Heinrich Seidel
Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Heinrich Seidel

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II.

Wer sich am meisten für unsre Erlebnisse auf der Insel Uhlenberg interessierte, war »isern Hinrich«, unser Gespiele aus dem Dorfe, der, wenn es seine Zeit zuliess, in unserm Bunde der dritte zu sein pflegte. Da er ein Sohn des Krügers Trilk war, wo Driebenkiel seine Einkäufe gemacht hatte, so waren ihm unsre Abenteuer schon bekannt, allerdings nur in jener Form, die sie in Driebenkiels von Wohlwollen nicht beeinflussten Darstellung angenommen hatten. Mit dem Massstabe von Driebenkiels Entrüstung gemessen, mussten wir ganz ungewöhnlich heldenhafte Thaten vollbracht haben, und da isern Hinrich für das Heldenhafte schwärmte und schon Wilddiebe für Heroen, Strassenräuber aber gar für Halbgötter erachtete, so brannte er darauf, Näheres zu erfahren, zumal auch auf ihn die Geheimnisse des Uhlenberges eine dämonische Anziehungskraft ausübten. Er traf uns, als wir nachdenklich unsern schwer erkrankten Albatros betrachteten, der sich über Nacht so voll Wasser gesogen hatte, dass er nur noch mit den Bordrändern aus dem See hervorschaute. Er ging feierlich auf uns zu, indem er uns nach alt geheiligtem Brauch den rechten Arm steif entgegenstreckte. Wir nahten uns ihm ebenso feierlich und versetzten ihm nacheinander mit spitzem Knöchel der verwendeten Faust einen kräftigen Schlag auf den gespannten Muskel des Oberarmes. Er stiess einen geringschätzigen Kehlton aus: »Fäuhl' ick gor nich!« sagte er dann.

Isern Hinrich führte seinen Namen nicht umsonst, und Mucius Scaevola wäre sein verehrtes Vorbild gewesen, wenn er überhaupt jemals was von ihm gehört hätte. Heldenhafte Verachtung körperlicher Schmerzen erschien ihm als eine der erhabensten Eigenschaften des Heroen, ja er ging so weit, zu behaupten, für solche Gefühle bis zu einem gewissen Grade unempfindlich zu sein. Diese Einbildung hat, wie ich glaube, zur Stärkung seines Charakters beigetragen, sonst aber die Folge gehabt, dass er jahrelang eine Existenz ohne blaue Flecke und Schmerzen im Oberarm nicht kannte. Aber was machte das alles, wenn man sich den ehrenvollen Namen »eiserner Heinrich« damit verdiente.

»Na, Driebenkiel hett schön upjug schimpt!« sagte er, scheinbar nicht ganz frei von Neid. »Wat hewwt ji nu man eigentlich blot makt?«

»Ja,« antwortete Adolf, »as wi von 't Krewtgriepen na Hus wullen, dor keem 'n Weder up, un dor sünd wi kentert, un ' donn hebben Herr Wohland un Driebenkiel uns wedder rut treckt, un nahst hebben wi Herrn Wohland all sin Papegeis sehn, un dei ein kann snacken as 'n Minsch.«

»Un labennige Pfauen un Fasans hett hei ok,« sagte ich, »un allerhand anner Vogels, dei 't gor nich gift, dei sünd äwer utstoppt.«

»Un nahst,« fuhr Adolf fort, »hebben wi lütt braden Hahns tau äten kregen und Pannkauken mit Schalee in.«

»Un suren Aal und lütt Fisch in Öl,« sagte ich, der historischen Genauigkeit wegen. Dass wir ins Bett gesteckt worden waren, verschwiegen wir beide als unsrer Ehre zuwider.

»Na, un donn?« fragte isern Hinrich offenbar unbefriedigt.

