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VIII.

Und ein Glück für Hans war es, daß man vor seiner Körperkraft einen so großen Respekt hatte, er wäre sonst jedenfalls in diesen und den folgenden Tagen persönlichen Beleidigungen und entschiedenen Mißhandlungen nicht entgangen – zu solcher Höhe der Feindseligkeit hatte man sich im Dorfe gegen den armen Menschen hinaufgeschwätzt. Daß er den Schimmel seinem Schicksal hätte überlassen können, daß er sich mit Gefahr seines Lebens zwischen das unsinnige Thier und die Kinder geworfen und so das größte Unglück verhütet hatte, daß man es doch keinem Menschen verdenken konnte, wenn er für eine solche Handlungsweise nicht – noch dazu auf offener Straße – geprügelt werden wollte – daran dachte kein Mensch, wenigstens wagte es Keiner auszusprechen. Der Strom der öffentlichen Meinung war einmal gegen ihn, und man fand es bequemer oder vortheilhafter, mit diesem Strom zu schwimmen. Man häufte Beschuldigungen auf Beschuldigungen, und bald war nichts so schlecht, daß man es – natürlich nur, wenn er es nicht hören konnte – »dem langen Schlagtodt« nachgesagt hätte. Er war ein Mädchenjäger, ein Trunkenbold, ein Thierschinder, ein Tagedieb – das Letztere vermuthlich deßhalb, weil Niemand ihn, der so plötzlich aus der Arbeit gekommen war, wieder in Arbeit nehmen wollte – und über allen Zweifel erhaben galt, daß er in die Wilddiebereien, die nach des Försters Bostelmann Aussage noch immer rüstigen Fortgang hatten, verwickelt war, wenn er dieselben nicht, was freilich auch von Einigen behauptet wurde, allein vollführte.

Unterdessen hatte der so von der allgemeinen Meinung Geächtete in jeder Hinsicht ein kümmerliches Leben. Wie leicht er auch Alles zu nehmen gewohnt war – die Ungerechtigkeit, mit der man ihn, der sich nichts Böses bewußt war, wie einen Verbrecher behandelte, wurmte ihn doch. Er konnte jetzt stundenlang – Zeit genug hatte er – auf seiner elenden Dachkammer sitzen und bei einer kalten Pfeife – der Tabak war ihm ausgegangen, und er hatte kein Geld, sich neuen zu kaufen – darüber grübeln, weßhalb die Welt nur so schlecht, so grundschlecht sei und einen ehrlichen Kerl nicht in Frieden lassen könne? Hundertmal an einem Tage überlegte er, ob er jetzt, da man ihn auch in der Fabrik – auf Veranlassung des frommen Fabrik-Inspectors, der mit dem Pastor Quartett spielte – zurückgewiesen hatte, nicht sein Bündel – es war schmal genug! – schnüren und wo anders sein Glück versuchen sollte; aber ein Blick aus dem Fenster genügte jedesmal, ihn diese Wanderpläne vor der Hand wieder aufgeben zu lassen.

Und doch war dieser Blick trostlos genug. Von den Pappeln schüttelte der herbstliche Regensturm, der ihre schlanken Wipfel hinüber und herüber bog, die letzten braunen Blätter in den Teich. Auf den Bergen hingen die Nebel bis tief in die Landgrafenschlucht hinab, und was von Thier und Menschen sich blicken ließ – Alles sah verregnet und verdrießlich aus.

Aber Hans würde sich das wenig zu Gemüth genommen haben, wenn er gewußt hätte, wie es drüben in des Schulmeisters Hause stand, und vor Allem, wenn er hätte annehmen dürfen, daß es dort gut stehe. Aber wie konnte er das? Die Grete hatte er nun schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen; er wußte nicht, wie es ihr ging, ja nicht einmal, ob sie noch im Dorf war. Fragen mochte er Niemand, und wen hätte er auch fragen sollen, ohne Verdacht zu erregen? und der sonst so offene, gerade Hans, der immer mit der Thür ins Haus fiel, war jetzt scheu und mißtrauisch geworden. Endlich kam er auf den Gedanken, er solle sich an den Pantoffel-Claus wenden, von dem er ja die letzten Nachrichten über Grete erhalten hatte; aber es gelang ihm nicht, dem Claus, dessen Beschäftigung es mit sich brachte, bald hier bald dort zu sein, anzutreffen, und den Alten, der selbst in keinem besonderen Rufe stand, in seinem Häuschen aufzusuchen, wagte er um so weniger, als ihm in dessen Gegenwart niemals recht geheuer gewesen war.

