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Sechstes Kapitel.

Und so im einfach grauen Kleid
Will ich nun durch die Berge wallen
Zu jener ernsten Einsamkeit,
Die mir dort winkt in heil'gen Hallen.

Vergebung hoff' ich da für mich
Im Kreuzgang, fern vom Weltgetümmel,
Und beten will ich da für dich,
Hartherz'ge Jungfrau, zu dem Himmel.

Die grausame Frau vom Gebirge.

Die ersten Worte, welche Edward aussprach, waren: »Mein Bruder ist nicht todt, ehrwürdiger Vater, – er ist, Gott sei Dank, gerettet und lebt! In Corrie-nan-shian findet sich weder ein Grab noch die Spur eines Grabes. Der Rasen um die Quelle ist weder durch Hacke, noch Spaten, noch Schaufel je umgewühlt worden, seitdem der Rehbrunn fließt. Er lebt so gewiß, wie ich lebe.«

Der Eifer des Jünglings, die Lebhaftigkeit seines Blickes und seiner Bewegungen, sein leichter Tritt, die ausgestreckte Hand und das feurige Auge erinnerten Heinrich Warden an Halbert, der vor Kurzem sein Führer gewesen. Denn die Brüder waren sich sehr ähnlich, abgerechnet, daß Halbert schlanker und ebenmäßiger gebaut war, und thatkräftiger zu sein schien, und daß Edward in der Regel denkender und scharfblickender aussah.

»Von wem sprecht Ihr, mein Sohn?« fragte der Prediger in einem so unbefangenen Ton, als ob es sich in diesem Augenblick keineswegs um die Entscheidung seines Schicksals handle, und als ob nicht Kerker und Tod ihm nahe bevorstünden. »Von wem sprecht Ihr? Etwa von einem Jüngling, etwas älter, als Ihr aussehet, von braunen Haaren, offener Miene, größer und stärker, als Ihr zu sein scheint, sonst aber fast dasselbe Gesicht und dieselbe Stimme? Wenn so gestaltet der Bruder ist, den Ihr sucht, dann kann ich Euch vielleicht Kunde von ihm geben.«

»Sprecht um's Himmels willen!« rief Edward – »Leben oder Tod liegt auf Eurer Zunge.«

Der Subprior wiederholte angelegentlich diese Bitte, und ohne sich lange nöthigen zu lassen, gab der Prediger einen genauen Bericht von den Umständen, unter welchen er den älteren Glendinning getroffen hatte, und eine so genaue Beschreibung seiner Person, daß an der Identität kein Zweifel blieb. Als er anführte, daß Halbert ihn in die Hohle geführt, daß sie dort das Gras blutig und ein frisch zugedecktes Grab gefunden, und daß der Jüngling sich der Tödtung von Herrn Piercie Shafton angeklagt habe, – blickte der Subprior Edwarden erstaunt an und fragte: »Sagtest du nicht vorhin, daß keine Spur von einem Grabe an dem Fleck sei?«

»So wenig Spur von Aufgrabung der Erde, als ob der Rasen seit Adams Zeit da gewachsen wäre,« versetzte Edward. »Aber das ist richtig, daß das Gras in der Nähe zertreten und blutig war.«

»Das sind Täuschungen des bösen Feindes,« sprach der Subprior, sich bekreuzend; »Christenmenschen zweifeln nicht länger daran.«

»Wenn das der Fall ist,« bemerkte Warden, »dann thun Christenmenschen besser, sich mit der Waffe des Gebetes zu schützen, als durch die leere Form eines kabbalistischen Zaubers.«

»Das Zeichen unserer Erlösung,« versetzte der Subprior, »kann nicht so genannt werden; das Zeichen des Kreuzes entwaffnet alle bösen Geister.«

»Freilich,« antwortete Warden, »aber es sollte im Herzen getragen werden, nicht mit den Fingern in die Luft gezeichnet. Die unempfindliche Luft, durch welche deine Hand fährt, behält gerade so den Eindruck deiner Handlung, wie die äußere Handlung dem Abergläubigen hilft, welcher leere Körperbewegungen, nichtige Kniebewegungen und Bekreuzungen an die Stelle der lebendigen, aus dem Herzen kommenden Pflichterfüllungen des Glaubens und guter Werke setzt.«

