August Sperl
Hans Georg Portner
August Sperl

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Auf dem Zant.

Weitmächtig und unergründlich, tiefblau und wolkenlos wölbte sich der Himmel über dem hügeligen Lande.

Die dunkelgrünen Fichten und Tannen hatten helle Spitzen angesteckt, und am Saume der schwarzen Wälder leuchteten die schlanken Birken. Auf allem Dorngesträuche lag der Blütenschnee, Bienen summten über den blumigen Wiesen. Die Vögel sangen in den Büschen, tirilierten in den flimmernden Lüften, lockten sehnsuchtsvoll in den Thälern und Schluchten. Unter weißschimmernden Bäumen verschwanden die grauen, geflickten Strohdächer des Dörfleins, und wie das märchenhafte Schloß im unbekannten Sagenlande thronte die Zantburg auf dem grünen Hügel und guckte mit ihren kleinen Bleifenstern hinaus in all die Frühlingspracht, als wollte sie sagen: Ich hab's vielhundertmal gesehen, und doch ist's immer wieder schön.

Ja, es war schön! Wer glücklich war, dem schlug das Herz, dem glänzten seine Augen – wer traurig war, der mußte sich verkriechen an diesem wonnevollen, wundersamen Frühlingsnachmittag.


Unter der grünen Linde im Burghofe saßen die 149 Zantnerischen und ihre Gäste, der Kemnater und Hansjörg Portner von Theuern.

»Dein Wein ist gut, Herr Nachbar,« sagte Wolf von Kemnat und hob das Glas; »ich bring's dir und den Deinen, von der Ahnfrau bis zum Kleinsten da!«

Der Zantner nahm seinen Becher und trank Bescheid. »Das ist ein großer Mund voll,« lachte er, stellte den Becher auf den Steintisch und zählte an den Fingern.

»Aber, Herr Vater,« sagte Ruth und hob das Kleinste auf den Schoß, »müßt Ihr da erst zählen? Das können unsre Hennen besser, die wissen's auswendig, wie viele Küchlein sie haben – sieben habt Ihr, Herr Vater, und die haben eine liebe Mutter und eine vielliebe Ahnfrau.«

»Ist ja nicht wahr, Ruth,« lachte der Zantner; »sechse sind's, und die haben zwei Mütter und eine Ahnfrau.« Und dabei streichelte er die schwarzen Haare seiner Tochter.

»Eine brave Frau und eine emsige Tochter,« sagte die Ahnfrau, die in ihrem Lederstuhle am Stamme der Linde saß, »und ein altes, verhutzeltes Weib, das unnütz ist zu jeder Arbeit, Herr Sohn.«

»Frau Mutter!« rief der Zantner.

»Ahnfrau!« rief Ruth.

Die bleiche Zantnerin aber streichelte der Mutter Hände.

»Jawohl,« sagte diese und lächelte behaglich; »da sind die Zigeuner gescheitere Leute.«

»Was thun denn die Zigeuner?« fragte Ruth.

»Die Zigeuner graben ihre alten, gebrechlichen, unnützen Eltern lebendig ein, Kind,« sagte die Ahnfrau.

150 »Aber das ist ja entsetzlich!« murmelte Ruth.

»Ich finde das sehr vernünftig,« beharrte die alte Frau. »Habe auch anfangs immer gewartet: jetzt wird der Herr Sohn kommen und fragen – ist's gefällig, einsteigen, Frau Mutter –?«

Der Zantner lächelte vor sich hin, lächelnd streichelte die Zantnerin die Hände ihrer Mutter, Ruth aber rief mit bebender Stimme: »Ahnfrau, das kann ich ganz und gar nicht verstehen!«

»Dumm's Mädela!« sagte die Greisin und machte ein ganz grimmiges Gesicht, derweil ihr zwei dicke Thränen über die runzeligen Wangen liefen und in den Schoß träufelten. »Seit wann versteht man denn auf dem Zant kein Späßlein mehr? Aber vielleicht haben's die fremden Herren auch nicht verstanden!«

»I, das wissen wir doch, wie der Zantner mit seiner Schwieger haust,« lachte der von Kemnat und nahm einen starken Schluck; »das weiß man im Umkreis von zwölf Stunden!«

»Bitte, nichts Besonderes,« sagte der Zantner. »Alter Aberglaube vom Segen der Eltern, der den Kindern – na, die Geschichte vom Häuserbauen kennt ihr wohl alle.«

Ruth steckte das rote Köpflein in die Locken des Schwesterleins, die alte Frau aber lachte leise: »Wenn's auf meinen Segen ankäme, Herr Sohn, dann stände da auf dem Berg ein Schloß wie die Nürnberger Burg. – – Nein,« besann sie sich, »überall, wo Ihr wolltet, aber den Zant ließen wir stehen! Der Zant, Herr Sohn, um den wär's doch sehr schade, der Zant –«

»Der Zant ist eben der Zant,« lachte der Burgherr.

