August Sperl
Hans Georg Portner
August Sperl

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Vertrieben.

Die Tage wurden kürzer und kürzer, die Nächte länger und länger, und die kurzen Tage und langen Nächte reihten sich aneinander, über das große römische Reich deutscher Nation und über das kleine, eroberte Land und seine Ritterschaft schritt unbarmherzig die harte Zeit. Das dürre Laub raschelte in den Wäldern, auf den Steigen und Wegen, der Schnee fiel und bedeckte die Erde, Weihnachten kam, und die Glocken erklangen allüberall, dann schrieb man sechzehnhundertneunundzwanzig. Und was noch vor Monaten als ein Schatten in der Ferne gestanden war, das ragte nun in drohender Nähe, war unentrinnbar und konnte nicht umgangen werden: die Entscheidung.

Und sie rüsteten sich zur Reise. Sie rüsteten sich in den uralten Bergnestern und in den finstern Steinhäusern der Thäler, in den kleinen, sumpfumgürteten Moosburgen und in den offenen Herrensitzen, sie ließen die Pferde satteln und ritten nach Amberg: Männer, in der Kraft ihrer Jugend, und Greise, gebückt von der Last ihrer Jahre; Väter unmündiger Kinder und Großväter, die auf Kindeskinder herabsahen; Reiche, in kostbare Pelze gehüllt, Arme, die das Geld zur Wegzehrung hatten borgen müssen; Trotzige und Verzagte, Fromme und Gottlose, Leichtsinnige und 214 Schwermütige, Entschlossene und Unentschlossene. Wer das Haupt einer Familie darstellte, der hatte nach Amberg zu reiten. Und so zogen sie alle auf den verschneiten Straßen, herab von den Hängen des Böhmerwaldes, herüber aus den Thälern der Vils und Naab, herauf aus dem Stiftlande, weither von den Grenzen des Markgrafentums, dem kurfürstlichen Befehle zu gehorchen und sich strikte zu erklären.

Da füllten sich die Herbergen in der alten Fürstenstadt, und die Wirte rieben schmunzelnd die Hände und berechneten ihren Gewinn aus der Not und Drangsal der andern; da stampften in den warmen Ställen die Rosse; da war Leben, wimmelndes, drängendes Leben in den engen Gassen und Gäßlein von früh bis nacht. Da raschelten wieder die Federn auf dem Papier; da tönten wieder dumpf die Fragen und Antworten im Sitzungssaale; da rann wieder heimlicher Angstschweiß und dampfte aus den Ketzerleibern empor als wohlgefälliges Opfer. Da liefen die lockenden Verheißungen wie Schlangen in Heimlichkeit von Ohr zu Ohr; da schwirrten scharfe Drohungen wie Pfeile. Wenn der Abend kam, knarrten unter den Sohlen angstvoller Bittsteller die Treppen in den Häusern hochmögender Herren, und im kalten Lichte des Tages bedeckten sich große Bogen mit langen Namenregistern, mit geraden und gewundenen Antworten. Da berichtete einer treuherzig von seinem kranken Weibe und von der Schar seiner Kinder und seiner Armutei, die Stimme wollte ihm versagen, als er um Frist bat, und er konnte es nicht fassen, als es nichts half; da erkundigte sich einer bedächtig, welches der Lohn für die Kniebeuge wäre, und begann zu feilschen, als stünde er auf dem Roßmarkte; da sprach einer hocherhobenen Hauptes sein stolzes Nein 215 und ging froh von dannen, wenn er auch nicht wußte, wovon er leben sollte im Elende; da rief einer trotzig, seit einem halben Jahrtausend bebaue sein Geschlecht die Scholle, viele seiner Ahnen hätten geblutet für die Fürsten und das Land, und fragte mit bebender Stimme, warum man ihn vertreibe? Da flüsterte einer, er sei's zufrieden, wolle thun, was man verlange von ihm. Wappen und adelige Gewänder sanken herab wie Plunder und Lumpen; Menschen, nackte Menschen entschieden und erklärten sich.

