Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Man hatte allgemein geglaubt, Eveline Berenger sei nicht unter die Obhut der Aebtissin, ihrer Tante, sondern in strengeren Gewahrsam gebracht worden; aber das war ein Irrtum. Freilich, selbst diese Haft war streng genug; denn unverheiratete Tanten, ob Aebtissinnen oder nicht, sind eben nicht sehr duldsam gegen die Irrtümer, deren man Eveline anklagte; und das unschuldige Mädchen mußte ihr Brot in Scham und Bitterkeit essen. Mit jedem Tag wurde ihre Haft unerträglicher durch den Spott, den sie unter den verschiedensten Gestalten, bald als Mitleid, bald als Trost, bald als Ermahnung erdulden mußte, der aber, seiner Hülle entkleidet, offenbar nichts wie der Ausdruck des Zorns und der Beschimpfung war. Rosens Gesellschaft allein hielt sie aufrecht und auch diese wurde ihr endlich an demselben Morgen entrissen, als so viele wichtige Begebenheiten sich zu Garde Douloureuse ereigneten.

Die junge, unglückliche Lady befragte umsonst eine sauertöpfische Nonne, die an Rosens Stelle erschien, ihr beim Ankleiden zu helfen, warum man ihre Gesellschafterin und Freundin nicht bei ihr ließe. Ueber diesen Punkt behauptete die Nonne ein hartnäckiges Schweigen, warf aber dagegen manche Bemerkungen hin über die Wichtigkeit, die man der eitlen Ausschmückung eines gebrechlichen Kindes, vom Staube geboren, beilege, und über das harte Los, daß eine Braut des Himmels gezwungen sei, ihre Gedanken von ihren höheren Pflichten abzulenken und statt dessen Häkchen zu festigen und Schleier zierlich zu legen.

Die Aebtissin erzählte indes ihrer Nichte nach der Frühmette, daß ihre Dienerin nicht nur auf eine kurze Zeit von ihr entfernt sei, sondern wahrscheinlich in ein Kloster von der strengsten Regel eingeschlossen würde, da sie ihrer Gebieterin Beistand geleistet habe, Damian de Lacy in ihr Schlafzimmer im Schlosse von Baldringham einzulassen.

Ein Krieger von de Lacys Mannschaft, der bis dahin verschwiegen hatte, was er in jener Nacht gesehen, hatte jetzt zu Damians Unglück geglaubt, sich selbst durch Erzählung der Geschichte einen Vorteil zu verschaffen. Dieser neue Schlag, so unerwartet, so niederwerfend – diese neue Beschuldigung, die so schwer aufzuklären und unmöglich ganz zu widerlegen war, schien Evelinens und ihres Geliebten Schicksal zu besiegeln. Der Gedanke aber, in ihr Verderben ihre innige, treue, hochherzige Dienerin verwickelt zu haben, fehlte noch, sie in einen Zustand zu versetzen, der der Fühllosigkeit der Verzweiflung sich näherte. »Denkt von mir, was Ihr wollt,« sagte sie zu ihrer Tante, »ich will mich nicht länger selbst verteidigen – sagt, was Ihr wollt, ich will nicht mehr antworten – bringt mich, wohin Ihr wollt, ich will nicht länger widerstehen – Gott wird zu seiner Zeit, meinen guten Namen wiederherstellen – möge er meinen Verfolgern vergeben!«

Nach dieser Erklärung schlich Eveline an diesem traurigen Tage auf den leisesten Wink der Aebtissin oder der ihr zur Dienerin beigegebenen Nonne blaß, kalt und schweigend von der Kapelle zum Refektorium, vom Refektorium wieder zur Kapelle, und schien die verschiedenen Entbehrungen, Nutzungen, Ermahnungen und Vorwürfe, denen sie während dieses Tages in einem außerordentlichen Maße ausgesetzt war, nicht mehr zu empfinden, als die Bildsäule von Marmor die Unfreundlichkeit der rauhen Luft und die Regentropfen fühlt, die auf sie fallen und mit der Zeit sie verwüsten und verzehren müssen.

Die Aebtissin, die ihre Nichte liebte, wiewohl sich ihre Zuneigung auf eine sehr quälende Art zeigte, wurde endlich unruhig – nahm den Befehl zurück, Eveline in eine schlechtere Zelle zu setzen, ließ in ihrer eigenen Gegenwart sie zu Bette bringen (worein, wie in alles andere, die junge Lady widerstandslos willigte), und mit einer Art von wiederauflebender Zärtlichkeit küßte sie sie und gab ihr den Segen, als sie das Zimmer verließ. So geringfügig auch dieses Zeichen der Freundlichkeit war, so war es doch unerwartet, und gleich dem Stabe des Moses, öffnete es die verborgene Wasserquelle. Eveline weinte, eine Erleichterung, die ihr den Tag über noch nicht vergönnt gewesen war, – sie betete – und endlich schluchzte sie sich selbst wie ein Kind in Schlaf, nachdem ihr Gemüt dadurch einigermaßen beruhigt worden, daß sie diesen Wogen einer inneren Bewegung einen freien Durchbruch verschafft hatte.