»Und auf dem Zant möchte ich wohl auch einmal sterben,« schloß die Greisin nachdenklich.

151 »Aber noch recht lange nicht, Ahnfrau!« meinte Hansjörg Portner.

»I da soll doch gleich – kommt der auch noch und thut einem schön!« sagte die Greisin. »Da könnte man ja ordentlich eitel werden.« Und sie sah den Junker mit einem wohlgefälligen Blicke an.

»Kenne solche, die uns allesamt heute lieber als morgen von unsern Burgen und Sitzen vertreiben möchten. Lohn's ihnen Gott mit Schwefel und Feuer und Pest!« rief der Kemnater und nahm einen Schluck.

»Vertreiben?« fragte die alte Frau und richtete ihre klugen Augen auf den feisten Junker.

»Noch lieber foltern, köpfen, verbrennen,« rief der Kemnater, und sein Gesicht wurde rot, »verbrennen, dieses am liebsten, und vor dem Scheiterhaufen stehen, wehmütig die Augen verdrehen, die Hände aufheben und beten mit murmelnden Lippen für den armen Schächer. Pfui Teufel!« Er schöpfte Atem. »Aber foltern, köpfen und verbrennen geht halt heutzutage doch nicht mehr so leicht! – Ha –« Der Kemnater kniff die Augenlider zusammen, daß nur noch zwei schmale Striche vorhanden waren, und legte die schwere Faust auf den Steintisch – »habt ihr meinen Pfaffen schon einmal gesehen? Nicht? Ist schade! Du, Zantner? Ja? Das ist so der richtige. Wenn der heut' und dürft' einen Holzstoß aufschichten hinterm Pfarrhof und mich draufsetzen und schmoren in meinem leibeigenen Fett – ich kann's ihm aber auch nicht übel nehmen, ich hab' ihm böse mitgespielt!«

»Erzählt!« sagte die Ahnfrau. »Einen guten Schwank hör' ich für mein Leben gern; das Lachen thut dem Magen wohl.«

152 »Ich und er, er und ich, wir liegen im Kampfe, seit er in Hohenkemnat eingezogen ist, der hochwürdige Herr Blasius Lorenz,« begann der Kemnater. »Am ärgsten aber grimmt's ihn, daß ich meinem alten lutherischen Prädikanten zwischenhinein heimlichen Unterschlupf im Schloß gebe, dem armen Tropfen, und daß ich mit den Meinigen und dem ganzen Gesinde fleißig geistliche Lieder plärre. Hab' meiner Lebtag noch nicht so viel gesungen wie zu jetziger Zeit. Na, was thut also der Pfaffe vor etlichen Wochen? Geht nach Amberg, kauft ihm einen bissigen Köter, kommt wieder und schreit nu den ganzen Tag in seinem Hof und Garten, daß ich's und alle Leut' hören: Luther, da herein, Luther, such, kusch, Luther, kusch! – So hat er, müßt wissen, das Vieh benannt.«

»Frechheit!« fuhr Portner auf.

