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Drittes Kapitel.

Die Ereignisse des verflossenen Tages waren ihrer Natur nach so ergreifend und zuletzt so anstrengend, daß der Connetable sich ermüdet fühlte wie nach einer schwer durchkämpften Schlacht, und fest schlief, bis die frühesten Morgenstrahlen ihn durch die Oeffnung des Zeltes begrüßten. Da begann er mit einem von Schmerz und Zufriedenheit gemischten Gefühl zu bedenken, wie sich seine Lage seit dem gestrigen Morgen verändert hatte. Gestern noch stand er auf als feuriger Bräutigam, nur besorgt, einen wohlwollenden Blick in den Augen seiner schönen Braut zu finden, und sorgsam bedacht auf seine Kleidung und jede andere Anordnung, als wäre er noch so jung an Jahren wie an seinen Hoffnungen und Wünschen. Das war nun alles vorbei, und nun lag vor ihm die schwere Aufgabe, seine Verlobte auf mehrere Jahre zu verlassen, bevor noch das Band der Ehe sie unauflöslich aneinander geknüpft hatte, und dabei immer denken zu müssen, daß sie allen den Gefahren ausgesetzt sei, von denen in einer solchen kritischen Lage die weibliche Treue bedroht ist. Als die unmittelbare Sorge um seinen Neffen gehoben war, fühlte er sich versucht zu denken, er habe ein wenig zu schnell den Vorstellungen des Erzbischofs sein Ohr geliehen, als er geglaubt hatte, Damians Tod oder Genesung hänge von der buchstäblichen ungezögerten Erfüllung seines Gelübdes für das heilige Land ab. »Wie viele Fürsten und Könige,« dachte er bei sich selbst, »haben das Kreuz genommen und die Fahrt aufgeschoben oder sich ganz losgesagt, und sie haben trotzdem gelebt und sind gestorben in Reichtum und Ehre, ohne eine solche Züchtigung zu erfahren, wie Balduin mir androhte. Und weshalb und wodurch verdienten diese Männer mehr Nachsicht als ich? Doch der Würfel ist gefallen, und wenig kann es jetzt nützen, nachzuforschen, ob mein Gehorsam gegen die Befehle der Kirche das Leben meines Neffen rettete, oder ob ich nicht, wie es den Laien gemeinhin im Streite mit der Geistlichkeit zu gehen pflegte, in die Falle geraten bin. Gebe Gott, es möge sich anders ausweisen, da ich ja als des Himmels Kämpe, um so sichrer auf den Schutz des Himmels für die rechnen kann, die ich unglücklicherweise zurücklassen muß.«

Während diese Gedanken seinem Geiste vorschwebten, riefen die Wachen vor seinem Zelte jemand an, dessen sich nähernde Schritte er schon innen hören konnte. Der Kommende blieb auf ihren Anruf stehen, und gleich darauf hörte man den Ton einer Leier, einer kleinen Art von Laute, deren Saiten mit Hilfe eines kleinen Rades geschlagen wurden. Das Spiel verstummte jedoch alsbald, und Philipp Guarine trat herein, ihm zu melden, daß jemand, der auf das Geheiß des Connetables erschienen sei, um die Erlaubnis bäte, ihn zu sprechen.

»Auf mein Geheiß?« sagte de Lacy, »laß ihn sogleich herein!«

Der Bote des vergangenen Abends trat in das Zelt, in der einen Hand seine Mütze mit der kleinen Feder, in der andern die Leier haltend, auf der er eben gespielt hatte. Sein phantastischer Anzug bestand aus einem Wams von verschiedenen Farben, und zwar den glänzendsten, schreiendsten, die so aneinander gereiht waren, daß sie die grellsten Kontraste bildeten. – Das Obergewand war ein hellgrüner, normannischer Mantel, An dem gestickten Gürtel befanden sich statt der Waffen ein Tintenfaß mit Zubehör auf der einen und ein Tischmesser auf der andern Seite. Sein Haar war so verschnitten, daß es der geistlichen Tonsur ähnlich erschien, ein Kennzeichen, daß er zu einem gewissen Rang in seiner Kunst gestiegen war. Denn die fröhliche Wissenschaft (»Joyeuse science«), wie das Gewerbe der Minstrels genannt wurde, hatte ihre verschiedenen Stufen wie die Grade in der Kirche und der Ritterschaft. Die Züge und Manieren des Mannes schienen mit seinem Gewerbe und seiner Kleidung im Widerspruch zu stehen; denn so lustig und phantastisch diese waren, so hatten jene einen Anstrich von Ernst, beinahe von Strenge, der, wenn ihn nicht die Begeisterung bei seinen poetischen und musikalischen Leistungen entflammte, eher die Neigung zu tiefem Nachdenken zu verraten schien als die gedankenlose Lebendigkeit, die die meisten seiner Brüderschaft kennzeichneten. – Sein Antlitz, sonst nicht schön, hatte daher etwas Eindrucksvolles und Ergreifendes, das auch noch den Kontrast mit seinen buntscheckigen Farben und flatternden Gewändern erhöhte. Der Connetable fühlte sich instinktiv gesonnen, den Mann freundlich zu behandeln: »Guten Morgen, Bursch! Ihr hattet eine Belohnung von mir zu fordern. Macht schnell und sagt, was Ihr von mir verlangt. – Meine Zeit ist kurz.« »Es ist die Erlaubnis, Euch in das heilige Land zu begleiten, Mylord,« sagte der Mann.

