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7. Kapitel. Ein heiterer Regentag.

Es regnete! Fünf Tage weilten Dieter und Gundula nun schon auf der Burg und immer hatte die Sonne in diesen Tagen am Himmel gestanden und nun hatten doch die Regenwolken gesiegt. Als Dieter am Morgen zum Fenster hinausschaute, lag draußen alles in Dunst und Nebel, über Berge und Wälder waren Schleier niedergesunken, die verhüllten die Ferne und es war, als wäre die Burg und der nahe Wald nun auf einmal eine Insel im weiten grauen Meer.

»Es regnet!« Ganz kläglich sagten es die Geschwister als sie an diesem Morgen den Speisesaal betraten, in dem der Frühstückstisch gedeckt stand. Ein bißchen düster war es im Saal, und klatschend schlug der Regen an die Scheiben. »Es regnet!« Gundula wiederholte das Wort.

»Ja, freilich, es regnet, was gibt's da für einen Grund, so wie Sauerbier dreinzuschauen?« fragte der Oheim heiter.

»Es ist nur, weil wir nun nicht in den Wald gehen können,« flüsterte Gundula betrübt.

»So, nicht in den Wald gehen können? Wo steht denn das geschrieben, Jungfer Marzipan? Ich gehe, denn ich habe keine Angst aufzuweichen wie eine Semmel. Und wer nicht zimperlich ist, geht mit mir!«

Nein, zimperlich wollten die Geschwister nicht genannt werden und sie liefen darum rasch nach dem Frühstück noch einmal treppauf, zogen sich ihre dicksten Schuhe an und schlüpften in ihre Regenmäntel hinein. Marschbereit kamen sie dann wieder in den Speisesaal zurück und der Oheim musterte sie lachend aus seiner stattlichen Höhe herab. Als er in Gundulas Hand einen Schirm sah, wehrte er: »Laß den daheim, Mädel, mit einem Regendach in den Wald gehen, da lachen dich ja die Bäume aus. Zieh dir deine Kappe über und nun vorwärts!«

Tripp, trapp wanderten die drei in den Wald hinein, der Oheim voran. Wie das regnete! Es rieselte und rann, tropfte, gluckste und rauschte! Die Bäume und die kleinen Pflanzen schluckten und tranken, sie waren alle durstig nach der langen, heißen, trockenen Zeit. Die winzigsten Blättlein, die Blumen alle schluckten wie rechte, kleine Nimmersatte. Auf dem Wege bildeten sich schmale feine Bäche, die liefen eilig hierhin und dorthin, alle wollten sie sich in den Waldbach stürzen, der hoch geschwollen einen Lärm machte, als wäre er über Nacht ein großmächtiger Herr Fluß geworden. Aber wo die Rinnsale den Moosen begegneten, da wurden sie aufgehalten, denn die Moose waren noch lange nicht satt. Man muß vorsorgen für Trockenheit, dachten sie, und tranken jeden Wassertropfen, den sie erhaschen konnten. Sie waren ganz böse auf die großen Bäume, die so viele, viele Regentropfen auf ihren Blättern und Nadeln festhielten. Wenn nur der Wind käme und sie schüttelte, wünschten die Moose. Doch der Wind kam nicht, die Bäume standen ganz still, und immer, wenn die Kinder unter so einen Baumriesen kamen, dachte Gundula: Man braucht wirklich keinen Schirm.

Das Gesumm und Gebrumm der Insekten, das sonst an Sommertagen zur Waldmusik gehörte, schwieg freilich, aber still war es doch nicht im Walde, es zirpte und piepste mal da, mal dort, huschte und raschelte, wo dichtes Gebüsch am Wege stand, und laut gellte immer wieder das Krächzen der Krähen und Raben auf.

