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4. Kapitel. Was Bragi, der Weise, erzählt.

Mittagsstunde im Walde! Die Sonne steht senkrecht über dem Tann und selbst in die kühlsten Schattenwinkel dringt etwas von ihrer Glut. Müde vom Morgenflug sitzen die Vögel auf den Bäumen, sie schlafen nicht und sie wachen nicht, sie träumen. Ein paar möchten schwätzen, sie fangen an, aber die anderen schweigen träge. Käfer, Bienen, Mücken, allerlei kleines, beflügeltes Getier surrt und summt noch über dem Boden hin, aber leiser, gedämpfter als sonst, denn auch die Blumen sind matt und sie sehnen sich nach dem Abendwind. Nur wenn die Schmetterlinge kommen, zittern sie sacht, sie freuen sich der bunten Falter. Die ruhen auch nicht, sie lieben Glut und Glanz und sie flattern den Sonnenfluten nach, tief und tiefer in den Wald hinein. Dort werden sie von den blassen Blumen angestaunt ob ihrer schimmernden Pracht und eitel tanzen sie hin und her und sagen zueinander: »Wir sind die schönsten im Walde.« Am liebsten möchten sie zu den hohen Bäumen emporfliegen, aber die stehen so starr und unbeweglich und die kleinen törichten Schmetterlinge fürchten sich und sie fliegen rasch wieder zu den Blumen hinab.

Warum stehen die großen Bäume nur so still, so regungslos da? Kein Blatt zittert und kein Ästchen rührt sich?

Die Kleinen im Walde, die Gräser, Moose, die Farne, alle kichern darüber und sagen zu den sie umschwirrenden Insekten: »Die Bäume sind faul, sie schlafen.«

Doch die Bäume schlafen nicht, sie sehen zum Himmel empor und denken an den Himmel über sich, an die Gestirne; die jungen, schlanken denken an die Zeit, da sie groß und stark sein werden und die alten denken an vergangene Tage, wie es damals war. An so vieles denken die Bäume in den heißen, müden Mittagsstunden, aber die Menschen wissen es nicht, denn die ahnen nichts von den Seelen der Bäume.

Es wagt im Walde niemand recht den Zauber der stillen Mittagsstunde zu brechen und es ist wunderlich, wenn Menschen um diese Zeit in den Wald wandern, dann werden sie auch still und nachdenklich.

An dem Tage aber, da Dieter und Gundula zum erstenmal im Tälchen gewesen waren, wunderten sich alle Waldbewohner über die Raben. Die störten den Mittagsfrieden. Sie flogen hin und her, kreischten laut und zuletzt begannen sich sogar etliche zum allgemeinen Ärger zu streiten.

Zwei standen gegen einen. Dieser eine war ein dicker Bursch. Er saß auf einem jungen Tännchen und sein sonst so gutmütiges Gesicht sah ganz verärgert aus, er schalt: »Gebt doch endlich Ruhe, ihr zwei! Was kümmert es euch, daß hier Krähen im Walde wohnen wollen? Gibt es nicht genug Bäume hier und sind wir nicht immer übersatt geworden?«

»Ha, du dicker Huckebein,« kreischte der eine der Raben, »du kannst nächstens nicht mehr fliegen, so fett bist du. Ihr Huckebeine seid überhaupt keine echten Raben, ihr seid nicht stolz genug, redet gar noch mit dem Krähengesindel.«

»Hachhach,« schrie Vater Huckebein ärgerlich. »Ihr dummen Gelbschnäbel, wie könnt ihr es wagen, mit einem alten Manne so zu sprechen!«

Das ist wahr, dachten die großen alten Bäume. Und als Hogi, der jüngste der beiden zornigen Rabenbrüder, wieder seinen Schnabel zu neuen Scheltworten aufriß, fiel ihm ein dicker Tannenzapfen darauf und für eine Weile vergaß der Rabe das Schelten. Doch auch sein Bruder Hugi verstummte jäh. Eine Stimme rief aus dem Walde irgendwoher: »Stört nicht den Mittagsfrieden, Bragi der Weise wird entscheiden.«