Sie erwachte in der Nacht mehr als einmal, sich ineinandergemischte Träume zurückrufen von Zellen und Burgen, Leichenbegängnissen und Hochzeitsfeier, Wappenkronen, Folter und Galgen; aber gegen Morgen fiel sie in einen sanfteren Schlaf, als ihr bisher zuteil geworden, und auch die Träume wurden sanfter. Unsere Frau von Garde Douloureuse schien in ihren Träumen auf sie herabzulächeln und ihrer Geweihten Schutz zu verheißen. Der Schatten ihres Vaters zeigte sich auch, und mit der Kühnheit der Träumenden betrachtete sie des Vaters Bild mit Ehrerbietung, aber ohne Furcht. – Seine Lippen bewegten sich – sie hörte Worte – ihren Inhalt verstand sie nicht, nur daß sie von Hoffnung, Trost und nahender Glückseligkeit sprachen. Auch glitt leise hinein, die glänzenden blauen Augen auf sie gerichtet, gekleidet in eine Tunika von safrangelber Seide, mit einem himmelblauen Mantel nach altertümlichen Schnitt, eine weibliche Gestalt im höchsten Glanze der Schönheit. Es war, wie es ihr vorkam, die Britin Vanda; aber ihre Gesichtszüge hatten nicht mehr den zürnenden Ausdruck, ihr langes gelbes Haar flog nicht mehr aufgelöst um ihre Schultern, sondern war geheimnisvoll mit Eichenlaub und Misteln durchflochten. Vor allem aber ragte in reizvoller Stellung ihre rechte Hand unter dem Mantel hervor, und es war nicht mehr eine verstümmelte, sondern eine unbefleckte, schön geformte Hand, die die Evelinens drückte. Doch mitten unter diesen Zeichen der Gunst lief ein Schauer durch Evelinens Seele, als die Erscheinung zu wiederholen oder zu singen schien:

Als Gattin, Witwe, als Jungfrau – in Ehe,
Braut, Verräterin, selber verraten, Wehe!
Es ist geschehen, wie's hieß, daß es geschehe.
Gerächt ist also Bandas Wunde:
Nimm hier der Versöhnung Kunde.

Sie beugte sich nieder, als wollte sie Eveline küssen, die in diesem Augenblick aufschrak und erwachte. Und wirklich wurde ihre Hand sanft von einer anderen gedrückt, die so zart und weich war wie ihre eigene. Die blauen Augen und das schöne Haar eines lieblichen Gesichtes, mit verschleiertem Busen und aufgelösten Locken nahte sich in der Tat mit ihren Lippen denen der liebenswürdigen Schläferin im Augenblick des Erwachens; aber es war Rose, in deren Armen Eveline sich fühlte, die ihr Gesicht mit Tränen benetzte, indem sie mit der innigsten Liebe sie zugleich mit Küssen bedeckte.

»Was bedeutet das, Rose?« sagte Eveline. »Gott sei Dank Du bist mir wiedergegeben! Doch was bedeuten diese ausbrechenden Tränen?«

»Laßt mich weinen – laßt mich weinen,« sagte Rose. »Schon lange ist's, daß ich nicht vor Freuden weinte, und lange, hoffe ich, soll es währen, ehe ich wieder vor Kummer weine. – Nachrichten sind in aller Eile von Garde Douloureuse gekommen. – Amelot hat sie gebracht, er ist in Freiheit – sein Herr auch und in hoher Gunst bei Heinrich. – Hört noch mehr – aber laßt es mich nicht so schnell sagen, Ihr werdet blaß!«

»Nein, nein!« sagte Eveline. – »Fahre fort – fahre fort – ich denke, ich verstehe Dich – ich denke so.«

»Der Bösewicht Randal de Lacy, der an allen unseren Leiden schuld ist, wird Euch nicht mehr quälen. Er ist von einem ehrlichen Waliser erschlagen worden, und es tut mir leid, daß sie den Mann für den guten Dienst gehängt haben. Aber die Hauptsache ist, der wackere alte Connetable ist selbst von Palästina zurückgekehrt, ebenso achtungswert als sonst und etwas klüger, als er war; denn es heißt, er wolle seiner Verbindung mit Ew. Herrlichkeit entsagen.«

»Albernes Mädchen!« sagte Eveline, ebenso hoch errötend, als sie zuvor erblaßte. »Scherze nicht bei einer solchen Erzählung. – Aber wie? – Kann dies Wahrheit sein? – Ist Randal wirklich erschlagen? – Der Connetable wirklich zurückgekehrt?«

Nun folgten hastig ausgestoßene Fragen, ebenso hastig und verwirrt beantwortet und vermischt mit Ausbrüchen des Erstaunens, des Danks gegen den Himmel und Unsere Frau, bis das Uebermaß des Entzückens nachließ und in ruhigere Verwunderung überging.

