Heinrich Seidel
Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Heinrich Seidel

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Während nun also Adolf wie eine pädagogische Latte mit den Händen an seiner nicht vorhandenen Hosennaht auf dem Rücken lag, sagte er: »Hast du den Pfau gesehen, der auf dem Dache sass?«

»Ja,« antwortete ich, »und Goldfasanen waren da auch.«

»Hast du aber auch den Papagei gesehen?«

»Nein,« antwortete ich, »wo?«

»Sah grün und rot aus; sass in einer Eiche und schrie lauter als eine Krähe!«

Von draussen kam durch das geöffnete Fenster ein rauher schriller Ton, märchenhaft und unbekannt.

»Das war er wieder,« sagte Adolf.

Während wir nun auf eine Wiederholung dieses Schreies horchten, schlug die tiefe Stimme des Herrn Wohland an unser Ohr, wir verstanden aber nicht, was er sagte. Von dem aber, was eine helle weibliche Stimme ihm antwortete, drangen verschiedene Bruchstücke an unser Ohr: »Herr, du meines Lebens!« verstanden wir, »... ne aber, ich sag' man ... in das kalte Wasser..., ja, was so richtige Jungs sünd, das sünd auch ümmer richtige Bambusen!« (Wir quittierten dankend für diesen Ehrentitel) ... »Un in Herrn Wohland sein eigen Bett! ... ne, aber so was, da will ich doch man gleich ... die arm'n Jungs ... Na, Essent un Trinkent hält Leib un Seel' zusammen! ... Stina! Stina!« – dann wurde es still, aber andre Geräusche drangen an unser Ohr, ein mannigfaltiges Klirren und Klappern von Küchengerät und nach einer Weile ein Bullern von starkem Holzfeuer und starkes Zirpen und Prätzeln wie von Butter in einer Bratpfanne.

»Das riecht nach Pfannkuchen!« sagte Adolf nach einer Weile.

»Können auch Bratkartoffeln sein!« meinte ich.

»Ich sage, Rührei mit Speck!« lautete Adolfs neueste Hypothese. »Gebratene Klösse sind auch etwas Feines!« rief ich, der, als der einfacher Gewöhnte von uns beiden, keine zu hohen Vorstellungen von den uns erwartenden Genüssen aufkommen lassen wollte.

Doch hatten wir keine Gelegenheit, uns in noch weiteren Hypothesen zu ergehen, denn Herr Wohland kam wieder herein, mit einem Arm voll von Kleidungsstücken, die er bei dem Bette niederlegte, mit der Aufforderung, uns derer zu bedienen, so gut es ginge. Dann entfernte er sich wieder. Unser Glück war, dass Herr Wohland schlank war und nur von Mittelgrösse, während wir für unser Alter ziemlich lang aufgeschossen waren, sonst hätten wir in seinen alten Kleidern, in denen wir mit vielem Lachen heimisch zu werden versuchten, wohl eine sehr komische Rolle gespielt. Sie waren uns zwar reichlich geräumig, aber mit aufgekrempten Ärmeln und Hosenbeinen machte es sich, und wir sahen darin noch immer weniger lächerlich aus als ein Gigerl von heutzutage. Die hingestellten Schuhe passten uns, da wir beide auf ziemlich grossem Fusse lebten, wie angegossen.

