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16. Kapitel.
Ausklang

Wohl mancher hatte in dem Jahre 1870 gehofft, der Krieg, der den deutschen Waffen so schnelle und stolze Siege gebracht hatte, würde ein rasches Ende finden, aber der Herbst verging, der Winter kam, und noch immer hielt das blutige Ringen auf Frankreichs Boden an. Sieg auf Sieg erfochten deutsche Waffen. Straßburg fiel und Metz, vor Paris stand das Heer, und alle wußten, daß die stolze Stadt sich doch ergeben würde. Drinnen im Vaterland ging das Leben still seinen Gang weiter, aus der Stille aber flogen viel treue Wünsche, viel bange sorgende Gedanken zu den Kämpfern in die Ferne.

Die qualvolle, fieberhafte Unruhe der ersten Zeit hatte sich allmählich zur immer wachen, stillen Sorge gewandelt, und wohl keine Stunde verging, kein Tag brach an, keine Nacht kam, ohne daß eine Mutter schmerzvoll dachte: »Wie mag es meinem Jungen draußen gehen!« Und neben der Sorge stand auch wieder die Freude, und neben Trauer und Leid blühte das Glück. Früh war der Winter gekommen und hatte seinen weißen Königsmantel über das Land gebreitet. Städte und Dörfer versanken bald traulich in einem weichen weißen Schneenest, und die Kinder vergaßen überall rasch die Sommer- und Herbstfreuden und wandten sich vergnügt der Winterlust zu.

Auch in Kloningken und Schönheide ging das Leben seinen stillen Alltagsgang weiter, aber auch hier unterbrachen Festtage die tägliche Arbeit. Die drei durch Verwandtschafts- und Freundschaftsbande innig vereinten Familien verlebten viele trauliche Stunden zusammen. Da gab es ein paar lustige Geburtstagsfeiern und heitere Sonntage. Schlittenfahrten gab es und Schneeballschlachten, Wanderungen durch den winterlichen Wald und Bratäpfelfeste bei »Großchen« in Kloningken. Die vier Kinder, die im Schönheider Gutshaus eine Heimat gefunden hatten, schauten jedem neuen Tag mit hellen Augen entgegen. »Weißt du, Mammi, hier gefällt's mir,« hatten alle vier in den ersten Tagen der Mutter lebhaft versichert, und seitdem war das Gefallen immer mehr gewachsen. Mit den Kloningkener Kindern, den Backfischchen im Schloß und den Wildlingen im Pfarrhaus verband sie bald eine herzliche Freundschaft. Die Buben fanden die drei Bäschen famos, die taten sich nicht, sondern taten mit, sie spielten nicht die Erwachsenen, sondern ließen es sich noch bei Kinderspielen wohl sein, wenn sie Zeit hatten.

Im November verreisten Onkel Fritz und Frau Mary auf kurze Zeit, und als sie wiederkehrten, durften die Kinder in Schönheide den geliebten Onkel »Vater« nennen. Des teuren Toten Stelle wollte er an ihnen vertreten, er wollte sie in das Leben hineinführen, so treu und sicher, wie er die Mutter auf dem leidvollen Weg bis vor Straßburgs Tore geleitet hatte. Das Glück der Kinder war unendlich: Onkel Fritz, der den Namen ihres toten Vaters trug, der diesem so glich mit seinem ruhigen, stillen Wesen, ihr Vater, Schönheide ihre Heimat für immer, das war so wundervoll, daß immer wieder der Jubel ertönte. Und alle Leute in Schönheide und Kloningken nahmen daran teil, die Verwandten und die Dorfleute. In diesem Jahr, in dem es so viel gemeinsames Leid, so viel zusammen getragene Sorge gab, nahm auch jeder mehr teil an des anderen Freude. Und um Kate und Lotty hatten sie doch alle mit gebangt, alle hatten doch damals Lizzies Kummer mit empfunden, darum waren sie jetzt alle froh, daß nun die Kinder eine rechte Heimat hatten.