»Nu hab' ich mich lange besonnen, was ihm dagegen anzuthun wäre. Endlich ist mir's geschossen. Sein Köter ist nämlich also geeigenschaftet, daß er seinem Herrn alles zuträgt – was er übrigens gemein hat mit diesem und jenem zweibeinigen Hund in Rock und Hosen zu Hohenkemnat. Nu hab' ich am jüngstvergangenen katholischen Feiertag frühmorgens nahe bei der Kirche auf meinem Grund und Boden ein schwarz, alt, abgemergeltes Roß lassen abdecken, des Pfaffen Hund herangelockt, dem Kadaver einen Fuß abgeschlagen, und als man gerade das Zeichen gegeben mit den Glocken und der Hochwürdige aus dem Pfarrhof geschritten und alles Volk auf dem Kirchenplatz gestanden ist, hab' ich den Köter eifrig ermahnt: bring's dem Herrl, bring's ihm! Und ist der Hund mit dem schwarzen Roßfuß im Rachen gerannt wie verrückt, dem Hochwürdigen in Weg gelaufen, ihm aufgewartet und das Präsent hingehalten, 153 coram publico. – So gelacht hab' ich, kann's wohl sagen, in meinem ganzen Leben nicht, wie nu der Hochwürdige dem Vieh einen Tritt giebt, daß es den Roßfuß fallen läßt, als hätt' ihn der Leibhaftige selber verloren auf dem Kirchenplatz in Hohenkemnat, und mit Geheul davonrennt, und wie dann der Hochwürdige die Faust ballt und auf mich herüberdroht und von weitem schimpft. – Also hab' ich ihm die Bosheit heimgezahlt, und jetzt kann er sich wieder auf was Neues besinnen, der hochwürdige Herr Blasius Lorenz.«

Und der dicke Junker faltete die Hände auf dem Bauche und lachte über die Geschichte, daß es ihn stieß.

»Gut, gut!« sagte die Greisin und nickte behaglich, während die Herren beifällig lachten.

Ruth aber sah mit ernsthaftem Gesichte auf den Kemnater.

»Hat Euch mein Schwank etwa nicht gefallen?« fragte dieser und machte ärgerliche Augen.

»Nein,« sagte das junge Mädchen sehr bestimmt.

»Na, ich hab's ihm aber doch ordentlich heimgezahlt?« rief der Kemnater sehr ärgerlich.

»Mag sein,« sagte Ruth.

»Na, also, was gefällt Euch nicht an meinem Schwanke?«

»Es war nicht recht, daß er seinen Hund Luther nannte, und es war auch nicht recht, daß Ihr ihm den Pferdefuß bringen ließet.«

»Recht! Was, recht? Kampf ist – wer fragt da nach Recht und Unrecht?«

»Und wie kann der Kampf endigen, wenn das keiner thut?«

»Ganz richtig, Ruth,« sagte der Zantner; »wenn 154 mir auch der Schwank mit dem Pfaffen ausnehmend gut gefallen hat.«

»Wie kann dann wieder das, was ich gesagt habe, ganz richtig sein?« fragte Ruth.

»O, du lieber Himmel!« seufzte die Ahnfrau mit kläglichem Gesichte. »Das duldet Ihr, daß Eure Tochter eine so ganz andre Meinung hat als Ihr?«

»Bin ich denn ein Jesuit oder ein lutherischer Hofpfaff?« lachte der Zantner. »Dazu habe ich sie doch erzogen!«

»O, du lieber Himmel,« sagte die Greisin, während sie heimlich ein Lächeln unterdrückte, »wenn das eine Jungfer gewagt hätte in meiner Jugend!«

»Ich hätte gewiß mein Staatskleid anlegen sollen,« begann nun der Junker von Kemnat, ganz rot vor Aerger, »und hätt' an seiner Thüre klopfen sollen und hätt' ihn bitten sollen? – Diese Pfaffen, diese, diese – Pfaffen, die uns alle am liebsten verjagen möchten ins Elend, mit dem Bettelstab in der Hand von Land zu Land zu ziehen, den Hut aufheben zu müssen – bitt' gar schön, ein armer Emigrant, um des Glaubens willen vertrieben. Aber so weit soll's nicht kommen, und deshalb müssen wir ihnen das Leben heiß machen, heiß machen –!« Er schöpfte Atem, nahm den Becher und that einen tiefen Zug.

»Ist ja schon so weit,« sagte der Zantner, und seine Nasenflügel zitterten, während die Rechte ins Wams griff.

»Vertreiben?« fragte die Greisin zornig. »Wer kann uns vertreiben? Warum könnte man uns vertreiben? Uns? Uns vom Adel? Wer?«

»Hast du's noch nicht bekommen?« fragte der Zantner den Kemnater.

»Was?«

155 »Das Schreiben vom kurfürstlichen Regiment?«

»Ist mir vorhin, ehe ich abritt, so 'n Wisch ins Haus getragen worden. Hab' ihn auf den Tisch geworfen. Soll ablagern, der Wisch, hab' ich mir gedacht. Nu, was soll denn drinstehen in dem Wisch, Zantner?«

»Konvertieren oder emigrieren,« sagte der Zantner finster und hielt ein großes Schreiben in die Höhe.

