August Sperl
Hans Georg Portner
August Sperl

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Dein!

Die Monde kamen und gingen.

Seitab von den großen Heerstraßen des entsetzlichen Krieges lag das nordgauische Land. In dumpfer Ruhe säte das Volk und erntete zu seiner Zeit, gewöhnte sich daran, den Nacken zu beugen unter jegliche Gewalt, und verlor unter dem harten Druck allgemach den letzten Rest von Mut und Freiheitssinn. Die verlassenen Häuser seines vertriebenen Adels aber zerbröckelten, Dornen und Disteln wuchsen auf den wüsten Feldern, und langsam griff der Wald herüber auf die verödeten Fluren.

Draußen auf den großen Heerstraßen des Krieges zog die Zeit gleich einem gepanzerten Ungeheuer durch das römische Reich deutscher Nation, stinkender Brandgeruch qualmte hinter ihr zum Himmel empor, gierig trank die Erde das Blut aus den Leibern der Erschlagenen, von einer Ecke des Reiches zur andern zogen die Söldner des Kaisers und spielten die Herren, in alle Winkel verkroch sich die Freiheit, und es hatte den Anschein, als müßte sie endlich ersticken in Blut und Thränen.

Es hatte den Anschein.

Da stieg eine kleine Wolke empor am nördlichen Himmel, so klein, daß nur die schärfsten Augen ihrer gewahr wurden. Der Kaiser sah sie nicht von den 365 Fenstern seiner Burg, die Wolke wurde größer, da und dort wandten besorgte Gemüter den ahnungsvollen Blick nach ihr und warnten. Lachend sagte der Kaiser in seiner Burg: »Ein Wölklein mehr!« Doch die Wolke ward größer, immer größer, wuchs in die Höhe, quoll auf in drohender Schwärze. Schnelle Schiffe stießen auf den Strand, ein Gewaltiger sprang auf die deutsche Erde, der Himmel verfinsterte sich, und es brach ein Wetter los im Norden, daß fern im Süden die Burg des Kaisers in ihren Grundfesten erbebte. –

Heute noch streiten die Menschen, warum er wohl gekommen sei, jener Gewaltige. Lächerlicher Streit! Er kam, weil er mußte. Er kam, weil der deutsche Baldur nicht durfte erdrosselt werden vom römischen Hödur. Er kam, weil sich die Wogenberge stürzen müssen in Wogenthäler. Er kam, weil das Licht kämpfen muß mit der Finsternis. Er kam, weil er mußte.

Alles, was er selber gedacht und erstrebt hat auf seiner Meerfahrt zu den Gestaden des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, es verdampft in Nichts vor diesem einen, vor diesem erschütternden, vor diesem weltgerichtlichen: Er mußte. Und alles, was er aus eignem Willen gegründet hat, das ist hinweggespült von der rückströmenden Woge der Zeit, und spurlos verschwunden. Geblieben aber ist bis auf unsre Tage und wird bleiben bis auf die fernsten Geschlechter die Freiheit, die er uns bringen mußte in der Stunde der tiefsten Bedrängnis – mußte und noch einmal mußte.

*

Zwei Jahre waren vergangen.

Der Gipfel des hohen Berges verschwand in den 366 Nebeln des Herbstnachmittages, Nebel braueten im Thale herunter von Reicheneck bis herein nach Happurg, Nebel bedeckten weithinaus alles Land.

Kahl standen die Obstbäume, Totenstille herrschte, nur zuweilen raschelte im dürren Laub am Boden ein Lufthauch, und mit Gemurmel schoß der Bach aus dem Nebel ins Dorf und ins Land hinaus.

Frisch aufgerissen dehnte sich das Ackerland an den Hängen und wartete dem Winter entgegen; wie Zelte anzuschauen, wuchtig und düster standen die grauschwarzen Stangenpyramiden in den öden Hopfengärten.

Starker Erdgeruch erfüllte das Thal und mischte sich mit dem Geruche des verfaulenden Laubes auf den feuchten Wegen und Steigen, den der Windhauch dahin und dorthin trug.

Die Kirchenglocken schlugen ein wenig zusammen, und leise verklang das Gesumme in der dicken, feuchtmoderigen Luft.

Hundert Füßlein kamen getrippelt und gestapft durch die weitgeöffnete Kirchenthüre, über den Friedhof, heraus auf den stillen Platz.

