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Drittes Capitel.

Was gab es da? fragte der Doctor.

Ich hörte ein Geräusch, sagte Lebrecht, die Thür wieder schließend; – es war nur die Uelzen.

Nur die Uelzen – ist reizend, sagte der Doctor, sein Glas leerend und wieder füllend; – ganz in der Rolle des Mannes mit dem schlechten Gewissen! Sie kam wohl von Deiner Frau?

Ich glaube, sagte Lebrecht.

Hm! Und wenn sie nun eben Deiner Frau – so ganz en passant und ohne sich was dabei zu denken – und was sollte sie sich auch Großes dabei denken? – Dein sauberes Geheimniß mitgetheilt hat?

Ich vergaß, Dir zu sagen, daß ich sie ausdrücklich gebeten, nicht davon zu sprechen.

Unter welchem Vorwande?

Es solle – es solle eine Ueberraschung für Aennchen sein?

Eine Ueberraschung – ist gut, sehr gut! – und wenn sie nun einer von den anderen Leuten damit überrascht? Nebelow zum Beispiel?

Das ist so unwahrscheinlich wie möglich.

Aber doch möglich!

Was quälst Du mich?

Nur, um Dir zu zeigen, daß Dein Geheimniß – wie das Schwert des Damokles – trotz aller Deiner Vorsichtsmaßregeln an einem seidenen Faden hängt.

Als ob ich das nicht eben so gut und besser wüßte als Du.

An einem seidenen Faden, den jeder elendeste Zufall zerreißen kann, und das Schwert fährt herab und – Du bist ein verlorener Mann. Ja, Du bist es bereits, und ich will es Dir beweisen.

Von des Doctors feinem blassen Gesicht schwand das ironische Lächeln, mit welchem er der langen Beichte des Freundes bis jetzt zugehört. Er fing an, sich die spitzen Kniee der langen dürren Beine mit den flachen Händen erst langsamer und dann schneller und immer schneller zu reiben, wie es seine Gewohnheit war, wenn ein Patient seine Geduld erschöpft hatte. Auch blickte er jetzt nicht mehr, wie vorhin, mit einem humoristischen Blinzeln über die Brillengläser weg dem Freunde in's Gesicht, sondern hielt die Augen gesenkt, als ob Alles, was er zu sagen hätte, da vor ihm auf dem Teppich geschrieben stünde und er müßte es nun in der größten Hast herunterlesen, aus Furcht, der nächste Moment möchte es verwischen.

Ich will es Dir beweisen, so klar, wie zwei mal zwei vier ist, daß Du nichts mehr und nichts weniger bist als ein Monomane, so gut, wie nur Einer, der an Verfolgungswahnsinn leidet oder glaubt, daß er einen Centner Heu im Bauch oder einen Scheffel Raupen im Kopf hat. Stelle Dir doch um Gotteswillen vor, wie ein vernünftiger Mensch in Deiner Lage gehandelt haben würde! Es ist – abgesehen von seinem Namen, über den schon der Schuljunge mit den Neckern und Hänselern tausend blutige Fehden geführt – in seinen Verhältnissen, in seinem Leben ein Umstand, dessen er sich schämt, obgleich er selbst in keiner Weise daran schuld ist; und den er so wenig ändern kann wie seinen Namen oder die Nase, die er mit auf die Welt gebracht hat. In meinen Augen ist diese Scham allerdings schon ein ganz niederträchtiger aristokratischer Nonsens, der bereits an Verrücktheit grenzt, aber noch keine Verrücktheit ist, weil ich nach dieser Seite dem Geschmack die weitesten Concessionen mache. Was dem Einen seine Eule, ist dem Anderen seine Nachtigall, und umgekehrt; und dem Manne, von dem wir sprechen, ist der Umstand im Laufe seines Lebens mehr und immer mehr zur Eule geworden. Er hat sich abwechselnd über sie geärgert und vor ihr gefürchtet und hat auch in seiner Weise Ursache dazu gehabt, weil andere Menschen eben so schwach sind wie er und ihm seine Eule gelegentlich vorgerückt haben, wie zum Beispiel jener allerliebste Obrist mit seinem: wir würden Sie gern zum Officier machen, lieber Mann; aber in diesem aristokratischen Regiment, wissen Sie – Hol' ihn der Teufel! hat der Mann damals gesagt; und ich hoffte, er würde bei jeder anderen Gelegenheit, wo Jemand nur Miene machte, ihm seine Eule aufzumutzen, sagen: hol' ihn der Teufel!