»Du forderst etwas, was ich schwerlich zugestehen kann, mein Freund!« antwortete de Lucy, »Du bist ein Minstrel; bist Du es nicht?«

»Ein unwürdiger Meister der fröhlichen Wissenschaft, Mylord,« antwortete der Tonkünstler, »doch laßt es mich selbst sagen, daß ich es sogar mit dem Könige der Minstrels, Geoffrey Rudel, aufnehmen würde, obgleich der König von England ihm vier Landgüter für einen Gesang gab. Ich wollte mit ihm einen Wettkampf eingehen in der Romanze, im Lied und in der Fabel, und wäre König Heinrich selbst der Richter.«

»Euer Wort mag ganz wahr sein, daran will ich nicht zweifeln,« sagte de Lacy, »demungeachtet, Herr Minstrel, gehst Du doch nicht mit mir. Am Kreuzzug nehmen schon so viele von Deiner unnützen Profession teil; willst Du ihre Zahl vermehren, so geschehe es nicht unter meinem Schutze. Ich bin zu alt, durch Deine Kunst bezaubert zu werden.«

»Wer jung genug ist, die Liebe der Schönheit zu suchen und zu gewinnen,« sagte der Minstrel mit unterwürfigem Tone, als fürchte er, seine Dreistigkeit könne beleidigen, »der sollte sich nicht zu alt nennen, den Zauber der Minstrelkunst zu fühlen.«

Der Connetable lächelte, nicht unempfindlich gegen die Schmeichelei, die ihm den Charakter eines jungen Liebhabers zusprach. »Du bist ein Spaßmacher,« sagte er. »Wenn Du Dich in die Ordnung eines so strenge geordneten Haushaltes, wie ich ihn führe, fügen kannst, so ist es möglich, daß wir wohl noch besser zusammenstimmen, als ich's dachte. – Wie ist Dein Name, was Dein Vaterland? Deine Sprache kommt mir etwas fremd vor.« –

»Ich bin aus Armorika, Mylord, von den lustigen Küsten von Morbihan. Daher hat meine Aussprache noch einen Anklang von meinem heimischen Dialekt. Mein Name ist Renauld Vidal.«

»Da sich die Sache so verhält, Renauld!« sagte der Connetable, »so sollst Du mich begleiten, doch werde ich meinem Haushofmeister Befehl erteilen, Dich zwar Deinem Geschäfte gemäß, aber doch ordentlicher, als Du jetzt erscheinst, zu kleiden. – Verstehst Du auch die Waffen zu führen?«

»So leidlich, Mylord!« sagte der Armorikaner und nahm ein Schwert von der Wand, zog und führte damit einen Hieb so dicht vor dem Connetable, der auf dem Lager saß, daß dieser aufsprang und rief: »Schurke, was soll das?«

»Seht Ihr, edler Herr,« erwiderte Vidal und neigte untertänigst die Spitze des Schwertes zur Erde, – »ich gab Euch eine Probe von meiner Gaukelkunst, die selbst Euch, den Erfahrenen, überraschte. Ich kann noch mit hundert andern aufwarten.«

»Das mag sein,« sagte de Lacy, etwas beschämt, daß er sich durch den überraschenden, gewandten Streich des Gauklers hatte erschrecken lassen. »Aber ich liebe nicht das Spielen mit spitzigen Werkzeugen und habe genug zu tun mit Schwert und Schwerthieben im Ernst, um mit ihnen spielen zu wollen. Ich bitte Euch also, von dergleichen nichts mehr; aber ruft mir meinen Squire und meinen Kämmerling, ich will mich ankleiden und zur Messe gehen.«

Nach geendigter Morgenandacht war es des Connetables Absicht, die Aebtissin zu besuchen und ihr mit der nötigen Vorsicht mitzuteilen, wie sich sein Verhältnis zu ihrer Nichte geändert hätte, nachdem er zu dem Entschluß gezwungen worden sei, zum Kreuzzuge aufzubrechen, bevor er nach dem bereits eingegangenen Vertrage seine Vermählung vollziehen könnte. Er wußte wohl, daß es schwer halten würde, die gute Lady mit dieser veränderten Sachlage zu versöhnen, und er ließ sich daher einige Zeit nachzudenken, auf welche Art er am besten diese unangenehme Mitteilung machen und mildern könnte. – Eine geraume Zeit nahm auch der Besuch seines Neffen hinweg, dessen Gesundheitszustand fortwährend günstig blieb, als wäre es in der Tat ein durch ein Wunder bewirkter Lohn dafür, daß der Connetable sich den Anweisungen des Erzbischofs gefügt hatte.