Zu zweien und in kleinen Haufen, Knaben und Mägdlein gesondert, ging's die breite Dorfgasse herunter, geradeaus, hierhin und dorthin, seitab über die Brückenbrettlein des Baches, hinein in die engen Gäßlein. Hausthüren schlugen, dann lag wieder für eine Weile die Ruhe des Sonntagnachmittages über dem Dorfe.

Der alte, graubärtige Prädikant kam aus der Sakristei und schritt langsam über den Weg nach seinem Hause. Der steinalte Mesner humpelte aus der Kirchenthüre, drehte den Schlüssel im pfeifenden Schlosse und schlich hüstelnd zwischen den Gräbern und Kreuzen nach seinem Hüttlein.

367 Es war ein rechter Herbst-Sonntagnachmittag. –

›Hochzeit!‹ murmelte Hansjörg Portner und ging in seiner niedern Stube auf und ab. Dann trat er ans Fenster und stieß es auf. ›Hochzeit!‹ wiederholte er und atmete die nebelige Luft ein und blickte nachdenklich auf die öde Gasse. ›Herrgott im Himmel, vergieb mir! Da steh' ich am Ziele, und doch ist mir's zu Mute, als sollte ich hinausgehen, mich in die erste Ackerfurche werfen und warten, bis das weiße Tuch –! Schäme dich, Portner!‹ sagte er ganz laut, senkte den Kopf und stand in tiefem Sinnen.

Die Thüre hinter ihm hatte sich geöffnet und geschlossen. »Hansjörg, es wird Zeit,« mahnte Georg Portner.

Hansjörg hörte nichts.

»Hansjörg, Bruder, die Braut wartet!« sagte Georg Portner laut und trat rasch hinter den Träumenden und schlang die Arme um ihn.

»Du?« murmelte Hansjörg.

Liebreich bog Georg sein Haupt zur Seite und blickte dem Bruder ins Angesicht. Aber sein Lächeln verschwand, und angstvoll fragte er: »Hansjörg, was ist dir? Wie schrecklich siehst du aus! Hansjörg, die Braut wartet, Hochzeit ist, besinne dich!«

»Wenn ich ihn da hätte!« murrte Hansjörg und blieb trotzig stehen.

»Wen denn, Hansjörg?« fragte der Bruder und trat zur Seite.

»Wen denn, wen denn?« brach Hansjörg los und wandte sich mit einem Ruck. »Da in der Stube möcht' ich ihn haben, Aug' in Auge, Degen gegen Degen. Wen denn? Nun, wen denn? Der mich und dich und unzählige andre aus dem Lande gedrückt, ins Elend gestoßen und zu Bettlern gemacht hat, der 368 Ursach' ist, daß ich wie ein Strolch hinter der Hecke heiraten, daß ich –«

»Hansjörg, lieber Bruder, Hochzeit ist, lieber Bruder! Hansjörg, die Braut wartet!«

»Und ihre Mitgift heißt Sorge, und meine Morgengabe Krieg,« stieß Hansjörg hervor und ließ das Haupt sinken.

»Mitgift? Wer fragt nach Mitgift bei einem solchen Weibe! Und Morgengabe? Ja, wenn sie einen nürnbergischen Fähnrich heiratet, so schmettern freilich die Trompeten in die Brautnacht herein.«

»Der nürnbergische Fähnrich zöge leichteren Herzens in den Krieg, wenn – wenn er sein Weib geborgen wüßte!« murrte Hansjörg.

»Hochzeit ist,« wiederholte Georg dringend, »und die Braut wartet, Bruder!«

»Und hier steht der Thor, der auf den Herbstnebel eine Brücke zimmert und auf den Rauch eine Ehe gründet!«

Georg trat jäh zurück und antwortete mit scharfer Stimme: »Jetzt freilich verzeih ich's der Braut, daß sie drüben sitzt im Schmuck, und die Thränen laufen ihr über die Wangen.«

»Sie weint?« fuhr Hansjörg auf.

