Heinrich Seidel
Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Heinrich Seidel

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V.

Von unsern ferneren Abenteuern auf der Insel ist nicht viel zu melden, denn unser Leben spann sich jetzt mit einer gewissen Einförmigkeit weiter. Dass Adolf von nun ab jeden Abend auf den Anstand ging, um auch einen Hasen zu schiessen, ist selbstverständlich. Ich hätte ihm wohl gegönnt, dass es ihm geglückt wäre, und doch war es keine unangenehme Empfindung für mich, wenn er Abend für Abend verdriesslich und mit leeren Händen zurückkam. Am Donnerstagabend trat Regenwetter ein, und wir fanden es sehr behaglich in unserm engen Häuschen, als wir frühzeitig in unsre Betten gekrochen waren und ich Adolf beim Scheine eines Talglichtes aus den mitgebrachten Büchern vorlas, während ein unablässig strömender Regen auf dem Dache und auf den Blättern trommelnd herniederging und allerlei Wassermusik, Plätschern, Rauschen, Gurgeln und klingendes Tropfen um uns war. Wir liessen uns dann von dieser Musik in den Schlaf singen, schliefen auch herrlich, bis ich plötzlich davon aufwachte, dass mir ein dicker Wassertropfen gerade auf die Nase fiel. Ich rückte beiseite und horchte. Das Geräusch des draussen unablässig strömenden Regens war noch ebenso, aber neue Töne hatten sich dazu gesellt, die nicht von draussen, sondern aus dem Innern der Hütte kamen. Hie und da ging es: »Tapp, tapp, tapp!« und zuweilen »Pirrr!« wie von schnell fallenden Tropfen, und dann wieder: »Tapp, tapp, tapp!« an verschiedenen Stellen, zum Beispiel auf meiner Bettdecke. Ich griff dorthin und fand sie schon ziemlich nass. Zugleich fiel ein Tropfen klatschend auf meine Hand. Unser so mühsam und kunstvoll konstruiertes Dach schien solchen Naturereignissen doch nicht gewachsen zu sein. Unterdes rührte es sich auch schon im Nachbarsbett, und Adolf fragte: »Du, regnet es bei dir auch durch?«

»Sehr!« sagte ich.

Ich schlug nun Feuer und machte Licht und wir besahen den Schaden. Bei Adolf war es nur eine Stelle, die leckte, bei mir zwei; die übrigen thaten uns keinen Schaden, da der Tropfenfall unsere Betten nicht traf. Adolf, findig wie immer, sprang plötzlich heraus, holte sich den Tisch, lehnte ihn schräg gegen die Wand, so dass er ein Schutzdach für ihn bildete, und das Wasser unschädlich ablaufen konnte. Dann kroch er behaglich wieder unter und blinzelte unbeschreiblich schlau auf mich hin.

Ja, er war nun schön heraus, was sollte ich aber machen mit meinen zwei Leckstellen, die unablässig weitertropften? Plötzlich kam es mir wie eine Erleuchtung. Ich stellte unsere zwei Stühle mit der Lehne gegen mein Bett. Dann riss ich die Leinwand, mit der die Seitenwand benagelt war, unten und an den Seiten los, liess sie nur oben an der Decke fest und spannte sie wie ein Zelt über mein Bett, indem ich sie mit einigen Steinen auf den Stühlen festlegte. Diese beschwerte ich dann mit unserm Koffer und rückte sie ein wenig ab, dass sich die Leinwand recht stramm spannte, und kroch dann mit vergnügtem Schmunzeln, von Adolfs bewundernden Blicken verfolgt, unter mein improvisiertes Zelt. Wir schliefen bald ein und verbrachten den Rest der Nacht ungestört.

