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III.

Am nächsten Tage in aller Frühe hatte die Arbeit wieder begonnen. Alles war draußen auf dem Felde oder im Walde; im Dorfe war's still, nur die Gänse schnatterten eifrig; die drei, die am Teich bivouakirt hatten, kamen mit lang ausgestreckten Hälsen eiligst herangewackelt aus der Nebengasse auf die Hauptgasse zu den andern, von denen sie scharf ausgefragt wurden. Es gab eine lange Conversation.

In der Schenke, wo alle Fenster aufstanden, scheuerte man die Bänke und Tische; es war ein großes Gepolter, zwischendurch hörte man die keifende Stimme der Wirthin. In der ebenfalls weit geöffneten Hausthür, an den Pfosten gelehnt, stand Hans. Er hatte noch die Feldmütze auf, sonst aber war er angezogen, wie die Knechte hier zu Lande: grobe blaue Blouse, grauleinene Beinkleider. Im Mund hielt er die kurze Pfeife, aber sie war ihm schon seit ein paar Minuten ausgegangen, ohne daß er's gemerkt hatte. Das passirte ihm selten; aber er war heut Morgen in einer besondern Stimmung, und nicht gerade in einer angenehmen.

Er hatte sich gestern Abend auf seine Kammer stehlen wollen, als er von der Unterredung mit Grete in die Schenke zurückgekommen war; aber die Anderen hatten ihn gesehen und ihn wieder in den Tanzsaal gezogen. Er hatte nicht trinken wollen, aber er war so durstig gewesen, wie auf einem Manövermarsch in der Sommerhitze; er hatte denn doch getrunken und viel getrunken, und hatte getollt und gelärmt. – Wenn ihn Grete so gesehen hätte!

Nun war es ihm so wüst im Kopf, und er mußte doch gerade heut seinen Kopf zusammennehmen! Er hatte der Grete versprochen, noch heute in einen Dienst zu kommen. Das war ihm gestern so leicht erschienen; mit allen zehn Fingern würden sie nach ihm greifen! Heut sah das Ding ganz anders aus. Da stand er; es konnte ihn haben, wer wollte; aber es kümmerte sich Keiner um ihn, so groß und stark er auch war. Alle Burschen waren draußen bei der Arbeit, er der einzig Müßige im ganzen Dorf!

Zu wem sollte er gehen?

Er blickte nachdenklich zu dem Hause des Kaufmanns hinüber. Herr Wesemeier hatte viel Acker und es gab auch sonst genug in dem Hause zu thun; aber zu dem alten Kerl zu ziehen, den das ganze Dorf als einen Filz kannte!

Hans that ein Paar Züge aus der ausgegangenen Pfeife. Das schmeckt so bitter, wie der Gedanke, bei Herrn Wesemeier Acker- oder Hausknecht zu werden.

Dem Hause des Kaufmanns schräg gegenüber lag das des Bauern, oder, wie er sich lieber nennen hörte, des Oekonomen Jakob Körner. Die Straße machte da eine Biegung, so konnte es Hans gut genug sehen; die grünen Fensterläden und die Laube von wildem Wein neben der Thür und weiterhin das große Einfahrtthor, dessen beide Flügel aufstanden. Herr Körner war nächst dem Besitzer der Porzellanfabrik der reichste Mann im Dorf, auch sollte er guten Lohn zahlen; aber, aber – der Körner war es gewesen, der so schlecht von ihm gesprochen, und das hatte er nur gethan, um ihn bei Grete anzuschwärzen, die er selbst gar zu gern gefreit hätte. Und zu dem sollte er in Lohn und Brot gehen! Lieber noch in die Fabrik.

Hans nahm die Pfeife aus dem linken Mundwinkel in den rechten und schielte nach den Fabrikdächern, die man von hier aus zwischen den großen Kastanienbäumen hindurch sehen konnte. Die Fabrikarbeiter wurden besser bezahlt als die Ackerknechte, aber sie standen weit tiefer im Ansehen, nicht einmal so hoch wie die Arbeiter in den Braunkohlengruben, und ein flotter Dienst mußte es doch sein, zu dem sich ein so flotter Bursch herbeiließ, der Flügelmann von der ersten Kompagnie im ersten Bataillon des zweiten Garde-Regiments gewesen war und jetzt Unteroffizier sein könnte, wenn er sich hätte entschließen mögen, zu kapituliren, was er doch nur um Grete's halber nicht gethan hatte.

Hans nahm die Pfeife wieder in den linken Mundwinkel.

Wer blieb nun noch? Da war der Jürgen Dietrich – der hatte das böseste Weib im Dorf; der Jakob Lipke – den hatte er zu oft geprügelt, als sie noch zusammen in die Schule gingen; der Hans Eisbein, der Schulze – den hatte der Vater nächst seinem Schwager, dem Schulmeister, immer seinen schlimmsten Feind genannt.

