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Siebentes Kapitel.

An einem hellen Septembermorgen war der alte Raoul in dem Hause beschäftigt, wo er seine Falken aufbewahrte. Er murrte in sich hinein, während er jeden Vogel einzeln untersuchte, und abwechselnd der Sorglosigkeit des Unterfalkoniers, der Lage des Gebäudes, dem Wind und dem Wetter, kurz allem um ihn her schuld daran gab, daß der Falkenbestand von Garde Douloureuse so arg gelitten hatte. In diesen unangenehmen Betrachtungen wurde er durch die Stimme seiner vielgeliebten Ehehälfte, Dame Gillian, unterbrochen, die sonst selten so früh aufstand und ihn noch seltener in seinem eigenen Herrschergebiet aufsuchte. »Raoul! Raoul! wo steckst Du, Mann? – Ewig muß man Dich suchen, wenn Du für Dich oder für mich was gewinnen kannst.«

»Und was fehlt Dir, Frau!« rief Raoul, ärger kreischend, als die Seemöwe vor dem Regen. – »Die Pest hole Deine Stimme, sie reicht hin, jeden Falken von seiner Stange aufzuscheuchen.«

»Falke!« antwortete Dame Gillian, »hier ist wohl Zeit, nach solchen kläglichen Falken zu sehen, wenn hierher zum Verkauf Falken von der edelsten Gattung gekommen sind, die je über See, Moor und Wiesen flogen, tüchtige Geierfalken mit breiten Nasenlöchern, starken Fängen und kurzen, etwas bläulichen Schnäbeln.«

»Pah! mit Deinem Geschwätz! – Wo kommen sie her?« sagte Raoul; denn die Nachricht lockte ihn, er wollte nur seiner Frau nicht das Vergnügen machen, es sich merken zu lassen.

»Von der Insel Man,« erwiderte Gillian.

»Dann müssen sie wahrlich gut sein, obgleich ein Weib die Nachricht brachte,« sagte Raoul und lachte sauersüß über seinen eignen Witz. Dann verließ er den Falkenhof und fragte, wo der berühmte Falkenhändler anzutreffen sei.

»Wo? Zwischen den Barrieren und dem inneren Tore,« erwiderte Gillian, »wo sonst noch andere Kaufleute zugelassen werben. – Wo sollte es wohl sein?«

»Und wer ließ ihn herein?« fragte der argwöhnische Raoul.

»Nun, der Herr Hofmeister, Du Eule!« sagte Gillian. »Er kam soeben nach meiner Stube und schickte mich hierher, Dich zu rufen.«

»Aha! Der Haushofmeister! Der Haushofmeister! – Das hätte ich erraten können. Und er kam auf Deine Stube, ohne Zweifel, weil er nicht ebenso leicht hierher zu mir kommen konnte. – War es nicht so, süßes Herzchen?«

»Ich weiß nicht, warum er lieber zu mir als zu Euch kam, Raoul,« sagte Gillian, »und wenn ich es wüßte, so würde ich es Euch doch vielleicht nicht sagen. – Nun fort! Macht Euren Handel oder macht ihn nicht, ich bekümmere mich nicht darum – der Mann wird nicht auf Euch warten, – er hat schon ein gutes Gebot vom Seneschall von Malpas und vom Walliser Lord von Dinevawr.«

»Ich komme – ich komme,« sagte Raoul, der diese Gelegenheit, seine Falknerei zu verbessern, nicht ungenützt lassen wollte. Er eilte zum Tore, wo er den Kaufmann in Begleitung eines Dieners antraf, der in besonderen Käfigen drei Falken trug, die zum Verkauf ausgeboten wurden.

Auf den ersten Blick überzeugte sich Raoul, daß sie zu der besten europäischen Gattung gehörten und nach guter Dressur selbst für eine königliche Falknerei kein schlechter Zuwachs gewesen wären. Der Kaufmann verfehlte nicht, sich über all ihre Vorzüge auszulassen, über die Breite ihrer Oberflügel, die Stärke ihres Schweifes, ihre großen und feurigen dunklen Augen, die Lebendigkeit, mit der sie ihre Federn putzten und sich schüttelten. Er ließ sich über die Schwierigkeiten und Gefahren aus, unter denen sie auf den Felsen von Ramsey gefangen wurden, wo ein Horst wäre, der selbst an den Küsten Norwegens nicht seinesgleichen hätte.