Eines Abends aber – es regnete einmal wieder in seine Giebelkammer, und der Wind strich heulend und pfeifend die Landgrafenschlucht hinab auf den Teich, der ordentliche Wellen schlug – eines Abends faßte er sich ein Herz und schlich so heimlich, als habe er das Schwerste verbrochen, aus seinem Hause an dem Teich entlang unter den sausenden Pappeln, vorüber an ein paar erbärmlichen Hütten, die hier noch zwischen dem Teich und dem Fuß des Landgrafenberges eingeklemmt waren, in den Wald, und hielt sich im Walde links, das Dorf umkreisend, bis er auf den Steiger-Weg kam, der, als Fortsetzung der Hauptgasse des Dorfes, auf dieser Seite vom Dorf in den Wald führte. Die letzten Häuser lagen schon im Walde; das, welches der Pantoffel-Claus bewohnte, war gerade das letzte. Ein Haus konnte man's freilich fast noch weniger nennen, als die Lehmhütte, die Hans von seinem Vater geerbt hatte; es war ein einstöckiger winziger Bau mit einem unverhältnißmäßig hohen Ziegeldach, und war so an die Bergwand geklebt, daß man direkt aus dem Walde auf das Dach steigen konnte. Auf der andern Seite der Straße rauschte der Steiger-Bach in seinem steinigen Bett. Noch ein wenig weiter hinauf in den Wald lag eine halb zerfallene Gipsmühle, die seit ein paar Wochen Herr Repke, dessen Gehöft übrigens an der entgegengesetzten Seite vor dem Dorf lag, für ein paar Thaler gepachtet hatte. Der Besitzer war vor einiger Zeit gestorben; außer einem Sohn, der seit Jahren schon in Amerika verschollen war, gab es Niemand, der auf die Ruine hätte Anspruch machen können; so waren die Herren vom Gemeinderath froh, das Ding nur überhaupt an den Mann zu bringen, was sie natürlich nicht abhielt, sich über Herrn Repke lustig zu machen, der sich zu seiner nicht rentirenden Knochenmühle, seiner dürftigen Ziegelei und lahmen Posthalterei nun auch noch die Gipsmühle zulegte, wo in jedem Balken der Schwamm saß. Mühle, Bach, Weg und die Hütten auf der andern Seite – Alles war zwischen trotzige Felsen eingeklemmt und von gewaltigen Tannen umdüstert, die mit ihren knorrigen Wurzeln das Gestein umklammert hielten, oder sich in den Spalten einnistend, es mit Hülfe der Nässe und des Frostes zertrümmert hatten. Die ganze Schlucht bot ein unsäglich düsteres Bild, zumal an einem rauhen, regnerischen November-Abend, wie der war, an welchem Hans, aus dem Walde heraustretend, es jetzt unter sich liegen sah.

Er stand einen Augenblick still, sich zu vergewissern, ob er die Richtung nicht verfehlt habe, als ob er die nicht mit verbundenen Augen gefunden haben würde! Da war rechts die Mühle und links des Pantoffel-Claus' Häuschen; noch ein Sprung, und er stand auf der Straße.

Ein Mann trat aus dem Häuschen, das seine Thür auf dem Giebel hatte, der Hans zugekehrt war. Der Mann stand still und schien die Straße hinauf und hinab zu blicken, dann kam er eiligen Schrittes auf dem Wege nach der Mühle dicht an der Stelle vorbei, wo Hans, er wußte selbst nicht weßhalb, sich beim Erblicken der Gestalt hinter den Stamm einer Tanne gedrückt hatte – so dicht, daß Hans sie hätte mit dem langen Arm abreichen können – und verschwand dann in der Mühle. Nach kurzer Zeit kam die Gestalt wieder heraus und wandte sich links in den Wald mit Etwas auf der Schulter, das Haus in der Dunkelheit nicht unterscheiden konnte.

Hans stand noch immer auf derselben Stelle; ihm pochte das Herz. War das nicht der Repke? fragte er sich und antwortete dann selbst darauf: Ja, weßhalb soll es nicht der Repke sein? Aber was hat er bei dem Claus zu suchen? Ja, weßhalb soll er nichts bei dem Claus zu suchen haben? will ich doch selber zu dem Claus. Aber freilich, der reiche Repke und der arme Hans! 's ist sonderbar,

Hans beschloß, nicht zu dem Claus zu gehen; aber im nächsten Augenblick stand er vor der niedrigen Thür und klopfte. Ein wüthendes Hundegebell schallte ihm von drinnen entgegen; dazwischen rief die heisere Stimme des Alten:

Wer ist da?

