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X.

Es war um Pfingsten herum; Hans saß schon seit einem Monat im Zuchthause, nachdem sein Prozeß den ganzen Winter und das ganze Frühjahr hindurch geschwebt und der Untersuchungsrichter Justizrath Heckepfennig notorisch graue Haare darüber bekommen hatte! Aber so ein abgefeimter, tückischer , verlogener, hartgesottener Hallunke wie der Hans war auch noch gar nicht dagewesen. Wie lange hätte der noch sein Wesen treiben können, wenn der Revierförster Bostelmann nicht einen Trumpf darauf gesetzt hätte, den Kerl zu erwischen, und es so schlau angefangen hätte! Der Revierförster Bostelmann hatte die Geschichte schon siebenhundertmal erzählt und war bereit, sie auf Verlangen noch einmal so oft zu erzählen. Bostelmann, hatte er zu sich selbst gesagt, du kriegst ihn nicht, es sei denn auf dem Landgrafenberg. Ueberall sonst brennt er dir durch mit seinen langen Beinen; da aber treibst du ihn in's Garn, d. h. an die Schlucht, meine Herren, und da ist denn der Fuchs gefangen! Na, so hatten wir denn schon acht Abende hintereinander gelauert: ich, der Kreiser Matthias, zwei Landjäger und vier Leute, die wir zur Aushülfe mitgenommen; endlich kömmt unser Musje vom Dorf herauf über die Hexenhalde, ganz frank und frei, als müßt's nur so sein. Ich hatte da nämlich Einen postirt, weil man von da den weitesten Ueberblick hat. Im Walde war es denn freilich, als wär' er in die Erd' geschlüpft; endlich hörten wir ihn an der Weiherwiese Feuer geben. Himmel Höllen, sagte ich zu Matthias, ist er wieder da! Nämlich an der Weiherwiese hätten wir nun keinen Posten aufgestellt, wasmaßen er dort schon zwei Hirsche geschossen hatte; aber der ist ja wohl noch frecher als frech. Wir also nach dem Schuß, immer durch, und kommen denn noch eben, als er just dem Hirsch auf's Leder kniet, um ihn auszuweiden. Nämlich wir hätten ihn treffen können; aber von den Hunden war einer laut geworden, da hatte er Fersengeld gegeben. Konnte aber nur nach der Schlucht zu sein, denn das übrige Terrain hatten wir besetzt. Gut. Wir werden uns also immer enger zusammenziehen, und ich freu' mich schon auf den Augenblick, wo meine Teckel ihn verbellt haben werden; da, Himmel Höllen, es fährt mir noch durch die Glieder, macht er schon wieder Feuer. Er hat sich todtgeschossen, sagt Matthias. Dummes Zeug, sage ich; aber denken thät ich's auch. Kommen an die Landgrafenschlucht und stehen da, wie die Ochsen am Berge. Kein Hans nicht da. Er wird da hinab sein, sagt der Matthias. Dummes Zeug, sage ich; aber innerlich denken thät ich's auch; denn wo sollte er sonst sein? obgleich's ein Heiden-Höllen-Stück war, in die Schlucht hinabzuklettern bei der Dunkelheit. Plötzlich schreit einer von denen Kerls: Da ist er ja! und straf' mich Gott, als ich recht hinsehe, klettert da Einer so ein hundert Fuß unter uns mit einem Thier auf dem Buckel. Ich dacht' im ersten Augenblick, mich sollt' Schlag und Unglück rühren. Hinter ihm her, Jungens! sage ich. Dank' schön, sagen die Hallunken, da müßt Ihr schon selber gehen. Lasse ich die Hunde los; ja, prosit Neujahr! will keine von denen Bestien da hinab. Na, da werd' ich alter Knasterbart so weit hinabklettern, als ich menschenmöglicherweise kommen kann, und ihm zurufen, daß er stehen soll – na, und da hab' ich ihm Eins auf den Pelz gebrannt; aber wen der Böse lieb hat, den macht er kugelfest.

Diese Geschichte hatte so Hand und Fuß, daß die Winkelzüge, die der Gefangene in seinen Aussagen machte, dagegen wenig verschlugen. Zuerst wollte er den Hirsch auf der Weiherwiese nicht geschossen haben; als man aber dann seine Militairmütze unter den Tannen auf der andern Seite fand, mußte er's wohl einräumen und that's denn auch. Dann gab er an, dicht vor der Landgrafenschlucht ein Schmalthier geschossen, und weil er erst in dem Augenblick gemerkt, daß man ihm auf den Fersen sei – den Hirsch habe er sich später holen wollen – es die Landgrafenschlucht hinabgetragen zu haben. Bis hierher war Alles ganz gut; nun aber fing für den Justizrath Heckepfennig das Elend an: wo war der Hans mit dem Schmalthier, wo war er mit der Büchse geblieben? Beides konnte er nicht ohne Helfershelfer auf die Seite geschafft haben, vor Allem das Schmalthier nicht, und doch behauptete der Hans steif und fest, er sei es allein gewesen, und wo er mit dem Schmalthier und der Büchse geblieben sei – das sage er nicht. Dabei blieb's, und kein Zureden, kein Drohen, kein Wasser und Brot – nichts wollte bei dem bösen Menschen verfangen.

