Heinrich Seidel
Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Heinrich Seidel

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Mudrach aber fuhr fort: »Auf die Art geht das nun hier natürlich nicht, aber ich hab' schon meinen Plan. Nämlich, wir müssen die Spitzbuben sozusagen in flagranti attrapieren. Driebenkiel hat nämlich einen Kuhfuss bei sich. Kuhfuss ist sozusagen ein gerichtlicher Kunstausdruck für Brecheisen. Dieser besagte Kuhfuss ist ein indicium und sozusagen ein corpus delicti, denn was hat er mit einem Kuhfuss in fremde Häuser zu gehen? Nämlich, also mit diesem Kuhfuss kann Driebenkiel nun aber barbarisch hauen, noch dazu, da er so stark ist, und wo so ein Kuhfuss auf den härtesten Dickkopf niedersaust, da ist der sozusagen zu Mus. Wir kennen nun aber ganz genau den Plan von den Spitzbuben, und da müssen wir sie arretieren in dem Augenblick, wo Driebenkiel den Kuhfuss abgelegt hat, und das ist, wenn er auf das Bett losstürzt, denn dann braucht er seine beiden Hände. Er hat ja selber gesagt, dass er den Kuhfuss dann beiseite stellen will. Und nun kommt nämlich das Feine von meinem Plan, was ich mir eben erst ausgedacht habe. Ich hab' zwar mit meinem Kollegen Püttelkow noch nicht darüber gesprochen, aber ich glaube doch, dass er es sich zur Ehre anrechnen wird, die Rolle zu spielen, die ich ihm zugedacht habe, auch wenn vielleicht, sozusagen, ein bisschen Gefahr dabei sein sollte.«

Hier wurde Püttelkow sehr aufmerksam und hellhörig, fing an pränumerando etwas stolz auszusehen und zog seine beiden Backenbärte mit seinen grossen, dicken und knochigen Händen auseinander.

Mudrach sah ihn eine Weile von oben herab prüfend an und sagte dann: »Püttelkow wird sich nämlich in Herrn Wohlands Bett legen. »Wenn dann Driebenkiel auf ihn losstürzt und ihn an der Gurgel packen will, dann wird Püttelkow ihn gefasst kriegen wie ein Schlachterhund, sozusagen, und Jochen Nehls, den nehm' ich dann auf mich.«

Püttelkow schien diesem Vorschlage nur geringen Beifall zu schenken. Er fasste mit den Fingern in seine Halsbinde, als fühle er dort schon den schrecklichen Gurgelgriff, zog die Unterlippe hoch, die Nase kraus und die Augenbrauen zusammen, kurz, er sah aus, wie ein Mensch, der gezwungen wird, einen sehr grossen Löffel voll Chinin einzunehmen. Dann bewegte er langsam seinen Kopf hin und her, dass die Glanzlichter auf seiner Glatze gar lieblich wechselten. Er schien damit andeuten zu wollen, dass die Phantasie seines Kollegen gar widerliche und verdriessliche Wege eingeschlagen habe. »Nee, o nee!« sagte er ganz kläglich, »wenn der mich erst an der Gurgel hat! Nee, o nee! Ein Kerl, der Hufeisens grad biegen kann, Das ist kein Plan nich! Nee, o nee!«

Onkel Simonis meinte ebenfalls, dass, wenn der Dienst der Gerechtigkeit auch zuweilen Opfer fordere, man doch niemand zumuten dürfe, seinen Hals zu solchen gewagten Experimenten herzugeben. Nun griff aber Herr Wohland an die Wand, wo seine frischgeladenen doppelläufigen Pistolen hingen, nebst andern Waffen und Jagdgeräten, nahm eine der Pistolen herab und sagte, indem er auf die beiden Polizisten deutete: »Wir drei ... versteckt im Zimmer. Wenn er hereinkommt; Blendlaternen auf. Ich sage: ›Steht, oder ich schiesse.‹ Festnehmen! Abgemacht! Der Kerl weiss, dass ich auf fünfundzwanzig Schritt ins Schwarze treffe.«

»Sehr schön,« sagte Mudrach, »ganz famoster Plan, sozusagen, natürellemang ganz famost, aber gut ist es nämlich doch, wenn ihn dann schon jemand fest hat.«

Er hatte indessen fortwährend seinen Blick auf die Jagdgeräte gerichtet, unter denen sich auch Hundehalsbänder befanden, und plötzlich verklärten sich seine Züge.