Ja, wer blieb nun noch außer dem Bäcker Heinz?

Der Bäcker schritt eben vor seiner Scheune in blaugrauer mehlbetupfter Jacke, eben solchen Beinkleidern und Holzpantoffeln quer über die Straße, langsam, wie es seine Gewohnheit war, nach seinem Hause. Hans steckte die Pfeife in die Tasche, schritt dem Bäcker nach und holte ihn ein, als er eben einen Pantoffel auf seine Schwelle setzte.

Mit Verlaub, Herr Heinz, sagte Haus und faßte militärisch an seine Mütze.

Der Bäcker wandte langsam den Kopf um.

Was willst Du?

Mit Verlaub, Herr Heinz, sagte Hans noch einmal und räusperte sich; ich wollte fragen, ob ich, da Euer August doch nun hat Soldat werden müssen, bei Euch als Knecht ankommen kann?

Der Bäcker schob sich die breitschirmige Mütze ein wenig aus der Stirn, um bequemer zu dem langen Hans hinaufsehen zu können, und sagte:

Wann sollte das sein?

Gleich, wenn Ihr wollt.

Der Bäcker schob die Mütze noch ein wenig höher; ein böses Lächeln zog um seine dicken Lippen und langsam sagte er:

Das ist mir zu bald, Hans; Du mußt schon so lange warten, bis ich die größten Semmeln auf dem Walde backe.

Damit ging er ins Haus, ohne sich nur einmal nach Hans umzusehen.

Hans rückte sich die Mütze aus der Stirn, wie vorhin der Bäcker. Er wäre dem Bäcker, der auf seinem Flur stehen geblieben war und die frischen Brote zählte, die der Lehrling aus dem Backhause herbeitrug und neben einander in ein Bört stellte, gern nachgegangen, um ihm die staubige Jacke auszuklopfen; aber dazu fand sich auch wohl später noch die Zeit.

Er machte auf dem Absatze kehrt und fing an, langsam die Straße hinab zu gehen. Die Hände legte er auf den Rücken und gab sich überhaupt Mühe, ein recht sorgloses Gesicht zu machen; aber so leicht ihm das sonst wurde, heut gelang es ihm nicht. Er fühlte das selbst und sagte, um sich zu entschuldigen: Wenn's nicht um der Grete willen wäre, was machte ich mir daraus? Nun muß ich schon in den sauren Apfel beißen; und die Anderen werden gescheiter sein und einen Kerl, wie mich, nicht von der Thür weisen, und dem groben Heinz, dem will ich's schon eintränken.

Der kurze, krummbeinige Jakob Körner trat eben in seine Thür, als Hans vorbei ging. Hans blickte auf die andere Seite und begann zu pfeifen: »Wenn die Büchsen, Büchsen knallen.«

Hans! rief Herr Körner mit seiner pelzigen Stimme.

Was giebts? fragte Hans, mitten auf der Straße stehen bleibend, ohne den Kopf mehr zu bewegen, als wenn im Gliede: »Augen links!« kommandirt wird.

Hast Du schon einen Dienst, Hans?

Noch nicht.

Willst Du zu mir ziehen? Ich brauche Einen.

Aber nicht Einen, der immer halb oder ganz betrunken ist.

Als Hans das gesagt, nahm er wieder Augen rechts und schritt weiter, sehr stolz über seine Antwort und zugleich sehr unruhig. Abgetrumpft hatte er ihn, den dicken, aufgeblasenen Kerl, regelrecht abgetrumpft, aber auch zugleich den besten Dienst im ganzen Dorf ausgeschlagen. Es überkam ihn, wie er so langsam die Straße hinab ging, immer seinem Schatten nach, den die Sonne endlos lang ihm voraus warf, als ob er eben eine Dummheit begangen habe, eine rechte, meilenlange, schwarze, ungeschickte Dummheit. Aber, sagte er dann wieder, warum hab ich's gethan? Doch nur um Grete's halber. Sie wird mir Recht geben, wenn ich es ihr erzähle, und es wohnen ja auch noch mehr Leute im Dorf, außer dem Jakob Körner.

