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IV.

Wahb hatte sich, wie gesagt, nie durch eine sanfte Sinnesart, wie sie seine kleine Schwester besaß, ausgezeichnet, und die Verfolgungen durch seine zahlreichen Feinde machten ihn nur immer erbitterter. Warum konnten sie ihn in seinem Elend nicht allein lassen? Warum war jeder gegen ihn? Ach, hätte er nur seine Mutter wieder! Ach, hätte er nur den Schwarzbären, der ihn aus seinem Wald getrieben, töten können! Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er selbst einmal groß sein würde. Und die böse Katze, die ihm so übel mitgespielt, und der Mann, der ihn zu töten versucht hatte. Keinen hatte er vergessen, und er haßte sie allesamt.

Wahb fand sein neues Gebiet nicht so schlecht, weil es ein gutes Nußjahr war. Er lernte gerade das, was die Eichhörnchen von ihm befürchtet hatten: seine scharfe Nase leitete ihn zu den kleinen Vorratskammern, wo sie große Mengen Nüsse für den Winterbedarf aufgespeichert hatten. Für die Eichhörnchen war das schlimm, aber für Wahb ein Glück, denn die Nüsse waren ein köstliches Nahrungsmittel. Und als die Tage kürzer wurden und in den Nächten sich Frost einzustellen begann, war er fett und wohlgenährt.

Er wanderte jetzt durch alle Teile des Cañons hielt sich aber meist in den höheren Wäldern auf und kam nur manchmal auf der Nahrungssuche bis zum Fluß hinab. Als er eines Abends am tiefen Wasser entlangging, stieg ihm ein eigentümlicher Geruch in die Nüstern. Dieser Geruch war so angenehm, daß er ihm bis an den Rand des Wassers folgte. Der Duft schien von einem versunkenen Baumstamm auszugehen. Wie er obenhin nach diesem Stamme langte, ertönte es plötzlich: »klank«, und eine seiner Vorderpfoten war in einer starken, stählernen Biberfalle gefangen.

Wahb heulte und schnellte mit aller Kraft zurück und riß den Pfahl, der die Falle hielt, herauf. Er suchte, sie abzuschütteln, und rannte dann fort, sie durchs Gebüsch mit sich schleifend. Er riß mit den Zähnen daran, aber ruhig, kalt, stark und unbeweglich hing sie fest. Immer wieder, nach kurzen Pausen, riß er mit Zähnen und Krallen daran oder schleuderte sie auf den Boden. Er begrub sie in der Erde und kletterte dann auf einen niedrigen Baum, in der Hoffnung, sie würde zurückbleiben; aber sie hing immer noch an der Pfote und biß ihm ins Fleisch. Er schleppte sie bis in seinen Wald und setzte sich hin, um dahinterzukommen. Was es war, wußte er nicht, aber seine kleinen grünbraunen Augen starrten mit einem Gemisch von Schmerz, Schreck und Wut, während er sich über seinen neuen Feind klar zu werden versuchte.

Er lag unter dem Gebüsch und eifrig darauf erpicht, das Ding ganz totzumachen, hielt er es mit einer Pfote abwärts, während er seine Zähne am andern Ende einsetzte, und niederdrückend, als es wegschlüpfte, sprengte er die Fallenbügel auf, und der Fuß war frei. Es war natürlich der reine Zufall, daß er auf beide Federn zugleich drückte. Er verstand es nicht, aber er vergaß es auch nicht, und seine nicht sehr klaren Vorstellungen lehrten ihn: »Es gibt einen furchtbaren kleinen Feind, der sich im Wasser birgt und auf einen lauert. Er hat einen sonderbaren Mißgeruch. Er beißt einen in die Pfote und ist selbst zu hart, als daß man ihn beißen könnte. Aber wenn man ihn stark quetscht, kriegt man ihn los.«

Über eine Woche lang hatte der kleine Grisly nun wieder eine wehe Pforte; wenn er aber nicht kletterte, war's nicht gar schlimm.

Jetzt war die Zeit herangekommen, wo die Hirsche auf den Bergen rohren. Wahb hörte sie die ganze Nacht, und ein paarmal mußte er auf Bäume steigen, um den mächtigen Geweihträgern aus dem Wege zu gehen. Es war auch die Zeit, wo die Fallensteller ins Gebirge kommen und die wilden Gänse schreiend am Himmel hinziehen. Dazu gab's im Walde verschiedene neue Gerüche. Wahb ging einem von diesen nach, und er kam zu einer Stelle, wo kleine Baumstämme aufeinander geschichtet waren, und dann war da noch mit dem Geruch, der ihn hergelockt hatte, vermischt ein anderer, den er haßte von der Zeit her, als er seine Mutter verloren hatte. Er schnüffelte lange hin und her, denn die Witterung war nicht sehr stark, und er erkannte, daß dieser verhaßte Geruch einem Block vorn anhaftete, während der süße Geruch, der ihm das Maul wässerig machte, von hinten unter dem Gesträuch herkam. So ging er herum, zog das Gesträuch weg, bis er an das Ersehnte, ein Stück Fleisch, gelangte, und als er es packte, schlug der Block vorn mit lautem Geräusch nieder.

Ein paarmal mußte er auf Bäume steigen.

Wahb sprang dabei empor, kam aber mit dem Fleisch glücklich davon sowie mit ein paar neuen Vorstellungen und mit einer alten, noch stärker gewordenen: »Ist der verhaßte Geruch im Spiele, so ist jedenfalls die Sache verdächtig.«

Als es kälter wurde, ergriff Wahb eine große Schläfrigkeit, und er schlief bei Frost den ganzen Tag. Eine bestimmte Schlafstelle hatte er nicht; er kannte eine Anzahl trockener Felsbetten für sonniges Wetter und ein paar geschützte Winkel für stürmische Witterung. Ein sehr bequemes Lager hatte er hinter einer Wurzel, und als es eines Tages anfing, zu stürmen und zu schneien, kroch er hinein und rollte sich zum Schlaf zusammen. Draußen heulte der Sturm, der Schnee fiel tiefer und immer tiefer. Er umhüllte die Fichtenbäume, bis sie sich beugten, dann schüttelten sie sich frei, um aufs neue verhüllt zu werden. Der Sturm trieb Wehen über die Berge und drang bis in die trichterartigen Schluchten; die Spitzen und Kämme blies er frei von Schnee und füllte die Klammen und alle Vertiefungen bis zum Rande. Er türmte Haufen über Wahbs Nische und schüttete die Winterkälte aus und schüttete sich selbst aus, und Wahb schlief und schlief.


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