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3. Kapitel. Das stille Tal der Flüchtlinge.

Das Ankleiden ging rasch an diesem Morgen und die Geschwister stiegen bald zusammen die Treppe hinab, die zu den Wohnräumen führte. Ihre Schritte klangen laut auf den breiten weißen Steinstufen, das war auch der einzige Ton, der zu hören war, das Haus lag in tiefster Stille. »Wir sind zu früh aufgestanden,« sagten die Kinder zu einander und sie zögerten weiterzugehen und sahen hinab in den großen Flur. Der war weiß und gewölbt und Gundula dachte: es ist wie in einer Kirche. Wie sie noch standen, unsicher, was sie tun sollten, ging unten eine Tür und ganz breit floß das Licht über die Steinfliesen. Des Justus rollende Stimme erklang: »Sie kommen alleweile, Frau Baronin, sag' ich nicht, ›Geduld überwindet Buttermilch‹.«

Eine zweite Tür ging auf. Frau Susanne trat in den breiten Lichtstreifen und rief heiter den Kindern entgegen: »Guten Morgen, Langschläfer ihr!«

Da merkten die beiden, daß der Tag auf der Rabenburg früh begann und sie eilten ein wenig erschrocken hinab. Unten stand nur noch die Tante, aus der Ferne, von dem Ende eines langen Ganges her, rief Justus: »Frühstück, ich bring's.«

Das klang verlockend und der Platz, auf dem der Frühstückstisch gedeckt stand, war es nicht minder. Weil der Rosenwinkel am Morgen allzusehr in der Sonne lag, wurde unter einer Linde, die seitlich der Haustüre einen weiten Platz überschattete, das Frühstück eingenommen. Dort saß auch der Hausherr. Er spähte scharf nach der großen Tanne hinüber, dem einsamen dunklen Torwächter, und nickte den Kindern nur flüchtig zu. »Frau,« rief er, »sieh nur drüben auf unserer Tanne sitzen drei Krähen, Raben möchte ich beinahe sagen, sie erscheinen mir besonders groß.«

»Die sind mit uns gekommen,« plauderte Gundula fröhlich.

»Mit euch gekommen, wie das?«

»Ja, ein ganzer Zug war's, viele, viele!« Dieter erzählte von den dunklen Vögeln, die sie begleitet hatten, Gundula half dabei, zuletzt sagte sie: »Drei flogen immer voran, die sind's, die auf der Tanne sitzen, gewiß sind es die Könige.«

»Krähenkönige,« spottete der Oheim.

»Warum nicht Rabenköniginnen,« erwiderte Frau Susanne, »warum sollten die nicht zur Rabenburg kommen? Übrigens sonderbar ist das mit dem Zug, wir haben sonst keine Krähen hier.«

»Nein, die hat ein Förster einst gründlich vertrieben. Nur im Walde horsten noch ein paar echte Kolkraben.« Der Hausherr beobachtete unverwandt die drei Vögel, die auf der Tanne wie auf einem Turm saßen. Da sagte auf einmal der Justus, der unbemerkt an den Tisch getreten war: »Wenn jemand auf der Rabenburg einzieht, der darin bleibt, und der einst darin stirbt, dann kommen immer Raben mit, so ist's.«

Diesmal klang die Stimme nicht laut, Justus sprach gedämpft, geheimnisvoll, und als er dann lautlos davonhuschte, schauten ihm die Kinder fast erschrocken nach.

»Das ist so was für unseren Justus, aus jedem Krähenschwanz macht der ein Märchen,« brummte Herr von Tracht, halb lachend, halb ärgerlich. »So, und nun fliegen die schwarzen Vögel auf und davon, sie haben wohl nur eine Nachtrast auf der Rabenburg gemacht. Nun, ihr beiden tut es ihnen hoffentlich nicht nach. Geschwind füllt eure Magen, dann gehen wir in den Wald!«

Die drei Vögel auf der Tanne waren wirklich aufgeflogen, sie hatten das Schloß umkreist und zogen dann waldwärts, eine Weile noch sichtbar am hellen Himmel, dann verschwanden sie. Wenige Minuten später zogen auch die Kinder an des Oheims Seite waldwärts, sie dachten dabei aber nicht an ein Fortfliegen von der Rabenburg, ja, als sie durch das Tor gingen, schauten sie noch einmal zurück, wie man sich wohl in der Heimat umsieht.

