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V.

Während Hans sich in seinem Dienst über nichts zu beklagen Ursache fand und ganz glücklich gewesen sein würde, wenn er nur Grete öfter hätte sehen und sprechen können, hatte Grete selbst eine desto schwerere Zeit erlebt. Der Vater war ganz außer sich gewesen, als es dem Hans wider alles Erwarten nun doch gelungen war, einen Dienst im Dorf zu bekommen, und noch dazu bei einem so ansehnlichen Manne, wie der Bäcker Heinz. Er hatte die häßlichsten, giftigsten Reden wider den Hans geführt, und Grete hatte nicht zu widersprechen gewagt, aus Furcht, den Vater, der ja so schon kränklich und gallig war, noch mehr aufzubringen; aber diese Reden hören zu müssen: vom verlorenen Sohn, für den die Träber Treber: die bei der Bierherstellung anfallenden Rückstände des Braumalzes. noch viel zu gut seien, von dem Unkraut, das abgehauen und in den Ofen geworfen werde, von dem räudigen Schaf, das die ganze Heerde in Gefahr bringe – das war doch hart, zumal der Herr Pfarrer ganz in den Ton einstimmte. Der Herr Pfarrer war ein noch junger Mann und erst ein paar Jahre im Dorf. Er war sehr häßlich, klein und dünn und schief, hatte nur ein Auge und trug eine große blaue Brille; aber er war ein sehr eifriger Herr, und ganz erschrecklich war es anzusehen und anzuhören, wenn er des Sonntags auf der Kanzel in seinem Eifer mit den Armen in der Luft focht und auf dem Pult trommelte und dazu in den höchsten Tönen von der ewigen Verdammniß sprach. Auch hatte er Betstunden eingeführt und wollte von keinen Lustbarkeiten wissen, die mehr oder weniger alle vom Teufel erfunden seien. Deßhalb hatte er auch gleich einen so großen Haß auf den Hans geworfen, den er noch gar nicht gekannt hatte, weil Hans auf der Burschen-Kirmeß der Rädelsführer und Hauptmann gewesen war. Grete, die immer mit in die Betstunden mußte, und auch sonst manchmal in das Pfarrhaus zur Frau Pfarrerin kam – einer noch jungen, aber bleichen und grämlichen Frau, die nicht minder fromm und unduldsam war, als ihr Gatte – bekam so viel von der Welt Lust und der Welt Sünde zu hören, daß sie manchmal gar nicht begreifen konnte, wie der liebe Gott nur immer noch seine Sonne auf sie könne scheinen lassen, da sie einem Menschen, der so schlecht sein sollte, wie der Hans, trotz alledem, noch immer von Herzen gut war, ja, der ihr, je mehr sie auf ihn schalten, nur immer lieber und theurer wurde.

Freilich, sie fingen's auch darnach an, ein so herzensgutes, treues Geschöpf von ihrer Liebe abzubringen! Sollte sie ihn nun auch noch verlassen, da er Niemand hatte, der für ihn sprach und sich seiner annahm? Sie hatte ihn nach Allem gefragt, was sie ihm Böses nachsagten: ob er wirklich, wenn er mit den anderen Burschen des Abends Kegel spiele, so viel tränke und lärme, daß es ein Aergerniß für den ruhigen Bauer sei? ob er wirklich hinter allen Mädchen herlaufe und der Christel aus der Schenke und Bäckers Anne die Ehe versprochen habe? ob er wirklich so schlecht und lässig arbeite, daß ihn der Bäcker schon wieder aus dem Dienst schicken wolle? ob er wirklich Jürgen Dietrichs Frau, die ihn an dem ersten Tag aus der Thür gewiesen, einen schrecklichen Drachen mit feuerrother Zunge und fürchterlichen Augen an die Hausthür gemalt habe? Hans hatte auf alle diese Fragen mit einem kräftigen Nein geantwortet und sich hoch und theuer verschworen, es sei an dem Allen kein wahres Wort; nur bei der letzten hatte er gestockt und dann gelacht und Grete den Mund mit einem Kuß stopfen wollen, und als sich Grete nicht küssen ließ und an zu weinen fing, ärgerlich gesagt: Nun ja, er habe der alten Habichtsnase ihr Bild an die Thür gemalt, und das habe sie reichlich verdient; wenn er aber gewußt hätte, daß Grete ein solches Lamento darüber machen würde, so würde er es nicht gethan haben, und auf alle Fälle wolle er es nicht wieder thun.