»Ja, und sie hat recht,« sagte Georg. »Es wird ihr wohl eine Ahnung gekommen sein – von dem Nebel, Hansjörg, und von – von dem Rauch, Hansjörg. Bruder, es fällt mir schwer, – bisher bist du stets mein großer Bruder gewesen, – hinaufgesehen habe ich zu dir, solang ich denken kann, – aber da drüben sitzt Ruth, und wenn ich heute alles überlege – wo du solch ein Weib gewonnen hast –«

»Ich weiß es ja und ich danke Gott, Jörg.«

»– und wo du aus einem armen Emigranten –«

369 Hansjörg unterbrach ihn finster: »– ein armer nürnbergischer Fähnrich geworden bist.«

Georg aber rief: »– einer geworden bist, der mit dem Schwert in der Hand kämpfen darf gegen die Bedränger der Freiheit, ich meine, du müßtest dich schämen, und kein Mensch dürft' es erfahren, das vom Nebel und vom Rauch.«

Hansjörg senkte das Haupt, schob den Bruder auf die Seite und ging hinaus. –

Die ganze Hütte duftete vom frischen Tannenzweigschmuck, und in der Küche zur ebenen Erde prasselte siedendes Schmalz.

Hansjörg pochte an der kleinen, niederen Thüre gegenüber und betrat das Gemach.

»Ruth –!«

Sie lehnte im Brautgewande mit dem Rücken am Fenster und hatte die Hände gefaltet.

»Ruth, bist du fertig?«

»O Hansjörg –!« Es war ein leises Schluchzen.

»Ruth!« Er umschlang sie und bedeckte ihre Stirne mit Küssen. »Wie freundlich doch unser Gott ist!«

»Hörst du den Wagen, Hansjörg?«

»Welchen Wagen? Es ist ja doch alles ganz stille, Ruth!«

»Und das Jauchzen und Schießen, hörst du nichts?«

»Nichts, Ruth.«

»Jawohl, es ist alles ganz still, und es sollte doch nicht still sein!« sagte sie mit bebenden Lippen. »Da – da –!« sie streckte die leeren Hände vor sich hin. »Dein Weib ist bettelarm, Hansjörg!«

Er preßte sie an sich und verschloß den klagenden Mund mit seinen Lippen.

Lange standen sie wortlos.

370 Dann machte sich die Braut frei, barg ihr Haupt an seiner Brust und flüsterte: »Jetzt müßte die Mutter kommen und mir das Krönlein bringen. Ach, Hansjörg, das Krönlein mit den langen roten Bändern aus der blauen Truhe. Alle Bräute auf dem Zant haben's getragen zu ihrer Zeit, alle, und nur ich muß ohne Krönlein gehen. Und 's ist doch auch mein Ehrentag!«

»Sei ruhig, Ruth, meine liebe, tapfere Ruth!«

»Oft bin ich vor der Truhe gestanden, Hansjörg, und die Mutter hat mir das Krönlein mit den zwölf Sternlein gezeigt, hat mir's auch zuweilen auf den Kopf gesetzt und geschwinde wieder abgenommen, – ich höre sie: ›Jetzt noch nicht, Kind, will's Gott, noch lange nicht!‹«

Hansjörg fuhr liebkosend über ihren Scheitel: »Nicht weinen, Ruth, nicht weinen!«

»Nicht weinen?« sagte sie und versuchte zu lächeln, während ihr die heißen Thränen über die Wangen liefen. »Lachende Braut –?«

»Weinendes Weib,« stieß Hansjörg hervor. »Ruth, wein', was du kannst!«

»Aber Hansjörg!«

»Damit es wahr werde: Weinende Braut, glückliches Weib!«

Ruth mußte lachen, warf sich an seine Brust und schluchzte und lachte und zitterte am ganzen Leibe. –

Auf der Gasse erklang der Hufschlag eines galoppierenden Rosses.

»Und dann müßte ich jetzt das weiße Tüchlein auf den Schemel breiten,« sagte Ruth und hob ihr verweintes Gesichtchen, »und müßte draufknieen, und der Vater käme und gäbe mir seinen Segen. – O 371 Hansjörg,« schrie sie leise auf, »ohne den Segen des Vaters, es ist nicht auszudenken!«

An der Thüre pochte es.

Ruth wandte sich ab und trat ans Fenster und preßte die Stirne ans Kreuz.

Auf der Schwelle stand Georg Portners Töchterlein, steckte den Finger ins Mündlein und starrte neugierig auf die Braut am Fenster.

»Was giebt's?« fragte Hansjörg und streichelte die Wange des Kindes.

»Du sollst kommen, Ohm. 's ist einer angeritten, der will dich haben,« klang das helle Kinderstimmlein in die düstere Stube. »Und, Ohm, der Herr Prädikant kommt auch schon im Chorrock die Gasse herunter, läßt die Mutter wissen.«

»Dorel, komm zu mir!« sagte Ruth und wandte sich nicht vom Fenster.