Herr von Tracht schlug einen anderen Weg ein, als den die Kinder gestern gekommen waren. Seitwärts führte ein schmaler Pfad erst an der Burgmauer entlang, dann steil bergab. Nach ein paar hundert Schritten jedoch stieg der Weg wieder zur Höhe, er wand und drehte sich durch den Wald und er war so schmal und überwachsen, daß jemand schon gut wegkundig sein mußte, um ihn zu finden. Die Tanne herrschte hier vor, die Edeltanne, mit den breiten Nadeln, deren Äste wie dunkle Königsmäntel herabhingen. Innen im Walde bedeckten nur Moose und blasse kleine Pflanzen den Boden, lichtete sich freilich die Dämmerung ein wenig, gleich hatten sich die Farrenkräuter mit ihren federzarten Blättern dort angesiedelt. Die bunten Waldblumen aber waren auch hier an den Wegrand gelaufen, damit ihnen die Sonne in ihr Blumenherz leuchten konnte. Dennoch waren sie viel blässer als ihre Schwestern auf den Wiesen und manche, die dort in stolzer Farbenpracht standen, sahen hier so bleich aus, wie kleine kranke Kinder. Sie sehnten sich alle unendlich nach der Sonne, sie schwankten und zitterten jedem Strahl entgegen, aber es war doch so, vom Walde wollten sie sich nicht trennen, und manche blasse Blume war froh, daß sie zu den Füßen der Baumriesen sterben durfte.

An diesem Morgen aber dachten sie alle nur daran, wie schön das Leben sei, denn die Sonne schaute in den Wald hinein. Sie neckte die Bäume, wie die auch ihre Äste neigten, dahin, dorthin, immer fand die Sonne einen Weg, um auf den Boden hinabzugleiten.

Der Oheim ging voran, die Kinder folgten hintereinander, denn immer schmäler wurde der Pfad. Und dann war er auf einmal zu Ende. Große, grüne Steine versperrten ihn, sie lagen da wie von Riesenhand hingeworfen, um dem Walde Halt zu gebieten. Aber der war siegreich über die Steine hinweggeschritten, zwischen ihnen empor ragte eine mächtige Tanne, eine Königin unter ihren Schwestern, über und unter den Steinen, überall hatten sich ihre Wurzeln den Platz erobert, sie umkrallten die Steine und kamen braunen Schlangen gleich unter ihnen hervor. Hinter dieser mächtigen Tanne ging es ziemlich steil bergab, und als die Kinder einen Stein erklettert hatten, sahen sie hinunter in ein schmales Tälchen. Ganz einsam lag das da unten, ein Bach rann eilig hindurch, er glitzerte und rauschte und verlor sich dann wieder im jenseitigen Walde. Am Eingang des Tälchens standen etliche Eichen beieinander. Sie waren dick und knorrig, sie mochten schon viele hundert Jahre dort stehen und viele Menschengeschlechter überdauert haben. Neben den Eichen türmten sich ein paar Steinhaufen auf, fast so, als hätte dort einst ein Haus gestanden, das verfallen war.

Wie in ein Märchenland, so schauten die Kinder in das stille Tälchen hinab und wie sie so schauten und Gundula dachte, irgendeine Waldfee müßte bald über den Wiesenrand schreiten, krächzte es über ihnen. Ein Rabe war es. Der krächzte laut, beinahe zornig; von irgendwoher antwortete ein anderer, dann ein dritter. Sie schienen alle drei über etwas höchst unzufrieden zu sein.