»Ja, un donn,« sagte Adolf, »donn hebben wi sin utlandschen Eier un Muschels un Stein un Smetterlings beseihn, und donn hett uns Driebenkiel wedder na Hus führt.«

»Mihr nich?« fragte isern Hinrich sehr enttäuscht, »wat hewwt ji denn dahn, dat Driebenkiel so inne Wut up jug wir? As ick em den sösten groten Rum tau n' Schilling bröcht harr, dor wir hei all so wiet, dat hei sick verswören dehr, wenn hei jug noch eins up t' Water tau faten kriegen dauhn dehr, denn wull hei jug versöpen as junge Rotten. Un denn keem Jochen Nehls. Dei harr sik all'n poor Mal an t' Finster vörbischaben un harr sick nich 'rintrugt, wil dat hei woll wedder kein Geld nich hebben dauhn dehr un Vadder doch nich mihr för em anschrieben will. Dor kreeg Driebenkiel em tau seihn un röp em rin un würr em nu frie hollen und sär: ›Jochen Nehls is min Fründ, dat 's dei einzigste Kierl in 't ganze Dörp, dei sick den Wind hett ümme Näs' weihn laten, dei annern sünd all olle Nuschen un nich achtern Aben rutkamen.‹ Un as sei denn beir noch so 'n poor grote Rums achter harren, dor kreeg Driebenkiel dat Singent, un Jochen Nehls musst em helpen. Un gröhlten so gruglich und flögen dorbi uppern Disch und makten so 'n Spitakel, dat Vadder sei giern 'rutsett' harr, man blot hei wagt sick nich an Driebenkiel 'rau, denn dei hett 'ne furchtbare Kraasch un kann Haufisens mitte Hänn' grar bögen. Tauletzt würr Driebenkiel äwer doch na dei Klock kieken un verfihrte siek un sär, hei müss na Hus, un köff sick noch 'ne Pottbuddel vull Akkewiet un tummel denn na 'n See dal un bölkte dortau lurhals dat Leid von den Arbeitsmann, dat dat ganze Dörp rebelisch würr un alle Hunn' an tau blaffen füngen.

»Jochen Nehls harr sick äwer tauletzt noch acht Schilling von em leihnt, un dei müss hei jo natürlich ierst versupen. Un wil hei nu werre ganz manierlich wir un jo ok Geld harr, so wull dei Oll em dei acht Schilling lang ruhig sitten laten un sär blot tau mi, dat ik em, wenn dei all wiren, keinen Snaps nich mihr gäben süll, un güng rut na'n Acker. Na, dit pass mi jo, dat ik mit Jochen Nehls allein wir, un ik kreeg em nu för, hei süll mi mal 'n beten von Herrn Wohland verteilen. Na, hei wull jo ierst nich, tauletzt äwer sär hei, wenn ik em 'n Enn' von den mojen Prim afsnieden wull, denn' min Oll in 't Schapp hebben dauhn dehr, denn künn 't woll sin, dat hei mi wat vertellen dehr. Na, dat dehr ick jo nu ok, un donn hett Jochen Nehls sin Gorn spennt, dat sär man so stah. Un dat kann 'k jug man seggen, ji hewwt up 'n Uhlenbarg gor nix seihn, dor weit ick beter mit Bescheid.« Damit streckte er uns gewohnheitsmässig seinen rechten Arm entgegen, wir gaben ihm feierlich und sachgemäss eins drauf, und er zuckte verächtlich die Achsel: »Fäuhl' ick gor nich!«

»Wenn du dat Robinsonshus meinst, wat dor sin sall,« sagte ich, »dat hebben wi nich seihn.«

