Heinrich Seidel
Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Heinrich Seidel

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IV.

Am 9. September schifften wir uns, bis oben vollgefüllt mit guten Ermahnungen unsrer Eltern und Onkel Philipps, nach Rosenwerder ein, voll heiterer Abenteuer- und Unternehmungslust. Unsre Ausrüstung war folgende: Gekleidet waren wir in unser sogenanntes Buschrangerzeug, das aus einem unverwüstlichen hausgemachten, blau und grau gestreiften Leinenstoff hergestellt war und seinen Namen davon trug, dass es nichts Geeigneteres gab, um damit ohne Schaden in Büschen und Bäumen herumzurangen. Wir waren diesem Stoffe gegenüber machtlos, er war zäher als Leder und das sogenannte unzerreissbare Bilderbuch Löschpapier gegen ihn. In einem alten Seehundskoffer verpackt war für jeden ein zweiter solcher Anzug und die nötige Wäsche. Dann war da die Futterkiste, die einige der riesenhaften groben Landbrote enthielt, nebst einem tüchtigen Stück Schinken, rohem und gekochtem Speck, zwei trefflichen Dauermettwürsten, einem Topfe mit Butter, einer Anzahl von Eiern, in Häcksel verpackt, und einem stattlichen Kloben Lederkäse. Vor Hungersnot waren wir demnach auf Wochen gesichert. Dann waren da mannigfache Küchengeräte und unsre Waffen, unsre Bogen, Pfeile, Speere und Tomahawks, und der Glanzpunkt vor allem, eine leichte einläufige Flinte mit Pulverhorn und Schrotbeutel. Sie gehörte Adolf, dessen Vater ihn schon früh gelehrt hatte, mit Schiessgewehr umzugehen. Es war uns gestattet, auf der Insel einen bis zwei Hasen zu schiessen, wenn wir könnten, und ferner so viel Eichhörnchen und schädliche Vögel, als Sperber, Krähen, Elstern, Häher und Neuntöter, wie wir wollten, vorausgesetzt, dass diese sich das gefallen liessen. Ausserdem hatte ich für einige Bücher gesorgt. Verstaut waren all diese Schätze in unsrer alten Jolle, und diese schleppte wie ein Junges das sogenannte Kanoe hinter sich her, jenes Fahrzeug, dem Onkel Philipp vor einigen Tagen sein Misstrauen bezeugt hatte. Und doch war dieser kleine Kahn ein wahres Meisterstück des Rademachers, mit dem er in die Reihe der Schiffbauer eingetreten war und sich dadurch, nach unsrer Meinung, mit Ruhm bedeckt hatte. Der Boden des kleinen Fahrzeuges war flach und aus einem sehr starken und schweren Brette hergestellt, durch dessen Gewicht eine genügende Stabilität erzielt wurde. Im übrigen hatte das schmale Ding eine angenehme Zigarrenform und drei Sitze. Fortbewegt wurde es wie die Kajaks der Eskimos durch Ruder, die an jedem Ende eine Schaufel hatten und abwechselnd rechts und links eingetaucht wurden.

Also trefflich ausgerüstet fuhren wir von dem Stege des Gutsbesitzergartens ab, während unsre Eltern und Onkel Philipp am Ufer standen und uns Wünsche und gute Ermahnungen nachriefen. Als wir schon fast ausserhalb der Rufweite waren, legte der gute Onkel noch einmal die Hände an den Mund und schrie: »Und nicht öfter baden als zweimal täglich!« Man sieht aus der Milde dieser Bestimmung, dass wir in diesem Punkte unsre Eltern und Erzieher nicht gerade verwöhnt hatten. Wir hätten nun eigentlich stilvollerweise unsre Robinsoninsel nicht anders als nach dem obligaten Schiffbruch betreten dürfen. Da man uns auf der linken Seite der Insel, wo wir in der Nähe unsrer Hütte landen wollten, vom Dorfe aus nicht sehen konnte, hatten wir auch vorher sorgfältig erwogen, ob wir nicht ein solches Ereignis künstlich herbeizuführen vermöchten, um dem Unternehmen mehr Naturwahrheit zu verleihen. Wir waren aber nach reiflicher Erwägung übereingekommen, auf dieses Ornament zu verzichten, da wir davon einen starken Schaden für unsere Vorräte befürchteten, und beschränkten uns darauf, einige Zeit vor der Landung durch heftiges Schaukeln einen gewaltigen Orkan aus Westsüdwest zu markieren und aus unsrer kleinen Schiffskanone, die aus einem alten Pistolenlauf auf Kadern bestand, einige Notschüsse abzufeuern. Nach Erledigung dieser Formalitäten liefen wir friedlich in die Rettungsbucht ein, denn also hatten wir unsern Landungsplatz getauft.

