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Fünfzehntes Kapitel.

Von ihrem Gebieter zurückgelassen, wanderten die beiden Diener Hugo de Lacys in mürrischem Stillschweigen weiter, wie Menschen, die sich nicht leiden können und einander mißtrauen, obgleich zu gemeinschaftlichen Dienst miteinander verbunden und daher von gleichen Hoffnungen und Befürchtungen erfüllt. Der Widerwille war in der Tat hauptsächlich auf Guarines Seite; denn dem Renault Vidal konnte nichts gleichgiltiger sein, als sein Gefährte, wenn er sich auch bewußt war, daß Philipp ihn nicht liebe und wahrscheinlich, soweit es in seiner Macht lag, einige Pläne, die ihm nahe am Herzen lagen, gern durchkreuzt hätte. Er kümmerte sich wenig um seinen Gefährten, sondern brummte so für sich, als wolle er sein Gedächtnis üben, einige Romanzen und Lieder her, wovon mehrere in einer Sprache verfaßt waren, die Guarine, der nur ein Ohr für sein Normännisches hatte, nicht verstand.

Auf diese verdrießliche Art waren sie fast zwei Stunden gewandert, als ihnen ein Reitknecht zu Pferde entgegenkam, der einen gesattelten Klepper am Zügel führte. »Pilger!« sagte der Mann, nachdem er sie aufmerksam betrachtet hatte, »wer von Euch heißt Philipp Guarine?«

»Ich, in Ermangelung eines bessern,« sagte der Squire.

»In diesem Falle empfiehlt sich Euch Euer Herr,« sagte der Reitknecht, »und schickt Euch dieses Zeichen, woran Ihr erkennen sollt, daß ich wirklich sein Bote bin,« damit zeigte er dem Squire einen Rosenkranz, welchen Guarine sogleich für den des Connetables erkannte.

»Ich erkenne das Zeichen,« sagte er, »sage mir meines Herrn Befehl.«

»Er gebot mir. Euch zu sagen, daß sein Unternehmen geglückt sei und er noch diesen Abend um Sonnenuntergang im Besitz seines Eigentums zu sein hofft. Er verlangt daher, Ihr sollt diesen Zelter besteigen und mit mir nach Garde Douloureuse kommen, weil Eure Gegenwart dort nötig ist.«

»Sehr wohl, und ich gehorche ihm,« sagte der Knappe, gar sehr über den Inhalt der Botschaft erfreut, und gar nicht unzufrieden, sich von seinem Reisegefährten trennen zu müssen.

»Und welchen Auftrag habt Ihr für mich?« fragte der Minstrel den Boten.

»Wenn Ihr, wie ich vermute, der Minstrel Renault Vidal seid, so sollt Ihr Euren Herrn bei der Schlachtbrücke erwarten, nach dem schon früher erteilten Befehl.«

»Ich werde dort mit ihm zusammentreffen, nach Pflicht und Schuldigkeit,« war Vidals Antwort. Aber er hatte es kaum ausgesagt, als schon die beiden Pferde ihm den Rücken zukehrten, davonsprengten und ihm bald aus dem Gesicht kamen.

Es war vier Uhr nachmittags. Schon sank die Sonne, doch blieben noch drei Stunden Zeit bis zur bestimmten Zusammenkunft, und die Brücke war jetzt nicht über vierhundert englische Meilen entfernt. Vidal begab sich daher, entweder um auszuruhen – oder seinen Gedanken nachzuhängen, von dem Wege in ein Gebüsch zur linken Hand, aus dem das Wasser eines Flüßchens hervorrieselte, das von einer Quelle zwischen den Bäumen gespeist wurde. Hier setzte sich der Reisende nieder, und scheinbar nicht wissend, was er tun sollte, beugte er sich über die kleine perlende Quelle länger als eine halbe Stunde, ohne die Stellung zu verändern, so daß er zur Zeit der Heiden wohl die Bildsäule eines Wassergottes hätte vorstellen können, der sich über sein Becken beugt und aufmerksam darauf achtet, daß ihm Wasser reichlich entströme. Endlich aber schien er aus diesem Zustande des tiefen Nachdenkens zu erwachen, richtete sich auf und nahm etwas grobe Nahrung aus seiner Pilgertasche, als ob er sich plötzlich erinnerte, daß Speise und Trank nötig seien, das Leben zu erhalten. Aber es lag ihm wahrscheinlich etwas auf dem Herzen, das ihm die Gurgel zuschnürte oder den Appetit nahm. Nach einem vergeblichen Versuch, einen Bissen herunterzuschlucken, warf er ihn mit Ekel von sich, und wandte sich lieber zu einer kleinen umflochtenen Flasche, die etwas Wein oder ein anderes geistiges Getränk enthielt. Aber auch diese schien ihm widerlich zu sein, denn er schleuderte beides, Tasche und Fläschchen, von sich, bückte sich zur Quelle tat einen tiefen Zug aus dem reinen Element, badete darin Hände und Gesicht, und dadurch scheinbar erfrischt, begab er sich wieder auf den Weg, sang im Gehen, aber in melancholischem Tone, wilde Bruchstücke aus einer alten Poesie in einer gleichfalls veralteten Sprache.

