? Ich kann doch nichts dafür, daß das Haus älter ist als der Schwedenwall vor dem Sundiner Thor? und daß sie sagen: wenn alle die Menschen noch lebten, die hier in diesem Hause geboren wären, müßten wir Anderen zur Stadt hinaus? Na, gnädige Frau, wenn sich nun so ein junges Ding, das hier in's Haus kommt, fürchtet und nach sechs Wochen wieder weg will – das ist doch am Ende ganz natürlich; denn der alte Nebelow, der schon bei dem Herrn Senator selig an die dreißig Jahre und bei dem jungen Herrn auch schon fünf Jahre gewesen ist: was der Alles gehört und gesehen haben will, gnädige Frau, das glaubt man nicht; und daß, wenn kein Mensch im Zimmer ist, es ganz deutlich athmet, als ob Eines dicht dabei im Bette schliefe – das ist nun sicher, und selbst die Dörthe muß es zugeben, was unsere neue Köchin ist, gnädige Frau, die wir erst seit sechs Wochen haben, und ich weiß noch nicht, ob viel daran ist, denn sie lacht den ganzen Tag; aber mit der alten ging es nicht mehr, die sprach zuletzt kaum noch von was Anderem und wäre ja wohl der gnädigen Frau gleich am ersten Abend damit unter die Augen getreten; und die beiden Hausmädchen sagten, dann sollte ich ihnen nur auch gleich ihren Schein geben, denn verschwinden könne kein Mensch und fliegen auch nicht, und das sagten sie in der ganzen Stadt; und just deshalb dürften sie's hier im Hause nicht, habe ich gesagt, gnädige Frau, und ihnen auch gleich ihren Schein gegeben. Denn wenn die neuen, die sich die gnädige Frau ja nun aussuchen kann, auch nicht anders sein werden, so hat die gnädige Frau doch wenigstens an den ersten paar Tagen Frieden vor dem dummen Gerede. Und das ist auch schon was werth; habe ich nicht Recht, gnädige Frau?

Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen, erwiederte Aennchen.

Ueber der Haushälterin dickes Gesicht glitt ein halb verlegenes, halb ärgerliches Lächeln.

Ach! die gnädige Frau weiß das nicht, wirklich nicht! Da bitte ich tausendmal um Verzeihung. Ich bin sicher nicht eine von denen, die den Mund nicht halten können; und wenn der Herr sagt: Frau Uelzen, sprechen Sie nicht davon, es soll eine Ueberraschung sein! so spreche ich nicht davon; und wenn er gesagt hätte: Frau Uelzen, sagen Sie nichts zu Ihrer gnädigen Frau von dem, was mir mit Herrn Fliederbusch arrivirt ist, so hätte ich nichts gesagt; darauf kann sich die gnädige Frau verlassen. Haben die gnädige Frau sonst noch etwas zu befehlen?

Frau Uelzen machte einen Knix und wollte sich, da nicht gleich eine Antwort kam, im Gefühl ihrer gekränkten Wirtschafterinnen-Ehre schweigend entfernen; blieb dann aber zweifelnd stehen. Die großen braunen Augen der jungen gnädigen Frau, die sich plötzlich aus ihrem Stuhl aufgerichtet hatte, blickten sie so fragend und zugleich, wie Frau Uelzen meinte, so erschrocken an.

Ja, gnädige Frau, wissen Sie denn wirklich nichts davon? fragte Frau Uelzen.

Ein kaum merkliches Schütteln des Kopfes war die Antwort. Frau Uelzen schlug in ernstlichem Erstaunen die Hände zusammen und rief:

Ja, lieber Gott, gnädige Frau, nun weiß ich aber wirklich nicht, ob ich weiter reden darf. Denn wenn Ihnen der Herr davon nichts gesagt hat – na, der Herr hat ja ein gutes Gewissen und kann es darauf ankommen lassen und ahnt auch gewiß nicht, was die Leute hier Alles darüber reden; denn sonst hätte er sicher der gnädigen Frau erzählt, wie es gekommen ist, weil es die gnädige Frau ja doch erfahren muß, bevor sie vierundzwanzig Stunden in Woldom älter geworden ist; und da ist es am Ende eben so gut, wenn die gnädige Frau es von mir hört, weil ich es gut mit den Herrschaften meine und doch wenigstens weiß, was ich weiß, und wie es angefangen hat; und die Anderen wissen rein gar nichts; und wenn sie jetzt sagen, daß ich auf den Herrn Fliederbusch eifersüchtig gewesen bin – aber von Herrn Fliederbusch wird doch wohl der Herr zu der gnädigen Frau gesprochen haben?

