August Sperl
Hans Georg Portner
August Sperl

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Verlassen.

Der Herbstwind fuhr über die Dächer des Zant, im Haine raschelte das dürre Laub, und die Buchen streckten ihre kahlen Aeste zum grauen Himmel.

Bedeckten Hauptes, mit kotbespritzten Stiefeln, sporenklirrend ging der Zantner in der dämmerigen Turmstube auf und nieder. An der Thüre lehnte Ruth.

»Und Ihr habt mit ihm gesprochen, Herr Vater?«

»O ja, gesprochen und getrunken eine gute Stunde lang im Goldenen Schlüssel zu Amberg,« sagte der Edelmann und ging unablässig auf und nieder.

»Ein Narr!« rief er nach einer Weile und lachte hart auf.

»Herr Vater!«

»Er glaubt noch immer, Theuern werde einer kaufen, und reitet landauf, landab. Jetzt kaufen! In dieser Zeit! Ein Narr, wer so was denkt und hofft.«

»Was bleibt ihm andres übrig, als zu hoffen?« fragte Ruth.

»Hoffen und Harren macht manchen zum Narren,« antwortete der Zantner und ging auf und ab. »Er weiß ja selbst nicht, was er will!«

»Herr Vater, Ihr sprecht, als wäre der Portner Euer ärgster Feind!«

175 »Ist er ja doch!« rief der Zantner und blieb vor seinem Kinde stehen. »Hat der Fant vor etlichen Monaten einen Brief geschrieben – gieb mir deine Tochter, ich will sie, damit basta. Und der sollte nicht mein ärgster Feind sein?«

»Aber, Herr Vater, Ihr habt ja doch eingewilligt?«

»Und was hätt' ich machen wollen dagegen?«

»Aber, Herr Vater, er hat es doch nicht böse gemeint!« sagte Ruth und versuchte zu lächeln.

»Nicht böse?« fragte der Zantner. »Und weißt du denn, was das alles in sich begreift, du? – Das heißt: Zantner, du hast sie auferzogen – weg damit aus den Augen, aus dem Sinn! Zantner, du hast in deinem Kinde eine Freundin gehabt – was stehst du und murmelst? Beiß die Zähne aufeinander und gieb sie dem Räuber – dem – dem –«

»Das ist so hergebracht,« meinte Ruth und sah den Vater zärtlich an.

»Jawohl, so hergebracht, der Lauf der Welt,« murrte dieser; »jawohl, ich weiß. Und sind auch hundert und hundert Väter froh, wenn's glückt, und reiben ihre Hände. Aber ich nicht, ich nicht!« Und wieder begann er auf und ab zu gehen.

»Ach, der Herr Vater darf sich darüber wohl nicht sonderlich grämen,« sagte Ruth; »ich glaub' halt immer, zuletzt wird nichts daraus.«

»Nichts daraus, Ruth? Mach mir nichts weis, Ruth!«

»Ach, Herr Vater, ich habe Euch doch noch niemals etwas weisgemacht!«

»Na, das wäre auch schön, Ruth! – Mach dir nichts weis, hätt' ich sagen sollen. Ich kenne das Ende vom Liede. Genau kenn' ich's, genau.«

»Herr Vater, ich denke, es ist wohl schon längst 176 aus zwischen mir und dem Portner,« sagte Ruth mit bebenden Lippen.

»Aus?« grollte der Zantner und schritt auf und ab. »Hätt's beinah auch gehofft, weil er nimmer auf den Zant geritten kam seit dem Frühling. Aber nun weiß ich's anders und ganz genau.«

»Aber, Herr Vater, was denn?«

»Ich habe dir eine Botschaft zu bestellen,« sagte der Zantner.

Ruth kam näher. Es war so dunkel geworden, daß sie die Züge des Vaters nicht mehr zu erkennen vermochte von der Thüre her.

»Wir saßen ganz allein im Schlüssel,« begann der Zantner und ging dabei auf und ab. »Herr,« fragte mich auf einmal der Portner, »werdet Ihr emigrieren oder konvertieren?«

»Und was habt Ihr geantwortet, Herr Vater?« stieß Ruth hervor.

»Ich?« Der Zantner blieb stehen. »Nichts!« sagte er und begann aufs neue seine Wanderung.

»Nichts?« fragte Ruth mit bebender Stimme.

»Nichts!« wiederholte der Zantner mit Nachdruck.

Ruth wartete, bis der Vater an ihr vorüberkam. Dann trat sie neben ihn und begann ihm zur Seite auf und ab zu gehen und horchte begierig auf jedes Wort.