Ich bin's, der Hans.

Es erfolgte keine Antwort; doch hörte Hans, wie die Hunde mit Worten und wahrscheinlich auch mit Fußtritten zur Ruhe gebracht wurden; sie heulten auf und wurden dann still. Ein Riegel ward zurückgeschoben; in der halb geöffneten Thür erschien der verhuzzelte Alte, der brummend fragte:

Was willst Du?

Ich wollte Euch sprechen.

Der Pantoffel-Claus machte die Thür noch ein wenig weiter auf; Hans duckte sich und trat ein; der Alte verriegelte die Thür wieder hinter ihm. Hans setzte sich auf eine Kiste, die ihm zunächst stand; der Alte zog mit den Fingern den Docht der qualmenden Lampe auf dem Tisch weiter heraus, ging dann an den niedrigen Heerd, wo ein Feuer aus nassen Tannenreisern unter einem eisernen Kessel schwälte, und sagte:

Schon zu Abend gegessen, Hans?

Noch nicht, sagte Hans.

In Wahrheit hatte er, außer einem Stück trockenen Brotes am Morgen, den ganzen Tag noch nichts gegessen.

Der Alte nahm den Kessel vom Feuer und goß den Inhalt in ein paar braune Töpfe, die er von einem Bört gelangt hatte. Eben daher holte er ein Schwarzbrot, ein Stück Speck, setzte Alles auf den Tisch und lud Hans mit einer Gebehrde ein, an seinem Abendbrot Theil zu nehmen. Hans rückte die Kiste, auf der er saß, ein wenig heran und ließ sich das trockene Brot, den ranzigen Speck und den dünnen, verräucherten Kaffe trefflich schmecken. Die Hunde hatten sich jeder in eine andere Ecke gelegt und verwandten kein Auge von dem Gast ihres Herrn. Ein gelegentliches dumpfes Knurren bewies, daß ihre Gemüther noch immer nicht ganz beruhigt waren.

Nu, Hans? sagte der Alte, nachdem sie eine Zeit lang schweigend gesessen hatten.

Hans würgte eben an einem großen Bissen und konnte aus diesem oder einem andern Grunde nicht gleich mit der Antwort zu Stande kommen. Endlich brachte er heraus:

Ich wollte Euch fragen, ob Ihr seitdem schon wieder Decken in des Schulmeisters Haus gebracht habt?

Der Pantoffel-Claus mußte dafür halten, daß die Antwort auf eine derartige Frage einer reiflichen Ueberlegung bedürfe. Er klappte sein Messer zusammen, schüttete die Asche aus seiner kurzen Pfeife, setzte sie an der qualmenden Lampe wieder in Brand und rauchte mehrere Minuten gerade vor sich hin. Hans hätte auch für sein Leben gern geraucht. Der Alte mußte endlich die ihn gestellte Frage nach allen Seiten erwogen haben; denn er räusperte sich und sagte, Hans scharf in die Augen blickend:

Decken nun gerade nicht; aber ein Paar Pantoffeln, Hans, extra aus der Fabrik, und das ist viel schlimmer, Hans, als Decken, viel schlimmer.

Hans fragte nicht, weßhalb Pantoffeln schlimmer seien als Decken; er wußte es nur zu gut. Ueberall auf dem Walde war es Sitte, daß der Bräutigam der Braut kurz vor der Hochzeit ein Paar Pantoffeln schenkte, als ironische Herausforderung, sich dieser Waffe bei demnächst eintretender Gelegenheit zu bedienen. Also waren Herr Körner und Grete Bräutigam und Braut. Seit wann? Was fragte Hans danach, wenn sie es waren!

Wollt Ihr mir nicht von Eurem Tabak geben? sagte er.

Er hatte sich vorher geschämt, den Alten um Tabak zu bitten; aber jetzt fühlte er sich so elend und jämmerlich, daß er sich nicht besser vorkam, als die Hunde, die ihn aus ihren Winkeln anblinzelten.