Aber es ging alles ruhig von statten, und der Vizedom hatte nicht nötig, die Trommel rühren zu lassen. Die kurzen Tage und die langen Nächte reihten sich aneinander, die Schreiber schütteten das Pulver über den letzten nassen Namen; die Rosse wurden wieder aus den Ställen gezogen, die finsteren Thorgewölbe erklangen wieder vom dumpfen Hufschlage, und nach allen vier Winden zogen sie heimwärts, in Gruppen und allein, je nach Gelegenheit, auf den gefrorenen Straßen, über das verschneite Land, durch die schweigenden Wälder. Und es war kalt, es war grimmig kalt im Januar des Jahres sechzehnhundertneunundzwanzig.

*

Die hungrigen Raben flogen bis in die Gassen des Dorfes, ein blinkender Wintertag neigte sich seinem Ende zu, vernehmlich pochte der Hammer von Theuern im stillen Thale.

»Nun sind wir mit der letzten Hoffnung zu Schanden worden,« sagte Hansjörg Portner auf der Schwelle der alten Wohnstube, warf einen erbrochenen Brief auf den Tisch, ging ans Fenster und starrte in das glühende Abendrot.

»So will er nicht kaufen?« fragte Georg Portner und griff nach dem Schreiben.

216 »Es hat sich ihm eine andre Gelegenheit geboten,« sagte Hansjörg und lachte hart auf.

»Wie Gott will,« murmelte Georg, glättete den Brief, las ihn und legte ihn auf den Tisch, faltete die Hände und sah vor sich hin.

»Nun möchte ich dreinschlagen, daß die Funken sprängen, das thäte wohl!« rief Hansjörg nach einer Weile mit bebenden Lippen.

Georg schwieg und sah vor sich hin.

»Aber stillesitzen und leiden müssen, das bringt mich um,« sagte Hansjörg. »O, daß doch Gott der Herr Wölfe und Jesuiten vertilgte mit Schwefel und Feuer – und mich helfen ließe bei solch heiligem Werke!«

»Andern geht's auch nicht besser,« murmelte der Bruder.

Hansjörg lachte: »Zum Exempel dem Vetter Hans Andre!«

»Nun ja, wie gottergeben hat er gestern in Amberg gesprochen!«

»Hat leicht so sprechen!« rief Hansjörg. »Ist ein reicher Mann –«

»Und verläßt das Seine,« sagte Georg.

»– und hat den größten Teil seines Vermögens auf Zins in Nürnberg stehen –«

»In Nürnberg?«

»– und hat gestern im Rausche zu einem Dritten gesagt, er pfeife auf sein lumpig Burggütel zu Rieden; das habe er einem verlässigen Pächter in Bestand gegeben, schlage mehr daraus, als wenn er selber drauf säße!«

»So gut hat er das Seine versorgt, Bruder?«

»So gut, Jörg, daß er sich schon vor drei Jahren in der Heimlichkeit ein ansehnliches Haus zu Nürnberg gekauft hat –«

»Ist's möglich, Hansjörg?«

217 »– und nun mitsamt den Seinigen unter viel frommen Reden – wenn er nicht gerade besoffen ist – und freudigen Herzens ins Elend fährt!« vollendete Hansjörg mit bitterem Lachen. »Wohl ihm, er ist ein kluger Mann gewesen, und ich neide ihm sein Glück nicht. Aber nur soll er mir nicht heucheln – das Heucheln hasse ich wie die Pest, Jörg! Du auch, Jörg, du auch!«

»'s ist freilich ekelhaft,« meinte der andre.

»Und auf unser Theuern, auf unser schönes Theuern wird er die Hand auch noch legen!« grollte Hansjörg.

»Aber, Bruder, das wird er doch nicht?«

»Aber, Bruder, warum denn nicht? Mit der Zeit, wenn wir die Zinsen nicht mehr zahlen können – warum denn nicht? 's ist ja sein gutes Recht. Und in der Welt kommt alles darauf an, was für ein Mäntelein das Kind umhat. – Jörg, was ich fragen wollte, weißt du nicht doch einen gesetzten, verlässigen Menschen, den wir für die erste Zeit als Verwalter zurücklassen könnten?«

»Ich habe mich seit Wochen besonnen, Hansjörg; aber ich finde keinen, dem ich's mit Ruhe anvertrauen könnte.«

»Dann muß der Mathes bleiben.«

»Sehr jung, Hansjörg.« –

Stille war's in der dämmerigen Stube, nur in der Ferne pochte der Hammer von Theuern.