Der andre Tag war recht trübselig, denn es regnete unablässig weiter, und unser Dach leckte wie ein Sieb. Zwar verstärkten wir den Schutz über den Betten, so gut wir konnten, doch eröffneten sich neue Tropfstellen, und wenn es so weiter regnete, konnte die Nacht lieblich werden. Am nächsten Tage, am Sonnabend, war unsre Zeit abgelaufen, aber wegen des bischen Regens heute schon zurückzukehren, war gegen unsre Ehre. Wir streiften trotz des Wetters ziemlich trübselig auf der Insel herum. Das hohe, nasse Gras liess seine tropfenbeschwerten Rispen hängen, auf allen Blättern trommelte es unablässig, und alle Zweige weinten dicke Thränen. Im Uferrohr raschelte der endlose Regen, der graue See war ein einziges wimmelndes Gehüpfe, und jede Fernsicht war im Regenschleier verschwunden; nur blass und verschwommen waren die waldbedeckten Uferberge noch sichtbar. Gegen Nachmittag liess der Regen nach und hörte schliesslich ganz auf, doch düstre Wolkenberge im Westen zeigten, dass dies nur eine Gnadenfrist war und für den Abend und die Nacht neuer Regen zu erwarten stand. Wir waren zu dieser Zeit gerade im Walde, in der Nähe des Ufers, wo wir bemüht waren, möglichst trockenes Holz für unser Abendfeuer zu lesen, als es heller wurde und sogar die Sonne für einen Augenblick hervorbrach. Wo wir waren, öffnete sich eine Waldlücke auf den See, und in diesem lag gerade an dieser Stelle die kleine Insel mit der alten, verfallenen Fischerhütte, die wir immer das Hexenhaus nannten. Wir sahen in einem Rahmen von Waldwipfeln das kleine Eiland mit seiner Umrandung von Schilf und Buschwerk, mit seinem mächtigen Weidenbaum und dem alten, grauen Häuschen darunter wie ein Bild in hellem Sonnenscheine daliegen. Dahinter erhob sich dunkel der Uhlenberg. Da hatte ich plötzlich einen Einfall.

»Du«, sagte ich zu Adolf, »der Regen kommt doch noch wieder, und dann weichen wir ganz auf in der Nacht. Ich weiss was. Wir machen eine Entdeckungsreise nach der Fischerinsel, und wenn wir sie gehörig entdeckt haben, da gehen wir in das Hexenhaus und machen uns ein Feuer an und essen unser Abendbrot. Und nachher steigen wir auf den Heuboden und schlafen dort die Nacht. Da regnet es nicht durch, denn das Dach ist im vorigen Jahre erst geflickt worden.

»Feine Idee,« antwortete Adolf.

Da wir nun kein Holz mehr brauchten, liessen wir es liegen, gingen nach unsrer Hütte, verproviantierten uns aus den Resten unsrer Vorräte, steckten Stein und Stahl und Zunder zu uns, setzten uns in unser Kanoe und ruderten an dem Schilfstreifen entlang, der die beiden Inseln fast verband und nur in der Nähe der Fischerinsel durch einen Kanal tiefern Wassers unterbrochen war. Als wir die Insel nahe vor uns sahen, wollte Adolf in diesen Kanal einbiegen, um den freien Landungsplatz zu gewinnen, der an der andern Seite der Insel vor dem Hexenhause lag; ich aber sagte: »Wo denkst du hin? Dies ist ja eine geheimnisvolle Expedition in ein unbekanntes Land. Hast du je gelesen, dass die Wilden oder die Waldleute und Jäger ihre Kanoes offen liegen lassen bei solcher Gelegenheit? Nein, sie verstecken sie unter überhängendem Gebüsch, in geheimnisvollen Felsenhöhlen oder in hohlen Bäumen.«

Das leuchtete Adolf ein, und wir fuhren nun langsam um die Insel herum und suchten nach einem geeigneten Platz. Fast überall aber wuchs das Rohr weit in den See hinaus, bis endlich eine Stelle kam, wo das Ufer wohl steiler abfiel und nur ein schmaler Rohrstreifen das Inselchen umsäumte. Dahinter erhob sich ein stattlicher Weidenbusch. Dieser Ort erschien uns geeignet, wir trieben unser schmales Fahrzeug ins Rohr und suchten es durch Fortstossen mit den Rudern am Grunde so nahe als möglich an Land zu schieben. Da es nun durch das Rohr festgehalten und zugleich nach unsrer Ansicht genügend verborgen war, so sprangen wir an das Land und fingen an, es zu entdecken. Von seiner geliebten Flinte hatte sich Adolf heute zu seinem Leidwesen trennen müssen, da wir fremdes Jagdgebiet betraten, denn die Insel gehörte zu einem anderen Dorfe, und so waren wir nur mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und trugen unsre hölzernen Tomahawks im Gürtel.