Er hat das auch, so viel ich weiß, noch immer gethan, bis er eines schönen Tages sagen mußte: hol' sie der Teufel! und das brachte er nicht fertig; dazu hatte er nicht das Herz.

Ich, von meinem Standpunkte, muß das beklagen; aber ich kann es begreifen. Ja, noch mehr, ich bin kein Moralist, wenigstens keiner von der stricten Observanz, der keine Ausnahmen statuirt. Ich statuire Ausnahmen; ich sage: die Liebe ist ein Kampf um's Dasein wie der Krieg. Im Kriege wie in der Liebe wird die Moral immer ad absurdum geführt: im Kriege wie in der Liebe gelten alle Mittel; und, wie der ein schlechter Feldherr wäre, der dem Feinde vor der Zeit seine schwachen Punkte verriethe, so wäre der ein Narr, der seine Geliebte in die bewußten Eulenaugen blicken ließe, wenn sie, wie der herzige Obrist, mutatis mutandis sagen würde: ich nähme Sie schrecklich gern zum Gemahl, lieber Mann; aber in diesem aristokratischen Hause, wissen Sie –

Bon! der kluge Feldherr und der kluge Liebhaber spielen also Verstecken. Das ist ihr gutes Recht, vielmehr: es ist ihre Pflicht.

Aber, wohlgemerkt, mon cher, nur eine Zeit lang; nur so lange, bis in der Schlacht der Augenblick kommt, wo das Bataillon, das der Feind für eine Armee gehalten, hervorbrechen und rufen, vielmehr zeigen muß: wir sind eine Handvoll Menschen, aber jeder ist ein Held! nur so lange, bis in jenen holden Tagen gesättigt-unersättlicher Leidenschaft und Liebe er ihr Alles, Alles sagen darf, und wäre es, daß er ein mystischer Schwanenritter oder auch der leibhaftige Satan sei, und sie ihm erwiedern würde: das ist mir ganz egal.

Ich bin Arzt, mein Lieber, und ich könnte Dir, wenn ich indiscret sein wollte, Fälle anführen, wo Confessionen von kaum geringerer Tragweite gemacht und verziehen, ja – was sage ich! – mit in zehnfacher Süßigkeit getränkten Küssen beantwortet wurden.

Aber Du – denn ich muß jetzt von Dir sprechen – was thust Du? was hast Du gethan? Du hast jene günstigen, allmächtigen, allgütigen, allliebenden Augenblicke entschwinden lassen auf Nimmerwiederkehr.

Auf Nimmerwiederkehr, mon cher! Sie liegen draußen in jenem Paradiese, in welchem es keine Sünde und keine Reue, keine Buße und keine Strafe giebt, – dem Paradiese, aus dem Ihr eben kommt und das die junge Frau unweigerlich verläßt mit dem ersten Schritte, den sie über die Schwelle des Hauses thut, dessen Herrin sie fürder sein soll. – Und wenn sie, die Last der Verantwortung, welche sie so leichten Muthes übernommen, urplötzlich auf ihren zarten Schultern fühlend, sich erschrocken zweifelnd fragt: wirst du im Stande sein, diese Last zu tragen? Und sie die kritische Frage mit einem hoffnungs- und vertrauensvollen Athemzuge beantwortet: ja, wenn er treu und fest zu mir steht, er, der die Treue und die Festigkeit und die Ehrlichkeit und die Bravheit selber ist!

Und nun tritt dieser brave, gute, feste, treue Mann zu ihr und schneidet eine höhnische Fratze: du bist auf den Leim gegangen, mein süßes Vögelchen! oder – was in meinen Augen zehnmal schlimmer ist: er flüstert ihr unter Liebkosungen, die ihm nicht aus dem angstvollen Herzen kommen können, in's Ohr: ich habe gesündigt vor dir und bin nicht werth – pah! kann der brave Gatte sich wundern, wenn sie ihn beim Wort nimmt? Ich sage Dir, mon cher, ich kenne junge Damen, die es thäten; und nach Allem, was Du mir früher oder später von Deiner Dame berichtet hast, möchte ich sagen, daß sie es thun wird. Man ist nicht umsonst mütterlicherseits eine von Klüngel-Pütz!