Ich erinnere mich nicht, sagte Aennchen mit tonloser Stimme.

Ist die Möglichkeit! rief Frau Uelzen.

Aennchen hatte sich wieder in den Stuhl gesetzt, eine Ruhe zur Schau tragend, welche die zitternden Kniee und das pochende Herz Lügen straften. Sie fühlte, trotz ihrer Verwirrung, lebhaft die Unschicklichkeit, sich von der alten schwatzhaften Person über Dinge und Personen unterrichten zu lassen, über die Lebrecht bisher geschwiegen. Aber wenn nun dieses Schweigen kein zufälliges gewesen? wenn er nur geschwiegen, um sie nicht zu beunruhigen? wenn seine eigene Unruhe, seine Verstimmung, sein düsteres Wesen, die ihr bereits so viel Sorge, so viel Angst verursacht, jetzt eine unerwartete Erklärung finden sollten? wenn sie heute Abend zu ihm sagen durfte: ich weiß es jetzt, Lebrecht! – Was, großer Gott, was? Es war gewiß etwas sehr, sehr Unangenehmes, etwas recht Widerwärtiges – das ging ja aus den bisherigen Reden der Alten zur Genüge hervor – aber im Vergleich zu dem schrecklichen Gedanken, mit dem sie sich diese ganze Zeit getragen, in welchem sie noch eben so trostlos gewesen war –

Wollen Sie sich nicht auch setzen? sagte Aennchen, nach einem Sessel deutend, der in der Nähe stand.

Frau Uelzen machte von der erhaltenen Erlaubniß nur zu gern Gebrauch. Eine so gute Gelegenheit, ihr Licht leuchten zu lassen vor einer jungen Frau, die eben erst den Fuß in's Haus gesetzt, war ihr in ihrer ganzen vieljährigen Haushälterinnen-Praxis noch nicht vorgekommen. Ihre kleine dicke Gestalt that sich ordentlich auseinander, als sie jetzt, auf dem Rand des Sessels Platz nehmend und die schwarzseidene Schürze mit den rothen Händen glatt streichend, ein selbstgefälliges Lächeln auf den breiten Lippen, sagte:

Sehen gnädige Frau nur nicht so ängstlich nach der Uhr! Wenn der Herr Doctor bei dem Herrn sind, das dauert immer lange; und heute wird's noch länger dauern, denn Nebelow, der vorhin eine Flasche Wein hineinbrachte – das ist nämlich immer das Erste, wenn der Herr Doctor kommt, womit ich aber nichts gemeint haben will, gnädige Frau, Gott bewahre! – der sagt, daß sie auch schon darüber sprechen. Und der Herr Doctor kommt ja so viel in der Stadt herum und hat immer rechten Antheil an Herrn Fliederbusch genommen, der schon lange keine Mutter mehr hatte, blos eine alte Tante, eine Schifferswittwe, wie denn auch ihr Bruder, der Vater von dem jungen Herrn Fliederbusch, Schiffs-Capitain gewesen ist und viele Jahre für uns gefahren hat, bis er – wie lange wird es her sein? richtig! im Frühjahr hatten wir das Feuer auf dem Schifferdamm, und im Herbst scheiterte die Anna-Maria, und die ganze Mannschaft ertrank und Herr Fliederbusch mit – der Vater, meine ich – und da kam ja auch wohl noch im Winter der Junge zu uns in's Haus; sechs Jahre ist es, und er war damals vierzehn und würde also jetzt zwanzig sein, wenn –

Ist er denn todt? rief Aennchen erschrocken.