Drunten ging die Hausthüre, viele Schritte kamen die Stiege herauf. Flüsternde und murmelnde Menschen standen vor der Stube, dann pochte einer kräftig an.

Das dämmerige Gemach füllte sich mit Hammerknechten, und es roch stark nach Schweiß.

218 »Was wollt ihr, Leute?« fragte Hansjörg und kam vom Fenster heran.

Vor den andern stand ein alter, eisgrauer Knecht; der räusperte sich, drehte seine rußige Mütze in den Händen und sagte: »Nix für ungut, ihr Herren. Wir haben lang hin und her geredet, ob wir uns ein Herz nehmen sollen, und wir haben gesprochen, daß wir's uns nehmen wollen. Es geht die Rede, ihr Herren, daß – daß –« Der alte Mann hielt inne und blickte verlegen auf die Dielen.

»Nun, heraus mit der Rede!« sagte Georg Portner und erhob sich von seinem Stuhle.

»Daß die Junker von Theuern aus dem Lande ziehen wollen!« rief einer aus dem Haufen, und alle Köpfe wandten sich nach ihm, weil er so frech war.

»Ja, dasselbige hab' ich auch sagen wollen,« meinte nun der alte Sprecher und blickte fragend von einem der Brüder auf den andern. »Ist's denn wahr, ihr Herren?«

»Und wenn's nun wahr wäre, Burkhart, was dann?« fragte Hansjörg.

Der Knecht schwieg und drehte seine Mütze. Es war so stille, daß man die Atemzüge der Menschen zu hören vermochte. Nach einer Weile sagte der Alte gedehnt: »No ja–!« Und wieder nach einer Weile sagte er zum zweitenmale: »No ja–!«

»Das ginge euch nahe, ihr Leute – nicht?« fragte Georg Portner. »Das thät' euch grämen, wenn eure Herren ins Elend zögen – nicht?«

Der alte Knecht hob die Augen und sah dem Junker verständnislos ins Gesicht.

»Es wär' doch hart für mich und meinen Bruder und mein Weib und Kind – nicht?« wiederholte Georg.

219 »No ja, das schon auch,« sagte der Knecht. »Aber, Herr, was soll denn aus uns werden?«

»Ja, das ist die Frag'!« rief einer aus dem Haufen, und die andern murmelten beifällig.

»Das wird auf euch ankommen, ob ihr auch ohne uns eure Pflicht thut,« sagte Hansjörg.

»Ja wir, wir wollten schon,« meinte der Alte; »aber was kann denn hernach unsereiner machen, wenn keiner der Herr ist? Und wie kann denn der Hammer betrieben werden, wenn keiner als Herr bestellt ist? Oder wollt ihr den Ofen ausblasen?«

»Es wird sich alles richten und schlichten,« erklärte Hansjörg; »und den Hammer wollen wir nicht eingehen lassen, da seid nur ganz ruhig, ihr Leute!«

Der alte Mann schüttelte das graue Haupt: »Ganz ruhig, Herr Hansjörg? Nix für ungut, aber wer kennt sich denn aus, wie's sein soll im Hammerwerk, ihr Herren, wenn ihr fort seid?«

»Na, zum Beispiel du selber, Burkhart,« sagte Georg Portner; »ich dächte, du bist nun lang genug Hüttenkapfer und Werkmeister gewesen.«

»Das ist die Wahrheit, Herr; das ist so, Herr. Hab' jedoch immer meinen Herrn über mir gehabt – zuerst den Herrn von Zant, hernach Euch, Herr Jörg. Und solang ich denken kann, ist immer der Hüttenkapfer als Meister über den andern gewesen und hat verrichtet, was er gemußt hat; und ist aber auch immer ein Herr gewesen über dem Hüttenkapfer und hat das Ganze regiert. So ist's gehalten worden, wo der alte Loißl, Gott hab' ihn selig, Hüttenkapfer war, und alleweil von jeher ist's also gewesen in Theuern seit Menschengedenken.«

Die Brüder schwiegen.