»Ich hab' 'ne Idee,« rief er, »eine Idee, die ist sozusagen noch famoster als famost!« Damit langte er eines jener breiten, ledernen Hundehalsbänder herab, die ringsum mit spitzen Stacheln besetzt sind, und schnallte es ohne weiteres seinem Kollegen um.

Dieser sträubte sich anfangs zwar ein wenig, liess sich aber schliesslich, hochrot und sehr widerwillig, diese That gefallen.

»Passt wie angegossen!« rief Mudrach, schob die Hand in seine Brustfalte, und indem er hochaufgerichtet mit grossartiger Handbewegung auf Püttelkow hindeutete, fügte er hinzu: »Nämlich, nun soll Driebenkiel es, sozusagen, wohl lassen, ihm an die Gurgel zu springen. Hand von der Butter! Angtreh verboten! Ja, nämlich, sozusagen!«

Man musste sagen, diese Tracht kleidete Püttelkow bei seinem Bulldoggengesicht ganz vorzüglich, und als er sich mit dieser Schutzvorrichtung im Spiegel gesehen hatte, willigte er nach einiger weiterer Überredung zögernd ein, sich in dieser von Mudrach vorgeschlagenen Weise als Köder in der Einbrecherfalle benutzen zu lassen.

In diesem Augenblicke klopfte es, und Wahmkow trat herein, nebst Mamsell Kallmorgen, die eine brennende Lampe brachte, denn es dämmerte schon stark. Als sie sich wieder entfernt hatte, stattete Wahmkow Bericht ab. Er hatte Stina in ihr Dorf hinübergerudert, und alles war nach Wunsch gegangen. Driebenkiel hatte ihr richtig aufgelauert, und Stina hatte ihre Sache ausgezeichnet gemacht. Wahmkow hatte beobachtet, dass sich Driebenkiel nachher heimlich die Hände gerieben hatte. Er war offenbar mit dem vermeintlichen Tode des Hundes sehr zufrieden und betrachtete diesen Zufall als eine besondere Gunst des Glücks. Dann war Wahmkow wieder abgefahren in der Richtung nach seinem heimatlichen Dorfe zu, hatte aber hinter dem nächsten Landvorsprung seinen Kurs geändert und war nach dem Uhlenberg wieder zurückgekehrt, um Bericht abzustatten.

»Watmaken winu äwer mit den Hund?« fragte Wahmkow.

»Wieso?« fragte Herr Wohland.

»Dei Hund makt doch Lärm!« sagte Wahmkow. »Wenn hei 's abens nich vonne Kär' kümmt, as hei dat gewennt is, denn hult hei in einsen weg. Un wenn dei Kierls kamen, denn fangt hei an tau wuffen, wenn sei noch up't Water sünd. Un hei sall doch 'n dorigen Hund sin. Meinen Sei, dat Driebenkiel denn nich Müs' markt? Ick will Sei wat seggen, Herr Wohland, ick nehm' den Hund mit. Hei geiht jo giern mit mi, hei is jo ok all mal mit mi wäst, as dei Herr mi na den Bornaschen Hof schickt hett, in 'n verladen Austmand. Dat best is, ick führ glicks mit em af.«

Wahmkows weiser Gedanke fand grossen Beifall, denn merkwürdigerweise hatte niemand, auch der grosse Kriminalmann Mudrach nicht, daran gedacht, dass der Hund, wenn er auf der Insel blieb, natürlich alles verraten würde.

