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II.

Die Jahre kamen und gingen wie vorher, nur daß Wahb jeden Winter in weniger tiefen Schlaf fiel und jedes Frühjahr früher aufwachte, und daß er noch ein stattlicherer Grisly wurde mit immer weniger Feinden, die es mit ihm aufzunehmen wagten. Als er in seinem sechsten Jahre stand, war er ein sehr großer, starker und mürrischer Bär, der seit jenem Tage des Unheils im unteren Fichtenflußtal in seinem Leben weder Freundschaft noch Liebe kennen gelernt hatte.

Niemals hat man etwas von Wahbs Lebensgefährtin gehört, und niemand glaubt, daß er je eine gehabt habe. Jahr für Jahr brach die Liebeszeit der Bären an, ließ ihn aber auch in seiner Blütezeit einsam, wie er es in der Jugendzeit gewesen war. Es ist für einen Bären nicht gut, allein zu sein; es ist für ihn in jeder Beziehung von Übel. Seine angeborene Grämlichkeit nahm mit seiner Kraft zu, und wer jetzt mit ihm zusammengetroffen wäre, hätte ihn sicher für einen gefährlichen Grisly erklärt.

Das Meteetseetal war sein Aufenthalt, seit er zum erstenmal dorthin kam, und seine Wesensart hatte sich unter dem Einfluß der vielen kleinen Erlebnisse mit Fallen und seinen wilden Nebenbuhlern vom Gebirge herausgebildet. Aber jetzt hatte er keinen von diesen Nebenbuhlern mehr zu fürchten, und von den Fallen wußte er genug, um sie zu vermeiden, denn der durchdringende Geruch von Mensch und Eisen war eine unverkennbare Warnung, insbesondere nach einer Erfahrung, die er in seinem sechsten Lebensjahre machen mußte.

Seine niemals trügende Nase meldete ihm, dort unten im Gehölz liegt ein toter Wapiti.

Er ging dem Wind entgegen, und dort – es war kein Zweifel – lag das köstliche Stück, schon an der allerersten Stelle aufgerissen. Allerdings auch der fürchterliche Geruch von Mensch und Eisen fehlte nicht, aber er war so schwach und der Schmaus so lockend, daß er, nachdem er den Körper umkreist und aus seiner Höhe von acht Fuß – so viel maß er in aufrechter Haltung – besichtigt hatte, vorsichtig vorwärtsschritt und sofort mit seiner linken Pfote in einer riesigen Bärenfalle gefangen war. Er brüllte vor Schmerz und schlug wütend um sich. Aber das war keine Biberfalle, es war ein großer, fünfundvierziger Bärenfänger, und er war fest gefangen.

Wahb schäumte richtig vor Wut und schlug seine Zähne wie toll in die Falle. Dann fielen ihm seine früheren Erfahrungen ein. Er nahm die Falle zwischen die Hinterpranken mit einer Hinterpfote auf jeder Feder und drückte mit seinem ganzen Gewicht darauf. Aber es genügte nicht. Er schleppte die Falle und ihre Verankerung fort und ging mit Gerassel den Berg hinauf. Immer wieder machte er den Versuch, den Fuß freizubekommen, aber stets vergeblich, bis er an eine Stelle kam, wo ein großer Stamm ein paar Fuß über dem Erdboden seinen Weg kreuzte. Durch Zufall oder aus glücklicher Überlegung bäumte er sich wieder darunter empor und machte einen neuen Versuch. Mit einem Hinterfuß auf jeder Feder und mit seinen mächtigen Schultern unter dem Baum drückte er mit seiner ganzen herkulischen Kraft nach unten: die starken stählernen Federn gaben nach, die Bügel wichen voneinander, und er riß seine Pfote heraus. So war Wahb wieder frei, wenn er auch eine große Zehe zurückließ, die beim ersten Einschnappen des Stahls fast abgetrennt worden war.

Wieder hatte Wahb eine schmerzhafte Wunde zu pflegen, und da er ein linkshändiger Bär war – d. h., wenn er einen Steinblock umwälzen wollte, stand er auf der rechten Pfote und drehte mit der linken um – so hatte seine Verstümmelung die Folge, daß er eine Zeitlang all der hübschen Nahrungsmittel beraubt war, die man unter Steinen und Stämmen findet. Die Wunde heilte schließlich, aber diese Erfahrung vergaß er nie wieder, und hinfort versetzte ihn der stechende Geruch von Mensch und Eisen, auch wenn der Gewehrgeruch nicht dabei war, regelmäßig in Wut.

Viele Erfahrungen hatten ihn gelehrt, daß es besser sei, davonzulaufen, wenn er nur den Jäger witterte oder weit in der Ferne hörte, aber verzweifelt zu kämpfen, wenn der Mensch schon nahe war. Und die Cowboys wußten bald, daß der obere Meteetsee das Jagdrevier eines Grislys sei, den man besser allein ließ.


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