Dies war eine unbestreitbare Wahrheit; leider nur stellte es sich im Laufe der nächsten Stunden immer mehr heraus, daß unter diesen Leuten kein Einziger war, welcher für das Glück, einen Kerl, wie den Hans, in Dienst zu bekommen, auch nur das geringste Verständniß gezeigt hätte. Jürgen Dietrichs böses Weib warf ihm beinahe den Waschzuber an den Kopf, daß so ein Tagedieb, so ein Allerweltsnarr, so ein Trunkenbold es nur wagte, in ihr reinliches Haus zu kommen; Jakob Lipke meinte, er brauche schon Jemand, aber nicht Einen, der zwei Jahre lang auf der Faulbank gelegen habe; Hans Eisbein, der Schulze, sagte, er sei ein alter Mann, und da möge der Hans entschuldigen, wenn er noch etwas altfränkische Ansichten habe und sich an den alten Spruch halte, daß der Apfel nicht weit vom Stamme falle. Man wisse in der Gemeinde noch zu wohl, was für eine Sorte Vogel Hans' Vater gewesen sei. Er habe dem Hans freilich nichts zu befehlen; Hans sei ja jetzt großjährig und könne thun und lassen, was er wolle. Wenn er ihm aber einen Rath geben dürfe, so meine er, Hans solle das alte Häuschen am Teich, das ja doch über kurz oder lang zusammenfalle, verkaufen und mit den paar Thalern, die dabei doch wohl noch heraus kämen, sein Glück anderwärts versuchen; hier am Orte sei nun schon einmal nicht der rechte Platz für ihn.

Hans sagte, er sei dem Herrn Schulzen sehr dankbar für den guten Rath, aber da der Herr Schulze selbst zugegeben habe, daß er (der Hans) thun und lassen könne, was er wolle, so wolle er thun, was ihm beliebe, und dem Herrn Schulzen gesegnete Mahlzeit wünschen.

Es war nämlich, da Hans zwischen jedem seiner Gänge hinter einer Scheune oder Hecke oder sonst in einem stillen Winkel stundenlangen Rath mit sich gepflogen hatte, zu wem er demnächst gehen solle, der Mittag herbei gekommen. Hans verspürte großen Hunger, denn er war ein gewaltiger Esser und der Magen war ihm von gestern, wo er viel mehr getrunken als gegessen hatte, schrecklich leer; aber er schämte sich, unverrichteter Sache in die Schenke zurückzukehren und den Wirthsleuten erzählen zu müssen, daß kein Mensch im Dorf den Hans haben wolle.

Aber vor dem Dorf! Hans schlug ein Schnippchen vor Freude über den guten Einfall, der ihm jetzt kam. Vor dem Dorf lag ja noch die erst kürzlich eingerichtete Posthalterei, die der Außenbauer Ernst Repke gepachtet hatte. Der Repke war freilich ein wenig verrufen und hatte es niemals recht mit den anderen Bauern gehalten; aber vielleicht war er gerade deßhalb der rechte Mann für einen Burschen, mit dem es die Anderen auch nicht halten wollten.

So ging denn der Hans zum Dorf hinaus, aber nicht auf der großen Straße, sondern hinten herum in dem Wiesengrund, aus dem man, durch einen mit jungen Tannen bestandenen Camp allmälig aufsteigend, zu dem Gehöft gelangte, das wieder an der großen Straße lag. Es war ein sehr großes Gehöft, denn Ernst Repke hatte auch eine Ziegelei und eine Knochenmühle außer seiner Ackerwirthschaft, und nun neuerdings auch die Posthalterei. Vielleicht war es gerade diese Vielgeschäftigkeit, die dem Manne in den Augen der Anderen schadete. Wenigstens redete Hans sich das vor, obgleich es ihm, als er auf den großen Hof trat, ordentlich schwer auf das Herz fiel. So düster und unfreundlich waren die Gebäude, die halbkahlen Pappeln, war Alles; aus dem langen Schornstein der Knochenmühle wälzte sich ein dicker schwarzer Rauch langsam über das Gehöft, die Sonne zum Theil verdunkelnd. Kein menschliches Wesen ließ sich blicken, nur ein schmutziger Spitz bellte wüthend den Hans an, bis ein häßliches Weib, das sich den Kopf mit einem Tuch verbunden hatte und sehr krank und vernachlässigt aussah, in der Thür erschien und Hans fragte, was er wolle. Hans brachte sein Anliegen vor. Es ist möglich, sagte die Frau; aber mein Mann ist in die Stadt gefahren und wird vor Abend kaum wiederkommen.

Ich will auf ihn warten, sagte Hans. Meinetwegen, sagte die Frau und verschwand wieder in der Hausthür.

Hans ging und setzte sich unter einen offenen Schuppen, wo Tannenholz aufgeschichtet war. Auf dem Sägebock lag ein halb durchgeschnittener Kloben, die Säge stand daneben; es sah gerade aus, als ob Einer hier mitten aus der Arbeit weggelaufen sei.