Von der Wohnung Damians begab sich nun der Connetable ins Kloster zur Aebtissin. Aber ein früherer Besuch des Erzbischofs Balduin hatte sie schon mit allem, was er ihr mitteilen wollte, bekannt gemacht. Der Primas hatte das Amt eines Vermittlers übernommen, da er wohl wußte, daß der Sieg, den er tags zuvor über den Connetable errungen, diesen in eine sehr heikle Lage mit der Verwandten seiner Verlobten bringen mußte; er wollte also durch sein Ansehen und durch seine Beihilfe die Zwistigkeiten beilegen, die entstehen könnten. Vielleicht hätte er besser getan, Hugo de Lacy selbst seine Sache vertreten zu lassen. Denn die Aebtissin, wiewohl sie seine Mitteilung mit all der Ehrfurcht annahm, die dem höchsten Würdenträger der englischen Kirche gebührte, leitete aus des Connetables verändertem Entschluß Folgerungen, die der Primas nicht erwartete. Sie versuchte es durchaus nicht, de Lacy bei der Erfüllung seiner Gelübde Hindernisse in den Weg zu legen, aber sie erklärte rundheraus, daß nun der Ehekontrakt mit ihrer Nichte gänzlich aufgehoben und jedem Teil Freiheit gelassen sei, eine neue Wahl zu treffen.

Umsonst versuchte der Erzbischof, die Aebtissin durch den künftigen hohen Ruhm zu blenden, den der Connetable im heiligen Lande davontragen würde, umsonst hielt er ihr vor, daß dieser Glanz sich nicht nur auf seine Gattin, sondern auf alle, die auf die entfernteste Weise mit ihr verwandt oder verbunden wären, verbreiten würde. Ohne Wirkung blieb seine Beredsamkeit, obwohl er sie bei einem solchen Lieblingsgegenstande aufs äußerste anstrengte. Wahr ist's, die Aebtissin schwieg einen Augenblick, nachdem er seine Gründe erschöpft hatte; doch es geschah bloß, um zu überlegen, wie sie es auf eine schickliche, ehrbare Weise anbringen könne, daß Kinder, ohne die das Haus ihres Bruders und Vaters aussterben würde, wohl schwerlich noch zu erwarten wären, wenn der Verlobung nicht die Vermählung folgte. Sie bestand also darauf, da der Connetable in diesem wichtigen Punkt seine Meinung geändert habe, so müßte die Verlobung gänzlich aufgehoben und vergessen sein, und sie forderte es von dem Primas, als eine Sache der Gerechtigkeit, daß, nachdem er den Bräutigam zur Aufgabe seines ursprünglichen Vorsatzes bestimmt hätte er jetzt seinen Einfluß gebrauchen solle, eine Verbindung, deren Voraussetzungen umgestoßen worden seinen, gänzlich rückgängig zu machen.

Der Primas, im Bewußtsein de Lucy zum Bruch des Kontrakts veranlaßt zu haben, hielt sich durch Ehre und Gewissen für verpflichtet, den für seinen Freund so unangenhmen Folgen vorzubeugen und das Verlöbnis aufrecht zu erhalten. Er verwies der Aebtissin ihre fleischlichen, irdischen Ansichten, die sie über den Ehestand und das Interesse ihres Hauses hege. Er warf ihr sogar vor, daß es Selbstsucht sei, die Fortpflanzung des Hauses Berenger der Befreiung des heiligen Grabes vorzuziehen, und er kündigte ihr die Rache des Himmels an für die kurzsichtige, bloß menschliche Klugheit, die die Sache des ganzen Christentums dem Interesse einer einzelnen Familie nachsetze.

Nach dieser strengen Predigt entfernte sich der Prälat und ließ die Aebtissin in sehr gereizter Stimmung zurück, wiewohl sie es klüglich vermied, auf seine väterliche Mahnung irgend eine unehrerbietige Antwort zu geben.

In dieser Laune traf nun der Connetable die ehrwürdige Frau, als er mit einiger Verlegenheit begann, ihr die Notwendigkeit seiner schleunigen Abreise nach Palästina auseinander zusetzen.

Mit finsterer Würde vernahm sie seine Erklärung. Ihr breites, schwarzes Gewand mit dem Skapulier schien sich in noch stolzere Falten zu legen, als sie ihn die edlen Gründe und die Geschehnisse berichten hörte, die ihn zum Aufschub seiner Vermählung zwängen, die, wie er bekenne, der teuerste Wunsch seines Herzens wäre, die aber doch erst nach seiner Rückkehr vom Kreuzzuge, den er auf der Stelle antreten müsse, erfolgen dürfe.

»Mich dünkt,« erwiderte die Aebtissin mit vieler Kälte, »wenn diese Erklärung ernstlich gemeint ist – und die Sache eignet sich nicht zum Scherze – mich dünkt, dann hätte des Connetables Entschluß gestern uns bekannt gemacht werden sollen, ehe er und Eveline Berenger durch das Verlöbnis sich zu gegenseitiger Treue verpflichteten.«

»Beim Worte eines Ritters und Edelmanns, ehrwürdige Frau! gestern hatte ich noch nicht den geringsten Gedanken daran, daß ich zu einem Schritte gezwungen würde, der mir ebensoviel Kummer macht, wie er Euch mißfällt.«

»Kaum vermag ich doch,« erwiderte die Aebtissin, »die zwingenden Gründe zu begreifen, die doch schon gestern vorhanden sein mußten und dabei doch erst heute zur Geltung gekommen sein sollen.«