Indessen mußte auch Damian de Lacy Aufklärung erhalten, und die Art, wie er sie empfing, hatte etwas Merkwürdiges. Damian war seit einiger Zeit der Bewohner eines Aufenthalts, den man heutzutage einen Kerker nennen würde, in jenen älteren Zeiten jedoch nur als Haftzelle bezeichnete. Man kann uns vielleicht tadeln, daß wir anerkannte überwiesene Verbrecher mit menschlicherer Wohnung und Nahrung versehen, als sie selbst sich, wenn sie in Freiheit wären, durch fleißige Arbeit würden verdienen können, doch ist dies ein verzeihlicher Irrtum, verglichen mit dem unserer Vorfahren, die Anklage und Ueberführung als gleichbedeutend betrachteten, und den Angeklagten vor der Verurteilung auf eine Weise behandelten, die selbst schon nach einer Anerkennung der Schuld die schärfste Strafe gewesen wäre. Damian war demzufolge trotz seiner hohen Geburt und seinem ausgezeichneten Rang auf eben die Weise, wie man mit dem ruchlosen Verbrecher zu verfahren pflegte, eingekerkert worden. Mit schweren Ketten beladen, erhielt er nur die allergröbste Nahrung und mußte in einer einsamen Zelle, deren klägliches Gerät aus einer schlechten Bettstelle, einem zerbrochenen Tisch und einem Stuhl bestand, über sein Unglück nachsinnen. Ein Sarg – sein Wappen und sein Monogramm befanden sich auf demselben – stand in einem Winkel, ihn an sein nahendes Schicksal zu erinnern, und ein Kruzifix stand in einem andern, ihm anzudeuten, daß es noch eine andere Welt gäbe, jenseit derjenigen, welche sich bald für ihn verschließen würde. Kein Geräusch konnte in die eiserne Stille seines Gefängnisses eindringen – kein Laut, aus dem er sein Schicksal oder das seiner Freunde hätte erraten können. Angeklagt, im offenen Kriege gegen seinen König gefangen worden zu sein, war er dem Kriegsgesetz anheimgefallen, und konnte ohne förmliches Verhör hingerichtet werden; auch erwartete er kein anderes Ende seiner Gefangenschaft.

Diese melancholische Wohnung war nun fast einen Monat Damians Aufenthalt gewesen, als, so sonderbar es scheinen mag, seine Gesundheit, die so sehr unter seinen Wunden gelitten hatte, allmählich sich wiederherzustellen begann. Entweder war ihr die strenge Diät vorteilhaft, zu der er gezwungen war, oder aber die Gewißheit, wie traurig sie sein mag, ist mancher Natur zuträglicher, als der fiebrische Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht. Doch schien jetzt das Ende seiner Gefangenschaft nahe bevorzustehen; sein Wärter, ein grämlicher Sachse aus der niedrigsten Klasse, begann ihn, wortreicher, als er gewöhnlich war, zu ermahnen, daß er sich auf eine baldige Veränderung seines Zustandes gefaßt machen sollte, und der Ton, in dem er sprach, überzeugte den Gefangenen, daß keine Zeit zu verlieren sei. Er forderte einen Beichtvater, und der Gefangenenwärter, obwohl er ohne Antwort sich entfernte, schien durch sein Benehmen anzudeuten, daß dieses Verlangen wohl erfüllt werden würde.

Am nächsten Morgen zu einer ungewöhnlich frühen Stunde, ließ sich das Rasseln und Knarren von Ketten und Riegeln hören, und Damian wurde aus dem bisher ununterbrochenen Schlaf erweckt, den er seit ein paar Stunden genossen hatte. Seine Augen richteten sich auf die langsam sich öffnende Türe, als erwarte er den Scharfrichter und seine Gehilfen; aber der Kerkermeister führte einen kräftigen, gedrungenen Mann in Pilgerkleidung herein.

»Ist es ein Priester, den Ihr mir bringt, Wärter?« fragte der unglückliche Gefangene.

»Er kann die Frage am besten selbst beantworten,« sagte der mürrische Beamte und entfernte sich sogleich.

Der Pilger blieb gleich beim Eingang stehen, mit dem Rücken nach dem kleinen Fenster oder sogenannten Luftloch, durch das die Klause nur ein sehr unvollkommenes Licht empfing, und blickte scharf auf Damian hin, der auf dem Rande seines Bettes saß, und dessen bleiche Wangen und verworrene Haare in traurigem Einklang mit seinen schweren Ketten standen. Er erwiderte den Blick des Pilgers, aber das unvollkommene Licht ließ ihn nur soviel sehen, daß der Fremde ein kräftiger alter Mann sei, der die Jakobsmuschel an seinem Hute trug, zum Zeichen, daß er über das Meer gefahren war, und einen Palmenzweig in der Hand hatte, zum Zeichen, daß er das heilige Land besucht habe.

» Benedicite, ehrwürdiger Vater,« sagte der junge Mann. »Seid Ihr ein Priester, und kommt Ihr, mein Gewissen zu entlasten?«

»Ich bin kein Priester,« erwiderte der Pilger, »sondern einer, der Euch sehr trostlose Nachrichten bringt.«

»Ihr bringt sie einem, dem Trost schon lange etwas Fremdes ist, und an einem Orte, der ihn niemals kannte,« erwiderte Damian.