So war's denn auch, wie Hans von einem Menschen, der mit einer Mulde Ziegelerde auf der Schulter über den Hof geschlürft kam, erfuhr. Herr Repke hatte sich mit dem Knecht, der ihm nicht flink genug gesägt hatte, erzürnt und ihn aus der Arbeit weg vom Hof gejagt.

Das trifft sich gut, dachte Hans, als der Mann mit der Mulde sich schlürfend entfernt hatte.

Aber freuen konnte sich Hans doch nicht. Wie er so auf dem Haublock saß und einer alten Katze zusah, die in einiger Entfernung von ihm regungslos, nur manchmal die Schwanzspitze leise bewegend, auf ihre Beute lauerte, fiel ihm nach und nach Alles ein, was er in früheren Jahren von den Leuten im Dorf über Herrn Repke hatte erzählen hören, daß er schon die dritte Frau habe und wohl wissen werde, woran die beiden Seligen gestorben seien, daß es auf dem Gehöft umgehe und Gespenster von allerlei Thieren und manchmal wohl auch von Menschen, die am Galgen gestorben, herbei kämen, sich um die Knochen, so in dem Schuppen neben der Mühle aufgespeichert lägen, zu zanken.

Hans blickte sich scheu um; die Katze machte einen Sprung unter das Holz, und ein feines, angstvolles Piepen drang zu seinem Ohr. Unter anderen Umständen würde er darüber gelacht haben, aber es war ihm gar nicht lächerlich zu Sinn; er war, als die Katze sprang, ordentlich vor Schreck zusammengefahren.

Auch der Hunger machte sich wieder geltend; er wollte nicht ins Haus gehen und um ein Stück Brot bitten.

Er nahm die Säge, legte sie in den halb durchgeschnittenen Kloben und sägte ihn vollends durch. Die Arbeit that ihm wohl. Er legte einen anderen Kloben auf und begann von Neuem. Das war wenigstens besser, als so still zu sitzen und sich von den häßlichen Gedanken quälen zu lassen. Es dauerte nicht lange, so hatte er das halbe Klafter, das sein Vorgänger übrig gelassen hatte, geschnitten, und da er die Arbeit doch nicht halb gethan haben wollte, nahm er das Beil, das er vorhin, um sich setzen zu können, aus dem Haublock gezogen hatte, und begann das Holz zu spalten. Es war keine leichte Arbeit, denn es waren meistens Aststücke; aber gerade das gefiel dem Hans, und es mußte schon ein sehr widerspenstiger Knorren sein, der nicht auseinander gesprungen wäre, wenn der Hans, Beil und Knorren hochoben in der Luft umkehrend, beide auf den Haublock herabschmetterte.

Dabei ließ sich während all' der Zeit kein Mensch auf dem Hofe sehen. Niemand schien neugierig, zu wissen, wer denn da die Arbeit des weggejagten Knechts so plötzlich wieder aufgenommen habe. Sie müssen das Rumoren hier sehr gewohnt sein, dachte Hans.

Eben hatte er wieder einen Knorren zu spalten, der eigensinniger war, als irgend einer seiner Vorgänger, Hans mußte dreimal ausholen, jedesmal stärker. Beim dritten Mal sprang der Knorren entzwei, aber auch der Stiel der Art und das Eisen fiel klirrend auf den Boden.

Was soll denn das bedeuten? fragte eine mürrische Stimme dicht hinter Hans.

Hans fuhr zusammen, als ob er ein kleiner Knabe gewesen wäre. Er hatte Niemand kommen hören; die Stimme schien aus der Erde zu schallen. Aber es war kein Gespenst, sondern der Besitzer des Hofes, der jetzt, als Hans sich umgedreht hatte, vor ihm stand und die Frage wiederholte.

Ich konnte nichts dafür, stotterte Hans.

Wer zum Teufel heißt Dich ungebeten hier den Knecht spielen? sagte Herr Repke, und dabei schossen seine schmalen grünen Augen funkelnde Blicke unter den buschigen Brauen auf den Hans; ich dulde keine fremden Menschen auf meinem Hof. Ich habe genug von Euch Bauerngesindel; hörst Du?

Ich bin nicht taub, sagte Hans, und Ihr schreit ja laut genug.

Dann schere Dich zum Teufel!

Soll ich ihm vielleicht einen Gruß von Euch ausrichten?

Wirst gehen? kreischte der Andere und erhob drohend seinen Stock.

Nehmt Euch in Acht, sagte Hans. Ihr seht, ich weiß mit groben Klötzen umzuspringen.

Hans schleuderte den spitz, der sich kläffend auf ihn stürzte, mit dem Fuß ein Dutzend Schritte weit fort und verließ den Hof auf demselben Wege, auf dem er gekommen.