Anscheinend hatte Raoul für alle diese Empfehlungen nur taube Ohren, »Freund Kaufmann,« sagte er, »ich kenne einen Falken so gut wie Du und will nicht leugnen, daß die Deinigen eine feine Sorte sind; aber wenn sie nicht sorgfältig zum Auffliegen und Zurückkommen abgerichtet sind, so wollte ich lieber einen Stockfalken auf meiner Stange haben, als den schönsten Falken, der je die Schwingen in die Luft hob.«

»Wenn wir erst über den Preis einig sind, denn das ist die Hauptsache,« sagte der Kaufmann, »sollst Du die Vögel fliegen sehen. Dann magst Du sie kaufen oder nicht, wie Du willst. Ich will kein ehrlicher Kaufmann sein, wenn Du je Vögel so schön, wie diese stoßen sähest, sei es im Aufsteigen oder im Niederschießen.« »Das nenne ich billig,« sagte Raoul, »wenn nur der Preis auch danach ist.«

»Er soll danach sein,« sagte der Falkenhändler. »Ich habe auf Erlaubnis des guten Königs von Man, Reginald, sechs Paar von dieser Insel gebracht, und ich habe schon jede Feder davon bis auf diese verkauft. Da ich nun so meine Käfige geleert und meinen Beutel angefüllt habe, so will ich mich mit dem Rest nicht lange schleppen, und wenn einem guten Kameraden und einem Kenner, wie Du zu sein scheinst, die Falken gefallen, nachdem er sie fliegen gesehen, so soll er den Preis selbst bestimmen.« »Nur zu,« sagte Raoul, »wir wollen nicht die Katz im Sack kaufen. Sind die Falken gut, so kann meine Gebieterin sie noch eher bezahlen, als Du sie wegschenken kannst. – Wird ein Byzantiner genug sein für das Paar?«

»Ein Byzantiner, Herr Falkenier! – Bei meiner Ehre! Ihr bietet niedrig. – Doch verdoppelt Euer Gebot, und – ich will es überlegen.«

»Wenn sich die Falken gut zurückrufen lassen,« sagte Raoul, »will ich Euch anderthalb Byzantiner geben, aber erst will ich sie auf einen Reiher stoßen sehen, ehe ich so rasch den Handel mit Euch abschließe.«

»Gut denn,« sagte der Kaufmann, »ich tue besser, Euer Anerbieten anzunehmen, als sie lange auf dem Hals zu haben. Denn brächte ich sie nach Wales, könnte ich vielleicht noch schlechter mit einem ihrer langen Messer bezahlt werden. – Wollt Ihr sogleich zu Pferde?«

»Allerdings,« sagte Raoul, »und wiewohl der Herbst besser für die Reiherbeize ist, so will ich Euch doch einen von diesen Froschvertilgern zeigen, wenn wir etwa eine Meile weit auf dieser Seite des Wassers reiten.«

»Ich bin es zufrieden, Herr Falkenier,« sagte der Kaufmann. »Aber machen wir uns allein auf den Weg? Gibt es hier keinen Herrn, keine Dame im Schlosse, die Vergnügen daran fänden, einer solchen stattlichen Jagd beizuwohnen? Ich fürchte mich nicht, diese Falken einer Gräfin zu zeigen.«

»Meine Gebieterin liebte sonst derlei Vergnügen sehr,« sagte Raoul, »aber ich weiß nicht, seit ihres Vaters Tode ist sie so betrübt und wie im Traum und lebt in ihrem schönen Schlosse wie eine Nonne im Kloster, ohne irgend einen Zeitvertreib und Jubel. – Jedoch, Gillian, Du vermagst etwas über sie. – Geh' hin, tue einmal etwas Gutes – und bringe sie dazu, sich aufzumachen und dieser Jagdlust beizuwohnen – Das arme Kind hat den ganzen Sommer über keine Zerstreuung gehabt.«

