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VI.

Der Altweibersommer war in dieser Nacht zu Ende gegangen. Um zwei Uhr hatte es angefangen zu regnen, und so blieb es mit kurzen Unterbrechungen den nächsten Tag und die folgenden Tage. Hans spürte es mehr als mancher Andere, daß nun der Sommer unwiederbringlich vorbei war. Im Walde – wenn die Sonne an den Riesentannen des Morgens hinab- und des Abends heraufsteigt, wenn durch die moosigen Stämme das weite Thal lachend herauf grüßt und droben zwischen den ragenden Wipfeln der Himmel hoch herniederblaut, wenn der Schlag der Axt weit in den stillen Wald hineinschallt und man zu jedem Hieb mit warmer, würziger Luft die hochaufathmende Brust füllt – ja, da arbeitet sich's leicht und der Arbeiter dünkt sich ein ganzer Mann. Aber laßt den Himmel sich schließen und die grauen Wolken tiefer und tiefer sinken, daß sie zuletzt schier in den Zweigen der Bäume hangen und aus den Wolken unendlichen Regen herabgießen, Morgens und Mittags und Abends, fast ohne Unterlaß, daß jede Nadel tropft und die Wasser überall an den Wegen und über die Wege rinnen und es den ganzen Tag durch die regentriefenden Wipfel saust und klappert und heult – da wird die leichte Arbeit schwer und die schwere schwerer und schwerer, und der Arbeiter flucht laut und leise vor sich hin und sagt sich, daß er doch ein recht armseliges, geplagtes Menschenkind ist.

Bei Hans mußte es hart kommen, bevor er sich zu einem solchen Eingeständniß herbeiließ, aber die letzten Tage hatten wirklich den armen Jungen nicht eben weich angefaßt. Der schlimme Traum zu Nacht am Teichesrand war eine üble Vorbedeutung gewesen, die alsbald in Erfüllung ging. Er hatte erst gar nicht begreifen können, weßhalb ihn die Leute alle so sonderbar ansahen und so wunderliche Reden führten, wenn sie sich, was sie offenbar zu vermeiden suchten, in ein Gespräch mit ihm einließen, bis sein Herr ihm sagte, was sie im ganzen Dorf über ihn sprächen und wie eigentlich Keiner mehr daran zweifle, daß er (Hans) »auch dabei sei«. Hans wurde ganz wild, als er hörte, »wobei« er sein solle, aber sehr betreten, als ihm Herr Heinz mit seinem mehligen Lächeln sagte: Die Sache geht mich nichts an, Hans, und ich will auch nichts davon wissen; aber Deine Einmietherin – sie hat sich dabei nichts Böses gedacht und ich auch nicht, Hans – aber Deine Einmietherin hat mir gesagt, daß Du noch manchmal des Abends fortgingst; sie wüßte nicht, wann Du wiederkämst; vorgestern seiest Du um Mitternacht gekommen. Das sieht nicht gut aus, Hans, und ich habe der Müllern einen Thaler gegeben, sie wird wohl wissen, warum. Aber ich rathe Dir zum Guten, Hans; der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, und das sollte mir doch leid thun: ich bin nicht der harte Kerl, für den man mich ausschreit, Hans, und wenn Einer zum Heinz hält, zu dem hält der Heinz auch.

Hans schwur das Blaue vom Himmel herab, daß er nicht daran gedacht habe, Herrn Förster Bostelmann ins Handwerk zu pfuschen und daß es eine Sünde und Schande sei, einem armen Kerl so etwas nachzureden; aber da er seine Gründe hatte, die nächtlichen Gänge nicht zu erwähnen, und er, als Herr Heinz abermals auf den Punkt zu sprechen kam, nicht Ja und nicht Nein sagte, sondern nur wieder auf die schlechte, verlogene Welt zu raisonniren anfing, geschah es, daß er den schlauen Bäcker keineswegs überzeugte. Herr Heinz war im Grunde seines Herzens der Ansicht, daß man nicht nur Alles thun könne, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbiete, sondern noch außerdem sehr Vieles, was im Gesetz verpönt sei, wenn man nur die Vorsicht gebrauche, sich nicht erwischen zu lassen. Auch stimmte er in diesem seinem stillen Glaubensbekenntniß ohne Zweifel mit dem seiner meisten Nachbarn überein, und so würde man unter anderen Umständen nicht viel Wesens aus der Sache gemacht haben; nur da es sich um den Hans handelte, den so angesehene Leute wie der Schulze Eisbein, der Oekonom Herr Jakob Körner, Jürgen Dietrich, Jakob Lipke und Andere gar zu gern aus der Gemeinde gehabt hätten, so hielt sich Jeder für so berechtigt, wie verpflichtet, dem Hans was am Zeuge zu flicken, und, Dank dieser Vielgeschäftigkeit, bestand denn das Kleid des armen Jungen, wenigstens in den Augen seiner Mitbauern, bald nur noch aus den erbärmlichsten und schlechtesten Lumpen. »Der lange Schlagetodt« – ein Spitzwort, das sie dem Hans schon auf der Schule gegeben hatten, kam, begleitet mit noch manchen andern schmückenden Beiwörtern, wieder sehr in Aufnahme, und wer weiß, ob sie ihm gelegentlich ihre Abneigung nicht auch auf eine handgreifliche Weise zu erkennen gegeben haben würden, wenn es nicht eine allgemeine Rede gewesen wäre, daß es der Hans mit Dreien (Andere sagten, mit Sechsen) aufnehme, und der Bäcker Heinz, mit dem aus anderen Gründen auch Niemand gern anbinden mochte, ihm nicht so die Stange gehalten hätte.