»Und wer zahlt uns hernach am Sonnabend 220 immer aus, wenn kein Herr vorhanden ist, der 's Geld hat?« fragte einer aus dem Hintergrunde.

»Und wer sagt's, wenn's an der Zeit ist, die Notdurft an Kohlholz niederzuhauen?« rief ein andrer.

»Und wer tritt als Herr auf, wenn die Hundsköpf', die Schiffknecht' von Amberg herunterfahren und in ihrem Mutwillen das Fallbrett aufreißen?« rief der alte Hüttenkapfer.

»Und also das Wasser dem Hammerwerk zum Nachteil entziehen, ehe das eingezrennte Erz abgeschöpft und das Eisen gar herausgeschmiedet ist?« vollendete ein rußiger Schmied, der bis dahin geschwiegen hatte.

»Und wer verwehrt's den Schiffreitern, wenn sie querfeldein reiten und unser Kraut und Rüben stehlen?« fragte ein andrer.

»Da muß halt einer für alle und alle müssen für einen stehen,« sagte Georg Portner, während sich sein Bruder abwandte und ans Fenster ging. »Und glaubt ihr denn, ihr Leute, daß uns das Herz leicht ist?«

»No ja, das nit,« meinte der Hüttenkapfer; »aber an wem geht's doch zuletzt alles hinaus? An uns! Die Herren? Ei, da ist nur nit bang, die Herren finden immer wieder ihren Unterschlupf, die sind immer wieder mit Herren bekannt, die ihnen weiterhelfen. Aber unsereiner? Ich seh' schon alles im voraus, wie's kommen wird, wenn kein Herr vorhanden ist in Theuern! Da wird alles drunter und drüber gehen, und zuletzt wird's heißen: Die Not steht Schildwacht, und der Hunger schreit ›Wer da!‹ – Und wär's denn so notwendig, nix für ungut, ihr Herren?«

»Was?« fragte Georg.

221 »No ja, das Auswandern, ihr Herren? Nix für ungut, Herr, aber da hab' ich als Kleiner 'n Spruch gelernt, der hat mir immer so gar viel gefallen – darf ich Euch den Spruch sagen, Herr?«

»Nur zu!«

Es war nun recht dunkel geworden, und die rußigen Gesichter der Knechte verschwammen in eines mit den rußigen Kleidern; nur das Weiße in den Augen glitzerte zuweilen hervor aus dem Schatten. Und der Alte sagte, als wäre er wieder ein Schulbub' und stünde vor dem Lehrer, mit singender Stimme sein Sprüchlein auf:

»Richt deinen Kopf in die Welt hinein;
Denn dein Kopf ist viel zu klein,
Als daß sich die große Welt,
Wie's dir gefällt,
Könnt' richten und schlichten
in deinen kleinen Kopf hinein.«

»Gefällt euch mein Sprüchel nit, ihr Herren?«

»Frechheit!« rief Hansjörg und trat neben den Bruder.

»Nein, Burkhart, der Spruch gefällt uns nicht,« sagte Georg Portner mit Ruhe; »das verstehst du nicht. Nun aber geht nach Hause und seid gewiß, daß wir nach allen Kräften für euch sorgen werden.«

»Schönen Dank, Herr! Und nix für ungut, jeder macht's, wie er's versteht. Und b'hüt euch Gott, ihr Herren!«

Er wandte sich, und mit gemurmeltem Gruße drängte sich der Haufe zur Thüre. –

Als die schweren Schuhe auf der Stiege trappelten, sagte Georg Portner: »Es ist ein Jammer, wohin man sieht.«

»Und nun hebt auch die Frechheit schon an!« 222 grollte Hansjörg. »Als ob sie wüßten, daß man uns die Gerichtsbarkeit beschneiden wird! Wann hätte jemals ein Hüttenkapfer auf solche Weise mit seinem Herrn gesprochen?«

»Es ist die Angst,« sagte Georg.