»Das will ich tun,« sagte Gillian, »und was noch mehr ist, ich will ihr einen so schönen neuen Reithut zeigen, den kein Weib auf Erden ohne den Wunsch ansehen kann, ihn ein wenig im Winde umherflattern zu lassen.«

Als Gillian so sprach, kam es ihrem eifersüchtigen Manne so vor, als ob Blicke zwischen ihr und dem Handelsmanne gewechselt würden, die ein größeres Einverständnis verrieten, als eine so kurze Bekanntschaft erwarten ließ. Wenn auch selbst bei Dame Gillians großer Dreistigkeit gar manches möglich war. Als er den Kaufmann schärfer ansah, kam es ihm auch vor, als ob dessen Gesichtszüge ihm nicht ganz unbekannt wären, er sagte ihm also ziemlich trocken: »Wir haben uns schon einmal gesehen, Freund, doch kann ich mich nicht mehr entsinnen, wo?«

»Sehr wahrscheinlich,« sagte der Kaufmann. »Ich habe oft diese Gegend besucht und mag auch schon von Euch Geld für Ware erhalten haben. Wäre hier nur ein schicklicher Ort dazu, so möchte ich gerne eine Flasche Wein auf bessere Bekanntschaft spendieren.«

»Nicht so schnell, Freund,« sagte der alte Jäger. »Ehe ich mit jemand auf bessere Bekanntschaft trinke, muß mir das, was ich bis dahin von ihm sah, sehr wohl gefallen haben. – Wir wollen Deine Falken stoßen sehen, und wenn ihre Zucht Deinem Prahlen entspricht, dann brechen wir vielleicht zusammen einer Flasche den Hals. – Aber siehe, da kommen Knechte und Stallmeister. – Meiner Treu! Meine Gebieterin hat eingewilligt zu erscheinen.«

Die Veranlassung, diesem Vergnügen auf freiem Felde beizuwohnen, hatte sich Evelinen in dem Augenblicke dargeboten, als die erfreuliche Heiterkeit des Tages, die milde Luft und das fröhliche Treiben der Ernte rings um sie her die Versuchung, sich diese Bewegung zu erlauben, fast unwiderstehlich machten.

Da sie auf dem diesseitigen Ufer bleiben wollten, ohne eine Brücke zu überschreiten, auf der sich beständig eine kleine Wache von Fußvolk befand, so verlangte Eveline keine weitere Bedeckung und nahm, ganz gegen die bisherige Gewohnheit, niemand mit sich, als Rose und Gillian, und ein paar Diener, welche die Hunde führten oder Jagdgerätschaften trugen. Raoul, der Kaufmann und ein Stallmeister begleiteten sie natürlich auch, jeder einen Falken auf der Faust, wobei gleich ausgemacht worden war, wie sie sie fliegen lassen sollten, um sich von ihren Kräften und von ihrer Abrichtung zu überzeugen.

Als diese wichtigen Punkte gehörig verabredet worden waren, ritt die Gesellschaft den Fluß hinab, sorgfältig auf allen Seiten nach einem Wild für die Jagd ausspähend; aber keinen Reiher sah man auf dem Sand umherschreiten, obgleich sich ein sogenannter Reiherstand in geringer Entfernung befand.

Wohl die verdrießlichste Enttäuschung ist die eines Jägers, der, reichlich versehen mit allem Jagdzubehör, auszieht, aber kein Wild antreffen kann; denn er sieht sich mit seinem vollen Schießbedarf und seiner leeren Jagdtasche dem Hohnlächeln jedes vorbeigehenden Bauern preisgegeben. Die Jagdgesellschaft der Lady fühlte alle die Unannehmlichkeit einer solchen Enttäuschung.