Die Zeremonien der Besitzergreifung dieser Insel hatte ich vorher genau festgestellt. Zunächst sprangen wir mit einem Freudenschrei ans Land, knieten nieder und küssten den Boden, was Adolf zwar für furchtbar dummes Zeug erklärte, mir aber für diese Situation unerlässlich und ausserdem höchst poetisch erschien. Eine Fahne in den Landesfarben hatten wir mitgebracht; auf einem kleinen Hügel pflanzten wir sie auf und nahmen das Land in Besitz. Ich hielt dazu eine kleine Rede, und Adolf schoss dreimal seine Flinte ab. Dann gingen wir, er mit seinem Gewehr und ich mit Bogen und Pfeilen und einigen Speeren bewaffnet, einen Tomahawk im Gürtel, vorsichtig voran und entdeckten die Gegend. Nicht wenig erstaunten wir, als wir nach kurzer Zeit die Hütte erblickten. »Ein Wigwam«, sagte ich, »von tropischen Pflanzen umgeben. Das Land ist bewohnt! Vielleicht von Menschenfressern!«

»Lass sie nur kommen«, sagte Adolf in einem Tone erhabener Tapferkeit, »Robinsons getreue Büchse wird ein ernstes Wort mit ihnen sprechen.« »Und Freitags Pfeil«, rief ich, »hat noch nie sein Ziel verfehlt, sein Speer ist sicherer Tod und sein Tomahawk der Schlüssel zu den ewigen Jagdgründen!«

Dann schlichen wir, einer in die Fusstapfen des andern tretend, vorsichtig näher und fanden die Hütte leer, auch anscheinend unbewohnt. »Vielleicht die verlassene Ansiedlung eines Schiffbrüchigen, der gerettet worden ist«, sagte Adolf.

»Um so besser für uns«, erwiderte ich, »treten wir sein Erbe an und segnen wir sein Andenken!«

»Wo hast du eigentlich all die unklugen Redensarten her?« fragte Adolf mit einer seltsamen Mischung von Geringschätzung und Bewunderung.

»Als Freitag noch bei seinem Stamme weilte«, antwortete ich, »nannte man ihn Goldmund, und selbst die Greise lauschten seiner Rede.«

»Hugh!« sagte Adolf.

Wir liessen damit einstweilen diese kleine Komödie fallen und begaben uns an die Arbeit. Wir schleppten mit grosser Mühe unsre Vorratskiste und unsre Koffer herbei und richteten uns ein, hingen unsre Küchengeräte und Waffen an den Wänden auf und assen dann ein wenig.