Wenn's dann dem Hans schien, daß Grete ihn für einmal just genug ausgefragt habe, fing er seinerseits an, sich auch ein Bischen um Grete's Angelegenheiten zu bekümmern, und sie drei Viertel im Scherz und ein Viertel im Ernst mit Herrn Körner zu necken, der ja jetzt so häufig bei ihrem Vater vorspreche und gewiß ein Kerl sei, dem alle Mädel gut sein müßten. Freilich, in seinem Regiment würde Herr Körner im dritten Gliede von der zwölften Kompagnie linker Flügelmann gewesen sein; aber es sei kein Töpflein je so klein, es finde doch sein Deckelein, besonders wenn das Töpflein ein rundes Bäuchlein habe, und das runde Bäuchlein mit blanken Speciesthalern gestopft sei. Grete gerieth jedesmal in großen Zorn, wenn Hans sich nicht schämte, so lästerlich zu reden, und sagte, sie hätte versprochen, ihm treu zu sein und lieber in den Teich zu springen, als einen Andern zu nehmen, und wenn er ihr nicht glaube und einem armen unglücklichen Mädchen das Herz noch schwerer mache, als es ihr schon sei, so thäte sie am besten, gleich auf der Stelle in den Teich zu laufen. Und dann hatte der Hans genug zu thun, die Grete mit guten Worten und mir Küssen wieder zu beruhigen.

Und doch hatte den Hans, wenn er so auf den Busch klopfte, der alle Finkler-Instinkt ganz richtig geführt. Herr Jakob Körner bewarb sich in dieser Zeit eifriger denn je um Grete; aber, wie sich das für einen stillen, bedächtigen Mann so ziemte, ganz in der Stille, ganz mit aller Bedächtigkeit und so, daß er sich in der heikligen Sache viel mehr an den Vater, als an die Tochter wandte. Er klagte dem Alten, wie er in seiner großen Wirthschaft ohne eine junge, wirthschaftliche Frau, wie die Grete eine zu werden verspräche, gar nicht mehr fertig werden könne, und fragte dann so nebenbei, ob dem Schulmeister wirklich mit dem Stück Wiese, das an seine Wiese grenze, gedient sei; er thue seinen Freunden gern einen Dienst, und es solle ihm nicht darauf ankommen, die anderthalb Morgen für einen billigen Preis zu verkaufen. Er behalte noch genug übrig; er sei ein bescheidener Mann, einer von denen, mit denen es sich gut auskommen lasse. Der Herr Schulmeister möge sich die Sache bedenken; Eile habe es gar nicht, er sei gewohnt zu warten.

Der Schulmeister hatte sich die Sache bedacht und gefunden, daß das ihm angebotene Stück Wiesenland den geforderten Preis unter Brüdern werth sei, daß aber, wenn Grete den Jakob heirathete, man gar nicht erst hinüber und herüber zu kaufen brauche, sondern Alles hübsch beisammen lassen könne, sintemalen Grete doch sein einziges Kind. Da Herr Jakob Körner, wie zu vermuthen stand, die Sache von demselben Punkte ansah und nur, wie es schien, vor lauter Bedächtigkeit nicht mit der Sprache heraus wollte, hatte der Schulmeister ihn etwas ermuthigen zu müssen geglaubt, und diese ermuthigende Unterredung hatte gerade an dem Abend, wo Hans die Grete vergeblich am Teiche erwartete, stattgefunden, zu Grete's größtem Kummer, die schier in Verzweiflung gerieth, als der Vater und Herr Körner heut gar kein Ende fanden, und sie endlich, als schlechterdings in dem Hause nichts mehr zu thun war, die Lampe aus dem Küchenfenster nehmen und sich zu den Männern in die Wohnstube setzen mußte. Da war denn das so lange und so leise geführte Gespräch plötzlich in's Stocken gekommen und hatte dann eine Wendung genommen, die wenig geeignet war, Grete für das gestörte Stelldichein zu entschädigen.

Herr Körner war gestern Abend in der Schenke gewesen, als der Förster Bostelmann den andächtig lauschenden Bauern erzählte, daß es seit vierzehn Tagen wieder auf dem Walde ein Kreuz und eine Plage sei mit denen schuftigen Wilddieben, und tausend Schock-Kreuz-Millionen-Donnerwetter auf die Häupter des oder der Uebelthäter herabfluchte. Denn Einer könne es schon nicht sein, wenigstens müsse er einen ganz ausgefeimten Helfershelfer haben. Das letzte Mal sei er zehn Minuten nachher auf dem Anschuß gewesen; das Thier müsse unter dem Feuer gefallen und sogleich ausgeweidet sein, er habe das Gescheide noch warm gefunden. Aber von den Dieben und von dem Wild weiter keine Spur, und doch sei kein Mensch im Stande, einen Zehnender von der Größe so schnell davonzutragen, es müßte denn ein Riese sein, wie er keinen kenne. Aber es sei ganz dieselbe Geschichte, wie damals, als der alte Winzig noch sein sauberes Handwerk trieb; man habe die alten Schliche und Praktiken noch nicht verlernt. – Sie, die Anwesenden hätten sich Alle angesehen; aber Keiner habe sich die Zunge verbrennen wollen, und der Förster habe auch alsbald wieder sein Gewehr auf den Buckel genommen und sei Hals über Kopf davon gelaufen, weil er überzeugt gewesen sei, daß es heut Nacht wieder losgehe.