»Robinsonshus!« wiederholte isern Hinrich mit unbeschreiblicher, fast erhabener Verachtung. »Weit 't ji denn nich, dat Herr Wohland Seeröwer wäst is? As Jochen Nehls noch Matros' wir un up dei Bianka dörch den Magelhanschen Sund na Panama seilen dehr, dor is up dat Schipp ein Matros' wäst, so 'n griesen ollen Kierl mit 'ne breire Noar äwern Dätz, as harren sei em mal eins den ganzen Kopp vonein klöwt. As sei nu in Valparaiso Haben binnen kernen un tosamen an Land gahn wiren, un dei oll Matros' dat söste Glas Krock tau Bost harr, dor is hei updäut un hett em vertellt, dat hei früher bi den groten Seeröwer Wohland, binennt ›Der Schrecken der Südsee‹, an Burd von den ›Dod un Düwel‹ wäst is. Dat Schipp is 'n Snellsegler wäst, ganz gnäterswart anmalt un mit Dod un Düwel anne Galjon un up dei swarte Flagg 'n witten Dodenkopp mit twei gekrüzte Knakens. Un kein Parduhn hett Herr Wohland nich gäben, denn blot dei Doden seggen nix na, un dei nich bi't Entern all dot makt sünd, dei hebben nahst anne Raa bammeln möst. Un dei Kaptainsköpp hett hei all afsnieden un insolten und rökern laten un hett sick dor 'ne Sammlung von anleggt. Un dat hett hei sick sett', wenn hei hunnert Kaptainsköpp tausamen hebben dauhn dehr, denn wull hei sin Geschäft upgäben un sin Geld läben. Dor is nu äwer up dat letzte Schipp, dat hei utröwert hett, 'ne wunnerschöne Gräwin wäst, dei hett hei gruglich giern lieden mücht un hett ehr nich dot maken laten un hett ehr friegen wullt. Sei äwer hett dat Seeröwergeschäft kein'n Spass makt un hett em blot nehmen wullt, wenn hei gliek mit ehr an Land treken un Gautsbesitter warden wull, so as Gräwinnen dat gewennt sünd. Dat is em jo un suer ankamen, wil dat hei ierst nägenunnägentig Kaptainsköpp tausamen harr un em blot noch einen an dat Hunnert fehlen dauhn dehr. Aewer sei hett seggt, sei wull leiwer tau Water an gähn, als noch einen Ogenblick länger as nörich up dat Schipp vull bläudige Mürers blieben, un wenn Herr Wohland ok seggt hett, sei süll sick doch man blot nich so hebben, sei is dor doch bi blähen. Ja, dor hett Herr Wohland denn dacht: ›Nägenunägentig is ok 'ne gaude Tall, un up den einen lumpigen Kopp sall mi dat ok nich ankamen, un is mit sin Schipp an Land gahn un hett sin Mannschaft af lohnt, un dor sünd allein up den ollen Matrosen sin Deil eindusendsöbenhunnertuneiunsösstig spansche Dubluns kamen, wo ein von teihn Daler gellt. Dor kann 'n sick denken, wat dei Kapitain sülfst för 'n gruglichen Hümpel Geld för sick rappst hett. Dat Schipp hett hei dei Mannschaft laten, un dei ierste Stüermann hett mit dei annern dat Geschäft wire bidräben. Dei oll Matros' hett äwer naug von hatt und hett dacht, so 'n Barg Geld künn hei sin Läwlang nich lütt kriegen. Aewer in twei Johr hett hei all allens werre verswubst hatt un hett werre as Matros' führen müsst. Herr Wohland äwer hett sick 'ne Insel inne Atlantsche See köfft un sin Gräwin friegt un dor ganz moi mit ehr läwt. Un tauletzt sünd sei mit ehr Dochter hierher treckt, dat weit't ji jo. Aewer wat ji nich weit't, un wat ji nich tau seihn krägen hewwt, un wat dat feinst up den ganzen Uhlenbarg is, dat is dei grote unnerirsche Saal, wo'n ierst säben iserbeslagene Dören upsluten möt, wenn 'n dor rin will. Dei steht ganz vull isern Kisten mit Dubluns un spansche Dalers und gollen Bäkers und gollen Schalen as 'n Waschfatt grot. Un dor is ok dei Galjon von den ›Dod un Düwel‹ un dei Flagg mit den Dodenkopp, un an de Wänn' dor hängt dat ganz vull Säbels un Enterhakens un Metzers un Handspaken, all noch vull Blaud, un Muskedonners un Duwwelpistols und Dunnerbüssen un anner Scheittüg. Un baben löppt 'n Burt ganz 'rüm, dor stahn all dei nägenunägentig rökerten Kaptainsköpp, weck mit swarte, weck mit brune, weck mit rode, weck mit gäle un ok weck mit witte Hoor. Trofäen seggen dei Seeröwers dortau up spansch.«

Wir brachen zu isern Hinrichs grenzenlosem Erstaunen in ein gewaltiges Gelächter aus, was ihn sofort in heftigen Zorn versetzte.

»Wat lacht ji? Dummheit lacht! Ji hewwt woll lang kein bläudig Snut hatt?« rief er und machte sich fertig zum Angriff. Da aber der Ausdruck unsrer Heiterkeit trotzdem kein Ende fand und wir unbeirrt weiterlachten, so lähmte dies schliesslich seine Thatkraft, und er stand da mit geballten Fäusten und gegen die Brust gekrümmten Armen »wie ein gemalter Wüterich« und starrte uns ratlos an.