»Das sind nun echte Kolkraben, kein Krähengesindel mehr,« sagte Herr von Tracht. »Hier horsten etliche und sie werden selten genug von Menschen gestört. Der Wald hier gehört noch zur Rabenburg. Seht dort drüben den breiten Streifen sich durch den Wald ziehen, dort hört mein Besitz auf.«

»Was steht dort?« fragte Gundula eifrig. Sie meinte, nun müsse Schloß auf Schloß im Walde stehen.

Der Oheim lächelte. »Auch Wald, dann Felder und Wiesen. Aber der Wald dort ist nicht so schön, es wird viel Holz darin geschlagen und euer gestriger Freund, Herr Specht, läßt in seiner Schneidemühle alltäglich viele Bäume zerschneiden. Meinen Wald möchte er auch gern abschlagen lassen.«

»Abschlagen lassen!« Die Kinder schrien es fast zornig und der dicke freundliche Herr Specht erschien ihnen in diesem Augenblick fast wie ein Ungeheuer. »Den ganzen Wald, ganz weg?« fragte Gundula verängstigt.

»Doch nein, nicht den ganzen Wald, nur viele Bäume daraus möchte er haben. Aber habt keine Angst, er bekommt sie nicht so leicht, der Wald ist mir heilig.« Herr von Tracht hatte sich auf einen der grauen Steine gesetzt, sinnend sah er in das Tälchen hinab, das ganz im Sonnenschein lag, nur die Eichen standen noch im Schatten. »Dort unten, Kinder,« sagte er, »haben einst unsere Voreltern viele Wochen lang gehaust.«

»Hat dort ein Schloß gestanden?«

Der Oheim schüttelte den Kopf. »Nein Kinder, kein Schloß, nur ein paar Hütten, die dürftigen Schutz geboten haben. Gestern habt ihr den Spruch am Burgtor gelesen von dem Brand, der dreimal das Haus bedroht hat. In dem langen harten Krieg war das, der dreißig Jahre unser schönes Vaterland verwüstete und es zum Schlachtfeld machte für fremde Völker. Damals, in den ersten Kriegsjahren, nahten sich die Kaiserlichen der Rabenburg. Brennend, mordend durchzogen sie das Land, dessen Fürst dem Kaiser feind war. Vereinzelte Flüchtlinge kamen auf der Rabenburg an, die erzählten von dem namenlosen Jammer der armen Völker. Und eines Tages stand der Himmel im Süden in roter Glut, da wußten alle: dort brennt ein Dorf, nun trifft es uns. Die Dorfleute, das Dorf war nur klein, zählte bloß etliche Häuser, stiegen in ihrer Not zum Burgberg hinan und flehten den Burgherrn an, sich ihrer zu erbarmen. Es war der dritte Herr von Tracht, der auf der Rabenburg saß, der Chronist nennt ihn einen gar frommen und gerechten Herrn. Das muß er auch gewesen sein, jedenfalls hat er allezeit tapfer und gut für die Dorfleute gesorgt. Die taten ihm in ihrer Not von Herzen leid, denn er wußte wohl, die kleine Burg konnte dem starken Feind nicht viel Trutz bieten. Er redete mit den Männern, was zu tun sei, als sein junges Weib zu ihm trat, sie führte ihren Ältesten an der Hand, einen kleinen Hans-Dieter, der so alt war, so lange der schwere Krieg schon dauerte. Sie riet: »Laßt uns in den Wald fliehen!«

Und bei seines Weibes Worten dachte der Burgherr an ein einsames Fleckchen im Walde, das er einmal gefunden hatte auf der Jagd. Dort, ja dort waren sie wohl alle geborgen. Sie beschlossen also dorthin zu wandern, vor Tau und Tag; bis dahin sollte jeder zusammenpacken, was mitzunehmen war. So geschah es, im grauenden Morgen führte der Burgherr die Seinen auf Wegen, die keine Wege waren, durch den dichten, dunklen Wald in dies Tälchen, das lag auch damals wie heute in Stille und Friede. In der alten Chronik steht, daß noch am gleichen Abend ein junger Bursch eine hohe Tanne erstiegen habe und über der verlassenen Heimat glutroten Schein sah.