Frau Uelzen warf einen kläglichen Blick nach der Zimmerdecke. Ja, gnädige Frau, das ist es ja eben, daß kein Mensch das weiß und worüber sie sich die Köpfe zerbrechen. Denn es kannte ihn alle Welt und Hans Fliederbusch hier und Hans Fliederbusch dort – er hieß nämlich Hans, gnädige Frau, und war ein richtiger Hans Dampf in allen Gassen, obgleich er im Geschäft soweit ganz tüchtig gewesen sein soll, sagen sie – jetzt wenigstens, wenn ich auch früher manchmal die Herren ganz anders über ihn habe sprechen hören, und daß sie sich wundern müßten, wie unser Herr ein so großes Vertrauen in einen so jungen windbeuteligen Menschen setzen könne. Na, gnädige Frau, das verstehe ich nicht, und ich habe es ihm immer gegönnt, wenn der Herr ihn viel öfter bei sich zu Tisch hatte als die Anderen und mit ihm im Sommer baden ging, während der Geschäftszeit, und im Winter Schlittschuh mit ihm lief oder hinten im Garten nach der Scheibe schoß; und hat ihn ja auch vor drei Jahren mit nach London genommen und im vorigen Jahre nach Paris, damit er die Welt kennen lerne, sagte der Herr, wenn auch Nebelow sagte: damit er da die Maulaffen feil habe, die er hier in Woldom nicht anbringen könne. Das ist gewiß recht despectirlich von Nebelow, gnädige Frau; aber die gnädige Frau muß wissen, wie die Leute sind, und es ist ja meine Pflicht, nach dieser Seite nichts zu verschweigen. Der Nebelow nämlich, gnädige Frau, der war richtig eifersüchtig auf den Herrn Fliederbusch und schimpfte noch am letzten Abend, als der Herr den nächsten Morgen zur Hochzeit reisen wollte, bei uns in der Küche, daß Herr Fliederbusch wieder dem Herrn die Koffer packen müsse, und er habe doch dem Herrn Senator selig dreißig Jahre lang Alles zu Dank gemacht. Der Herr Fliederbusch packte aber hier in dieser selben Stube, gnädige Frau, in der ja der Herr schon immer geschlafen hat, wenn es auch damals nicht so prächtig aussah wie jetzt; und während der Zeit war der Herr Doctor bei dem Herrn in des Herrn Stube, wo sie in diesem Augenblick sind, Wein getrunken. Und dann ging der Herr Doctor fort, und Nebelow leuchtete ihm hinunter und kam nicht wieder herauf, weil er unten schläft. Ich hatte die Mädchen auch zu Bett geschickt, weil sie am nächsten Morgen früh wieder auf mußten und es nichts mehr für sie zu thun gab und für mich eigentlich auch nichts, blos daß der Nebelow die Flaschen und Gläser nicht weggeräumt hatte, und ich wußte nicht, ob ich hineingehen sollte, weil der Herr es gar nicht liebt, wenn man ungerufen kommt. Und darüber mochte ich denn wohl so ein bischen eingenickt sein und war sehr verwundert, als ich aufwachte, daß die Uhr schon zwölf schlug, und ich meinte, ich wäre davon aufgewacht, denn es schlug noch, als ich schon wachte.