Adolf bezwang sich zuerst: »Dor hett di Jochen Nehls äwer schön dei Hut vull lagen«, sagte er.

»Dor sünd jo dei oll Münchhausen un Krischan Wehnk' in Hamborg un Peter Lurenz in Rostock nix gegen!« rief ich.

Dass sich unsre höhere Bildung so einmütig gegen ihn wandte, machte offenbar Eindruck auf isern Hinrich, er wurde ganz kleinlaut und sagte: »Un ick heww Jochen Nehls doch, as sin acht Schilling all wiren, noch tweimal inschenkt, dat hei man noch mihr vertellen süll, un wenn dat dei Oll markt harr, dann harr ick ok tau un tau väl Schacht kragen. Un hei hett flucht up Dübelhal, dat hei noch väl düllere Geschichten von Herrn Wohland weiten dauhn dehr, un ick harr em jewoll noch eins inschenkt, wenn hei tauletzt nich dat Stamern un dat Hickuppen kragen harr. Un denn mit eins föll hei mi pardautz ünnern Disch und slöp in. As Vadder in keem, hett hei em an dei Schullern nahmen un ick an dei Bein un hebben em rut släpt na'n Mess. ›Dor liggt hei weik,‹ sär de Oll. As ick 's abends in 'n Schummern noch mal na em kieken dehr, dor wir hei weg.«

Da es isern Hinrich so gänzlich misslungen war, uns mit den Geheimnissen des Uhlenberges zu imponieren, und er sich dazu heimlich von der Gartenarbeit, zu der er eigentlich kommandiert war, entfernt hatte, so schlug ihm jetzt plötzlich das Gewissen, und nach eiliger Erfüllung der gewohnten Zeremonien nahm er seine Holzpantoffeln in die Hand und entfloh schleunigst und schnellbeinig zu den vernachlässigten Fluren seiner engeren Heimat.

In andrer Weise interessierte sich Onkel Philipp Simonis für unsre Abenteuer auf dem Uhlenberge. Der war ein entfernter Vetter meines Vaters und damals ein Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er hatte Theologie und Philologie studiert und war dann später als Hofmeister eines reichen jungen Grafen nochmals mit diesem auf die Universität gezogen und später auf Reisen mit ihm weit in der Welt herumgekommen. Der zu allem brauchbare Mann hatte später auf längere Zeit einen sehr gut dotierten Vertrauensposten als Sekretär des jungen Grafen eingenommen und sich im Laufe der Zeit durch Sparsamkeit ein kleines Vermögen erworben. Als er fünfundvierzig Jahre alt war, verlor er durch den Tod seines früheren Zöglings diesen Posten und kam auf einige Zeit, bis sich eine neue Stellung für ihn gefunden hätte, zu seinem Vetter in Steinhusen zu Besuch. An diesem Orte gefiel es ihm wohl, und er wurde bald mit so viel Fäden an ihn geknüpft, dass er dort hängen blieb. Es lag dort am Seeufer ein Häuschen mit einem vernachlässigten, ziemlich grossen Garten, das ein alter Sonderling bewohnt hatte, der vor kurzem gestorben war. Seine Erben, denen das kleine Anwesen eine Last war, wollten es möglichst bald verkaufen. Die Lage dieses Hauses und des Gartens, der von einer klaren Quelle durchrieselt wurde, am terrassenförmig aufsteigenden Seeufer gefiel ihm ausserordentlich, denn alles, was er dort fand, entsprach den Träumen, die er über einen Ruhesitz für seine alten Tage seit lange gehegt hatte. Die Gelegenheit war günstig, der Preis lächerlich gering, und schliesslich kam es ihm geradezu wie ein Unrecht vor, wenn er nicht zugriffe. Er konnte sich hier einstweilen einrichten und in Ruhe abwarten, was sich im Laufe der Zeit für eine Stellung darbieten würde. Im Notfall konnte er das Grundstück ja, und vielleicht sogar mit Vorteil, wieder verkaufen.