»Ich gestehe,« sagte de Lacy, mit einem gewissen Sträuben, »daß ich zu leicht der Hoffnung Raum gegeben hatte, meines Gelübdes entbunden zu werden. Jedoch Mylord von Canterbury glaubte in seinem Eifer für des Himmels Dienst mir dies versagen zu müssen.«

»Dann,« sagte die Aebtissin, ihren Zorn unter äußerster Kälte verbergend, »werdet Ihr uns wenigstens die Gerechtigkeit widerfahren lassen, uns in dieselbe Lage zurück zu versetzen, in der wir uns gestern morgen befanden. In Uebereinstimmung mit meiner Nichte und ihren Freunden fordere ich die Aufhebung des Ehekontrakts, dem Eure gegenwärtigen Absichten zuwiderlaufen. Gebt einer jungen Dame die Freiheit wieder, deren sie augenblicklich durch den Vertrag mit Euch beraubt ist.«

»Ach, Madame,« sagte der Connetable, »was verlangt Ihr von mir? Und in welchem kalten, gleichgiltigen Tone begehrt Ihr, daß ich den teuersten Hoffnungen entsagen soll, die je mein Busen genährt hat?«

»Mir ist die Sprache solcher Gefühle unbekannt, Mylord!« erwiderte die Aebtissin, »aber ich dachte, Aussichten, die so leicht auf Jahre verschoben werden, könnten wohl auch durch einen kleinen, sehr kleinen Zwang, den man sich selbst antut, auf immer aufgegeben werden.«

Hugo de Lacy schritt, heftig bewegt, im Zimmer auf und nieder, auch antwortete er erst nach einer langen Pause: »Wenn Eure Nichte, Madame, die Meinung teilt, die Ihr soeben geäußert habt, so kann ich in der Tat, will ich gerecht gegen sie, ja vielleicht gegen mich selbst sein, nicht mehr das Anrecht auf ihr Herz beanspruchen, das unsere feierliche Verlobung mir zugestand. Aber ich muß mein Urteil von ihren eigenen Lippen hören; und wenn es so streng ist, wie Eure Aeußerungen mich fürchten lassen, so will ich nach Palästina ziehen und um so besser für den Himmel kämpfen, da ich dann wenig auf der Erde zurücklasse, was Wert für mich hat.« Ohne weitere Antwort rief die Aebtissin ihre Vorsängerin und trug ihr auf, ihre Nichte sogleich herbeizurufen. Die Vorsängerin verbeugte sich ehrfurchtsvoll und ging.

»Darf ich so frei sein, zu fragen,« sagte de Lacy, »ob Lady Eveline schon die Umstände kennt, die mich zu dieser unglücklichen Veränderung meines Vorsatzes bewogen haben?«

»Ich habe ihr, Punkt für Punkt, alles mitgeteilt,« entgegnete die Aebtissin, »genau so, wie es mir diesen Morgen vom Mylord von Canterbury auseinandergesetzt wurde (denn mit ihm sprach ich schon über diesen Gegenstand), und wie es mir jetzt durch Ew. Herrlichkeit eigenen Mund bestätigt wird.«

»Ich bin dem Erzbischof wenig verbunden,« sagte der Connetable, »daß er mir hier vorgegriffen hat, wo es für mich von großer Wichtigkeit war, meine Verteidigung persönlich zu führen und freundliches Verständnis meines Handelns zu erzielen.«

»Das,« sagte die Aebtissin, »habt Ihr mit dem Prälaten selbst abzumachen – uns geht's nichts an.«

»Darf ich hoffen,« fuhr de Lacy fort, ohne sich von der Trockenheit im Benehmen der Aebtissin beleidigen zu lassen, »daß Lady Eveline diese höchst unglückliche Veränderung der Umstände ohne Bewegung – ich wollte sagen ohne Unwillen vernommen hat?«

»Sie ist die Tochter Berengers, Mylord, und es ist unsere Gewohnheit, einen Wortbruch zu strafen oder zu verachten – nicht uns darüber zu grämen. – Was meine Nichte in diesem Falle tun wird, weiß ich nicht. Ich bin eine Dienerin der Kirche, abgeschieden von der Welt, und würde ihr raten, die unwürdige Behandlung, die ihr widerfuhr, christlich zu verzeihen. Aber sie hat Anhänger, Vasallen, Freunde und Ratgeber, die im blinden Trachten nach weltlicher Ehre ihr anempfehlen werden, sich eine solche Beleidigung nicht bieten zu lassen, sondern vor den König selbst zu gehen oder die Lehnsleute ihres Vaters zu den Waffen zu rufen und durch die Vernichtung des Kontrakts sich die Freiheit wieder zu verschaffen. – Doch hier erscheint sie, für sich selbst zu antworten.«