»Nm so freimütiger kann ich in meiner Mitteilung sein,« sagte der Pilger. »Wer sich in Betrübnis befindet, wird leichter böse Nachrichten ertragen, als der, den sie mitten in Zufriedenheit und Wohlsein überraschen.«

»Aber die Lage eines Elenden,« sagte Damian, »kann noch elender werden durch Ungewißheit. Ich bitte Euch, ehrwürdiger Herr, das Schlimmste mit einem Wort auszusprechen. – Kommt Ihr, das Todesurteil dieser armseligen Gestalt anzukündigen, so möge Gott der Seele gnädig sein, die so gewaltsam von ihr losgerissen wird.«

»Ich habe keinen solchen Auftrag,« sagte der Pilger. – »Ich komme aus dem heiligen Lande, und beklage es um so mehr, Euch hier zu finden, weil meine Botschaft für den freien und reichen Damian de Lucy bestimmt war.«

»Von meiner Freiheit,« sagte Damian; »laß diese Ketten, von meinem Reichtum dieses Gemach sprechen. – Doch melde Deine Neuigkeiten! – Sollte mein Oheim, denn ich fürchte, Deine Erzählung betrifft ihn, meines Arms und meines Vermögens bedürfen, so enthalten dieser Kerker und meine Erniedrigung mehr Qualen, als ich geglaubt hätte.«

»Euer Oheim, junger Mann,« sagte der Pilger, »ist ein Gefangener, ich wollte vielmehr sagen, ein Sklave des großen Sultans, in dessen Hände er in einer Schlacht fiel, wo er sich ungemein auszeichnete, obwohl es ihm nicht möglich war, die Niederlage der Christen abzuwenden. Er wurde gefangen genommen, als er den Rückzug deckte, doch erst, nachdem er, zu seinem Unglück, wie sichs nachher auswies, Hassan Ali, den Liebling des Sultans, erschlagen hatte. Der grausame Heide ließ den würdigen Ritter in noch schwerere Eisen schlagen, als Ihr ertragt, und gegen seinen Kerker ist dies ein Palast. Des Ungläubigen erster Entschluß war, den tapfern Connetable den furchtbarsten Tod, den seine Peiniger nur erfinden konnten, leiden zu lassen. Aber er erfuhr, daß es ein Mann von großem Reichtum und Einfluß sei' und so hat er ein Lösegeld von zehntausend goldenen Byzanthinern gefordert. Euer Oheim erwiderte ihm, daß eine solche Zahlung ihn gänzlich arm machen und ihn zwingen würde, alle seine Ländereien loszuschlagen, wobei ihm dann auch Zeit gewährt werden müßte, sie zu Gelde zu machen. Der Sultan versetzte, daß ihm wenig daran gelegen wäre, ob ein Hund, wie der Connetable, fett oder mager würde, und daß er dennoch auf den vollen Betrag des Lösegeldes bestehe. Doch so viel gab er nach, die Zahlung in drei Terminen annehmen zu wollen, unter der Bedingung, daß zugleich mit dem ersten Teil des Geldes der nächste Verwandte und Erbe de Lacys ihm als eine Geisel für die noch fällige Schuld überliefert würde. Unter dieser Bedingung willigte er ein, daß Euer Oheim in Freiheit gesetzt werden sollte, sobald Ihr in Palästina mit dem Gelde angelangt wäret.«

»Nun mag ich mich erst recht in der Tat unglücklich nennen,« sagte Damian, »daß ich meinem Oheim, der mir Waisenkind immer ein Vater gewesen, nicht Liebe und Treue zeigen kann.«

»Es wird das ohne Zweifel eine schwere Enttäuschung für den Connetable sein,« sagte der Pilger. »Da er sich ungemein sehnte, in dieses glückliche Land zurückzukehren, um seine Vermählung mit einem Fräulein von hoher Schönheit und großem Reichtum zu vollziehen.«

Damian schauderte zusammen, daß seine Fesseln klirrten, antwortete aber nichts.

»Wäre er nicht Euer Oheim,« fuhr der Pilgrim fort, »und als ein verständiger Mann sehr wohl bekannt, so sollte ich denken, hierin sei er nicht ganz klug zu Werke gegangen. Wie er auch vorher in England gewesen sein mag, zwei Sommer, im Kriege und in Palästina zugebracht, und ein dritter in der qualvollen Entbehrung eines heidnischen Gefängnisses, haben einen gar trübseligen Bräutigam aus ihm gemacht.«

»Ruhig, Pilgrim,« sagte de Lacy mit gebietendem Tone. »Es geziemt Dir nicht, einen edlen Ritter wie meinen Oheim zu beurteilen, noch geziemt es mir, daß ich auf Eure Bemerkungen höre.«

»Ich bitte um Verzeihung, junger Mann,« sagte der Pilger. »Ich hatte dabei nur Euer Bestes im Auge. Für Euch kann es doch wohl nicht von Vorteil sein, wenn Euer Oheim einen leiblichen Erben bekommt.«

