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VII.

Am nächsten Morgen aber war seine Stimmung nichts weniger als vergnüglich. Es hatte in der Nacht so gestürmt, daß er gemeint hatte, der Wind werde den ganzen Giebel herunterwehen; dazu hatte es an mehr als einer Stelle durchgeregnet, ihm gerade aufs Bett. So war aus dem Schlaf nicht viel geworden, und der Hans merkte das in allen Gliedern, als er die dunkle Stiege noch vor Tagesanbruch hinabtastete.

Indessen eine schlechte Nacht war eben kein so großes Unglück; Hans hatte deren schon viele verbracht, und als er erst ein paar Schritte gethan, fanden sich auch die Glieder schon wieder zusammen. Mit seinen Gedanken ging es weniger leicht. Es war ihm noch während der ganzen Nacht so vorgekommen und kam ihm jetzt abermals und in noch stärkerem Grade so vor, als ob der Spaß, den er gestern mit den Bäcker-Mädels getrieben, doch eigentlich ein recht schlechter Spaß gewesen sei. Sein gewöhnlicher Trost, daß er's doch nur um der Grete willen gethan habe, wollte nicht verfangen. Grete würde schwerlich zu Allem Ja und Amen gesagt haben; und dann der Kuß hinter der Hausthür – Hans schüttelte ganz betrübt den Kopf. Einen Kuß in Ehren soll freilich Niemand wehren, und es fielen ihm hier verschiedene Küsse ein, die er gegeben hatte, und unter anderen auch einige, mit deren Ehre es etwas schief stand. Indessen – indessen, besser wär's gewesen, ich hätte mich zur rechten Zeit nach Hause getrollt. Aber es ist schon, als wenn mich der Böse plagt, daß ich immer das thue, was ich just lassen sollte.

Hans schob den Riegel von der Hofthür zurück und ging gleich in den Stall. Sonst war er immer erst in der Küche erschienen, dort seinen Morgenkaffe zu trinken; aber so gut ihm der sonst auch schmeckte, heut hatte er gar keinen Appetit darauf. In dem Hause war Alles still; vielleicht hörte ihn Keiner, und das wäre ihm das Liebste gewesen.

Er schirrte den Fuchs auf, wie er es gestern mit dem Bäcker verabredet hatte, und wollte das Thier eben aus dem Stall ziehen, als er Herrn Heinz aus dem Hause kommen sah, gerade auf den Pferdestall zu. Wo führt der Kukuk den Alten so früh her, brummte Hans.

Guten Morgen, Hans, sagte der Bäcker; schon so früh auf, das ist recht. War ein Hexenwetter heut Nacht.

Ein richtiges, sagte Hans.

Der Bäcker blickte den Hans so eigenthümlich an. Was will denn der Alte nur heut von Dir, dachte Hans.

Ich will fort, Meister! sagte er endlich, als der Bäcker noch immer keine Miene machte, den Platz vor dem Fuchs zu räumen, und bald den Fuchs, bald den Hans ansah.

Ist nicht so eilig, sagte der Bäcker, mußt auch noch erst den Kaffe trinken; aber – was ich sagen wollte, Hans – ich bin ein grader Kerl und mache nicht viel Worte. Es ist just nicht Sitte bei uns zu Lande, daß solche arme Schelme, wie Du, Hans, in die Familie von Großbauern heirathen. Aber das Mädel ist Dir gut, Hans, und so drückt man schon ein Auge zu. Viel kann ich ihr nicht mitgeben; aber Du bringst ja auch nicht viel. Ich lasse Euch Dein Haus wieder zurecht machen, da könnt Ihr ganz gut fertig werden; Du übernimmst die Außenwirtschaft, bis der August von den Soldaten kommt. Dann habt Ihr Beide sie zusammen, und wenn Ihr Euch nicht vertragen könnt, findet sich schon etwas Anderes für Dich. Und nun, Hans, geh' in die Küche und mach' es mit dem Mädchen richtig.

Hans hatte während dieser langen Rede sich von einem seiner langen Beine auf's andere gestellt und zwanzigmal den Mund geöffnet, um Herrn Heinz für seine gute Meinung zu danken; aber Herr Heinz war so im Zuge gewesen, wie ein Gaul auf glattem Wege, und nun, da er schwieg, wollte der Hans, der Meister hätte noch eine halbe Stunde fortgesprochen.