Von dem Augenblicke an aber, da er dies Haus erworben hatte, gewann er eine so merkwürdige Fertigkeit, die Schattenseiten und Nachteile der Stellungen, die sich ihm darboten, aufzuspüren, dass er sich nie zu entschliessen vermochte, eine davon anzunehmen, und sich alle Verhandlungen zerschlugen. Zu Ostern hatte er Haus und Garten übernommen, und mit Feuereifer begann er alles nach seinen eignen Ideen umzugestalten, mit einer Gründlichkeit, als gedenke er für alle Zeit sich dort einzurichten. Bäume wurden geschlagen, Mistbeete angelegt und ein kleines Gewächshaus gebaut, und stets lag er mit dem Gutsinspektor in Fehde, um Arbeiter und Frauen aus dem Dorfe zu bekommen, die in dem Garten mächtig gruben und karrten und pflanzten und ihn um und um wühlten. Wagenladungen von Sträuchern, Bäumen und Pflanzen kamen von einem berühmten Gärtner aus der Hauptstadt, und eines Tages langten auch seine Möbel und seine stattliche Bibliothek an, die er seit seiner Studentenzeit gesammelt hatte. Alles wurde mit Behagen eingeräumt und aufgestellt. Auch am Hause hatte er stets etwas zu ändern und zu bessern, es roch dort stets nach Maurerkalk, Terpentin und Tapetenkleister, und für den einen Winter, den er vorläufig dort zubringen wollte, liess er sich in seinem Studierzimmer einen neuen Berliner Ofen setzen von besonders schönen, schimmernd weissen Kacheln. Es ging damals die Sage, er habe stets ein Stückchen einer solchen Kachel bei sich, und wo er nur bei Besuchen in der Umgegend einen weissen Ofen sehe, hielte er vergleichend heimlich sein Kachelpröbchen dagegen und schmunzle sehr, wenn es schöner und weisser sei als jene. Als der Herbst ins Land gekommen war, konnte man Haus und Garten kaum wieder erkennen. So um Weihnachten herum kam Onkel Simonis eine ganz glanzvolle Idee. Was konnten nicht alles für wunderbare Anlagen entstehen, wenn man die Quelle, die plätschernd und rieselnd mit ziemlich starkem Gefäll den Garten am Grunde eines tiefen Einschnittes durchfloss, wenn man diese Quelle abfing, und sie zur Bildung von kleinen Teichen und allerlei freundlichen Wasserkünsten veranlasste? Verlockende Träume von Forellenzucht und plätschernden Wasserfällen umgaukelten ihn; ein imaginärer Springbrunnen stieg auf und spielte mit einer goldenen Kugel, die gar lieblich in der Sonne blitzte. Wie schade, dass ihm dieser entzückende Einfall erst jetzt kam, wo er mit der Ausführung noch ein ganzes Vierteljahr warten musste. Aber zum Pläne machen, Ueberlegen und Vorbereiten war diese Zeit gut zu verwenden, und manche Stunde stand er in tiefem Sinnen am Rande des kleinen Rinnsals, das schwarz durch den weissen Schnee dahinging, und baute im Geiste. Um diese Zeit geschah etwas, das die schöne Ruhe seines Gemütes gewaltig aufstörte und das Gleichgewicht seines Geistes mächtig ins Schwanken brachte. Es wurde ihm durch Vermittlung guter Freunde eine sehr vorteilhafte Stellung angeboten, wie sie für seine Fähigkeiten nicht besser gefunden und ausgedacht werden konnte. Nun erst wurde er gewahr, wie sehr er schon an seinem neuen kleinen Besitztum hing, denn dieses Anerbieten, das ihm früher eine Freude und ein Stolz gewesen wäre, erfüllte ihn mit Sorge. Er geriet in grosse Unruhe und rannte, um sie zu dämpfen und ungestört über diesen Fall nachzudenken, um den ganzen See herum, was einen scharfen Marsch von etwa neun Stunden bedeutete. Zudem machte er weder seinem Vetter noch sonst jemand eine Andeutung von diesem Anerbieten, wahrscheinlich in der stillen Furcht, man möchte ihm zureden, es anzunehmen. Auf dem langen Marsche durch den kalten, sonnigen Wintertag über die dünne, frischgefallene Schneedecke hatte er einen glänzenden Einfall, nach dem er sofort handelte.