»Schweige, niedriger Mensch!« sagte Damian. »Beim Himmel, ich denke schlechter von meiner Klause als zuvor, seit ihre Türen sich einem solchen Ratgeber öffneten, und schlechter von meinen Ketten, weil sie mich daran hindern, ihn zu züchtigen. – Mach', daß Du davon kommst, ich bitte Dich.«

»Nicht eher, als bis ich Eure Antwort für Euren Oheim habe,« antwortete der Pilger. »Mein Alter verachtet den Zorn Deiner Jugend, wie der Fels den Schaum, den der Bach gegen ihn spritzt.«

»So sagt meinem Oheim,« antwortete Damian. »Ich bin selbst ein Gefangener, sonst käme ich zu ihm geeilt. – Ich bin ein seines Vermögens beraubter Bettler, sonst wollte ich ihm alles bringen, was mein ist.«

»Solche tugendhaften Vorsätze sind leicht und keck ausgesprochen,« sagte der Pilger, »wenn der, der sie ausspricht, weiß, daß er nicht aufgefordert werden kann, die Prahlerei seiner Zunge wahrzumachen. Aber konnte ich Dir die Wiederherstellung Deines Reichtums und Deiner Freiheit verkünden, da will ich meinen, Du würdest es Dir noch einmal klüglich überlegen, ehe Du in der Tat das Opfer brächtest, daß Du in Deiner gegenwärtigen Lage so glattweg versprichst.«

»Verlasse mich, ich bitte Dich, alter Mann,« sagte Damian. »Deine Gedanken können die meinigen nicht fassen – geh und füge zu meinem Unglück nicht noch Schmähungen, die ich nicht zu rächen imstande bin.«

»Aber wie, wenn ich die Gewalt hätte. Dich wieder zum freien reichen Manne zu machen, würdest Du mir dann erlauben, Dich an Deine gegenwärtige Prahlerei zu erinnern? – Ist dem aber nicht so, so kannst Du auf meine Verschwiegenheit bauen, nie werde ich die verschiedenen Gesinnungen des gefangenen und freien Damian verraten.«

»Was meinst Du damit? oder hast Du überhaupt nur im Sinne, mich zu martern?« fragte der Jüngling.

»Nicht also,« antwortete der Pilger und zog aus seinem Busen eine Pergamentrolle hervor, an welcher ein großes Siegel befestigt war. – »Wisse, Dein Vetter Randal ist auf eine seltsame Weise erschlagen worden, und auf ebenso seltsame Art kam seine Verräterei gegen den Connetable und Dich ans Licht. Um Dich für Deine Leiden zu entschädigen, hat der König Dir hiermit die volle Verzeihung gewährt und Dich mit dem dritten Teil der weitläufigen Besitzungen belehnt, die durch Randals Tod der Krone anheimgefallen sind.«

»Und der König hat mir auch meine Freiheit zurückgegeben?« rief Damian aus.

»Von diesem Augenblicke an – auf der Stelle« – sagte der Pilger – »schaut auf dieses Pergament! – Betrachtet des Königs Handschrift und Siegel!«

»Ich muß einen bessern Beweis haben. – Hierher!« rief er aus und rasselte zugleich mit den Ketten. – »Hierher, Du Murrkopf, Du Wärter, Sohn eines sächsischen Wolfshundes!«

Der Pilger, an die Tür schlagend, unterstützte diese Bemühung, den Schließer herbeizurufen, der alsbald eintrat.

»Du, Kerkermeister!« rief Damian sehr ernst, »bin ich noch Dein Gefangener oder nicht?«

Der grämliche Kerkermeister befragte den Pilger mit einem Blick und antwortete dann dem Damian, daß er frei sei.

»Daß Dich der Henker hole, Sklave!« sagte Damian ungeduldig, »Warum umspannen diese Ketten noch die freien Glieder eines normannischen Edlen? Jeder Augenblick, den sie ihn noch fesseln, wiegt eine ganze Lebenszeit eines solchen dienstbaren Leibeigenen, wie Du bist, auf!«

»Sie sind bald abgenommen, Sir Damian,« sagte der Mann. »Ich bitte nur um Geduld. Erinnert Euch nur, daß noch vor zehn Minuten ihr wenig Ursache hattet, zu denken, diese Armbänder würden jemals zu anderm Zweck abgenommen werden, als um Euch zum Schafott zu führen.«

»Ruhig, verfluchter Hund!« sagte Damian, »und beeile Dich! – Und Du, der Du mir diese gute Kunde gebracht hast, ich vergebe Dir Dein voriges Betragen. Du dachtest ohne Zweifel, es sei gut getan, mir noch in den Banden Versprechungen abzulocken, die zu erfüllen mir die Ehre gebieten würde, sobald ich mich in Freiheit befände. Der Argwohn hatte allerdings etwas Beleidigendes, doch Deine Absicht war ja, meines Oheims Freiheit zu sichern.«

»Und ist es denn wirklich Euer Vorsatz,« sagte der Pilger, »Eure neugewonnene Freiheit zu einer Reise nach Syrien anzuwenden und Euer englisches Gefängnis gegen den Kerker des Sultans zu vertauschen?«

»Wenn Du selbst mein Führer sein willst, so sollst Du nicht sagen, daß ich nur einen Augenblick auf der Reise säumte.«

»Und das Lösegeld,« sagte der Pilger, »wie soll das herbeigeschafft werden?«

»Wie? Wie anders als von den Gütern, die dem Namen nach mir verliehen, nach Wahrheit und Recht meinem Oheim gehören und zuerst zu seinem Nutzen angewendet werden müssen.