Die neuen Bewohner bauten ihre Nester, das verstanden die Menschen nun nicht, aber die Stimmen störten sie auch nicht. Die Kinder hatten genug zu schauen. Wie anders war der Wald als an den sonnigen Tagen vorher! Jetzt war alles so nah und eng und doch waren die Schattenwinkel so undurchdringlich und geheimnisvoll, als säßen Märchenfrauen im Dämmern und webten die grauen Wolkenschleier, die jede Aussicht verhüllten. Lieblich war das Regenlied anzuhören. Jeder Tropfen fühlte, daß er ein Teil des Segens war, der auf das dürstende Land herabrann und alle riefen es im Fallen: »Wir bringen Segen von oben, tropf.« Da lagen sie und die Millionen Tropfen, die ihnen folgten, sangen wie sie. Die Erde atmete tief und satt und der Geruch der warmen feuchten Erde mischte sich mit dem Duft der Tannen und der vielen Kräuter und Blumen. Es roch köstlich im Walde. Je tiefer die Kinder eindrangen, desto besser gefiel es ihnen, sie vergaßen, daß die Wege naß und schlüpfrig waren und daß der Regen dachte, sie wären wohl auch ein paar durstige Pflänzlein und sie tüchtig überschüttete. Sie lachten dazu und der Oheim, dem das Wasser von Zeit zu Zeit wie ein Bächlein von seinem grünen Lodenhut herabrieselte, sagte: »Laßt euch nur ordentlich einregnen, das tut gut. Meine Mutter selig ging am liebsten in einem recht tüchtigen Platzregen spazieren, sie sagte, das ist gesund, darüber ist sie denn auch achtzig Jahre alt geworden. Aber jetzt aufgepaßt, hier geht es steil bergab zur Elfenhöhle!«

Die Elfenhöhle! Den Kindern klang das Wort lockend in die Ohren, sie vergaßen die Mahnung, aufzupassen und Dieter merkte geschwinde, was für ein schlüpfriges Ding ein abschüssiger Waldweg bei Regenwetter ist. Er fiel, rutschte und sauste auf seinem Hosenboden gar eilfertig den Abhang hinab.

»Nicht so schnell, nimm uns mit, guter Freund!« rief ihm der Oheim zu, aber da lag Dieter schon unten im feuchten, weichen Moose, am Stamm einer Tanne.

Gundula wollte den Bruder bedauern, doch der Oheim lachte herzhaft dazu und von unten herauf klang auch Dieters Lachen. Noch ein anderer Ton mischte sich hinein, ein paar Raben schrien laut im Geäst der Tanne. Familie Huckebein war da unsanft in ihrer Regenruhe gestört worden. »Es ist unerhört,« rief Frau Huckebein, ihr Mann aber sagte nachsichtig: »Es sind eben Menschen, die sind laut und vorwitzig und –«

Ein Unglück kam über das Nest der Huckebeine.

Krachkrach, der Jüngste, war neugierig wie alle Huckebeine es sind, und ungeschickt dazu, der wollte die Menschen, die im Regen daherkamen, sehen, ganz genau. Er reckte darum seinen Kopf zum Neste hinaus, weit, ganz weit und wie er sich so reckte und streckte, verlor er auf einmal das Gleichgewicht. Plumps! fiel er hinaus, plumps! fiel er Dieter auf den Magen. »Ein Rabe,« schrie der, »ein Rabe,« und er packte zu, ehe Jung-Huckebein überhaupt wußte, was ihm geschehen war.

»Ich habe einen Raben gefangen,« jubelte Dieter und sprang auf. Er hielt den Gefangenen dem Oheim entgegen, »da sieh, ob der wohl sprechen lernt?«

Gut, daß die Huckebeine die Menschensprache nicht gut kannten, sonst hätten sie sich arg gekränkt gefühlt, denn Herr von Tracht nahm den ruppigen Huckebeinjungen in seine Hand, sah ihn prüfend an und sagte: »Der sieht so erzdumm aus, mein Junge, an dem würdest du wohl keinen gelehrigen Schüler haben.«

»Wir wollen ihn fliegen lassen.« bat Gundula, »oben schreien sie so!«

Die Frau Huckebein kreischte: »Wir wollen ihnen die Augen aushacken!«

»Gemach, gemach,« beruhigte Herr Huckebein, »sie lassen ihn vielleicht fliegen.«

»Nein, sie behalten ihn, weil er so schön ist,« jammerte die arme Frau.

