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Zwölftes Kapitel.

Die schlimmen Nachrichten, mit denen das letzte Kapitel schloß, mußten wohl oder übel Damian de Lacy überbracht werden, da sie ihn hauptsächlich angingen. Lady Eveline selbst übernahm es, sie ihm mitzuteilen, und was sie sagte, vermischte sie mit Tränen, und wiederum unterbrach sie diese Tränen um Worte der Hoffnung und des Trostes zu sprechen, an die sie freilich selbst kaum glauben mochte.

Der verwundete Ritter ließ die Augen unverwandt auf ihr ruhen und hörte die unselige Zeitung an, wie einer, den sie nur insoweit rührte, wie sie diejenige betraf, aus deren Munde er sie vernahm. Als sie geendet hatte, fuhr er fort, sie wie im Traume unverwandt anzusehen, so daß sie aufstand, um diesen Blicken zu entgehen, die sie in Verwirrung setzten. Da beeilte er sich, ihr zu antworten, um sie noch zurückzuhalten. »Was Ihr mir da gesagt habt, schöne Lady,« erwiderte er, »wäre aus jedem Munde hinreichend, mir das Herz zu brechen, denn es lehrt mich, daß die Macht und Ehre meines Hauses, die meinem Schutze so feierlich anvertraut wurden, infolge meines Unglücks verloren gegangen find. Aber wenn ich Euch sehe und Eure Stimme höre, so vergesse ich alles andere, nur das nicht, daß Ihr gerettet und hier in Ehre und Sicherheit seid. Eure Güte gewähre mir also die Bitte, mich von dem Schlosse, das Ihr bewohnt, irgend anderswohin bringen zu lassen. Ich bin in keiner Weise Eurer fernern Sorge würdig, da mir nicht länger die Schwerter anderer zu Gebote stehen und ich gegenwärtig durchaus unfähig bin, das meinige zu ziehen.«

»Und wenn Ihr großmütig genug seid, nur an mich bei Eurem Unglück zu denken, edler Ritter,« antwortete Eveline, »glaubt Ihr denn, daß ich vergessen könnte, weswegen und bei wessen Errettung ihr diese Wunden empfingt? –Nein, Damian, sprecht nicht davon, daß ich Euch soll fortschaffen lassen. – Solange noch ein Türmchen von Garde Douloureuse steht, solange sollt Ihr in diesem Türmchen Obdach und Schutz finden. Dies würde, ich bin davon überzeugt, auch der Wille Eures Oheims sein, wäre er hier.«

Es schien, als ob Damian einen plötzlichen Schmerz an seinen Wunden fühlte; denn die Worte wiederholend: »Mein Oheim!« kehrte er sich ganz um und wandte sein Gesicht von Evelinen ab; dann faßte er sich wieder und sprach: »Ach! wüßte mein Oheim, wie schlecht ich seinen Befehlen nachgekommen bin, er würde mich, statt mir den Schutz dieses Hauses zu gewähren, von den Zinnen hinabwerfen lassen!«

»Fürchtet seine Unzufriedenheit nicht,« sagte Eveline, wiederum im Begriff hinauszugehen, »bemüht Euch vielmehr, durch ruhige Fassung Eures Gemütes die Heilung Eurer Wunden zu fördern; dann zweifle ich nicht, werdet Ihr imstande sein, die Ordnung im Gebiet des Connetables wiederherzustellen, noch lange vor seiner Rückkehr.«

Sie errötete, als sie die letzten Worte aussprach, und verließ eilig das Zimmer. Als sie in ihre Kammer gelangt war, entließ sie ihre andern Dienerinnen und behielt nur Rose bei sich. »Was denkst Du von all dem, mein kluges Mädchen, meine Ermahnerin?« sagte sie.

»Ich wollte,« sagte Rose, »dieser junge Ritter hätte nie das Schloß betreten – aber, da er einmal hier ist, er verließe es jetzt gleich – oder er könnte mit Ehren für immer hier bleiben!«

»Was verstehst Du unter dem Hierbleiben für immer?« fragte Eveline scharf und schnell.