Hansjörg ging aus der Stube.

»Dorel, Dorel!«

Das Kind drückte sich an die Mauer und sah mit großen Augen zum Fenster hinüber und zu der Braut in ihrem Schmucke.

»Aber, Dorel, wo bleibt denn meine Dorel?« fragte Ruth und wandte sich um.

»Du bist's – Muhme? Bist du's?« fragte das Kind und ging zaudernd einen Schritt vorwärts.

»Aber freilich, Dorel, wer denn?« sagte Ruth, ging auf das Kind zu, kniete nieder und schloß es in ihre Arme.

»Bist du's wirklich?« fragte das Kind enttäuscht. »Aber die Mutter hat ja doch eben zum Vater gesagt –«

»Was denn, Dorel?«

»Der Hansjörg heiratet einen Engel, hat sie gesagt. Und wo ist denn der Engel, sag?«

372 Ruth lachte und küßte das Kind. »Da thät' er mir von Herzen leid, der Hansjörg!«

»Und gelt, Engel haben doch goldene Kronen, Muhme?«

Die Augen der Braut füllten sich wieder mit Thränen, schnell erhob sie sich, nahm das Kind auf den Arm und trat ans Fensterlein. –

Leise öffnete sich die Thüre, auf der Schwelle stand Hansjörg.

»Sag, Muhme, heiratet der Ohm wirklich einen Engel?« fragte das Kind ganz laut.

»Ja!« sagte Hansjörg mit seiner tiefen Stimme hinter den beiden, hob ein funkelndes Ding und setzte es seiner Braut auf den Scheitel.

»Aber, Hansjörg, wie bin ich erschrocken!« klagte Ruth und wandte sich.

Mit verschränkten Armen stand Hansjörg Portner und sah mit glückstrahlendem Antlitz auf seine Braut.

»Was ist denn?« fragte sie verwirrt und stellte das Kind sachte auf den Boden und tastete an ihrem Haupte. »Hansjörg!?«

»Muhme,« sagte das Kind und blickte wie gebannt nach der goldenen Krone auf Ruths Haupte, »jetzt bist du ja doch auf einmal ein Engel, Muhme?«

»Hansjörg?« fragte Ruth, und ihre Brust hob und senkte sich heftig.

»Von der Mutter, liebe Ruth!«

»Hansjörg!«

»Ohm, ich fürcht' mich!« klagte das Kind und umklammerte seine Kniee.

»Nicht, nicht fürchten, Dorel,« tröstete die Braut und kniete neben dem Kinde auf die Dielen. »O Hansjörg, wie bin ich glücklich!«

»Und vom Vater ein Brief,« sagte Portner.

373 »Vom Vater? Gott sei gelobt!«

Es war ein jauchzender Jubelschrei, und lachend und weinend herzte und küßte die Braut das Kind.

Tiefe Dämmerung hatte sich herabgesenkt auf die herbstliche Erde. Und auf dem Scheitel der Braut funkelte die uralte Brautkrone vom Zant, wie Recht war.

*

Am Abende dieses Tages brannte in der Studierstube des Prädikanten eine Kerze, und bedächtig schrieb der alte Mann in sein Traubuch diese Worte:

»1631, am 2. Novembris, hab' ich inter privatos parietes oder im Hause eingeleitet den edeln, gestrengen und vesten Johann Georg Portner von Theuern, welcher samt seinem Bruder derzeit ums reinen Worts Gottes willen allhier ein Fremdling ist, mit der edeln, ehrentugendreichen Jungfern Anna Ruth, des edeln und vesten Wilhelm von Zant ehelicher Tochter. Und ich hab' ihnen dieses mit auf ihre Straße gegeben: ›Dennoch bleibe ich stets an Dir; denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand, Du leitest mich nach Deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.‹«

Dann wischte er die Feder bedachtsam aus, streute Sand über die nassen Zeilen und klappte das Buch zu.

Er war ein alter und einsamer Mann, der gerne mit sich selber sprach, wenn ihn etwas bewegte.