Denn hier, mein Lieber, schließt sich erst der verderbliche Zirkel, aus dem vorher noch immer ein Entrinnen war; Du hast aus Furcht vor den aristokratischen Velleitäten der Familie Dein Geheimniß so lange bewahrt, bis Du es nicht mehr entdecken kannst, ohne nicht blos die aristokratischen Velleitäten – an denen mir der Kuckuk gelegen wäre, – sondern die Moral selbst zu beleidigen, die Moral, mon cher, deren Heiligkeit auch ich respectire!

Denke an des Dichters Wort: Wer das Vertrauen vergiftet, der mordet das werdende Geschlecht im Leib der Mutter! Die Wunde, die Du dem vertrauensvollen Herzen Deiner jungen Frau geschlagen, wird niemals ganz wieder heilen. Von Stund' an bis in alle Ewigkeit wird sie, kann sie Dir niemals etwas aufs erste Wort glauben, Alles nur, wenn sie sich von anderswoher die Bestätigung verschafft hat. Weißt Du, was das für eine junge Frau heißt: von anderswoher? das heißt ganz einfach: von anderen Männern, die wahrscheinlich auch nicht besser und nicht schlechter sind als Du, die sie aber, aus reiner Opposition gegen Dich, ohne Weiteres für besser nimmt. Ich will Dir an einem naheliegenden Beispiele beweisen, wie weit diese Glaubenslosigkeit gehen kann.

Du sagst, die Uelzen werde ihr das Geheimniß nicht ausliefern, denn Du habest es ihr verboten. Nehmen wir an, sie widersteht der Versuchung, die in dem Verbot selbst liegt, und plaudert nicht. Wer in aller Welt bürgt Dir dafür, daß sie nicht die kostbare Zeit benutzt, Deiner Frau die Geschichte von Hans Fliederbusch zu erzählen? ich wiederhole, trotz Deines Murrens: wer bürgt Dir dafür? und zwar die Geschichte mit den unheimlichen Commentaren, wie sie nun schon, fast so lange Du fort bist, im Munde des Volkes umlaufen? und dabei habe ich Dir den unheimlichsten noch gar nicht mitgetheilt, weil ich Dich schonen wollte; aber quod ferrum non sanat, ignis! also: man hat die alte, halb verschollene Sage von dem geheimen Gange, der hier in diesem Zimmer und auf dem andern Ende irgendwo in einer Strandhöhle zwischen den Galgentannen mündet, wieder aufgegraben und weiß nun ganz genau, wo der Junge geblieben. Das ist sehr lächerlich, nicht wahr? und ist doch auch wieder gar nicht lächerlich. Du kannst nicht alle Leute hierher kommen lassen und sagen: schauen Sie, meine Herrschaften, diesen großen Wandschrank, sollte er wohl Euch Narren sämmtlich fassen? Und wenn Dir auch an dem Gerede der Narren nichts liegt; denke Dir, das Gerede kommt Deiner Frau zu Ohren, und der Junge kehrte, was Gott verhüten wolle, wirklich nicht zurück, und das Geheimniß seines Verschwindens würde nie aufgeklärt – glaubst Du, daß das Alles wesentlich dazu beitragen dürfte, Deiner jungen Frau den Aufenthalt in diesem verwunschenen Schloß sehr behaglich zu machen? glaubst Du, daß sie jemals dies Zimmer betreten könnte, ohne an die Geschichte zu denken? oder – ich will Dir was sagen, mein Schatz, an Deiner Stelle, bevor sie noch etwas von dem Gerede und von der Existenz des Schrankes ein Sterbenswörtchen erführe, – ich ließe in aller Heimlichkeit den Schrank zumauern, damit, wenn ihr das Gegackel wirklich zugetragen wird, Du in aller Ruhe sagen kannst: nun denke Dir diesen Unsinn, lieber Schatz, es ist nicht einmal ein Schrank hier, geschweige denn ein geheimer Gang, geschweige denn – bist Du toll?