»Laßt mich diese Frage mit einer andern beantworten. – Wie lange ist jetzt der Connetable von Chester von England abwesend?«

»Drei Jahre auf den St. Klemenstag,« sagte Eveline. – »Was soll das hier?«

»Nun, nichts als –«

»Als was? – Ich will's, sprich aus!«

»In wenigen Wochen werdet Ihr das Recht haben, über Eure Hand zu verfügen.«

»Und denkst Du, Rose,« antwortete Eveline und erhob sich mit Würde, »daß es keine andern Bande gibt, als die, welche des Schreibers Feder aufsetzt? – Nur wenig wissen wir von des Connetables Schicksalen; doch wir wissen genug, um zu erraten, daß seine hochfliegenden Hoffnungen gescheitert und sein Schwert und sein Mut zu schwach gewesen sind, das Glück des Sultans Saladin zu ändern. Setze den Fall, er kehrte binnen kurzem zurück, aber, wie wir viele Kreuzfahrer zurückkommen sahen, arm und mit geschwächter Gesundheit – setze den Fall, er fände seine Güter verwüstet, seine Krieger durch die letzten Ereignisse zerstreut: wie würde es klingen, sollte er auch seine verlobte Braut als Gattin eines andern finden, als Frau seines Neffen, dem er am meisten vertraute? – Glaubst Du, ein solches Versprechen sei dem Pfande in der Hand eines Lombarden zu vergleichen, das auf Tag und Stunde eingelöst werden muß, oder es ist verfallen?«

»Ich kann nichts weiter sagen, Mylady,« erwiderte Rose, »als daß die, welche sich an den Buchstaben ihres Vertrags halten, in unserm Lande darüber hinaus nicht gebunden sind.«

»Das ist eine flämländische Sitte, Rose,« sagte ihre Gebieterin, »aber die Ehre eines Normanns begnügt sich nicht mit einer so engbegrenzten Pflichterfüllung. Wie? wolltest Du, daß meine Ehre, meine Neigung, meine Pflicht, alles, was für eine Frau Wert hat, von eben der Fortschreitung des Kalenders abhängen soll, auf die der Wucherer beständig sein Auge hat, um sich eines verfallenen Pfandes zu bemächtigen? – Bin ich nur eine Ware, daß ich dem einen gehören muß, wenn er vor Michaelis sein Anrecht geltend macht, – und dem andern, wenn jener zu spät hervortritt? – Nein, Rose! So legte ich mein Versprechen nicht aus, geheiligt, wie es war, durch die besondere Führung Unserer Frau von Garde Douloureuse.«

»Das Gefühl ist Euer wert, meine teuerste Lady,« antwortete ihre Dienerin. »Aber Ihr seid noch so jung – so von Gefahren umgeben – so der Verleumdung bloßgestellt – daß ich allein deshalb gern auf die Zeit hinblicke, wo Ihr einen gesetzlichen Gefährten und Beschirmer habt, weil ich das als das einzige Mittel ansehe, Euch aus Zweifeln und Gefahren zu befreien.« »Denke daran nicht, Rose!« antwortete Eveline. »Setze Deine Gebieterin nicht mit den vorsichtigen Damen in eine Klasse, die, während der erste Gatte noch lebt, wiewohl alt und krank, sich klüglich damit beschäftigen, eine Verbindung mit einem andern anzuzetteln.«

»Etwas wohl, meine teuerste Lady,« sagte Rose, »doch nicht ganz so. – Erlaubt mir nur noch ein Wort! Da Ihr entschlossen seid, Euch Eurer Freiheit nicht zu bedienen, selbst wenn die Zeit Eurer Verpflichtung abgelaufen ist, warum gestattet Ihr, daß dieser junge Mann unsere Einsamkeit teilt? – Er ist gewiß gesund genug, um nach einem andern sichern Ort gebracht zu weiden. Laßt uns unsere frühere abgeschlossene Lebensweise wieder annehmen, bis uns die Vorsehung bessere oder wenigstens sichrere Aussichten gewährt.«

Eveline seufzte – blickte nieder – dann das Auge erhebend, öffnete sie noch einmal ihre Lippen, um ihre Bereitwilligkeit zu einem solchen vernünftigen Vorschlage zu erklären, als ein scharfer Trompetenton, der vom Tore her erklang, sie unterbrach, und Raoul, mit Angstschweiß auf der Stirn hereingehinkt kam, seiner Lady anzukünden, daß ein Ritter und ein Wappenherold in des Königs Farben, begleitet von einer starken Mannschaft, vor dem Schlosse hielten und Einlaß im Namen des Königs begehrten.