»Und nur an sich denkt das Gesindel!« rief Hansjörg.

»Und haben denn wir nach Gebühr an sie gedacht in unserm Unglück, Bruder?« fragte Georg.

Und er setzte sich an den Tisch und sann vor sich hin, während der Bruder am Fenster stand und in die Dämmerung starrte.

»Kann ich dafür, Jörg, oder der Kurfürst?« fragte nach einer Weile der Mann am Fenster.

*

»Ei der Tausend, wie finster ist's bei euch – oder seid ihr nimmer in der Stube da?« fragte Anna Felicitas mit dem Kinde auf dem Arme unter der Thüre.

»Hat uns niemand Licht gebracht, Anna Feli,« sagte Georg, während es gedrückt vom Fenster kam: »Guten Abend, Schwägerin!«

»Ei der Tausend,« rief sie mit heller Stimme, »ich glaub' alleweil, ihr sitzet gerne im Dunkeln, lasset die Köpfe hängen und machet lange Gesichter?«

»Kann wohl sein, Schwägerin.«

»So – und ist das auch recht gethan, ihr Mannsleute, sagt, ist das recht? Kann da was Gutes wachsen? Mir scheint, ich muß ein bissel poltern, ihr Mannsleute!«

»So poltere nur!« sagte Georg Portner. »Ist uns kurzweiliger, als wenn es gar so stille ist.«

»O ja, kommt mir nicht an drauf! Und warum 223 sitzt ihr denn im Finstern und brütet auf den alten Eiern?«

»Die hat uns ein Kuckuck ins Nest gelegt, und nun, da liegen sie, mögen wir wollen oder nicht,« sagte Hansjörg.

»I was, werft die Kuckuckseier hinaus, Mannsleute!«

»Alles ist vergeblich gewesen, Anna Feli, und wir können nicht verkaufen,« murmelte Georg.

»Und es ist nur eines gewiß: daß wir in kurzem bettelarm sein werden!« murrte der am Fenster. »Und wozu muß man denn weiterleben?«

»So, so,« sprach die Portnerin, »darauf geht's also hinaus? – Ei, ei!« Dann aber that sie ein paar lange Schritte gegen den Tisch hin. »Streck deine Arme aus, Jörg! So – da – da hast du dein Mädel – da hast du's! Hast du's fest auf dem Schoße, ja? Nu, so sag's du auch, das von der Bettelarmut und das andre, das vom Ungrund oder Unwert des Lebens! Na, Jörg? Gelt, du schweigst! – So, und nun kommst du an die Reihe, Schwager! Also, verkaufen können wir nicht?«

»Wir sind mit unsrer letzten Hoffnung zu Schanden geworden, Schwägerin. Da liegt der Brief! Die Zwerglein haben recht: wenn sie kleine Kinder kriegen, dann werden sie traurig, weinen und behängen sich mit Spinnweben – sie haben recht, nun weiß ich's auf einmal.«

»Ach, wie kann man nur so was Gottloses sagen, Hansjörg!«

»Nun, es ist eben so!«

»Nun, es ist eben nicht so!« rief die kleine Frau mit ihrer hellen Stimme. »Mannsleute, Mannsleute! Da stehen und gehen sie voll hohen Mutes 224 vor den Menschen draußen – hätt' euch sehen mögen, wie trotzig ihr gestern das Nein abgegeben habt in Amberg! – und hernach, wenn's finster ist und ist kein Fremder dabei, dann knacken sie zusammen. Ist's nicht so? – Und sagt, was ist's doch für ein Segen, für ein Herrgottsegen, daß wir ein gutes Gewissen haben in all dem Durcheinander! Ich möcht' nicht stecken in dieser oder jener Haut – oder habe ich unrecht?«

Hansjörg Portner antwortete ein wenig kleinlaut: »Du könntest wohl fast recht haben, Schwägerin.«

»Also, Herr Schwager! Und sag, hast du schon einmal seit gestern unserm Herrgott gedankt für alles Gute, was dir geblieben ist, und du, Jörg?«

»Mir geblieben ist!« brach Hansjörg in erneuter Bitterkeit los.