Na, gnädige Frau, ich bin eine alte verständige Person und fürchte mich so leicht nicht; aber, wenn man Schlag zwölf aufwacht, und man denkt, es ist Alles längst zu Bett, und es ist todtenstill in dem ganzen Hause, und plötzlich fängt es an zu rumoren und zu schallen grad' wie in einer Kirche, wissen die gnädige Frau, so dumpf und schauerlich, daß man nicht weiß: kommt es vom Gewölbe herunter oder von unten herauf? Großer Gott, denke ich, was kann das sein? denn daß der Herr noch auf sein sollte und der Herr Fliederbusch – nein, wahrhaftig, gnädige Frau, das fiel mir zuerst gar nicht ein, und es ist ja auch eine Ewigkeit von dem Herrn seinem Zimmer, und ich war mittlerweile schon ganz hinten in dem Gang von der Küche hinter den Fremdenzimmern vorbei, wo ich schlafe; und das wird ja wohl immer lauter, und ich fasse mir ein Herz und kehre wieder um, und richtig: es kommt aus dem Herrn seinem Zimmer, erst des Herrn Stimme und dann Herrn Fliederbusch seine und dann beide zugleich, wie wenn sich Zwei mordsmäßig miteinander streiten. Na, gnädige Frau, das war ja denn nun sehr merkwürdig, weil ich noch nie ein böses Wort von dem Herrn gegen Herrn Fliederbusch gehört hatte, und daß der Herr Fliederbusch so gegen den Herrn aufzumucken wagen durfte – das hätte ich nimmermehr für möglich gehalten. Und aus schierer Verwunderung, gnädige Frau – denn ich weiß, was sich für einen Dienstboten schickt, gnädige Frau, und eine Haushälterin soll den Dienstboten mit gutem Beispiele vorangehen, und der Horcher an der Wand hört seine eigne Schand' – aber zu horchen brauchte man auch gar nicht, und Kabelmann – was unser Rathsdiener ist, gnädige Frau – der ist gerade durch das Gäßchen gegangen und will es auch gehört haben, obgleich gar kein Fenster nach dem Gäßchen heraus ist, und die Wände sind ja ellendick. Na, das mag nun sein, wenn er's beschwören will; aber die Worte, gnädige Frau, die kann er nicht beschwören, sage ich, denn ich stand dicht an der Thür und habe auch nichts gehört, was ich beschwören könnte, als einmal, wie der Herr schrie: Du giebst ihn mir wieder! und Herr Fliederbusch dagegen: Nein! ich gebe ihn nicht! Und dann war es, gnädige Frau, als wenn sie sich – Gott verzeih' mir die Sünde! – an der Kehle hätten, und dabei mochten sie an den Tisch gestoßen haben, der auch hernach umgefallen war mit allen Gläsern und Flaschen, die darauf standen; und dann kam ein lauter Schrei, ich denke ja wohl, der Herr hat ihn todtgeschlagen, denn es war Herr Fliederbusch, der so geschrieen hatte; und ich will zur Thür hinein, aber die ist verschlossen, und ich – hast du nicht gesehen – über den Flur nach dem Eßsaal, aus dem ja auch eine Thür nach des Herrn Zimmer geht, und die ist auch verschlossen. Nun aber wurde mir doch so himmelangst, gnädige Frau, daß ich es gar nicht beschreiben kann, denn nebenan war Alles mäuschenstill und blieb still, und so mag ich wohl ein paar Minuten gestanden haben – immer mit dem Lichte in der Hand, gnädige Frau, und ich wundere mich noch heute, daß ich es nicht vor Schreck habe fallen lassen – und dann ging ich wieder auf den Flur, und – Gott sei Dank! – da kam denn wenigstens der Herr; aber hier aus dem Schlafzimmer, gnädige Frau, und hatte auch ein Licht in der Hand und lief so eilig, als wenn's hinter ihm brennte, nach der Treppe, und ich hinter ihm her, denn er hatte mich gar nicht gesehen, so daß er schon auf dem ersten Absatz war, als ich noch oben stand, und wäre gewiß ganz hinuntergelaufen, blos daß ihm das Licht ausging und er nun erst merkte, daß ich da war, und hinaufrief: Kommen Sie schnell, Frau Uelzen, kommen Sie schnell! Na, ich kam denn, so schnell ich konnte, und er steckte sein Licht wieder an meinem an und war so weiß wie eine Wand, und die Hand flog ihm, daß sein Leuchter immer gegen meinen schlug und er mit dem Anstecken erst gar nicht zu Stande kommen konnte und ich wohl dreimal fragen mußte: Was hat's denn nur gegeben? bis er herausbrachte: Herr Fliederbusch – er sagte aber nicht: Herr Fliederbusch, sondern: der Hans – hat sich aus dem Fenster in der Schlafstube gestürzt und liegt unten im Garten. – Todt? sage ich. – Ich weiß es nicht, sagt der Herr; ich habe nach ihm gerufen – ich bekomme keine Antwort. – Was hat es denn gegeben, Herr? frage ich noch einmal. – Wir haben einen Streit gehabt, sagte der Herr, es thut mir sehr leid – sehr – wenn ich das hätte ahnen können. – Dabei zitterten seine Lippen, gnädige Frau, und die Augen stierten ihm aus dem Kopfe, und er schwankte hin und her, daß ich dachte, er fällt um; aber dann richtete er sich ganz gerade auf und sagte: Das hilft nun nicht, Frau Uelzen. Bleiben Sie hier und wecken sie Nebelow, ich will selber nach ihm sehen. – Aber das Licht geht Ihnen draußen wieder aus, Herr, sage ich. – Da ist der Christian, sagt der Herr; ich will seine Laterne nehmen.