Und das war noch nicht das Schlimmste; aber von der Grete während der ganzen Zeit nichts zu sehen und zu hören – das konnte der Hans nicht, wie das Andere, auf die leichte Achsel nehmen – das drückte schwer, schwerer, als der schwerste Holzkloben. Seit jener Nacht hatte das Lämpchen in Grete's Küche nicht ein einziges Mal von der bestimmten Stelle aus geleuchtet. Hans wußte nicht, wieviel Ursache Grete hatte, sich vor dem argwöhnischen Vater und den schadenfrohen Nachbarn in Acht zu nehmen, und wenn auch, dachte Hans, wer nicht wagt, nicht gewinnt; ich habe auch Grund genug, aufzupassen, und riskire wohl noch mehr, als die Grete; aber das sollte mir fehlen, daß ich mich dadurch ins Bockshorn jagen ließe!

Hans war anfänglich sehr unwillig auf die Müllern, seine Abmietherin, gewesen, daß sie geschwatzt, und hatte ihr auch gleich kündigen wollen, da der Monat just zu Ende war und die Frau diesmal so wenig zahlen konnte, wie den vorigen Monat. Aber als er im Begriff war, das Weib fortzuschicken, vermochte er es nicht – wo sollte sie hin? Keiner würde sie nehmen; hier wohnten sie wenigstens trocken und er hatte sich schon vorgenommen, ihnen zum Winter das Raff- und Leseholz, das der großmüthige Herr Heinz ihm überlassen, zu geben; überdies war das Jüngste, das der große Hans, weil es so lächerlich klein war, am liebsten hatte, krank geworden. So fing denn Hans von was Anderem an zu sprechen und schenkte ihr ein paar Groschen, da sie, wie gewöhnlich, wieder keinen Pfennig im Hause hatte. Sie wird schon nicht wieder schwätzen, wenn ich ihr sage, daß sie mir dadurch Ungelegenheiten gemacht hat, dachte Hans; ja er überlegte schon, ob er die Frau Müller, die, als halbe Bettlerin, sich leicht Zugang zu allen Häusern verschaffen konnte, nicht mit einer Botschaft an Grete betrauen solle, als er von Grete Nachricht erhielt, und zwar durch Jemand, von dem er es am allerwenigsten erwartet hatte.

Dies war nämlich Niemand anders, als der Pantoffel-Claus, der außer seinen Strohpantoffeln auch Körbe, Matten, die er aus einer jenseits des Waldes belegenen Fabrik bezog, zu verkaufen hatte, und ebenfalls viel in die Häuser kam. Der begegnete eines Tages, wiederum mit dem leeren Wagen, also auf seiner Fahrt in die Fabrik, dem Hans, der oben auf dem Nachhausewege seine Noth mit dem neuen Schimmel hatte. Der Schimmel, ein junges, unbändiges Thier aus der Ebene, empfand eine unüberwindliche Scheu vor allen steilen Wegen bergab, vermuthlich weil er der Sicherheit des Hemmschuhs an dem hinter ihm her schurrenden schwer beladenen Wagen nicht traute, und in Folge dessen die so schon große Schwierigkeit derartiger Passagen durch eine entschiedene Neigung durchzugehen noch wesentlich vermehrte.

Ein bös Stück Arbeit, Hans, sagte der Pantoffel-Claus, indem er die zerrissene Decke, die er des Regens wegen über den Kopf gezogen hatte, ein wenig lüftete.

Hans, der den schlimmen Traum noch nicht vergessen und sich überdies eben erst über den jetzt mit schnaubenden Nüstern und fliegenden Weichen dastehenden Schimmel zu sehr geärgert hatte, war durchaus nicht in der Stimmung zu einer Unterhaltung. Er brummte deßhalb etwas vor sich hin, das jedenfalls keine Aufmunterung für den Pantoffel-Claus enthielt, die angefangene Konversation fortzusetzen.