Der Alte nahm aus dem Tischkasten den Tabaksbeutel, Hans stopfte; dann saßen sie eine geraume Zeit, rauchend, ohne ein Wort zu sprechen. Jetzt sagte der Alte:

Nimm Dir's nicht zu Herzen, Hans! Die war nichts für unser Einen. Sei froh, daß Du sie los bist. Weiber machen Einem nur den Kopf warm; hab' mich mein Lebtag nicht viel mit ihnen abgegeben.

Hans hatte eine bittere Antwort auf der Zunge, daß der alte, schmutzige, häßliche Pantoffel-Claus es wagte, sich und einen Kerl wie ihn in einem Athem zu nennen; aber der Alte hatte ja Recht! Hans seufzte tief.

Was willst Du denn nun anfangen, Hans? fing der Alte wieder an; sie wollen Dich ja wohl nirgends?

Ja, sagte Hans; wißt Ihr nicht was für mich?

Der Alte schien zu überlegen; er warf einen lauernden Blick auf den jungen Mann und sagte:

Bist schon beim Repke gewesen?

Der will mich auch nicht.

Wann warst da?

Gleich als ich zurück kam.

Geh' wieder hin; er braucht Jemand für die Gipsmühle. Vielleicht nimmt er Dich.

Wenn Ihr ein gutes Wort für mich einlegtet? sagte Hans, der in der Erinnerung seiner verfehlten Versuche, Arbeit im Dorf zu erhalten, wieder sehr demüthig geworden war.

Der Alte zuckte die Achseln.

Dazu wär' ich grad' der Rechte, sagte er; so ein armer Teufel, wie ich, und so ein reicher Mann! Da soll noch's erste Wort kommen, das der zu mir gesprochen hätt'!

Hans schaute verwundert auf. Wie? Hatte er nicht eben erst den Herrn Repke aus des Claus Hause kommen sehen? Und der Alte that so fremd und hatte noch nie mit dem Repke gesprochen? Es war also eine Lüge, was der Claus eben gesagt hatte; aber Hans hütete sich wohl, das auszusprechen. Er sagte nur:

Es kommt mir jetzt auch nicht mehr so viel darauf an; ich hab' anderwärts noch Luft genug.

Der Alte schüttelte den Kopf.

Solltest nicht fortgehen, Hans. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich.

Und verhungere schändlich, meint Ihr! rief Hans und lachte über seinen Witz.

Ist Deine Schuld, Hans, absolut Deine Schuld. Es verhungert Keiner, der nicht will. Bist groß und stark, einen vollen Kopf größer als Dein Vater, der auch nicht klein war; kannst zweimal, was der konnte.

Ja, was konnte denn der? sagte Hans; sich zu Tode trinken! Das kann ich freilich auch, nota bene, wenn ich Geld hab'.

Und er steckte die Hände in die Taschen und kehrte dieselben heraus und lachte abermals, als wenn es der schönste Spaß von der Welt wäre, nichts in den Taschen zu haben.

Was der konnte? sagte der Alte. Einen Hirsch waidrecht auf's Blatt schießen – das konnte er.

Hans fiel vor Schreck fast die Pfeife aus dem Munde. In dem Ton des Alten lag etwas, das seinen jahrelangen Zweifeln über diesen dunkeln Punkt in seines Vaters Leben auf einmal ein Ende machte.

Woher wißt Ihr's denn? stammelte er.

Wir sprechen wohl noch darüber, erwiderte der Alte, und nun, Hans, mach' daß Du fortkommst; wir haben genug geschwätzt, und halt, Hans, nimm davon einen Schluck, das wird Dir gut thun unterwegs.

Er reichte Hans eine große Flasche; Hans setzte sie an den Mund; es war vortrefflicher Branntwein, so vortrefflich, wie er ihn lange nicht getrunken hatte. Hans that einen langen Zug.

Gieb mir auch, sagte der Alte, als Hans endlich absetzte.

Er trank.

Auf gute Freundschaft, Hans!

Darauf mußte ihm Hans doch Bescheid thun.

Du verstehst's, sagte der Alte; laß mir noch einen Schluck drin; ich will Dir noch eines zutrinken.

Für Euch und mich! rief Hans und lachte überlaut.

Pst! sagte der Alte, die Leute hören's ja, und dies darf Niemand hören: die Suhler Büchse von Deinem Vater, Hans!

Hans riß dem Alten die Flasche beinahe vom Munde weg.

Ja, die Büchse! die soll leben! rief er; und der Wald daneben, Hurrah hoch!