Als er wieder in die jungen Tannen gelangte und sicher sein konnte, daß kein Mensch ihn sah, stand er still, wie Jemand, der etwas vergessen hat. Er hatte nichts vergessen; er wollte nur besser darüber nachdenken, wie dies denn eigentlich so gekommen sei. Aber je länger er darüber nachdachte, je weniger konnte er's finden. Es ist schon gerade, als ob es nicht sein sollte, sagte er bei sich, und ich machte mir auch gar nichts daraus, wenn's nicht der Grete halber wäre.

Weiter konnte er nichts denken, obgleich er noch immer auf demselben Fleck stand und auf dieselben Erdschwämme, die zwischen den jungen Tannen wuchsen, starrte, und es ihm vorkam, als habe er eigentlich eine Menge Dinge zu überlegen. Endlich fiel ihm ein, daß er sich so dumm im Kopfe fühle, das komme nothwendig davon, weil er den ganzen Tag noch nichts Rechtes gegessen habe; dazu die schwere Arbeit des Nachmittags!

Er hatte seit seinen Schultagen nicht wieder daran gedacht, aber jetzt fiel ihm die Geschichte von dem Esau ein, der sein Erstgeburtsrecht für ein Gericht Linsen verkaufte. Da ist nichts Besonderes daran, meinte er; er wird eben hungrig gewesen sein. Wenn mir Repke ein Stück Brot gegeben hätte, anstatt mich mit Grobheiten zu regaliren, hätte ich mich ihm auch verkauft. Freilich, es ist ein großes Glück, daß ich es nicht gethan habe.

Hans wiederholte sich mehrmals, daß dies ein großes Glück sei, und zog dabei seine Uhr hervor. Er hatte die Uhr heut Morgen nicht aufgezogen, wie er es sonst zu thun gewohnt war; die Uhr war stehen geblieben. Hast du auch nichts zu essen gehabt? fragte er die Uhr und schob sie wieder unter die Blouse in die Westentasche.

Hans schritt weiter; wie heut früh die Morgensonne, so warf jetzt die Abendsonne seinen Schatten weit vor ihm her, als er aus den jungen Tannen wieder in den Wiesengrund gelangte.

Ich wundre mich, daß ein Mensch, der nichts im Leibe hat, noch einen Schatten werfen kann, sagte Hans.

Drüben an dem anderen Rande des Wiesenthals trieb der alte taubstumme Kuhhirt die Heerde heim; die Sonne stand tief am Horizont, es mußte stark auf sieben Uhr gehen.

Der Tausend, sagte Hans, so spät schon! und beschleunigte seine Schritte, als ob er etwas versäumt hätte und nun wieder einbringen müßte.

Aber in die Schenke zu kommen, wo um diese Zeit immer ein größerer Verkehr stattfand, dazu hatte er noch immer Zeit genug; so ging er denn wieder langsamer und überlegte, wohin, wenn nicht in die Schenke?

Ich brauche ja gar nicht in die Schenke zu gehen; ich kann ja in meinem Hause bleiben; die Giebelstube steht ja leer, und von da kann ich über den Teich Gretchen sehen, wenn sie in den Garten kommt. Daß ich daran nicht früher gedacht habe! Ich weiß auch gar nicht, wo mir heut der Kopf steht.

Nun schritt Hans wieder schneller vorwärts, hielt sich aber stets am Rande der Wiese, in der Nähe des Holzes, und lenkte auch nicht, als er so weit war, auf die große Straße ein, sondern machte noch einen Umweg durch ein Stück Waldland und durch die Felder, um in eine kurze Nebengasse des Dorfes zu gelangen, die geradewegs auf sein Haus führte.

Groß und glänzend war das Haus eben nicht, selbst nicht für die bescheidenen Verhältnisse eines ***Dorfes. Alt war es, sehr alt, der Unterbau vor Allem, welcher aus unbehauenen Feldsteinen aufgeführt und nach dem Teich zu wohl zwölf Fuß hoch war, hatte leicht so ein vier oder fünf Jahrhunderte ausgehalten, freilich nicht, ohne mittlerweile bedenkliche Risse und Spalten bekommen zu haben. Die einstöckige Hütte, die auf diesem ehrwürdigen Fundament stand, war jedenfalls von bedeutend jüngerem Datum, aber dessenungeachtet in noch viel schlimmerem Zustande. Die dünnen Tannenbalken hatten sich nach allen Seiten gebogen, die Lehmfüllung war zum Theil herausgefallen, und man hatte die Löcher verstopft, wie's eben ging, ebenso wie die zerbrochenen Scheiben in den kleinen, schiefen Fenstern. Zu der Thür führte eine steile steinerne Stiege hinauf, und auf der Schwelle hockte eine Gruppe jämmerlich aussehender Kinder. Ein Junge von etwa zehn Jahren hielt auf dem Schooß ein ganz kleines, vollkommen nacktes Kind, in ein Stück Zeug gehüllt, das früher vielleicht ein Mantel gewesen war. Zwei kleine Mädchen von fünf bis sechs Jahren kauerten daneben. Sie warteten auf die Mutter, die auf dem Felde arbeitete.