Als nun Wahmkow mit ihm abgefahren war, geschah etwas, was ich schon den ganzen Tag gefürchtet hatte, denn Onkel Philipp sagte zu mir: »So, mein Sohn, ich bleibe hier, bleibe selbstverständlich hier, aber du machst dich sofort auf und fährst mit Hinrich nach Hause, ehe es ganz Nacht wird. Du bist hier ganz überflüssig und nur im Wege, und die Eltern ängstigen sich sonst um dich. Deine Mutter ängstigt sich jetzt schon, das weiss ich, weiss ich ganz bestimmt. Also Adieu gesagt und dann munter vorwärts.«

Ich wusste, wenn Onkel Philipp so sprach, da gab es keine Widerrede, und mit tiefer Trauer im Herzen verabschiedete ich mich. Herr Wohland drückte mir kräftig die Hand.

»Tapfrer Junge«, sagte er, »nie vergessen.«

Ich ging auch zu Mamsell Kallmorgen, um ihr Adieu zu sagen, und sie liess es sich nicht nehmen, mir noch ein ungeheures Butterbrod mit Schinken als Reisevorrat mitzugeben: »Und denn adjö, mein süssen Jung«, sagte sie, wobei ich nur froh war, dass isern Hinrich es nicht hörte, dass sie süsser Junge zu mir sagte, »un komm gut nach Hause! Weisst du, was du von uns büst, von Herrn Wohland un mich? Ein Retter, ein Retter, von Gott gesandt, as ins Gesangbuch steht. Igittegittegitt, wenn ich an den gräsigen Driebenkiel denk' und an sein Mundzustopfent denn steht mich ümmer noch vor Angst das Herz still. Aber nu is Herr Mudrach ja da, szuden hab' ich solches Szuvertrauent, das ist ein grossartigen Mann un hat so furchtbar viel Kurakter, der wird die infamtigen Kerls schon Moritzen lernen. Un denn, mein süssen Jung, grüss auch dein lieb Mudding von mich. Ich kenn ihr ganz gut, sie war ümmer so sanft un so solide un so furchbar gemütvoll. Un denn macht mich kein dumm Zeug aufs Wasser und wiwagt nich ümmer so mit die Boot. Gott nee, ich weiss nich, wie einen überhaupt so was Spass machen kann; mich stehen die Haare zu Berg, wenn das Wiwagen losgeht. Aber in so'n Jung, wenn es auch solchen netten, süssen Jung is, as du einen büst, mein Reinharding – ein Stück Deubel sticht da doch ümmer ein. Na adjö, adjö, un grüss auch ja dein lieb Mudding!« Und damit beugte sie sich nieder und gab mir einen so ungeheuren Kuss, dass sparsame Leute daraus ein Dutzend gemacht haben würden.

Ich wischte noch an diesem Abschiedsgeschenk, als ich bei isern Hinrich ankam, der auf dem Stege sass und mit grosser Begeisterung durch die Zähne pfiff. Er hatte diese Sorte von musikalischer Begabung erst heute bei dem langen Warten, zu dem er mehrfach gezwungen war, bei sich entdeckt und pflegte diese ungewohnte Kunst mit einer Art von berauschter Hingebung, indem er bestrebt war, seinen ganzen Melodienschatz auf diese neue Art von sich zu geben. Er war gerade dabei, das schöne Lied zu pfeifen von dem Bauern, der immer so sauer aussah.

»Uns Buer, uns Buer!
Worum süht hei so suer ut, so suer ut,
Uns Buer?
So süht er von Natuer ut, Natuer ut,
Uns Buer!
Dei beste Melk, dei beste Melk,
Uns Buer!