»Ja, geblieben ist, Schwager!« rief sie mit Nachdruck. »Du weißt ja gar nicht, was du alles hast!«

Hansjörg murmelte Unverständliches, während das Kind auf dem Schoße des Vaters zu dahlen begann.

»Sind wir nicht alle gesund?« fragte die Portnerin. »Und muß man nicht danken für die Gesundheit?«

Die Brüder schwiegen.

»Und haben wir nicht Frieden untereinander und Eintracht?« fragte die Portnerin unbeirrt. »Und können wir nicht etliche hundert Gulden bar mitnehmen von Theuern? Und haben wir nicht kräftige Arme?«

Die Brüder schwiegen.

»Und ist es nicht dir, Hansjörg, gelungen, das kleine Bauerngütel da im Nürnbergischen, in – nu – hilf mir doch –«

»Das Dreihundertguldengütel in Happurg? Ja, 225 das habe ich gekauft, ist aber just kein großer Trost, Schwägerin. Könnt euch in Zukunft schreiben: Portner von Theuern aus Holzhäuselheim zu Happurg.«

»So? Was du sagst! Mir aber ist's dennoch ein Trost, daß ich weiß, wohin wir das Haupt legen können, und ich danke Gott dafür, und wenn ihr's nicht thut, besorg' ich's für euch beide mit.«

Hansjörg lachte.

»Und hast du denn nicht deine Anna Feli, du Jörg da, du Barbar, und dein Mädel?«

»Ja, die hab' ich, Anna Feli, und könnte kein besseres Weib haben,« lachte Georg Portner. »Und ich danke Gott für Weib und Kind,« fügte er ernsthaft bei.

»Wenn sie den zwei Mannsleuten auch zuweilen die Köpfe zurechtrückt, die Anna Feli,« sagte die kleine Frau. »Aber das hat mir wohl gethan bis in den Magen hinunter, Liebster! Und was du erst für einen Schatz hast, Hansjörg, das weißt du ja gar nicht! Wenn man daran denkt, kann man gleich gar nimmer reden.«

»Da weißt du mehr als ich, Schwägerin.«

»So – glaubst mir's nicht? Na, warte, ich will dir ein Licht anzünden! – Könntest mir wohl das Kind in die Kammer tragen, 's ist Zeit, daß es schlafen geht, Jörg! – Komm nur, Jörg! Da, Dorel, sag dem Oheim gute Nacht – so!«


Hansjörg stand allein im finsteren Gemache: »Was ich für einen Schatz habe? Du lieber Gott, den besten hab' ich doch verloren!« –

Draußen ging eine Thüre, leichte Schritte kamen über den Vorplatz, vor der Stube erhob sich ein Flüstern und Wispern. Die Thüre ging auf, das 226 Licht einer Kerze fiel herein, und Frau Anna Felicitas sagte: »Nur immer zu, steck ihm das Licht auf!« Und damit schob sie eine schlanke Gestalt in die Stube und zog sich eilig zurück.

»Ruth!« rief Portner und rührte sich nicht vom Flecke.

Ruth von Zant lehnte an der Thüre, und in ihren Händen zitterte das Licht.


Sie standen in Mitte der Stube, und vom Tische herüber leuchtete das kleine Licht.

»Aber du warst ja doch sehr schwankend geworden, Ruth?«

»Verzeih mir, Portner, nie!«

»Aber dein Brief, Ruth?«

»Was habe ich dir geschrieben, Hansjörg? Der Herr Bruder solle sich nicht stützen auf eines schwachen Weibes Entschluß, der könnte schwankend werden!«

»Ruth!«

»Nun ja, Hansjörg, und so warst du auf dich selber gestellt, und da konntest du gar nicht anders – du konntest nicht anders, das hatte ich von Anfang an gewußt.«

»Und es hätte doch alles ganz anders gehen können, Ruth!«

»Nein!« sagte sie mit stolzem Lächeln. Dann setzte sie schüchtern hinzu: »Als du dich aber geweigert hattest vor dem kurfürstlichen Regimente, da litt es mich nimmer auf dem Zant, da ließ ich satteln –«

»Ruth, ach, täusche dich nicht in mir!«

»Aber, Hansjörg – wie denn?«

»Warum willst du Eltern und Heimat verlassen, Ruth?«

»Weil ich's nicht anders befinde in meinem 227 Gewissen. Und warum willst du alles aufgeben, Hansjörg? Doch auch, doch auch –?«

»Ich, Ruth? Du irrst dich sehr. Ich –?« Er biß die Zähne zusammen. »Aus Trotz, Ruth!«

Sie ließ die Arme sinken.