Wenn ich mich nicht sehr irre, so wird mir jeder Jude oder Lombarde die nötige Summe auf diese Sicherheit hin vorschießen. Darum, Du Hund!« fuhr er, gegen den Gefangenwärter gewendet, fort, »schließ die Klammern etwas schneller um, fürchte nicht, daß Du mir Schmerzen machen konntest, nur zerbrich mir nicht die Glieder!«

Der Pilger sah eine kleine Weile zu, wie verwundert über Damians festen Entschluß. Dann rief er aus: »Ich kann des alten Mannes Geheimnis nicht langer bewahren – eine solche hochherzige Großmut soll nicht das Opfer werden. – Höre nur, braver Sir Damian, ich habe noch ein mächtiges Geheimnis Dir zu vertrauen, und da dieser sächsische Bauer kein Französisch versteht, so kann ich es Dir in seiner Gegenwart sagen. Wisse, Dein Oheim ist ebensosehr in seinem Charakter verändert, wie sein Körper schwach und gebrechlich geworden ist. Verdrießliches Wesen und Eifersucht haben Besitz von einem Herzen genommen, das einst männlich und großmütig war. Sein Leben geht nun auf die Neige, und es tut mir leid, es zu sagen, diese Neige ist verdorben und bitter.«

»Ist das Dein mächtiges Geheimnis?« sagte Damian, »daß Menschen alt werden, weiß ich, und wenn mit Schwäche des Körpers auch Schwache des Geistes oder Gemütes eintritt, so fordert ihr Zustand um so mehr die pflichttreue Aufmerksamkeit derer, die durch Bande des Bluts oder der Liebe den Kranken nahe stehen.«

»Aber des Connetable Herz ist voll Gift gegen Dich, weil ihm von England aus zu Ohren gekommen ist, daß zwischen Dir und seiner verlobten Braut Eveline Berenger ein Liebesverhältnis bestände. – Ha! habe ich jetzt den rechten Fleck getroffen?«

»Nicht im geringsten,« sagte Damian, alle Kraft aufbietend, mit der das Bewußtsein seiner Unschuld ihn zu beseelen vermochte. – »Der Bursch da berührte nur etwas unsanft mein Schienbein mit seinem Hammer. – Fahr fort! – Mein Oheim vernahm diesen Bericht und hielt ihn für wahr?«

»Er hielt ihn für wahr,« entgegnete der Pilger, »das kann ich wohl versichern, da er keinen seiner Gedanken vor mir verbarg. Aber er bat mich, sorgfältig Euch seinen Argwohn zu verhehlen. Sonst, sagte er, wird der junge Wolf sich schwerlich in die Falle wagen, um den Alten zu befreien. Ist er aber erst einmal hier in meinem Gefängnisse, fuhr Euer Oheim fort, dann mag er hier vermodern und umkommen, ehe ich einen Pfennig zur Befreiung des Liebhabers meiner Verlobten sende.«

»Das sollte mein Oheim im Ernst denken!« sagte Damian, höchst bestürzt. »Er konnte so verräterisch gesinnt sein, mich in der Gefangenschaft zu lassen, in die ich freiwillig ging, um ihn zu erlösen? – Pah! das kann nicht sein!«

»Schmeichelt Euch nicht mit falscher Hoffnung,« sagte der Pilger. »Geht Ihr nach Syrien, so geht Ihr zu ewiger Gefangenschaft, während Euer Oheim zum Besitz seines nur um ein weniges verminderten Reichtums zurückkehrt und Eveline Berenger heiratet!«

»Ha!« rief Damian aus, und einen Augenblick zu Boden sehend, fragte er den Pilger mit unterdrückter Stimme, was er ihm in dieser äußersten Not zu tun rate.

»Die Sache ist ganz einfach nach meiner geringen Meinung,« entgegnete der Pilger. »Niemand ist an seine Treue gegen diejenigen gebunden, die selbst keine gegen ihn zu beobachten gedenken. Kommt diesem Verrat Eures Oheims zuvor, laßt sein ohnehin noch kurzes und schwaches Dasein in jener verpesteten Klause vermodern, zu der er Eure jugendliche Kraft verdammen will. Die königliche Gnade hat Euch Ländereien genug zu einem ehrenvollen Auskommen angewiesen; und warum wollt ihr nicht damit die von Garde Douloureuse vereinigen? – Eveline Berenger, wenn ich nicht sehr irre, wird schwerlich Nein sagen. Ja, noch mehr, ich will meine Seele darauf verwetten, sie sagt Ja; denn ich bin genau von ihren Gesinnungen unterrichtet. Was ihre Verlobung anbetrifft, ein Wort von König Heinrich an seine Heiligkeit den Papst, die beide jetzt gerade voll Freude über ihre Versöhnung sind, wird von dem Pergament den Namen Hugo verwischen und Damian an seine Stelle setzen!«