Die Waldseele sprach. Leise flüsterten es die Vögel, leiser summten es die Insekten, die Bäume und Blumen, die Großen und Kleinen zitterten und ein tiefes Schweigen legte sich wieder über den Wald. Sie kannten alle die Waldseele und hatten sie doch noch niemals gesehen. Wenn ihre Stimme ertönte, dann erschauerte der Wald. Furchtbar war es, wenn die Waldseele weinte, dann bebten die Bäume in Todesangst, denn sie wußten, einer von ihnen, viele vielleicht mußten sterben. In dem stillen Tale und in dem Walde, der es umschloß, erklang das Weinen der Waldseele nur wenn ein Wettersturm die Bäume bedrohte. Der Herr der Rabenburg liebte seinen Wald und weil das die Waldseele wußte, sang sie, wenn sie den Waldherrn kommen hörte und dann rauschte es selig durch den Wald: »Wir sind froh, unsere Seele singt.« Auch Bragi, der Weise, hörte an diesem Tage die Waldseele rufen. Er war ein uralter Rabe, von dem sie sagten: er könne reden wie Menschen reden.

In seiner Jugend war Bragi bei den Menschen gewesen, das war freilich lange her, denn Bragi hatte fast hundertmal den Frühling kommen sehen. Bragi wußte alles, was im Walde geschah, er saß meist mit halbgeschlossenen Augen auf einer der alten Eichen und doch sah und hörte er alles, was vorging.

Er hatte auch die fremden Gäste schon im Walde gesehen und als nun die Waldseele sang, schwang er sich in den höchsten Wipfel der ältesten Eiche und ließ von dem herab seinen Ruf ertönen. Der gellte über den Wald, laut, herrisch.

Bragi rief die Raben zusammen. Viele gab es nicht im Walde, außer Hugi und Hogi und ihrer Muhme Muna wohnten weiter am Rand noch etliche und über dem Tälchen im Tannengewirr hauste die Familie Huckebein. Die flatterten alle eilig herbei und fragten ehrfürchtig: »Was gibt's?«

Mutter Huckebein schnappte nach Luft, so rasch war sie geflogen. Ihr Mann klopfte sie ängstlich mit seinem Schnabel auf den Rücken. »Nicht so eilig, Alte!«

»Aber wenn Bragi doch ruft,« krächzte die Huckebeinin demütig. »Was will er von uns?«

Vater Huckebein wußte es nicht und die anderen auch nicht und Bragi gab ihnen keine Antwort. Er rief lauter, dringender, seine Stimme schallte über den Wald, und die Krähen, die am Abend vorher angekommen waren, hörten auch den Ruf. Sie erschraken. Die laute Stimme klang ihnen unheimlich und die Alten unter ihnen sagten zitternd: »So rufen die Nachkommen der alten heiligen Wodansraben. Lebt von diesen einer hier im Walde?«

Sie flogen in ihrer Angst alle zu den drei Schwestern, doch die kamen ihnen schon entgegen und Kara rief: »Hört ihr den Ruf? Wir müssen ihm folgen. Der so ruft, ist ein König unter den Raben, wir müssen zu ihm, er hat zu entscheiden, ob wir hierbleiben können.«

Stumm folgten die Krähen den drei Schwestern. Sie schwebten über den Wald und da sie nicht Berge hinan- und hinabzusteigen brauchten, gelangten sie rascher in das stille Tälchen als die Kinder am Morgen.

Als Bragi den Zug durch die Lüfte kommen sah, stieß er noch einen lauten, befehlenden Ruf aus, dann schwieg er. Und die schwarzen Vögel senkten sich still auf eine Eiche herab, die drei Schwestern voran. Die Raben erstaunten über den langen Zug, aber noch mehr erstaunten sie über die Schönheit der drei Schwestern. »Das sollen Krähen sein,« rief Vater Huckebein, »bei tausend Feldmäusen, das sind« – – da stockte er, denn Bragi hatte ihn ein wenig spöttisch angeblinzelt und er wurde so verlegen, daß er rot geworden wäre, wenn das so ein schwarzer Kerl nur könnte.