»Ein schönes Land das,« sagte der Kaufmann, »wo man zwei Meilen weit an einem Fluß nicht einen armseligen Reiher finden kann.«

»Das kommt von dem Geklapper der verdammten Flamländer, von ihren Wasser- und Walkmühlen,« sagte Raoul. »Sie zerstören gute Jagd und gute Gesellschaft, wohin sie nur kommen. Aber wenn meine Gebieterin nur Willens wäre, noch eine Meile und etwas darüber zum roten Teiche zu reiten, so will ich Euch einen solchen langbeinigen Burschen zeigen, der Eure Falken im Wirbel herumdrehen soll, bis ihr Gehirn ganz schwindlig wird.«

»Der rote Teich,« sagte Rose, »Du weißt Raoul, das ist mehr als drei Meilen jenseits der Brücke und liegt gegen die Berge zu.«

»Ja, ja,« sagte Raoul, »wieder eine flämische Grille, einem die Lust zu verderben. Sie sind nicht so selten hier auf den Märkten, die flamländischen Dirnen, daß sie sich zu fürchten brauchten, gebeizt zu werden von dem welschen wilden Falken.«

»Raoul hat recht, Rose,« antwortete Eveline, »es ist albern, wie Vögel in einem Käfig eingesperrt zu sein, wenn alles um uns her so völlig ruhig ist. Ich bin entschlossen, ein für allemal diese Schranken zu durchbrechen und der Jagd einmal auf die alte Weise beizuwohnen, ohne immer mit Bewaffneten wie eine Staatsgefangene umgeben zu sein. Wir wollen lustig auf den roten Teich los, Mädchen, und auf Reiher jagen, wie freie Mädchen von den Marken.«

»So laßt mich nur meinem Vater sagen, daß er zu Pferde steige und uns nachfolge,« bat Rose, denn sie befanden sich jetzt in der Nähe der wieder erbauten Mühlen des kräftigen Flamländers.

»Mir ist es gleich, ob Du das tust,« entgegnete Eveline, »aber glaube mir, Mädchen, wir werden am roten Teich und wieder zurück sein, ehe Dein Vater sein bestes Wams anlegt, sein gewaltiges Schwert umgürtet und seinen starken flandrischen Elefanten von einem Pferde sattelt, das er sehr vernünftig Faultier nennt. Nein, runzle nicht die Stirne und beginne keine Lobrede auf Deinen Vater, benütze die Zeit lieber dazu, ihn herbeizurufen.«

So ritt also Rose nach den Mühlen, wo Wilkin Flammock alsbald, dem Befehl seiner Lehnsherrin gemäß, sich beeilte, Stahlhaube und Halsberge anzulegen, und einem halben Dutzend seiner Verwandten und Knechte gebot, gleichfalls die Pferde zu besteigen. Rose blieb bei ihm, ihn zu größerer Eile zu ermahnen, da es seine Weise war, alles hübsch langsam der Reihe nach zu tun. Aber trotz all ihrer Mühe, ihn anzutreiben, hatte Lady Eveline schon länger als eine halbe Stunde die Brücke hinter sich, ehe diese Bedeckung gerüstet war, ihr zu folgen.

Indessen sprengte, kein Unheil fürchtend, mit der Empfindung einer entflohenen Gefangenen, Eveline fröhlich auf dem lustigen Zelter dahin, leicht, wie die Lerche in der Luft! die Federn, mit denen Gillian ihren Reithut geschmückt hatte, flatterten im Winde; ihre Begleiter galoppierten hinter ihr her, mit Hunden, Taschen, Leinen und allem, was zur edlen Falkenjagd gehörte. Nachdem man über den Fluß geritten war, begann der wilde, grüne Wiesenpfad, den sie verfolgten, sich zwischen kleinen Anhöhen hinaufzuziehen, die bisweilen kahl und felsig, bisweilen mit Haselbüschen, Schlehdorn und anderm niedrigen Gesträuch bewachsen waren; endlich senkte er sich plötzlich hinab, und führte sie an den Rand eines Bergbaches, der wie ein spielendes Lamm lustig von Fels zu Fels hüpfte, als sei er ungewiß, welches Weges er rinnen sollte.