»Ja, bei meinem Glauben!« sagte Damian, wobei er aufstand und seinen Fuß auf den Stuhl setzte, damit der Gefangenwärter desto leichter den letzten Ring, der ihn noch umgab, abstreifen konnte. »Ich habe von allen dergleichen Dingen gehört, – ich habe von Wesen gehört, – die mit scheinbarer Würde in Wort und äußerer Gebärde – mit gar seinen, künstlich den Schwächen der menschlichen Natur angemessenen Ratschlägen die Hütten verzweifelter Menschen heimsuchen und ihnen die lockendsten Versprechungen machen, den Pfad zur Seligkeit zu verlassen und ihre Nebenwege einzuschlagen. – Das sind des Satans teuerste Helfershelfer; auf solche Art ist der böse Feind selbst erschienen. – Im Namen Gottes, alter Mann, bist Du ein menschliches Wesen, so entferne Dich! – Ich will nicht Deine Worte, noch Deine Gegenwart! – Ich speie Deine Ratschläge an! – Und nimm Dich in acht!« setzte er in einer drohenden Bewegung hinzu, »gleich werde ich freie Hände haben!«

»Knabe,« erwiderte der Pilger und schlug verächtlich seine Arme in seinen Mantel, – »ich verachte Deine Drohungen – ich verlasse Dich nicht, bis wir einander besser kennen lernen.«

»Auch ich,« sagte Damian, »möchte wohl wissen, ob Du Mensch oder Teufel bist – und nun zur Probe!« – Während er sprach, fiel die letzte Schelle von seinen Füßen rasselnd auf den Boden, und zu gleicher Zeit sprang er auf den Pilger zu, faßte ihn um den Leib, und indem er dreimal verzweifelt versuchte, ihn in die Höhe zu heben und kopfüber auf die Erde zu schleudern, rief er aus: »Dies für die tückische Behandlung eines Edelmanns! Dies für den Zweifel an der Ehre eines Ritters! dies« – (mit dem äußersten Kraftaufwande) – »für die Beschimpfung einer Lady!«

Jede Anstrengung Damians schien kraftvoll genug, einen Baum zu entwurzeln, dennoch, obwohl er den alten Mann zum Wanken brachte, konnte er ihn doch nicht niederwerfen; und als Damian nach dem letzten stärksten Angriff noch keuchte, erwiderte dieser: »Und Du nimm dieses, da Du so grob umgehest mit Deines Vaters Bruder!«

Mit diesen Worten stürzte Damian, der beste jugendliche Ringer in Cheshire, nicht eben sanft auf den Boden des Kerkers. Langsam und erstaunend erhob er sich. Aber der Pilger hatte nun seinen Hut und das geistliche Gewand abgeworfen, und die Gesichtszüge, wiewohl sie Spuren des Alters und des Klimas trugen, waren die seines Oheims, des Connetables, der nun ruhig die Worte sprach: »Ich denke doch, Damian, Du bist stärker geworden und ich schwächer, seit meine Brust an die Deinige sich preßte in unsers Landes gern geübtem Spiele. Du hättest mich bei der letzten Wendung bald niedergestreckt, nur daß ich den alten Rückengriff der de Lacys noch ebensogut kenne wie Du. – Aber warum knien, Mensch!« Er hob ihn mit großer Freundlichkeit auf, küßte seine Wange und fuhr fort: »Denke nicht, mein teuerster Neffe, daß ich unter dieser Verkleidung Deine Treue auf die Probe stellen wollte, woran ich selbst nie zweifelte! Aber böse Jungen sind geschäftig gewesen, und das brachte mich doch auf diesen Versuch, dessen Erfolg, wie ich erwartete, so ehrenvoll für Dich gewesen ist. So wisse (denn diese Mauern haben zuweilen Ohren, auch im buchstäblichen Sinne) es gibt hier in nicht großer Entfernung Augen und Ohren, die alles gehört und gesehen haben. – Meiner Treu! ich wünschte, Deine letzte Umarmung wäre nicht so ernsthaft gemeint gewesen. – Meine Rippen fühlen noch den Druck Deiner Knöchel!«

»Teuerster, verehrter Oheim,« sagte Damian, »entschuldigt –«

»Hier ist nichts zu entschuldigen,« entgegnete sein Oheim, ihn unterbrechend, »Haben wir nicht schon manchesmal miteinander gerungen? – Doch noch eine Prüfung bleibt Dir zu bestehen. – Schleunigst begib Dich aus diesem Loche – lege Deinen besten Anzug an, mich in der Mittagsstunde zur Kirche zu begleiten, denn, Damian, Du mußt bei der Vermählung der Lady Eveline zugegen sein!«

Diese Aufforderung schlug mit einenmale den jungen Mann zu Boden. »Um des Himmels willen!« rief er aus, »darin entschuldigt mich, mein gütiger Oheim! Ich bin vor kurzem sehr schwer verwundet worden und bin noch sehr schwach.«