Bragi musterte die fremden Vögel. Wenn der Blick seiner Augen sie traf, zitterten die Krähen, nur die drei Schwestern blieben still auf dem Ast sitzen. Endlich sagte Bragi zu ihnen: »Redet, woher kommt ihr, was wollt ihr in unserem Wald?«

Kara gab Antwort. Sie erzählte von ihrer schönen Heimatinsel, da nickte Bragi, er kannte die Insel wohl. Aber er schwieg und Kara berichtete weiter von ihrem Fluge und dem Rat der Eule.

Und wieder nickte Bragi und plötzlich öffnete er seine Augen weit, sah die Schwestern durchdringend an und fragte: »Warum habt ihr die Insel verlassen? Ihr seid aus königlichem Geschlecht, ihr braucht nicht zu losen!«

Die Krähen staunten über Bragis Klugheit, und weil die Schwestern beschämt die Köpfe senkten, redeten die anderen. Sie erzählten von dem Opfer der Schwestern, ihre Stimmen klangen sanfter, tönender als sonst und die Raben dachten staunend: es klingt beinahe wie ein Lied.

»Ist das rührend, weint Kinder, weint,« rief die Huckebeinin. Sie steckte den Kopf unter den linken Flügel und ihre drei Kinder taten es ihr nach. Die waren so brav, daß sie weinten, wenn es die Mutter sagte, und lachten, wenn sie es wollte.

Hugi und Hogi hatten es ganz vergessen, daß sie die fremden Vögel hatten vertreiben wollen. Sie sahen immer nur die Schwestern an und sagten zueinander: »Sie sind schön wie der Frühling.« »Wollt ihr den Gesetzen dieses Waldes Untertan sein?« fragte Bragi jetzt. Als die Krähen sahen, daß es nur wenige Raben waren, die gegen sie standen, meinten sie, es sei ein unbilliges Verlangen, Gehorsam von ihnen zu fordern. Sie murrten laut, doch Kara, Rara und das Rikralein riefen: »Ihr habt uns zu euern Königinnen ernannt, an uns ist es, Antwort zu geben.« Da verstummten die Krähen alle und Kara sagte! »Wir sind heimatlos, aber wir sind keine Räuber. Wir achten die Gesetze anderer Wälder und wir geloben Gehorsam, solange wir in diesem Walde sind.«

Bragi nickte, die kluge Antwort gefiel ihm. Er sah die andern Raben an und fragte! »Will es jemand nicht leiden, daß diese ferner hier in diesem Walde wohnen, überall wo sie mögen, nur nicht hier unten in dem Tale?«

Hugi und Hogi, die vorher so zornig gewesen waren, dachten, wir hacken denen die Augen aus, die etwas dagegen zu sagen wagen. Sie blickten den armen dicken Huckebein so zornig an, daß er im tiefsten Herzen erschrak. Hugi und Hogi waren zwei wilde, stolze Burschen, er mochte sie nicht zu Feinden haben und kleinlaut krächzte er! »Ich hatte nichts dagegen, aber da Hugi und Hogi – –«

»Bist du unser Vormund?« – riefen die zwei zornig und es sah nun wirklich aus, als wollten sie über Huckebein herfallen. Die Huckebeinin und ihre Kinder schrien laut: »Bragi hilf, Bragi hilf!«

Der alte Rabe drehte nur ein wenig den Kopf nach Hugi und Hogi um, da schwiegen die beiden schon und die Krähen dachten, wie weise und mächtig ist Bragi doch, alle gehorchen ihm. Sie riefen darum laut: »Laßt uns hier in diesem Walde, keine besseren Untertanen soll es geben, als wir sind.«