»Der Portner nun stierte vor sich hin und hatte sein Weinglas umklammert, und als ich lange schwieg, sprach er zu mir: ›Ich weiß es schon, Eure Tochter denkt schlecht von mir –‹«

»Das ist ein Irrtum,« sagte Ruth und ging mit angehaltenem Atem neben dem Vater auf und ab.

»›– denkt schlecht von mir. Und so bitt' ich Euch, Herr, sagt Eurer Tochter, daß ich thue, was 177 sie will. Wenn sie will, daß ich konvertiere, so konvertiere ich; will sie, daß ich emigriere, so emigriere ich, selbst wenn uns Theuern bleiben sollte.‹ – Und dabei umklammerte er das Weinglas so heftig, daß es zerbrach und der Wein auf das Tischtuch floß.«

»Und was habt Ihr dem Portner geantwortet, Herr Vater?« fragte Ruth und seufzte tief auf.

»Nichts,« kam die Rede zurück. »Aber da ich sah, daß ihn die Liebe toll macht, versprach ich ihm vorm Abreiten, ich wolle die Botschaft bestellen.«

»Und was sagt Ihr mir noch, Herr Vater?«

»Nichts.« –

»Herr Vater,« begann Ruth, indem sie rastlos auf und nieder schritt an der Seite des kleinen Mannes; »wenn nun – erlaubet, daß ich mir ein Herz nehme – wenn nun in etlichen Monaten ein andrer an Euch die Frage stellt –?«

»Welche Frage?« rief der Zantner gereizt.

»Wollt Ihr konvertieren oder emigrieren, Herr von Zant?« vollendete Ruth.

Der Zantner schwieg, und man hörte nichts als das Geräusch der vier Sohlen auf den Dielen: der zwei schweren mit dem starken Sporengeklirre und der zwei leichten, die kaum den Boden berührten. Der Zantner schwieg.

Nach einer Weile ging Ruth zur Thüre, wandte sich und fragte mit bebenden Lippen: »Es ist so dunkel bei Euch – darf ich das Licht schicken?«

»Schicke das Licht!«

Und Ruth schlich aus der Thüre.


Ruth befahl der Magd, das Licht zu bringen; dann ging sie und suchte die Mutter.

Und sie fand die Mutter in der Leinwandkammer.

178 »Das ist recht, Ruth, kannst mir helfen!« rief die Zantnerin, und Ruth begann schweigend die Leinwandstücke vom Tische in die Truhe zu legen. Trübe brannte die Laterne.

»Ruth – kennst du's?« sagte die Mutter und hob ein buntes, flitteriges Ding aus ihrer Truhe.

»Ja, Frau Mutter,« antwortete Ruth leise.

Die Zantnerin kam nahe heran und wog das bunte Ding auf den Fingerspitzen.

»Nun, Ruth?«

»Die Brautkrone, Frau Mutter,« murmelte Ruth, nahm ein neues Leinwandstück und bückte sich tief in die Truhe.

Mit glücklichem Lächeln stand die Zantnerin und sah von der glitzernden Brautkrone auf den Scheitel ihrer Tochter.

»Frau Mutter,« sagte Ruth und erhob sich, »erlaubet, daß ich mir ein Herz nehme, Frau Mutter!«

»Ei, was denn, Ruth? Und wie siehst du denn aus, Ruth? Erschreckst du mich, Kind!«

»Gehen wir nicht seit dem Frühling herum, eines um das andre, Frau Mutter, und verbirgt eines die Gedanken vor dem andern, Frau Mutter –?«

»Welche Gedanken?« fragte die Zantnerin ängstlich und legte die Brautkrone auf einen Stoß frischer Wäsche.

»Erlaubet, daß ich mir ein Herz nehme, Frau Mutter! Wenn nun in etlichen Monaten die Frage an den Herrn Vater kommt, Zantner, willst du –?«

»Ruth – geh – geh zum Vater – und – frag – den Vater –!« rief die Zantnerin angstvoll.

»Ich habe mir das Herz genommen und den Herrn Vater gefragt,« antwortete Ruth; »aber Frau Mutter –«

179 »Ruth, was der Herr Vater sagt, dem höre zu, mich – laß –!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in Weinen aus.

»Aber Frau Mutter!« Das Mädchen umschlang die bebende, zitternde Gestalt und bedeckte die Hände vor dem Antlitze mit Küssen.

»Geh, Ruth, geh! Liebe Ruth!« schluchzte die Zantnerin und wandte sich ab.

Und Ruth schlich aus der zweiten Thüre.


