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III.

Wahb war immer ein schwermütiger kleiner Bär gewesen, und das andauernde Mißgeschick, das ihn zu der Zeit traf, als sich sein Geist mehr entwickelte, machte ihn noch mürrischer und verdrießlicher.

Es schien, als wäre alles und jedes gegen ihn. In den oberen Wäldern des Fichtenflusses hielt er sich möglichst unbemerkt, ging tagsüber irgend etwas suchen, womit er den nagenden Hunger stillen könnte, und ruhte nachts in dem hohlen Baumstamm. Aber eines Abends fand er sein Ruheplätzchen von einem Stachelschwein besetzt, so groß wie er selbst und so schlimm wie eine Kaktushecke. Wahb konnte nichts mit ihm machen. Er mußte den Stamm aufgeben und sich ein anderes Nest suchen.

Eines Tages stieg er zum Graybull hinab, um sich ein paar Wurzeln auszugraben, die, wie er von der Mutter gelernt hatte, gut schmeckten. Aber ehe er noch recht angefangen hatte, kam ein grau aussehendes Tier aus einem Loch in der Erde heraus und fuhr zischend und knurrend auf ihn los. Wahb wußte nicht, daß es ein Dachs war, aber er sah, es war ein grimmiges Tier und ebenso groß wie er selbst. Er fühlte sich krank und lahm dazu; so humpelte er davon und macht erst halt, als er auf einem Erdwall im nächsten Cañon angekommen war. Hier sah ihn ein Coyote, setzte hinter ihm drein und bellte zugleich einem zweiten zu, er solle kommen und an dem Spaß teilnehmen. Wahb war nicht weit von einem Baum; auf den kletterte er und barg sich in den Zweigen. Die Coyoten kamen herangesprungen und bellten unter dem Baum, aber ihre Nasen sagten ihnen, daß das, was sie aufgejagt hatten, ein junger Grisly sei, und sie kamen bald zu dem Schluß, daß ein junger Grisly auf einem Baum eine Mutter Grisly in der Nähe bedeute, und daß sie besser täten, ihn in Ruhe zu lassen.

Als sie weggeschlichen waren, kam Wahb herunter und kehrte zum Fichtenfluß zurück. Am Graybull war der Lebensunterhalt leichter zu gewinnen, aber jeder schien dort gegen ihn zu sein, seit seine liebevolle Schützerin nicht mehr da war, während er am Fichtenfluß wenigstens manchmal Ruhe hatte und dort auch eine Menge Bäume standen, auf die er kriechen konnte, wenn ein Feind kam.

Die Heilung seines gebrochenen Fußes nahm lange Zeit in Anspruch, ja, er wurde nie wieder ganz gut. Die Wunde heilte endlich zu, und der Schmerz verging, aber es blieb eine Steifheit, die ihn leicht hinken ließ, und die Sohlenballen wuchsen ganz anders zusammen als die am andern Fuß. Das war ihm besonders hinderlich, wenn er auf einen Baum klettern mußte oder aus Leibeskräften vor Feinden davonrannte. Und die hörten gar nicht auf, während auch nicht einmal ein Freund seinen Pfad kreuzte. Mit seiner Mutter hatte er seinen besten und einzigen Freund verloren. Sie hätte ihn noch vieles gelehrt, was er nun durch bittere Erfahrung lernen mußte, und sie hätte ihn vor dem meisten Unheil bewahrt, das ihn in seiner Jugendzeit traf – Unheil, so mannigfach und so schrecklich, daß ihm nur seine angeborene Widerstandskraft ermöglichte, es lebendig zu überstehen.