»Ein richtiges, kleines Untier ist das,« sagte unter der Tanne Herr von Tracht. Er hielt den Vogel auf der Hand, der sperrte vor Angst immer nur seinen großen Schnabel auf und verdrehte die Augen schrecklich.

»Warum fliegt er nur nicht fort?« rief Gundula, »er kann vielleicht nicht fliegen.«

»Er ist zu dumm. Flieg' doch!« redete Dieter dem Raben zu. Doch der klappte nur immer mit dem Schnabel, klappte ihn auf und zu und rührte sich nicht.

»Sie behalten ihn, unseren schönen, klugen Krachkrach,« klagte oben die Mutter.

»Nun, zu den Menschen, besonders auf die Rabenburg zu kommen, ist immerhin eine Ehre,« versuchte Herr Huckebein die Seinen zu trösten, »vielleicht wird dann unser Sohn so weise –«

»Na, endlich fliegt der dumme Kerl auf,« riefen unten die Kinder. »Nein wie tolpatschig er es anstellt.«

»Er kommt, er kommt, unser Krachkrach kehrt zurück,« jauchzten oben die Huckebeine und reckten und streckten nun selbst die Hälse so weit vor, daß sie beinahe auch alle miteinander den Menschen unten auf den Kopf gefallen wären. Krachkrach kam wirklich zurück, ganz verdattert flog er ins Nest und er wußte kein Wort von seiner kurzen Gefangenschaft zu sagen. »Er hat ein so tiefes Gemüt, er denkt zuviel,« sagten die Eltern stolz, denn sie hielten ihn für außerordentlich klug.

Die drei Wanderer kümmerten sich nicht weiter um die Huckebeine, sie schritten tiefer in den Wald hinein, bergauf und -ab und sie gelangten bald an eine Bergwiese. Oben war sie von Wald und Felsen begrenzt, unten ging breit und behäbig die Landstraße dahin. An der Felswand im Walde, sie war nicht sehr hoch, aber steil, lag die Elfenhöhle. »Hier also hat der Herr Christian seine Schafe gehütet,« rief Gundula. Sie stapfte fröhlich durch das nasse Gras und sie horchte ein bißchen in das Regenrauschen hinein. Klang's doch just so, als spiele auch heute der wunderliche Herr Christian seine Flöte. Wirklich, ein Pfeifen ertönte, es kam näher und näher und auf einmal tauchten aus dem grauen Dunst ein paar Buben auf, die vergnügt um die Wette pfiffen. Irgend etwas muhte den beiden ungeheuren Spaß machen, ihre Augen blinkerten vor Wermut, und trotzdem sie naß bis auf die Haut waren und das Wasser an ihnen herabtropfte, sahen sie doch drein als wollten sie sagen: »Uns gehört die Welt.« Sie erschraken dann freilich sehr, als sie sich so unvermutet dem Herrn des Waldes gegenüber sahen; ihre verlegenen Gesichter verrieten, daß ihnen die Begegnung nicht sehr angenehm war. Sie duckten sich ein wenig, schauten nach rechts und nach links und ehe Herr von Tracht sie fassen konnte, waren sie entwischt. Wie zwei Hasen rannten sie bergab. Dieter besann sich noch, ob er ihnen folgen sollte, da waren sie aber schon verschwunden.