Als Herr Wohland uns wieder abholte, trug er einen grossen Korb mit vier Fächern in der Hand, der mit allerlei Sämereien und anderm Vogelfutter gefüllt war. Wir gingen auf den grossen Rasenplatz vor dem Hause, der, rings von Wald begrenzt, sich den Hügel hinab senkte und hier und dort mit mächtigen Steinblöcken bedeckt war. Um diese herum waren, gleichsam als hätte die Natur sie aus sich selbst hervorgebracht, Gebüsche und Blumengruppen angelegt. Nirgendwo, auch am Hause nicht, war etwas von künstlichen Steigen zu bemerken, nur einige schmale, nach Bedarf getretene Fusswege durchwanderten scheinbar launisch diese grüne Senkung. In der Mitte stand eine prachtvolle ausländische Tanne, wie ich jetzt weiss, eine Nordmannia. Herr Wohland ging bis an diesen Baum und läutete an einer Glocke, die dort auf einem Gestell angebracht war. Kaum waren die Töne verhallt, so kam eine Anzahl von Rosellapapageien mit reissendem Fluge über die Wipfel geschossen und fiel auf der schönen Tanne ein, wo sie seitwärts auf den Zweigen gingen und verlangend nach dem Korbe hinsahen. Und nun tönten die schrillen Schreie von allen Seiten. Rosenfarbige Kakadus und weisse mit gelben Hauben hoben sich schimmernd vom dunkeln Geäst ab, schwangen sich flügelblitzend durch die Luft oder rüttelten unentschlossen über dem verlockenden Korbe; Fasanen, die in allen Farben leuchteten, schwebten mit nachwogendem Schweif herab und liefen verlangend auf dem Boden hin und her, und die schöne Nordmannia füllte sich mit allerlei glänzendem Papageienvolk in Grün, Rot und Gelb und allen den strahlenden Farben, mit denen der Schöpfer sie geziert hat, Vögel, die sich schreiend jagten, bissen und miteinander kämpften, während die schwächeren und weniger mutigen zuweilen auffliegend und wieder zurückkehrend auf den Zweigen des Kranzes der entfernten Bäume verlangend aber furchtsam verharrten. Als nun dieser Trubel, dieses Kämpfen, dieses Geschrei und dieser Farbenwirrwarr am grössten war, kam mit reissendem Fluge ein rotschwänziger Graupapagei geflogen und setzte sich ohne weiteres auf den Rand des Korbes, wo er sich sofort über die leckeren Sachen hermachte. Auf dieses Signal begaben sich eine grüne Amazone, ein blauer Arara und ein rosenfarbiger Inka-Kakadu ebenfalls an diesen Ort, wodurch ein erbärmliches Geschrei und ein grosser Kampf unter den vier Vögeln entstand, bis endlich Herr Wohland mit weiten Würfen das Futter ausstreute nach allen Richtungen hin, wodurch auch die schüchternen unter den Tieren auf ihre Rechnung kamen. Nur der Graupapagei, offenbar der dreisteste und zahmste von allen, blieb auf dem Korbe sitzen und suchte sich das Beste aus. Grossen Hunger schien er aber nicht zu haben, denn bald fing er an, das noch im Korbe vorhandene Futter mit seitlichen Schnabelhieben zu zerstreuen und hinauszuschleudern, wobei er ungeheuer eifrig war und fortwährend schwatzte: »Lora! Lora! Bist du verrückt? Schläg' haben? Lora, du, du!«

Als nun Herr Wohland ihm mit einem Stäbchen drohte, das er in der Hand trug, duckte er sich, sah ganz ungemein scheinheilig aus und sagte: »Lora, artig sein, ganz artig sein! Lora Zucker haben. Zucker, Zucker! Lora Zucker haben, Zucker, Zucker!«

Dabei blieb er nun mehrere Minuten und ward nicht müde, halb schmeichlerisch und halb mit dem Grundton der tiefsten Überzeugung zu verkünden, dass Lora durchaus und unter allen Umständen Zucker haben müsse.

Herr Wohland liess sich erweichen und langte ihm ein Stückchen aus der Tasche, worauf der Vogel auf die Schulter seines Herrn flog und dort an dessen Kopf geschmiegt mit der Miene eines Weisen, der es seiner nicht unwert hält, auch den Genüssen des Gaumens zugänglich zu sein, den Zucker mit der einen Klaue zierlich zum Schnabel führte. In den Pausen sagte er wieder: »Zucker, Zucker!« und zwar in einem Tone schmunzelnder Genusssucht und Besitzesfreude und dann sehr sanft: »Guter Papa, guter Papa!«

Wie wir dieses Schauspiel mit den Augen verschlangen, und wie wir allen diesen Ereignissen, die unsre märchenhaftesten Erwartungen noch übertrafen, mit Spannung folgten, kann man sich vorstellen. Adolf konnte sich nicht enthalten, mich zum Zeichen seiner Wonne mit den spitzen Knöcheln in die Rippen zu stossen, was mich, der ungeheuer kitzlig war, zu einem mächtigen Seitensprunge veranlasste, so dass die Vögel erschrocken aufflatterten und selbst Lora zusammenfuhr und im schönsten Sächsisch ausrief: »Eihercheeses!«