Bragi nickte: »Ihr mögt bleiben, ihr dürft überall wohnen. nur nicht in diesem Tale. Hier ist heiliges Land für uns Raben und von alters her hat nur mein Stamm allein das Recht, hier zu horsten. Unter den Müttern dieser Eichen hier stand vor viel mehr als tausend Jahren ein Feuerstein, er war dem Gotte Wodan geweiht. Wir Raben wurden als seine heiligen Vögel von den Menschen verehrt, rauschten schwarze Rabenflügel, so schauten die Menschen scheu empor und sagten: ›Wodans Boten fliegen übers Land.‹« Bragi schwieg, er blinzelte mit den Augen, schloß sie und es sah aus, als wollte er einschlafen. Damit waren die anderen aber wenig zufrieden. Kam es einmal, daß Bragi sie zusammenrief, dann freuten sie sich alle auf die Geschichten, die Bragi erzählen konnte. Die Raben schreiben die Geschichte ihrer Wälder und Völker nicht in Bücher, aber manche wissen viel von vergangenen Tagen zu reden. Bragi gehörte zu ihnen. Ja, Muna sagte, er sei der Weiseste aller Raben auf der Welt.

Nun lauschten sie alle. Die fremden Vögel streckten die Hälse weit vor, um nur ja alles zu hören. Da wehte durch den Wald ein seines, süßes Singen und Rauschen, die Waldseele sang. Ihr Lied schien Bragi zu wecken, er richtete sich auf, breitete die Flügel aus, zog sie wieder ein und begann zu erzählen:

»Es kam eine Zeit, da wurden die alten Götter der Deutschen vergessen. Diener Christi kamen ins Land und predigten des Heilands heilige Lehre. Die Heiden ließen sich taufen, Kirchen wurden erbaut und die alten Opferstätten und Altäre wurden zerstört oder sie zerfielen. Hier in diesem stillen Tälchen wohnte um die Zeit, da ringsum das Christentum sich ausbreitete, ein Mann mit Namen Gunar. Einst hatte er gleich seinen Vorfahren dem Gotte Wodan gedient und er war in das stille Tal geflüchtet, um hier der alten Lehre treu sterben zu können. Die Einsamkeit seiner Hütte teilten zwei Raben, Hugi und Hogi – es waren eure und meine Urahnen – Hugi und Hogi – nach ihnen seid ihr genannt. Nichts störte den Frieden des stillen Tales, das ringsum von dichtem, fast undurchdringlichem Urwald umgeben war. Nur manchmal, wenn der Wind aus Westen wehte, drangen Glockenklänge herüber. Westwärts am Waldrand hatten sich Mönche angesiedelt, sie hatten dort eine Kirche erbaut und einige Zellen, später wurde ein mächtiges Kloster daraus, dessen Mauern heute noch stehen. Wenn Gunar die Glocken läuten hörte, ergriff ihn ein wilder Zorn und er nahm wohl eines der Tiere des Waldes, opferte es und flehte zu Wodan, er möchte die Christen verderben.