Auf diese trübe Weise seinen Weg fortsetzend, bekam er endlich die Schlachtbrücke zu Gesicht, neben der in stolzer, düsterer Kraft die berühmte Burg von Garde Douloureuse sich erhob. »Hier also,« sagte er, »hier also soll ich den stolzen de Lacy erwarten. Sei es so in Gottes Namen – er soll mich besser kennen lernen, ehe wir uns trennen!«

So sprach er, maß mit langen, entschlossenen Schritten die Brücke und bestieg eine Anhöhe, die in einiger Entfernung sich auf der andern Seite erhob. Er betrachtete eine Zeitlang das Schauspiel unter sich: der schöne Fluß, geschmückt mit den Farben des westlichen Himmels – die Bäume im herbstlich bunten Laube – und die finstern Mauern und Türme der Burg, von der zuweilen ein Schimmer herabblitzte, wie die Waffen einer Schildwache, vom Strahl der untergehenden Sonne getroffen.

Die Gesichtszüge des Minstrels, die bisher düster und unruhig gewesen waren, schienen durch die Ruhe seiner Umgebung besänftigt. Er warf sein Pilgergewand zurück, so daß die dunklen Falten desselben nur wie ein Mantel um ihn hingen, unter dem der Waffenrock des Minstrels sich zeigte. Er nahm die Laute von seiner Seite (eine kleine Art von Geige mit einem Rade), spielte erst eine und die andere welsche Weise und endlich ein Lied, von dem wir einige Bruchstücke, wörtlich aus der alten Sprache übersetzt, in der es gesungen wurde, mitteilen können.

»Ich fragte meine Harfe: Wer hat beschimpft deine Saiten?
Da sprach sie: Der Finger, der krumme, den ich verspottet im Ton.
Es krümmt sich die Klinge von Silber; die Klinge von Stahl aber dauert.
Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus.

Der süße Geschmack von Met entflieht den Lippen;
Aber lange zernagt sie der Saft des Wermuts.
Das Lamm, man bringt's zur Schlachtbank; der Wolf schweift auf dem Gebirge.
Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus.

Ich fragte das Eisen, das rot auf dem Ambos glühte:
Warum glühst du länger als der Feuerbrand?
Mich gebar der finstre Schacht, den Brand der grünende Wald!
Liebe schwindet dahin; aber Rache hält ans.

Ich fragte die grünende Eiche: Was gleichen deine Zweige dem Geweihe des Hirsches?
Und sie zeigt an der Wurzel den kleinen nagenden Wurm.
Der Bube, der Geißel gedenkend, eröffnet das Pförtchen des Schlosses zur Nachtzeit.
Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus.

Blitze zerstören Tempel, dringt gleich deren Spitze durch Wolken.
Stürme zerstören Flotten, deren Segel leicht auffangen den günstigen Wind.
Er in der Mitte des Ruhms fällt durch den kraftlosen Feind.
Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus«.

Noch mehr solcher wilden Bilder wurden hingeworfen, deren jedes, wiewohl wunderlich und entfernt, doch in Beziehung zu dem Thema stand, das wie ein Kehrreim am Schlusse jeder Stanze wiederholt ward. So glich diese Poesie einem Musikstücke, das nach wiederholten Abschweifungen durch Phantasie und Variationen immer von neuem zu der einfachen Melodie zurückkehrte, wovon jene nur die Verzierungen waren.