Das konnte nun wohl die Untersuchung aufhalten; aber endlich muß doch Alles ein Ende haben, und so klappte denn der Herr Justizrath die Akten zu, voller Kummer und Herzeleid, daß er so wenig herausgebracht hatte. Seine Durchlaucht der Fürst nämlich – als großer Jäger vor dem Herrn und zugleich als der am meisten Beschädigte, denn der Kronwald und der Landgrafenberg gehörten ihm und der Frevel hatte also auf seinem Grund und Boden stattgefunden – hatte sich sehr lebhaft für den Fortgang der Untersuchung interessirt und einmal über das andere anfragen lassen, ob man die Hallunken noch immer nicht habe? Ein Paar Hallunken mußte man also mindestens haben, und nun hatte man, trotz allem Kopfzerbrechen, nur einen. Seine Durchlaucht sagte, der Justizrath sei ein Esel, und wenn er sich nur selber hineinmischen dürfte, er wollte es schon herausbekommen haben. Deßhalb seufzte der Justizrath Heckepfennig so tief, als er die Akten zuklappte und die Sache vor die Geschworenen wies.

Die Geschworenen machten kurzen Prozeß. Die Sache war ja so sonnenklar, und da das ganze Dorf wie ein Mann den Angeschuldigten mit dem bösesten Zeugniß belastete, voran der Bäcker Heinz, der erklärte, dem Hans, der bei ihm in Dienst gestanden, jede Schlechtigkeit zuzutrauen; da der Schulze Eisbein versicherte, er hätte es ja immer gesagt und der Apfel falle nicht weit vom Stamm; da der Pantoffel-Claus aussagte, daß er dem Hans zu den ungewöhnlichsten Zeiten im Walde begegnet sei, und endlich Herr Repke, bei dem der Angeklagte zuletzt gedient, beschwor, daß er den Hans, der ein sehr unregelmäßiger Arbeiter und fast immer betrunken gewesen, von Anfang an in Verdacht gehabt und aus seinem Dienst entlassen habe, wofür ihm der schlechte Mensch zu guterletzt das Mühlenwerk beschädigt und einen namhaften Schaden zugefügt – da diese Berge von Anschuldigungen, Verdächtigungen und bösem Leumund über dem Unglücklichen sich aufthürmten, so mußte er wohl darunter zusammenbrechen, so groß und stark er war. Drei Jahre Zuchthaus und als Nachkur fünf Jahre polizeiliche Aufsicht und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte – das war das Wenigste, was einem solchen Hallunken zukam, sagten die Geschworenen, als sie fertig waren, und gingen nach Hause, Mittag zu essen; der Hans aber durfte fahren, wenn auch nicht nach Hause, sondern vorläufig in's Zuchthaus.

Während dieser ganzen Zeit hatte es in dem Hause des Schulmeisters Selbitz bös genug ausgesehen. Der alte Herr hatte schier toll werden mögen, als er am Abend vor der Hochzeit aus seinem Quartett nach Hause gehen wollte und ihm schon unterwegs ein halbes Dutzend Gevatterinnen entgegenkamen und heulend erzählten, zu Hause liege die Grete und sie habe sich in der Dunkelheit am Teich beim Wasserschöpfen das Bein gebrochen. War das nicht, um sich die letzten Haare auszuraufen? Erst hatte er sich fast den Schlag an den Hals geärgert, bis die Grete endlich Ja sagte, und jetzt that sie ihm gar den Tort und brach sich am Abend vor der Hochzeit das Bein! Es war Alles Lug und Trug, und er wolle sie bald wieder auf die Beine bringen; aber der alte Doktor aus Schwarzensebach, der gerade im Dorf gewesen und gleich gerufen war, sagte, er solle das Maul halten und nicht so lästerliche Reden fuhren, die sich überdies für einen Schullehrer und Cantor gar nicht schickten. Das Bein sei gebrochen, und damit basta, und wenn er das Mädel nicht in Ruhe ließe und nicht pflege, wie es sich für einen Vater und Christen schicke, so werde er mit ihm, dem Doktor Eckhart, zu thun bekommen, und der Schulmeister wisse wohl, daß der Doktor Eckhart mit sich nicht spaßen lasse.