Eveline schwieg einen Augenblick, ehe sie folgendes erwiderte: »Auch nicht auf des Königs Befehl soll das Schloß meiner Vorfahren geöffnet werden, bevor wir genau wissen, wer es fordert, und zu welchem Zwecke. Wir wollen selbst zum Tore, um zu vernehmen, was mit dieser Aufforderung gemeint sei. – Meinen Schleier, Rose – und rufe meine Frauen. – Noch einmal erschallt die Trompete – ach! sie tönt wie ein Zeichen des Todes und des Verderbens!«

Die prophetische Furcht Evelinens war nicht falsch. Denn kaum hatte sie die Türe ihres Zimmers erreicht, als ihr der Page Amelot voll Schreckens entgegenstürzte. Das Knie vor Evelinen beugend, rief er: »Lady, edle Lady, rettet meinen teuern Herrn! – Ihr, Ihr allein, könnt ihn in dieser äußersten Not erretten!«

»Ich?« rief Eveline mit höchstem Erstaunen. »Muß ich ihn retten, und von welcher Gefahr? – Gott weiß, wie gerne!«

Hier brach sie kurz ab, als scheue sie sich, die Worte, welche auf ihren Lippen schwebten, auszusprechen.

»Guy Monthermer, Lady, hält vor dem Tore mit einem Herold und dem königlichen Banner. Der Erbfeind des Hauses de Lacy in dieser Begleitung kommt zu nichts Gutem hierher. – Ich kenne nicht den ganzen Umfang des Unheils, aber zum Unheil kommt er. – Mein Herr erschlug seinen Neffen auf dem Schlachtfelde von Malpas, und deshalb –« – Ihn unterbrach ein neuer Trompetenstoß, der gellend die Ungeduld der draußen Harrenden durch die Gewölbe der alten Feste widerhallen ließ.

Lady Eveline eilte zum Tore. Dort standen die Wachen und andere Leute, und sahen einander mit angstvollen Gesichtern an. Alle richteten die Blicke auf sie, als ob sie bei ihrer Gebieterin den Trost und Mut finden wollten, den sie einander nicht mitteilen konnten. Vor dem Tore hielt zu Roß und in voller Rüstung ein ältlicher stattlicher Ritter, dessen aufgezogenes Visier einen schon ergrauenden Bart zeigte. Neben ihm befand sich der Herold zu Pferde; das königliche Wappen war als Stickerei auf seinem Amtskleide, das ganze Gewicht der beleidigten Amtswürde lag auf dem Gesicht, das von einem dichten Bart und einem dreifachen Federbusch beschattet war. Etwa fünfzig Soldaten unter dem Panier von England begleiteten ihn.

Als Lady Eveline an der Barriere erschien, fragte der Ritter nach einer leichten Verbeugung, die mehr äußere Höflichkeit als Freundlichkeit verriet, ob er die Tochter Raymond Berengers vor sich sehe. »Und,« fuhr er fort, als er eine bejahende Antwort erhalten hatte, »vor der Burg dieses bewährten und begünstigten Dieners vom Hause Anjou müssen König Heinrichs Trompeten dreimal ertönen, ohne daß die Bevollmächtigten des Herrschers Einlaß erhalten?« »Meine Lage,« entgegnete Eveline, »muß meine Vorsicht entschuldigen. Ich bin ein einsames Mädchen und wohne in einer Grenzfestung. Ich kann niemand einlassen, ohne nach seiner Absicht zu fragen, und muß erst gewiß sein, daß ich den Betreffenden einlassen kann, ohne die Sicherheit des Platzes und meine eigene Ehre zu gefährden.«

»Da Ihr gar so ängstlich seid, Lady,« erwiderte Monthermer, »so vernehmt, daß bei dem gegenwärtig zerrütteten Zustand dieser Landschaft es Sr. Gnaden des Königs Wille ist, eine Truppenabteilung in Eure Festung zu legen, die dieses wichtige Schloß sowohl vor den rebellischen Bauern zu schützen vermag, als auch vor den Wallisern, die, wie zu erwarten ist, über die Grenzen einbrechen werden, da sie dies in unruhigen Zeiten stets getan haben. Oeffnet Euer Tor, Lady von Berenger, und laßt Seiner Hoheit Truppen ins Schloß hinein!«

»Herr Ritter,« entgegnete die Lady, »die Burg, wie jede andere Festung in England, gehört gesetzlich dem Könige; aber gesetzlich bin auch ich deren Inhaber und Verteidiger. So besagt es die Lehnspflicht, nach der meine Vorfahren diese Länder zum Besitz erhielten. Ich habe Leute genug, Garde Douloureuse zu meiner Zeit zu halten, wie mein Vater und mein Großvater vor ihm es zu ihrer Zeit verteidigten. Der König ist zu gnädig, mir Hilfe zu schicken; aber ich habe die Hilfe von Mietlingen nicht nötig. Auch halte ich es nicht für sicher, solche Leute in mein Schloß zu lassen, die in dieser gesetzlosen Zeit sich selbst leicht zu gunsten eines andern und nicht der gesetzlichen Gebieterin zu Herren der Burg machen könnten.«