Die Flüchtlinge hatten gemeint, sie würden bald heimkehren können, aber sie mußten sich wochenlang in dem einsamen Tal aufhalten. Eine wahre Völkerflut wälzte sich über ihr Heimatland und immer wieder kehrten der Gutsherr und sein Jäger, die allein die Wege kannten, zurück und erzählten, daß immer noch die Feinde im Lande wären. Die Männer hatten unterdessen Hütten gebaut aus Stein und Moos, die boten ihnen Schutz gegen die allerschlimmsten Wetter. Die Eichen schimmerten schon rotbraun, da endlich konnten sie alle heimkehren zu Burg und Dorf. In der Burg hatte es gebrannt, aber das Feuer hatte nicht viel Schaden angerichtet, im Dorf lagen ein paar Hütten in Schutt und Asche, ihre Bewohner wurden von anderen aufgenommen und alle waren froh, so glimpflich davongekommen zu sein. Etliche Jahre lebten sie in leidlichem Frieden, der Krieg tobte weiter, aber nur ein paar versprengte Landsknechte fanden den Weg in das stille Tal, mit denen wurden der Burgherr und die Bauern fertig. Aber dann kamen die Schweden und eines Tages standen wieder die Dorfleute, Schutz suchend, vor dem Burgtor, denn der Himmel flammte von fernem Brande. Ihnen allen erschien der einzige Rettungsweg zu sein, daß sie der Burgherr wieder in das stille Tälchen führte und so zogen sie zum zweitenmal fliehend in den Wald. Der gab ihnen wieder Schutz und nahm sie auf in seine grüne Stille und der laute Jammer der Welt blieb hinter ihnen. Diesmal aber mußten sie lange, lange im Walde hausen, schon war es Winter, als sie heimkehrten. Und wieder hatten die Feinde Brandfackeln in die Burg geworfen, die dicken Mauern aber standen noch, nur ein Seitenbau war eingestürzt und ein paar Ställe, großer Schaden war es nicht. Als sie einzogen in die Burg, da sagte der junge Hans-Dieter, so steht in der Chronik, er war damals vierzehn Jahre und ein stämmiger Bursch: »Im Walde gefiel mir's besser, möchte mein Lebtag drinnen hausen.«

Etliche Jahre fristeten sie nun wieder ihr kümmerliches Leben ohne Drangsale durch den Krieg. Dann kam ein Feind ins Land, vor dem half keine Flucht von Haus und Hof, es war die Pest. Die schlich gierig durch unsere armen deutschen Lande und manches Dorf starb damals ganz aus, was die Feinde verschont hatten, nahm die Pest. Von der Rabenburg herab ritt in dieser Zeit ein schlanker blonder Bursch in die Fremde, Hans-Dieter von Tracht. Er war der einzige, den die Seuche verschont hatte, Vater, Mutter, Geschwister, Dienstleute, alle waren sie gestorben.