Freddy, Henry und Lotty jubelten laut, sie waren sehr stürmisch in ihrer Freude, und die Buben sagten stolz: »Nun sind wir deutsche Jungens, es ist dumm, wenn man nicht genau weiß, was man ist!« Die blasse Kate war am stillsten gewesen, als die Mutter ihrem Vierblatt von dem neuen Vater erzählt hatte. Kate war noch immer still seit den schweren Tagen in Straßburg, sie hatte die Schrecken jener Zeit noch nicht überwunden. Aber jetzt strahlten oft die Augen in tiefer Freude, und einmal sagte sie leise zu dem Vater: »Nun hab' ich keine Angst mehr, weil ich nun immer bei dir bleiben kann!«

»Es ist das beste für alle,« meinte auch Sarah, »das ist nun doch eine richtige Heimat, dazu ist Schönheide ein Ort, dessen Namen man aussprechen kann, und die Herumreiserei hat nun glücklich ein Ende!«

Sie fühlte sich sehr glücklich in Schönheide, die treue Alte, sie hatte mit Frau Birnstiel Freundschaft geschlossen und fand alle Menschen sehr engelhaft. Sogar die Wildlinge wurden zu Engeln erhoben, nur leider sah niemand sonst sie dafür an. Sagte aber jemand etwas von einer Reise, dann brummelte Sarah immer: »Von der Reiserei kommt nichts Gutes, daheim bleiben ist das beste.«

An ein Fortgehen und Wegreisen dachte auch niemand in Kloningken und Schönheide, sie dachten vielmehr alle an frohe, heimliche Weihnachtstage. Selbst Lotte sehnte sich nicht mehr so viel hinaus, dazu hatte sie zu viel zu tun, mußte zu viel an Weihnachtsüberraschungen denken, der Familienkreis war auf einmal so groß geworden. Im Dorf gab es auch manche, denen man dies Jahr eine besondere Weihnachtsfreude bereiten mußte, und Franz hatte gemahnt: »Denkt auch etwas an meine Kameraden draußen und an die in den Lazaretten.« So schwoll die Arbeit vor Weihnachten ordentlich an, und das Fest kam beinahe zu schnell herbei; Lotte meinte, es hätte noch mindestens acht Tage warten können, die Bäslein sagten das nach, aber davon wollten weder die Flemmingsöhne noch die Schönheidener Kinder etwas wissen. Die hatten es eilig, Christbäume zu holen, die fanden den Tag vor Weihnachten endlos lang und das Fest selbst empörend kurz. Eins, zwei, drei war es vorüber, die Kerzen verlöscht, die Weihnachtslieder verklungen, und ehe man es noch recht merkte, war man in das Jahr achtzehnhundertundeinundsiebzig hineingekommen.

Ernster als sonst, im innersten Herzen aber unendlich dankbar, hatten die Seeheims und Flemmings das neue Jahr angetreten. Von Hans-Heinrich war am letzten Tag des alten Jahres ein ausführlicher Brief gekommen. Er lag vor Paris, hatte schon manchmal dem Tod ins Auge gesehen, hatte wacker gekämpft und war allen Gefahren bis auf einen leichten Streifschuß bisher glücklich entronnen. Er schrieb immer mutig, heiter, unverzagt, aber die Mutter las aus den Zeilen doch heraus, wie ernst den Sohn die harte Zeit gemacht hatte. Wie einst vor vielen, vielen Jahren lief auch in diesem Jahr aus dem Pfarrhaus von Kloningken oft die Tochter hinüber ins Herrenhaus, saß dort neben der Tante Seeheim und tröstete die Zagende: »Hans-Heinrich kommt sicher wieder, Tantelein, glaub's nur, Herzenstante.«

Die alte Frau Luise von Seeheim gedachte dann wohl der eigenen Jugend: so war sie einst hinübergelaufen und hatte getröstet, hatte mit gezagt und mit gehofft. In ihrem Großmutterstübchen kehrten wie immer oft die Jungen ein, Mädels und Buben, aber nie hatten sie so viel gebeten wie jetzt: »Großmutter, erzähl' uns von damals, von den Befreiungskriegen.« Es war ihnen wie ein Lied, dessen Schlußvers sie hörten, dessen Anfang ihnen aber schon verklungen war. Auch Franz von Seeheim saß oft bei der Großmutter und ließ sich von dem Großvater erzählen, der auch ein Krüppel, aber doch ein glücklicher, zufriedener Mann gewesen war. »Ich will werden wie er,« dachte immer von neuem der Enkel, und er überwand standhaft alle Schwierigkeiten, die ihm das Fehlen des Armes bereitete. Er wies es zurück, wenn man ihm helfen wollte, und wehrte sich auch stolz gegen das Mitleid der anderen. »Seht mich nicht so jämmerlich an, Mädels,« sagte er oft mit tapferem Lachen zu den Schwestern, »wenn ich den Kopf verloren hätte, dann dürftet ihr mich bemitleiden.« Zu sich sagte er leise: »Helft mir lieber stark sein!« Dazu halfen sie ihm dann alle, sie lernten ihre Blicke beherrschen, lernten es heiter zu sein, wenn ihnen das Herz um den Bruder weh tat, und lernten es ihm still zu dienen, so daß er nicht immer an sein fehlendes Glied gemahnt wurde.