»Dieses kleine Flüßchen war stets mein Liebling, Frau Gillian,« sagte Eveline, »und es kommt mir vor, als hüpfe es jetzt leichter, da es mich wiedersieht.«

»Ach, Mylady,« sagte Dame Gillian, deren Unterhaltung in solchen Fällen sich niemals über einige Phrasen der gröbsten Schmeichelei zu erheben pflegte, »mancher schöne Ritter möchte schulterhoch springen, wenn er die Erlaubnis hätte, Euch so dreist anzuschauen, wie dieser Bach, besonders jetzt, da Ihr diesen Reithut aufgesetzt habt, der an ausgezeichnet schöner Empfindung nach meiner Meinung alles, was ich bisher erdachte, um eine Bogenschußweite übertrifft. – Was meinst Du dazu, Raoul?«

»Ich denke,« antwortete ihr gutherziger Ehemann, »daß Weiberzungen dazu gemacht sind, alles Wild aus der Gegend zu vertreiben. – Hier kommen wir der Stelle näher, wo es uns gelingen muß; darum bitte ich, meine süßeste Gebieterin, seid jetzt hübsch still. Wir wollen uns am Ufer des Teiches entlangschleichen, unter dem Winde die Hauben unserer Falken losbinden und alles zum Auffliegen fertig machen.«

Während sie so sprachen, ritten sie ein paar hundert Schritte an dem rauschenden Flusse hin, bis das kleine Tal, durch das er floß, eine ziemlich scharfe Biegung machte, worauf der rote Teich sich zeigte, der eben durch den kleinen Bach gebildet wurde.

Dieser Bergsee oder Sumpf war ein tiefes Becken von ungefähr einer englischen Meile im Umfange, mehr länglich als rund. Auf der Seite, wo unsere Falkenjäger standen, erhob sich ein Felsrücken von einer dunklen Farbe, der dem See den Namen gab, da diese starke düstre Wand sich in ihm spiegelte und ihm ihre Farbe zu verleihen schien. An der entgegengesetzten Seite war ein Hügel, mit Heidekraut bedeckt, dessen herbstliche Blüten noch nicht ganz von der Purpurfarbe zum Dunkelbraun hingewelkt waren. Zwischen dem Heidekraut zeigten sich an manchen Stellen graue Klippen oder auch lose Steine von derselben Farbe, die einen Gegensatz zu der gegenüberliegenden roten Felsenwand bildeten. Ein von der Natur gebildeter schöner Sandweg am Ufer zog sich rings um den See und trennte sein Wasser auf der einen Seite von dem schroffen Felsen, auf der andern von dem steilen Hügel, und da er nirgends weniger als fünfzehn bis achtzehn Fuß breit, an mehreren Stellen sogar noch weit breiter war, so bot er in seinem ganzen Umfange Platz genug für einen Reiter, der sein Pferd tummeln und in Atem setzen wollte. Der Rand des Teiches an der Seite des Felsens war hin und wieder mit Blöcken von beträchtlicher Größe bedeckt, die sich oben von der Felsmasse losgerissen hatten. Viele von diesen Felsstücken, die im Sturz über den Rand weggerollt waren, lagen im Wasser, wie kleine Inselchen – und zwischen diesen entdeckte das scharfe Auge Raouls – den Reiher, den sie suchten.

Auf einen Augenblick wurde Rat gepflogen, wie man am besten den ernsten, einsamen Vogel beschleichen könnte, der nicht ahnte, daß er selbst der Gegenstand eines furchtbaren Hinterhalts sei, während er bewegungslos auf einem Steine am Ufer stand und auf ein kleines Fischchen oder Wassertierchen lauerte, das sich seinem einsamen Standort nähern möchte. Ein kurzer Wortwechsel fand zwischen Raoul und dem Falkenverkäufer statt, die nicht einig miteinander waren, wie das Wild am besten aufzuscheuchen sei, so daß auch Eveline und ihre Begleiterin die Beize gut mitansehen könnten. Ob es am leichtesten sei, den Reiher »far jette« oder »jette ferré,« das heißt, auf dieser oder auf der andern Seite des Teiches – zu erlegen, das wurde, als handelte es sich um ein großes Unternehmen, so gewichtig und eifrig besprochen, daß sie fast außer Atem kam.