Darüber überfiel uns die ungeheure Lachlust der Jugend, und da Lora immer in den hellsten Tönen mitlachte, so konnten wir uns kaum wieder beruhigen, so dass sich zuletzt sogar der ernste Mund des Herrn Wohland zu einem Lächeln verzog. Sodann gingen wir mit ihm in das grösste Zimmer des Hauses, wo wir einen gedeckten Tisch vorfanden, an dem Platz zu nehmen unser Gastfreund uns mit einer Handbewegung aufforderte. Er selbst ging wieder hinaus. Der Tisch war mit allerlei kalten Sachen besetzt. Mit besonderem Wohlwollen fassten wir eine Schüssel mit saurem Aal ins Auge und mit Interesse eine geöffnete Büchse mit Ölsardinen, die wir nicht kannten, ebenso wie manches, was sonst noch auf dem Tische stand. Dass dort auch eine Karaffe mit rotem und eine mit weissem Wein vorhanden war und vor jedem Platze zwei Gläser standen, erfüllte uns mit männlichem Stolz. Wir wussten nun nicht recht, ob wir mit dem Essen beginnen oder auf Herrn Wohlands Rückkehr warten sollten. Es war allerdings nur für zwei Personen gedeckt. Da öffnete sich plötzlich die Thür, und herein trat ein sauberes junges Dienstmädchen, offenbar das, das vorhin mit Stina angerufen wurde. Sie trug auf einem japanischen Brette eine Schüssel mit gebratenen Hähnchen nebst dem nötigen Zubehör, setzte alles vor uns hin und empfahl sich dann mit einem zierlichen Knicks.

»Gebratene Kücken. Fein!« sagte Adolf im Tone unbedingter Anerkennung!

Da wir nun hier so gut behandelt wurden, so überkam mich die Neigung, mich höflich und galant zu benehmen, was mir sonst ein Greuel war: »Darf ich Ihnen Rot oder Weiss geben?« sagte ich, indem ich die Hand nach den Karaffen ausstreckte.

»Wenn ich um Rot bitten dürfte!« antwortete Adolf in dem zimperlichen Tone seiner Tante Malchen Säuberlich, indem er dazu mit dem Munde altjüngferlich prünte.

Ich schenkte ihm ein und sagte: »Nun musst du auch immer nachher so, wie Tante Malchen es macht, weggucken, wenn ich wieder einschenke, und dich erst erschrecken und die Hand vorhalten, wenn das Glas voll ist.«

Adolf lachte kurz und warf dann einen fast bedauernden Blick auf die vor uns aufgebauten Schätze. »Ich möchte nur,« sagte er dann fast trübselig, »Mamselling hätte uns heute morgen nicht so grosse Butterbrote geschmiert.«

Dann machten wir uns trotzdem mit ungeschwächten Kräften über die Kücken und das Kirschenkompott her. Als wir nun alles bewältigt hatten und eben wieder den sauren Aal mit Blicken liebevoller Teilnahme ins Auge fassten, öffnete sich die Thür zum zweiten Male, und der Mond ging auf, oder war es gar die Sonne? Denn diesmal war es nicht Stina, die eintrat, sondern Mamsell Kallmorgen, eine ältliche ungemein runde Dame, die aussah, als hätte Wilhelm Busch sie ganz und gar mit dem Zirkel konstruiert. Ein so rundes, glänzendes Gesicht gab es sonst nur noch beim Vollmond, und von Wohlwollen strahlte es wie die Sonne. Alles war rund an dieser alten Mamsell, die kleinen Äuglein, die winzige Nase zwischen zwei rosigen Plusterbacken und die drei Unterkinne, die den Übergang zum Körper vermittelten, und dieser selbst, der sich aus lauter Kugeln zusammensetzte. Nur der Mund machte eine Ausnahme, er war ein wenig in die Breite gezogen, was natürlich zu dem wohlwollenden Ausdruck dieses Antlitzes beitrug, denn Leute mit einem kleinen runden Munde sind selten oder nie gutmütig. Aus den Kugelpuffen ihrer Ärmel kamen schneeweisse stattliche Arme hervor mit ausgepolsterten Händen, an denen Finger sassen wie fünf rosige Knackwürste. An den Knöcheln waren sie mit Grübchen geziert. Auf diesen Händen trug sie eine Schüssel mit zusammengerollten Eierkuchen, die mit Fruchtgelee gefüllt waren. Diese setzte sie vor uns hin und sagte: »So, Jungs, nu esst man düchtig, das is das beste Mittel, dass euch das kalte Wasser nichts schad't. Ihr müsst 'ne ornliche Wärmnis in die Maag kriegen. Wo ich früher mal eins in Konditschon war, bei Herrn Barner in Plüschow an den Koblankschen See, da hatten wir auch so 'n Jung, war schon konfermiert, aber was nutzt Gotts Wort bei so 'n Slacks, wenn er seine dummen Streich' machen will? Das war ja nu in die Weihnachtsferien, un da läuft er ja nu Schlittschuh auf den Koblankschen See, un das Eis is 'n Fuss dick. Was hilft das aber bei so 'n Jung? Da is doch einerwo mal so ne'Stell', wo ne Waak gewesen is, wo sich die wilden Enten das Wässer offen gehalten haben, oder wo 'ne warme Quell' anne Grund is, mal eben so bischen eine Nacht übergefroren, un natürlich da muss er ja hin, anners is er nich glücklich. Je natürlich, un denn bricht er ein in das eiskalte Wasser bis über den Kopf – ich muss mir schon gräsen, wenn ich da bloss an denk'. Je, er hat sich ja nu allein wieder 'rausgeampelt un is nach Haus gelaufen den weiten Weg, un war dreizehn Grad kalt. Un war natürlich ganz verklamt, un als sie ihn seine Büxen ausgezogen hatten, da konnten die allein stehen, so steif waren sie. Un stachen ihm ins Bett und gaben ihm heissen Thee. Aber, was die Hauptsach' war, wir hatten Entenbraten an den Tag, un da hat er in 's Bett 'ne ganze Ent' aufgegessen mit alle Apfels un Flaumen, die da in waren, un da 'ne Buddel Rotspohn szu. Da kriegt er natürlich 'ne schöne Wärmnis in sein Maag, un hat ihm nachher gar nichts geschadt ... Na, nu scheniert euch man nich, un wenn ihr mit die Plinsen fertig seid, denn könnt ihr ja noch 'n bischen bei den sauren Aal gehn un bei das andre.