Nun, Hans? sagte der Bäcker, als sich Hans nicht rührte. Das hat Dich überrascht, gelt? und er lächelte das zufriedenste Wohlthäterlächeln. Hans raffte sich zusammen und sagte: Ich dank' Euch, Herr Heinz, von ganzem Herzen danke ich Euch; aber es kann nicht sein. Eure Anne ist ein kreuzbraves Mädel, der ich alles Gute gönne. Sie bekommt auch gewiß noch einen Besseren, als mich; es sollte mir herzlich leid thun, wenn sie sich's zu Herzen nähme, daß sie mich nicht haben kann. Aber es kann schon nicht sein.

Hans hatte sehr stotternd angefangen; aber die letzten Worte sprach er ganz fest, so daß der Bäcker, der im Anfang noch immer ganz wohlthätig gelächelt hatte, weil er glaubte, der Hans könne vor lauter Bescheidenheit keine Worte des Dankes finden, endlich die rechte Meinung heraushörte und vor Zorn ganz kreideweiß in seinem ohnehin schon bleichen, aufgedunsenen Gesicht wurde.

So! sagte er endlich, als ihm die Sprache wiederkam; so! Ein solcher Kerl, wie Du, will mein Mädchen nicht, wenn ich sie ihm anbiete! Ein solcher Hungerleider, ein solcher Lump!

Was den Lumpen betrifft, sagte Hans, so mögt Ihr den für Euch behalten, Meister, und was den Hungerleider angeht, so freut Euch, daß Ihr keiner seid. Ein ander Mal wartet, bis Euch Einer um Eure Tochter anspricht; dann braucht Ihr nicht in Gift und Galle zu gerathen, wenn der Andere sie nicht haben will. Und nun, Meister, laßt uns damit aufhören und mich an meine Arbeit gehen.

Der Bäcker schoß die giftigsten Blicke auf den Hans, als hätte er ihn am liebsten gleich durchgeprügelt; aber da dies leichter gewünscht, als ausgeführt war, riß er vorläufig einmal den Fuchs, den Hans eben an die Deichsel schieben wollte, heftig zurück und rief:

Ja, das paßte Dir wohl, mit dem alten Vieh zu fahren, das eben so faul ist wie Du selbst. Den Schimmel sollst Du einspannen, ich hab's Dir noch gestern Abend gesagt.

Mit Verlaub, Herr, erwiderte Hans, der immer ruhiger wurde, je unsinniger sich der Andere geberdete; das ist nicht anders, im Gegentheil; und just heut ist's nöthig, daß der Fuchs eingespannt wird. Der Weg muß heut noch viel schlimmer sein, als gestern.

Und ich sag's Dir, daß Du den Schimmel nimmst, schrie der Bäcker, den der Widerspruch nur immer grimmiger machte.

Meinetwegen, sagte Hans, und nahm dem Fuchs, den der Bäcker unterdessen in den Stall gezogen hatte, das Geschirr ab und legte es dem Schimmel auf; aber wenn's ein Unglück gibt, schiebt's Euch selber in die Schuhe.

Der Bäcker wußte nichts mehr zu erwidern und begnügte sich deßhalb, Hans mit wüthenden Blicken anzustarren, während dieser den Schimmel vollends einspannte und dann, das Thier am Zügel fassend, das Fuhrwerk zum Hofe hinausleitete.

Und übrigens ist es das letzte Mal, daß Du für mich auf die Arbeit gehst, rief der Bäcker hinter ihm her.

Meinetwegen, sagte Hans; aber er dachte an was Anderes, an die Gestalt nämlich, die, als er den Hof verließ, laut weinend und sich die Schürzenzipfel in die Augen drückend, hinter der Thür hervor, wo sie gestanden und gelauscht haben mußte, in das Dunkel des Flurs zurücktauchte. Es konnte Niemand Anderes sein, als Anne. Sie hatte ohne Zweifel Alles gehört; denn der Hof war klein, und man hatte laut genug gesprochen. Wenn sie das gewußt hätte, sie würde sich nicht hinter die Thür postirt haben, dachte Hans und seufzte. Er mochte die Anne so weit ganz gern, und es that ihm leid, sie so gekränkt zu haben. Der verdammte Kuß, brummte er, der verdammte Kuß gestern Abend, der ist an Allem schuld. Und ich hätt's ja auch ganz gewiß nicht gethan, wenn der Schuft von Körner nicht wieder zur Grete geschlichen wäre. Der Körner, der Hallunke, hat's zu verantworten, aber ich kriege ihn wohl noch einmal.