Es pochte an der Stube der Ahnfrau.

»Nur herein – das ist die Ruth, die kenn' ich schon am Pochen!«

Ruth kam herein. Die Ahnfrau saß in ihrem ledernen Lehnstuhle, auf dem Tische brannte eine dünne Unschlittkerze, und zu Füßen der Greisin kauerte ein Häuflein Kinder.

»Auch her–etzen, Uth!« rief das Kleinste, trippelte zur Schwester und packte sie am Rocke. »Auch heretzen, Uth! Ahne tählen!« Und das Kind zog die große Schwester zum Stuhle der Ahnfrau.

»Weiter, Ahne!« drängte der Achtjährige.

»Ja, weiter, weiter, weiter!« lachte die alte Frau und faltete behaglich die Hände über den Knieen. »Raubvögel, ihr! Blutegel, ihr! Erzählen, erzählen, erzählen! Klebt mir die Zunge am Gaumen, bin leer wie eine ausgequetschte Leberwurst und wie ein ausgebeutelter Kornsack.«

Die Kinder lachten.

»Tählen, Ahne!« bettelte das Kleinste und versuchte auf den Schoß der Großmutter zu klettern.

Die zog das Kind herauf und fragte: »Wovon haben wir also gesprochen?«

»Von der Salbe, die gegen das letzte Uebel hilft!« 180 rief der Aelteste. »Sagt doch, Ahne, wie kocht man diese Salbe?«

Die Ahne machte ein ernsthaftes, geheimnisvolles Gesicht und raunte: »Nimm Glanz vom Kirchenknopf, Ton von den Glocken, Blaues vom Himmel, Schnelles vom Hasen, jegliches ein Lot, und koch's mit den Eingeweiden von einem alten Fußsack – das giebt die Salbe, die gegen das letzte Uebel hilft. – Willst was, Ruth?«

»Ich hätte die Ahne gern etwas gefragt,« flüsterte das Mädchen und hielt zögernd inne.

»Da habt doch Mitleid mit eurer alten Ahne, ihr Kinder,« sagte die Greisin; »klebt mir ja die Zunge am Gaumen von all dem Erzählen! Habt ihr's denn nicht gehört? Wer bringt mir also ein Schlücklein frischen Wassers?«

»Ich – ich – ich!« schrieen vier, fünf Kehlen, und die Schar stob aus der Thüre.

»Nein, du nicht, Wackerl, du bleibe nur da!« sagte die Ahnfrau und hob das Kleinste, das von ihrem Schoße geglitten war, wieder zu sich. »Nun, Ruth –?«

Ruth kniete vor der Greisin auf den Boden, hob ihr Antlitz und stammelte: »Erlaubet, daß ich mir ein Herz nehme, Frau Ahne! Gehen wir nicht seit dem Frühling herum, eines ums andre, Frau Ahne, und verbirgt eines vor dem andern seine Gedanken, Frau Ahne?«

Unruhig rückte die Alte auf ihrem Sitze, streichelte hastig die Locken des Kindes, räusperte sich und sagte: »So trocken am Gaumen, schrecklich trocken! Aber so steh doch auf, Kind! Es wird mir ganz heiß. Ich muß ein wenig umhergehen. Der Fuß ist mir wahrhaftig eingeschlafen. Komm, steh auf!«

181 Gehorsam erhob sich Ruth und nahm das Schwesterlein vom Schoße der Alten und setzte es auf den Schemel. Dann faltete sie die Hände krampfhaft und stieß heraus: »Frau Ahne, was ist's nun, wenn der Termin abläuft?«

Aechzend raffte sich die alte Frau von ihrem Sitze auf und humpelte an ihr Bett, nahm die Decke ab, strich das Kissen glatt, humpelte zur Truhe, hob den Deckel, schloß die Truhe, hob den Deckel wieder und kramte in der Tiefe.

Angstvoll sah Ruth hinüber auf die kleine, gebrechliche Gestalt. »In allen meinen Anliegen und Nöten bin ich von Kind auf zu Euch gekommen, Ahne,« begann sie klagend.