Die kleine Insel war bald erforscht; sie bestand nur aus einer nicht zu grossen Wiese, am Rande von einzelnem Buschwerk und einem breiten Rohrgürtel umgeben. An ihrem höchsten Punkte erhob sie sich etwa zwei Meter über den Wasserspiegel, und dort lag ganz in der Nähe des hier von Rohr befreiten Ufers die alte, verlassene Fischerhütte.

Es war unbeschreiblich nass auf der Wiese, allein wir hatten die Buschrangerhosen in unsre wasserdichten Schmierstiefel gesteckt und machten uns wenig daraus. Schliesslich fing es aber ganz sachte wieder an zu regnen, und da wir oberwärts schon ziemlich durchfeuchtet waren, so suchten wir unter Dach zu kommen. Die Hütte war prachtvoll, und wir bedauerten eigentlich, dass wir nicht eher auf die Idee gekommen waren, ihr einen Besuch abzustatten. Wie sie so dalag, unter der alten, mächtigen Weide, mit ihrem geflickten Rohrdach, das mit Moos und andern Pflanzen bewachsen war, und wie sie mit zwei kleinen, schwarzen, scheibenlosen Fenstern tückisch auf uns hinstarrte! Die alte schiefe Thür, die nicht mehr zu schliessen war, hatte etwas von einem bösen, zahnlosen Grinsen an sich, das zu sagen schien: »Kommt nur herein, ihr feinen Knaben; hier könnt ihr was erleben, wenn der Menschenfresser nach Hause kommt um Mitternacht.« Neben der Thür stand ein mächtiger Holunderbaum, über und über bedeckt mit grossen Beerentellern, die sich schon zu schwärzen anfingen. Auch er hatte etwas Düsteres und Geheimnisvolles an sich, als sei sein üppiger Wuchs aus blutgedüngtem Boden aufgeschossen. Ringsum war eine dichte Wildnis von Kälberkropf, Kletten, Disteln und mannshohen Nesseln. Inwendig hatte die Hütte nur einen einzigen Raum. In einer Ecke war ein aus Ziegeln roh gemauerter Herd mit einem Rauchfang darüber, daneben lehnte eine Leiter, die durch ein Loch in der Decke auf den Heuboden führte. Bei dem Herde war etwas trockenes Holz aufgestapelt, da die Leute beim Heumachen sich hier ihr Essen zu wärmen pflegten; sonst war ausser einer ganz roh gezimmerten Bank, einer leeren Kiste und einem Haublock nichts in diesem Raume als eine Anzahl von Flaschenkorken, die sich hier im Laufe der Jahre angesammelt hatten und bei wechselndem Luftzuge auf dem morschen Fussboden bald hierhin, bald dorthin rollten. Solche Hütten waren es, die in den Geschichten vorkamen, die wir gelesen hatten, solche Hütten waren es, in denen immer die seltsamsten und aufregendsten Abenteuer stattfanden. Man wurde darin entweder von den Wilden belagert, oder wenn man dort vor einem Unwetter Schutz suchte, fanden sich zu gleichem Zwecke einige bis an die Zähne bewaffnete unheimliche Gesellen ein, mit denen nicht gut zu verkehren war. Diese Hütten bildeten die gelegentlichen Unterschlupfe von Räubern, Mördern, kinderstehlenden Zigeunern, entlaufenen Sträflingen und ähnlichen interessanten Persönlichkeiten aus den Randgebieten der menschlichen Gesellschaft.

Wir versuchten nun zunächst ein Feuer auf dem Herde zu entzünden, um uns den Raum, in dem es schon dunkelte, behaglicher zu gestalten. Bei den Abenteuern der letzten Nacht aber war unser Zunder nass geworden, was wir bis jetzt nicht gemerkt hatten, und obwohl wir fast eine halbe Stunde abwechselnd Feuer pinkten, das Zeug wollte nicht Funken fangen. Das war betrübend, denn wir hatten es uns sehr romantisch vorgestellt, in der alten, verlassenen Hütte um das Feuer zu sitzen, unsre mitgebrachten Vorräte zu verzehren und uns Jagdgeschichten und Abenteuer zu erzählen. So assen wir denn unser Abendbrot trübselig im Dunkeln, auf den Regen horchend, der draussen unablässig niederrieselte, und zum ersten Male ward uns klar, wie unvollkommen das menschliche Leben ist, wenn man Feuer und Licht entbehren muss.