»Lady,« erwiderte der alte Krieger, »der König kennt die Gründe sehr wohl, weshalb Ihr Euch ihm widersetzt. Es ist nicht die Furcht vor den königlichen Truppen, die Euch, eine Vasallin des Königs, zu so halsstarrigem Benehmen veranlaßt. Ich könnte auf Eure Weigerung hin sogleich vorgehen und Euch als eine Verräterin gegen die Krone ausrufen; doch der König erinnert sich der Verdienste Eures Vaters. So wißt denn, es ist uns nicht unbekannt, daß Damian de Lacy, der beschuldigt ist, den Aufstand angeregt und angeführt, seine Pflicht im Felde verlassen und einen edlen Streitgenossen dem Schwerte der unbarmherzigen Bauern preisgegeben zu haben, unter Eurem Dach Schutz gefunden hat, was Eurer Treue als Vasallin und Eurer Aufführung als edelgeborene Jungfrau wenig Ehre macht. Liefert ihn uns aus, so will ich diese Bewaffneten abführen und Euch, ob ich es gleich kaum verantworten kann, von der Besetzung des Schlosses freisprechen.«

»Guy de Monthermer,« antwortete Eveline, »wer einen Flecken auf meinen Namen wirft, spricht falsch und unwürdig; was Damian de Lacy anbetrifft, so wird er selbst seinen guten Namen zu verteidigen wissen. Nur das eine laßt mich sagen, daß solange er im Schlosse der Verlobten seines Verwandten weilt, diese ihn keinem ausliefert, am wenigsten seinem wohlbekannten Feinde. – Laßt das Fallgitter nieder, Leute, und daß es nicht aufgezogen werde, ohne meinen ausdrücklichen Befehl.«

Als sie noch sprach, fiel das Fallgitter schwirrend und rasselnd auf den Boden, und Monthermer, beschämt und voll Ingrimms, mußte draußen bleiben. »Unwürdige Lady,« begann er mit Heftigkeit, dann aber an sich haltend, sagte er ruhig zu dem Herold: »Ihr seid Zeuge, daß sie den Verräter in das Schloß gelassen hat – Ihr seid Zeuge, daß, gesetzlich aufgefordert, Eveline Berenger sich weigert, ihn auszuliefern. Nun tut Eure Pflicht, Herr Herold, nach üblichem Gebrauch!«

Der Herold trat vor und verkündete in der bei solchen Gelegenheiten üblichen Form und Sprache, daß Eveline Berenger, nachdem sie dazu gesetzlich aufgefordert worden, sich geweigert habe, des Königs Truppen in ihre Burg einzulassen und den Leib eines falschen Verräters, genannt Damian de Lacy, auszuliefern, selbst der Strafe des Hochverrats verfallen sei, und mit ihr alle diejenigen, die ihr Hilfe oder Vorschub leisteten oder das Schloß Garde Douloureuse verteidigten. Wer also täte, sei des Treubruchs gegen Heinrich von Anjou schuldig. Sobald die Stimme des Herolds schwieg, bestätigten die Trompeten das Urteil, das er ausgesprochen hatte, durch ein langes, Unheil weissagendes Geschmetter, so daß die Raben und Eulen entsetzt aus ihren Nestern flatterten und mit ahnungsvollem Gekrächz antworteten.

Die Verteidiger des Schlosses sahen einander mit bleichen, niedergeschlagenen Gesichtern an, während Monthermer, hoch seine Lanze hebend, indem er sein Pferd vom Tore abwandte, rief: »Wenn ich nächstens mich Garde Douloureuse nähere, so geschieht es nicht bloß, um den Befehl meines Souveräns zu verkünden, sondern auch, ihn auszuführen.«

Während Eveline noch gedankenvoll dastand und, dem Rückzuge Monthermers und seiner Begleiter nachschauend, erwog, was in dieser dringenden Not zu tun sei, hörte sie einen Flamländer einen Engländer, der neben ihm stand, fragen, was eigentlich ein Verräter sei?

»Wenn einer die Treue, auf die man sich verläßt, bricht – so ist er ein Verräter.«

Diese Worte erinnerten Eveline an ihren prophetischen Traum, »Ach!« sagte sie, »die Rache des bösen Geistes ist der Vollendung nahe. Als Gattin – Witwe, und als Jungfrau! – Schon lange gehören mir diese Benennungen. – Verlobt! – Wehe mir! Es war der Schlußstein meines Unglücks. – Zur Verräterin bin ich jetzt erklärt, wiewohl ich, Gott sei Dank, von aller Schuld frei bin. – Nur eins ist übrig: daß ich verraten werde – und diese böse Prophezeiung wird bis auf den letzten Buchstaben erfüllt sein!«


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