Er leerte die Flasche und schmetterte sie in die Ecke, daß die Scherben umherflogen und die Hunde mit wildem Gebell aus ihren Winkeln fuhren.

Wollt ihr ruhig sein, ihr Höllenhunde! rief der Alte und trat nach ihnen; da wurden sie gleich still und verkrochen sich wieder in ihre Winkel.

Hans hatte seine Mütze auf's Ohr gedrückt und war von seiner Kiste emporgetaumelt.

Bist ein famoser alter Hallunke! rief er, dem Pantoffel-Claus auf die Schulter schlagend, daß dieser in seinen Stuhl zurückfiel. Ich möchte Dich umarmen, wenn Du nicht ein so vermückerter, ausgedörrter, jämmerlicher Knirps wärest. Gute Nacht, Herzensbruder! ich muß Dich doch umarmen! und verkauf der Grete ein Paar Pantoffeln aus rothglühendem Eisen, darin soll sie auf ihrer Hochzeit mit dem Teufel meinetwegen in die Hölle tanzen!

Er schwankte zur Thür hinaus und verlor, da er sich tief bücken mußte, das Gleichgewicht, daß er quer über die Straße bis beinahe in den Bach hineinschoß. Dann richtete er sich aber wieder strack auf und marschirte nach der Melodie von: »Wenn die Büchsen, Büchsen knallen«, die er sich selbst pfiff, die Straße hinab in das Dorf. Wenn mir doch nur Einer begegnete! Einer von den Schuften, die mir das Leben so sauer machen, ich wollt's ihm eintränken, daß er's sein Lebtag nicht wieder vergäße!

So mit sich selbst redend und zwischendurch pfeifend, singend und Paradeschritt übend, schwankte Hans durch das Dorf. Es war schon spät nach ländlichen Begriffen, etwa neun Uhr. Die Straße war ganz leer, obgleich es jetzt eben nicht regnete. Aus den niedrigen Fenstern dämmerte der Schein der Oellämpchen und Unschlittkerzen; manchmal kam ein Kopf an die beschlagenen Scheiben dem Lärmer draußen zu sehen; dann lachte der Hans jedesmal ein lautes, höhnisches Gelächter. Vor dem Wirthshaus standen ein paar Leute zusammen; Hans rief ihnen zu, sie möchten herankommen, wenn sie keine feigen Lumpen wären. Sie liefen Hals über Kopf in die Schenke hinein; da lachte der Hans noch viel lauter und rief ihnen Schmähworte nach.

So gelangte er in seine Gasse, vorüber an seinem Hause, bis zu den Teichen. Er stand still und stierte in das schwarze Wasser, das leise an der steilen Böschung des Weges, der zwischen den Teichen hindurchführte, plätscherte. Da drin war's gut, sagte Hans; aber sie würde nicht weinen, wenn sie mich morgen herauszögen. Sie würde froh sein, daß sie mich los ist. Nein, die Freude will ich ihr nicht machen.

Das alte Volkslied kam ihm in den Sinn von dem Mädchen, das zwei Knaben so lieb hatten. Er konnte die Worte nicht zusammenfinden; nur zwei Verse wußte er noch:

»Der Schäfer, der thät' weinen,
Als er Abschied von ihr nahm« –

Ihm wurde so weich um's Herz; er setzte sich auf einen der Prellsteine, legte den Kopf in seine Anne auf die hölzerne Brüstung und weinte bitterlich.

Dann raffte er sich wieder auf und ging die Strecke zurück bis zu seinem Hause. Sein Rausch war verflogen, wenigstens schwankte er nicht. Er schämte sich der eben geweinten Thränen; dafür hatte ihn ein grimmiger Zorn erfaßt, der ihm die Stirn zusammenzog und ihn die starken, weißen Zähne übereinander knirschen ließ. Sein Fuß stieß an einen großen Feldstein, der von einem Wagen, welcher Fundamentsteine zu dem im Bau begriffenen neuen Schulhause herbeigeschafft hatte, heruntergefallen war. Er griff die Centnerlast mit seinen starken Händen und schleuderte sie, als wär's ein Ball, weit hinein in den großen Teich, daß das Wasser hoch aufrauschte.

So kam er an sein Haus. Er tastete sich die steile, dunkle Treppe hinauf und fluchte – zum ersten Mal in seinem Leben – daß sie so steil und dunkel war. Er kam an die Thür zu seiner Kammer. Die Thür war jetzt immer nur angelehnt – es gab bei ihm nichts zu stehlen – heut hatte sie der Wind, der nur allzu frei durch das zerfallene Dach fuhr, zugeschlagen. Der Drücker war herausgefallen. Hans nahm sich nicht die Mühe, danach zu suchen. Er griff in die Spalte und riß mit einem Ruck das Schloß aus den Nägeln.