Da hatte denn der Herr Selbitz klein beigeben und dem Herrn Jakob Körner sagen lassen müssen, daß vorläufig aus der Hochzeit nichts werden könne; aber es sollte noch schlimmer kommen. Denn Grete verfiel nicht nur in ein Wund-, sondern in ein richtiges Nervenfieber, das viel schlimmer war, als der Beinbruch, der unterdessen ganz ruhig heilte, und als das Nervenfieber ausgerast hatte, blieb sie in einer solchen körperlichen Schwäche und geistigen Niedergeschlagenheit, daß es ein Herzeleid war, sie nur anzusehen. So ging es den ganzen Winter und auch den ersten Theil des Frühjahrs hindurch. Dann wurde es sichtlich besser mit ihr; aber sie sprach kein Wort, und wenn der Vater es wagte, ihr in's Gewissen zu reden, wie er's nannte, dann sah sie ihn mit so großen wunderlichen Augen an, daß ihm ganz angst und bange wurde und er seinen breitkrämpigen Hut von der Wand nahm und zum Herrn Pfarrer ging, dem sein Herzeleid zu klagen. Der Herr Pfarrer kam denn auch alsbald; aber die Grete machte es mit ihm gerade so, wie mit dem Vater, und blickte ihn nur immer so groß und wunderlich an, daß der geistliche Herr zuletzt vor lauter Verlegenheit seine blaue Brille abnahm und wieder aufsetzte und zum Hause hinausging und nicht wiederkam.

Der Einzige, mit dem sie sprach, aber immer nur, wenn sie sich ganz allein mit ihm befand, war der alte Doktor Eckhart. Dem sagte sie, der Hans sei unschuldig, und sie wolle es beweisen, aber erst müßte sie der Herr Doktor gesund machen, oder doch wenigstens so gesund, daß sie ein paar Meilen weit gehen könne, denn sonst helfe Alles nichts. Der gute Doktor wußte erst nicht recht, was er aus diesen Reden machen solle, und meinte, weil sie immer wieder darauf zurückkam, es sei eine fixe Idee, die von der Krankheit sitzen geblieben; aber nach und nach kam die Grete weiter mit ihrem Plan heraus, der sich vor anderen Plänen durch seine große Einfachheit auszeichnete und so war: die Grete wollte zur Frau Fürstin, die eine so gute Dame sei, und ihr Alles erzählen; dann sollte es die Frau Fürstin dem Herrn Fürsten erzählen, und der Herr Fürst, der ein so guter Herr sei, würde dann sofort den Hans aus dem Gefängniß lassen und dafür die Anderen hineinstecken, die den Hans hineingebracht.

Der gute Doktor lächelte, wie wenn ihm seine Kinder die Geschichte von Frieder und Katerlieschen erzählten, oder die andere von dem Fischer, der von dem Butt verlangte, daß der Butt ihn zum lieben Gott mache; aber Grete blieb dabei: so, und so allein ginge es, und der Doktor dachte zuletzt: hilft es nicht, so schadet's nichts, und manchmal schlagen ja auch Schäfermittel an, wo wir mit unserer Wissenschaft am Rande sind. Und da Doktor Eckhart ein Mann war, der, wenn er Ja gesagt hatte, auch Amen sagte, so ging er alsbald auf den Plan Grete's mit einem Eifer ein, als ob derselbe in seinem eigenen Kopfe entsprungen wäre. Die eine Prämisse Grete's, daß die Frau Fürstin eine gute Dame sei, war nun schon richtig, und der Leibarzt der Frau Fürstin, der Geheime Sanitätsrath Stelzenbach, war ein Universitätsfreund vom Doktor Eckhart, und würde dem alten Verbindungsbruder schon den Gefallen thun. Nun konnte freilich der Geheime Sanitätsrath Stelzenbach eine so schwierige Aufgabe gar nicht einmal in Angriff zu nehmen wagen, ohne sich vorher die Erlaubniß dazu von der Lieblings-Kammerfrau der Fürstin eingeholt zu haben; aber hier wollte das Glück, daß Frau Schneefuß einen Bruder hatte, der gern Bahnhofs-Inspektor auf der Hauptstation der neuen Eisenbahn geworden wäre – ein Posten, der zu vergeben ganz in der Hand von Doktor Eckharts Schwager, dem Eisenbahn-Direktor Schneller, lag. Eine Schwierigkeit blieb dann freilich noch immer, insofern, als Frau Schneefuß sich einer Reprimande von Seiten der Frau Oberhofmeisterin, Baronin von Adlerskron, ausgesetzt haben würde, falls sie bei dieser Dame nicht nachgefragt hätte, ob Excellenz in dem betreffenden Falle nicht gnädigst durch die Finger sehen wolle. Indessen auch diese letzte Schwierigkeit wurde gehoben, da der Vetter des Eisenbahn-Direktors, der Banquier Moser, der von dem unermüdlichen Doktor Eckhart, seinem Hausarzt, ebenfalls ins Vertrauen gezogen war, gerade in diesen Tagen Gelegenheit hatte, Excellenz eine namhafte Gefälligkeit zu erweisen, und mit jener weltmännischen Liebenswürdigkeit, die diesen Finanzmann auszeichnete, sich von der Frau Baronin nun jene bewußte kleine Gefälligkeit als Provision ausbat.