Während der Minstrel sang, waren seine Augen auf die Brücke und die nächste Umgebung geheftet; aber als er an dem Schlusse des Gesanges seine Augen gegen die entfernten Türme von Garde Douloureuse erhob, sah er, daß die Tore geöffnet waren und Wachen und Diener an den Barrieren aufgestellt wurden, als ob sogleich etwas vor sich gehen oder eine Person von Wichtigkeit erscheinen sollte. Als er zu gleicher Zeit die Augen umherwarf, so bemerkte er, daß die Landschaft, die erst so einsam war, als er sich auf dem grauen Steine niedergelassen hatte, von dem aus er sie überschaute, sich mit Gestalten füllte.

Wahrend seiner Träumereien hatten viele Leute allein und in Gruppen, Männer, Weiber, Kinder sich an beiden Seiten des Flusses versammelt und verweilten da, als ob sie irgend ein Schauspiel erwarteten. Auch gab es einen Aufstand bei den flamländischen Mühlen, die er, wiewohl in einiger Entfernung, ganz genau sehen konnte. Es schien sich hier ein Zug in Ordnung zu stellen, der auch bald mit Pfeifen und Handtrommeln und andern musikalischen Instrumenten sich in Bewegung setzte und wohlgeordnet sich dem Platze näherte, wo Vidal saß.

Aber was da auch vor sich gehen mochte, es schien alles einen friedlichen Charakter zu haben. Denn die graubärtigen alten Männer der Niederlassung in ihrer anständigen Bauernkleidung, folgten den ländlichen Musikanten, drei oder vier zusammengehend, auf ihre Stäbe gestützt, und die Bewegung des ganzen Zuges durch ihre abgemessene Gangart regelnd. Hinter diesen Vätern der Niederlassung ritt Wilkin Flammock auf seinem mächtigem Streitroß in vollkommener Rüstung, doch mit unbedecktem Haupte, wie ein Vasall, der sich zum Kriegsdienste für seinen Herrn angeschickt hat. Ihm folgten, und zwar in Schlachtordnung, die jungen Männer der kleinen Kolonie, dreißig an der Zahl, wohl bewaffnet und gut gekleidet, deren starke Gliedmaßen sowohl als ihre blanke glänzende Rüstung eine gewisse Festigkeit und Zucht andeuteten, obwohl ihnen der feurige Blick der französischen Krieger fehlte oder die Miene trotziger Herausforderung, die dem Engländer eigen ist. Sodann kamen die Mütter und Mädchen der Kolonie; dann folgten die Kinder; endlich als Nachtrab kamen die jungen Leute von vierzehn bis Zwanzig Jahren, bewaffnet mit leichten Lanzen, Bogen und ähnlichen, für ihr Alter schicklichen Waffen.

Dieser Zug umschritt den Fuß der Anhöhe, auf der der Minstrel saß, ging dann langsam und geordnet über die Brücke und stellte sich zu einem Spalier auf, als gelte es, eine Person von Wichtigkeit zu empfangen oder einer Feierlichkeit beizuwohnen, Flammock hielt an dem äußersten Ende des so gebildeten Durchganges und beschäftigte sich ruhig, aber eifrig mit allerlei Anordnungen und Vorbereitungen,

Indessen kamen aus den verschiedenen Gegenden Müßiggänger zusammen, wie es schien durch bloße Neugier herbeigerufen, und bildeten ein buntes Gedränge an dem nach dem Schlosse zu gelegenen Ende der Brücke. Zwei englische Bauern gingen ganz dicht an dem Stein, wo Vidal saß, vorüber. »Willst Du uns ein Lied singen, Minstrel,« sagte einer von ihnen, »hier ist ein Kopfstück für Dich!« und warf ihm eine kleine Silbermünze in den Hut.