Die eigentliche grosse Mahlzeit wollten wir erst am Abend nach vollbrachter Arbeit zu uns nehmen. Und Arbeit gab es genug. Wir schleppten zunächst eine grosse Menge von trockenem Holz herbei für die Unterhaltung des notwendigen Feuers, und dann gingen wir aus, Vorräte zu sammeln, Haselnüsse, Brombeeren und Holzbirnen. Dann grub ich Regenwürmer an einer geeigneten Stelle, setzte mich mit einer unsrer mitgebrachten Angelruten in das Kanoe und fuhr nach einer stillen Rohrbucht, wo vermutlich Barsche standen, während sich Adolf auf die Jagd begab. Denn obwohl wir mit Vorräten reich versehen waren, hielten wir es doch für verdienstvoller, uns möglichst von den Erträgnissen der Jagd und des Fischfanges und den Früchten des Waldes zu ernähren. Während ich nun in meiner stillen Rohrbucht sass und ab und zu einen kleinen Barsch, einen Gründling, einen Plötz oder auch nur einen Weissfisch hervorzog, hörte ich in der Ferne einen Schuss, der offenbar von Adolfs Flinte herrührte. Gegen Abend ruderte ich mit etwa acht bewunderungswürdig kleinen Fischen wieder heimwärts und fand Adolf auf der Bank vor unserm Häuschen sitzend, wie er mit wichtiger Miene einen Häher rupfte. Die blauen Flügelspiegelfedern hatte er sich als Trophäe an seine Mütze gesteckt. »Ich sorgte für das Geflügel zum Abendbrot«, sagte er mit einem Ausdruck nachlässiger Selbstverständlichkeit, »was schafftest du herbei?«

»Ich lag dem Fischfang ob«, antwortete ich, »in der Bucht des blauen Vorgebirges, sieh hier meine Beute.« Damit schüttete ich die kleinen Fische aus meinem Netze ins Gras, wo sie blitzend zappelten.

»Katzenfische!« sagte Adolf mit einem verächtlichen Seitenblick, hob seinen gerupften Häher am Kopf hoch und betrachtete ihn wohlgefällig.

Ich zog nun Stahl und Stein und Zunder aus der Tasche und begann Feuer zu schlagen. Als der Zunder brannte, steckte ich ihn in einen Ballen feinen, trockenen Grases und schwenkte diesen heftig durch die Luft, bis er Feuer fing. Schnell häufte ich trockene Kiefernzweige darüber, die sich schnell entzündeten, und dann gröbere Äste, die bald unter Knistern und Knacken von der züngelnden Glut durchflackert wurden. Es roch sehr angenehm nach Harz und Rauch, und bald waberte eine stattliche Flammenpyramide auf, von deren Spitze eine schnurgerade Säule bläulichen Rauches in die Stille der Luft emporstieg. Man konnte nicht anders sagen, es war ein prachtvolles Feuer. Adolf war unterdes gegangen, um Kartoffeln auszugraben, und ich machte mich darüber her, die Fische auszunehmen und einzusalzen. Als Adolf mit den gewaschenen Kartoffeln zurückkam, ergab sich eine Schwierigkeit, denn wir hatten nur eine Pfanne. Zuerst beschlossen wir, den Häher am Spiess zu braten, dann aber verfiel Adolf auf die glanzvolle Idee, ihn zu kochen und zugleich eine köstliche Bouillon aus ihm zu bereiten. Wir setzten ihn in einem eisernen Kochtopfe mit Wasser und einigen Mohrrüben ans Feuer und versprachen uns hohen Genuss von ihm. An der am meisten niedergebrannten Seite unsers grossen Feuers wurden nun die Kartoffeln in die heisse Asche geräumt, und ich begann dann, so gut ich es verstand, meine Fische zu braten, die den ersten Gang bilden sollten.

Adolf schnitt unterdes einige mächtige Scheiben Brot ab.

»Bratfische müssen kross sein, furchtbar kross!« sagte er mit weiser Miene, »sie müssen nur so knurpsen, wenn man sie isst.«

»Koch du nur deinen Häher«, erwiderte ich, »die schöne Bouillon bruddelt schon ins Feuer.«

Er rückte schnell den Topf weiter ab, nicht ohne sich erheblich zu verbrennen und mit den Fingern in der Luft zu schlenkern.

Ich bräunte unterdes Butter in der Pfanne, die einen köstlichen Duft verbreitete, und that dann meine Fische hinein, wobei das heisse Fett gewaltig anfing zu schreien.

»Anhören thut es sich ganz echt«, sagte Adolf.