So war denn, nachdem ein paar Wochen lang ein halbes oder ganzes Dutzend Fäden vorsichtig angezogen und geschürzt waren, Alles in Ordnung, bis auf eine passende Gelegenheit, die sich denn auch alsbald einstellte. Der Fürst bezog in diesem Jahre ausnahmsweise früh das ein paar Büchsenschüsse vor den Thüren der Residenz gelegene Sommerpalais Bellevue, und hier, wo die Strenge der Hofetiquette, dem einfachen Sinn der Frau Fürstin und der ländlichen Umgebung zu Liebe, erfahrungsmäßig wesentlich gelockert wurde, konnte das so sorgfältig einstudirte Stück ohne große Schwierigkeit in Scene gesetzt werden. An einem wunderschönen Nachmittage holte der Doktor selbst in seinem eigenen Wagen Grete zu einer Konsultation mit den Stadtärzten, wie er sagte, und setzte sie, wie verabredet, Punkt sechs Uhr – das war um die Zeit, wenn das Diner der Herrschaften beendet war – an dem Parkthor ab.

Weißt Du nun auch Alles, was Du sagen willst, liebes Kind? fragte der Doktor.

Ja, sagte Grete und sah den Doktor mit ruhig klaren Augen an.

Na, dann geh' mit Gott, Kind, sagte der Doktor; wenn der und Du es wißt, brauche ich mir ja nicht darüber den Kopf zu zerbrechen.

Grete hatte nämlich, außer daß Haus unschuldig sei, kein Wort gesagt, und der Doktor wußte also so wenig, wie irgend ein Mensch, was die Grete nun eigentlich vorbringen würde.

Es sollte es aber auch Keiner wissen, nur die Frau Fürstin, und die sollt' es dem Herrn Fürsten sagen. Das war Grete's einfaches Programm, und mit dem und ihrem kindlichen Vertrauen zu der guten Frau Fürstin, die es dem Herrn Fürsten sagen sollte, ausgerüstet, imponirte ihr der stattliche Lakai (ein Neffe der Frau Kammerfrau Schneefuß), der sie an dem Parkpförtchen empfing und durch den Park nach dem Schloß führte, so wenig, daß der Herr Lakai sich auch nicht die geringste kleine Freiheit gegen das hübsche blasse Mädchen herauszunehmen wagte. Selbst Frau Schneefuß, die doch gewiß eine imposante Erscheinung war – viel imposanter als die Frau Fürstin selbst – war erstaunt, ja indignirt, als die Kleine auf ihre Frage, ob sie sich fürchte, erwiderte: Nein; weßhalb sollte ich mich fürchten? Frau Schneefuß erzählte hernach, so was sei ihr in ihrem Leben noch nicht vorgekommen und sie habe sich förmlich ein Gewissen daraus gemacht, als sie der frechen kleinen Person die Thür zu dem Zimmer der Fürstin geöffnet habe.

Und da stand nun Grete in dem Zimmer der Frau Fürstin, die am Fenster, das auf den Park hinausging, saß, mit einem Buche in der Hand, welches sie alsbald aus der Hand legte und nachdem sie, ihre Augen aufhebend, die Eingeführte eine kurze Zeit prüfend angeblickt, sagte:

Laß uns allein, liebe Schneefuß. Nun komm' näher, liebes Kind. Du siehst blaß und angegriffen aus; setze Dich dahin auf den Stuhl, und nun erzähle mir Alles, was Du von der unglücklichen Geschichte weißt.

Die Augen der hohen Frau waren so sanft und ihre Stimme war so mild; Grete liefen die Thränen über die Backen, aber nur aus schierer Dankbarkeit gegen Gott, daß es doch Alles gerade so war, wie sie es von ihm erbeten hatte, und als sie sich die Augen ausgewischt, erhob sie ihre eigenen frommen Augen und ihre zitternde Stimme und erzählte nun der hohen Iran Alles, was sie wußte, Alles, was sie auf dem Herzen hatte, von Anfang bis zu Ende, und da war kein Wort zu viel und keines zu wenig, daß der Fürstin war, als lese sie eine Dorfgeschichte, von Meisterhand geschrieben, und dabei klang Alles so treu und gut, daß die hohe Frau sich ein paar Mal nach dem Fenster wandte, scheinbar, um an den Blumen zu riechen, eigentlich aber nur, die Thränen zu verbergen, die ihr in die Augen gekommen waren.