»Ich habe ein Gelübde getan,« sagte der Minstrel, »und kann die fröhliche Kunst jetzt nicht ausüben.« »Oder Ihr seid zu stolz, englischen Bauern was vorzuspielen,« sagte der ältere Landmann, »denn Eure Aussprache klingt normannisch,«

»Behalte dennoch das Stück Geld,« sagte der Jüngere. »Mag der Pilger empfangen, was der Minstrel zu verdienen verschmäht.«

»Ich bitte Euch, guter Freund, verschont mich mit Eurer Gabe,« sagte Vidal, »ich bedarf ihrer nicht. Statt dessen habt die Güte, mir mitzuteilen, was hier eigentlich vor sich gehen soll.«

»Wie? Wißt Ihr nicht, daß wir unsern Connetable de Lacy wiederhaben, und daß er die flamländischen Weber jetzt mit all den schönen Dingen, die Heinrich von Anjou ihnen verliehen, feierlich belehnen wird? – Wäre Heinrich der Bekenner noch am Leben, um den niederländischen Schuften ihren Lohn zu erteilen, so wäre es ein Stückchen vom Galgen gewesen. Aber komm, Nachbar, sonst geht uns das Schauspiel verloren.« – Mit diesen Worten eilten sie den Hügel hinab.

Vidal richtete seine Augen auf die Tore des Schlosses. Fahnen wurden entfaltet und Reiterei aufgestellt. Obwohl Vidal das aus der Entfernung nur undeutlich erkennen konnte, so ersah er daraus doch, daß jemand von Bedeutung an der Spitze einer ansehnlichen kriegerischen Begleitung aufzubrechen im Begriff stand. Entfernte Trompetenstöße, die an sein Ohr schlugen, schienen dasselbe anzudeuten. Jetzt merkte er schon an dem Staube, der sich wie Säulen zwischen der Burg und der Brücke erhob, wie auch an dem näherkommenden Klang der Blasinstrumente, daß die Schar herangeritten kam.

Vidal seinerseits schien noch unentschlossen, ob er seinen jetzigen Platz, von wo aus er alles, obwohl etwas entfernt, überschauen konnte, innehalten, oder ob er sich in das Gedränge mischen sollte, das jetzt an jeder Seite der Brücke herrschte, ausgenommen da, wo der Durchgang durch die bewaffneten, in Reihe aufgestellten Flamländer offen gehalten wurde.

Ein Mönch eilte an Vidal vorüber, und auf dessen wiederholte Frage nach der Ursache dieser Zusammenkunft, antwortete er in einem murmelnden Tone unter seiner Kapuze hervor, es wäre der Connetable de Lacy, der nun die erste Handlung seiner wiedererlangten Würde ausüben und den Flamländern den königlichen Gnadenbrief über ihre Freiheiten übergeben werde.

»Er beeilt sich recht sehr, wie es scheint, seine Würde auszuüben,« sagte der Minstrel. »Wer nur soeben ein Schwert erhalten hat, ist ungeduldig, es zu ziehen,« erwiderte der Mönch, der noch mehr hinzusetzte, was aber der Minstrel nicht ganz verstand; denn Pater Aldrovand hatte die vier Vorderzähne noch nicht ersetzt, die er bei der Belagerung verloren. Vidal glaubte indessen zu verstehen, daß jener den Connetable hier sprechen und um dessen Fürsprache zu seinen Gunsten bitten wolle.

»Auch ich will ihn sprechen,« sagte Renault Vidal und erhob sich plötzlich von dem Steine, auf dem er saß.

»So folgt mir,« murmelte der Priester, »die Flamländer kennen mich und werden mich durchlassen.«

Aber Pater Aldrovand war in Ungnade, sein Einfluß war also nicht so mächtig, als er sich geschmeichelt hatte; er sowohl, als der Minstrel wurden in dem Gedränge hin und her gestoßen und voneinander getrennt.

Vidal wurde jedoch von den englischen Landleuten wiedererkannt, die kurz zuvor mit ihm gesprochen hatten. »Kannst Du einige Taschenspielerstückchen machen, Minstrel?« sagte der eine. »Du könntest hier eine reiche Ernte haben, denn unsere normannischen Herren lieben die Gaukler.«

»Ich kann nur eins,« sagte Vidal, »und das will Euch zeigen, wenn Ihr mir ein wenig Platz machen wollt.«

Sie traten ein wenig zurück und ließen ihm Zeit, seine Mütze abzuwerfen, Beine und Knie zu entblößen, indem er die ledernen Halbstiefel, die sie einhüllten, abzog und nur die Sandalen anbehielt. Dann wand er ein dunkles Tuch um die braune, sonnenverbrannte Stirn und sein Oberkleid abschleudernd, zeigte er seine fleischigen, muskulösen Arme, nackt bis zur Schulter.