»Nicht wahr, das ist wenig, Ruth?« sagte er und griff nach ihrer Hand.

»Es ist nicht wenig, Hansjörg, aber es ist – es ist noch lange nicht alles,« antwortete sie. Dann begannen ihre Lippen zu zittern, Thränen rollten aus ihren Augen: »Es ist ein heiliger Trotz, Hansjörg!« Und sie riß ihre Hand los, umschlang ihn mit den Armen, drückte ihr Haupt an seine Brust und murmelte unter Schluchzen stoßweise: »Verlaß mich nicht, ich bin so ganz allein!«

Er streichelte ihre Wange, hob ihr Kinn und sah in ihre glitzernden Augen, beugte sich und bedeckte ihre Stirne mit Küssen.

Sie aber flüsterte weinend und jauchzend: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein Volk – wo du stirbst, da sterbe ich auch – –«

Der Mann beugte sich noch tiefer und küßte den stammelnden Mund.

*

Zur gleichen Stunde saß der Vizedom in der hellerleuchteten Stube bei seinem Weibe und blätterte in einem engbeschriebenen Foliohefte.

»Wie viele haben sich geweigert?« fragte die Gnädige, als er das Heft weglegte.

»Ich mag's nicht zählen – entsetzlich viele!«

»Pah, wollen wir in sechs Monaten wieder fragen!«

228 Der Vizedom stand auf und lehnte sich hüstelnd an den warmen Ofen.

Die Gnädige saß gerade und steif wie immer in ihrem Stuhle und fragte mit ihrer eintönigen Stimme: »Wie hat sich der Haller von Ammerthal resolviert?«

»Er emigriert,« kam die Antwort zurück.

»Und die Portner in Theuern?«

»Emigrieren.«

»Und der Erckenprechtshausen in Ursensollen?«

»Hat sich zur Information bereit erklärt.«

»Aha! Und der Zantner?«

»Will konvertieren.«

Die Gnädige wandte sich ein wenig nach dem Vizedom und fragte rascher, als es sonst ihre Art war: »Und der Kemnater auf Hohenkemnat, was ist's mit dem? Der fährt wohl mit Fluchen und Schnauben auf einem dreibeinigen Klepper aus dem Fürstentum?«

Der Hochgebietende ging an den Tisch und blätterte in dem Aktenstücke. Dann las er: »Kemnater von und auf Hohenkemnat hat es schon längst in seinem Gewissen verspürt, trägt sonderbare Inklination zur katholischen Religion und will bis Ostern konvertieren mit den Seinen.«

Die Gnädige lachte kurz auf. »Und der Mendel von Lintach?«

»Emigriert.«

»Die Landsassengüter im Fürstentum werden nun sehr wohlfeil,« meinte die Gnädige nach einer Weile.

»Mitten im Winter von Haus und Hof, es ist hart,« murmelte der Vizedom, über das Heft gebückt. »Ich wollte, Seine Durchlaucht hätten doch noch anders befohlen!«

»Just die richtige Zeit! Horch nur, wie der Schnee kracht und pfeift!« sagte die Gnädige, nahm 229 den Stickrahmen und ließ einen goldenen Staubfaden aus der blauen Kelchblume wachsen.

*

Ein hochbepacktes Fuhrwerk, vorn auf Schlittenkufen, hinten auf starken Rädern, wartete vor dem Herrenhause zu Theuern, und als weißer Dampf quoll der Atem aus den Nüstern der Rosse.

»Viel ist's nicht, Herr!« meinte der Reitknecht Mathes und betrachtete die Kisten und Getreidesäcke auf dem Wagen und die Betten und das geringe Hausgeräte.