So faltete er auch jetzt die Hände über dem dunkeln Buche und murmelte in tiefem Sinnen:

›Und sie freiten und ließen sich freien.‹

›Nein,‹ sagte er nach einer Weile, stand auf, 374 nahm das Licht und ging in seine Kammer, ›bei den zweien da ist's doch ein ander Ding, wenn auch – die Flut kommt.‹

*

Am finstern Morgen waren die Nürnberger Reiter von Hersbruck die Straße heraufgeritten, ihren Fähnrich zu holen und sein junges Weib. Jetzt saßen sie in der Schenke und tranken und sangen, daß die Scheiben klirrten:

Es geht die Trommel durch die Welt
Von einer Ecke zur andern,
Ein Lump, wer sich zu Hause hält,
Was Beine hat, muß wandern.

Die Menschheit war ein großer Sumpf,
Doch nun ist's besser geworden;
Die Luft war schwül, die Luft war dumpf,
Nun bläst der Wind aus Norden.

Schneekönig hat sich aufgemacht,
Daß ihm doch Gott das lohne!
Es kommt der Leu aus Mitternacht,
Und es wanken und krachen die Throne.

Der Kaiser ist ein armer Tropf
An allen Ecken und Enden,
Der Kaiser hält auf seinem Kopf
Die Krone mit zitternden Händen.

O römisch Reich, du jammerst mich,
Es ist um dich geschehen,
Jetzt geht ein Durcheinander an,
Wie die Welt noch keines gesehen.

Wer aber ist der Herr der Welt,
Und wen kann keiner entraten?
Bahn frei, Bahn frei für die Herren der Welt,
Bahn frei für uns, die Soldaten!

375 »Ja, es sind mächtige Herren, die Herren Soldaten,« meinte der Wirt seufzend und drehte sein schmieriges Käpplein zwischen den Händen. »Aber sagt an, ihr Herren, ist's denn wahr, hat denn der König von Schweden wirklich mit den Nürnbergern sein Bündnis geschlossen?«

»Das sind hohe Staatsaktionen,« antwortete der Wachtmeister, strich seinen Bart und lehnte sich zurück. »Was kann solch ein nürnbergischer Bauernschädel verstehen von derlei Subtilitäten und hoher Kopfarbeit?«

»Verstehen wohl nit, aber in allen Gliedern das Reißen spüren von solch herrischer Kopfarbeit,« meinte der Wirt und machte ein verdrucktes Gesicht.

»Die Wohlweisen und Hochgelahrten von Nürnberg werden wissen, was sie zur Ehre Gottes und zur diensamen Erhaltung der Gewissensfreiheit zu thun haben,« sagte der Wachtmeister mit Würde.

»Daß sie doch einander allfort nach der Freiheit streben!« seufzte der Wirt. »Von mir aus könnt' jeder frei leben und frei sterben.«

»Und wo blieben Regiment und Gehorsam?« fragte der Wachtmeister herausfordernd.

»Nu, ganz so hab' ich's ja nit gemeint,« lenkte der Wirt ein; »mit Unterschied, Euer Gnaden, alles mit Unterschied. Aber um Vergebung, meint Ihr, es wird bald losgehen?«

»Ich habe dir schon einmal gesagt, Bauer, das sind hohe Staatsaktionen,« antwortete der Wachtmeister. »Ich freilich schaue den Dingen sozusagen auf den Grund. Bin ich doch in der Gesandtschaft gewesen, die unterm Tetzel im Oktober zum Markgrafen nach Bayreuth geritten ist. Und in Bayreuth haben wir Wichtiges verhandelt. Hernach sind wir über Lichtenau nach Heilsbronn geritten und haben 376 uns heftig beraten mit den Bayreuthischen und den Ansbachischen. Ja, in Heilsbronn haben wir Wichtiges verhandelt. Schenk mir einen Krug ein, Wirt! Das Wichtigste aber haben wir vor etlichen Tagen zu Würzburg ausgerichtet, ich, der Hansjakob Tetzel und der Doktor Richter als nürnbergische Abgesandte. Denn da haben wir Königliche Würden aus Schweden selber gesprochen. Und ich sag' euch allen, wie ihr dasitzt, es geht bald los, ja, das sag' ich.«

Damit erhob er sich und stampfte sporenklirrend aus der Stube.

»Das ist einer,« sagte der Wirt und stellte den Krug auf den Tisch, »an dem haben die Nürnberger was!«

»Wer ihn nicht kennt, den Jakob Schuster aus Fürth,« brummte einer von den Soldaten und steckte ein Stück Käse in den Mund, »den Jakob Schuster aus Fürth, und er hört ihn so reden, der müßt' ihn für einen Bierbruder vom Schwedenkönig halten.«

Die andern lachten.