Wir waren nämlich mittlerweile nach unten gekommen, an dem Fenster vorüber, das nach dem Hof geht. Auf dem Hof aber sahen wir den Christian – das ist unser Kutscher, gnädige Frau, und er hatte die Chaise schon herausgeschoben, mit der der Herr am nächsten Morgen nach der Bahn fahren wollte, und weil er gehört hatte, daß es zu regnen anfing, war er wieder aufgestanden und war dabei, eine Plane über die Chaise zu decken, – er ist ein großer Däskopf, gnädige Frau, und man kann die Wände mit ihm einrennen; aber, was seine Pferde und seine Wagen betrifft – Alles was recht und billig ist, gnädige Frau – und seine große Laterne war ja auch gewiß von Nöthen bei der Dunkelheit, und es regnete, was vom Himmel wollte, als der Herr die Thür nach dem Hofe aufmachte, und ich sagte noch: Wollen Sie nicht eine Mütze aufsetzen? aber der Herr antwortete gar nicht darauf, sondern nur, der Nebelow solle gleich zu dem Herrn Doctor laufen. – Na, gnädige Frau, was soll ich da noch lange erzählen, denn gefunden haben sie ihn ja nicht, obgleich sie den ganzen Garten abgesucht haben, erst der Herr allein mit dem Christian und dann noch ein paar von unseren Leuten dazu, die der Herr hatte wecken lassen, mit einem halben Dutzend Laternen; und dann haben sie das ganze Haus abgesucht vom obersten Boden bis in den tiefsten Keller, wenn es auch gar keine Menschenmöglichkeit, daß er aus dem Garten in das Haus gekommen sein sollte; und dann ist in der ganzen Stadt herumgeschickt, und es ist ein Aufstand gewesen, als ob es an allen vier Ecken brennte; aber wer nicht gefunden ist, das ist Herr Fliederbusch, und der Herr hat auch die gehörige Anzeige gemacht, und unser alter Herr Polizeidirector hat den Herrn noch in derselben Nacht zu Protokoll genommen – heißt es ja wohl? – und zum Herrn gesagt: er solle ruhig reisen, denn einem jungen Menschen eines hinter die Ohren geben, wenn er gegen seinen Principal unartig sei – dagegen könne kein Mensch was haben, und wenn der junge Mensch, anstatt um Verzeihung zu bitten, davon laufe und sich, so zu sagen, aus purem Schabernack zwanzig Fuß hoch in den Garten stürze, wäre es ihm schon recht, wenn er sich das Genick abfiele, und daß er es sich nicht abgefallen, das sei doch klar, und wenn einer schon mal ein Leben habe wie eine junge Katze, könne er auch über eine Gartenmauer klettern, und wenn die Katzen nicht zu den Menschen hielten, zum Hause hielten sie doch, und der werde schon wieder kommen, wenn er sich die Hörner abgelaufen, und er werde das noch erleben und wir auch. Na, gnädige Frau, der alte Herr hat es nicht mehr erlebt, denn acht Tage darauf haben sie ihn hinausgetragen, und er war der beste Freund von dem seligen Herrn Senator und ja auch Pathe von unserem Herrn, und ich glaube, er würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er hörte, was die Leute jetzt über die alte dumme Geschichte sagen.

Was sagen sie? was können sie sagen? rief Aennchen. Sie war plötzlich aus ihrem Stuhle aufgesprungen und hatte die fest zusammengefalteten Hände gegen Frau Uelzen ausgestreckt.

Aus den verschwollenen Aeugelchen der kleinen Haushälterin, die sich nun ebenfalls erhoben, glitzerte ein beinahe schadenfroher Blick zu der aufgeregten jungen Dame hinauf, während sie den dicken Kopf langsam von der einen nach der anderen Schulter bewegte.

Was sie sagen können, gnädige Frau? ja, was können schlechte Menschen nicht sagen, wenn sie nichts Besseres zu reden haben und es sich um unseren Herrn handelt, der so viel im Vermögen hat, daß er die ganze übrige Stadt kaufen könnte, und der sein schönes Geld mit vollen Händen weggiebt, daß es eine Sünde und eine Schande ist, an was für Creatur es manchmal kommt. Denn darin ist der Herr gerade so wie der selige Herr Senator; der hatte, als er starb, ja wohl halb Woldom in seinem Schuldbuche: Schiffscapitaine und Matrosen und Kaufleute und Handwerker, und Alles dick durchgestrichen und darunter geschrieben: Bezahlung werde drüben empfangen!

Frau Uelzen wischte sich die Augen, wie sie jedes Mal that, wenn sie diese Geschichte von dem Seligen erzählte.