»Freilich, Gutlein, Lieblein, freilich,« sagte die alte Frau und kam heran. »Freilich sind wir immer freundschaftlich gewesen miteinander. Und da, Ruth, da!« Mit zitternden Händen reichte sie der Enkelin ein kleines, glänzendes Ding. »Da, Ruth, da hast meinen silbernen Schneck, Ruth – da, so nimm doch! Siehst du denn nicht? Den Schneck, den du immer so gern gehabt hättest, Ruth! – Sieh, da geht der Deckel auf, und da liegt das Schwämmlein drinnen, das so gut riecht, und da oben kann man 's Gipfelein abschrauben und – guck doch! – da ist der güldene Pfennig – nimm, Ruth!«

»Auch teigen!« bat das Kind, und die Ahne kniete nieder, hielt dem Kinde das Kleinod hin und begann mit hastiger Stimme aufs neue: »Sieh, da geht der Deckel auf, und da liegt das Schwämmlein drinnen, das so wohl riecht, und – und –«

»Auch jiechen!« bat das Kind.

Viele Schrittlein kamen die Stiege heraufgestapft. Die Thüre ging auf.

182 »Ich hab's eingefüllt, Ahne!« – »Ich hab's heraufgetragen, Ahne!« – »Ich hab's tragen wollen, Ahne!«

»Und guck, da liegt der güldene Pfennig!« murmelte die Ahnfrau und schraubte mit zitternden Händen.

»Erzählen!« bat der Achtjährige.

Ruth aber schlich aus der dritten Thüre. –

»Ahne, ich hab's!« rief der Aelteste.

»Was denn?« fragte sie müde.

»Ich weiß, welche Salbe gegen das letzte Uebel hilft! Darf ich's Euch sagen?«

»So sag's!«

»Die Salbe Nichts.«

*

Es war spät am Abende, da ging Ruth noch einmal zur Mutter in die Wohnstube. Und sie fand ihre Mutter allein.

»Mutter!«

»Was willst du, Ruth?« fragte die Zantnerin und sah von ihrer Näharbeit empor.

»Mutter!« sagte Ruth, ließ sich auf die Kniee nieder und hob die Hände flehend auf.

»Ruth?« kam's von den bebenden Lippen der stillen Frau, und sie zog ihr Kind an sich.

»Mutter, noch einmal, Mutter, noch ein letztes Mal, Mutter, die mir das Beten gelehrt hat! Mutter, warum denn – Ihr –?«

Die Zantnerin schluchzte laut auf und streichelte die Wangen des Mädchens. Dann raffte sie sich wortlos empor, zog Ruth am Handgelenke mit sich durch die Stube und öffnete leise die Kammerthüre.

Es war totenstill in der alten Burg, und friedlich atmeten die Kleinen und Kleinsten in Betten und Wiege und wußten nichts vom Jammer des Lebens.

183 »Hörst du sie atmen, Ruth?« flüsterte die Zantnerin.

»Ja, Mutter,« kam es zurück.

Krampfhaft umklammerte die kalte Hand das Gelenke. »Warum, Ruth? Deshalb, Ruth!«

*

In der Finsternis lag der Zant. Nur in Ruths Kämmerlein brannte noch ein Licht, und sie saß mit verweinten Augen vor einem leeren Briefbogen, kaute an der Feder und träumte vor sich hin.

»Also, wenn ich gehe, dann geht er, und wenn ich bleibe, dann bleibt auch er!« murmelte sie. »Bleibt ohne Besinnen!«

Und mit einem Rucke setzte sie sich zurecht, tauchte die Feder ein und schrieb:

»Des Herrn Bruders Botschaft hat mir der Herr Vater bestellt. Wer aber kann von heut an bis auf zwei Monde hinaus wissen, was ein arm, schwach Weib thun wird? Was dann, wenn solchem Weibe zuletzt doch die Kniee wankend würden, und wenn es auf Vater und Mutter sähe und das Fürchten bekäme? Und auf eines Weibes Kraft will der Herr Bruder seinen Entschluß setzen? Kennt er denn dieses Weib, ob es standhaft bleiben wird? Der Herr Bruder ist bereit, zu emigrieren. Was aber dann, wenn das Weib nicht mehr bereit wäre bis dorthin? Dann wäre der Herr Bruder ein Spott vor ihm selber, so oft er in den Spiegel sähe. Er nehme nicht die Entschlüsse schwacher Menschen zur Richtschnur. Denn Menschen sind ja gar nichts –«

Sie ließ die Feder auf den Tisch fallen, legte die Hände in den Schoß und blickte auf das dunkle Fensterlein.

184 Langsam brannte der Wachsstock herunter, und es war totenstill.

›Nun muß er sich selber entscheiden!‹ murmelte sie und kreuzte die Arme unter der Brust und lehnte sich zurück.

Auf einmal ging ein Lächeln über ihre stolzen Züge: ›Der Portner? Nein, der Portner beugt sich nicht!‹

Dann aber legte sie die Arme auf den Tisch, vergrub das Haupt darein und weinte bitterlich. 185


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