»Jeder ist das, was er aus sich macht; und war noch kein Hammel, dem nicht eine Schafherde nachgelaufen wäre,« meinte ein andrer.

»Und wird nicht mehr lange dauern,« sagte der Wachtmeister Jakob Schuster aus Fürth unter der Thüre, »so wird der Schwedenkönig dem Tilly eine Schlacht liefern. Denn der Tilly und der Gustav Adolf, müßt ihr wissen, die sind einander todfeind. Da soll man ihn nur hören, den Gustav Adolf, wenn die Sprach' auf den Tilly, kommt: da wird er fuchtig, der König!«

»Wie sieht er denn aus, der König?« fragte einer am Tische.

Der Wachtmeister setzte sich, that einen tiefen Zug, 377 wischte den Schnauzbart und machte ein wichtiges Gesicht: »Fast akurat wie der Wirt zum Grünen Baum in Forchheim. Na, ihr kennt ihn ja nicht, den Wirt zum Grünen Baum, aber genau so sieht der Schwedenkönig aus. Der Baumwirt ist der längste Mann, den ich kenne, und der König von Schweden ist's auch. Nur daß der Baumwirt seine Nase stumpf hat, und die Königliche Würden trägt die ihrige lang und krumm, und der Baumwirt hat ein glattes Gesicht, der König Gustav Adolf aber hat einen Schnauzbart und einen Knebelbart, wie sich's gehört. Aber sonst, dürft's glauben, sehen die zwei einander zum Verwechseln gleich, der Baumwirt in Forchheim und der König von Schweden. Wie ich und der König einander zum erstenmal gesehen haben, hätt' ich beinah' –«

»Hättet Ihr beinah' gesagt – ›Baumwirt, 'en frischen Krug!‹« rief der Gefreite, und die Gesichter am Tische verzogen sich grinsend. Auch der Wachtmeister lachte und nickte gnädig zu dem Spötter hinüber.

Der aber stimmte mit rauher Kehle aufs neue an:

Der Kaiser ist ein armer Tropf –

Und dröhnend fielen die andern ein:

An allen Ecken und Enden,
Der Kaiser hält auf seinem Kopf
Die Krone mit zitternden Händen.

O römisch Reich, du jammerst mich,
Es ist um dich geschehen,
Es geht ein Durcheinander an,
Wie die Welt noch keines gesehen!

*

378 Zur selbigen Zeit standen die Neuvermählten auf einer Anhöhe hinter dem Dorfe.

Die Nebel wallten im Thale von Reicheneck her, und auch die Houbirg auf der andern Seite über'm Dorfe hatte eine Nebelkappe. In den dürren Blättern raschelte der Morgenwind. Eng aneinander geschmiegt standen die beiden und sprachen kein Wort.

Da hellte sich allgemach von Osten her das Firmament auf und wurde stahlblau, und mit einem Male brach die Sonne durch den Dunstflor, daß der hohe, spitze Kirchturm schneeweiß leuchtete und der goldene Wetterhahn funkelte.

»O Hansjörg, ich bin so glücklich!« sagte Ruth und sah ihm in die Augen.

Hansjörg Portner aber schlang die Arme um sein Weib, drückte sie ans Herz und jauchzte: »Ruth, dunkel ist's gewesen, Ruth, helle ist's geworden, die Sonne ist durchgebrochen!«

Das Weib zitterte in seinen Armen.

»Und immer heller wird's, immer heller! Ihr alle meine Feinde, was habt ihr über mich vermocht? Ist Gott für uns, wer will wider uns sein? Ihr alle meine Feinde, in Christi Namen werf' ich Panier auf!«

Das Weib hob das thränenüberströmte Antlitz und lächelte: »O Hansjörg!« Dann aber ging ein Beben über ihre Glieder: »Da – da schau!«

Neue Nebelmassen wallten über die Berge her, die Sonne verschwand, und in fahlem, grauem Lichte dehnte sich das Land.

»Es ist wieder dunkel geworden, Hansjörg, dunkler als vorher,« flüsterte sie angstvoll.

Vom Dorfe herauf erklang ein Trompetensignal, hell und schmetternd.

379 »Komm, Ruth,« sagte Hansjörg Portner, »wir müssen fort!«

Krächzende Raben flogen querfeldein.

»Und wenn's auch wieder dunkel wird,« sagte er und atmete tief auf, »ganz dunkel kann's doch nimmer werden, Ruth!« 380


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