Wenn Hans so die Schuld der bösen Scene, aus welcher er kam, auf Herrn Oekonom Körner abzuwälzen suchte, mußte natürlich die arme Anne dem wüthenden Bäcker zu demselben Experiment dienen. Das komme davon, wenn man auf das verdammte Weibergeschwätz höre und die Weiber auch einmal für Christenmenschen ansehe. Nun habe er sich so eines albernen Weiberklatsches wegen mit dem besten Knecht erzürnt, den er sein Lebelang gehabt. Und warum habe er denn den Menschen überhaupt ins Haus genommen und sich seinethalben mit der ganzen Gemeinde beinahe überworfen? Doch auch nur, weil sie ihm Alle in den Ohren gelegen, es zu thun, und mit ihm gezankt hätten, weil er den Hans das erste Mal von seiner Thür geschickt habe. Wenn er doch nur immer seinem Kopf folgen und nie auf das dumme Weibergeschwätz hören wollte!

So schrie der Bäcker, daß man es auf der anderen Seite der Straße hören konnte. Die Anne weinte und sagte immerfort, sie könne nichts dafür, und der Hans habe sie gestern Abend geküßt; Lise und Kathrin mischten sich in den Streit und behaupteten, die Anne denke immer, daß ihr alle Mannsleute nachliefen; anstatt aus dem Wege zu gehen und anderen Mädchen Platz zu machen, die auch leben wollten, sei sie immer vorauf und verscheuche alle Männer, denen sie es gar nicht verdenken könnten, wenn sie so eine alte Person, die schon hundert Liebschaften gehabt habe, nicht nehmen wollten. Der Müller wollte den Zwist, der in offenen Krieg auszuarten drohte, beilegen und machte es nur noch schlimmer. Endlich schrien Alle auf einmal, auch der Lehrling, der (Keiner hätte zu sagen gewußt, weßhalb?) von dem zornigen Meister ein paar fürchterliche Ohrfeigen erhalten hatte, während unterdessen die Kunden, welche die Morgensemmeln haben wollten, kamen und gingen und in kürzester Frist über das ganze Dorf die Nachricht verbreiteten, der lange Schlagtodt habe den drei Bäckertöchtern jeder einzeln die Ehe versprochen, und der Bäcker stehe mit einem großen Prügel hinter der Thür, um dem Hans, wenn er von der Arbeit komme, seine Freite zu gesegnen.

Es war an demselben Vormittag, als die Kinder, die in langer Reihe zu Zweien aus der Schule kamen, zwischen den Teichen Herrn Jakob Körner begegneten, der den schwarzen Sonntagsrock anhatte und eine ungeheure dunkelrothe Aster (die schon etwas stark verblüht war) an der Brust trug. Die Kinder zogen die Mützen vor dem reichen Herrn Körner und riefen: Guten Tag, Herr Körner, guten Tag, Herr Körner! und Herr Körner dankte immerfort sehr huldvoll, bis zuletzt die größeren Buben kamen, von denen er Einen anhielt, um ihn zu fragen, ob der Herr Schulmeister noch im Schulgebäude oder schon wieder nach seiner Wohnung gegangen sei? Der Junge wußte es nicht; dessenungeachtet tappte ihn Herr Körner auf den Kopf, griff sogar in die Westentasche, um ihm einen Groschen zu geben, besann sich aber noch zur rechten Zeit, daß er nur zwei Fünfgroschenstücke darin habe, tappte deßhalb den Jungen noch einmal auf den blonden Kopf und schritt weiter, gerade auf des Schulmeisters Wohnung zu.

Vor der Thür stand er still, blickte nachdenklich auf die verblühte Aster in seinem Knopfloch, athmete ein paar Mal noch kürzer als sonst und trat ins Haus.