Bis gegen acht Uhr hockten wir dort noch zusammen, und in unsern Herzen entbrannte eine Sehnsucht nach den Segnungen der Zivilisation, ein Heimweh nach guten Betten, warmen, erleuchteten Stuben, geregelten Mahlzeiten und freundlichen Menschengesichtern. Unsre Heimat stand uns in einem neuen, schönen Lichte da, und wir freuten uns, dass wir morgen dahin zurückkehren würden, wir freuten uns auf alles, auf das Wiedersehen mit unsern Eltern, auf Haus und Garten, ja sogar ein ganz klein wenig auf die Schule.

Gegen acht nahmen wir unsre mitgebrachten Sachen zusammen und stiegen auf den Heuboden. Wir bereuten, dass wir uns dort nicht umgesehen hatten, als es noch hell war, denn nun war es stockfinster, und wir mussten uns mühsam dort oben zurechttappen. Doch entdeckten wir, auf den Knieen herumkriechend, bald, dass nach vorne zu der Raum fast bis zum First mit Heu gefüllt war, während es um die Öffnung herum nur wenige Fuss hoch lag, Als wir dies festgestellt hatten, machte ich mich daran, die Leiter hochzuziehen, und forderte Adolf auf, mir dabei zu helfen. Er erklärte dies für Unsinn, ich aber sagte: »Was? Du willst ein echter Waldläufer sein und vernachlässigst die einfachsten Vorsichtsmassregeln? In den Geschichten wird immer die Leiter hochgezogen in solchem Falle; das gehört sich einfach so.«

Als wir die Leiter nach oben genommen hatten, legten wir sie hochkantig, indem wir sie in das aufgeschichtete Heu fest einbohrten, neben die Einsteigöffnung, so dass sie gleichsam ein Geländer bildete und zwischen diesem und dem schrägen Dache ein abgegrenzter Schlafraum für uns entstand. Dann wühlten wir uns mollig in das Heu ein und versuchten zu schlafen. Es war aber noch früh, und die Müdigkeit wollte nicht kommen. Die ungewohnte Situation und der starke Heuduft mochten auch wohl das Ihrige thun, und obwohl der Regen sanft und eintönig auf dem Rohrdache trommelte und wir warm, trocken und weich dalagen, wollte der Schlaf doch nicht kommen. Wir unterhielten uns davon, was wir alles thun würden, wenn wir wieder nach Hause kämen, wir schwiegen eine Weile und fingen wieder an zu reden, wir gähnten umschichtig mit Kraft und Hingebung, aber wenn eben einer glaubte, der andre sei eingeschlafen, da fing der wieder an zu sprechen.

Da endlich – es mochte wohl etwas nach neun Uhr sein – war mir, als höre ich vom See her das Rucksen eines Ruders. Ich richtete mich auf und lauschte. Ich vernahm den Ton deutlich noch ein paarmal, dann war es still. Doch nach einer Weile wurde der Ton schwerer Schritte vernehmlich. Ich drückte Adolf den Arm und flüsterte: »Still, da kommt jemand«. Er lauschte nun mit mir. Jetzt knarrte die Thür und sang eine deutliche Melodie; tappende Schritte suchten unten den Weg im Dunkel, dann gab es einen Ruck. Der da unten musste sich an der Bank gestossen haben, die vor dem Herde stand, denn man hörte einen halb unterdrückten Fluch. Nach einer kleinen Weile vernahmen wir das Pinken von Stahl und Stein und sahen, wie den Schimmer ferner Blitze, den schwachen Wiederschein der springenden Funken. Endlich hörten wir starkes Blasen, und dann flammte es auf, wie wenn man einen Schwefelspan entzündet. Es ward wieder dunkler, doch nach einer Weile stand in der Bodenöffnung ein gleichmässiges schwaches Licht und man hörte, wie etwas mit blechernem Klange auf die Steine des Herdes gesetzt wurde.

Dann vernahmen wir ein Schurren, wie wenn eine Bank zurechtgerückt wird, und ein Geräusch, als wenn sich jemand schwerfällig niedersetzt, dann den Ton eines Korkes, der aus einer Flasche gezogen wird, und hinterher mehrfaches Glucksen. Als der Mensch dort unten getrunken hatte, schüttelte er sich, und man hörte, wie er die Flasche mit spitzem Ton auf den steinernen Herd setzte. Wir sprachen natürlich kein Wort, hatten aber unsre Hände gefasst und drückten sie kräftig.