Aber während sich die Leute um ihn her an diesen Vorbereitungen belustigten, entstand eine lautere Bewegung unter der Menge. Zugleich ertönten die Trompeten näher, beantwortet von allen Instrumenten der Flamländer, wie auch von Jubelrufen in normannischer und englischer Sprache: »Lange lebe der tapfere Connetable! Unsere Frau für den kühnen de Lacy!« – alles verkündigte, daß der Connetable ganz nahe sei.

Vidal bemühte sich energisch, sich dem Führer des Zuges zu nähern, dessen Helm mit den hohen Federn und dessen rechte Hand mit dem Kommandostab ihm allein sichtbar waren, weil ihn Offiziere und Bewaffnete dicht umdrängten. Endlich gelang es ihm soweit, daß er nur etwa zehn Fuß noch von dem Connetable entfernt war. Dieser befand sich jetzt in einem kleinen Kreise, den man nur mit Mühe frei hielt. Er kehrte dabei dem Minstrel den Rücken zu, und eben beugte er sich vom Pferde nieder, um den königlichen Gnadenbrief Wilkin Flammock zu überreichen, der sich auf ein Knie niedergelassen hatte, ihn um so ehrfurchtsvoller entgegenzunehmen. Die Haltung des Flamländers nötigte dabei den Connetable, sich so tief zu bücken, daß der Federbusch seines Helms sich fast mit der Mähne seines edlen Streitrosses zu vermischen schien.

Im selben Augenblick sprang Vidal mit außerordentlicher Gewandtheit über die Köpfe der Flamländer, die den Kreis schlossen, hinweg, und ehe ein Auge blinzeln konnte, faßte sein rechtes Knie Halt auf dem Hinterteil des Pferdes, seine linke Hand packte de Lacy beim Kragen, und sich wie der Tiger nach dem Sprunge an seine Beute klammernd, zog er einen kurzen scharfen Dolch und stieß ihn dem Connetable hinten in den Nacken, da wo das Rückgrat und Gehirn ineinander übergehen. Der Stoß wurde mit der größten Treffsicherheit und mit gewaltiger Kraft geführt. Der Unglückliche sank aus dem Sattel, ohne zu zucken oder zu stöhnen, wie der Stier im Amphitheater unter dem Stahl des Toreadors; in seinem Sattel aber saß sein Mörder, schwang den blutigen Dolch und trieb das Roß zur Flucht an.

Es war wirklich die Möglichkeit vorhanden, daß die Flucht gelingen konnte, so regungslos, wie vom Schlage getroffen, standen im ersten Augenblicke alle Umstehenden da, durch die Schnelligkeit und Kühnheit der Tat erstarrt; aber den stämmigen Vater Rosas verließ die Geistesgegenwart nicht. Er ergriff das Pferd beim Zügel, und mit Hilfe der andern, die nun durch sein Beispiel aus der Erstarrung gerissen wurden, nahm er den Reiter gefangen, band ihm die Arme und rief laut, er müsse vor König Heinrich geführt werden. Diese Worte, in Flammocks starker entschlossener Stimme, beschwichtigten das wilde Geschrei über Mord und Verrat, das aus tausend Kehlen erscholl und dadurch entstanden war, daß die verschiedenen Völkerschaften angehörenden und daher einander feindlich gesinnten Zuschauer sich gegenseitig den Vorwurf der Verrätern machten.