Die Nußkiefern trugen in diesem Jahre reich, und der Wind fing an, die reifen, ausgiebigen Nüsse herunterzuschütteln. So wurde für Wahb das Dasein etwas leichter; er nahm zu an Gesundheit und Kraft, und die Geschöpfe, denen er jetzt begegnete, ließen ihn in Frieden. Aber während er sich eines Morgens nach einem Sturm an den Kiefernüssen gütlich tat, kam ein großer Schwarzbär den Hügel heruntergewandelt. »Niemand trifft im Walde einen Freund,« war ein Wort, dessen Wahrheit Wahb schon zur Genüge kennengelernt hatte. Daher schwang er sich auf den nächsten Baum. Zuerst war der Schwarze voll Angst; denn er witterte einen Grisly, als er aber sah, daß es nur ein Junges sei, faßte er Mut und kam brummend auf Wahb zu. Er konnte so gut wie der kleine Grisly klettern oder noch besser, und so hoch auch Wahb stieg, der Schwarzbär folgte; und als Wahb den kleinsten und höchsten Zweig erkletterte, der ihn tragen konnte, schüttelte ihn der große Vetter ohne Gnade und Barmherzigkeit ab, so daß er geschunden, zerschlagen und halb betäubt auf dem Boden lag. Klagend hinkte er davon, und das einzige, was den Schwarzbären abhielt, ihm zu folgen und vielleicht den Garaus zu machen, war die Furcht, die alte Grislymutter könnte in der Nähe sein. So wurde Wahb von all den guten Nußkiefern weg den Bach hinuntergetrieben.

Am Graybull gab's um diese Zeit nur magere Kost. Die Beeren waren fast sämtlich vorüber, Fische und Ameisen waren nicht zu holen, und Wahb, verwundet und einsam, wanderte in seinem Elend immer weiter, bis er weit unterhalb auf dem Wege zum Meteetsee war.

Bellend kam ein Coyote durch das Salbeigesträuch auf ihn zu. Wahb wollte davonlaufen, vermochte es aber nicht; der Coyote war schon an ihm. Da wandte sich Wahb plötzlich, vom Mut der Verzweiflung getrieben, gegen seinen Feind und fuhr auf ihn los. Erstaunt und erschreckt knurrte der Coyote ein paarmal kurz auf und floh, den Schwanz zwischen den Beinen, ins Weite. Auf diese Weise lernte Wahb, daß aus dem Kampf Frieden hervorgeht.

Die Lebensmittel waren hier aber spärlich, es gab zuviel Vieh in dieser Gegend, und Wahb machte sich auf nach einem ferngelegenen Nußkiefernwald im Meteetseetal; da erblickte er auf einmal einen Mann ganz wie der war, den er an dem Unglückstage gesehen hatte. Im selben Augenblick hörte er einen Knall, und ein paar Salbeistengel lösten sich und fielen ihm gerade auf den Rücken. Alle die entsetzlichen Gerüche und Nöte jenes Tages kamen ihm in die Erinnerung, und Wahb rannte wie noch nie zuvor.

Bald kam er in ein enges Bachbett und folgte ihm bis in den Cañon. Eine Öffnung zwischen zwei Felsklippen schien eine Zuflucht zu bieten, aber als er darauf zulief, kam gerade eine Kuh von der Viehfarm dazwischen, die ihren Kopf gegen ihn schüttelte und ein bedrohliches Schnauben hören ließ.

Er sprang beiseite auf einen langen Baumstamm, der zu einer Felsleiste emporführte; aber sofort richtete sich am oberen Ende ein wütender Wildkater aus und warnte ihn fauchend, nach hinten zu gehen. Zum langen Streit war keine Zeit, und mit dem bitteren Gefühl, daß die Welt voll von Feinden sei, wandte sich Wahb und kletterte mühsam über eine felsige Höhe in den Nußkiefernwald am Ufer des Meteetsee.

Ein wütender Wildkater warnte ihn fauchend.

Den dort hausenden Eichhörnchen schien sein Kommen sehr unerwünscht zu sein, und sie begrüßten ihn fauchend. Offenbar dachten sie an ihre Kiefernnüsse, denn sie wußten, der Bär kam, ihnen die Vorräte wegzustehlen, und sie folgten ihm häuptlings und schrillten und schrillten auf ihn mit solchem Gezeter, daß ein Feind ihm dem Geräusch nach folgen konnte, was gerade ihre Absicht war.

Es folgte ihm keiner, aber der Lärm machte Wahb unruhig und aufgeregt. So setzte er seinen Marsch fort bis zur Grenze des Baumwuchses, wo wenig Nahrung, aber auch wenig Feinde zu finden waren; und hier endlich, am Rande des Bergschaflandes, durfte er hoffen, einigermaßen in Frieden leben zu können.


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