Einmal nun an einem Wintertag flogen Hugi und Hogi über den Wald, sie wollten wieder sehen, wie es jenseits des Waldes war. Wie sie an kahles Feld kamen, hörten sie einen seltsamen Ton und neugierig, wie wir Raben nun einmal sind, senkten sie sich zum Erdboden hinab und fanden unter einer Eiche ein totes Weib liegen, neben ihr aber ein Knäblein, das laut weinte. Die Raben hatten Mitleid mit dem schreienden, kleinen Menschenwesen und sie dachten: vielleicht kann Gunar helfen. Eilig kehrten sie zu ihm zurück, sie krächzten laut, umflatterten ihn, flogen fort, kamen wieder und endlich merkte Gunar, daß er ihnen folgen sollte. Er tat es auch und fand so das Büblein an der toten Mutter Seite. Das schwieg ängstlich, wie es den alten Mann erblickte, doch als dieser sich zu ihm niederbeugte, streckte er seine Ärmchen aus und jauchzte auf. Da nahm Gunar das Kind und trug es in seine Hütte. Er nannte den Knaben Segimer. Der wuchs in der Waldesstille heran wie ein junger Baum, schlank und stark, und er wurde so schön wie Baldur, der Frühlingsgott. Seine liebsten Freunde waren Hugi und Hogi, sie spielten mit ihm wie er klein war und als er größer wurde und in den Wald hineinlief, begleiteten sie ihn und wachten über ihm, damit ihm kein Leid geschah. Im Sommer war es ein lustiges Leben im Walde, aber im Winter lag der Schnee oft so hoch, daß die Hütte ganz eingeschneit war und Gunar und sein Pflegesohn sie nicht verlassen konnten. Dann saßen die beiden beim glimmenden Feuer und Gunar erzählte dem Knaben von Wodan und Holde, von guten und schlimmen Waldgeistern, vom wilden Heer und vom starken Tor. Segimer war so glücklich, wie es nur ein junger Mensch sein kann; nur manchmal, wenn der Westwind Glockenklänge in das stille Tal wehte, erfaßte ihn eine große, heiße Sehnsucht nach etwas Schönem, Unbekanntem und am liebsten wäre er den wunderbaren Tönen nachgegangen. Doch Gunar verbot es ihm hart und Segimer hütete sich, das Verbot zu übertreten. Eines Tages aber, Frühling war es, verirrte sich der Jüngling im Walde. Er folgte einem Hirsch und vergeblich lockten Hugi und Hogi, er achtete nicht darauf und so kam er endlich an den Waldrand, an die Kirche der Christen. Dort läuteten gerade die Mönche das Glöcklein und der Klang ergriff den Jüngling so tief, daß er vor der Kirche in die Knie sank. Ein Mönch fand ihn so, ein milder, gütiger Mann, der ihm von dem Heiland und seinem Leben erzählte. Segimer lauschte und er vergaß darüber fast den Pflegevater und die Hütte im Walde. Doch Hugi und Hogi lockten und baten, und ihnen folgte der Jüngling endlich nach drei Tagen zurück in das stille Tal. Als er kam, saß Gunar vor der Hütte in Trauer um den Verlorenen. Wo war der, den er liebte wie einen Sohn? Da hörte er über sich das Rauschen von Rabenfittichen und dann sah er Segimer kommen, schön wie der junge Frühling selbst. Seine Augen strahlten wie zwei Sonnen und mit einem Jubelschrei warf er sich zu des Pflegevaters Füßen und erzählte, wo er gewesen sei.

Ein ungeheurer Zorn ergriff Gunar, er schrie, daß es hundertfach im Walde widerhallte: »Weh dir, du Abtrünniger!« Er schwang ein steinernes Beil über dem Haupte des Jünglings und hätte ihn wohl erschlagen, wenn Hugi und Hogi sich nicht mit einem schrillen Klagelaut auf ihres Lieblings Schultern gesetzt hätten. Gunar erschrak, Wodans Vögel schützten Segimer! Stumm kehrte er sich ab und trat in die Hütte, Segimer aber verließ das Tal und ging zu den Mönchen, um sich taufen zu lassen.

Als er dort schon etliche Tage weilte, hörte er draußen eines Morgens Rabengeschrei und als er hinaus trat, flogen Hugi und Hogi auf ihn zu. Die setzten sich auf seine Schultern. ließen sich von ihm liebkosen und Segimer verstand, daß sie Sehnsucht nach ihm gehabt hatten. Von da ab kamen sie täglich, jeden Morgen flogen sie vor Gunars Hütte auf, überflogen den Wald und besuchten den Freund. Und Gunar sah täglich die beiden Raben westwärts fliegen, er sah sie wiederkehren und er wußte, wo sie gewesen waren. Er zürnte den Vögeln und sah ihnen doch voll Sehnsucht nach und er dachte: wie mächtig muß der Gott der Christen sein, wenn er den Flug der Raben lenkt. Allmählich wuchs auch in seinem Herzen eine große Sehnsucht empor, wenn er die Glocken tönen hörte, er sehnte sich dort zu sein, wo sie klangen und wo sein Pflegesohn weilte. Aber Gunar war alt und der Weg so weit, täglich wurde er schwächer und er fühlte den Tod herannahen. Da brach er eines Tages einen Zweig von der heiligen Eiche, ritzte ein paar Runen hinein und gab ihn Hugi und Hogi. ›Segimer soll kommen,‹ sagte er matt, ›er soll mir von dem Christengott sagen, der stärker ist als Wodan, der die Menschen und Vögel nach seinem Willen lenkt.‹