Eveline trat in dem Augenblick ein, auf Roses Arm gelehnt. Sie hatte die Trauer seit der Verlobung abgelegt und trug ein weißes Unterkleid und darüber eine blaßblaue Robe. Ihr Haupt deckte ein Schleier von weißem Flor, so dünn, daß er sie umfloß wie eine durchsichtige Nebelwolke. Ihre Glieder zitterten, ihre Wangen waren blaß, die leichte Röte um ihre Augenlider verriet frische Tränen. Trotz dieser natürlichen Zeichen des Kummers und der Unruhe trugen ihre Züge den Ausdruck tiefster Erregung und des Entschlusses, ihre Pflicht zu erfüllen. Und so herrlich mischten sich diese entgegengesetzten Eigenschaften von Furcht und Entschlossenheit auf ihrer Wange, daß Eveline in der höchsten Pracht ihrer Schönheit nie bezaubernder als in diesem Augenblicke erschienen war; und Hugo de Lacy, bis dahin mehr ein Liebhaber ohne große Leidenschaft, stand vor ihr mit Gefühlen, als ob alle Uebertreibungen in den Romanzen in die Wirklichkeit getreten und seine Gebieterin ein Wesen aus höheren Sphären wäre, von deren Urteil Glückseligkeit oder Elend, Leben oder Tod abhinge.

Von diesen Gefühlen beseelt, sank der Krieger auf ein Knie vor Evelinen nieder, ergriff die Hand, die sie ihm mehr ließ, als gab, drückte sie freudig an seine Lippen, und ehe er sich von ihr trennte, benetzte er sie mit einer der wenigen Tränen, die man ihn je vergießen sah. Aber, obgleich selbst überrascht und durch diese plötzliche Regung aus seiner Art gerissen, gewann er bald seine Fassung wieder, als er bemerkte, daß die Aebtissin seine Erniedrigung, wenn diese Gefühlsäußerung so genannt werden konnte, mit der Miene des Triumphes betrachtete. So begann er demnach seine Verteidigung vor Evelinen mit einem männlichen Ernst, zwar nicht ohne Wärme oder innere Bewegung, aber doch in einem festen, stolzen Ton, den er deswegen anzunehmen schien, um damit dem gleichen Tone der beleidigten Äbtissin entgegenzutreten.

»Lady,« sagte er in seiner Anrede an Eveline, »Ihr habt von der hochwürdigen Aebtissin gehört, in welche unselige Stellung ich seit gestern durch die Strenge des Erzbischofs versetzt worden bin – ich sollte vielleicht besser sagen, durch seine gerechte, wiewohl zu genaue Auslegung meines Gelübdes für den Kreuzzug. Ich kann nicht zweifeln, daß alles dies die hochwürdige Frau Euch genau, der Wahrheit gemäß, vorgelegt hat; aber da ich sie nicht länger meine Freundin nennen darf, so laßt mich hören, ob sie mir auch Gerechtigkeit widerfahren ließ in ihrer Erläuterung der unglücklichen Umstände, die mich zwingen, sogleich mein Vaterland zu verlassen und damit die schönsten Hoffnungen, die je ein Mann in seiner Brust nährte, aufzugeben – im günstigsten Falle aufzuschieben. Die hochwürdige Frau macht es mir zum Vorwurf, daß ich selbst die Vollziehung des gestern abgeschlossenen Vertrages verschöbe und Euch dabei doch gerne auf eine unbestimmte Reihe von Jahren an den Vertrag gebunden sähe. Niemand entsagt gern solchen Rechten, wie mir der gestrige Tag verlieh, und um auch einmal ein prahlerisches Wort zu sprechen: ehe ich sie einem vom Weibe geborenen Manne abträte, wollte ich mit gewetztem Schwert und scharfem Speer, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, drei Tag lang offenes Feld halten gegen alle, die da kommen wollten. Aber was ich mir erhalten wollte, und sollte es tausend Leben kosten, dem bin ich bereit zu entsagen, wenn es Euch nur einen einzigen Seufzer kosten würde. Wenn Ihr demnach glaubt, als die Verlobte de Lucys nicht glücklich bleiben zu können, so braucht Ihr von mir nur die Zustimmung zur Vernichtung des Kontrakts zu fordern, und Ihr dürft einen vom Schicksal begünstigteren Mann glücklich machen.«

Er würde noch mehr gesagt haben, aber er fühlte die Gefahr, wieder von jenen zärtlichen Gefühlen überwältigt zu werden, die seinem festen Charakter so neu waren, daß er sich schämte, ihnen abermals Raum zu geben,

Eveline schwieg noch immer, und die Aebtissin nahm das Wort. – »Ihr hört, Nichte,« sagte sie, »daß die Großmut oder die Gerechtigkeit des Connetable infolge seiner nahen Abreise zu einem entfernten und gefährlichen Unternehmen, Euch den Vorschlag macht, einen Kontrakt aufzuheben, bei welchem ausdrücklich vereinbart wurde, daß er zu seiner Vollziehung in England bleiben solle. Mir scheint, Ihr könnt nicht zögern, die Euch angebotene Freiheit mit Dank für seine Güte anzunehmen.«

»Meine gnädige und hochwürdige Verwandte!« sagte Eveline, indem sie alle ihre Entschlossenheit sammelte, »und Ihr, edler Lord! verzeiht es mir, wenn ich Euch bitte, nicht durch heftige Empfindlichkeit Eure und meine schwierige Lage zu verschlimmern. Mylord, was ich Euch schuldig bin, werde ich nie abtragen können; denn ich danke Euch Glück, Leben und Ehre. Wisset, als ich von den Wallisern in meinem Schlosse Garde Douloureuse belagert wurde, habe ich in der Angst meines Herzens, der heiligen Jungfrau gelobt, daß ich, meine Ehre ausgenommen, dem völlig zu eigen sein wolle, den Unsere liebe Frau zum Werkzeuge brauchen würde, mich aus jener Stunde der Todesangst zu erretten. Indem sie mir einen Befreier gab, gab sie mir einen Herrn; und ich konnte keinen edleren finden als Hugo de Lacy.«