Es mag nun wohl seine Berechtigung haben, dass man das Kochen eine Kunst nennt; die Fische wurden zwar »kross,« wie es Adolf verlangte, zugleich sahen sie aber ziemlich schwarz und unansehnlich aus, als sie fertig waren. Wir verzehrten sie auch mit Hingebung und Aufopferung, fanden aber, dass der Genuss, den uns dies Gericht bereitete, nicht ganz der Vorstellung entsprach, die wir uns davon gemacht hatten. Ausserdem wurde der Berserkerappetit unsers jugendlichen Alters durch das winzige Gericht so geschärft, dass wir es unmöglich fanden, auf den zweiten Gang, der doch auch nur aus einem ziemlich winzigen Vogel bestand, noch fast eine Stunde zu warten. Denn eine Stunde, meinten wir, brauche dies köstliche Gericht doch wohl sicher zu seiner Vollendung. Wir holten deshalb die Kartoffeln aus der Asche und ich verfiel darauf, kleine Stückchen Speck, auf ein Hölzchen gespiesst, am Feuer zu braten, und indem wir diese zu unsern Kartoffeln und zu unserm Brot verzehrten, beschäftigten wir uns eine ganze Weile eben so angenehm als nützlich.

Unterdessen war es gegen halb sieben Uhr geworden, die Sonne stand am Horizont, brannte mit einer grossen goldenen Glut durch die Stämme des Waldes und warf einen rötlichen Schein über den See und in die Wipfel der Baume. Es war ganz still, nur das zusammensinkende Feuer machte zuweilen leise, raschelnde Töne, oder ein stärkerer Ast, endlich von der Glut ergriffen, schoss puffend und zischend einen Dampfstrahl von sich. Der Kochtopf brodelte leise, das rieselnde Wasser der Quelle läutete wie mit kleinen Glöckchen, und zuweilen schrie fern im Wald ein Häher. Rief er vielleicht nach dem verlorenen Genossen?

Wir hielten nun endlich den Zeitpunkt für gekommen, uns über das letzte Gericht herzumachen, und da wir unterdes ziemlich satt geworden waren, so konnten wir uns dieser Delikatesse mit besonderer Gemütsruhe widmen. Ich holte zwei Steinguttassen herbei, und Adolf goss mit grosser Feierlichkeit die Bouillon hinein.

»Klar ist sie«, sagte ich, »aber bei mir zu Hause ist sie gelber.«

»Bei uns auch«, meinte Adolf, »so 'n Häher färbt doch furchtbar wenig ab beim Kochen.«

»Und Augen hat sie auch nicht«, meinte ich, »es ist blinde Suppe, wie Onkel Philipp sagt.«

»Die lassen sich mit Butter leicht hinein machen«, sagte Adolf. Wir halfen nun beide mit einem Flöckchen Butter nach, und als uns nun die Suppe mit vielen kleinen Augen freundlich ansah, fingen wir mächtig an zu blasen, denn das Getränk war sehr heiss.

»Die Bouillon sieht noch immer aus wie Wasser«, sagte Adolf etwas bekümmert.

»Sie schmeckt auch ähnlich so«, erwiderte ich, denn ich hatte endlich ein Schlückchen riskiert.

»Aber schön warm ist sie«, meinte Adolf, und so tranken wir die ein wenig nach Salz und Mohrrüben schmeckende Flüssigkeit ergebungsvoll hinunter.

Nun kam der feierliche Augenblick, wo Adolf seine Jagdbeute durch einen Längsschnitt mit seinem scharfen Taschenmesser zwischen uns teilte.

Der Vogel setzte dieser Prozedur einen unerwarteten Widerstand entgegen, und als nun jeder seine Hälfte verzehren wollte, bemerkten wir, dass der Häher, der ein streitbarer Vogel ist, auch nach seinem Tode sich noch zu wehren verstand, denn er war unbeschreiblich zäh.

»Das muss ein ganz alter Grossvater gewesen sein«, sagte ich, und da mir nun der Augenblick gekommen zu sein schien, wo ich mich für die verächtliche Bezeichnung »Katzenfische« zu rächen Gelegenheit hatte, so fuhr ich fort: »Wenn wir nun wirklich auf einer einsamen Insel wären und dieser Vogel uns unbekannt wäre, weisst du, wie ich ihn taufen würde? Ich würde ihn den ›Gummivogel‹ nennen, nicht Gummiarabikumvogel, nein Gummielastikumvogel.«

Adolf grunzte etwas gekränkt.