Alle diese Ströme vereinigten sich aber jetzt in einem Bett und wogten vorwärts gegen Garde Douloureuse, ausgenommen einige aus dem Gefolge des ermordeten Edelmannes, die zurückblieben, um den Leichnam ihres Herrn mit gebührender Feierlichkeit und Trauer von dem Orte, wohin er mit so großem Prunk und Triumph geritten war, wegzuschaffen. Als Flammock Garde Douloureuse erreichte, wurde er sogleich mit seinem Gefangenen und denen vorgelassen, die er auswählt hatte, um als Zeugen zur Ueberführung des Verbrechers zu dienen. Gleich anfangs wurde ihm auf sein Gesuch um Audienz geantwortet, der König hätte befohlen, daß jetzt niemand vor ihn gelassen werden sollte; aber die Nachricht von der Ermordung des Connetables war doch so überraschend, daß der Hauptmann von der Wache es wagte, Heinrichs Ruhe zu stören und ihm das Ereignis mitzuteilen. Er kehrte mit dem Befehl zurück, daß Flammock und sein Gefangener sogleich in das königliche Gemach treten sollten. Hier fanden sie Heinrich von mehreren Personen umgeben, die ehrfurchtsvoll hinter dem königlichen Stuhl in einem dunklen Teil des Gemachs standen.

Als Flammock hereintrat, bildeten seine breiten, starken Glieder einen auffallenden Gegensatz zu seinem vor Entsetzen über das eben Erlebte bleichen Wangen und zu seiner Befangenheit, sich in dem königlichen Audienzzimmer zu befinden. Neben ihm stand sein Gefangener, unerschrocken trotz seiner furchtbaren Lage. Das Blut, das aus der Wunde seines Opfers gespritzt war, zeigte sich auf seinen bloßen Gliedern und seinem engen Kleide, besonders aber auf seiner Stirn und dem darum gewundenen Tuche.

Heinrich warf einen strengen Blick auf ihn, den jener aber nicht nur ohne Furcht ertrug, sondern selbst mit einem finstern Blicke des Trotzes zu erwidern schien.

»Kennt hier keiner diesen Bösewicht?« fragte Heinrich und blickte umher.

Auf diese Frage antwortete niemand, bis Philipp Guarine aus der Gruppe, die sich hinter dem königlichen Stuhle befand, hervortrat und mit fast versagender Stimme antwortete: »Da Ihr es erlaubt, mein Fürst – sofern mich nicht sein sonderbarer Anzug irre macht – so würde ich sagen, er wäre ein Minstrel aus dem Haushalt meines Herrn, namens Renault Vidal.«

»Du bist im Irrtum, Normann!« erwiderte der Minstrel, »die Stelle als Diener und meine niedere Abkunft waren nur angenommen – ich bin Cadwallon, der Brite – Cadwallon, der erste Barde Gwenwyns von Powislaws und – sein Rächer.« –

Als er die letzten Worte aussprach, erblickte er einen Pilger, der allmählich aus dem Hintergrund hervortrat, wo das Gefolge sich befand, und jetzt vor ihm stehen blieb.

Des Welschen Augen quollen gespensterhaft hervor, als wollten sie aus ihren Höhlen brechen, indem er mit einem Tone des Erstaunens und Schreckens ausrief: »Erscheinen die Toten vor den Königen? – Oder wenn Du lebst, wen habe ich erschlagen? – Ich habe von dem Sprunge und Dolchstoß doch nicht geträumt? – dennoch steht mein Opfer vor mir! – Habe ich nicht den Connetable von Chester erschlagen?«

»Du hast wirklich den Connetable erschlagen,« antwortete der König. »Aber wisse, Waliser, es war Randal de Lacy, dem ich heute morgen diese Würde übertragen hatte, denn wir glaubten, daß unser vielgetreuer Hugo de Lacy auf seiner Rückkehr vom heiligen Lande umgekommen sei, weil die Nachricht einlief, daß das Schiff, auf dem er sich befand, gescheitert sei. Du hast Randals kurze Erhebung nur um einige Stunden verkürzt; denn die morgende Sonne hätte ihn schon wieder ohne Land und Würden gesehen.«

Der Gefangene ließ in Verzweiflung das Haupt auf die Brust sinken. »Ich glaube,« murmelte er, »er hätte so schnell seine Haut verändert und sei wieder in Glanz hervorgetreten. Mögen die Augen mir aus dem Kopfe fallen, die sich durch dergleichen Spielwerk, wie Federhut und lackierter Stab, betrügen ließen!«

»Ich werde Sorge tragen, Waliser, daß Deine Augen Dich nicht wieder betrügen!« sagte der König sehr ernst. »Ehe die Nacht eine Stunde älter ist, sollen sie für alles, was irdisch ist, geschlossen sein.« »Darf ich Ew. Gnaden um die Erlaubnis ersuchen,« sagte der Connetable, »dem unglücklichen Mann einige Fragen vorlegen zu dürfen.«