»Es ist auch nur fürs erste, und im Frühling holen wir das andre nach,« sagte Hansjörg Portner und wandte sich zum Fuhrknechte: »Du kannst nun abfahren! – Und du, Mathes, läßt die Kutsche anspannen und führst die Pferde vor!«

Die Rosse zogen an, schwerfällig bewegte sich das Fuhrwerk über den pfeifenden Schnee zu den Linden, hinaus über die Steinbrücke, rechts hin gegen den Fluß.

»Herr,« fragte Mathes, »und ich darf also nit mit Euch?«

»Und wer sollte denn das Haus bewachen?« rief Hansjörg ärgerlich.

»Schon, schon,« murmelte der Reitknecht.

»Bis zum Frühjahr muß ja doch eine Aenderung kommen, und dann – wie oft soll ich dir das alles noch sagen, Mathes?«

»Schon, schon.« –

Nun war der Lastwagen auf der Holzbrücke und fuhr langsam und mit Gepolter über den schreienden Schnee und die wackligen Bohlen.

»Bis zum Frühjahr mußt du bleiben und gut haushalten, Mathes!«

»Ich schon, ich, Herr. Aber was werden die andern fragen nach mir?«

230 »Es wird schon gehen. Du mußt dir Respekt verschaffen!«

»Den könnt Ihr mir nit geben, Herr, durch Euer Wort, und den kann ich mir nit verschaffen von heut auf morgen. Unter den Hammerknechten ist gar mancher Alte, der mir vor Jahren die Hosen gespannt hat.«

»Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verstand, Mathes.«

»Hier ist der Rötel, Herr,« sagte der Knecht und gab dem Junker den Brocken. »Ich hab' die Kisten alle angezeichnet nach Euerm Gebot.«

Hansjörg nahm den Brocken und ging ins Schloß. Aus der Kinderstube zu ebener Erde kam lautes Beten.

Hansjörg blieb stehen und lauschte. Da vernahm er seinen Bruder, der mit starker Stimme las. »Und der Herr sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.«

Der Lesende schluchzte. Da erklang die helle Stimme der Portnerin: »Gieb her, guter Jörg, nun will ich lesen!«

Hansjörg hörte das Rauschen der Buchblätter; dann hob die Portnerin an und las: »Und er blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sahe, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenket. Und er sprach: Laß mich gehen; denn die Morgenröte bricht an. – Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.«

Hansjörg begann die Stiege ins obere Stockwerk hinanzugehen und murmelte vor sich hin, als wäre er noch ein Knabe und säße in der Schule. 231 »Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen . . . Und er segnete ihn daselbst . . .«

Hansjörg Portner öffnete die Stubenthüre und betrat das kalte, leere Gemach. Unschlüssig stand er und drehte den Rötel zwischen den Fingern –: ›Warum bin ich denn hier? Was will ich denn? Die alte Stube will ich nochmal sehen!‹

›Was sie nun liest in ihrer Einfalt, das weiß ich wohl,‹ murmelte er nach einer Weile. ›Und warum gehe ich nicht hinunter zu ihnen? – Zantner, du bist's gewesen, nur du! Damals war's, damals hast du mir den Funken ins Herz geblasen, und dann hat's weitergefressen und hat mich leergebrannt. Ja, du, Zantner! – Que sais-je?

Er lachte hart auf. ›Und dennoch: Que sais-je?!

Er spielte mit dem Rötel. ›Ich weiß, was sie nun betet da drunten: "Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen." – Und wer hat ihn jemals gesehen?‹ –

Vor ihm starrte die kahle, weiße Wand, und während zur Seite ein hartgefrorenes Fenster in Purpurfarbe erglühte unter den Strahlen der aufgehenden Sonne, schritt er an die Wand und begann langsam und mit großen Buchstaben zu malen:

Rebus in angustis facile est contemnere vitam -
Fortiter ille facit, qui miser esse potest.

Das betrachtete er eine Weile in tiefen Gedanken. Dann warf er den Rötel in eine Ecke und ging mit Geklirre aus der Stube. 232


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