Auf dem Flur vor der Thür der Wohnstube rechter Hand machte er noch einmal Station, besah nochmals die Aster, fand, daß sie sich gar nicht so gut ausnehme, als er gedacht hatte, und steckte sie in die Rocktasche. Sein Athem ging beängstigend kurz, und er fuhr einen Schritt zurück, als jetzt plötzlich von innen die Thür geöffnet wurde und Herr Selbitz auf der Schwelle erschien.

Freue mich der Ehre, sagte der Schulmeister.

Herr Körner hatte bereits gesehen, daß Grete nicht im Zimmer war, und fühlte sich dadurch wesentlich beruhigt; doch schwand dieses Gefühl der Sicherheit sofort wieder, als er die Miene seines erhofften Schwiegervaters genauer betrachtete. Herr Selbitz hatte die Augenbrauen noch niemals so hoch hinauf und die Mundwinkel so tief hinab gezogen gehabt, als in diesem Augenblick,

Setzen Sie sich, setzen Sie sich, sagte Herr Selbitz, meine Tochter wird gleich hier sein. Ich habe ihr gesagt, daß Sie heut nach der Schule kommen würden. Sie werden also erwartet, was in solchem Falle immer sehr angenehm ist.

Herr Oekonom Körner schien von der Annehmlichkeit der Situation nicht ebenso überzeugt. Er rückte unruhig auf seinem Stuhl und sah sehr roth und verlegen aus. Endlich gelang es ihm, herauszustottern:

Ich hoffe, daß Mamsell Grete uns nicht, ich meine, mir nicht, einen Streich – ehem!

Herr Körner hustete in die hohle Hand.

Meine Tochter weiß, was ein junges Mädchen ihrem Vater schuldig ist, sagte Herr Selbitz.

Der Blick nach der Thür, mit dem er diese Worte begleitete, sprach keineswegs für die Festigkeit seines Vertrauens auf die der Tochter nachgerühmte Wissenschaft. Die beiden Männer wechselten einen schnellen, vielsagenden Blick, als jetzt vor der Thür ein Geräusch laut wurde, das einem unterdrückten Schluchzen auffallend ähnlich klang. Die Thür wurde zögernd geöffnet und Grete trat zögernd herein.

Das arme kleine Ding sah so bleich und verweint und geängstigt aus, daß man schon ein sehr schlechtes Gewissen haben mußte, wenn man – wie die beiden Männer im Zimmer – über den Ausgang eines Handels mit einem scheinbar so schwachen und hülflosen Geschöpf nichts weniger als ruhig war. Grete blieb an der Thür stehen (auch Herr Körner war aufgestanden, aber ohne es zu wagen, sich von seinem Stuhl weiter zu entfernen), Herr Selbitz zog die Augenbrauen so hoch, daß sie kaum noch auf der Stirn saßen, und sagte in seinem salbungsvollsten Ton:

Der lieb- und ehrenwerthe Herr Jakob Körner hier hat meinem Hause die große Ehre angethan, Dich, meine Tochter Margarete Lina Amalia, zu seinem ehelichen Weibe zu begehren. Er hat rechtschaffen gehandelt, wasmaßen er sich nicht, gleich so vielen leichtfertigen und gewissenlosen Jünglingen, zuerst an die Tochter und dann erst an den Vater, sondern umgekehrt, erst an den Vater und dann an die Tochter gewandt hat, eingedenk des Spruches, daß der Mutter Segen den Kindern Häuser baut, aber des Vaters Fluch reißet sie nieder. Und Du, meine Tochter, wirst dem hier anwesenden Herrn Jakob Körner mit dem Segen Deines Vaters die Hand reichen, eingedenk des vierten Gebots, welches den Kindern befiehlt, die Eltern zu ehren, auf daß es ihnen wohlergehe und sie lange leben auf Erden. Deßhalb tritt näher, mein Kind, und –

Ich kann nickt, Vater, ich kann nicht, murmelte das arme Ding.

Du kannst nicht? donnerte der Vater, dessen künstliche Ruhe die pathetische Rede, die er gehalten hatte, vollkommen erschöpft haben mußte. Du kannst nicht, ungerathenes Kind? Du sollst, sage ich Dir, Du sollst! Oder ich will Dir zeigen, daß ich nicht umsonst Dein Herr und Vater bin. Wenn das Deine selige Mutter hören könnte – im Grabe würde sie sich umdrehen!