Ich war der Öffnung zunächst, und wenn ich mich etwas höher aufrichtete, musste ich hinunterblicken können, denn jetzt sah ich nur den Schein des Lichtes auf dem oberen Teil der Wand. Ich fürchtete mich nur, dass die Schleete, die den Boden bildeten, knarren würden, doch war zum Glück die Schicht Heu, auf der wir lagen, einige Fuss dick, und so gelang es mir mit grosser Vorsicht, mich ohne jedes Geräusch umzudrehen und mich auf die Kniee zu erheben. Was ich nun sah, erfüllte mich mit nicht geringem Schreck, denn vor dem Herde sass, das Kinn in die Hand des aufs Knie gestützten Armes geschmiegt und scheinbar mit finsteren Gedanken in das Licht der Laterne starrend, ein Mensch, den ich wohl kannte.

Ich beugte mich zu Adolfs Ohr nieder, und meinen Mund ganz dicht daran legend flüsterte ich fast lautlos das eine Wort: »Driebenkiel.«

Wir hatten aber keine Zeit, uns der Verwunderung über diese Thatsache hinzugeben oder Vermutungen zu hegen, was der Mensch an diesem Orte vorhabe, denn neue Schritte wurden vernehmlich; Driebenkiel drehte sich auf seiner Bank und wandte sein Gesicht dem Eingange zu.

Die Thür knarrte wieder und spielte dieselbe Melodie wie vorhin, und Driebenkiel sagte: »Na, Jochen, gaud, dat du dor büst; ick dacht' all, du keemst nich. Büst natt? Na, ick heww ut 'e Stadt 'ne grote Buddel von Kopmann Bauchen an 'n Lowisenplatz sinen Blagen mitbröcht, do warm di man ierst 'n beten mit up.«

Jochen Nehls trat nun in den Schein der Laterne, ergriff sachgemäss und kenntnisreich die Flasche und gluckste eine Weile mit Hingebung. Dann schüttelte er sich und sagte: »Dei Blag' is gaud.«

Er setzte sich, sah eine Weile nachdenklich auf die Schnapsflasche hin, räusperte sich, als würde es ihm sauer, den Satz herauszubringen, und sagte dann: »Je, je, dat is nu so 'n Saak!«

»Ick will di seggen«, rief Driebenkiel, »wat mit dei Saak los is! Dei Saak is riep! Morgen inne Nacht föllt dei Appel von 'n Bom!«

»Kannst du nich 'n annern tau Hülp nehmen?« fragte Jochen Nehls und starrte wieder auf die Flasche hin, die offenbar den einzigen interessanten Gegenstand für ihn in diesem Raume bildete.

»Wo sall ick woll einen finnen?« fragte Driebenkiel; »dei annern sünd jo all olle Nuschen. Du büst dei einzigste Kierl in dei ganze Gegend. Du hest di den Wind von dei ganze Welt ümme Näs' weihn laten. Du hest kein'n Anhang, du kannst dauhn un laten, wat du wist. Szü, dei Gelegenheit, so as morgen inne Nacht, kümmt so licht nich werre. Wahmkow ut Barnin, dei nu jo dei ganz' Woch' dor is un min Arbeit makt, dei führt jeden Sünnabend tau Hus na sin Fru un kümmt ierst Mandag früh werre. Stina ehr Oellern wahnen in min Dörp. Dor heww ick nu hürt, dat Stina ehr Sünndag besäuken will. Wahmkow bringt ehr, wenn hei na Hus führt, räwer un nimmt ehr Mandag werre mit. In 'n Dorp is Austköst, un dor will sei eins danzen. Dei Oll un dei Ollsch sünd denn ganz allein, un up den ganzen Uhlenbarg is wiere kein Minsch.«

»Aewer dei Hund!« knurrte Jochen Nehls.