In der Kammer war es so dunkel wie draußen. Hans tastete nach dem Tischchen, auf das er das Licht mit den Schwefelhölzern zu stellen pflegte. Er konnte es nicht finden; er tastete weiter und stieß mit dem Kopf heftig gegen die Kante des großen Schrankes an der Wand. Verdammtes Thier! schrie der Wüthende und führte einen gewaltigen Tritt gegen den Schrank. Das alte, wurmstichige, von der Sommerhitze zusammengetrocknete, von der Winternässe angefaulte Möbel polterte wie ein Kartenhaus zusammen, daß die Bretter dem Hans gegen Kopf und Schultern schlugen. Auch das noch! knirschte er. Meinetwegen mag die ganze Welt zum Teufel fahren!

Er wußte jetzt, wo das Tischchen stehen mußte, und da war auch der zinnerne Leuchter, und die Schwefelhölzer lagen in dem weit ausgebogenen Teller. Hans riß ein halbes Dutzend zugleich an der Wand an, entzündete die dünne Kerze, die nur eben noch aus dem Sockel hervorragte, leuchtete nach der andern Seite, zu sehen, was er denn eigentlich angerichtet, und – seine Haare sträubten sich. Das hatte ihm der Böse dahingehängt, da, wo der Schrank gestanden – des Vaters Büchse mit der Waidmannstasche und dem Kugelbeutel und dem Pulverhorn! Wenn er ein Vaterunser betete, verschwand der Spuk!

Hans wollte beten; er konnte die Worte nicht finden; seine Zähne schlugen klappernd auf einander.

Aber da hing die Büchse noch immer; der Lauf glitzerte in dem Schein der Kerze.

Hans lachte hohl. Dummes Zeug, sagte er, das ist kein Spuk, das ist Vaters Büchse und damit basta. Sie hat hinter dem Schrank gehangen, nein, in dem Schrank. Die Hinterwand ist ja noch da. Der Schrank hat einen doppelten Boden gehabt. Es ist ja auch wahr; er war nicht so tief, als er hätte sein müssen. Das hat der Alte gut gemacht. Da haben sie gesucht und gesucht und nichts gefunden – die Esel! Und nun gehört sie mir!

Er stellte den Leuchter bei Seite und langte mit zitternden Händen das Gewehr herab; er besah es von allen Seiten. Eine fieberhafte Lustigkeit erfaßte ihn. Er lachte vor sich hin. Gewehr auf! Gewehr ab! Gewehr auf! Bataillon soll chargiren – geladen!

Er führte den Ladestock in den Lauf. Die Ladung stak noch im Rohr.

Hans stierte vor sich hin. Wenn ich ginge und schösse das dem Jakob Körner in den dicken Leib, morgen früh, durch's Fenster durch; oder wartete, bis er hier zur Kirche vorbei muß, oder bis sie von der Kirche zurückkommen, und schösse ihn todt an ihrer Seite. Oder ginge hin und schösse die Hirsche oben im Walde todt. Sie sagen ja doch Alle, daß ich ein Wilddieb sei, und Vater ist's gewesen; ich brauche nicht besser zu sein, als Vater. Der Pantoffel-Claus wird schon wissen, wie ich's los werde. Und dann mach' ich mir ein schweres Geld und kaufe mir einen Hof und heirathe die Anne, ihr zum Trotz.

Seine Gedanken fingen an sich zu verwirren. Bald sah er die Grete vor sich stehen, bald war's die Anne, und dann war's ein Hirsch in voller Flucht durch die Landgrafenschlucht. Das Licht war im Verlöschen; es ließ dem Hans nur eben noch Zeit, die Büchse und das Zubehör in ein zerrissenes Tuch zu wickeln und auf dem Boden zwischen der Bretterbekleidung – nahebei, wo die Armbrust aus seinen Kinderjahren noch unberührt lag – zu verstecken. Dann tappte er vorsichtig nach seiner Kammer zurück, warf sich, wie er war, auf das Bett und verfiel alsbald, von der ungewohnten seelischen Aufregung mehr als von dem vorhergegangenen Rausch erschöpft, in tiefen Schlaf.



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