Un kiek, nu argert sick dei Mann,
Das hei nich Bodder melken kann.
Dorüm süht hei so suer ut, so suer ut,
Uns Buer!«

Er liess sich gar nicht stören und pfiff erst sein Lied zu Ende. Dann sagte er: »Dörch dei Tähnen. Heww'k hüt ierst liehrt. Geht fein.«

Und dann fing er gleich wieder ein andres Lied an:

»Wenn dei Hund mit de Wust ut'n Steinduhr löppt
Un dor den hungrigen Leutnant dröppt,
Denn is dei Leutnant ok nich ful
Un ritt den Hund dei Wust ut't Mul!«

Er hätte mir noch weit mehr Musikalisches zum Besten gegeben, allein ich unterbrach ihn mit der Nachricht, dass wir nach Hause fahren sollten, was ihn sehr überraschte und ihm nicht recht war, denn er hatte ebenso wie ich gehofft, bei dem grossen Ereignis heute abend zugegen sein zu dürfen.

Hinrich hatte einen guten Gedanken. »Ick will di wat seggen«, meinte er, »wi nehmen jug oll Jöll tau 't Na-Hus-führen und leggen dissen Kahn hier achter dei annern, dei hier liggen. Wenn dat denn ok all düster is, den Albatros kenn'n dei beiden Spitzbauben tau gaud, un wenn s' dei oll Jöll tau seihn kriegen dauhn dehren, denn keem ehr dat am En'n nich richtig vör.«

Dieser Gedanke leuchtete mir ein, und nachdem wir nach isern Hinrichs Vorschlag gehandelt hatten, fuhren wir ab. Ich hatte unterwegs natürlich genug zu erzählen, und da isern Hinrich auch dabei nicht seine neuerwachte Kunstbegeisterung zu dämpfen vermochte, so bekam unsre Unterhaltung einen ganz melodramatischen Anstrich, denn wenn ich von Mudrachs Augen schwärmte, wo er so furchtbar mit kucken konnte, da pfiff isern Hinrich sehr lieblich durch die Zähne: »Du hast ja die schönsten Augen«, ein Lied, das damals gerade in Begleitung der Drehorgel auch in die abgelegensten Winkel gedrungen war. Und als ich von Stinas Rolle in diesem Drama erzählte und von dem Tanzvergnügen, dem sie am. Sonntag beiwohnen wollte, da tönte es gar fein zwischen seinen Zähnen:

»Hans kiek ut 'e Luk, is 'e Luft ok rein,
Morgen woll'n wir lustig sein!«

Und als ich von dem grossartigen Plan mit dem Stachelhalsband erzählte, den Mudrach sich ersonnen hatte, um Driebenkiel sicher zu fangen, da pfiff er wieder in beziehungsvoller Anspielung auf den durchlöcherten Plan der beiden Spitzbuben:

»Und wenn dei Pott 'n Lock hett,
Min leiwer Heinerich, min leiwer Heinerich!«

So merkten wir denn kaum bei dieser sinnreichen Unterhaltung, wie lang der Weg nach Hause war.

Ich wurde schon ängstlich erwartet, und da Adolfs Eltern mit ihm bei den meinigen zu Besuch waren, so musste ich natürlich wieder ausführlich von dem Fortgang dieses Abenteuers berichten. Nach dem Abendessen aber, das sich etwas in die Länge gezogen hatte, als die Väter mit ihren beiden Frauen beim Whist sassen, da schlichen wir uns heimlich hinaus in den Garten, denn wir wollten wenigstens das von diesem entscheidenden Abend haben, Jochen Nehls abfahren zu sehen. Wir kletterten zu meinem Hochsitz in der Linde empor, wo man die Seebucht zum grossen Teil übersehen konnte, und starrten hinaus in die schweigende Nacht. Es war ganz still; nur vom Dorfe aus hörte man zuweilen Stimmen und Hundegebell. Die Seebucht lag vor uns, fast ganz schwarz von den Schatten der Uferbäume; nur in der Mitte spiegelte sich der sternklare Himmel in einem helleren Streifen wider.