Der Junker von Tracht wurde ein Kriegsmann. Er focht da und dort in fremdem Sold und in fremdem Land, bis ihn doch einmal die Sehnsucht zurücktrieb nach Deutschland. Er fand es noch verwüsteter und der Krieg dauerte noch immer an. Als er sich seiner Heimat näherte, sagte ein Bettler, Kriegsvolk sei dort, wüste, wilde Landsknechte. Er fand aber seinen Weg hindurch, dachte, er wollte doch sehen, ob die Rabenburg noch stand und ob er da wohl einige Habseligkeiten finden würde, die er einst vor seinem Auszug vergraben hatte. Ein langes Bleiben war nicht für ihn und als er in der Morgenfrühe die Burg erreichte, dachte er, gut, daß sie verlassen ist, am Abend wäre Mord und Brand darin. Aber sie war nicht verlassen, wie er gemeint hatte. Ein alter Herr von Wartheim wohnte darin mit seiner feinen jungen Tochter, Dienstleuten und einem Häuflein Bauern. Alles Flüchtlinge von da und dort, heimatlos, ohne Obdach waren sie hierher gezogen vor etlichen Monaten. Nun standen sie alle wieder verzagt auf dem Burghofe, sie wußten von den Feinden, die herangezogen kamen, und wußten nicht, wohin in ihrer Not. Hans-Dieter dachte daran, wie er einst als Kind, dann als Knabe so zwischen seinen Eltern gestanden hatte und wie sie der Vater dann in den Wald geführt. Den Weg in das verborgene Tälchen, ob er den wohl noch fand? Doch wohl! Einst war er ihn oft allein gewandert, er hatte sich gefreut, daß er den verborgenen Platz wieder fand. Er gab sich zu erkennen, zeigte seinen Ring mit dem Wappenspruch: »Ich harre aus!« Den hatte sein Großvater um seines Glaubens willen erwählt. Sie begrüßten ihn alle als Herrn, der stattliche Kriegsmann erschien ihnen wie ein vom Himmel gesandter Retter und sie folgten ihm willig, als er ihnen anbot, sie in den Wald zu führen. Viel Habe hatten sie nicht mitzunehmen, denn eigentlich war es ein jämmerliches Häuflein elender, halbverhungerter Menschen, die Hans-Dieter in das Waldasyl geleitete. Sie waren kaum ein Stück im dichten Tann verschwunden, als von fern wildes Gebrüll und das Stampfen vieler Schritte ertönte, der Feind nahte.

Fast wollten die Flüchtlinge verzagen und Hans-Dieter dazu, denn der Wald sah ihn immer fremder an und wie er auch suchte, er fand den Weg nicht mehr. Und dabei folgten ihm die müden, abgehetzten Menschen Schritt auf Schritt, ihre Blicke hingen an ihm voll Angst und doch so voll Vertrauen.

Er führte sie kreuz und quer und ahnte schwer, er führte sie in die Irre. Da ertönte auf einmal über ihm lautes Rabengeschrei, er sah empor und sah auf etlichen Tannen eine ganze Schar Raben sitzen. Es fiel ihm ein, daß über dem Tälchen Raben horsteten und daß er und die Dorfbuben einst ein paar Tannen die Rabenbäume nannten. Von da an war es nicht mehr weit gewesen, links mußte er gehen, dann kamen die Steine, dann der Abgrund und nun fand er wirklich den Weg und die Flüchtlinge langten todmatt in dem Tälchen an. Golden stand der Abendhimmel darüber und ein so tiefer Friede lag über dem einsamen Winkel, daß es den Flüchtlingen war, als hätten sich ihnen des Paradieses schöne Pforten aufgetan.

»Wir knieten alle nieder und dankten Gott, der uns aus der Trübsal errettet und eine gar selige Freude spürten wir in unseren Herzen,« hat später Frau Katharine von Tracht in die Chronik des Hauses geschrieben. Diese Frau Katharine war das feine schöne Fräulein, das Hans-Dieter mit ihrem Vater auf der Rabenburg gefunden hatte und das er dann heiratete. Auf der Waldwiese unter freiem Himmel sind sie vor einem alten Pfarrer getraut worden, der auch zu den Flüchtlingen gehörte.

Sie haben damals lange in dem Tälchen gewohnt, die paar Menschen, die sich in der Not zusammengefunden hatten. Die Männer zogen manchmal aus, holten Lebensmittel herbei, die schwer zu finden waren, sie bestellten draußen auch die Felder, aber immer kehrten sie in das Waldtal zurück. Eines Tages aber brachten sie eine köstliche Botschaft mit: es war Friede im Lande! Der lange, harte Krieg war zu Ende. Friede, Friede! Nur ein paar alte Leute erinnerten sich daran, wie es im Frieden war, die andern wußten nichts mehr davon.