Als Grete zu Ende war, sagte die Fürstin:

Und Du möchtest nun, liebes Kind, daß ich das dem Fürsten sage; nicht wahr?

Ach ja, sagte Grete.

Und der soll Deinen Hans freilassen; nickt wahr?

Ach ja, sagte Grete.

Die hohe Frau war aufgestanden und ging ein paar Mal auf und ab. Sie hatte ihrem Gemahl. schon von dem Besuch erzählt, der ihr nach der Tafel zugedacht war, und der Fürst war sehr unwillig gewesen, daß sie sich auf so etwas eingelassen. Er habe sich schon genug über die Geschichte geärgert und über den Esel von Untersuchungsrichter, der nichts herausbekommen hätte, als den einen Burschen, der leicht nicht der Schlimmste gewesen sei; denn es werde in dem Revier nach wie vor gewilddiebt, nur, daß es die Hallunken jetzt wo möglich noch schlauer anfingen, als zuvor. Thue, was Du willst, hatte er zuletzt gesagt, aber laß mich aus dem Spiel.

Was sollte sie thun? Sie war vollkommen überzeugt, daß das Mädchen ihr die lautere Wahrheit gesagt, und diese Ueberzeugung gab ihr Muth. Wie – dachte sie, während ihre Augen auf dem Mädchen ruhten, das jetzt wieder so still und bleich dastand und ihr, wie sie so auf und ab schritt, immerfort mit ängstlich harrenden und doch zugleich so vertrauensvollen Blicken folgte – wie, dieses arme Kind vom Dorf überwindet alle Schwierigkeiten und kommt zu dir und spricht zu dir mit herzerschütternder Beredsamkeit, und du solltest nicht einen Weg zum Fürsten und Worte für ihn finden, der so gutmüthig ist, wenn er sich auch von seiner Heftigkeit einmal zu weit hinreißen läßt?

Bleibe hier, mein Kind, sagte die hohe Frau; setze Dich ruhig da wieder hin und warte, bis ich zurückkomme.

Die Fürstin hatte nicht weit zum Kabinet des Fürsten, das in derselben Front, wie das ihre lag, nur daß von hier eine in vielen Stufen abfallende Terrassentreppe in den Parkgarten zu dem großen Springbrunnen hinabstieg. Zwischen die Bäume des Parkes hindurch, ja, da das Schloß sehr hoch lag, über die Wipfel fort, sah man in die reiche Landschaft, die im vollsten Schmuck des Frühlings prangte, hinüber bis zu den Bergen, deren blaue Kette den Horizont einrahmte.

Der Fürst, nachdem er die Herren, die zu dem Diner befohlen gewesen waren, entlassen, rauchte, in einem Easy-chair schaukelnd, seine geliebte Cigarre, die er auch, da seine Gemahlin ihm neben manchen anderen Freiheiten auch vollkommene Rauchfreiheit gestattete, bei ihrem Eintritt nicht bei Seite legte.

Nun, sagte er, sich erhebend, was hast Du herausgebracht?

Daß der Mann unschuldig ist, sagte die Fürstin.

Eine schöne Neuigkeit! rief der Fürst, ärgerlich lachend. Das ist ja mehr, als der Kerl selbst von sich behauptet!

Und das ist es gerade, was den Mann würdig macht, daß wir uns seiner annehmen. Er hat allerdings die Wahrheit nicht gesagt, aber doch nur um des Mädchens willen nicht. Es ist ein merkwürdiger Fall, und Du mußt mir schon die Liebe erweisen, und mich ein paar Minuten geduldig anhören.

Geduld war gerade nicht des Fürsten stärkste Seite; er verbeugte sich aber galant und zündete sich eine neue Cigarre an.

Du siehst, sagte er, ironisch lächelnd, ich mache mich auf eine lange Geschichte gefaßt, trotzdem in einer halben Stunde der Wagen zum Theater vorfahren wird.

Die Berger singt Dir die große Arie im ersten Akt nie zu Dank, so kannst Du mir es Dank wissen, daß ich Dir die Qual erspare, erwiderte die Fürstin, ebenfalls lächelnd, und erzählte dann ihrem Gemahl, was sie eben gehört, während sie mit ihm auf der Terrasse auf und nieder schritt.

Der Fürst war anfangs ein wenig zerstreut; bald aber fing die Geschichte doch an, ihn zu interessiren.