Onkel Simonis stellte zu den an und für sich schon günstigen Bedingungen noch einige neue auf, von denen er meinte, dass sie unmöglich angenommen werden könnten, und schmunzelnd über seine vermeintliche Schlauheit sandte er die Antwort auf das günstige Anerbieten ab. Das Unerwartete aber geschah. Fast mit wendender Post kam ein Brief zurück, in dem man alle seine Bedingungen annahm, und ein wahrhaft glänzender Kontrakt war beigelegt, den er nur zu unterschreiben brauchte. Onkel Simonis war tief unglücklich. Nun sass er in seiner eignen Falle und spähte vergeblich nach einem Auswege. Ganz hintersinnig ging er in seinem Garten herum und betrachtete die vielen Obstbäume von edeln Sorten, die er im Frühjahr und Herbst gepflanzt hatte, und blickte nach den Stellen, wo Rosen und Wein, Pfirsiche und Aprikosen warm eingebettet oder mit Fichtenzweigen verhängt dem schönen Frühling entgegenträumten. Auf alles dies, dessen weitere Entwicklung zu beobachten er die warme Jahreszeit kaum erwarten konnte, sollte er nun verzichten, und es sollte in die Hände eines andern fallen, der es vielleicht gar nicht achtete und verkommen liess. Und Forellenteiche und Wasserfälle, und Springbrunnen, die mit goldenen Kugeln spielten, wo blieben die? Er seufzte tief. Und die grosse Steingruppe, die er geplant hatte für Gebirgspflanzen und all das Zierliche und Hübsche, das in der eignen Heimat wächst, sollte die auch nur ein Traumbild ohne Erfüllung sein? Er sah ja nicht den Garten, wie er jetzt war, er sah ihn auch nicht, wie er im nächsten Frühling sein würde, nein, er sah ihn in der Vollendung einer späteren Zeit, als ein Füllhorn herrlicher Blumen und überquellend von köstlichen Früchten. Er sah ihn im Frühling, bedeckt mit weissem und rosigem Schnee, er sah ihn in der Blumen- und Rosenpracht des beginnenden Sommers, er sah ihn schwer beladen von den Früchten des Herbstes, und er empfand mit voller Macht den Zauber, den der Besitz des eignen Bodens, den man selbst bebaut, auszuüben vermag. Warum sollte er sich noch für andre plagen? Er hatte es ja gar nicht nötig und nach seinen geringen Bedürfnissen mehr als reichlich zu leben. Aber man würde ihn tadeln, dass er sich in der Blüte seiner Kraft einem unthätigen Rentnerleben hingäbe. Unthätig – das war eigentlich ein Unsinn. Noch nie hatte er so viel Arbeit gehabt, als seit er diesen Garten besass, und in jedem Jahre würde es mehr werden, das sah er schon voraus. Und ausserdem würde sich andre Arbeit für ihn genug dazu finden, so viel kannte er sich.

Am nächsten Tage wanderte er noch einmal um den See, aber diesmal nach der andern Richtung, und umgab ihn zum zweiten Male mit einem Kreise bohrender Gedanken. Dann beschlief er sich die Angelegenheit noch eine Nacht, und am nächsten Morgen schickte er den Kontrakt zurück mit der Mitteilung, er könne wegen Übernahme einer Obstplantage die angebotene Stelle zu seinem grossen Bedauern nicht annehmen. Nach Beseitigung dieser Last fühlte er sich so leicht, dass er, als er durch seinen Garten ging und alles mit verdoppelter Liebe betrachtete, gleichsam mit federndem Schritt vom Boden emporschnellte und sein gutmütiges Antlitz mit seinem Glanz die Wintersonne beschämte. So war es gekommen, dass Herr Philipp Simonis in Steinhusen hängen blieb, zum nicht geringen Vorteile dieses Ortes, denn im Laufe der Zeit stellte es sich heraus, dass dieser Mann ein wahres Füllhorn nützlicher Fähigkeiten und vergnüglicher Künste in sich trug, davon fast jeder Dorfbewohner seinen Vorteil zog. Was Herr Gutsbesitzer Martens schier am höchsten an ihm schätzte, war der Umstand, dass durch ihn und mit meinem Vater stets ein Whist mit dem Strohmann am Orte zusammenzubringen war, damals noch das gewöhnliche Spiel der Landleute, denn der alles verschlingende Skat hatte seinen Siegeslauf noch nicht bis in solche fernen Erdenwinkel ausgedehnt, ebensowenig wie das alleinseligmachende Bier. Da die Reblaus noch nicht erfunden und das Land nicht im Zollverein war, so bildete ein trefflicher und billiger französischer Rot- oder Weisswein das tägliche Getränk verständiger Männer. Und auch das gefiel Herrn Martens, dass, wenn bei besonderen Gelegenheiten eine Extraflasche aus dem Keller geholt wurde, er sie leeren konnte mit einem Kenner, der seine Studien gemacht hatte an Ort und Stelle, wo der Wein gebaut wurde.