Endlich wurden die beiden Sachverständigen einig, und die Gesellschaft näherte sich dem Wassereinsiedler, der sie jetzt gewahr wurde, sich in voller Höhe aufrichtete, seinen langen dünnen Hals emporstreckte, sein gewöhnliches helltönendes Geschrei ausstieß und, seine dünnen Beine hinter sich weisend, in die heitere Luft emporstieg. In diesem Augenblick warf der Kaufmann mit einem lauten Hussah den edlen Falken, den er trug, ab, nachdem er ihm erst die Haube abgezogen, damit er den Reiher sehen konnte.

Hitzig, wie eine Fregatte auf der Jagd nach einer reichen Gallione, schoß der Falke auf den Feind zu. Der Reiher, der sich auf den Kampf vorbereitete, falls es ihm unmöglich sein sollte, durch die Flucht zu entrinnen, bot alle seine Schnelligkeit auf, einem so furchtbaren Jäger zu entgehen. Mit der unvergleichlichen Kraft seiner Schwingen stieg er in kleinen Kreisen immer höher und höher in die Luft, so daß der Falke keinen Punkt erreichte, von wo aus er mit Vorteil auf ihn stoßen konnte. Mit seinem spitzen Schnabel aber, der am Ende eines so langen Halses saß, konnte der Reiher im Umkreis von fast drei Fuß jeden Gegenstand nach jeder Richtung hin treffen.

Jetzt wurde ein zweiter Falke aufgeworfen, um, durch das Halloh des Falkners ermuntert, sich mit seinem Kameraden zu vereinigen. Beide erhoben sich oder stiegen in die Luft, immerfort in kleinen Kreisen sich bewegend, und bemühten sich, die Höhe zu erreichen, in der der Reiher seinerseits sich zu behaupten trachtete, und zum auserlesensten Vergnügen der Zuschauer setzte sich dieser Wettkampf so lange fort, bis alle drei sich in leise gekräuselten Wolken verloren, von wo aus man nur zuweilen noch das scharfe klagende Geschrei des Reihers hörte, als ob er den Himmel, dem er sich näherte, gegen die mutwillige Grausamkeit seiner Verfolger anrufen wollte.

Endlich war einer der Falken über den Reiher emporgestiegen, um nun auf ihn herabzustoßen; aber das Tier verteidigte sich so besonnen, daß es mit seinem Schnabel den Stoß auffing, den der Falke, mit voller Kraft herniederschießend, gegen seinen rechten Flügel richtete; so daß einer seiner Feinde, durch seine eigene Schwere von dem Schnabel durchbohrt, auf der von den Falkenieren abgelegenen Seite flatternd in den See stürzte und dort umkam.

»Da wandert ein wackerer Falke zu den Fischen,« sagte Raoul. »Kaufmann! Dein Kuchen ist nicht gar!«

Aber während er noch sprach, hatte der andere Vogel seinen Bruder gerächt. Das Glück, das der Reiher auf der einen Seite hatte, schützte ihn nicht vor einem Angriff von der andern Seite; der Falke stieß kühn auf ihn zu, und sich einkrallend oder wie es in der Falknerei heißt, »seine Beute bindend«, sanken beide aus der großen Höhe, sich untereinander wälzend, herunter. Es war nun keine kleine Mühe, so schnell wie möglich hinzuzueilen, damit der Falke nicht von dem Schnabel und den Klauen des Reihers verwundet würde. Die ganze Gesellschaft also, die Männer die Sporen einsetzend, die Frauen die Reitgerte schwingend, flog wie der Wind dahin über das schöne, weiche Ufer zwischen den Felsen und dem Wasser.