So erzählte Herr Körner in seiner langsamen Weise, und sah dabei den Vater an, und der Vater sah den Körner an, just so wie die Bauern in der Schenke bei der Erzählung des Herrn Bostelmann sich angesehen haben sollten, daß es der Grete kalt über den Rücken lief. Großer Gott, was konnten sie meinen? Konnten sie so grausam sein, dem armen Hans auch das noch in die Schuhe zu schieben?

Grete saß und strickte und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, ja kaum zu athmen, in der Furcht, jetzt, jetzt würde das Schreckliche kommen und sie es sagen, daß es der Hans und kein Anderer gewesen sei. Wer sie sagten nichts, und Herr Körner stand endlich auf und ging.

Der Vater leuchtete ihm aus der Hausthür, die er verschloß, und kam dann in die Stube zurück. Grete saß noch immer in derselben Stellung, die Augen auf das Strickzeug geheftet, dessen Nadeln mehr als nöthig klapperten. Der Alte ging ein paar Mal in der kleinen Stube auf und ab; Grete drückte es fast das Herz ab; sie dachte, sie müßte sterben, wenn sie es sagte, und endlich sagte sie es doch; aber es klang ihr, als ob gar nicht sie es gesagt hätte.

Vater, Du glaubst doch nicht, daß er es gewesen ist?

Frag' ihn doch selbst! rief der Alte zornig und ging in seine Kammer nebenan. Grete hörte, daß er sich zu Bett legte.

Sie saß noch eine Weile und weinte still vor sich hin. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und ging auf ihre Kammer. Die Lampe hatte sie unten ausgelöscht; sie mußte stets im Dunkeln zu Bett gehen, wie es der Vater auch that. Jetzt noch zu versuchen, den Hans am Teich zu treffen, wagte sie heute nicht; es war überdies schon zu spät. Wenn sie gewußt hätte, daß er wirklich in diesem Augenblicke noch draußen ihrer harrte, sie hätte doch aller Gefahr getrotzt, wäre zu ihm geeilt, um ihm zu sagen, daß man sich jetzt noch viel Schrecklicheres als vorher von ihm erzähle, und ihn bei Gottes Barmherzigkeit zu bitten, wenn er wirklich je auch nur einen so sündhaften Gedanken gehabt habe, in sich zu gehen und ihr das nicht anzuthun, daß man mit Recht sagen könne, der Hans ist kein ehrlicher Mensch mehr und kein ehrliches Mädchen darf sich mit ihm abgeben. Dann fiel ihr die Antwort, die ihr der Vater auf ihre Frage gegeben, schwer auf's Herz: Frag' ihn selber! Hatte der Vater einen Verdacht, hatte er nur eine Ahnung von den Zusammenkünften am Teich unter den schwätzenden Pappeln? Grete saß hochauf in ihrem Bett, als ihr dieser Gedanke kam, und sie fiel gleich auf ihr erstes Auskunftsmittel in allen ihren Nöthen: wenn der Vater wirklich dahintergekommen sei, sofort in den Teich, aber bis mitten in den Teich, wo er am tiefsten sei, zu laufen. Doch mußte sie sich nach reiflicher Ueberlegung sagen, daß sie sich nach dieser Seite hin unnöthig ängstige. Sie war nur immer zum Stelldichein gegangen, wenn der Vater des Abends mit dem Herrn Pastor, der Frau Pastorin und dem frommen Werkführer aus der Porzellanfabrik sein Quartett hatte oder sonst auf mehrere Stunden sicher vom Hause war. Christel konnte auch nichts gesehen haben; denn wenn man Christel Abends um acht Uhr sagte: Christel, Du kannst zu Bett gehen – konnte man fünf Minuten später Christel mitsammt dem Bett forttragen, ohne daß sie's gemerkt hätte.

Trotzdem konnte sich Grete nicht beruhigen. Immer neue Schreckenbilder drängten sich zu ihr und hielten sie wach, trotzdem sie ein Vaterunser nach dem andern betete; endlich konnte sie es vor Angst gar nicht mehr aushalten, sprang auf und öffnete das Fensterchen ihrer Kammer, um mindestens ein wenig frische Luft zu haben.

Die Nacht war dunkel und windig; die schwarzen Wolken trieben schnell unter der schmalen Mondsichel, die eben über dem Landgrafenberg stand. Grete durchschauerte es vor Frost und Furcht. Aus dem Gespräch ihres Vaters mit Herrn Körner fiel ihr allerlei ein: eine dunkle Nacht, wie heut, mit ein wenig Mondschein, das ist so die rechte Nacht für das Gesindel.

Da fiel ein Schuß – oben in der Landgrafenschlucht! Und jetzt noch einer! Ach, du guter Gott! schrie Grete, warf das Fenster zu und stürzte auf ihr Bett. Ach, du guter, guter Gott! Das ist gewiß der Hans gewesen!



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