Ja, und was verlangst Du nun von mir? fragte er, als die Fürstin zu Ende war.

Daß Du eine neue Untersuchung anordnest.

Das kann ich nicht.

Dann begnadige ihn.

Das will ich nicht.

Warum nicht, lieber Karl?

Weil einmal ein Exempel statuirt werden muß.

Auch wenn der Unschuldige statt des Schuldigen leidet?

Der Fürst zuckte ungeduldig die Achseln und sagte:

Wer in aller Welt bürgt Dir dafür, daß das Mädchen Dir nicht einen Roman aufgebunden hat?

Ihre guten, ehrlichen Augen.

Das wäre!

Und dann gibt es ja ein einfaches Mittel, ihre Wahrhaftigkeit auf die Probe zu stellen. Laß Dir den Mann kommen und –

Der Fürst blickte seine Gemahlin starr an.

Wen? sagte er mit Betonung.

Die hohe Frau fühlte, daß sie etwas Unmögliches verlangt habe; sie wußte sich nicht mehr zu helfen, und dabei dachte sie an das arme Mädchen, das da ein paar Zimmer entfernt gläubig harrend saß, und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

Der Fürst ging ein paar Mal auf und nieder.

Dann blieb er vor seiner Gemahlin stehen und sagte in milderem Tone:

Gesetzt auch, ich thäte Dir den Gefallen, so unerhört die Sache ist, so müßte ich ja den Menschen begnadigen, selbst wenn ich mich überzeugen sollte, daß man Dich belogen hat; ich kann ihn doch nicht von hier aus wieder in's Zuchthaus schicken!

Die Fürstin antwortete nicht.

Nun, wie Du willst, sagte er.

Er ging in sein Kabinet zurück, schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier, klingelte seinem Kammerdiener, gab dem Manne noch einige Instruktionen, rief, als derselbe sich entfernte, noch hinter ihm her: Aber in einem verschlossenen Wagen! – und kehrte dann zu seiner Gemahlin zurück.

Sie ergriff seine Hand und führte sie an ihre Lippen.

Nun will ich aber auch das Mädchen sehen, sagte Se. Durchlaucht, den diese zarte Huldigung seiner Großmuth in die beste Laune versetzt hatte.

Wie Du willst, lieber Karl.

Man ließ Grete kommen.

Grete trat so ruhig in den goldstrahlenden Salon, als sie vorhin in das viel einfachere Zimmer der Fürstin getreten war. Was galten ihr der kunstreiche Plafond, das spiegelglatte Parket, die kostbaren Spiegel, Marmor-Vasen, Gemälde? Sie hatte nur Augen für den Hoffnungsstrahl, den sie aus den milden Augen der Fürstin deutlich leuchten sah. Ihre blassen Wangen rötheten sich, aber sie fragte nicht unbescheiden; es mußte ja kommen, und bis es kam, antwortete sie geduldig auf alle Fragen, die ihr der Fürst vorlegte.

Seine Durchlaucht war ein Kenner der Frauenschönheit, und er sagte zu sich selbst, einmal über das andere, während er vor Grete stand und sie ausfragte und sein Auge über die zierliche Gestalt lief und immer wieder an ihren schönen dunklen, von dunklen Wimpern umschleierten Augen hangen blieb: ist das ein hübsches Mädchen! Und als nach einer halben Stunde der Kammerdiener meldete, daß der Wagen aus der Stadt zurück sei, sagte Seine Durchlaucht so ärgerlich: Soll warten! – gerade als ob er in der interessantesten Konversation gestört wäre.

Er besann sich und sagte dann auf französisch zu seiner Gemahlin, die während des langen Verhörs heiter lächelnd dagesessen und nur dann und wann ein Wort hineingeredet hatte, wenn der Fürst gar zu weit von der Sache abzuschweifen schien:

Ich denke, mein Liebe, wir lassen die Kleine abtreten, bis wir uns mit ihrem Galan verständigt haben.

Wie Du willst, sagte die Fürstin, und dann zu Grete: Geh' einmal da hinein, liebes Kind, und setze Dich an's Fenster; Du sollst nicht so lange warten, als vorhin.

Grete ging und blickte dabei, so lange sie konnte, der Fürstin in die milden Augen.

Großer Gott, sagte die hohe Frau, es durchschaudert mich, wenn ich bedenke, was wir diesen Leuten sind!

Nur keine Sentimentalität, meine Liebe, sagte der Fürst, wenigstens nicht dem Burschen gegenüber! Es scheint, daß der nicht aus weichem Holze ist.

Er winkte dem Kammerdiener zu sich.

Ist er da?

Im Vorzimmer, Durchlaucht.

Wie sieht er aus?

Desperat, Durchlaucht.

Wer hat ihn eskortirt?