Wir machten dann in der Abenddämmerung einen Spaziergang um die Insel, eine Entdeckungsreise, wie wir es nannten. Im Westen stand noch ein goldener Schein, der allmählich verblasste. Wir sahen hinüber nach Steinhusen, dessen weisse Häuser aus dem dunkeln Grün der Obstbäume leuchteten. Auf dem Stege des Gutsgartens sahen wir kleine Figürchen, die nach uns zu blicken schienen, konnten aber niemand erkennen. Die Welt spann sich immer tiefer in Dämmerung und Dunkel ein, auf dem See lag ein Ungewisser Dunst, und ferne Waldhügel schauten schwarz herüber. Ein einsamer Kahn mit einem hochaufgerichteten Fischer am hinteren Ende zog wie ein Schattenbild durch die dunstige Fläche und verschwand allmählich im steigenden Nebel, so dass wir nur noch das taktmässige Rucksen der Ruder vernahmen. In den Dörfern am Ufer glomm hie und da ein Licht auf, und alles war still, nur zuweilen rief ein Wasservogel im Rohr, oder eine Eule schrie im nächtlichen Walde. Als wir zu unsrer Hütte zurückkehrten, war es ganz finster. Wir warfen eine Menge Holz auf das noch glimmende Feuer, setzten uns in seinem flackernden Schein auf die Bank vor dem Hause, freuten uns unsers freien Waldlebens und spannen Pläne für die Zukunft, während der Mond, rötlich durch den Dunst schauend, in einer Waldlücke emporstieg. Allmählich schlief unser Gespräch ein, und wir wurden müde. Nach einer Weile sagte Adolf nur noch: »Hier ist es doch fein!«

»Fein ist es hier«, antwortete ich.

Dann zogen wir nur unsre Stiefel und Strümpfe aus, denn als echte Waldmänner schliefen wir natürlich in unsern Kleidern, krochen in unser weiches Heubett, wickelten uns in die warmen Decken, und nach fünf Minuten schliefen wir schon.

Wir hatten wegen des milden Wetters unsre Thür- und Fenstervorhänge nicht geschlossen, und in der Nacht wachte ich einmal auf, denn der Mond war über die Waldwipfel emporgestiegen und leuchtete mir durch die eine Fensteröffnung gerade ins Gesicht. Durch die Thür kam der weisse Schein, überall von der Schwärze der Schatten sich scharf abhebend, und in seinem Lichte konnte man alles fast wie bei Tage erkennen. Ein leises Rascheln am Boden machte mich aufmerksam; es waren Mäuse, die, wohl angelockt vom Dufte unsrer Vorräte, nach Esswaren schnüffelten oder nach verlorenen Krümchen suchten. Ich sah deutlich eine Waldmaus, die zierlich wie ein Eichhörnchen auf den Hinterfüssen sass und zwischen den Pfötchen etwas drehte, das sie verzehrte. Plötzlich schoss auf das Tierchen zu ein dunkles, plumpes Etwas aus dem Schatten hervor mit fabelhafter Schnelligkeit und seltsam hin und her schwankend, ohne doch sein Ziel zu verfehlen, denn ich hörte fast zugleich das Quieken der gefassten Maus und ein behaglich befriedigtes Murksen. Es war ein Igel, der seiner nächtlichen Jagd oblag und alsbald mit der gefangenen Maus sich vor die Hütte zurückzog. Ich wartete noch eine Weile, ob sich ein solches Abenteuer nicht wiederholen würde, allein da alles still blieb, schlief ich sachte darüber wieder ein. Am nächsten Morgen gegen halb sechs Uhr, als die Sonne ihre ersten Strahlen durch die Stämme der Bäume sendete, standen wir auf, und unsre erste That war, dass wir uns entkleideten, über die kleine Wiese hinweg zum See liefen und uns in der Morgenkühle in das frische, klare Wasser stürzten. Die wilden Enten, an solche Störung nicht gewöhnt, standen mit klatschendem Flügelschlag aus dem Rohr auf und strichen in reissender Fahrt, wie geflügelte, langhalsige Flaschen anzusehen, davon, und einige Wasserhühner, die in der benachbarten Rohrbucht friedlich ihrem Gewerbe nachgegangen waren, liefen gleichsam mit den Flügeln über das Wasser hin, um in gesicherter Ferne sachte wieder einzufallen.