Nichtsdestoweniger mußte es der alte Mann so verstanden haben; denn er zog seine kurze Pfeife unter dem Rock hervor, setzte dieselbe in Brand und sagte noch einmal:

Eine böse Arbeit, Hans; wird aber gut bezahlt?

Ich frage Euch nicht, was Euch Eure Arbeit einbringt, erwiderte Hans grob.

Nu, nu, nichts für ungut, sagte der Alte; was meine Arbeit einbringt, das ist bald herausgerechnet: an jedem Paar Pantoffeln habe ich zwei Pfennige, an jeder Decke drei, und brauche die ganze Woche, bis ich meinen Wagen verkauft habe – das ist nicht genug zum Leben, aber just genug zum Verhungern, und würde auch schon lange verhungert sein, wenn nicht manchmal so ein kleiner Nebenverdienst den Kohl ein Bißchen fetter machte.

So, sagte Hans.

Ja, sagte der Pantoffel-Claus; solltest Dir auch einen Nebenverdienst machen, Hans; ja, das solltest Du.

Wüßt' nicht, wie ich das anzufangen hätte, brummte Hans.

Nu, das fände sich schon, sagte der Alte, nachdenklich vor sich hin rauchend, das fände sich schon, und der Claus ist schon der Mann, einem braven Kerl einen Verdienst zuzuwenden. Hab' Deinem Vater auch manchen Groschen zu verdienen gegeben, Hans; ja, das hab' ich.

So, sagte Hans.

Ja, ja, fuhr der Pantoffel-Claus fort, manchen Groschen. Ja, er konnt's brauchen und Du wirst's auch brauchen können, Hans.

Wie meint Ihr das?

Nu, ich meine nur, ein so schmucker Bursche wird doch nicht ledig bleiben wollen, wie ich alter Wechselbalg, aus dem sich die Mädel nie was gemacht haben, und eine Frau, Hans, und Kinder, Hans, die kosten viel Geld, viel Geld.

Und der Alte schüttelte bedenklich den Kopf, daß das Regenwasser aus der Decke ihm auf die Nase tropfte.

Ich werde auch ledig bleiben, sagte Hans, in melancholischer Erinnerung der schlechten Grete, von der er seit acht Tagen nichts gehört und gesehen hatte.

Das wäre, Hans, das wäre! sagte der Pantoffel-Claus, und dabei rauchte er nachdenklicher, als je. Freilich, Du hast mir noch keine Strohdecken abgekauft und sie der Grete ins Haus geschickt, wie der Jakob Körner heut Morgen.

Was sagt Ihr? rief Hans und riß den Schimmel, der sich mittlerweile erholt hatte und ungeduldig zu werden begann, heftig am Zügel zurück.

Ja, ja, sagte der Claus, immer gerade vor sich hin rauchend, heut Morgen; es waren meine letzten und theuersten, die ich nicht hatte loswerden können. Da kommt der Jakob vorbei, als ich eben vor der Schenke abfahren will, und fängt an zu handeln; dauerte lange, bis wir einig wurden. Hier hast Du noch einen Groschen, Claus, sagte der Jakob drauf und suchte in der Westentasche, und nun fahre damit zum Schulmeister und mach' ein Compliment von mir und das schickte ich Mamsell Greten. Oho, dachte ich, Mamsell Greten! schaust Du so aus? sagte aber nichts und fuhr vor des Schulmeisters Haus. Der war in der Schule, ja, der war in der Schule! Na, Hans, der Schimmel will nicht mehr stehen, und ich muß machen, daß ich noch im Schummer über den Berg komme. Gott befohlen, Hans!

Der Alte pfiff seinen Hunden, die sich unterdessen, in Anbetracht wahrscheinlich, daß sie nasser doch nicht werden könnten, als sie schon waren, auf dem Weg mitten in die rinnenden Wasser gelegt hatten.

Der Schimmel steht schon noch ein Weilchen, sagte Hans.

Hab' auch nicht mehr viel zu erzählen, sagte der Alte, indem er an den Strängen, die sich verwirrt hatten, zu knüpfen begann; traf das Jüngferchen allein und richtete meine Botschaft aus. Dachte, ein schön Dank zu bekommen als Botenlohn und ein Butterbrot und einen Schnaps; statt dessen fängt das Jüngferchen an zu heulen, daß sich Gott erbarm, und wirft mir meine schönen Decken auf die Erde, als wenn's alte Strohwische wären, und heult immer fort. Na, dacht' ich in meinem Sinn, das schaut bös aus; möcht' nicht der Pfaffe sein, der darüber Amen sagt! Guten Abend, Hans, komm gut nach Haus.