Mit klingendem Frost, hellen Tagen, an denen die Sonne lachte, ohne zu wärmen, herrschte der Januar im Land. Er brachte einen Tag, an dem in ganz Deutschland, in Nord und Süd, Ost und West, in Stadt und Land der Jubelruf erschallte: »Wir haben einen Kaiser, wir haben ein einiges deutsches Reich.«

In Versailles wurde am 18. Januar König Wilhelm von Preußen zum deutschen Kaiser proklamiert. Da fand mancher den Sehnsuchtstraum seiner Jugend erfüllt, es gab ein einiges deutsches Vaterland. Der alte Amtsrat Flemming auf Schönheide bekam in diesen Tagen wieder junge Augen, und als Lizzie schelmisch sagte: »Onkel, du wirst wieder ganz jung,« da rief er froh: »Das macht die Freude, Mädel. Hurra, Kind, wir haben einen deutschen Kaiser, ein einiges Vaterland! Lebte heute dein Vater noch, er würde mit mir jubeln. Von einem einigen deutschen Vaterland träumten die Studenten in seiner Jugend, und mancher litt schwer um dieses Zieles willen, auch er mußte darum sein Vaterland verlassen, er, der ein so treuer Deutscher war. Nun ist es erreicht. Wir wollen die Fahnen aufziehen und den Tag feiern. In Schönheide hat es lange keine Feste gegeben, jetzt laßt uns eins feiern, ein echtes frohes Siegesfest.«

»Es gibt ein Fest, ein Kaiserfest,« sprach Lizzie nach; sie dachte dabei an ihren Vater: o, hätte er das doch erlebt! Sie lief die Treppe hinab, um die Botschaft allen zu melden. Als sie hinabkam, stand unten im Hausflur Franz von Seeheim und sah ihr froh entgegen: »Wir haben ein einiges Vaterland, haben einen Kaiser,« rief er stolz, »wie froh bin ich, daß ich mitkämpfen durfte!«

»Und hier soll ein Kaiserfest gefeiert werden, und alle sind dazu eingeladen,« sagte Lizzie und gab dem jungen Mann die Hand. »Wir wollen zusammen nach Kloningken gehen und die Einladung überbringen,« schlug Franz von Seeheim vor. Lizzie nickte und ging dann mit ihm durch den winterlichen Wald, und die Sonne stand strahlend hell über ihnen. –

Es fehlte niemand an dem Festtag. Selbst der alte Bauer Michael Ragnit folgte der Einladung seines alten Waffengefährten. »Der darf mir nicht fehlen,« hatte der Großvater gesagt, »mein treuer Kampfgenosse von einst muß an diesem Tage dabei sein.«

Die Bäslein hatten miteinander aus Tannenreis Girlanden gewunden und überall Fahnen angebracht. Die Buben hatten wieder irgendwo eine Ehrenpforte bauen wollen, aber zu ihrer Entrüstung hatte sich niemand sonderlich für den Plan begeistert. Ja Lotte, die schlimme Lotte, fragte sogar spöttisch: »Wollt ihr vielleicht Müllers Grauchen auch einladen?« Lotte war überhaupt recht schlimm, recht vorlaut und spöttisch, das fand sogar Lizzie, die sonst nicht viel am Bäslein tadelte. Denn Lotte sah allerlei wunderliche Dinge, sie sah, daß Lizzies Girlande gar nicht fertig werden wollte, sah, daß die Kusine eigentlich jedes Ding an den unrechten Platz stellte, und merkte es, daß sie auf ihre Fragen lauter verkehrte Antworten erhielt. Da fragte sie schelmisch: »Lizzie, du denkst wohl auch an einen Kaiser, oder ist es nur ein König, ein Prinz oder gar bloß ein Edelmann?«