»Gott verhüte, edle Lady!« rief der Connetable schnell, als fürchte er, sein Entschluß möchte sinken, ehe er bis zum Ende der Entsagung käme, »daß durch eine Fessel, die Ihr selbst Euch auf dem Gipfel der Not anlegtet, auch ich Euch an einen Entschluß binden sollte, der Euren Neigungen Gewalt antut.«

Selbst die Aebtissin konnte nicht umhin, dieser Gesinnung Beifall zu zollen, und erklärte, das sei gesprochen, wie ein normannischer Edelmann; aber dennoch richteten sich ihre Augen auf ihre Nichte und schienen sie zu ermahnen, sich wohl zu bedenken, ehe sie de Lacys ritterliches Entgegenkommen ungenützt lasse. Aber Eveline, die Augen auf den Boden geheftet, während eine leichte Röte in ihre Wangen stieg, ließ sich durch kein Zwischenreden von ihrer Meinung abbringen. »Ich will es Euch bekennen, edler Herr,« sagte sie, »damals, als Eure Tapferkeit mich vom Untergange errettete, hätte ich – denn ich ehrte und achtete Euch nicht minder hoch als Euren Freund, meinen vortrefflichen Vater – wohl wünschen mögen, Ihr hättet einer Tochter Dienste von mir gefordert. Ich kann auch nicht behaupten, dieses Gefühl ganz besiegt zu haben, obwohl ich es als Undankbarkeit gegen meinen Retter wacker bekämpfte. Aber von dem Augenblicke an, da es Euch gefiel, mich durch die Bewerbung um meine geringe Hand zu beehren, habe ich sorgfältig meine Gesinnungen gegen Euch geprüft und sie soweit mit meiner Pflicht in Übereinstimmung gebracht, daß ich mich überzeugt halten kann, de Lacy wird in Eveline Berenger keine gleichgültige, viel weniger eine unwürdige Braut finden. Hierauf, Sir, könnt Ihr Euch verlassen, möge die Vereinigung, die Ihr herbeiwünscht, sogleich stattfinden oder auf eine lange Zeit aufgeschoben sein. – Noch mehr, ich muß bekennen, daß der Aufschub der Vermählung mir angenehmer ist, als ihre unmittelbare Vollziehung. Ich bin jetzt sehr jung und völlig unerfahren. Nach zwei oder drei Jahren werde ich, das glaube ich bestimmt, der Achtung eines Edelmannes noch würdiger sein.«

Bei dieser Erklärung zu seinen Gunsten, so kalt und abgemessen sie auch war, mußte de Lacy sich ebenso sehr zusammenraffen, sein Entzücken zurückzuhalten, wie vorher, seine Bewegung zu mäßigen.

»Ein Engel an Güte und Freundlichkeit!« rief er aus, kniete noch einmal nieder und ergriff ihre Hand. »Vielleicht sollte nur die Ehre gebieten, freiwillig jenen Hoffnungen zu entsagen, die Ihr mir nicht gewaltsam rauben wollt; aber wer ist einer solchen unerschütterlichen Seelengröße fähig? – Laßt mich hoffen, daß meine Anhänglichkeit – daß alles, was Ihr aus der Entfernung von mir hören werdet, Euren Empfindungen eine noch zärtlichere Wärme verleihen werde, als Ihr jetzt zeigt. Tadelt mich indessen nicht, daß ich unter jeder Bedingung, die Ihr mir jetzt stellen mögt, von neuem das Pfand Eurer Treue entgegennehme. Ich weiß es wohl, meine Bewerbung fängt in späten Jahren an, und ich darf nicht mehr die lebendige Erwiderung erwarten, die der jugendlichen Leidenschaft eigen ist. Tadelt mich nicht, wenn ich mit den sanfteren Empfindungen zufrieden bin, die das Leben glücklich machen, wenngleich sie nicht die Leidenschaft berauschen. – Eure Hand bleibt in der meinen, aber sie scheint meinen Druck nicht zu fühlen. – Sollte sie sich weigern, das zu bestätigen, was Eure Lippen aussprachen?«

»Niemals, edler de Lacy!« sagte Eveline mit mehr Wärme, als sie bis jetzt gezeigt hatte; und durch diesen innigeren Ton ermutigt, zog der Bräutigam sie an sich und küßte sie auf die Lippen.

