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II.

Vor vielen Jahren hat die Regierung, wohlberaten, das Quellgebiet des Yellowstoneflusses als immerwährende Freistätte der ursprünglichen, unberührten Wildnis eingerichtet. Innerhalb dieses großen Wunderlandes sollte das Ideal des Königlichen Sängers zur Wahrheit werden, keinem ein Leid geschehen, keines das andere schrecken. Keinem Vogel oder Säugetier sollte Gewalt angetan werden, keine Axt den Frieden des Urwalds brechen und die reinen Gewässer rein und unbesudelt bleiben vom Abfall der Fabriken und Bergwerke. Alles sollte den Stempel des unberührten Westens tragen, wie es vor dem Erscheinen des weißen Mannes war.

Das alles fanden die wilden Tiere schnell heraus. Bald konnten sie die Grenzen dieses uneingezäunten Schutzparkes, und seither zeigen sie innerhalb des geweihten Raumes eine ganz andere Natur. Sie scheuen nicht länger den Anblick des Menschen, fürchten ihn nicht, greifen ihn auch nicht an und sind sogar in diesem Lande der Zuflucht gegeneinander friedfertiger.

Frieden und Fülle sind der Inbegriff irdischer Güter, und da sie diese hier finden, so drängen sich die wilden Tiere aus dem umliegenden Lande in den Park in Mengen, wie man sie sonst nicht zu sehen bekommt.

Die Bären sind besonders zahlreich um das Quellengasthaus herum. Im Walde, etwa vierhundert Meter entfernt, befindet sich ein ebener, freier Platz, wo der Speisewart des Gasthauses allen Küchenabfall täglich für die Bären ausstreuen läßt, und der damit Betraute ist der Bärenspeisewart geworden. Jeden Tag wird der Tisch für die Bären gedeckt, und jeden Tag stellen sich mehr Teilnehmer ein. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn man jetzt hier auf einmal ein Dutzend Bären schmausen sieht. Sie sind von allen Arten und Farben, schwarze, braune, zimtfarbene, silbrige, Grislys und Buckelbären, große und kleine, Familien und Einzelgänger weither aus allem Land ringsum. Alle scheinen zu wissen, daß Gewalttätigkeit im Park verpönt ist, und die Wildesten zeigen hier ein anderes Verhalten. Obwohl die Bären zu Dutzenden um diese leckere Stelle sich herumtreiben und sich manchmal gegenseitig in den Haaren liegen, hat man noch von keinem Angriff auf Menschen gehört.

Jahr um Jahr sind sie gekommen und gegangen. Für die Parkbesucher sind sie eine Sehenswürdigkeit, und den Hotelangestellten sind viele von ihnen wohlbekannt. Sie wissen, daß die Tiere sich jeden Sommer während der kurzen Zeit, wo das Gasthaus geöffnet ist, einstellen und dann wieder verschwinden; keiner weiß, woher sie kommen oder wohin sie gehen.

Eines Tages kam der Eigentümer der Palettefarm durch den Park, während seines Aufenthalts im Quellenhotel besuchte er auch die Bärenspeisehalle zu der Zeit, wo diese die meisten Gäste aufzuweisen pflegte. Da sah er verschiedene Schwarzbären schmausen, die sich aber schnell aus dem Staube machten, als gegen Sonnenuntergang ein mächtiger, weißüberhauchter Grisly erschien.

»Das,« sagte der Führer, »ist der größte Grisly im Park, aber er ist friedlicher Natur; sonst wüßte man ja, was passieren täte.«

»Das!« sagte der Viehzüchter erstaunt, als der Grisly wiegend näher kam und wie ein Wagen voll Heu zwischen den Fichtenstämmen aussah. »Das! wenn das nicht der Meteetsee-Wahb ist, so habe ich in meinem ganzen Leben keinen Bären gesehen! Was, das ist der schlimmste Grisly, der je im Großen-Horn-Becken einen Baumstamm gerollt hat.«

»'s ist nicht möglich,« sagte der andere, »denn er ist jeden Sommer im Juli und August hier, und ich denke, er muß nicht weit von hier zu Hause sein.«

»Ja, das entscheidet die Sache,« sagte der Farmer, »Juli und August, das ist gerade die Zeit, wo wir ihn im Revier vermissen; Sie können selbst sehen, daß er hinten etwas lahmt und daß er am linken Vorderfuß eine Kralle verloren hat. Jetzt weiß ich, wo er seine Sommer verbringt; aber ich dachte nicht, daß der alte Übeltäter es fertig brächte, sich fern von der Heimat so gut aufzuführen.«

Im Laufe der Zeit wurde der große Grisly eine sehr bekannte Erscheinung der Bären-Sommergäste. Nur einmal war sein Betragen tatsächlich schlecht, und das war im ersten Sommer, wo er auftauchte, ehe er sich voll in den Geist des Parkes eingelebt hatte.

Er wanderte eines Tages hinüber zum Gasthaus und durch die Vordertüre hinein. In der Halle richtete er sich in seiner ganzen Größe von acht Fuß auf, und die Gäste flüchteten erschrocken davon. Dann ging er in das Geschäftszimmer. Der Angestellte dort sagte: »Schon gut, brauchst du dieses Zimmer nötiger als ich, so kannst du's haben,« und er sprang über den Zahltisch, schloß sich dann in der Telegraphenkammer ein und drahtete an den Parkvorsteher: »Alter Grisly hier im Geschäftszimmer, will scheint's die Hotelverwaltung übernehmen; dürfen wir schießen?«

Die Antwort lautete: »Schießen im Park nicht gestattet; nehmt den Schlauch!« Das taten sie denn auch, und der völlig überraschte Bär sprang ebenfalls über den Zahltisch und watschelte zur Hintertür hinaus, wobei seine Füße dumpf auf den Boden schlugen und seine Krallen unheimlich rasselten. Er kam dabei durch die Küche, und als er dort ein Rinderviertel liegen sah, nahm er es als gute Beute mit.

Das war das einzige Mal, daß eine Übeltat von ihm im Park bekannt wurde, wenn er auch bei einer Gelegenheit von einem andern Vertreter seiner Gattung zum Bruch des Parkfriedens veranlaßt wurde. Es war das eine große Schwarzbärin, als Unheilstifterin bekannt. Sie hatte ein armseliges, kränkliches Junge, auf das sie sehr stolz war, so stolz, daß sie um seinetwillen vor nichts zurückscheute. Und der Kleine erregte wie alle verwöhnten Kinder viel Anstoß. Sie war so groß und wild, daß sie alle andern Schwarzbären einschüchtern konnte, als sie aber den alten Wahb wegzutreiben versuchte, bekam sie einen Patsch von seiner Tatze, daß sie sich wie ein Fußball überschlug. Er folgte ihr nach und hätte sie umgebracht, denn sie hatte den Parkfrieden gebrochen, aber sie rettete sich, indem sie auf einen Baum kletterte, in dessen Wipfel ihr elendes kleines Junge in den höchsten Tönen ängstlich quietschte. Damit war die Sache zu Ende; in Zukunft blieb die Schwarzbärin dem gefährlichen Gattungsgenossen hübsch aus dem Weg; und er gewann den Ruf eines friedliebenden anständigen Bären. Die meisten Leute im Park dachten, er komme von irgendeinem abgelegenen Gebirge, wo es keine Gewehre oder Fallen gebe, die ihn tückisch und rachsüchtig machen könnten.


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