Ach du guter, guter Gott, schluchzte das Mädchen und rang verzweiflungsvoll die Hände.

Aber ich weiß, was Dir im Kopf steckt, fuhr der Zornige fort; pfui, pfui des Ungehorsams, den ich von meinem einzigen Kinde erleben muß, also daß ich mit Leid in meine Grube fahren werde! Pfui der Schande, die über mein ehrbares Haus kommt!

Der Alte, der sich in seiner Hoffnung, die sonst so willfährige Grete werde im letzten Augenblick doch noch Ja sagen, so bitter betrogen sah, gerieth ganz außer sich vor Zorn, und es fehlte nicht viel, daß er seine Tochter in Gegenwart des ihr zugedachten Mannes geschlagen hätte. Herr Körner machte ein Gesicht, aus dem sehr viel mehr Aerger und Grimm, als Scham und Reue sprach; Grete stand noch immer in Thränen gebadet und augenscheinlich so angegriffen, daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte, an der Thür. Plötzlich wurde diese aufgerissen; Christel, die Magd, schrie in das Zimmer hinein:

Ach du guter, guter Gott! Wißt Ihr's denn noch nicht? Der Hans hat ja eben dem Bäcker seinen Schimmel todtgestochen und dem Bäcker die Kehle abgeschnitten!

Grete kreischte auf, wollte aus dem Zimmer, strauchelte aber auf der Schwelle und fiel dem Mädchen ohnmächtig in die Arme. Auch jetzt hielt Herr Oekonom Körner den Augenblick, seinen Rückzug anzutreten, noch nicht für gekommen, bis der Alte selbst, da Grete wieder anfing sich zu bewegen, der Scene ein Ende machen zu müssen glaubte und den glücklichen Freier fortschickte, damit derselbe sich nach der schrecklichen Geschichte erkundigte und schleunigst Nachricht zurückbrächte.

Glücklicherweise war die Geschichte so schrecklich nicht, wie sie auf dem übrigens keineswegs langen Wege von des Bäckers bis zu des Schulmeisters Haus geworden war, wenngleich noch immer schlimm genug für den armen Hans.

Hans hatte schon gegen zehn Uhr seine Arbeit oben im Walde beendet und das letzte Fuder Holz, das überhaupt hinabzuschaffen war, geladen. Dabei war ihm so schwer um's Herz gewesen, wie noch nie im Leben. Er hatte so glückliche Stunden zugebracht, hier oben auf dem Holzplatz, der jetzt, nachdem alles Holz abgefahren und der Wagen fußtiefe Furchen in den Boden gedrückt hatte, so leer und häßlich aussah. Und die Arbeit war nicht nur für dieses Jahr, sondern auch überhaupt die letzte, die er in diesem Walde thun sollte. Der Meister hatte ihm ja gekündigt; er hatte eigentlich nicht das Recht dazu, ihn so Knall und Fall aus dem Dienst zu jagen; aber sollte sich Hans einem Widerwilligen aufdrängen? Nach der dummen Geschichte mit der Anne war ja so nicht mehr seines Bleibens in dem Hause, und wenn ihm schon die Anne von Herzen leid that und er wer weiß was darum gegeben hätte, wäre sie ihm nicht gestern auf den, dunkeln Hausflur in die Anne gelaufen – das Schlimmste war doch, daß man nun die ganze Sache, Gott weiß wie verbogen und verlogen, der Grete zutragen würde. Was sollte die Grete nun von ihm denken? Würde sie die Strohdecken noch in die Ecke werfen?

Hans stöhnte so schwer, als ob der letzte Kloben, den er eben zu den andern auf den Wagen warf, ein paar Centner gewogen hätte. Der Schimmel blickte sich um; in seinen schwarzen Augen hätte man wahrscheinlich, wenn man sich nur darauf verstanden hätte, lesen können: Jetzt geht die abscheuliche Fahrt bergab wieder an. Da läuft mir der schwere Wagen immer dicht auf den Hinterbeinen, und dazu bekomme ich noch zu all' der Angst und Noth die schönsten Hiebe. Aber ich habe die größte Lust, der Sache in irgend einer Weise ein Ende zu machen.

Hans mußte den Blick des Schimmels vollkommen so verstanden haben, denn er sagte: Nun sei vernünftig, Schimmel, es ist das letzte Mal, daß wir zusammen arbeiten.