Diesen Streifen musste Jochen Nehls irgendwo passieren, wenn er den Ort seiner Bestimmung erreichen wollte. Aber alles blieb still, nur zuweilen sprang plätschernd ein Fisch, oder aus dem Uferrohr kam ein leichtes Geraschel und ein traumhaftes Gezwitscher schlafender Vögel. Endlich schlug die Uhr am Giebel des Herrenhauses mit gellendem Tone zehn. Sie ging allerdings wie die Uhren auf dem Lande, besonders zur Erntezeit, immer viel zu früh.

Es blieb immer noch still, und nichts rührte sich, nur bemerkten wir, dass in dem Katen, wo Jochen Nehls wohnte, ein kleines erleuchtetes Fenster plötzlich dunkel wurde. Wir horchten und lauschten wohl fünf Minuten lang angestrengt. Einmal war es uns, als hörten wir den dumpfen Ton schwerer Stiefeln auf einem Kahnboden und dann wieder von Zeit zu Zeit ein leises Plätschern. Wenn Jochen Nehls schon unterwegs war, so musste er sein Ruder mit Lappen umwickelt haben, sonst hätte man bei der grossen Stille das Rucksen in den Dollen deutlich hören müssen.

»Da, da!« flüsterte Adolf Martens plötzlich, indem er krampfhaft meinen Arm presste und mit der anderen Hand auf den See zeigte.

An einer Stelle, wo der hellere Teil der Bucht besonders schmal war, glitt ein niederer schwarzer Streifen dahin, in der Mitte mit einer dunkeln Erhöhung, die sich taktmässig hin und her bewegte. Wir hörten nichts als zuweilen ein leises Plätschern von tropfendem Wasser, und bald war die Erscheinung wieder im schwarzen Schatten der Bäume verschwunden. Wir hatten die Empfindung, als kröche ein seltsam unheimliches Tier in aller Stille auf Raub aus.

Wir lauschten noch eine Weile und stiegen dann von unsrer Warte wieder herab. Den Eltern aber, die behaglich an ihrem Whisttische sassen, verkündeten wir mit grosser Aufregung: »Es geht los, wir haben Jochen Nehls eben abfahren sehen!«

*

Wir konnten am anderen Morgen kaum erwarten, dass Onkel Philipp zurückkehrte, und standen stundenlang auf dem Stege, um nach ihm auszuschauen. Nach der Kirche eilten wir gleich wieder nach diesem Orte, allein noch immer wollte sich nichts zeigen. Endlich gegen zwölf Uhr sahen wir seinen Kahn an der fernen, vorspringenden Rohrecke, und wir sprangen sofort in unsre Jolle, um ihm entgegenzufahren. Wahmkow ruderte den Kahn, und als wir ihn erreicht hatten, hingen wir unser Fahrzeug hinten an und stiegen zu dem Onkel hinein.

Er sah mit Lächeln, wie wir neugierig auf ihn hinstarrten und die Begier nach neuer Zeitung aus unsern Augen sprach.

»Wär' ich nun der selige Joachim Heinrich Campe«, sagte er, »so würdet ihr jetzt gar nichts andres zu hören bekommen, als einen prachtvoll lehrreichen Vortrag über den Wert der Tugend und den bildenden Einfluss kraftvoll bezähmter Neugier, ja, das würdet ihr. Da ich aber der selige Joachim Heinrich Campe nicht bin, so will ich euch nur gleich sagen, dass wir die Kerls haben. Intus auf Numero Sicher. Wie das zuging, fragt ihr wohl? Programmmässig, durchaus programmmässig. Nur dass ich mir auch noch eine von den doppelläufigen Pistolen ausbat. Herr Wohland auf der einen Seite des Bettes hinter einem Schrank, ich auf der anderen Seite hinter einem Vorhang versteckt, Püttelkow drin als Lockspeise mit dem Hundehalsband und Mudrach in meiner Nähe hinter der geöffneten Thür. Herr Wohland und ich hatten ausser den Pistolen die beiden wohlverschlossenen Blendlaternen. Da wir uns schon früh bereit stellten, so war das Warten im Dunkeln sehr langweilig, ganz unbeschreiblich langweilig, da wir uns natürlich nicht unterhalten durften. Die Zeit schlich und schlich und kam nicht aus der Stelle, eine Schnecke war ein Schnellläufer dagegen.