»Un ihr erlaubt woll, dass ich hier 'n bischen bei euch sitzen geh', von das alte Stehent krieg' ich inne Küch' schon genug. Je, un was ich sagen wollt', du büst doch woll den Herrn Pastohr sein Reinhard, das seh' ich an die Ähnlichkeit, denn dein lieb Mudding kenn' ich sehr gut. Eine ganze süsse Frau. Sie war ümmer so sanft un so solide, un so furchbar gemütvoll. Szü, un dann musst du so 'n dumm Zeug machen un in den alten wackligen Kahn fahren un noch szu bei 's Gewitter.

Was habt ihr überhaupt auf 's Wasser verloren? An eure Stell' würd' ich mir freuen, dass ich's nich nötig hätt', da'rauf szu gehn. Ich bün man einmal in mei'n Laben auf 's Wasser gefahren, das war, als ich hier her kam, vor fünf Jahr'. Halb dot hab' ich mir geängst allein schon bei das Ein- un Aussteigent, wenn es denn so wiwagt. Erst wollt' ich nich 'rein in die Boot, un nachher wollt' ich nich wieder 'raus. Driebenkiel, was Herrn Wohland sein Knecht oder meinswegens sein Bedienter is, hat mir mit Gewalt 'rausgewucht't, un da wär' ich zuletzt beinah doch noch in'n See gefallen, wenn Driebenkiel nich so furchtbar staark wär'. Igittegittegitt, ich gräs' mir ümmer noch, wenn ich da bloss an denk', denn wenn ich erst ins Wasser lieg' – wer soll mir da woll wieder 'rauskriegen?«

Wir hielten dies für eine wohlberechtigte Frage, was wir durch Kopfnicken andeuteten, und da wir unterdes die Eierkuchen bewältigt hatten, »gingen wir noch 'n bischen bei den sauren Aal un bei das andre«. Dies sah Mamsell Kallmorgen mit Wohlwollen, nickte beifällig und liess das Bächlein ihrer Rede weiter rauschen:

»Einsam is es hier ja man, szu un szu einsam, kein Mensch, mit den 'n Wort snacken kann. Gar un gar szu gärn in all die Zeit hätt' ich ja mein' Swester besucht, die an den Holländer in Bibow verheurat't is, dass ich mir mal wieder mit ihr aussnacken könnt', aber denn käm' ümmer wieder die Angst vor das Wasser, un dass ich dann wieder in den Kahn muss. Ich kann hier ja gar nich klagen, un der Salehr is ja so hoch, so viel kriegt' ich auf keine andre Stell', wenn ich mir man bloss an dem Einsamen gewöhnen könn't! Wenn nich alle Jahr' Herrn Wohland sein' Tochter mit ihr klein süsse Lana auf vier Wochen hier her kam', dann hielt' ich's jawoll auch gar nich aus. Glaubt ihr woll, dass Herr Wohland mal'n Wort mit mir spricht? Ne, fällt ihm gar nich ein. Bloss mal, wenn's gar nich anders geht, so ruff, buff un mit Handweisen. Das muss er sich woll so auf seine einsame Insel angewöhnt haben. Aber mit seine Papageien, da kann er ümmerszu snacken. Was hat er denn nu bloss an das unvernünftige Viehzeug? Un kosten ein gräsiges Geld. Vor den einen hat er sechsundreissig Daler gegeben in Hamburg, bloss weil da man einen von da war un weil noch niemals ein solchen nach Hamburg gekommen war. Na, un Driebenkiel, wenn ich mit den mal anfang' un 'n bischen mit ihm snacken will, denn grient er ümmer so veniensch, un ich trau' ihn auch nich, er snüffelt, überall snüffelt er rum, wo ihn gar nichs verloren hat. Mir wundert man bloss, dass unsen grossen Kettenhund Wasser ihm so gern leiden mag. Un denn Stina! Stina is 'ne unbedarfte Dirn, was soll ich mit die gross snacken? Un Respekt muss auch sein, un in acht nehmen muss 'n sich ja auch, sonst spielen einen sonne Dirns gleich auffe Nas'. Je, un da könnt ihr euch woll denken, wo ich mir freu', dass ich mir mal mit so nette un artige Jungs bischen unterhalten kann.«