Ja, ja, fuhr sie fort, das war ein echtguter Herr – zu gut für diese Welt; und was haben sie nicht Alles von ihm gesagt: er habe mit schwarzen Menschen gehandelt, während er, in seinen ganz jungen Jahren, drüben in Amerika war, und habe noch ein paar Dutzend Schiffe, die immer zwischen Afrika und Amerika führen und nur mit Sklaven handelten, aber nie hierher nach Woldom in den Hafen kämen, sondern immer hinter dem Galgenberg vor Anker gingen – das ist eine halbe Meile von hier, gnädige Frau – und kein Mensch wagte sich früher dahin, weil noch vor ein paar Jahren der alte Galgen da stand, bis der Herr Senator den wegnehmen und eine Leuchtbake aufstellen ließ. Und da sagten sie wieder, er habe es nur gethan, weil der hochselige König gedroht habe, er würde ihn an dem Galgen aufhenken lassen, wenn er den Sklavenhandel nicht nachließe und den unterirdischen Gang von den Galgentannen bis hier in unser Haus zuschütte. Ja, gnädige Frau, man sollte es nicht glauben, aber die Leute sagen es wirklich, und es giebt welche, die sagen, der Gang sei nie zugeschüttet, sondern existire bis auf den heutigen Tag; und in des Herrn seinem Zimmer, wo ja auch der selige Herr Senator gewohnt hat, sei eine Thür, die Keiner kenne, blos immer der Herr – zum Exempel der selige Herr Senator – der sie auf dem Sterbebette seinem Sohn zeigte – zum Exempel unserem Herrn – sonst Niemand nicht. – Und wenn man nur die Thür finden könnte, würde man auch den Herrn Fliederbusch finden.

Um Gotteswillen! schrie Aennchen.

Nicht wahr, gnädige Frau, es ist zu schändlich! aber ängstigen sich gnädige Frau darum nur nicht! Wie der Herr Fliederbusch aus dem Garten gekommen sein soll, das kann ja kein Mensch begreifen, denn es sind überall hohe glatte Mauern ringsherum und nur eine einzige Thür nach dem Hof, wo Christian mit dem Wagen gewesen ist, an dem er partout vorbei gemußt hätte, und ein paar Kellerlöcher, die aber vergittert sind. Und mit der Thür in dem Herrn seinem Zimmer hat es auch so weit seine Richtigkeit, und daß sie keiner so leicht finden kann, der sie nicht kennt, und da mag wohl früher ein Gang gewesen sein, denn in einem Hause, das schon dreihundert Jahre alt ist und so dicke Mauern hat, ist Alles möglich; aber jetzt ist nur ein Wandschrank dahinter, der freilich so groß ist, daß man ein halbes Haus hineinstellen könnte, und auf der einen Hälfte ist er auch ganz leer, in der anderen aber sind Regale, wo der selige Herr Senator seine Acten hatte und sonstige Papiere, die der Herr ordnete und zusammenpackte, als der alte Herr gestorben – ich bin selbst dabei gewesen: zehn Kisten voll, die jetzt im Keller stehen – und der Herr hat weiter nichts darin gehabt, so viel ich weiß, als seine Angelruthen und Flinten, bis er ein paar Tage, bevor er abreiste, zu mir sagte: Frau Uelzen, sagte er, wir haben das Haus jetzt voll Arbeiter und das dauert noch so zwei, drei Wochen, bis Alles fertig ist, und Sie können Ihre Augen nicht überall haben; wir wollen das große Silbergeschirr von dem Büffet nehmen und in den Schrank thun, denn wenn auch die Leute ehrlich sind, es könnte doch was daran ruinirt werden, und das wäre nicht wieder zu ersetzen. – Ja wohl, Herr, sage ich, und ich meine, wir legen auch die Löffel und das Andere gleich mit hinein, – sicher ist sicher, und ich bin die Sorge los, denn die Kasten im Büffet kann Jeder mit einem krummen Nagel öffnen. Na, gnädige Frau, der Herr, der lacht; aber unser Einer weiß das besser, und so habe ich denn Alles in den Schrank gepackt – in Seidenpapier, gnädige Frau, wie sich das schicken wird, wenn man so kostbare Sachen unter den Händen hat – und habe blos ein halbes Dutzend von unseren gewöhnlichen Eßlöffeln und Kaffeelöffeln draußen behalten auf alle Fälle, und das war sehr gut, denn als vorhin die gnädige Frau den Kaffee wünschte, und ich dem Herrn sagte, daß ich der gnädigen Frau gern einen von unseren schönen vergoldeten Löffeln auf die Tasse legen möchte, fuhr er mich an: es würde auch wohl so gehen, und er hätte den Schlüssel verloren. – Warum haben Sie ihn mir nicht gegeben? sage ich; denn er wollte ihn mir geben, und ich sollte ja, wenn Alles in Ordnung wäre, die Sachen heraus nehmen und wieder in das Büffet stellen, und ich wundere mich, daß die gnädige Frau gar nicht bemerkt haben, wie das jetzt aussieht; – wie eine gerupfte Gans – blos daß der Herr in der letzten Nacht den Kopf so voll hatte und gar nicht zu Bett gegangen ist, weil wir jeden Augenblick glaubten, sie würden ihn doch irgendwo finden, bis es sieben Uhr war und der Herr auf die Eisenbahn mußte, wenn er am anderen Morgen bei der lieben jungen Braut in Cöln sein wollte. Aber, großer Gott, da schlägt es halb neun; wie die Zeit vergeht, wenn man so in's Reden kommt! Ich muß in die Küche, gnädige Frau, daß die gnädigen Herrschaften was Ordentliches zum Abendessen haben, denn der Dörthe, der traue ich nicht über den Weg, obgleich sie drei Jahre bei der Mutter Ihlefeldt erste Köchin gewesen, und der Herr und der Herr Doctor werden sich ja mittlerweile ausgesprochen haben, wenn die gnädige Frau jetzt hinüber gehen wollten. Kann ich der gnädigen Frau sonst noch was helfen?