Ihr seid auch wohl hungrig? fragte Hans.

Die Kinder antworteten nicht, als ob es sich gar nicht der Mühe verlohne, eine solche Frage zu bejahen.

Hans stieg mit seinen langen Beinen über die Kleinen weg und warf einen Blick in die Stube rechts. Sie kam ihm kleiner vor, als vor zwei Jahren, und doch war wenig genug darin: ein Bettchen für das Kleinste, eine Schütte Stroh für die größeren, vermuthlich auch für die Mutter, wenigstens war außerdem nichts vorhanden, was einem Bette auch nur entfernt ähnlich gesehen hätte. Dann war noch ein wackliger Tisch da, auf dem eine sorgsam ausgekratzte irdene Schüssel stand, und drei Stühle, von denen zwei umgeworfen waren. Das hatten gewiß die Kinder gethan, ebenso wie sie auch die Strohhalme aus dem Lager über die ganze Stube gezerrt hatten. Was sollten die armen Würmer vor lieber langer Weile machen? dachte Hans.

Auf dem Heerde, der den kleinen Hausflur noch mehr verengte, schien lange kein Feuer gebrannt zu haben; eine zerbrochene braune Kaffeekanne lag mitten in der spärlichen Asche – wegen gänzlicher Aufgabe des Geschäfts, wie sie in Berlin sagen, dachte Hans.

Er kletterte die schmale und steile Treppe hinauf, die zu dem Bodenraum führte. Die morschen Tritte knackten unter seiner Last. Ans dem Boden war nichts zu sehen, als oben die Löcher im Dach und unten die Ziegelscherben, die aus den Löchern herabgefallen waren. In einer Ecke lag eine kleine zerbrochene Armbrust. Hans erinnerte sich, daß der Vater sie ihm vor langen, langen Jahren gemacht hatte.

Die Thür nach dem kleinen Giebelzimmer war verschlossen; Hans kannte aber noch das Geheimniß, den Riegel auch ohne Schlüssel, vermittelst einer Messerklinge, die man durch eine schmale Spalte einführte, zurückzuschieben. Er hatte das als Junge oft genug exerzirt, in früheren Zeiten, als es ihnen noch besser ging und die Mutter, die damals noch lebte, das Winterobst und sonstige Vorräthe auf der Giebelstube aufzubewahren pflegte. Nach einigen Versuchen gelang ihm das Kunststück auch jetzt wieder.

Auch die Giebelstube war leer, bis auf einen ziemlich großen, bunt angestrichenen Schrank, den man nur stehen gelassen zu haben schien, weil er mit eisernen Klammern an der Wand befestigt war. Die Thüren aber hatte man mitgenommen; es war allerdings weder wenig noch viel in dem Schrank, das des Verschließens werth gewesen wäre. Außerdem war noch ein Schemel mit drei Beinen da, von denen zwei heraus fielen, als Hans ihn in die Höhe hob.

Ein Wunder war's nicht, daß das Ding so zusammengetrocknet war, denn die Kammer lag unmittelbar unter dem Dach und überdies nach Süd-West, so daß vom Mittag bis zum Abend die Sonne auf die dünne Giebelwand und durch die blinden Scheiben des Fensterchens brannte. Hans öffnete es – zum Entsetzen der Spinnen, die hier seit so langer Zeit ungestört gehaust hatten, und nicht ohne einige Mühe, denn es war arg verquollen.

Unter ihm lag der große Teich schon im Schatten, während der Himmel noch rosig angestrahlt war von der Sonne, die hinter den Bergen stand. Dadurch fiel auf die Häuser drüben ein undeutliches Licht. In des Schulmeisters Garten bewegte sich etwas, aber Hans konnte nicht erkennen, ob es Grete war, trotzdem die Entfernung nicht eben groß und er sich die Augen mit der Hand gegen die blendende Helligkeit schützte.

Zuletzt verschwamm Alles in einander, ja es wurde ihm ganz dunkel vor den Augen, und in den Ohren entstand ein sonderbares Sausen, wie er es noch nie gefühlt.

Das kommt von dem leeren Magen, sagte Hans, als er den Anfall glücklich überwunden hatte; ich kann doch nicht hier bleiben, wo selbst die Ratten und Mäuse nichts zu knabbern finden.