Man musste sagen, genügsam war die alte Dame, denn bis jetzt hatte keiner von uns den Mund anders aufgethan, als zum Essen. Aber auch hierzu erlahmten allmählich unsre Kräfte, und wir liessen ermattet die Waffen sinken. Mamsell Kallmorgen wollte uns eben mit Beredsamkeit zu neuen Thaten anfeuern, da horchte sie plötzlich auf ein Geräusch, das draussen vernehmlich ward.

»Ne aber!« rief sie, »kaum, dass man den Rücken wend't! Da jachtert Driebenkiel all wieder mit Stina 'rum. So'n alten Kerl, un noch ümmer hinter die Dirns her un süht doch aus wie so 'n richtigen Affe. Un schämt sich gar nich mal, so 'n Kerl. Un Stina, anstatts dass sie ihm einen ans Maul giebt, wie sich das hört, die macht das jawoll noch Spass. Ja, mit die Dirns heutszutage – un mit die Mannsleut' erst recht! Na ich sag' man!«

Und damit dampfte sie unter dem Hochdruck sittlicher Entrüstung zur Thür hinaus.

Wir standen nun auf, und da wir nichts Besseres zu thun hatten, so sahen wir uns im Zimmer um. Wir schienen uns in Herrn Wohlands Studierstube zu befinden, die zugleich eine Art von Museum darstellte. An den Wänden standen viele Glasschränke, die zum Teil Bücher enthielten, meist Reisebeschreibungen und naturwissenschaftliche Werke, zum grössten Teil aber waren sie mit Naturalien und Seltsamkeiten angefüllt, alles weitläufig und mit Platzverschwendung aufgestellt, so dass man jegliches Ding von aussen sehen konnte. Wir konnten solche ungeahnten Schätze nicht ohne Staunen und einige stille Besitzesgier betrachten. Da waren ganze Schränke angefüllt mit den herrlichsten und wunderbarsten Muscheln an Formen und Farben, die wir nie für möglich gehalten hätten. Sie schimmerten in Porzellan- und Perlmutterglanz und leuchteten mit den Farben der Morgenröte und sanftem Purpurbraun. Stattliche Erzstufen flimmerten mit metallischem Glanz, und von den unzähligen Flächen und Kanten der verschiedenfarbigen Krystalldrusen strahlte wechselndes Licht. Dann wieder war da ein Schrank mit Vogeleiern und einer mit Schmetterlingen. Davon glaubten wir etwas zu verstehen, denn Adolf hatte eine ganz stattliche Eiersammlung und ich zwei Kasten mit selbstgefangenen Schmetterlingen; allein von den Eiern konnte mein Freund kein einziges benennen, und ich starrte fast geblendet auf die glänzende Pracht dieser geflügelten Luftjuwelen. Dergleichen flog nicht in Steinhusen und Umgegend, und mein grösster Stolz, die beiden Schillerfalter, die ich im Warnitzer Holz gefangen hatte, verblassten vor diesem schimmernden Glanz zu nichts. Insonderheit waren da Schmetterlinge, die hatten eine unscheinbare Zeichnung auf dem Flügel, die von oben einfach schwarz erschien. Sah man diese Zeichnung aber in schrägem Lichte und wechselte den Ort, so strahlte sie bald in feurigem Rot, dann in leuchtendem Grün, durchdringendem Blau und sonnigem Goldgelb, wie es kein Diamant vermag. Das erschien mir wie ein Wunder ohnegleichen. Die Seltsamkeiten in andern Schränken, Arbeiten aus Porzellan, Glas, Elfenbein, Bernstein, Malachit, Onyx und wer weiss was für Stoffen, zogen uns weniger an, doch schenkten wir den bunten und wunderlichen ausgestopften Vögeln, die auf den Schränken standen, einige Blicke. Von Bildern enthielt der grosse Raum nur zwei Ölgemälde. Das eine stellte ein Barkschiff unter vollen Segeln dar, die Anna Sophie aus Rostock, das andre zeigte eine sanftblickende Frau, an die sich ein schönes zwölfjähriges Mädchen schmiegte. Wir waren so betäubt und berauscht von der Fülle der Schätze, die dieses Zimmer darbot, dass wir, von wechselnden Eindrücken fast ermüdet, an die Fenster traten, wo in einem stattlichen Erker, der durch den Unterbau des Turmes gebildet wurde, der Schreibtisch des Herrn Wohland stand. Die Fenster reichten fast bis auf den Boden, und man sah von hier auf den abfallenden Rasenplatz und den Waldgürtel, der ihn umgab. Wir bemerkten, was uns vorher entgangen war: dass überall Durchhaue im Walde, von hohen Wipfeln überwölbt, sternförmig von diesem Punkte ausliefen, so dass man an den verschiedensten Stellen einen Ausblick auf den See hatte, auch auf die Bucht, in der wir vorhin dem Krebsfang obgelegen hatten. In einem dieser Ausschnitte sahen wir gerade einen Fischerkahn vorüberziehen, der langsam wieder hinter dem Baumwerk verschwand. Über den Wipfeln sah man in weiter Ferne den blau dämmernden Höhenzug, auf dem die Kirche von Borna, das Wahrzeichen der Gegend, sich deutlich abhob. Neben der Schreibmappe des Herrn Wohland stand ein Doppelfernrohr, mit dem wohl der alte Einsiedler die Welt aus seinem Schlupfwinkel zu betrachten pflegte.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und Stina trat herein, wie es uns schien mit einem etwas roten Kopfe. Sie sagte: »Das Zeug von die jungen Herrn wär' nu trocken, un wenn die jungen Herrn sich nu anziehen wollten, in die Schlafstube wär' allens prat. Un Driebenkiel hätt' auch das Boot von die jungen Herrn wieder flott gemacht un sollt Ihnen nu in unser Boot nach Haus fahren, denn mit die jungen Herrn ihr eigen Boot da ginge das nicht, das hätte eine Leck.«