»Du bist töricht,« rief Lizzie ärgerlich, warf das Tannengrün hin und rannte aus dem Zimmer. Die sanfte Renate wollte ihr nacheilen, sie sagte zürnend zu Lotte: »Schäme dich, wie kannst du, ›unsere Lizzie‹ so kränken!« Aber Lotte blieb ungerührt, sie hielt die Base am Kleiderzipfel fest und lachte: »Hier bleiben und fleißig sein, sonst werden wir nicht fertig zum Kaiserfest, und vielleicht wird aus dem Kaiserfest noch ein Fest; ach, Kinder, es ist wundervoll.«

Was wundervoll war, erfuhren die beiden Schwestern vorläufig nicht, und zum Nachdenken war nicht viel Zeit, denn es gab wirklich alle Hände voll zu tun.

Frau Birnstiel entfaltete alle ihre Koch- und Backkünste dem Kaiserfest zu Ehren, sogar eine Torte mit einer Krone darauf vollendeten ihre kunstfertigen Hände. Nachher meinte zwar Franz von Seeheim, die Krone sollte wohl ein Bienenkorb sein, und die Wildlinge rieten auf einen Wigwam, und Max sagte tröstend: »Das schadet nichts, Frau Birnstielchen, wenn es nur schmeckt, das ist die Hauptsache.«

Lotte Flemming aber sagte leise: »Birnstielchen, liebstes, goldenes Birnstielchen, ich weiß, was es ist, es ist ein Brautkranz. Es gibt eine Verlobung.« Und Lotte Flemming behielt recht, es gab wirklich eine Verlobung am Kaiserfest, Lizzie wurde Franz von Seeheims Braut. Die Freude darüber war groß an diesem Tage, es gab niemand im ganzen Kreis, der nicht gefunden hätte, Braut und Bräutigam paßten vortrefflich zusammen. –

»Wenn Friede ist, dann hole ich dich heim,« hatte der Bräutigam gesagt. Darüber verging der Winter, und der Frühling wandelte sich schon zum Sommer, da erst läuteten in der kleinen Kirche von Kloningken die Hochzeitsglocken. Es war eine schlichte Feier, an der jung und alt teilnahm. Die Dorfkinder sangen, und Kate und Lotty streuten Blumen. Auch eine Ehrenpforte gab es vor dem Herrenhaus, Max und Walter hatten sie mit den Vettern aus Schönheide gebaut, und Onkel Fritz hatte seinen Rat dazu gegeben. Diesmal stand die Ehrenpforte fest, und kein Eselein konnte seinen Hunger daran stillen. Gerade an dem Tag war die Hochzeit, auf Lizzies Wunsch, an dem sie vor einem Jahr ihren Einzug im Kloningkener Pfarrhaus gehalten hatte. Welch ein reiches, bewegtes Jahr war es gewesen! es erschien ihr beinahe unmöglich, daß alles, was sie erlebt, erlitten und gewonnen hatte, nur auf ein kurzes Jahr kommen sollte.

Während Lizzie an Franz von Seeheims Seite tief bewegt vor dem Altar kniete, saß im Herrenhaus von Kloningken einer krank und einsam und schaute in den Park hinab, in dem alles in vollem Blühen stand. Wund und siech war Hans-Heinrich in die Heimat zurückgekehrt. Wochenlang hatte er im Lazarett mit dem Tode gerungen, ein Wunder hatten die Ärzte seine Genesung genannt. Aber er wußte, daß er nie ganz gesund würde, nie die alten Kräfte wiedergewinnen konnte. Seine Lunge war verletzt, und die Ärzte hatten ihm gesagt, den Winter über müsse er nach dem Süden gehen, er selbst aber fühlte, daß er vielleicht lange, lange der Heimat fern bleiben mußte.