Ich danke Ihnen, sagte Aennchen, ich komme schon allein zurecht.

Das glaube ich wohl, sagte Frau Uelzen, die Kaffeesachen zusammenstellend; wenn eine so verwöhnte junge Dame sechs Wochen lang auf der Reise ist und hat nicht einmal ihre Kammerjungfer bei sich, und der Herr, – na, unser Herr, der braucht ja eigentlich gar keinen Bedienten, und – habe ich immer gesagt, wenn sich die Leute wunderten: so ein paar junge Herrschaften, habe ich gesagt, die sind am glücklichsten, wenn sie ganz allein sind; und was zu Hause an Allem Ueberfluß hat, das ist auf der Reise am bescheidensten.

Frau Uelzen war bereits an der Thür, als sie diese Bemerkung machte, die sie für ganz besonders verbindlich hielt, und auf die sie ein freundliches Wort oder wenigstens eine höfliche Handbewegung oder auch Beides von der jungen Frau erwartete. Aber Aennchen, die jetzt in der Tiefe des Zimmers vor dem großen Trumeau zwischen den beiden Fenstern stand und ihr halb den Rücken zukehrte, sagte nichts und wandte sich auch nicht um; dafür aber sah Frau Uelzen mit ihren scharfen Augen sehr deutlich das von den Lichtern auf den Armleuchtern hell beleuchtete Bild der jungen Frau im Spiegel, und das starrte so blaß und verloren mit den dunklen Augen vor sich hin – Frau Uelzen meinte, ein paar schließliche beruhigende Worte könnten am Ende nicht schaden. Sie räusperte sich also, um anzudeuten, daß sie noch immer im Zimmer sei, und sagte:

Die gnädige Frau müssen sich das nun aber auch nicht zu Herzen nehmen! Wenn man ein gutes Gewissen hat, kann man die Leute reden lassen; und mit unserem Herrn ist es ja nicht wie mit dem Herrn Baron von Klabenow auf Wüstenei, als ich da Wirthschafterin war – das sind nun beinahe vierzig Jahre, und ich war noch ein blutjunges Ding und mußte hernach auch mit vor Gericht, ob ich was davon wüßte und was ich davon wüßte? Aber ich wußte wirklich nichts, und daß ein junger Herr in die Speisekammer kommt und sagt einem jungen Ding Fladusen, wenn er auch selbst eine schöne junge Frau hat, – lieber Gott: Jugend hat keine Tugend! und die Lowise – na, gnädige Frau, der alte Palzow muß es auch gemerkt haben, und darüber werden sie wohl in Streit gerathen sein im Wüsteneier Holz, und eines Tages kommt der Herr Baron nicht wieder, und kommt nicht wieder sechs Wochen lang, trotzdem Alles durchsucht wurde: das Korn und die Tannen und die Teiche; und der alte Palzow immer vorauf, weil ja kein Mensch Verdacht gegen ihn hatte, und so um diese Zeit, im October, bellt dem Jochen Wenhak sein Hund in den Tannen – Jochen war nämlich der Kuhhirt und hatte auf dem frischen Dresch bei den Tannen getrieben – und hat einen Knochen im Maule, und so ein Kuhhirt, der kennt ja wohl alle Knochen und sagt gleich zu dem Gensdarmen, der gerade auf der Chaussee reitet: Das ist von unserem Herrn seinen Knochen, und richtig! in den Tannen hat er gelegen die ganze Zeit, blos einen Fuß unter der Erde; und sie sind zehnmal über denselben Platz gegangen, ohne eine Ahnung; und der alte Palzow hat nicht mehr gewagt, ihn tiefer zu graben, so daß ihn die Füchse aufgescharrt und halb aufgefressen haben. Und nun gleich hin, um den Alten festzunehmen, denn sein Pulverhorn war ja bei den Sachen gefunden; aber, wie der sie kommen sieht, schreit er ihnen entgegen: Auf euch habe ich schon lange gewartet! und schießt sich eine Kugel vor den Kopf, daß er auf der Stelle todt gewesen ist.