Damit öffnete sie eine andre Thür, die, wie wir jetzt sahen, in das Schlafzimmer führte, das uns vorhin zum Aufenthalt gedient hatte. Wir zogen uns um und wurden dann von Herrn Wohland abgeholt, der, wortkarg wie immer, nur mit einer Handbewegung uns aufforderte, ihm zu folgen. Wir verliessen das Haus diesmal durch einen andern Eingang als vorhin und kamen auf einen Hof, der die Küchen- und Wirtschaftsgebäude von dem eigentlichen Hause trennte. Hier wurden wir begrüsst durch das wütende Gebell eines ungeheuern, wild und blutgierig aussehenden Hundes, der, vor seiner Hütte angekettet, unter schrecklichem Gerassel wie ein wahnsinniger Teufel hin und her tanzte und sich das Ansehen gab, er würde uns alle beide, jeglichen auf einen Happs, aufessen, könnte er nur von der ekligen Kette loskommen. Da war es nun merkwürdig, zu sehen, wie, als Driebenkiel mit einer Futterschüssel aus der Küche trat und auf den Hund zuging, sich dessen wütige Wildheit sofort in Sanftmut verwandelte, wie er jenem die mächtigen Pranken auf die Schultern legte und ihm mit seinem grossen blutroten Zungenlappen das Gesicht zu lecken versuchte. Driebenkiel aber drückte den Hund nieder zu seiner Schüssel, und dieser begann zu fressen, nicht ohne uns zuvor von der Seite ein böses, misstrauisches Knurren zuzusenden. In der Küchenthür, sie ganz ausfüllend, so dass nur Stinas hübsches Köpfchen über die eine Schulter hinweg sichtbar wurde, stand in der ganzen überwältigenden Pracht ihrer rundlichen Leibesfülle Mamsell Kallmorgen. Sie nickte uns zu und winkte mit ihrer fetten Hand und rief: »Na, adjö Jungs un kommt gut nach Haus! Un du, Reinhard, grüss auch dein süss' Mudding von mich. Un auf das alte Wasser, da geht mich man nich wieder 'rauf. Da hat Moses keine Balken unter gemacht. Un wär' doch schad um solche nette, artige Jungs, wenn die versaufen thäten! Adjö auch, adjö!«

Wir gingen dann mit Herrn Wohland zum See hinunter, und Driebenkiel folgte uns. Dort fanden wir einen Kahn bereit, an den unsre Jolle angehängt war. Das Leck war mit Lappen verstopft, und wir sahen mit Befriedigung, dass auch unser schwimmender Behälter mit Krebsen noch vorhanden war.