»Sobald ich ihn erst selbst werde gefragt haben,« sagte der König, »warum er seine Hände in das Blut eines edlen Normannen tauchte?«

»Weil er, dem ich meinen Stoß zugedacht hatte,« sagte der Brite, den feurigen Glanz seiner Augen von dem Könige auf de Lacy und zurück auf den König werfend, »das Blut des Abkömmlings von tausend Königen verspritzt hat, gegen den sein Blut und auch Deines, stolzer Graf Anjou, ebensowenig ist, wie eine Pfütze auf der Landstraße gegen eine silberne Quelle.«

Heinrichs Auge bedrohte den kühnen Sprecher, doch unterdrückte der König seinen Zorn, als er den bittenden Blick seines Lehnsmannes gewahrte. »Was wolltest Du ihn fragen?« sagte er. »Sei kurz, denn seine Zeit ist gemessen.« »Wenn Ihr es gestattet, mein Fürst, so wollte ich nur fragen, warum er es jahrelang aufgeschoben hat, das Leben dem zu nehmen, dem er nachstellte, da es doch oft in seinen Händen war – ja, da es ohne seinen scheinbar treuen Dienst hätte verloren gehen können?«

»Normann!« sagte Cadwallon, »ich will Dir antworten. Als ich zuerst in Deinen Dienst ging, war es meine Absicht, Dich schon in derselben Nacht zu erschlagen. Da steht der Mann,« und er zeigte auf Philipp Guarine, »dessen Wachsamkeit Dich damals gerettet hat.«

»In der Tat,« sagte de Lacy, »ich erinnere mich, daß ich manchmal etwas bemerkte, was mir nicht geheuer vorkam. Aber warum schobst Du Deinen Vorsatz auf, als nachher mein Leben oft in Deine Hand gegeben war?«

»Als der Mörder meines Souverains Gottes Söldner war,« antwortete Cadwallon, »und der Sache des Himmels in Palästina diente, war er vor meiner irdischen Rache sicher.«

»Eine wunderbare Enthaltsamkeit bei einem welschem Meuchelmörder!« sagte der König verächtlich.

»Ja,« antwortete Cadwallon, »eine Enthaltsamkeit, die christliche Fürsten dadurch ausüben, daß sie die Abwesenheit eines nach dem heiligen Lande gezogenen Nebenbuhlers benützten, sich seine Besitzungen anzueignen.«

»Nun! bei dem heiligen Kreuze!« sagte Heinrich, und wollte seinem Zorn Luft machen, denn die Beleidigung traf ihn besonders, Weniger ihn, als seinen Großvater Heinrich I., welcher seinem ältern Bruder Robert erst das Anrecht an die Krone und hernach die Normandie raubte, während dieser sich auf einem Kreuzzuge befand. aber plötzlich hielt er an sich und sagte mit der Miene der Verachtung: »Zum Galgen mit dem Buben!«

»Noch eine Frage,« sagte de Lacy, »Renault, oder wie Du heißt, auch auf meiner Rückreise hast Du mir Dienste geleistet, die sich mit Deinem festen Entschluß, mich zu töten, kaum vereinbaren lassen. – Du standest mir im Schiffbruch bei – Du führtest mich sicher durch Wales, wo schon mein bloßer Name meinen Tod herbeigeführt hätte – und dies alles, nachdem der Kreuzzug schon vollendet war?«

»Ich könnte Deine Zweifel lösen,« sagte der Barde, »nur möchte man glauben, ich spräche für mein Leben.«