»Die haben etwas angestiftet.« Herr von Tracht sah ihnen nach. »Aber Bürschchen, ich kenne euch, ich werde doch meine Untersberger Buben alle kennen, wehe euch, wenn ich was finde. Nun aber vorwärts, dort ist die Höhle!«

Die Stimme des Waldherrn dröhnte, ihr Schall fuhr in die Höhle hinein, er weckte dort zwar nicht die Elfen, doch etwas anders aus sanftem Schlummer auf. Just als die Wanderer am Eingang der Höhle erschienen, erhob sich drinnen ein ganz seltsames Geräusch. »Uhaah, uhaah.« klang es heraus, und Gundula, die neugierig zuerst in die Höhle geschaut hatte, fuhr mit einem hellen Angstruf zurück. »Da, da – – ist jemand drinnen!«

»Laß mich doch los! Au, Donnerwetter!« Wie Elfenruf und Drachengebrüll klang es nicht, was sich da erhob, scheltende zornige Bubenstimmen waren es und gleich daraus kugelte und quoll ein dicker Knäul von Armen und Beinen aus der Höhle heraus.

»Laß mich doch los! Was fällt dir ein, auaah –«

Pardauz kam etwas angerollt, es war ein großer Kochtopf.

»Na, Potzwetter! Was soll denn das bedeuten?« rief Herr von Tracht, und musterte ein wenig diesen verwickelten Menschenknäuel zu seinen Füßen. »Wandervögel sind's, scheint es mir. Holla! ihr Buben, steht doch auf!«

»Sie sind zusammengebunden, Oheim,« schrie Dieter. »Drei sind's, mit den Beinen sind sie zusammengebunden.« Er hatte schon sein Taschenmesser herausgezogen und schnitt die Stricke durch, der Oheim half und beide sahen, daß sie auch mit ihren Röcken am Kochtopf festgebunden waren. Endlich standen die drei auf ihren Füßen und sie sahen so tief erstaunt drein, daß der Herr des Waldes sie lächelnd betrachtete. »Mir scheint, euch hat jemand einen Streich gespielt. Ihr habt wohl in der Höhle geschlafen?«

»Ja,« murmelten die drei, »und dann rief jemand und als wir aufstehen wollten, ging es nicht.«

»Begreiflich das, wenn immer die verkehrten Füße zusammengebunden sind und ein riesengroßer Kochtopf euch an den Rockzipfeln hängt. Aber sagt, wer kann euch den Streich gespielt haben?«

Die Wandervögel sahen sich an, einer sagte endlich zögernd: »Vielleicht – die Bauernjungen.«

»Hm!« Herr von Tracht dachte an die beiden Buben, die vorhin so geschwind Reißaus genommen hatten, denen traute er den Streich schon zu. »Was hattet ihr denn mit ihnen gehabt?« forschte er.

»Ach, nur so einen kleinen Streit.« Der Größte der drei, ein hübscher Bursch, sagte es mit einem kleinen verlegenen Lachen. »Die beiden waren so dumm. Wir trafen sie hier und fragten sie nach dem Weg zur Rabenburg. Sie sagten, sie gingen auch hin, sie wohnten im Dorf unter der Burg. Und dann erzählten sie uns, auf der Burg wäre ein ganzer Turm voller Raben.

›Wohl Krähen,‹ sagten wir, ›nein Raben,‹ sagten sie. ›Ach, Krähen sind's,‹ sagten wir, und allemal wenn wir ›Krähen‹ sagten, riefen sie ›Raben‹, zu dumm war es, zuletzt –«

»Habt ihr euch geprügelt,« fiel Herr von Tracht ein.

Die drei lachten und meinten ein bißchen beschämt. »Nun, eigentlich sind sie vor uns ausgerissen.«

»Ihre Rache haben sie aber nachher gut an euch genommen. Sagt nur, warum habt ihr am hellen Tage geschlafen, hattet ihr eine Nachtwanderung gemacht?«

»Nein, es regnete so,« antwortete der Jüngste fast gekränkt über die Frage.