Herr Wohland reichte uns die Hand, und wir stiegen ein. Driebenkiel griff zu den Riemen, stiess ab und trieb den Kahn mit langsamen, kräftigen Ruderschlägen in den See.

Als wir an dem letzten Vorsprung des Uhlenberges vorüber waren, wälzte Driebenkiel das Klumpige, das die eine seiner Backentaschen stets zu beherbergen schien, auf die andre Seite, schoss seitwärts mit bemerkenswerter Kunstfertigkeit einen langen gelben Strahl in den See und knurrte dann zwischen den schmalen Lippen seines breiten Mundes heraus: »Versupen harrt ji möst!«

Dann betrachtete er uns eine Weile mit der feindseligen Miene eines Menschen, den man um seine besten Hoffnungen betrogen hat, und wiederholte seine Meinung:

»Versupen!«

Wir wussten nicht recht, was wir auf diese von recht mangelhaftem Wohlwollen gegen uns erfüllte Ansicht erwidern sollten, und schwiegen deshalb. Er aber fuhr fort:

»In so 'n kaputte Nätschell, in so 'n Seelenverköper bi't Gewitter ruttausegeln, dat is jo utverschamt. Dei oll Jöll is jo krank dörch un dörch, dat is jo 'n Kräpel, dei hett jo so vel Flickens as 'n Snurrer sin Rock, wo dei Flickens all werre flickt sünd. Wenn ji man nich so 'n Unkrut wirt, denn wirt ji ok all lang' versapen. – Wenn Herr Wohland jug nu nich seihn harr ut sie Kiekfinster, un wenn wi nich kamen wiren, wo wirt denn? Hä?«

»Wie könt doch swemmen!« wagte Adolf zu antworten.

»Swemmen!« sagte Driebenkiel mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung, »bi sonne Bülgen un so wiet von Land un mit Tüg. Dor wir jug woll bald dei Pust utgahn. Und denn runne na dei Aals und na dei Krewt! As ick noch bi Sw'rin deinen dehr, dor harr sick mal eins ein versöpt und harr sick dat Tüg vull Stein stoppt, wil dat hei nich wedder hochkamen wull, un dorüm hebben sei em ok lang nich funnen. As sei em nu äwer doch finnen dehren, dor seet hei ganz vull armlange Aals.« Driebenkiel schwieg, und um seinen Mund lag ein schmunzelnder Zug, als ergötze er seine Phantasie mit der Ausmalung dieses anmutigen Bildes. Dann grinste er plötzlich ganz freundlich und fragte mit einem gewissen weichen Wohlwollen: »Na, Jungs, wo hett jug denn dei sure Aal smeckt?«

Ich sah, dass Adolf, der, wie sich das oft gerade bei sehr gesunden und kräftigen Naturen findet, in diesem Punkte gar nichts vertragen konnte, schon anfing, höchst merkwürdige Gesichter zu schneiden, da wurden wir glücklich von der Weiterführung dieser anmutigen Unterhaltung dadurch befreit, dass wir die Robinsonsinsel passiert hatten und ich nun auf dem Stege, der von unserm Garten aus in den See lief, Menschen gewahr wurde, die scheinbar mit grosser Spannung nach uns ausblickten. Mit meinen scharfen Augen erkannte ich die Personen.

»Adolf,« rief ich. »da auf unserm Steg, da sind deine Eltern und meine auch, und mein Onkel Philipp und deine Tante Malchen! Die werden sich doch wohl nicht geängstigt haben?!«

»Das werden sie doch nicht!« meinte Adolf.

»Was haben sie denn aber dort zu stehen?« fragte ich.

Der Gedanke, dass man Sorge um uns haben könne, war uns in der erlebnisreichen Zeit, die wir hinter uns hatten, auch nicht ein einziges Mal gekommen, nun aber erfüllte uns plötzlich die Befürchtung, dass diese kleine Menschenwolke, die sich dort angesammelt hatte, ein neues Gewitter verdriesslicher Art für uns bedeuten möchte.

»Du, meinst du, dass es was giebt?« fragte Adolf.