»Kümmst all werre mit dinen dämlichen Hund«, sagte Driebenkiel; »den Hund nehm' ick up mi. Kiek mal her, weisst, wat dat is?«

Er knisterte mit Papier, wickelte einen kleinen Gegenstand aus und hielt ihn Jochen Nehls unter die Nase. »Weisst, wat dat is? Dat sünd so 'n Pillen, wo Föster Dankwart dei Vöss un dei Fixköters mit vergeben deiht. Strickenin seggen s' dortau, un ward inne Aftehk blot up 'n Giftschien verköfft. Heww ick mi muust, as ick nielich bi 'n Föster int Holt up Arbeit wäst bün. Von ein so 'n Pill is dei gröttste Hund in fiew Minuten dodt.«

Jochen Nehls starrte nachdenklich auf die Pille und dann wieder auf die Flasche: »Je, je, dat is nu äwer doch so 'n Saak«, sagte er.

»Na, drink man ierst noch mal eins«, sagte Driebenkiel, »dat du mihr Kraasch krigst.«

Jochen Nehls that das gern und gluckste wieder eine ganze Weile. »Dei Blag' is sihr gaud«, sagte er dann, als er die Flasche niedersetzte.

»Wist 'n bäten uppe Zigarr' smöken?« sagte Driebenkiel dann; »ick heww 'n poor mitbröcht von Kopmann Bauchen, von dei ganzen finen, wo 't man twei för 'n Schilling (6-1/4 Pfennig) von gift.«

Sie brannten sich nun beide eine Zigarre an, damals ein noch ganz ungewöhnlicher Genuss für Leute ihrer Art, und pafften eine Weile, um die Dinger gehörig in Gang zu bringen. Der Geruch des Knellers verbreitete sich in dem dämmerigen Raume und zog auch lieblich zu uns herauf. »Hier kann 'n doch 'n Wurt snaken«, sagte Driebenkiel; »dor in dei Gaststuw wir ümmer dei infamtige Jung un makte lange Uhren. Ore dor keemen anner Lür. Nu hür mal ollig tau, dei Saak is ganz enfach. Din sündagsch Tüg treckst du an, un 'n poor Hemden und Strümp binnst du in 'n Dauk; din annern poor Plünnen lettst du dor, dei brukst du nich mihr, wenn wi ierst dat väle Geld hebben. Un vertellst morgen jedwerein, dei dat hüren will, dat du Sündag dinen Braure besäuken willst in dei Wismeer. Ick heww hüt all in min Dörp rümsnakt, dat ick na Güstrow wanken wull, wo minen Vadder sin Swesterdochter wahnen deit.«

»Klock tein, denn führst mit dinen Kahn af, un wi drapen uns hier. Klock elm führen wi räwer, un ick besorg' dat ierst mit den Hund. Du bliewst so lang in den Kahn. Wenn dei Hund bi Siet is, denn gahn wi up Söcken na dat Hus. In den Keller sünd an ein Finster dei isern Traljen intwei, dei ein kann 'n rutnehmen, dat weit keiner as ick, un is von binnen un buten gor nieh tau seihn. Dor kän'n wi ganz licht dörch, un dei Keller, wat so 'ne Ort Vörkeller is, dei is nich tauhlaten, hett ok gor kein Slott. Ick gah denn mit dei Lücht vöran und du ümmer dicht achter mi. Dei Oll slütt sick nich in, ne, dei ein Dör na dei Nebenstuw steiht ümmer up, un dor is 'n Babenfinster apen von wegen dei frische Luft. Wenn wi an disse Dör sünd, denn weit ick ganz genau, wo sin Bett steiht. Ich stell ganz sachten minen Kauhfot bi Siet, un mit einen Satz rin un krieg em mit ein Hand anne Gördel, un mit dei anner holl ick em wiss. Wat ick för Kraasch heww, dat weisst du jo. Denn büst du mit den Knebel fix bei dei Hand un steckst em denn' in 't Mul, un denn bin'n wi em. Nahst känen wi mit den Kauhfot ganz gemütlich dat Wandschapp upbreken inne anner Stuw. Dat is inne Muer inlaten un hett man 'ne gewöhnliche iserne Dör, un dor is 'n Bild äwerhängt, dat keiner dat Slätellock seihn sall, un dat dor inne Tapet 'ne Dör is. Denn nehmt wi uns dat boor Geld un, wat dei Hauptsaak is, dei Diamanten un Rubins, dei sünd Hunnertdusende wihrt. Wenn allens gaud geiht, denn hett dei Ollsch gor nix hürt; sei slöppt jo in 't Nebenhus, wo dei Käk is und dei annern Wirtschaftsrüm. Dei möt nu ok bunnen und knebelt warden, dat sei kein'n Larm sleit, wenn t' Morgen ward un sei markt, wat äwer Nacht los wäst is. Sei hett sick ok 'n gadlichen Hümpel Geld spoort, dat hett s' in 'n groten Strump in ehr Bett verstäken, dit bäten Fett tappen wi ehr ok noch af, anner Fett behöllt sei jo so noch naug. Un denn up Deubel hal äwern See, un dor gahn wi an Land dicht bi Hageböken, wo dei Scheseh vörbilöppt, dor hewwt wi man twei Stunn' scharp tau gahn na dei Iserbahn, na dei Statschon, wo dei Nachttog höllt. Sünndag morns ganz früh sünd wi denn all in Hamborg. Un wenn wie dor ierst sünd, denn will'n wi woll na Engelland un na Lonnen kamen. Dor gähn alle Dag Dampers hen. Bet Mandag morgn weit kein Minsch wat von dei Geschicht, un denn: ihre sei dor achter kamen, dat wi dat wäst sünd, un dat Gericht achter uns her is, dor känen wie all lang up hoge See sin.«