Mit einem gewissen Stolz, vermischt mit Ehrfurcht, wandte sich de Lacy, als er dieses Pfand der Treue empfangen hatte, zur Aebtissin, die Beleidigte zu versöhnen und zu besänftigen. »Ich hoffe, hochwürdige Mutter,« sagte er, »daß Ihr Eure frühern gütigen Gesinnungen gegen mich annehmen werdet, die, wie ich überzeugt bin, nur durch Eure zärtliche Sorge für das Wohl derjenigen, die uns beiden am teuersten sein muß, gestört wurden. Laßt mich hoffen, daß ich diese schöne Blume unter dem Schutze der hochverehrten Frau zurücklassen darf, die ihre nächste Blutsverwandte ist, in Glück und Sicherheit, wie es ja nicht anders sein kann, wenn Sie auf Euren Rat hört und in diesen heiligen Mauern wohnt.«

Aber die Aebtissin war zu ungehalten, um sich durch eine Schmeichelei versöhnen zu lassen, die vielleicht klüger bis zu einem günstigeren Augenblicke verschoben worden wäre. »Mylord,« sagte sie, »und Ihr, schöne Verwandte, Ihr solltet es doch bedenken, wie wenig mein Rat, den ich wohl nicht sehr oft da geben möchte, wo man so ungern drauf hört, denen nützlich sein kann, die so in weltlichen Trieben befangen sind. Ich habe mich der Religion, der Einsamkeit, der Abgeschiedenheit – kurz dem Dienste Unserer Frau und des heiligen Benedikts geweiht. Ich habe mir bereits den Tadel meines Vorgesetzten zugezogen, weil ich aus Liebe zu Euch, schöne Nichte, mich tiefer in weltliche Angelegenheiten hineingemischt habe, als es der Vorsteherin eines Nonnenklosters geziemt. Ich will mir keinen weitern Vorwurf in diesen Stücken zuziehen, und Ihr könnt das nicht von mir erwarten. Meines Bruders Tochter, ungefesselt von weltlichen Banden, ist mir willkommen gewesen, als sie meine arme Einsamkeit teilen wollte; aber dieses Haus ist zu geringe, um der verlobten Braut eines mächtigen Freiherrn zur Wohnung zu dienen; auch fühle ich mich in meiner Niedrigkeit und Unerfahrenheit unfähig, sie als solche in die gleiche Botmäßigkeit zu nehmen, zu der doch sonst jeder unter diesem Dache mir verpflichtet ist. Der ernste Gang unserer Andachtsübungen und die stillen Betrachtungen, denen die Frauen unseres Hauses obliegen,« fuhr die Aebtissin in wachsender Hitze und Heftigkeit fort, »sollen nicht meiner weltlichen Verbindungen wegen und durch die Einmischung einer Person gestört werden, deren Gedanken bei dem weltlichen Spielwerk von Liebe und Heirat weilen müssen.«

»Ich glaube es in der Tat, hochwürdige Mutter,« sagte der Connetable, der nun auch seinem ganzen Unmut Raum gab, »daß ein reich begütertes Mädchen, die unverheiratet ist und wohl nicht heiraten wird, eine passendere und willkommenere Bewohnerin des Klosters wäre, als eine, die nicht von der Welt getrennt werden kann und deren Reichtum wahrscheinlich nicht des Hauses Einkünfte vermehren wird.«

Die unangebrachte Bemerkung des Connetable bestärkte die Aebtissin in dem Entschluß, den sie bereits in ihrer Heftigkeit gefaßt hatte. »Möge der Himmel Euch, Herr Ritter,« erwiderte sie, »die ehrenrührigen Gedanken über eine Dienerin des Herrn vergeben! Es ist in der Tat zum Heil Eurer Seele hohe Zeit, daß Ihr im heiligen Lande Buße tut, da Ihr solche raschen Urteile zu bereuen habt. – Was Euch anbelangt, meine liebe Nichte, so kann es Euch an einer gastfreundlichen Aufnahme nicht gebrechen, die ich Euch nicht gewähren kann, ohne einen solchen ungerechten Verdacht wahrzumachen, oder mindestens den bösen Anschein zu erregen. Ihr habt in Euer Großtante von Baldringham eine weltliche Verwandte, die Euch fast so nahe steht wie ich, und die Euch ihre Tore öffnen kann, ohne sich dem unwürdigen Urteil auszusetzen, daß sie sich auf Eure Kosten bereichern wollte.«

Der Connetable sah die Totenblässe, die bei diesem Vorschlag Evelinens Wangen überzog, und ohne die Ursache ihres Abscheus zu wissen, eilte er, sie von der Furcht zu befreien, die sie offenbar quälte. »Nein, hochwürdige Mutter,« sagte er, »da Ihr so hart die Sorge für Eure Verwandte ablehnt, so soll sie auch für keine ihrer Angehörigen eine Last sein. Solange Hugo de Lacy sechs stattliche Schlösser und viele Landgüter sein eigen nennt, die Feuer auf ihrem Herde haben können, soll seine verlobte Braut keinem die Ehre ihrer Gesellschaft zukommen lassen, der diesen Vorzug nicht zu schätzen weiß, und ich müßte mich für ärmer halten, als der Himmel mich gemacht hat, könnte ich nicht genug Freunde und Mannen aufbieten, ihr zu dienen, zu gehorchen, ihr Schutz zu sein.«