Ich wusste darauf nicht zu antworten allein Driebenkiel ergriff diese Thatsache mit besonderem Vergnügen, um daran seine sehr spartanischen Ansichten über Erziehung zu knüpfen.

»Wenn ick jug Vadder wir,« sagte er mit schmunzelndem Ingrimm, »denn gew dat nu tau un tau vel Schacht. Aewerlegt un stramm halt, un denn mit so 'n rechten swubsigeh Ruhrstock so väl hinnen up, as dor hacken willen. Un denn inspunnt un tau'n Vesperbrot nix tau äten un denn wedder Schacht!«

Während er nun mit einer wahren Henkerphantasie solche Bilder weiter ausmalte, in denen sich diese pikante Abwechslung von »Schacht« un »nix tau äten« über mehrere Tage hin ausdehnte, waren wir schon so nahe gekommen, dass wir die Gesichter unterscheiden konnten, und da sagten uns unsre physiognomischen Kenntnisse, dass nichts Ernstliches zu befürchten sei, was unsre Herzen von schwerer Sorge entlastete.

Wir wurden mit einer wirren Menge von Fragen überschüttet und hatten genug zu thun, um alle zu beantworten und die grossartige Fülle der überstandenen Abenteuer ins rechte Licht zu setzen. Endlich erinnerte man sich an Driebenkiel, der mit missvergnügtem Grinsen den höchst unangemessenen Empfang der beiden verlorenen Söhne beobachtet hatte, und er wurde aufgefordert, ins Haus zu kommen, um mit dem üblichen »Snapps un Bodderbrot« der Botengänger bewirtet zu werden. Ausserdem drückte ihm jeder der Väter einen Thaler in die Hand, was sein vergrätztes Gemüt mit einigem Sonnenschein verklärte. Wir erfuhren später, dass er einen Teil dieses unvermuteten Kapitalsüberflusses in unserm Dorfe angelegt habe, indem er sich vor seiner Rückkehr im Kruge eine »Pottbuddel« Aquavit zum Troste für einsame Stunden erstanden hatte. Da er als ein nachdenklicher und gewissenhafter Mann an dem Herausprobieren der geeigneten Sorte in diesem selben Wirtshause anderthalb Stunden lang fleissig und mit Sachkenntnis gearbeitet hatte, so verliess er unsern Ort, wie ich denke, in angeregterer Stimmung, als er ihn betreten hatte. Wir sahen ihn am späten Nachmittag über den spiegelblanken See nach Hause rudern und waren ein wenig verwundert über den rauhen und furchtbaren Gesang, mit dem er abfuhr, dessen Kehrreim:

»Wat geiht denn di dat an –
Du büst kein Arbeitsmann!«

er mit einem Ausdruck wilder Auflehnung gegen Gesetz und Recht in die schweigende Natur hinausbrüllte. Unser Staunen erregten auch die sonderbaren Kurse, die er einschlug, um den Ort seiner Bestimmung zu erreichen, da solche uns manchmal weder zielbewusst noch zweckmässig erscheinen wollten. Nachdem er sich dann einmal im Rohr und einmal auf einer Sandbank festgefahren hatte, verschwand er endlich hinter einer Waldecke, und wir glaubten, es noch einmal ganz leise herübertönen zu hören:

»Wat geiht denn di dat an –
Du büst kein Arbeitsmann!«

Wir aber waren die Helden des Tages und sonnten uns im Glanze unsrer glücklich verlaufenen Abenteuer. Als am nächsten Tage zu Herrn Martens der Besuch aus der Stadt kam, durften wir an dem Abendessen teilnehmen und mussten noch einmal von allem berichten. Als nun aber die Krebse, die zu den ganzen Erlebnissen die Veranlassung gegeben hatten, aufgetragen wurden und Onkel Scholz sich wirklich erhob, so lang er war, und mit den Worten: »Bei Krebsen ist es erlaubt, nach dem grössten zu greifen!« mit der Sicherheit eines Stossvogels unsern Freund von gestern beim Wickel hatte, da explodierte in uns eine so ungeheure Lachlust, dass wir kaum wieder zu uns kommen konnten und sicher vom Tisch geschickt worden wären, hätte nicht Onkel Scholz, der uns wegen der Krebse wohlwollte, Fürsprache eingelegt. Als dann bald darauf seine Nachbarin, Tante Malchen, zum dritten Male durch ihr gefülltes Glas aufs höchste überrascht und in Schrecken gesetzt wurde, beschränkten wir uns darauf, uns gegenseitig furchtbar in die Beine zu kneifen, um unsre gewaltig emporsteigende Lachlust im Keime zu ersticken.


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