»Darum stehe nicht an, fortzufahren,« sagte der König, »denn wollte auch der heilige Vater für Dich bitten, seine Bitte wäre vergeblich.« »Gut denn,« sagte der Barde, »so vernimm die Wahrheit. – Ich war zu stolz, weder den Meereswogen noch den Walisern einen Anteil an meinem Rachewerk einzuräumen. Wisse auch, obwohl es vielleicht eine Schwäche Cadwallons ist, indem ich mit Dir umging und mich an Dich gewöhnte, schwankte ich zwischen Abscheu und Bewunderung. Ich dachte noch immer an meine Rache, aber als an etwas, das ich wohl nie erfüllen würde. Sie erschien mir mehr wie ein Bild in den Wolken, als wie ein Gegenstand, dem ich einmal näher treten mußte. Und als ich Dich noch heute so fest entschlossen sah, Dein furchtbares Unglück wie ein Mann zu tragen, – so daß Ihr mir dem letzten Turme eines zerstörten Palastes zu gleichen schienet, der noch immer sein Haupt zum Himmel erhebt, indes die stolzen Mauern, die prächtigen Gemächer rings in Trümmern liegen: – da sagte ich im stillen zu mir selbst: Möge es mein eigener Tod sein – den Mann töte ich nicht! Da, eben da – es sind nur einige Stunden verflossen – hättest Du nur die Hand anzunehmen brauchen, die ich Dir bot, so hätte ich Dir gedient, wie ein Diener seinem Herrn. – Ihr wieset sie zurück mit Verachtung – und doch mußte ich mir erst in Erinnerung rufen, wie Ihr im Stolze des normannischen Uebermuts über das Feld hinsprengtet, wo Ihr meinen Herrn erschlugt, ehe in mir wieder der Entschluß fest stand, den Streich zu tun, der Euch zugedacht war und nun wenigstens einen von Eurem gewalttätigen Geschlecht erschlagen hat. – Jetzt will ich keine Fragen mehr beantworten. – Führt mich zum Beil oder zum Galgen! – dem Cadwallon ist es gleich – meine Seele wird bald bei meinen freien, edlen Vorfahren sein.«

»Mein Herr und König,« sagte de Lacy und beugte sein Knie vor Heinrich, »könnt Ihr dieses hören und einem alten Diener eine Bitte abschlagen? – Verschont diesen Menschen! – Löscht nicht ein solches Licht aus, weil es ausschweifend und wild ist.«

»Steh auf, steh auf, de Lacy, und schäme Dich Deiner Bitte!« sagte der König, »Deines Verwandten Blut – das Blut eines edlen Normanns haftet an Hand und Stirn des Welschen. So wahr ich ein gekrönter Fürst bin, er soll sterben, ehe es abgewischt ist. – Fort, zu seiner Hinrichtung, auf der Stelle!« – Cadwallon ward sogleich unter Wache abgeführt.

»Du bist wahnsinnig, de Lacy – Du bist wahnsinnig, mein alter, treuer Freund, so in mich zu dringen,« sagte der König und nötigte de Laey aufzustehen. »Siehst Du nicht, daß ich hierin für Dich Sorge trage. Dieser Randal hat sich durch Freigebigkeit und Versprechungen viele Freunde gemacht, die wohl nicht so leicht zur Vasallenpflicht gegen Dich zurückkehren würden, da Du ganz arm und bar an Macht und Reichtum heimkamst. Hätte er gelebt, wir hätten viele Mühe gehabt, ihn ganz der Macht zu berauben, die er erworben hatte. Wir danken es dem Waliser Mörder, der uns von ihm befreite, aber seine Anhänger würden über falsches Spiel schreien, bliebe der Mörder verschont. Wenn Blut für Blut geflossen ist, wird alles vergessen sein, und ihre Treue wird wiederum in ihrem rechten Bette ihrem rechtmäßigen Lehnsherren zuströmen.«

Hugo de Lacy erhob sich von seinen Knien und versuchte ehrerbietig, die politischen Gründe seines klugen Fürsten zu bekämpfen, die, wie er deutlich sah, weniger seinen Vorteil bezweckten, als vielmehr dazu dienen sollten, bei der Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Herrn nach Möglichkeit alle Unruhen zu vermeiden.

Heinrich hörte geduldig seine Gründe an und widerlegte sie mit Gelassenheit, bis die Totentrommel gerührt wurde und die Schloßglocke zu läuten begann. Da führte er de Lacy zum Fenster, auf das, denn es war schon finster, ein starkes, rotes Licht von draußen fiel. Eine Schar Bewaffneter, ein jeder eine brennende Fackel in der Hand, kehrte die Terrasse entlang von der Hinrichtung des wilden, doch hochgesinnten Briten zurück, und der Ausruf: »Lange lebe König Heinrich! so müßten alle Feinde der edlen Normannen sterben!« hallte in die Nacht.


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