Und die Raben trugen wirklich den Zweig zu Segimer, der verstand die Botschaft und er kehrte in das Tal zurück. Sein Herz war voll Freude, weil der Pflegevater ihn rief und er sprang so schnell über Wurzeln und Steine, daß die Tiere des Waldes erstaunten. Als er in das Tälchen kam, stand der Abendhimmel golden darüber und Gunar, der Alte, saß vor der Hütte und schlief. Segimer eilte zu ihm und umschlang seine Knie und Hugi und Hogi schrien laut: ›Wir bringen ihn, wir bringen ihn!‹ Gunar schlug die Augen auf und lächelte. ›Gut, daß du kommst,‹ sagte er milde, ›ich will von dem Gotte hören, dem du anhängst.‹

Da kniete Segimer neben dem Pflegevater nieder und erzählte ihm von dem Herrn Jesus, wie er es von den Mönchen gehört hatte, er erzählte, daß der arm und verachtet über die Erde gegangen war aus lauterer, reiner Liebe zu den Menschen. Tiefer sank der Abend, der Wind erhob sich und er trug wieder Glockentöne in das stille Tal. ›Der Christengott ist stärker als Wodan,‹ flüsterte Gunar, ›ich spüre es, er lenkt die Herzen der Menschen und Tiere nach seinem Willen. Du tatest recht, daß du zu ihm gingst.‹

Der Alte schwieg und Segimer lauschte fromm den fernen Tönen. Auf einmal schrien die beiden Raben schrill auf und flatterten zu Boden. Gunar, ihr Herr, war tot.

Segimer begrub seinen Pflegevater unter der Eiche, dann schnitt er sich einen Ast von ihr ab, machte sich einen Stecken daraus, nahm Abschied von dem stillen Tal und wanderte durch den Wald westwärts. Hugi und Hogi begleiteten ihn noch ein Stück, dann umflatterten sie ihn noch einmal und der Jüngling streichelte ihr schwarzes Gefieder. ›Lebt wohl, lebt wohl!‹ sagte er traurig, ›verlaßt das Tal nicht, bleibt dort als Wächter wohnen!‹

Die Raben flogen auf und kehrten zurück, Segimer ging aber wieder zu den Mönchen. Dort blieb er einige Zeit; die freundlichen Brüder lehrten ihn mancherlei und trugen ihm dann Botschaft auf an Maurus, den Abt von Fulda. Von dem kam er später als vielwissender Mann an den Hof des großen Frankenkönigs Karl, dort brachte er es zu Ehre und Ansehen.«

Bragi schwieg, aber Huckebein, der noch neugieriger war als andere Raben, war mit dem Schluß nicht zufrieden. »Und Hugi und Hogi?« fragte er.

»Die lebten weiter im Tal und wurden uralt.« Mehr sagte Bragi nicht und sie merkten alle, daß Bragi jetzt schweigen wollte und sie wußten, nun half kein Bitten mehr. Er steckte auch wirklich den Kopf unter den linken Flügel und blieb so sitzen und rührte sich nicht.

Da breiteten die fremden Vögel ihre Flügel aus und flogen still davon, um sich Nester zu bauen in der neuen Heimat. Durch den Wald aber schwebte leise singend die Waldseele und schwer atmeten die Pflanzen im Glanz und in der Glut der Nachmittagssonne. – –


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