Frau Uelzen hatte die Geschichte, die eine Lieblingsgeschichte von ihr war, laut genug erzählt; war aber doch nicht sicher, ob die gnädige Frau wohl recht zugehört, denn die stand immer noch, ohne sich zu regen, vor dem Spiegel; und Frau Uelzen überkam plötzlich die Furcht, ob sie nicht am Ende zu viel gesagt und von Dingen gesprochen, über die sie besser geschwiegen hätte. Sie tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß sie ja nichts auf's Tapet gebracht, worüber zu sprechen ihr ausdrücklich verboten gewesen wäre, und sie über das Einzige, was ihr der Herr verboten, ja auch nichts gesagt habe.

So hustete sie denn leise – diesmal zum Zeichen, daß sie jetzt alles Ernstes gehen wolle – klapperte, da das Husten nichts half, ein weniges mit den Kaffeesachen und verließ das Zimmer in der beklemmenden Ungewißheit, ob die gnädige Frau ihr Fortgehen wirklich nicht bemerkte oder sich nur den Anschein davon gab.

Aennchen aber, als sie die Thür in's Schloß fallen hörte, war, wie Jemand, der aus einer Betäubung erwacht, sich mit beiden Händen über Stirn und Augen gefahren; hatte scheu umgeblickt, sich zu vergewissern, daß sie wirklich allein sei, und dann war sie zu derselben Thür gestürzt, durch welche die Uelzen gegangen, hatte den Riegel vorgeschoben, und ebenso an der zweiten Thür, die nach dem Vorderzimmer führte.

Dann eilte sie zu dem Tisch, auf welchem verschiedenes Handgepäck durch einander lag, öffnete ein elegantes Köfferchen und kramte mit zitternden Händen unter allerhand zierlichen Frauensächelchen – da war es!

Sie nahm es heraus – einen Gegenstand, der in ein weißes Battisttuch geschlagen war. Sie wickelte das Tuch ab – eines von Lebrecht's feinen Taschentüchern: ein alterthümlicher Schlüssel mit langem glatten Stiel, krausem Bart und rundem Oehr kam zum Vorschein.

Der Schlüssel war mit braunen Flecken betupft – die hatte sie schon damals bemerkt, und ebenso, daß der Rost sich auf das Tuch abgefärbt.

Aber, wie sie jetzt das Tuch auseinander schlug und gegen das Licht hielt – großer Gott! war das wirklich Rost?

Ein Schauder überlief sie. Unwillkürlich hatte sie Schlüssel und Tuch fallen lassen.

Aber im nächsten Moment hatte sie Beides wieder aufgerafft und schien, sich umblickend, nach einem sicherern Versteck zu suchen, als ihn das Kofferchen gewährte.

Waren das Schritte? nein – aber Schlüssel und Tuch sind in der Tasche, wohin sie dieselben in ihrem Schrecken hatte gleiten lassen, vielleicht am sichersten.

Wovor?

Die junge Frau versucht zu lachen. Das Lachen klingt so seltsam – so gar nicht wie ihr eigenes Lachen, daß sie plötzlich in Thränen ausbricht.

Die häßliche Person mit ihren grausigen Geschichten! und Lebrecht! daß er mir nie ein Wort davon gesagt!

Sie sitzt wieder in dem Fauteuil vor dem Kamin, grübelnd, grübelnd, grübelnd, wie vorhin – nein, nein! sich mit allen Kräften ihrer Seele gegen den furchtbaren Gedanken wehrend, sie habe jetzt den Schlüssel zu Lebrecht's Trübsinn gefunden.



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