Lady Eveline, die bei weitem besser beritten war als ihr Gefolge, und deren Lebensgeister, sich an dem Vergnügen und der schnellen Bewegung aufgefrischt hatten, erreichte weit früher, als die Leute ihrer Begleitung, den Flecken, wo der Falke und der Reiher, noch immer in tödlichem Kampfe begriffen, im Sumpfe lagen; dem letztern war durch den Stoß des erstern der Flügel gebrochen worden. In solchem entscheidenden Augenblicke war es die Pflicht des Falkners, hinzuzueilen und dem Falken beizustehen, indem er den Schnabel des Reihers in die Erde bohrte, ihm die Beine zerbrach und es dann dem Falken überließ, ihm mit leichter Mühe den Garaus zu geben.

Auch eine Edeldame vom Range und der Zartheit Evelinens durfte nicht davor zurückschrecken, auf so grausame Weise dem Falken beizustehen; aber gerade als sie zu diesem Zweck vom Pferde gestiegen war, fühlte sie sich zum größten Schrecken von einer wilden Gestalt ergriffen, die in welscher Sprache ausrief, daß man Pfand von ihr begehre, weil sie auf dem Grunde von Dawfyd Falkenjagd triebe. Zu gleicher Zeit zeigten sich viele andere, mehr als zwanzig, hinter den Felsen und Gebüschen, alle mit Aexten oder welschen Krummhacken, langen Messern, Wurfspießen Bogen und Pfeilen bewaffnet.

Eveline erhob ein Geschrei, die Ihrigen zu Hilfe zu rufen, zugleich redete sie die Fremden, so gut sie konnte, in welscher Sprache an; denn sie zweifelte nicht, daß es Walliser wären, in deren Gewalt sie geraten war. Als sie merkte, daß ihre Bitten unbeachtet blieben und jene sie als Gefangene behalten wollten, so würdigte sie sie weiter keiner Anrede, sondern verlangte nur, mit Achtung behandelt zu werden. Sie versprach ihnen in diesem Falle ein reichliches Lösegeld, drohte aber auch mit der Rache des Lords und besonders des Damian de Lacy, wenn sie ihr ein Leides täten.

Die Männer schienen sie zu verstehen, und obwohl sie ihr eine Binde um die Augen legten und ihr die Arme mit ihrem eigenen Schleier fesselten, so beobachteten sie doch bei diesen gewalttätigen Handlungen eine gewisse Zartheit und Aufmerksamkeit, Anstand zu bewahren und ihr nicht wehe zu tun. Sie banden sie auf dem Sattel ihres Zelters fest und führten sie mit sich durch die Schluchten der Berge. Zu ihrem tiefsten Schmerze vernahm sie hinter sich das Getöse eines Kampfes und erkannte daran, daß ihr Gefolge sich vergebens bemühte, sie zu erretten.

Erstaunen hatte zuerst die Jäger ergriffen, als sie von ferne ihre Jagdlust durch den gewalttätigen Angriff auf ihre Gebieterin unterbrochen sahen. Der alte Raoul setzte nun wieder die Sporen ein, rief den andern zu, ihm zu folgen, und sprengte wütend auf die Räuber los; aber da er keine andern Waffen, als seine Falkenstange und ein kurzes Schwert hatte, so wurden er und die ihm folgenden bei diesem tapfern, wenn auch nutzlosen Versuch leicht überwältigt. Raoul und ein paar der vordersten wurden jämmerlich zerschlagen, indem die Räuber ihre Knüttel gegen sie schwangen, bis sie in Splitter zerbrachen, wiewohl sie sich großmütig des Gebrauches gefährlicherer Waffen enthielten. Die übrigen des Gefolges, die allen Mut verloren hatten, ergriffen die Flucht, um Lärm zu machen; nur der Kaufmann und die Dame Gillian blieben am See und erfüllten die Luft mit unnützem Geschrei. Die Bösewichter sammelten sich indessen, sandten den Flüchtlingen einige Pfeile nach, doch mehr, um sie zu erschrecken, als um ihnen Schaden zuzufügen, und verließen zusammen den Platz, um zu ihren Gefährten zu stoßen, die mit der geraubten Lady Eveline vorausgezogen waren.


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