»Endlich schlug es elf auf Herrn Wohland seiner grossen Wanduhr. In der grossen Stille hörte man eine Menge Geräusche. Bald war es wie ein leises Knirschen auf dem Kies, bald knackte es hier, bald raschelte es da, und allmählich wurde mir sehr unheimlich zu Mut, grauenhaft unheimlich. Ich kam mir vor wie ein Jäger, der in den indischen Dschungeln im Dunkeln auf einen Tiger lauert, der unhörbar heranschleicht. Ich fing an, Gestalten zu sehen und Geräusche zu hören, die gar nicht da waren. So verging scheinbar eine unendliche Zeit, da hörte ich plötzlich ein deutliches Geräusch, einen knirschenden Ton wie von Eisen, das sich an Mauerwerk reibt. Es war wie eine Erlösung, ja wahrhaftig, wie eine Erlösung, denn offenbar, nun ging es los. Trotzdem hämmerte mein Herz furchtbar, so dass ich es hören konnte, und zugleich durchfuhr mich ein jäher Schreck, denn es tastete etwas an meinem Arm, und eine eiskalte Hand drückte die meine. Gott sei Dank, es war nur Mudrach. ›Aufgepasst!‹ flüsterte er. Dann kam wieder ein Geräusch wie ein sanftes, singendes Knarren einer Thür, die ganz langsam und vorsichtig geöffnet wird, und dann plötzlich wieder Totenstille. Nach einer Weile fuhr ich plötzlich zusammen, denn im Nebenzimmer knarrte eine Diele, und dann gab es einen leichten Ruck, als wenn jemand gegen einen Stuhl stösst. Wieder eine Weile Totenstille, und nur das Sieden des Blutes war in meinem Ohr. Dann huschte der feine Lichtstrahl einer nur wenig geöffneten Blendlaterne über den Fussboden und blieb auf Herrn Wohlands Bett haften. Es war nur ein Moment, aber ich konnte deutlich Püttelkows rotes Gesicht erkennen und sah, dass er, um seine verdächtige, blanke Glatze zu verhüllen, einen Zipfel des Kopfkissens darüber gezogen hatte. Was natürlich sehr vorsichtig und schlau von ihm war ausserordentlich schlau, denn Herr Wohland hat noch sein volles Haar, und bei Tage würde selbst ein Wombat diese beiden Männer nicht miteinander verwechseln, Ein Wombat, sage ich, denn dieser ist das dümmste Tier, das es auf der Erde giebt. Ein Esel ist ein Schlaukopf dagegen.

»Dieser Lichtblitz aber dauerte nur einen Moment, und es war wieder dunkel. Gleich darauf aber vernahm ich etwas wie einen tigerhaften Sprung und ein Tappen hinterher und gleich darauf den Ausruf Driebenkiels: ›Au, verflucht!‹ Er mochte wohl in unliebsame Berührung mit dem Hundehalsband gekommen sein. Doch sofort hinterher fing Püttelkow furchtbar an zu brüllen mit einer Kraft und Stärke, die ich dem kleinen Kerl gar nicht zugetraut hätte: ›Ich hab' ihm, ich hab' ihm! Hilfee! Hilfee!‹ Und so brüllte er unausgesetzt, und es klang so angstvoll und schrecklich, als wenn Driebenkiel »ihm« hätte. Dies alles ging aber viel schneller, als man erzählen kann, denn in demselben Augenblicke hatte auch schon Herr Wohland die Blendlaterne aufgerissen und rief: ›Steh' Hund, oder ich schiesse!‹, und ich hatte ebenfalls meine Blendlaterne aufgerissen und rief auch: ›Steh' Hund, oder ich schiesse!‹ Und gleichzeitig hatte Mudrach die Thür zugeschlagen und verriegelt und seine Augen aufgerissen und ging mit seinem allerfurchtbarsten Blick auf den Einbrecher zu und sagte: ›Driebenkiel, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!‹

