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Erster Teil.
Wahbs Kindheit.

I.

Geboren wurde er vor anderthalb Dutzend Jahren weitab im wildesten Teil des Wilden Westens am Kopf des kleinen Fichtenflußtals, über dem jetzt die Viehfarm Palette liegt.

Seine Mutter war ein ganz gewöhnlicher Grisly mit silbern schimmerndem Fell; sie führte nach Bärenart ein ruhiges Leben, kümmerte sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten, tat ihre Pflicht gegen ihre Familie und wollte von andern nichts, als daß sie sie in Ruhe ließen.

Erst im Juni nahm sie ihre auffallende Familie vom Fichtenflußtal hinab zum Graybullfluß und zeigte den Kleinen, was Stachelbeeren sind und wo man sie findet.

Im Gegensatz zur felsenfesten Überzeugung der Mutter waren die Jungen weder auffallend groß noch schön, und doch waren sie auffallend, denn es waren ihrer vier, und es kommt nicht oft vor, daß sich eine Grislybärin mehr als zweier rühmen kann.

Den kleinen Wollenträgern ging es gut, und sie ließen sich's auch in dem lieblichen Gebirgssommer und in der Fülle guter Dinge wohl sein. Jeden Stamm und jedes aufliegende Felsstück, an dem sie vorbeikamen, hob die Mutter auf, und sie stürzten allesamt wie ein Haufen kleiner Schweine darunter und leckten gierig die dort befindlichen Ameisen und Larven auf.

Sie stürzten allesamt wie ein Haufen kleiner Schweine darunter.

Nie kam es ihnen in den Sinn, Mutters Stärke könnte mal versagen und den großen Stein fallen lassen, wenn sie gerade darunter wären; auch hätte dies niemand denken können, der den gewaltigen Arm und die Schultern gesehen hätte, die ihr schimmerndes gelbes Kleid bedeckte. Nein, nein, der Arm konnte nie versagen; die Kleinen hatten ganz recht. So hasteten und stolperten sie eins über das andere bei jedem neuen Stamm, um nur ja das erste zu sein, und quiekten und winselten, als wäre jedes ein Schweinchen, ein Hündchen und Kätzchen, alle in eins zusammengerollt.

Mit den gewöhnlichen kleinen braunen Ameisen, die im Hochland unter Stämmen hausen, hatten sie schon Bekanntschaft gemacht; jetzt stießen sie aber zum erstenmal auf einen Hügel der großen, fetten, saftigen Waldameisen, und die vier drängten sich, die herauseilenden Tierchen aufzulecken. Aber sie fanden bald, daß sie mehr Kaktusstacheln und Sand in den Mund bekamen als Ameisen, bis ihre Mutter in der Grislysprache sagte: »Paßt mal auf, wie man das macht!«

Sie schlug die Spitze des Haufens ab, legte dann ihre große Pfote ein paar Augenblicke flach darauf, und als die Ameisen zornig aus sie loskrochen, leckte sie sie in einem Zug ab und konnte so einen ganzen Mund voll zerdrücken, ohne daß ein Sandkörnchen oder ein Kaktusdorn dabei gewesen wäre. Das lernten die Zungen bald. Jedes legte seine beiden braunen Pfötchen auf, so daß ein Ring von Pfoten um den ganzen Ameisenhaufen herumlief, und dann saßen sie da wie Kinder, die spielen wollen »Alle Vögel fliegen hoch«, und jedes leckte zuerst die rechte und dann die linke Pfote ab, oder es puffte eins den Nachbar an die Ohren, weil er eine Pfote abgeleckt hatte, die ihm nicht gehörte, bis der Ameisenhügel ganz geleert und die kleine Sippschaft zu neuen Taten bereit war.

Sie spielte wie die Kinder.

Ameisen schmecken sauer und machten die Bärchen durstig. So führte sie die Alte zum Fluß hinunter. Nachdem sie nach Herzenslust getrunken und im Wasser gepanscht hatten, watschelten sie am Ufer hinab zu einer teichartigen Ausbuchtung, wo das scharfe Auge der Alten ein paar Büffelfische erspäht hatte, die sich auf dem Grunde des Wassers sonnten. Das Wasser war sehr flach, nur kiesige Wasserschnellen zwischen tiefen Löchern; so sagte Mütterchen zu den Kleinen:

»Jetzt sitzt alle hübsch am Ufer; ich will euch was Neues zeigen.«

Zuerst ging sie zum unteren Ende des Teiches und rührte eine Schlammwolke auf, die in dem unbewegten Wasser hängen blieb und über den darunter liegenden Schnellen wie ein langgedehnter Vorhang schwebte. Dann ging sie ruhig am Lande aufwärts und sprang so geräuschvoll wie nur möglich in das obere Ende des Teiches. Dorthin hatten sich die Fische zusammengedrängt, aber dieser plötzliche Angriff ließ sie in panischem Schrecken davoneilen, und blindlings sausten sie in das vom Schlamm getrübte Wasser. Unter fünfzig Fischen gibt's immer eine gute Menge dumme, und ein halbes Dutzend flog durch das trübe Wasser in die Strömung hinein, und ehe sie's wußten, strampelten sie auf dem flachen Steingeröll der Untiefen. Die Grislybärin schleuderte sie aufs Ufer hinüber, und die Kleinen stürzten sich lärmend auf die spaßigen, kurzen Schlangen, die nicht fort konnten, und schlemmten und schleckten, bis ihre Bäuchlein wie Gummibälle aussahen.

Jetzt hatten sie so viel gegessen, und die Sonne schien so heiß, daß sie alle ganz schläfrig waren. So führte sie Mutter Bär in einen ruhigen, kleinen Winkel, und sobald sie sich hinlegte, schmiegten sie sich um sie herum und schliefen, obschon vor Hitze schnaufend, sofort ein, die braunen Pfötchen herumgeschlagen und die schwarzen Näschen in ihre Wolle vergraben, als wäre es ein sehr kalter Tag.

Nach ein paar Stunden fingen sie an zu gähnen und sich zu recken mit Ausnahme von Fuz, der Kleinsten; sie steckte einen Augenblick ihr scharfes Näschen in die Luft, dann huschelte sie sich wieder zwischen die großen Mutterarme, denn sie war ein liebes, verhätscheltes kleines Ding. Der Größte, der später als Wahb bekannt wurde, wälzte sich auf den Rücken und fing an, sich mit einer herausstehenden Wurzel abzuplagen, brummte vor sich hin, während er daran kaute, oder klopfte sie mit der Pfote, weil sie nicht blieb, wo er sie haben wollte. Jetzt fing Mondchen, der Krakeeler, an, Fritzel an den Ohren zu zupfen, und verdiente sich dabei selbst ein paar Ohrfeigen. Rauflustig packten sie sich, verdichteten sich zu einem engen, graugelben Ball, rollten kopfüber durch das Gras und trudelten, ehe sie es wußten, am Uferhang hinunter und – jetzt aus Sicht – dem Flusse zu.

Gleich darauf stießen die kleinen Ringer gellende Hilferufe aus, und unverkennbar klang wirklicher Schrecken aus ihren Stimmen. Es drohte offenbar eine furchtbare Gefahr.

Da sprang die gute Mutter, in einen wuterfüllten Rachegeist verwandelt, empor und das Ufer hinab, gerade zur rechten Zeit, um zu sehen, wie ein riesiger Zuchtbulle einen tödlichen Angriff auf das machen wollte, was er zweifellos für einen gelben Hund hielt. In einem Augenblick wäre es um Fritzel geschehen gewesen, aber da – ein heftiges Aufstampfen, ein Gebrüll, das sogar den großen Bullen entsetzte, und wie eine mächtige gelbe Pelzkugel flog Mutter Grisly auf ihn los. Auf ihn, den Beherrscher der Herde, den Gebieter all dieser Ebenen! Was hatte er zu fürchten? Ein kurzes, tiefes Aufbrüllen verkündete, daß er den Kampf aufnahm, und er wandte sich, die Alte an den Uferhang zu spießen. Aber als er sich bückte, sie mit seinen glatten Hörnern zu durchstoßen, verabreichte sie ihm einen betäubenden Schlag, und ehe er sich sammeln konnte, war sie ihm auf den Schultern und riß ihm das Fleisch von den Rippen, Schlag auf Schlag mit ihren schrecklichen Tatzen versetzend.

Wütend brüllte der Stier und duckte sich und fuhr zurück, die Mutter Grisly mit sich ziehend; als er dann schwerfällig den Abhang hinabglitt, ließ sie von ihm, um sich selbst zu retten, und der Hornträger rollte ins Wasser.

Das war ein Glück für ihn, denn die Bärin wollte ihm dorthin nicht folgen; so watete er an der anderen Seite heraus, und voll Wut und Schmerz schnaubend, schlich er sich zu seiner Herde.


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