Heute hatten ihn alle auf seine Bitte allein gelassen, er wollte nicht, daß jemand von den Seinen in der Kirche fehlen sollte. Er konnte nicht an der Trauung teilnehmen, dazu war er noch zu schwach, aber im Geiste durchlebte er alles mit, er sah alle die lieben Gesichter in dem Kirchlein, sah Lizzie holdselig in ihrer jungen Schönheit an des Bruders Seite knien, er meinte auch das fromme Singen der Kinder vom Chor zu hören, und er legte die Hand vor die Augen und kämpfte krampfhaft das Schluchzen zurück, das in ihm aufsteigen wollte. Er dachte zurück an den Krieg, an die Leiden, die er und seine Kameraden erduldet hatten, und an das herrliche erreichte Ziel. Einig das Vaterland, groß stand sein Volk da. Er griff nach einem Etui, das neben ihm auf einem Tisch stand, innen lag das eiserne Kreuz. Sein Großvater hatte es getragen, seines Bruders Brust schmückte es heute, auch er hatte es sich errungen. Er lächelte, tapfer und stolz. Mit diesem Lächeln war einst sein Urgroßvater bei Jena in den Tod gegangen, mit diesem Lächeln hatte es sein Großvater getragen, daß er ein Krüppel war, sein Bruder lächelte so über den verlorenen Arm, auch er wollte so sein Leiden tragen, mutig und geduldig.

Ein leichtes Rauschen ließ ihn aufsehen. In der Tür stand Lotte Flemming im rosenroten Festgewand, blühende Rosen im Haar, selbst einem lieblichen Röslein gleichend, Ihre Augen strahlten den Freund an: »Es ist gleich zu Ende, sie stehen vor der Kirche, und alle Leute aus dem Dorf gratulieren. Ich bin rasch davongelaufen, weil du so allein bist!«

Er streckte seiner treuen kleinen Freundin die Hand hin: »Ein paar Monate noch, Lotte, und ich werde immer allein sein, vielleicht für lange, lange Zeit.«

Lotte schüttelte den Kopf: »Nein,« sagte sie, »Renate und ich wir begleiten dich, wir haben es schon ausgemacht.«

»Ja,« sagte Renate und schlüpfte hinter Lotte ins Zimmer, »so wird es, und wenn drei aus Kloningken zusammen sind, dann ist dort auch Heimat wie in Kloningken. Aber hört, jetzt kommen sie!« Draußen vor dem Haus wurden Stimmen und Rufe laut, Renate und Lotte nahmen Hans-Heinrich in die Mitte und traten an das Fenster. Auf blumenbestreutem Wege kam das Brautpaar gegangen, stattlich und schön, und hinter ihnen her gingen alle Seeheims und Flemmings. Das alte Geschwisterpaar schritt Hand in Hand, den Weg hatten sie selbst an ihren Hochzeitstagen einst zurückgelegt.

Das Läuten der Glocken verhallte, und die Kinder, die sich rasch an der Ehrenpforte ausgestellt hatten, begannen zu singen. »Das Lied,« sagte Hans-Heinrich ergriffen, und seine Augen blitzten, »unser Siegeslied«. Draußen aber sangen die Kinder jauchzend das Lied, das Franz von Seeheim sich gewünscht hatte: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall.«


Wer nun wissen will, wie es damals aussah, als der alte Amtsrat Flemming und Großmutter Luise von Seeheim noch jung waren, als Fritz Flemming, der nachher fern vom Vaterland in Amerika lebte, noch als kleiner Dreikäsehoch im Pfarrgarten spielte, damals als Deutschland aufstand, um das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln, der findet davon allerlei in der Schrift » Deutsche Jugend in schwerer Zeit« erzählt. Darin steht, wie die Großväter kämpften und die Großmütter sorgten, von harten schweren Zeiten ist darin erzählt, von verwüsteten Feldern, von Sorge, Armut und Not, von Feindesübermut und von dem Elend, dem Jammer jener, die unter Napoleon nach Rußland zogen. »Aus der Geschichte einer Familie« ist das vorliegende Buch überschrieben und doch sind es eigentlich zwei Familien, die Seeheims und die Flemmings, sie sind aber miteinander so fest durch Freundschafts- und Verwandtschaftsbande verknüpft, daß sie sich selbst als eine in Liebe und Treue verbundene Familie fühlten und noch fühlen. Von denen, die jetzt noch leben, von den Kindern und Kindeskindern jener, die einst den Sieg von Sedan bejubelten, mag vielleicht einmal ein dritter Band erzählen.



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