Sie kehrten nun alle nach der Rabenburg und dem Dorfe zurück. Wieder hatte es in der Burg gebrannt, aber wieder hatte das Feuer nur geringen Schaden angerichtet. Auch im Dorfe gab es noch ein paar Häuser, die leidlich im Stande waren und die Flüchtlinge siedelten sich dort an, von ihnen stammen die meisten der heutigen Dorfbewohner ab.

Zum Gedächtnis an die bösen Zeiten ließ Hans-Dieter von Tracht in den Torpfeiler der Burg den ersten der Sprüche meißeln. Viele Jahre lebte er glücklich in dem Hause, wohl schauten Hunger und Not oft genug in das Schloß hinein, es waren schwere Zeiten und unsere Vorfahren mußten sich tapfer an den Wappenspruch halten: »Ich harre aus!« So haben sie sich durchgerungen, durchgehungert und doch schrieb Frau Katharine von Tracht, kurze Zeit vor ihrem Tode, in die Chronik: »Ich habe Gott gedankt für das gar köstliche Leben, das mir geworden ist.« Sie waren zufrieden, wohl denen, die es gleich ihnen sind. Und nun ist diese Geschichte zu Ende.

Begreift ihr nun, ihr Kinder, daß mir der Wald hier heilig ist. Der Wald, der meinen Voreltern Schutz gewährte, daß ich ihn nicht Herrn Specht verkaufen mag?«

Die Kinder nickten beide still. Es war ihnen so seltsam feierlich zumute und sie wagten kein lautes Wort, aber schüchtern und doch zutraulich, ergriff jedes eine Hand des Oheims. Der hielt die Kinderhände fest und er führte die Geschwister in das Tälchen hinab, über dem der Himmel wie blaue Seide glänzte.

Das Bächlein rann und gluckste und Dieter sah ihm nach und dachte ein wenig überheblich, ich hätte schon den Weg aus dem Tälchen und wieder hinein gefunden, ich wäre einfach dem Laufe des Baches gefolgt.

Es war, als hätte der Oheim seine Gedanken erraten, er lächelte so eigen und sagte: »Der Bach ist ein wunderlicher Geselle, der narrt und neckt die Menschen, der läuft in einen Felsen hinein und der Spalt ist so eng, so steil geht es hinab, daß man unten den Bach für eine Quelle hält. Doch nun kommt, wir müssen heim.«

Wie sie wieder hinaufstiegen und den engen Weg zurückgingen, krächzten die Raben laut in der Höhe. Sie flogen unruhig hin und her und noch lange tönte den Wanderern ihre Stimme nach. An einer Biegung, der Weg senkte sich gerade wieder talwärts, blieb Herr von Tracht stehen, er bog ein paar Zweige auseinander und ließ die Kinder in die Ferne sehen. Da sahen sie wieder die Rabenburg, diesmal von einer anderen Seite und von der Burg empor stieg ein feines dunkles Rauchwölkchen in die Luft.

»Es brennt dort,« rief Gundula erschrocken.

»Ja, im Ofen,« sagte der Oheim heiter, »das Mittagessen kocht und wenn wir uns nicht sputen, verbrennt es wohl. Wir wollen nun einmal geschwind laufen.«

Das taten sie und sie spürten dabei, wie glühendheiß der Tag war. Trotz ihrer Eile hatte Frau Susanna doch schon auf sie gewartet. Sie stand am Burgtor und drinnen im Hofe lief Justus umher, er deckte den Mittagstisch und rief ein Mal über das andre zum eigenen Trost und zu dem für seine Herrin: »Geduld überwindet Buttermilch!«

»Da sind sie,« rief Frau Susanna froh und ganz leise sagte sie zu ihrem Herzen: »Ist doch ein wunderliches Ding um so ein paar Kinder,« seit gestern sind sie erst da und heute fehlen sie mir schon überall, wenn ich sie nicht sehe.«


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