Der Doctor, dessen dürrer Oberkörper die lange, zuletzt in schier rasender Hast hervorgesprudelte Rede mit immer energischeren Pendelschwingungen begleitet hatte, während die flachen, auf den Knieen reibenden Hände nur noch als zitternde Lichtreflexe erschienen, blieb wie erstarrt sitzen, die Augen über die Brillengläser weg auf Lebrecht gerichtet mit einem halb erschrockenen, halb forschenden Blick, wie ein Arzt blickt, in dessen Gegenwart Jemand unerwartet höchst verdächtige Symptome von Tobsucht an den Tag legt. Denn Lebrecht, der, wie der Doctor wenigstens angenommen, ihm ruhig zuhörend gegenüber gesessen, war aufgesprungen, hatte den gewichtigen Lehnstuhl, welchen der Doctor nur mühsam von einer Stelle auf die andere rücken konnte, hoch in die Höhe gehoben, als wäre es ein Kinderstühlchen, und dann wieder herabgeschmettert, daß es, trotz des dicken Teppichs, einen lauten Krach gab, die Flaschen und Gläser auf dem großen Eichentisch klirrten und die über dem Tisch hangende dreiflammige Lampe merklich schwankte. Und lief jetzt hin und her, sich mit beiden Händen in das blonde lockige Haar fahrend und dann die geballten Fäuste schüttelnd, wie unter der Nase eines unsichtbaren Gegners, und blieb nun ganz dicht vor dem Doctor stehen und knirschte durch die zusammengepreßten Zähne: Verdammt! verdammt!

Was oder wer ist verdammt, lieber Lebrecht? sagte der Doctor in einem Tone, dessen Ruhe den seltsamsten Contrast mit der Sprudelrede von vorhin bildete.

Wir haben es dort – dort hinein in den Schrank gestellt!

Was, lieber Lebrecht?

Wie Du noch fragen kannst – das – das –

Das Corpus delicti?

Ja, ja! wir mußten doch irgendwohin damit. Es war der nächste, der sicherste Versteck für den Augenblick.

Freilich! ich hatte vorhin ganz zu fragen vergessen, wo Ihr damit geblieben waret.

Er sollte es dann wieder herausnehmen und an Ort und Stelle bringen, falls ich ihm schreiben konnte, daß ich mich mit Aennchen ausgesprochen; oder es sonst heimlich irgendwo in Sicherheit auf einen der Böden stellen, denn vernichtet durfte es nicht werden – um keinen Preis.

Natürlich! das alte Wahrzeichen des Hauses! so viel Pietät besaß man denn doch!

Ich hatte ihm zu dem Zwecke den Schlüssel gelassen –

Und er hat ihn mitgenommen?

Nein! über den Schlüssel war es, daß es so weit kam. Er drohte, mich zu verrathen; ich wollte ihn wieder haben, er ihn nicht zurückgeben; ich entriß ihm den verfluchten Schlüssel – ich – ich schlug ihn mit dem Schlüssel –

Todt?

Bist Du verrückt?

Das bei Seite! – Du brauchst nicht mit dem Fuße zu stampfen – also nicht todt? und dann?

Dann kam Alles, wie ich Dir erzählt habe. Ich –

Nun?

Ich habe den Schlüssel verloren.

Wo? und wie?

Ich weiß es nicht; ich glaubte ihn eingewickelt in einen meiner Koffer geworfen zu haben; ich habe ihn auf der Reise wiederholt vergebens gesucht; er ist fort.

Nimm es für ein gutes Zeichen! sagte der Doctor, sich vergnüglich langsam die Kniee reibend; nimm es dafür, daß Du den Schrank niemals wieder öffnen oder, wie ich vorhin schon sagte, gleich eine Extra-Mauer darüber ziehen lassen sollst! Und mußt Du freilich, nach dem Wortlaut und Sinn von Deines Vaters Testament, doch eins haben – so sei es eben ein neues: le roi est mort! und, wie es einem so großen Tyrannen zukommt, feierlich beigesetzt in den Gewölben seines eigenen Palastes. Requiescat in pace! und – vive le roi!

Es geht nicht! es geht nicht! der Schrank muß wieder geöffnet werden; ich hatte an demselben Morgen mein ganzes Silberzeug hineingelegt.