Nachdem wir uns eine Viertelstunde mit Schwimmen, Koboldschiessen und Untertauchen vergnügt hatten, rannten wir eine Weile zum Trocknen im Morgensonnenschein auf der Wiese umher, zogen uns wieder an und frühstückten beträchtlich. Kaffee und Thee und dergleichen höhere Kulturgetränke hatten wir mitzunehmen verweigert, Milch besassen wir natürlich auch nicht, und so tranken wir denn köstliches Wasser aus der Quelle und zehrten dazu von unsern Vorräten. Dabei bemerkten wir, dass die Mäuse in der Nacht den Weg in die Futterkiste richtig gefunden hatten und sehr niedliche Löcher in den Speck sowie in eine der Mettwürste gefressen hatten. Wir hielten nun ein grosses Schauri ab über diesen sehr bedenklichen Fall, und das Resultat unsrer Beratung war, dass wir unter der Decke unsrer Hütte ein an vier starken Bindfaden hängendes Brett anbrachten und auf diesem unsre Vorräte niederlegten, während wir die Würste an Nägel hingen, die ebenfalls in die Decke eingeschlagen waren. Auf diese ebenso einfache als sinnreiche Erfindung waren wir nicht wenig stolz, und wir fanden, dass das Ganze einen nahrhaften Eindruck machte und unsrer Hütte zu nicht geringem Zierat gereichte. Dann gingen wir wieder auf Entdeckungen aus, sammelten Holz und andre Vorräte, fanden einen wilden Apfelbaum mit fast reifen Früchten, betrieben Jagd und Fischfang, und so ging dieser Tag dahin wie der vorige, und weitere ähnlicher Art folgten ihm.

So war fast eine Woche vergangen und der Sonnabend herangekommen. Adolf war das Jagdglück wenig günstig gewesen, und er hatte seit jenem denkwürdigen Häher nur eine, natürlich ungeniessbare Krähe und zwei rotrückige Würger mitgebracht, die wir uns feierlich gebraten hatten. Dies mochte wohl zur Dämpfung seines Jagdeifers etwas beigetragen haben, denn an diesem Nachmittage geschah das Unerhörte, dass er sich erbot, zum Angeln auszufahren und es mir überliess, mit der Flinte mein Heil zu versuchen.

Ich konnte zuerst mein Glück gar nicht fassen, denn das Gewehr war Adolfs grösster Stolz, er war sehr eigen damit und hatte es noch niemals aus der Hand gegeben. Ich war so überzeugt von der Nutzlosigkeit solchen Versuches, dass ich noch nie gewagt hatte, ihn zu bitten, mir diesen von mir aufs höchste bewunderten Schatz auch einmal anzuvertrauen. Nun fiel dies Glück plötzlich aus blauer Luft auf mich herab, und nur mit Mühe gelang es mir, hierbei einigen männlichen Gleichmut zu heucheln. Adolf unterliess nicht, mir zuvor einen kleinen Vortrag zu halten, der mir ziemlich überflüssig erschien, denn mit einem Gewehr umzugehen, hatte mich Onkel Philipp längst gelehrt, aber meine Versicherungen nutzten mir nichts; ich musste unter seinen Augen Pulver und Schrot abmessen und die Flinte laden, und nach vielen weisen Ermahnungen, die mir höchst widerwärtig und überflüssig erschienen, liess er mich endlich gehen.