»Dei Oll un dei Ollsch kennen di doch!« sagte Jochen Nehls zweifelhaft.

»Bi dei ganze Geschicht«, erwiderte Driebenkiel eifrig, »ward kein Wurt snackt, un swarte Däuker mit Löcker in för dei Oogen heww ick ok all trecht makt, dei binn' wi uns för 't Gesicht, – wen sall uns denn woll kennen?«

Es entstand eine Weile Schweigen, bis Jochen Nehls endlich wieder zögernd sagte: »Je, je, je, dat is nu doch so 'n Saak!«

»Jochen Nehls, du büst 'n Hamel!« rief Driebenkiel entrüstet. »Du möst jewoll ümmer ierst fiew Toll hoch Snaps inne Maag' hebben, wenn du 'n Kierl warden sast. Hest mi nich all wer weit wo oft dei Hand up geben, dat'e mit bi sin wist? Da sup noch mal ierst, dat'e Kraasch kriegst. Wo kannst woll so nählig sin!«

Jochen Nehls that einige mächtige Züge aus der Flasche, und schien sie nur ungern wieder abzusetzen.

»Dat is doch einen ganzen moigen Blagen!« sagte er dann.

»Je szü,« rief Driebenkiel ermunternd, »wenn wi nu ierst säker in Lonnen sünd, denn sünd wi rieke Lür, und du kannst supen, soväl as du wist. Dor hebben s' doch woll feinen Snaps?«

»Tau den einen seggen sei Whisky«, erwiderte Jochen Nehls; »dei is bannig stark un duhnt ossig. Un scharpen Rum hebben s' dor. Un ok dat Beir is nich sonne Plürr as uns' Lüttjedünn hier. Dat ein süht gäl ut, dor seggen s' Aehl tau, un dat anner swart, dat heit Poarter. Dor sitt bannige Kraasch in.«

»Ja«, sagte Driebenkiel, »denn kannst alle Dag so väl Whisky un Rum un Aehl un Poarter drinken, as du jichtens wist, un kannst Oeusters äten, wenn du dei Dinger magst, – mi sünd sei gräsig.«

»Oeusters sünd fein«, erwiderte Jochen Nehls, und der Stolz auf seine überlegene Weltkenntnis kam zum Durchbruch, »äwer wat dei Buer nich kennt, dat frett hei nich. As wi eins in Jujork in 'n Haben liggen dehren, dor hebben Klas Brathiering un ick uns 'n ganzen Emmer vull von 'n Fischer köfft, dei dor grar vörbikeem – dei kosten dor gor kein Geld – un wi hebben nich ihrer uphürt, as bet dei Emmer lerrig wir.«