»Dieser aber konnte ihn garnicht sehen, denn Püttelkow hatte ihn mit den Armen wie mit eisernen Klammern umfasst, und da Driebenkiel mit der Schulter gegen das stachelspitzige Halsband gedrängt wurde, so schrie auch dieser mordsmässig und das ganze Bett war ein Gemisch von zappelnden Beinen und Gebrüll. Um Jochen Nehls aber bekümmerte sich niemand, und es war auch nicht nötig, denn er war vor Schreck ganz erstarrt, und nur seine Kniee zitterten beträchtlich. Sein Gesicht sah erdgrau aus bis auf die Nase, die ihr mit so viel Ausdauer erworbenes schönes Blaurot auch in diesem Augenblick nicht verleugnete. Da nun Mudrach die fascinierende Gewalt seines Blickes nur an Driebenkiels Hinterseite ausüben konnte und diese naturgemäss dafür unempfänglich war, so fasste er sich schnell und ging an seine Arbeit, und es gelang ihm auch mit Hilfe seines Kollegen, Driebenkiel zu fesseln, was dieser sich auch mit einem Ausdruck der Missachtung von Gesetz und Recht und der noch grösseren Verachtung ihrer Diener gefallen liess. Musste er sich auch wohl gefallen lassen, musste er wohl, denn der Ueberredungskraft zweier auf ihn gerichteter Doppelpistolen konnte auch sein gestähltes Herz nicht widerstehen. Bei Jochen Nehls machte die Sache gar keine Mühe. Er liess sich ruhig die Handschellen anlegen und sagte nur zu seinem Gefährten:

›Dei Lerre, dei Lerre! Ick heww dat hüt gliek seggt; dat dei Lerre wedder dor wir, dat geföll mi nich.‹

Unterdes nun hatte Mudrach sich hoch aufgerichtet und liess die ganze Kraft seiner Augen gegen den gefesselten Driebenkiel spielen. Dieser aber, dessen gestählte Verbrecherseele für solches Geschütz unempfänglich war, sprach schändliche Worte :

›Wat rittst din Kalwsogen up? Dor mak oll Wiwer mit grugen. Wiren dei Herren nich wäst mit dat Scheittüg, denn wir ick mit jug beiden Grashüppers woll noch farig worden, dor harr mi Jochen Nehls, dei olle Nusch, gar nich bi tau helpen brukt. Gah hen un jag Sparlings ut 'e Arften mit din Glupogen – dor sünd s' gaud naug tau.‹

»Mudrach wandte sich mit erhabener Gebärde verachtungsvoll ab, und die beiden gefesselten Einbrecher wurden nun in einen festen Keller mit eisenbeschlagener Thür gebracht, wo sie es sich auf einer Schütte Stroh für die Nacht bequem machen konnten.

»Herr Wohland mochte aber wohl denken, dass nach solchen aufregenden Thaten für uns alle eine Herzstärkung erwünscht sein möchte, und ging mit seiner Laterne, als wir von dem Keller zurückkamen, aus der Hausthür über den Hof zum Nebengebäude. Ich blieb in der Hausthür stehen. Er fasste an die Klinke, die Thür war verschlossen. Als er kräftig klopfte, blieb alles still. Er schlug mit der Faust drei kräftige Schläge gegen die Thürfüllung und nun regte sich endlich etwas. Mamsell Kallmorgen musste wohl denken, als nach Püttelkows grausigem Geschrei endlich Ruhe eingetreten war, die schrecklichen Räuber hätten uns besiegt, und es käme nun an sie die Reihe. Mit unendlich kläglicher und jammervoller Stimme wimmerte sie hinter der geschlossenen Thür: ›Ach lieber Herr Driebenkiel, haben Sie doch Erbarment! Ich hab' Sie ja nie nich was gethan. Un was hab' ich Sie ümmer für schönes Essent gekocht!‹'

»Herr Wohland wurde ungeduldig und schlug noch einmal heftig gegen die Thür: ›Unsinn, Aufmachen! Ich bin es!‹ rief er. Die alte Mamsell war aber so perplex, dass sie seine Stimme nicht erkannte. Sie that einen grossen Jammerschrei und wimmerte weiter.