Zwei Mann von der Zuchthauswache, Durchlaucht.

Im Vorzimmer?

Zu Befehl, Durchlaucht.

Sollen da bleiben!

Zu Befehl.

Eintreten lassen!

Zu Befehl, Durchlaucht.

Der geschmeidige Mann entfernte sich geräuschlosen Schrittes, öffnete die Thür zum Vorzimmer und winkte. Gleich darauf trat Hans herein und blieb an der Thür stehen, die alsbald hinter ihm geschlossen wurde.

Man hatte Hans in aller Eile seine Zuchthausjacke aus- und seine Blouse wieder angezogen; nur das kurz geschnittene Haar erinnerte noch an den Ort, von dem er kam. Selbst die Blässe, mit der das Gefängniß seine Bewohner malt, hatten Arbeiten in freier Luft, zu denen man den starken Mann vorzugsweise verwandt hatte, wieder verwischt. Er sah so braun und kühn aus, wie nur je. Hans wußte, was sich schickte; er hatte vor hohen und höchsten Herrschaften Schildwacht gestanden, und mehr als Einer hatte sich mit dem Hünen in Gespräch eingelassen. So stand er denn kerzengerade an der Thür in vorschriftsmäßiger Haltung, die Militärmütze, die man ihm auch wiedergegeben hatte, an dem rechten Schenkel. Er wußte nicht, was dies Alles zu bedeuten hatte; aber Durchlaucht würde ihn ja schon fragen, und so stand er denn und wartete, was Durchlaucht ihn zu fragen haben würde.

Der Tausend! sagte Seine Durchlaucht, aber nicht zu Hans, sondern zu seiner Gemahlin. Dann wandte er sich zu Hans und kommandirte: Sechs Schritt vor! Halt! Du hast gedient?

Zu Befehl, Durchlaucht.

Wo?

Zweites Garde-Regiment, erste Kompagnie.

Das hat man davon! sagte der Fürst zu seiner Gemahlin.

Die Fürstin mußte diesen politischen Stoßseufzer verstehen, aber sie antwortete nur mit einem freundlichen Achselzucken.

Der Fürst sah wieder Hans an.

Du bist zu drei Jahr Zuchthaus verurtheilt?

Zu Befehl, Durchlaucht.

Und möchtest natürlich gern wieder heraus. Das kannst Du haben, wenn Du mir Deine Complicen, ich meine die Anderen, mit denen Du gewilddiebt hast, nennst.

Da werde ich wohl drin bleiben müssen, Durchlaucht,

Liegt Dir so wenig daran, herauszukommen?

Nein; aber, Durchlaucht, wenn ich ein Wilddieb bin, bin ich doch kein Angeber, und dann, Durchlaucht, habe ich gedacht –

Nun, was hast Du gedacht? Sprich frei heraus.

Ich habe gedacht: wenn du der Herr Untersuchungsrichter wärest, so brauchte man dich nicht mit der Nase drauf zu stoßen, wie es mehr als zu oft geschehen ist, und du wolltest schon ohne das finden, wo der Has' im Pfeffer liegt.

Ganz, was ich gesagt habe, sage der Fürst zu seiner Gemahlin, indem er sich in seiner lebhaften Weise zu dieser wandte: der Heckepfennig ist ein Esel.

Ja, das ist er, sagte Hans.

Der Fürst biß sich auf die Lippe, die Fürstin beugte sich und strich ihre Robe glatt.

Kurz und gut, sagte der Fürst, ich will Dich begnadigen; aber die Wahrheit muß heraus, so weit sie Dich selbst betrifft. Du hast in der Untersuchung anfänglich behauptet, den ersten Schuß nicht gethan zu haben, hast's später freilich widerrufen –

Ja, Durchlaucht, und lustig genug war's, daß sie's glaubten! Von der Stelle aus, wo sie die Mütze fanden, konnte ich gar nicht geschossen haben; der Schuß mußte ja von der andern Seite gekommen sein. Ich wette, Durchlaucht hätten das gleich herausgebracht.

Lassen wir also den ersten Schuß, sagte der Fürst, dem dieser Appell an seine allbekannte Waidmannskunst sehr wohlgethan hatte; wie war's aber mit dem zweiten? Wo ist das Schmalthier geblieben, das Du an der Landgrafenschlucht geschossen hast, und wo Deine Büchse?

Hans sah sehr verlegen aus; dann blitzte es aus seinen grauen Augen und er sagte:

Da Durchlaucht mich doch nun einmal begnadigt hat –

Noch nicht, guter Freund.