»Wie meine Knochen es bezeugen können,« sagte sein Oheim. »Wie, Mensch? Du hast die Stärke eines norwegischen Bären.«

»Leidenschaft,« entgegnete Damian, »mag mir für einen Augenblick Stärke gegeben haben; aber, teuerster Oheim, verlangt alles andre, nur nicht das. Ich sollte denken, wenn ich gefehlt habe, konnte irgend eine andere Strafe genügen.«

»Ich sage Dir,« erwiderte der Connetable, »Deine Gegenwart ist notwendig – unumgänglich notwendig. – Seltsame Gerüchte sind im Umlauf, die Deine Abwesenheit bei dieser Gelegenheit nur zu sehr bestätigen würden. Evelinens Ruf verlangt es.«

»Wenn dem so ist,« sagte Damian, »so wird keine Aufgabe für mich zu schwer sein. Aber ich hoffe, wenn die Zeremonie vorüber ist, werdet Ihr mir erlauben, das Kreuz zu nehmen, wenn Ihr es nicht vorzieht, daß ich mich den Truppen anschließe, die, wie ich höre, zur Eroberung von Irland bestimmt sind.«

»Nun, nun,« sagte der Connetable, »wenn Eveline Euch ihre Erlaubnis gibt, so will ich Euch die meinige nicht vorenthalten.«

»Oheim,« sagte Damian etwas unmutig, »Ihr kennt die Gefühle nicht, mit denen Ihr Euren Scherz treibt.«

»Nun,« sagte der Connetable, »ich zwinge Dich zu nichts. Doch wenn Du zur Kirche kommst und die Heirat Dir nicht recht ist, so magst Du, wenn Du willst, Einspruch tun – das Sakrament kann nicht ohne des Bräutigams Einwilligung vollzogen werden.«

»Ich verstehe Euch nicht, Oheim,« sagte Damian, »Ihr habt ja bereits eingewilligt.«

»Ja, Damian,« sagte er, »ich habe eingewilligt, meine Ansprüche zurückzunehmen und ihnen zu Deinen Gunsten zu entsagen. Denn wenn Eveline heute vermählt wird so – bist Du der Bräutigam. – Die Kirche hat ihre Bestätigung gegeben – der König seine Einwilligung – die Lady sagt nicht nein – und nur die Frage bleibt übrig, ob der Bräutigam Ja sagen will.«

Die Antwort läßt sich leicht erraten. Auch ist es nicht nötig, bei dem Glänze der Zeremonie zu verweilen, die, seine unverdiente Strenge gut zu machen, Heinrich mit seiner Gegenwart beehrte. Amelot und Rose wurden bald darauf verbunden, nachdem vorher der alte Flammock durch Verleihung eines Wappens zum Edelmanne erhoben worden war, damit das edle normännische Blut sich ohne Entweihung mit dem geringern Strome vermischen könnte, der der schönen Flamländerin Wangen rötete. In dem Benehmen des Connetables gegen seinen Neffen und dessen Braut zeigte sich nichts, was darauf hätte deuten können, daß ihm die großmütige Selbstverleugnung leid täte, die er zu Gunsten ihrer jugendlichen Liebe bewiesen hatte. Aber bald nachher übernahm er eine hohe Befehlshaberstelle bei den Truppen, die zum Angriff auf Irland bestimmt waren; und sein Name steht unter den ausgezeichnetsten in der Liste der ritterlichen Normannen verzeichnet, die zuerst die schöne Insel mit der englischen Krone vereinigten.

Eveline, in den Besitz ihres schönen Schlosses und ihres Eigentums eingesetzt, unterließ es nicht, ihren Beichtiger sowohl als ihre alten Kriegsleute, Diener und Beamten zu versorgen, indem sie ihnen ihre Verirrungen vergaß und nur ihrer Treue gedachte. Der Beichtiger kehrte zu den Fleischtöpfen Aegyptens zurück, die seiner Natur besser zusagten als die magere Kost eines Klosters. Selbst Gillian erhielt die Mittel zu ihrem Unterhalte, denn hätte man sie bestrafen wollen, wäre auch der treue alte Raoul betroffen worden. Sie zankten sich bei gutem Auskommen ebenso, wie sie sich vorher in der Armut gezankt hatten. Denn bissige Hunde knurren sich ebensogut über einem Braten an wie über einem Knochen. Der einzige verdrießliche Auftritt, den Lady Eveline nun noch erlebte, war der Besuch ihrer sächsischen Verwandten, der mit großer Feierlichkeit abgestattet wurde, aber unglücklicherweise zu derselben Zeit, die die Frau Aebtissin zu ihrem Besuche erwählt hatte. Der Zwist, der zwischen diesen beiden ehrenwerten Personen herrschte, hatte einen doppelten Ursprung: sie waren normannischen und sächsischen Stammes, sie wichen aber auch überdies von der Meinung voneinander ab, zu welcher Zeit Ostern gefeiert werden müßte. Jedoch war dies nur eine kleine Wolke, die über den heitern Himmel Evelinens hinflog; denn mit ihrer unverhofften Vermählung mit Damian endeten die Prüfungen und Leiden »der Verlobten«.

Ende.


 << zurück