»Ich will Sie ja allens geben, allens, was Sie haben wollen. Ich will Sie allens hier durch das Katzenloch 'rausschieben, den Strumpf mit mein bischen Geld un meine sechs sülvernen Esslöffels un meine sechs sülvernen Theelöffels un meine sülverne Zuckerdos' un mein'n sülvernen Rohmguss. Un meine Bernsteinkrallen un meine golne Brosch' un mein'n golnen Ring mit das Vergissmeinnicht un mein'n sülvernen Fingerhut. Ach, haben Sie doch man bloss Erbarment!'

»Na, Herr Wohland wurde nun ganz ärgerlich und fing an zu schelten, und da erkannte sie endlich seine Stimme und schloss auf, und als sie hörte, dass die Spitzbuben gebunden im Keller lägen, da fiel eine grosse Last von ihr ab, und ich glaube, wenn sie nicht ausserdem noch drei Zentner schwer gewesen wäre, sie hätte gehüpft und gesprungen. Und dann machte sie nach Herrn Wohlands Anleitung einen prachtvollen Punsch von altem Burgunder und uraltem Jamaikarum, sanft wie Öl und feurig wie die Hölle. Ich sage euch, die beiden Polizisten haben davon gesogen wie die Blutegel, denn so ein liebliches Gretränk war ihnen wohl noch nicht vorgekommen, und als um zwei Uhr die Bowle leer war und sie abzogen, ihre Gefangenen zu bewachen, da redeten sie mit fremden Zungen. Sie setzten sich auf zwei Stühle an beiden Seiten der Kellerthür und wachten so kräftig, dass man ihr Schnarchen durch das ganze Haus hören konnte. So sagte mir heute morgen Herr Wohland, der die ganze Nacht nicht zu Bette gewesen ist und das eigentliche Wachen besorgt hat. Heute morgen sind sie denn mit den beiden Gefangenen abgezogen, Herr Wohland hat sie selbst hinübergerudert nach dem nächsten Dorf, und dort haben sie einen Wagen genommen. Jetzt sitzen die beiden Schufte wohl schon sicher hinter eisernen Gardinen, wo sie hingehören.«

So erzählte Onkel Philipp, und wir vernahmen mit Behagen den glücklichen Verlauf dieses Abenteuers. Für uns hatte es noch angenehme Folgen, denn wir waren natürlich für lange Zeit die Helden des Tages. Wir kamen sogar in die Zeitung, und Lorbeer flocht sich um unsre Stirn. Wir aber freuten uns, in die Lage gekommen zu sein, Herrn Wohland, der uns damals aus dem Wasser gezogen hatte, diese That zu vergelten und ihn vor verdriesslichen Schicksalen und empfindlichen Verlusten zu bewahren. Dieser aber schien, als er die Bilanz unsers gegenseitigen Sollens und Habens zog, noch ein Saldo zu unsern Gunsten entdeckt zu haben, denn nach vier Wochen kam aus Hamburg ein wundervolles Segelboot für uns an, dessen Geber sich nicht nannte. Es hiess auch Albatros, verdiente aber seinen Namen mit mehr Recht als sein Vorgänger, denn es flog vor dem Winde daher wie ein Sturmvogel. Als wir zum erstenmal bei einer frischen Brise damit den Uhlenberg umsegelten, geschah etwas, was wir noch nie erlebt hatten. An der Fahnenstange des Schlösschens, die über die höchsten Wipfel emporragte, stieg die Seeflagge unsers Landes empor und salutierte uns dreimal. Zugleich donnerten drei Kanonenschläge über den See hinaus und verhallten allmählich in fernen und ferneren Buchten.


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