Meinem Vater that es wohl, einen Mann von gelehrter Bildung am Orte zu haben, der vielerlei erlebt, gesehen und gelesen hatte, mit dem er sich über Wissenschaft, Kunst und Litteratur unterhalten konnte, Gegenstände, die dem Gutsherrn so ziemlich »Dampf« waren, und mit dem er das nicht zu unterschätzende Vergnügen genoss, zuweilen eine kleine, fröhliche Meinungsverschiedenheit ausfechten zu können.

Die Frauen dieser beiden Männer nun gar wussten ihn wohl zu schätzen. Ein so unerschöpflicher Ratgeber und Tausendkünstler war ihnen noch niemals vorgekommen. Er setzte für sie ein Fleckwasser zusammen, dem keinerlei Art Schmutz auch nur einen Augenblick widerstehen konnte, er braute einen Wundbalsam aus vielerlei wirksamen Stoffen nach einem alten ungarischen Rezept, das auf höchst geheimnisvolle Weise an seine Familie gekommen war, von welchem Balsam die Sage ging, man könne Arme und Beine damit wieder anheilen. Schlüge man einem Huhn einen Nagel durch den Kopf, zöge ihn wieder heraus und gösse einen Tropfen dieses Balsams auf die Wunde, so sei es gesund wie zuvor und ginge sofort hin und lege ein Ei. Jedenfalls war es ein Vergnügen, sich einmal recht tüchtig in den Finger zu schneiden, weil man dadurch Gelegenheit bekam, die zauberhaften Wirkungen dieses Balsams zu beobachten.

Er verstand es, Wein zu bereiten aus Stachel- und Johannisbeeren, und stellte die köstlichsten Liqueure her, scharfe männliche, von grosser Kraft, und zarte weibliche, die zusammengesetzt zu sein schienen aus Blumenduft und süssem Feuer. Den Tintenverbrauch des Dorfes in dem es allerdings, mit Ausnahme meines Vaters, nicht gerade ausschweifte, hatte Onkel Philipp monopolisiert, und kein Pfennig ging je für diese wichtige Kulturflüssigkeit an die Kaufleute in der Stadt. In jedem Winter kochte er einen stattlichen Glasballon voll herrlicher blauschwarzer Gallustinte, und es that seinem Herzen wohl, davon jedem, der sie begehrte, gegen den Selbstkostenpreis oder weniger mitzuteilen. Er besass allerlei lexikalische Werke mit Rezepten jeglicher Art, und wenn jemand wissen wollte, wie die ungebräuchlichsten Gerichte zubereitet würden, von ihm konnte er es erfahren. Er kittete jeglichstes Geschirr von Glas, Porzellan oder Steingut, dass es nie wieder zerbrach, wenigstens nicht an der gekitteten Stelle. In seiner Bibliothek stand Wieglebs »natürliche Magie«, jenes wunderliche Werk, dessen zwanzig starke Bände gefüllt sind mit der Beschreibung von physikalischen und chemischen Spielereien, seltsamen Rezepten, Taschenspieler- Rechen- und Kartenkunststücken, Gesellschaftsspielen und dergleichen. Daraus belehrte er sich über alle möglichen Künste und Zaubereien und hatte sich zu einem Taschenspieler ausgebildet, der in der ganzen Gegend berühmt war und sowohl mit als ohne Apparat das Staunen der Zuschauer erregte. Familienfeste verherrlichte er durch selbstangefertigtes Feuerwerk, und wenn die Jugend tanzte, sass er am Klavier und spielte unermüdlich altertümliche Tänze oder das damals fast noch moderne: »Herr Schmidt, Herr Schmidt, was kriegt die Lina mit?« oder allerhand putzige, kleine Murkis, von denen man aber sagte, dass sich besser nach ihnen tanzen liesse als nach irgend welcher andern Musik.


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