Der Schimmel nickte; aber wenn es eine bejahende Antwort gewesen sein sollte, so hatte er seine guten Vorsätze in der nächsten Minute schon vergessen; denn beim Anfahren wollte er erst gar nicht ziehen, warf sich dann mit einem Sprunge ins Geschirr und stieg, als der in dem durchgeweichten Boden tief eingesunkene Wagen nicht gleich von der Stelle wollte, so hoch, als es das Geschirr irgend erlaubte, schlug dann, als ihn Hans' kräftiger Arm unsanft herunterriß, hinten aus und zertrümmerte die Querdeichsel.

Das fängt gut an, sagte Hans.

Er hatte den Schimmel nicht unnöthig durch Schreien und Schlagen eingeschüchtert, hatte ihm nur im rechten Augenblick einen ermuthigenden Hieb gegeben und gerieth auch jetzt, als das Unglück geschehen war, nicht weiter außer sich. Er klopfte dem zitternden Thier auf die Schulter, sagte: He, Schimmel, ruhig, Schimmel! und machte sich daran, den Schaden wieder auszubessern. Das gelang ihm denn auch nach einiger Zeit zu seiner Zufriedenheit.

Ein zweiter Versuch, den Wagen vom Fleck zu bringen, wurde gemacht, diesmal mit besserem Erfolg. Der Schimmel benahm sich ein ganz klein wenig verständiger, Hans stemmte sich mit seiner ganzen Kraft gegen das Rad; man hatte den durchgeweichten Waldboden hinter sich und gelangte auf die feste Straße.

Auf der ging es nun fort, freilich nicht, ohne daß der Schimmel seine chronische Angst vor dem hinter ihm her schurrenden Wagen an den betreffenden Stellen deutlich genug an den Tag gelegt hätte. Doch gelang es Hans, ihn immer wieder zur Ruhe zu bringen, bis sie an die Stelle gelangten, wo er gestern Abend dem Pantoffel-Claus begegnet war. Es war die schlimmste auf der ganzen Passage, nicht weit vor dem Eingang in das Dorf. Der Schimmel kannte sie sehr genau und kam plötzlich zu der Ueberzeugung, daß hier oder nirgends seine revolutionairen Entschlüsse verwirklicht werden müßten. Anstatt, wie jedes nur halbwegs verständige Pferd, sich in die Hinterbeine zu legen, um seinerseits so viel als möglich die Kraft des Hemmschuhs zu unterstützen und die Last aufzuhalten, warf er sich wie toll nach vorn ins Geschirr. Der Wagen gerieth dadurch so ins Rutschen, daß der Hemmschuh krachte; Hans, der das Unglück kommen sah, lenkte klüglich auf die Wegseite, wo er in dem niedrigen Tannengebüsch den Wagen zum Stehen zu bringen hoffen durfte, aber auch diese Absicht vereitelte das rasende Thier, indem es sich mit aller Gewalt auf die entgegengesetzte Seite warf. Der Hemmschuh riß, der Wagen schwankte und stürzte in die Tannen, der Bolzen flog aus der Deichsel, und der Schimmel, der kaum spürte, daß er die Last hinter sich los war, eilte in gewaltigen Sprüngen bergab, die Deichsel und den Hans, der die Zügel noch immer in den Händen hielt, hinter sich her schleifend. Hans hätte die Zügel nur los zu lassen brauchen, so war er für seinen Theil gerettet, und der Schimmel mochte zusehen, wie er in den Stall kam; aber Hans wollte nicht loslassen; denn erstens war sein Blut mittlerweile auch in Wallung gekommen, und zweitens war Zehn gegen Eins zu wetten, daß der Schimmel über die Deichsel stolpern und sich das Genick, zum wenigsten die Beine brechen würde – zwei Fälle, die bei einem Pferde auf dasselbe hinauskommen. So galoppirte er denn neben dem Schimmel her; auf dem abschüssigen Wege, das wußte er, konnte er des Thieres nicht Herr werden; aber komme nur erst ins Dorf, dachte er, wo es glatt fort geht, da will ich's dir schon zeigen.