Weiß Jemand davon?

Die Uelzen.

Hm! weiß sie, daß der Schlüssel fort ist?

Ich mußte es ihr sagen – vorhin – sie wollte irgend etwas haben. Ich wußte, daß es so kommen würde, und habe auch deshalb den Empfang meiner jungen Leute vermeiden wollen, die ich doch hätte bewirthen müssen, und dann fehlte es hier und da –

Und Du fürchtest Dich, den Schrank in Gegenwart von anderen Leuten und überhaupt durch andere Leute öffnen zu lassen? das Corpus delicti

Steht groß und breit vorn –

So mußt Du es allein thun!

Das wird sehr schwer sein ohne den vertracten Schlüssel, wie's gar keinen zweiten giebt.

So schlag die Thür ein! oder fürchtest Du etwa, das Geräusch werde Deine Frau erwecken? Ei was! junge gesunde Frauen pflegen einen festen Schlaf zu haben.

Laß Deine Scherze!

Beim Himmel! ich scherze nicht! rief der Doctor, urplötzlich aus seinem Stuhl in die Höhe fahrend. Was thust Du denn, was hast Du diese ganze Zeit gethan, als auf den festen Schlaf Deiner Frau vertraut: daß sie nichts hört, nichts sieht, sich keine Gedanken über Dein verändertes, unleidliches Wesen macht, dessen Du Dich selbst anklagst? ihr kein unbedachtes Wort Deiner Leute eine Erklärung Deiner Melancholie zuträgt, vor der ihr die zarte Haut schaudern würde, so daß keine Küsse und keine Liebkosungen sie jemals wieder ganz beruhigen könnten? Was stehst Du da, Mensch, wie verdonnert: der König von Woldom – jeder Zoll ein Knabe, der sich vor den Gespenstern fürchtet, die er selbst heraufbeschworen! Kann denn nichts – nicht mein Scherz, nicht mein Ernst, nicht meine balkenverklammerten Gründe, nicht der boshafte Zufall, der sich gegen Dich verschworen zu haben scheint, – und es giebt einen Zufall, glaube mir, trotz Wallenstein! – nicht die Achtung vor Dir selbst, die Liebe zu Deiner Frau – kann nichts, gar nichts Dich bewegen, zu thun, was Dir einzig und allein zu thun bleibt: hinzugehen, auf der Stelle, bevor noch Deine Frau diese Schwelle überschreiten kann, und ihr Alles zu sagen – weinend oder fluchend, demüthig oder zornig – es ist mir ganz gleich und ist auch ganz gleich – aber Alles, hörst Du, Alles, Alles bis zum Pünktchen über dem I!

Um Gotteswillen, still!

Der Doctor, der die letzten Beschwörungsworte in seinem Feuereifer so laut gesprochen, wie es seine hastige Weise und die gurgelnde Stimme nur immer zuließen, hatte mit langausgestrecktem Arm nach der Thür gewiesen, welche auf den Flur führte und durch die er Aennchen's Eintreten erwartete. Lebrecht's Blicke aber, der ihm gegenüber stand, waren auf eine zweite Thür gerichtet gewesen, durch welche man in die Flucht der vorderen Zimmer gelangte, und er hatte zu seinem äußersten Unbehagen plötzlich gesehen, daß diese Thür, die er vorhin selbst sorgfältig geschlossen, nur noch angelehnt war. Vielleicht war sie aufgesprungen, als er vorhin den schweren Stuhl so heftig auf den Boden stieß – gleichviel! sie mußte wieder zu; und er war eben im Begriff gewesen, an dem Doctor, auf den er kaum noch hörte, vorbei nach jener Thür zu stürzen, als vor derselben ein Stuhl gerückt wurde. Sein erschrockener Ausruf und sein starres Auge machten jetzt auch den Doctor sich umwenden – da wurde auch bereits die angelehnte Thür vollends geöffnet, und auf dem hellen Hintergrund des vom Kerzenlicht durchstrahlten Salons stand Aennchen's hohe, schlanke Gestalt. Sie zögerte einen Augenblick, und nun, mit leichtem, wie schwebendem Schritt, ein Lächeln auf dem schönen, etwas bleichen Gesicht, trat sie den Herren entgegen.



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