»Bis wann?« fuhr der Kemnater empor, kirschrot im feisten Gesichte, mit funkelnden Augen.

»Also doch!« murmelte die bleiche Zantnerin und faltete die Hände im Schoße.

»Ruth, was heißt emegieren?« fragte der achtjährige Jörg, der mit erhitztem Gesichte herzugesprungen war.

»Horch auf den Vater!« flüsterte Ruth.

Die Ahnfrau zerbröselte mit zitternden Händen ihr Backwerk im Schoße und bewegte die Lippen.

Hansjörg Portner wandte keinen Blick von Ruth und sagte: »Ich weiß es seit gestern.«

»Du weißt es?« schrie nun der Kemnater. »Und redest nicht und deutest nicht? Reitest mit mir von Hohenkemnat auf den Zant und schweigst? Duckmäuser! – Her mit dem Wisch, Zantner!«

»Vetter!« fuhr Hansjörg Portner auf.

Der Zantner lächelte kühl und steckte das Schreiben in die Tasche: »Es ist doch merkwürdig, wie ungerecht ein Schrecken die Menschen macht. Was hat dir denn der Portner gethan, Kemnater? Niemand ist gerne der Briefbote des Unglücks. Nimm dein Wort zurück!«

»War nicht so gemeint, beim Teufel, war nicht so gemeint,« schrie der Kemnater. »Aber gieb den Wisch heraus!«

»Nein, hier im Hofe nicht,« sagte der Zantner; 156 »schauen ja die Leute schon aus allen Thüren. – Stine, Hannes,« rief er mit scharfer Stimme über den Platz, »was ist, habt ihr keine Arbeit, heda?«

Die Köpfe verschwanden, der von Kemnat aber stemmte die Fäuste auf den Steintisch und schrie: »Jeder soll's hören, da steht einer vom oberpfälzischen Adel, der sagt – ein Wisch ist ein Wisch! Und ehe ich mich ducke, roll' ich ein Faß mit Pulver in meinen Keller und spreng' mich und die Meinen in die Luft. Und wann soll's denn sein, Zantner, wann?«

»Auf den ersten Jänner 1629 ist der Termin gesteckt,« sagte der Zantner widerwillig.

»Satanshunde!« kreischte der Kemnater, während sich die Ahnfrau beide Ohren zuhielt. »Mitten im Winter, wenn der Schnee kracht und die Bäume bersten vor Frost?« Er schöpfte Atem und wischte mit der Hand über den geifernden Mund.

»Ich bitte dich,« mahnte der Burgherr, »kann man denn nicht ruhig reden, Wolf? Ich denk', es geht uns alle an.«

»Ich will meine Ruhe, meine Ruhe will ich haben!« sagte die Greisin mit erregter Stimme. »Führe mich hinein, Kind!«

Und sie stützte sich schwer auf den Arm ihrer Tochter und ging mit schleppenden Schritten dem Hause zu.

»Was ist denn, Ruth? Warum schreit denn der Mann so?« flüsterte der Achtjährige. »Ruth, komm doch mit in den Wald, die andern spielen im Wald!«

Ruth liebkoste das Mägdlein und flüsterte dem Achtjährigen zu: »Gleich, Jörg.«

»Nun gebt den gottverdammten Wisch« drängte der von Kemnat.

157 »In meiner Stube,« sagte der Zantner und erhob sich. »Komm!«


»Geh doch, Ruth, hier ist's ekelhaft!« drängte Jörg.

»Kommt Ihr ein wenig mit in den Wald, Herr Portner?« fragte Ruth.

»Sie kommen alle!« jauchzte Jörg und jagte über den Hof und hinaus durchs offene Thor. »Alle, alle,« jauchzte er, als könnten die im Walde hinter dem Zant sein Stimmlein hören; »sie kommen alle!«

*

Der frischgrüne Buchenhain auf dem Berggrate hinter dem Zant hallte vom Jauchzen der spielenden Kinder.

Schweigend gingen Hansjörg und Ruth über die alte, moosgraue Zugbrücke, und zwischen ihnen trippelte das kleine Kind.

Am Ende der Brücke blieb das Mädchen stehen und sagte: »Ich kann's nicht ausdenken!«

Portner bückte sich und streichelte das Haupt des Kindes und schwieg.