»Potzwetter, ja!« Herr von Tracht rief es, daß es durch den Wald schallte, »ihr armen Zuckerpüppchen, das wäre freilich schlimm gewesen, wenn euch ein Wassertropfen auf die Nase gefallen wäre. Je, ja, ihr wäret gewiß gleich aufgeweicht davon.«

Die Wandervögel wollten sich ärgern über den Spott, aber Lachen steckt an und weil der Oheim, Dieter und Gundula so herzhaft lachten, gaben sie das Schmollen auf und lachten mit. Ja, als sie die drei fröhlichen Wanderer genauer betrachteten, die da so naß und vergnügt durch den Wald gekommen waren, schämten sie sich recht ihrer Zimperlichkeit.

»Wir wandern nun auch,« sagten sie und hoben ihren Kochtopf auf. Der hatte Beulen wie ein Ritter, der vom Kampfe kam, und der Reis, den die Buben zu Mittag hatten kochen wollen, der lag verstreut auf dem Moose. Schlimm war's. Ein paar Löcher entdeckten sie auch in den Jacken, die hatte der angebundene Topf beim allzu schnellen Aufsprung gerissen.

»Schlimm, schlimm,« sagte Herr von Tracht und schmunzelte dazu wie einer, der eine gebratene Gans auf dem Tische sieht. »Ein leerer Topf und zerrissene Jacken, wie soll die Reise enden! Wie wär's mit einer Einkehr auf der Rabenburg? So leer werden dort die Töpfe hoffentlich nicht sein und den Turm voller Raben mögt ihr euch auch betrachten.«

Die Einladung klang den Wandervögeln lieblich in den Ohren und sie besannen sich nicht eine halbe Sekunde zu einem herzfröhlichen Dank. In der Rabenburg als Gäste einkehren zu dürfen, das war noch mal was, das hellte ihnen selbst den Regentag auf. Überhaupt mit dem Regen war das so eine Sache. Als sie sich noch einmal wandten und über die Bergwiese hinweg, die noch im vollen Blühen stand, nach dem Wald hinübersahen, da staunten sie über die zarte Farbenpracht. Grün und Grau und darüber der Himmel voll dunkler Wolkenfetzen. Einmal kam ein winziges Stück Blau hervor, aber jach verschlang es eine dicke Wolke wieder, nur ein heller Schein blieb zurück, der spiegelte sich auf der Wiese wider und an jener Stelle leuchteten die Blumen farbenreicher. Gundula, die erst gedacht hatte, der wunderbare Herr Christian sei wirklich wunderlich gewesen, sich die kleine dunkle Höhle als Heim zu wählen, fand nun doch, daß es sich hier gut hausen lassen müßte. Es tat ihr fast leid, als der Oheim zum Abmarsch mahnte. Desto zufriedener waren die Wandervögel, die lockten die vollen Töpfe der Rabenburg, ihre leeren Magen mahnten sie: es ist bald Mittagszeit. Fröhlich trabten sie mit durch den regennassen Wald. Durch das Flüchtlingstal ging es heimwärts. Dieter und Gundula staunten, wie nahe sie dem Tale gewesen waren und hatten es nicht gespürt, ganz fremd war ihnen die Gegend vorgekommen. Nur einen kurzen Weg brauchten sie zu gehen, da lag das Tal vor ihnen. Noch einsamer als sonst schien es zu sein an diesem grauen Tage. Ein tiefes Schweigen lag darüber, selbst die Vögel schwiegen. Doch als die Wanderer sich den Eichen näherten, sahen sie auf der ältesten einen Raben sitzen: »Die Krähe ist ausgestopft!«

Dem einen kam die Singlust, er griff in die Saiten seiner Laute und sang spöttisch zu dem Raben hin des Vogelweiders Vers:

»Gern hätt' ich geschlafen da
Immer, doch 'ne dumme Krah
Die begann zu schreien. –
Oh, mögen sie gedeihen
Alle, wie ich will!
Sie nahm mir Wonne viel.
Von dem Schreien ich erschrak:
Ja, wenn da ein Stein nur lag,
War's gewiß ihr letzter Tag.«

Hatte der Vogel die Neckerei verstanden? Er hob den Kopf, breitete seine Flügel aus, schrie laut und flog abwärts, flog bis er dicht vor den Wanderern auf einem der unteren Äste saß.