Die Hunde zogen an; einer bellte auch ein wenig, vor Freuden, daß es endlich vorwärts ging, wurde aber für diese unzeitige Regung vom Alten mit einem derben Hieb bestraft; ein paar Augenblicke darauf war der Hans wieder allein und setzte in großer Nachdenklichkeit seinen mühevollen Weg bergab nach Hause fort. Ein paar Mal lachte er behaglich, und das war, so oft er sich das Bild ausmalte, wie Grete die Strohdecken in die Ecke warf, während er selbst, zur Vervollständigung dieses Bildes, Herrn Jakob Körner sehr unsanft auf eben diesen Decken zum Sitzen brachte. Alles in Allem aber hatte ihn doch die Unterredung mit dem Pantoffel-Claus viel mehr mit Unruhe als mit Freude erfüllt. Das Präsent wollte ihm nicht wieder aus dem Sinn, und er fragte sich, ob Grete sich nicht nach und nach an den Anblick der Strohdecken gewöhnen würde. Ein Mädchen sei doch eben ein Mädchen, und ein reicher Freier – Himmelhöllenelement, Schimmel, verdammter, wirst endlich einmal Frieden halten!

Als er nach Hause kam, hatte es zu regnen aufgehört, und man konnte nach dem Abendbrot die lange unterbrochene Arbeit des Flachsklopfens auf den trocken gewischten Steinstufen vor der Hausthür wieder aufnehmen. Hans stand, mit seiner geliebten Pfeife im Munde, und sah den Mädchen zu; die Hoffnung, Grete unter den Pappeln zu treffen, hatte er, nach so vielen vergeblichen Versuchen, vorläufig aufgegeben. Die Mädchen schwätzten, Meister Heinz lehnte, die Hände in den Taschen, in der Thür und ventilirte mit Hans das nicht mehr ganz neue Thema, ob man nicht besser thäte, den alten Fuchs wieder einzuspannen, bis der Schimmel sich mehr an diese Art der Arbeit gewöhnt habe. Da kam Herr Jakob aus seinem Hause quer über die Straße. Als er die Gruppe vor des Bäckers Thür bemerkte, stutzte er, schritt aber dann doch mit einem kurzen »Guten Abend« vorüber in die Nebengasse. Er hielt etwas in der rechten Hand, das man bei der Dämmerung nicht wohl erkennen konnte, um so mehr, als er es im Vorüberschreiten in die linke nahm.

Die Mädchen kicherten; Hans hörte, wie die Anne sagte: Der geht zu seinem Schatz, und Lisbeth, die zweite: Hast Du den großmächtigen Strauß nicht gesehen? und die dritte, Anne Kathrin: Nu wird's ja wohl richtig sein. Dann ging das Kichern wieder an.

Hans lag es wie eine Centnerlast auf der Brust; er hörte gar nicht mehr, was der Bäcker sagte. Es zuckte ihm in allen Gliedern, dem Jakob nachzulaufen und ihn rechts oder links in den großen oder in den kleinen Teich zu werfen; aber er hatte keinen Vorwand, fortzukommen, und dann fiel ihm plötzlich ein, weshalb er nicht, während die Grete mit ihrem Schatz schön thue, mit den Bäcker-Mädels lustig sein solle? Er stellte sich vor sie hin und fing an, sich mit der Anne zu necken. Die Anne verlangte nichts Besseres, und bald war es ein Lachen und Gekreisch, daß man's weit in die Gasse hinein hörte. Der Alte stand daneben und lächelte sein mehligstes Lächeln. Hernach erzählte der Hans aus seinem Soldatenleben die köstlichsten Manövergeschichten, in denen es manchmal so bunt herging, daß die Mädchen sich die Ohren zuhielten, oder wenigstens so thaten, und Meister Heinz sich die Fäuste in die Seiten stämmte. Sie waren noch im besten Gange, als Herr Jakob Körner zurück kam. Die übermüthige Anne rief ihm zu, ob er vielleicht einen Strauß verloren habe, sie habe einen gefunden. Das gab denn wieder einen gewaltigen Jubel, in welchen am lautesten Hans einstimmte. Endlich fing es wieder an zu regnen; Hans ging nach Hause, nachdem er den Mädchen den Flachs ins Haus getragen und bei der Gelegenheit der Anne, die in der Eile und der Dunkelheit ihm gerade in die Arme gelaufen war, einen Kuß gegeben hatte. Das war mal ein vergnügter Abend, sagte Hans.



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