So kamen sie zwischen die ersten Häuser; der Schimmel merkte sofort, daß der Kampf erst jetzt beginne; seine Kraft und Schnelligkeit verdoppelnd, stürmte er daher; schon hatten sie das Bäckerhaus beinahe erreicht, als der Zug der Schulkinder eben aus der Quergasse bog; noch drei Sprünge des Thieres, und es war mitten zwischen den Kindern. Mit einem Satz war Hans vor dem Schimmel. Ein furchtbarer Ruck – und Pferd und Mann stürzten krachend zu Boden, unmittelbar vor den Schulkindern, die heulend auseinanderstoben.

Hans raffte sich alsbald wieder auf, nicht ebenso der Schimmel. Wenn ihm bei der rasenden Jagd bergab die schlenkernde Deichsel schon alle Beine wund geschlagen hatte, so war er jetzt mit dem Kopf auf einen harten Stein gefallen und lag für todt da, während ihm das Blut aus der tiefen Wunde über dem Auge strömte und, sich mit den Regenlachen vermischend, den Boden färbte.

Da kamen sie auch schon überall aus den Häusern herbeigelaufen, Männer und Weiber, ringsumher die Schulkinder. Ach, das arme Thier! ertönte aus jedem Munde; an den Hans dachte Keiner, oder höchstens, um ihn darüber zur Rede zu stellen, wie er »das arme Thier« so habe mißhandeln können.

Ihr solltet mir lieber helfen, den Schimmel wieder auf die Beine zu bringen, sagte Hans.

Keiner rührte sich, nur die Anne, die auch herzugelaufen war, holte in einem Zuber Wasser aus dem nahen Brunnen und fing an, den Kopf des Thieres damit zu überschütten. Sie weinte dabei immerfort, blickte aber den Hans nicht ein einziges Mal an.

Du Thierschinder, Du Sackermenter! rief plötzlich eine vor Wuth heisere Stimme.

Der Bäcker hatte schon seit ein paar Stunden in der Schenke gesessen, um den Aerger, den ihm der Streit mit seinen »Weibsleuten« aufgeregt hatte, zu ertränken. Er hatte eben gehört, was geschehen war, und kam nun – in seinem mehlbetupften Anzuge, baarhäuptig – herbeigelaufen, nur daß er diesmal die Hände nicht in den Taschen hatte, sondern sie Hans vor dem Gesicht ballte und dazu immer neue Schimpfworte ausstieß, unter denen der Ausdruck »Thierschinder« mit besonderer Vorliebe wiederholt wurde.

Ich bin selbst geschunden genug, sagte Hans.

Und das war nur zu richtig. Die Kleider zerrissen, die Hände blutig – und nicht bloß von dem Blut des Schimmels – das glühende Gesicht von Schmutz bespritzt – bot er einen Anblick dar, der jeden nur einigermaßen Besonnenen viel eher mit Mitleid, als mit irgend einer anderen Regung härte erfüllen müssen; aber einen solchen gab es in dem Haufen nicht, mit Ausnahme der Anne vielleicht, deren Stimme aber unter allen Umständen von keinem Gewicht gewesen sein würde, selbst wenn sie, was sie nicht that, dieselbe zu Hans' Gunsten erhoben hätte.

Und das passirt Dir recht, Du Schlagtodt! schrie der Bäcker und fuchtelte dem Hans von Neuem mit den Fäusten unter der Nase.

Wenn ich ein Schlagtodt bin, so nehmt Euch in Acht! sagte Hans; und übrigens habt Ihr Euch die Suppe selber eingebrockt, so mögt Ihr sie auch allein ausessen.

Dieser Vorwurf war zu gerechtfertigt, als daß er die Wuth des berauschten Herrn Heinz nicht zum Ueberkochen hätte bringen sollen. Er holte zum Schlag aus und lag, ehe sein Arm noch auf Hans herabfallen konnte, neben seinem Schimmel in der Blut- und Wasserlache.

In demselben Augenblick richtete sich der Schimmel mit einem plötzlichen Ruck auf und stand, an allen Gliedern zitternd, da.

Nun hebt den Andern auch auf, sagte Hans, indem er durch die Menge schritt, von welcher Niemand den Muth hatte, die Hand gegen den langen Schlagtodt aufzuheben, der den dicken Bäcker Heinz mit einem Streich zu Boden bringen konnte.



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