Doch, Durchlaucht! Durchlaucht würden nicht lachen, und Durchlaucht, die Frau Fürstin da würde nicht so freundlich drein schauen, wenn Sie einen armen Teufel, der heut' seit sechs Monaten zum ersten Mal wieder honettes Zeug trägt, wieder in die graue Jacke stecken lassen wollten. Und darum kann ich's auch sagen, wo ich die Büchse gelassen habe: in unserm Teich liegt sie, mitten drin, und da hätte sie Jeder gleich gesucht, der nicht auf den Kopf gefallen ist.

Gut. Und das Schmalthier?

In Hans' braunem Gesicht zuckte es wunderlich.

Das kann ich nicht sagen, murmelte er.

Auch nicht, wenn ich Dich – sonst wieder Loch schicke?

Hans sah starr vor sich hin, durch die offene Fensterthür in die blauen Berge. Aus seinen großen grauen Augen rannen zwei Thränen über die braunen Wangen.

Auch dann nicht, sagte er leise und fest.

Mein Gemahl! sagte die Fürstin und hob bittend beide Hände empor.

Nun denn, rief der Fürst, so will ich Dir's zeigen, Dein Schmalthier.

Er riß die Thür zum Nebenzimmer auf.

Komm' herein! rief er.

Grete trat in den Salon.

Hans, schrie sie, mein Hans!

Sie wollte auf Hans zustürzen; aber plötzlich wandte sie sich, fiel vor der Fürstin nieder und bedeckte ihre Hände, ihr Gewand mit Küssen leidenschaftlicher Dankbarkeit.

Hans rührte sich nicht. Er hatte bloß, als Grete eintrat, Augen links genommen; aber seine breite Brust hob und senkte sich, als wolle sie ein eisern Band sprengen. Sein ganzer Körper zitterte; ein Kind hätte den gewaltigen Mann umstoßen können.

Die Fürstin hob das Mädchen auf.

Komm', Karl, sagte sie auf Französisch zum Fürsten, ich möchte Dir gern etwas sagen.

Sie nahm ihren Gemahl am Arm und führte ihn auf die Terrasse hinaus.

Wir müssen nun auch weiter für sie sorgen, sagte sie.

Wenn Du nur sorgen kannst! erwiderte der Fürst, der in der glücklichsten Laune war.

Die Försterei auf dem Nonnenkopf, Karl! Du wolltest einen tüchtigen Mann für den wichtigen Posten. Tüchtig ist er gewiß.

O gewiß, unglaublich tüchtig, sagte der Fürst.

Und dann, Karl, wir kommen öfter auf den schönen Berg, der, wie Du weißt, einer meiner Lieblingspunkte ist. Da würde es mich freuen, einer hübschen Frau Försterin zu begegnen; und Dich doch auch?

Nun, natürlich! sagte der Fürst. Für die Ausstattung wirst Du ja wohl sorgen?

Das werde ich; und nun laß uns die Leutchen wegschicken. Wir müssen wirklich in's Theater.

Sie traten in den Salon. Hans stand wieder da in militärischer Haltung, aber nicht mehr ganz auf dem alten Platz; Grete hatte die Augen niedergeschlagen und sah gar nicht mehr bleich aus.

Wie bist Du hereingekommen, mein Kind? fragte die Fürstin.

Durch den Park, sagte Grete, und sagte auch, daß der Wagen von dem guten Doktor jetzt gewiß längst wieder da sei, sie abzuholen.

Dann geh' gleich hier die Treppe hinab, damit Dir die Leute nicht Alle in die verweinten Augen sehen. Und fahre ruhig in Dein Dorf zurück und sage nichts, bis Du weiter von mir hörst. Adieu, mein Kind.

Grete wollte ihr noch einmal zu Füßen fallen; sie wehrte es freundlich ab.

Du kannst sie hinausbegleiten, sagte der Fürst zu Hans, den die Worte der Fürstin einigermaßen beunruhigt zu haben schienen. Du bleibst aber in der Stadt und meldest Dich morgen in meiner Kanzlei. Und nun macht, daß Ihr fortkommt.

Hans ließ sich das nicht zweimal sagen. Er machte sofort links um und marschirte zur Glasthür hinaus, wo er mit Grete zusammentraf.

Sie stiegen zusammen die Terrasse hinab, ohne ein Wort miteinander zu sprechen, ohne sich anzufassen, als ruhten tausend Augen auf ihnen. So gingen sie auch stumm nebeneinander über die glatt geharkten Wege um den Rasenplatz, in dessen Mitte der große Springbrunnen in dem Marmorbassin plätscherte. Als sie aber zwischen die Fliederbosquets kamen, wo von dem Schlosse nichts mehr zu sehen war, blickten sie sich Beide zu gleicher Zeit um und lagen sich im nächsten Augenblick in den Armen.

Hans, lieber Hans!

Grete, liebe Grete!



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