»So eine freche Krähe!« rief der Sänger.

»Und die Krähe, wie du sie nennst, sagt jetzt gewiß: so ein dummer Bub' weiß nicht, daß ich wirklich ein echter, rechter Kolkrabe bin!« Herr von Tracht war ganz dicht an den Baum herangetreten, seine Schulter streifte den Ast, auf dem der dunkle Vogel saß. Unbeweglich blieb der sitzen, er schien zu wissen, der tut mir nichts. »Ein prachtvoller Kerl,« sagte der Waldherr, »einer wie man sie selten sieht und klug blickt er mich an, als verstünde er alles, was wir reden.«

Der Rabe legte den Kopf zur Seite, blinzelte listig alle die Menschen an, er stieß ein paar Rufe aus, seltsam klangen sie, nicht wie Rabenschreie, und Gundula rief aufgeregt: »Was sagt er denn?«

»Ja – das verstehe ich nicht.«

»Aber er spricht doch.«

Ob Gundula recht hatte oder nicht, konnte niemand mehr entscheiden, denn der Rabe breitete seine Flügel aus und flog langsam davon, er flog und flog und verschwand bald im Walde.

»Das war wie ein Märchenrabe,« jauchzte Gundula. Sie wäre am liebsten trotz des Regens und der nahen Mittagsstunde im stillen Tal geblieben, aber dazu hatten die anderen wenig Lust. Ja, als es weiterging, schritten die Wandervögel aus, als wollten sie Schnelläufer werden. Aber ihre Singlust, die am Morgen sich verkrochen hatte, ward auch wieder wach. Einer schlug vor: »Wir wollen das Regenlied singen!«

»Könnt ihr das, die ihr bei Regenwetter schlaft?«

Die drei lachten zu dem Spott und sagten: »Ja schon. Der es uns vorsang ist auch ein Wandervogel, er hat das Lied gemacht, als er einmal im Regen vergeblich um einen Unterstand bat.«

Einer nahm seine Laute, klimperte darauf und jubelnd sangen sie in den Regen hinein:

Grau das Land, die Ferne grau,
Regen, Regen, rinne!
Ein Ritter zieht durch Tal und Au,
Wandert zur Königinne.
        Lallallala!

»Eia! du nasser Mann am Tor,
Du darfst mir hier nicht hausen;
Schaut die Sonne wieder vor –
Dann – trockne dich fein draußen!«
        Lallallala!

Schlimme du, Frau Königin,
Es wird dich noch gereu'n.
Hör', daß ich der König bin,
Der wollte um dich frei'n.«
        Lallallala!

Frau Königin hat arg geweint,
Viel tausend Tränen fließen.
Die Blümlein haben schier gemeint:
Fängt wieder an zu gießen!
        Lallallala!

Gesang am Regentag! Die Bäume hatten es noch nie gehört und es mochte wohl Verwunderung sein, daß sie auf einmal so zu raunen und zu rauschen begannen. Es tropften und flossen nun die Bächlein von ihren Ästen und die Wanderer riefen: »Jetzt bekommen wir es doppelt.«

Sie liefen so schnell es ging bergan und zuletzt waren sie alle froh, als grau die Rabenburg vor ihnen auftauchte. Das Tor stand gastlich offen und wie immer hielt Justus Ausschau. Er sah die Wanderer und rief mit lauter, schallender Stimme in das Haus: »Sie kommen, Frau Baronin, und drei bringt der Herr heute mit!«

Er lief in das Haus hinein und aus der Tiefe kam ein fernes Grollen, kam ein Rufen: »Eierkuchen, Eierkuchen!« –


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