Er verließ die Kammer und tastete sich die Treppe hinab. Auf dem Flur traf er die Mutter der Kinder, die von der Arbeit gekommen war – ein hohläugiges, schmalbackiges, braunes Weib, das sofort anfing, ihm ihre Noth zu klagen: sie habe seit zwei Tagen schon kein Brot im Hause gehabt, und dabei solle sie noch die schwere Miethe aufbringen; sie wollte, sie läge, wie ihr Mann, im Grabe, und ihre vier Kinder daneben.

Hans zog sein Portemonnaie aus der Tasche – er hatte es einst in einer Spielbude gewonnen. Es enthielt noch einen harten Thaler und ein paar Silbergroschen. Er gab der Frau den Thaler und sagte ihr, sie solle ihm dafür eine Schütte frisches Stroh oben auf die Kammer legen und das Uebrige behalten; er werde in einer Stunde wiederkommen. Die Frau nahm das Geld, ohne auch nur zu danken. Hans verließ das Haus und wandte sich nach der Schenke.

Glücklicherweise traf Hans die Gaststube fast leer; nur der Pantoffel-Claus, der von einer Geschäftsreise in die nächsten Dörfer zurückgekommen war, saß in einer Ecke und theilte sich ein Stück Schwarzbrot mit seinen beiden Hunden, so daß Jeder umschichtig einen Bissen bekam. Der Pantoffel-Claus war nicht sehr mittheilsam, und Hans zum Sprechen keineswegs aufgelegt. Er hatte sich in der Küche einen Eierkuchen bestellt – ein Gericht, das er immer für sein Leben gern gegessen hatte. Brot und Speck hätten's freilich auch gethan; aber nach einem so schlimmen Tage fühlte er das Bedürfniß, etwas drauf gehn zu lassen und nebenbei mit seiner Baarschaft zu Ende zu kommen. Die paar Groschen gruseln sich ja so allein in der Tasche, dachte Hans.

Christel, des Wirths Tochter, brachte den Eierkuchen und ein Glas Bier, stellte beides vor Hans hin und setzte sich zu ihm an den Tisch, die beiden Ellbogen aufstämmend. Hans hatte die Christel eigentlich immer für ein hübsches Mädchen gehalten; seit aber Grete sich gestern Abend über sie beklagt, kam sie ihm durchaus nicht mehr hübsch vor, und daß sie sich gar noch so ungebeten zu ihm setzte, ärgerte ihn.

Nun, Hans, sagte Christel, wie ist's gegangen?

O, gut! erwiderte Hans, indem er ein mächtiges Stück Eierkuchen in den Mund schob.

Bei wem bist Du? fragte Christel weiter.

Bei Dir, antwortete Hans, indem er dem ersten Stück ein zweites folgen ließ.

Das seh' ich.

Warum fragst Du denn?

O Jerum, seit wann bist Du so stolz geworden?

Seit Du Dich in mein hübsches Gesicht verliebt hast.

So! wer sagt das?

Du selbst! Du verwendest ja kein Auge von mir.

So! sagte Christel, aufstehend; schaust Du da heraus? Sind wir dem Herrn Soldaten zu schlecht, weil wir nicht, wie Schulmeisters Grete, immer Strümpf' und Schuh' anhaben? Und nicht thun, als ob wir nicht bis fünf zählen könnten? Aber das laß' Er sich nur gesagt sein, Herr Soldat, es ist nicht Alles Gold, was glänzt. Scheinheilig thun, und nach den Mannsleuten ausschauen, das geht ganz gut zusammen, und wer noch vor Weihnachten Jakob Körner seine Frau ist – das weiß ich auch. Ja, die wird so einen Hungerleider von Soldaten heirathen! Und übrigens wirst Du mir meine Röcke bezahlen; ich nehme sie nicht wieder, zum Entzweireißen habe ich sie Dir nicht gegeben.

Damit stürmte Christel zur Thür hinaus.

Das ist eine gute, sagte der Pantoffel-Claus, indem er sein Messer zuklappte und, von den Hunden begleitet, zur Stube hinausschlürfte.

Hans hatte nichts gesagt; er hatte von der Scheltrede Christels nur das Eine gehört, daß Grete noch vor Weihnachten Jakob Körners Frau sein werde. Sollte das wirklich möglich sein? Grete war gestern Abend so eigen gewesen, so gar nicht wie sonst. Und heut Morgen Körners Anerbieten, ihn in Dienst zu nehmen! Natürlich, wenn man die Wahl hat zwischen dem Herrn und dem Knecht, freit man doch nicht den Knecht. Freilich hatte ihm die Grete versprochen, als er unter die Soldaten ging, daß sie nie einen Andern heirathen wolle, lieber wolle sie todt liegen auf dem Grund des Teiches; aber zwei Jahre sind eine lange Zeit und – –

Hier warf Hans einen flüchtigen Rückblick auf sein Leben während der letzten zwei Jahre, aus dem sich ergeben mochte, daß die Treue für einen Soldaten mehr oder weniger doch ein leerer Wahn ist; aber das ist ganz etwas Anderes, philosophirte Hans weiter, und so, wie die Grete, war doch Keine. Und die sollte ich dem fetten Kerl lassen? Und dahin würd's doch kommen, wenn ich wieder von hier fort ginge auf wer weiß wie lange. Nein, das geht nicht an; lieber verkaufe ich mich in die Fabrik, lieber –

Guten Abend, Hans! sagte eine dicke, mehlige Stimme.