»Dat 's jo gräsig,« sagte Driebenkiel, »dor kann 'k noch ihrer begriepen, dat dei Adbor Poggen frett. Na, is egal, wer 't mag, dei mag 't, un wenn sei di man smekken. Wenn w' ierst in Lonnen sünd, kannst di alle Dag so 'n Emmer vull köpen, denn hewwt wi Drüttels naug. Du hest dor, glöw ick, ümmer noch gor kein Insicht von, wat bi den Ollen tau halen is. Boor Geld ward hei woll man bloss 'n poor dusend Daler tau liggen hebben, denn sin Geld, dat steiht in Hamborg up Tinsen, un dor reist hei um Johanni rüm alle Johr hen un bringt sick denn von sinen Bankjeh so väl mit, as hei dat Johr äwer bruken deiht, un taugliek köfft hei dor allerhand utlandsch Vagels un Beisters un Muschels un wat süss för Kram. Dat is ümmer 'n olligen Upstand, wenn dat Veihtüg von 'n Bahnhof afhalt ward. Aewer wat dei Hauptsaak is, dat sünd dei Stein, dei Diamanten und dei Rubins, dei hei sick von Merika mitbröcht hett von dei Brunsilien, as sei dortau seggen. Dei meisten hett hei all lang verköfft, un dorvon stammt sin grotes Vermägen. Denk di doch man, as hei Borna köpen dehr, wo nu sin Swiegersöhn wirtschaft', dor hett hei dat Gaud boor betahlt, un sünd doch äwer viertig Last von den besten Acker. Aewer weck von dei besten Stein hett hei behollen, dor hett hei sin'n Spass an. Dei meisten hett hei sick in Amsterdam sliepen laten, weck sünd äwer ok noch so, as sei funnen warden, wo sei gor nich recht na wat utseihn dauhn. Aewer dat segg ick di, dei hei hett sliepen laten, dei glummern di as Füer un Sünnenschien un as dei Däu's Morns up dei Wischen in 'n Junimand. Ick heww dat all jo gor nich wüst, bet dat eins verläden Johr dei grote Jubelierer ut Hamborg kamen dehr, dei em weck von dei Dinger afköpen wull. Dor hebben s' den ganzen Dag tausamen säten bi dei Stein, un dat Wunnerwarken von den Jubelierer harrst du mal hüren süllt. Dat wir jo 'n Schatz, hett hei seggt, dor müsst dei Oll mit na Paris un Lonnen reisen, dor wir dor dei Mark för. Dei ein Stein, dei harr jo binah viertig Grad, Karat. dei gellte jo allein äwer hunnertdusend Daler. Un för teindusend Daler hett hei em afköfft, twei Stein von fief Grad un noch 'n Dutz anner, dei lütter wiren, – denk di blot, so 'n lütten Hümpel blanke Stein in dei holle Hand un denn teindusend Daler! Un as ick den Jubelierer 'n annern Morgen wedder äwer den See führen dehr, dor wir hei idel vergnäugt un süng un quinkeliert ümmer för sick hen, as wenn hei mit sin teindusend Dalers einen ganzen finen Rebbes makt harr.

»Sühst du, Jochen Nehls, dat hett mi bannig in dei Ogen stäken un is mi nich werre ut 'n Sinn gahn. Dei Oll is jo so riek, hei weit jewoll gor nich mal, woväl Geld hei eigentlich hett, un denn noch dei Stein, dei so bi em rümliggen. Hei bliwwt jo noch ümmer 'n rieken Mann, wenn wi em dei afknöpen. Wat? Un mit dat Dorig-rümliggen hett dat denn 'n Enn', dei will'n wi woll labennig maken, wenn dat ierst Pund Sparlings worden sünd. Dei Sparlings will'n wi fleigen laten, wat, Jochen Nehls?! Szü, denn kannst du ki 'n Bedeinten hollen, un inne Glaskutsch führen, un Schampanni supen, un Tabak smöken dat Pund tau 'n Daler. Und du büst doch min Fründ, Jochen Nehls! Wo oft heww ick di nich friehollen, un wo oft heww ick nich seggt, du wirst dei einzigste Kierl in 't ganz Dörp. Un du wist mi in 'n Stich laten un hest mi doch dei Hand up geben, dat'e mit bi sin wist? Szü, un du kannst engelsch un du weisst Bescheid in Lonnen; wat süll ick dor woll anfangen, wenn du nich bi mi büst un ick von dat utlandsch Gesnater kein Wurt verstah? Un wenn s' mi fragen: ›Hau du ju du?‹ wat sall ick ehr för ne Antwurt geben? Wenn ich denn segg: ›Hau du di sülwst‹, denn boxen s' mi jewoll gliek, un boxen kann ick nich. Den dänschen Kuss, denn' kann ick, un dei kann einen jo 'ne schöne Hülp sin, wenn 't Iernst ward, äwer mit dei Juden un dei Jubelierers kann ick mi up dei Ort doch nich verkloaren.«


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