Ich hatte grosse Dinge vor. Kein Ritter, der auszieht, den Drachen zu töten, der die wunderschöne Prinzessin bewacht, war wohl je mit glänzenderen Hoffnungen in den Kampf gegangen. In meinem Arme lag Donner und Blitz und sicherer Tod, das heisst, wenn ich nicht vorbeischoss. Beim einsamen Herumstreifen hatte ich an dem entlegensten Teil der Insel auf einer kleinen Wiese am See schon zweimal einen stattlichen Hasen bemerkt, der diesen nahrhaften Fleck als seine Domäne zu betrachten schien, und der, da Adolf immer in einer andern Gegend der Insel seine Jagd betrieben hatte, durch uns in seinen beschaulichen Lebensgewohnheiten noch nicht gestört worden war. Dieser Hase konnte sich jetzt auf etwas gefasst machen, von dem er sich zurzeit wohl noch nichts träumen liess.

Die Sonne stand schon tief, als ich bei der Wiese ankam, und die Schatten der Erlen und Weiden, die das Ufer des Sees besäumten, fielen weit über sie hin. Ich hatte mich so leise herangeschlichen, als ich nur konnte, und liess nun mit klopfendem Herzen meine Augen über die grüne Fläche schweifen. Nichts war zu sehen; nur einige der schönen Herbstschmetterlinge, Admirale und Trauermäntel, schwankten dort am Waldrande herum, setzten sich zuweilen an die dunkeln Stämme und breiteten ihre schimmernden Flügel aus. Wahrhaftig, da war ja auch ein Distelfalter, der bei uns selten war, und den ich noch nicht in meiner kleinen Sammlung hatte. Aber heute lockte er mich nicht, mein Sinn stand auf ein höheres Wild.

Da der Wind von der Wiese zu mir stand, also günstig war für mein Vorhaben, so suchte ich nach einem geeigneten Platze, mich anzustellen. Ich fand einen alten Baumstumpf, zu beiden Seiten gedeckt von wilden Rosen und Weissdorn, die mit Geissblatt und Hopfen üppig durchrankt waren. Dort sass ich wie in einer grünen Nische, mit dem freien Ausblick über die ganze Wiese. Ich spannte den Hahn des Gewehres, legte dies schussbereit über die Kniee und wartete.

Rings war die abendliche Stille. Der Wind hatte sich ganz gelegt, das Rascheln des benachbarten Rohres war verstummt, und das Laub der Bäume stand wie versteinert im letzten Sonnenschein. Nur die Blätter einer Zitterpappel flimmerten unablässig durcheinander, wie von einem geheimnisvollen Luftzuge bewegt, oder als hatten sie eignes Leben. Zuweilen schnickte ein Rotkehlchen am Waldrand, zuweilen sprang ein Fisch im See, und von den Uferdörfern tönte fernes Hundegebell. Wenn eine Maus im welken Laube raschelte, lief es mir kalt den Rücken herunter, und manchmal hörte ich ein Geräusch wie von tappenden Schritten, das mir den Atem nahm. Aber es geschah nichts, die Wiese blieb leer. Die Schatten der Uferbäume waren nun ganz über sie hingewachsen, die farbigen Schmetterlinge waren verschwunden, über der Rohrwand, die den See einfasste, stand eine grosse, goldene Glut, und die Dämmerungsfalter begannen zu fliegen. Die Fledermäuse tauchten in schwankendem, lautlosem Geflatter aus dem Schatten gegen den hellen Himmel hervor und verschwanden dann wieder im Dunkel. Da, was war das für eine riesige Fledermaus? Nein, ich sah es ja gleich, es war ein Vogel, eine Nachtschwalbe, die mit geräuschlosem, schwankendem Segelflug hinter den Nachtschmetterlingen her war. Ich hörte ganz deutlich von Zeit zu Zeit das laute Zusammenklappen des Schnabels, wenn sie mit ihrem weiten Rachen ein Insekt gefangen hatte. Das Tier schien eine Vorliebe für diesen Platz zu haben, denn es war immer um mich herum, und zuweilen stand es rüttelnd in der Luft vor mir, als wolle es sich die sonderbare Erscheinung am Waldrande genau betrachten.


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