Hans hob den Kopf, den er in die Hand gestützt hatte, und sah den Bäcker Heinz in der offenen Thür stehen.

Schön Dank, erwiderte Hans.

Nun, Hans, wie ist's gegangen? fragte der Bäcker genau so, wie vorhin die Christel gefragt hatte.

O, gut! antwortete Hans, wie er vorhin geantwortet.

Um die breiten Lippen des Bäckers zuckte es ironisch. Er setzte sich auf den Stuhl, den Christel eben verlassen hatte, legte die Arme auf den Tisch, faltete die Hände und sagte langsam, indem er seine kurzen Däume ebenso langsam umeinander spielen ließ:

Höre, Hans, ich hab's mir überlegt. Ich brauche zwar eigentlich keinen Knecht, obgleich mein August nun bei den Soldaten ist. Es sind schlechte Zeiten und man muß eben sehen, wie man sich durchflickt. Aber wenn Du keinen andern Dienst hast, so meine ich, Du thust besser, Du kommst zu mir, als daß Du Dein Heil wo anders verfuchst und Dir vergeblich die Hacken abläufst. Denn, wie gesagt, Hans, es ist jetzt eine schlechte, hungrige Zeit, und es sind überall hier zu Lande mehr Leute, als man braucht. Viel Lohn kann ich Dir deßhalb auch nicht geben. Sechszehn Thaler und zur Kirmeß ein Paar neue Stiefel und Weihnachten einen neuen Anzug. Wenn Dir das recht ist –

Hört, Meister, sagte Hans, dem Bäcker steif in die Augen sehend, ich will Euch mal was sagen, was Euch die übrige Rede ersparen kann. Ihr wißt recht gut, daß mich Keiner hat haben wollen, außer Jakob Körner, bei dem ich nicht arbeiten mag; und außerdem wißt Ihr, daß ich nicht gern von hier fortgehe, denn sonst würde ich mir keine Mühe gegeben haben, bei Einem von Euch anzukommen. Deßhalb bietet Ihr mir so wenig, zehn Thaler weniger, als sonst der Lohn für einen tüchtigen Knecht ist; aber Ihr habt ganz recht gerechnet: ich will bei Euch anziehen; nur für so auf den Kopf gefallen müßt Ihr mich nicht halten, daß ich mich über den Löffel barbieren ließe und merkte es nicht.

Der Bäcker zwinkerte mit seinen verschwollenen Aeugelchen, als meinte er, wenn du dich nur barbieren läßt, so ist's mir gleich, ob du es gern oder ungern thust; aber er gab diesem Gedanken keine Worte, sondern fuhr fort, wie wenn Hans einfach Ja gesagt hätte und nichts weiter:

Schön, Hans, da kannst Du gleich morgen früh anziehen, und was ich noch sagen wollte, Hans, schlafen kannst Du nicht bei mir; es ging schon mit dem August kaum noch, und mit meinen Mädels, Hans, laß Dir nichts beikommen, wenn wir gute Freunde bleiben wollen.

Ihr sprecht, als ob Ihr schon der Herr wäret, sagte Hans.

Der Bäcker hatte wieder nichts oder was Anderes gehört.

Schön, Hans, sagte er, und hier, Hans, ist das Draufgeld; und er nahm einen Thaler aus der Westentasche und legte ihn vor Hans auf den Tisch.

Hans sah den Thaler nachdenklich an und steckte ihn dann, von einem Entschluß getrieben, rasch ein, reichte dem Bäcker die Hand und sagte:

Ich müßt' lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich gern zu Euch ginge; aber das soll Euer Schade nicht sein; ich will rechtschaffen für Euch arbeiten und Ihr sollt nicht über mich zu klagen haben. Habt Ihr's aber doch, sagt's mir vernünftig; ich bin ein gutmüthiger Kerl und kann schon einen Puff vertragen; aber Ihr wißt, wenn das Maß voll ist, läuft's über.

Schön, Hans, sagte der Bäcker; und nun komm' nur gleich mal mit herüber, damit ich Dir zeigen kann, wo Du morgen anfangen sollst.



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