»Nein, Mylord,« sagte Eveline und überwand den Kummer, in den die Unfreundlichkeit ihrer Verwandten sie versetzt hatte. »Da ein unglückliches Schicksal mir den Schutz der Schwester meines Vaters raubt, dem ich mich so zuversichtlich überlassen hätte, so will ich kein Obdach bei irgend einem feineren Verwandten suchen, noch das annehmen, was Ihr mir, Mylord, so großmütig anbietet. Täte ich das letztere, so würde dies harte, und ich bin überzeugt, unverdiente Vorwürfe derjenigen zuziehen, die mich zwang, einen weniger ratsamen Wohnsitz zu wählen. Mein Entschluß ist gefaßt. Wahr ist es, nur eine Freundin ist mir geblieben, aber eine mächtige, und sie ist imstande, mich sowohl gegen das besondere Unglück zu schützen, das mich zu verfolgen scheint, als auch gegen die gewöhnlichen Unfälle des menschlichen Lebens.«

»Die Königin, meint Ihr, wie ich vermute,« sagte die Aebtissin, sie ungeduldig unterbrechend.

»Die Königin des Himmels, hochwürdige Tante,« antwortete Eveline, »Unser Frau von Garde Douloureuse, immer gnädig unserm Hause, und noch vor kurzem meine besondere Hüterin und Beschützerin. Es scheint mir, da die Geweihte der Jungfrau mich zurückweist, so ist es die Schutzheilige selbst, deren Hilfe ich anrufen muß.«

Die hochwürdige Frau, die sich dieser Antwort nicht versehen hatte, stieß bloß den Ausruf aus: »Hem!« aber in einem Tone, der sich besser für einen Bilderstürmer, als für eine katholische Aebtissin und eine Tochter aus dem Hause Berenger geschickt hätte. Allerdings hatte die erbliche Verehrung, die die Aebtissin für die Frau von Garde Douloureuse hegte, sich sehr verringert, seit sie die Wirkungen eines andern Wunderbildes kennen gelernt hatte, das im Besitz ihres Klosters war.

Indessen beherrschte sie sich und schwieg, während der Connetable an die Nachbarschaft der Walliser erinnerte, die einen Aufenthalt zu Garde Douloureuse wieder gefährlich machen könnte, wie seine Braut ja schon einmal erfahren hätte. Diesem stellte aber Eveline die Stärke ihrer väterlichen Burg, die vielen Belagerungen, die sie abgeschlagen, und den wichtigen Umstand entgegen, daß sie bei der letzten Gelegenheit bloß darum in Gefahr geraten sei, weil eines Ehrenhandels wegen ihr Vater Raymond mit der Garnison ausgezogen wäre und zu seinem Nachteil sich vor den Wällen in einen Kampf eingelassen hätte. Ferner führte sie an, daß es für den Connetable leicht sein würde, aus seinen oder ihren Vasallen einen Seneschall auszuwählen, der klug und tapfer genug wäre, um für die Sicherheit des Platzes und der Braut hinlänglich sorgen zu können.

Ehe de Lacy hier etwas erwidern konnte, stand die Aebtissin auf, indem sie sich für völlig unfähig erklärte, in weltlichen Dingen Rat zu erteilen, und hinzusetzte, daß die Regeln ihres Ordens sie nunmehr zu ihren klösterlichen Pflichten riefen. Mit diesen Worten verließ sie die Verlobten.

Der Ausgang ihrer Unterredung schien beiden angenehm zu sein; und als Eveline Rosen erzählte, daß sie sogleich unter hinlänglicher Bedeckung nach Garde Douloureuse zurückkehren und dort während des Kreuzzuges bleiben würden, so geschah das im Ton einer so aufrichtigen Zufriedenheit, wie ihre Dienerin seit manchen Tagen nicht an ihr wahrgenommen hatte. Auch sprach Eveline mit großen Lobeserhebungen über die Bereitwilligkeit, mit der der Connetable sich ihren Wünschen gefügt hätte, und über sein ganzes Benehmen sprach sie mit einer so warmen Dankbarkeit, die fast an zärtlichere Empfindung grenzte.

»Und dennoch, meine teuerste Lady,« sagte Rose, »wenn Ihr ohne Verstellung reden wollt, so müßt Ihr, davon bin ich überzeugt, zugestehen, daß Euch dieser Zeitraum von mehreren Jahren, der nun zwischen Verlobung und Vermählung liegt, gewissermaßen als Gnadenfrist sehr erwünscht ist.«

»Ich gestehe dies,« sagte Eveline, »auch habe ich es meinem künftigen Herrn nicht verhehlt, daß dieses meine Empfindungen sind, so mißfällig sie auch erscheinen mögen. Aber Rose, meine Jugend ist es, meine große Jugend, die mir vor den Pflichten einer Gattin de Lacys Scheu einflößt. Auch liegen mir alle die üblen Vorbedeutungen am Herzen. Dem Leiden geweiht von meiner Verwandten, ausgestoßen fast aus dem Hause der andern, erscheine ich mir beinahe selbst als ein Geschöpf, das Unglück mit sich führt, wohin es tritt. Doch die jetzige bange Stunde und, was noch mehr ist, die Furcht vor der künftigen wird die Zeit hinwegräumen. Wenn ich das zwanzigste Jahr erreicht habe, Rose, so werde ich ein vollkommen erwachsenes Weib sein, das mit der starken Seele einer Berenger alle Zweifel und Aengste überwinden wird, die jetzt das Mädchen erschüttern.«


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