»Fort?« sagte Ruth. »Ist denn das wirklich Ernst?«

»Das ist Ernst,« antwortete Hansjörg und richtete sich auf.

»Aber die kleinen Kinder und die gebrechlichen Alten?« fragte Ruth.

Hansjörg schwieg.

»Nein,« sagte Ruth und warf das Köpflein zurück, »das ist nicht möglich, das geht wider das Erbarmen.«

Hansjörg lachte hart auf: »In maiorem dei gloriam.«

»Was heißt das?«

158 »Zur höheren Ehre Gottes.«

»Ruth, Ruth!« kam's von den Buchen herüber.

»Herr Portner,« sagte sie hastig und blickte angstvoll zu ihm empor, »Ihr müßt mir's erklären, es ist mir so dunkel. Ueber alles kann ich mit dem Herrn Vater sprechen; wenn ich auf diese Dinge komme, so schweigt er ganz. Er spricht niemals vom Heiligen mit uns Kindern, ich weiß nicht, warum. Herr Portner, können sie uns denn von unsern Sitzen treiben? Ist das möglich? Uns vom Adel?«

»Ja. Doch es muß ja nicht sein.«

»Was muß nicht sein?«

»Daß man sich vertreiben läßt,« sagte Portner.

»Aber wie –?«

»Es ist jedem freigegeben, sich zu beugen,« kam die Antwort zurück.

»Sich zu beugen?« fragte Ruth entsetzt. »Aber sagt, lieber Herr Portner, kennt Ihr einen einzigen vom Adel, der so schlecht wäre?«

»Ruth! Ruth!«

Die Kinderschar stürmte aus dem Walde, umringte die Schwester und das Kind an ihrer Seite und zog die beiden jubelnd über die Wiese.

Schweigend folgte Portner und wandte keinen Blick von der lichten Gestalt des Mädchens, das mit schweren Gedanken im Haupte zu lachen und zu scherzen vermochte unter den unwissenden Kindern.

»Hierher, Ruth!« rief der Elfjährige und zerrte sie zu einem Baumstrunke. »Das ist dein Thron. Her mit dem Kranz!«

Die Neunjährige kam von hinten heran und setzte der Schwester einen Kranz von weißen Anemonen ins schwarze Haar.

Ruth lachte, die Kinder aber faßten sich an den 159 Händen und begannen im Ring zu tanzen, und der duftende, sonnenblinkende Hain hallte von dem Freudengeschrei:

»Ri, ro raa,
Der Sommer, der ist nah,
Der Winter ist gewichen,
Der Sommer kommt geschlichen –
Ri, ra, raus,
Stecht 'm Winter die Augen aus!«

Hansjörg lehnte an einer Buche und sah auf das Gewimmel und träumte – vom Winter und von gefrorenen Straßen, von knarrenden Wagen, dampfenden Rossen und frierenden Kindern.


Die Sänger hielten inne und schnappten nach Luft.

»Du bist die Königin, Ruth!« schrie der Achtjährige..

»Ach was, die Sommerin ist sie,« sagte die neunjährige Else.

»Die Braut ist sie!« schrie der Elfjährige.

»Die Braut, die Braut, die Braut!« klang es im Chore.

»Aber wo ist denn der Bräutigam?« fragte Else.

Einen Augenblick war alles stille. Dann aber rief der Achtjährige jubelnd und wies mit der kleinen Hand auf Portner: »Am Baume steht er!«

Ruth sprang jählings von ihrem Throne. »Fangt mich!« rief sie und stürmte in die Tiefe des Haines.

»Fangen! Fangen!« jubelte die Schar und rannte ihr nach.

»Angen! Angen!« lallte das kleine Mägdlein und versuchte mit den andern zu laufen. Dann blieb es stehen und begann zu weinen.

160 Portner kam heran, liebkoste das Kind und hob es auf den Arm.

»Sie kann nichts dafür,« sagte er, als wollte er die große Schwester entschuldigen vor dem lallenden Kinde, und dabei schüttelte er den Kopf.

Das Kind sah ihn ernsthaft an, schüttelte auch den Kopf und legte ein Aermchen um den Hals des Mannes. Dann bewegte es die Lippen, hob und senkte die kleine Brust, streckte die Hand aus und stieß hervor: »Du – auch – angen!«

Und über den beiden begann ein Fink zu schmettern, daß es hallte im Haine. 161


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