»Ich bedaure dich,« sagte der Subprior, eben so streitfertig, wie sein Gegner, – »ich bedaure dich, Heinrich, und antworte dir nicht. Du vermagst ebensowohl den Ocean in ein Sieb zu fassen, als die Macht heiliger Worte, Zeichen und Handlungen zu ermessen mit dem irrthümlichen Maßstabe deiner Vernunft.«

»Nicht mit meiner Vernunft messe ich sie,« versetzte Warden, »sondern nach Seinem heiligen Wort, nach der unverlöschlichen und untrüglichen Leuchte auf unseren Wegen, im Vergleich mit welcher Menschenvernunft nur eine flackernde Kerze und Eure gepriesene Ueberlieferung nur ein Irrwisch ist. Zeige mir deinen Beweis aus der Schrift, daß du solchen nichtigen Zeichen und Bewegungen eine Kraft zuschreiben darfst.«

»Ich habe dir,« entgegnete der Subprior, »einen ehrlichen Kampf angeboten und du hast ihn ausgeschlagen. Jetzt mag ich den Streit nicht wieder aufnehmen.«

»Wären dieß meine letzten Worte,« sprach der Reformator, »und wären sie am Pfahl ausgesprochen, im erstickenden Rauch und unter den aufschlagenden Flammen der Reisbündel, so wollte ich mit diesen meinen letzten Lauten zeugen wider die abergläubischen Erfindungen Roms.«

Der Subprior unterdrückte mit Mühe die Entgegnung, welche auf seinen Lippen war, wandte sich zu Edward und sprach: »Unbedenklich kann jetzt deine Mutter die Versicherung erhalten, daß ihr Sohn lebt.«

»Das hab' ich Euch schon vor zwei Stunden gesagt,« bemerkte Christie von Clinthill; »hättet Ihr mir nur glauben wollen. Aber es scheint, Ihr verlaßt Euch lieber auf das Wort eines alten grauen Einliegers, der sein Leben damit zugebracht hat, Ketzereien zu plappern, als auf das meinige, obwohl ich nie auf eine Streife geritten bin, ohne gebührend mein Paternoster herzusagen.«

»So gehe denn,« sprach Pater Eustach zu Edward; »lasse die kummervolle Mutter wissen, daß ihr Sohn ihr aus dem Grabe wiedergegeben ist, wie das Kind der Wittwe von Sarepta auf Fürbitte« – fügte er mit einem Blick auf Warden hinzu – »des Heiligen, so ich für ihn angerufen.«

»Selbst Betrogener,« fiel Warden ein, »betrügst du Andere. Es war kein todter Mann, kein Geschöpf von Staub, welches der selige Thisbiter anrief, als er, gestachelt durch den Vorwurf des Weibes von Sunam, betete, daß ihres Sohnes Seele wieder in ihn zurückkehren möchte.«

»Aber es geschah doch auf seine Fürbitte,« wiederholte der Subprior. »Denn was sagt die Vulgata? Es steht geschrieben: › Et exaudivit Dominus vocem Helie, et reversa est anima pueri intra eum, et revixit Und der Herr erhörte die Stimme Eliä, und die Seele des Knaben kehrte in ihn zurück, und er ward wieder lebendig..‹ Und wähnst du, die Fürbitte eines Heiligen, der zu seiner Herrlichkeit eingegangen ist, sei schwächer, als damals, wo er noch auf Erden wandelte, in das Gehäuse von Staub gehüllt und nur mit fleischlichen Augen sehend?«

Während dieses Wortwechsels schien Edward unruhig und ungeduldig zu sein, aufgeregt durch ein tiefes Gefühl, ohne daß man jedoch an seinem Gesicht hätte sehen können, ob es ein freudiges, ein schmerzliches oder ein Gefühl der Erwartung sei. Er nahm sich nun die ungewöhnliche Freiheit, das Gespräch des Subpriors zu unterbrechen, welcher, trotz seiner entgegengesetzten Entschließung, augenscheinlich in die Hitze des Streites gerieth. Edward lenkte ihn davon ab, indem er ihn bat, ihm zu erlauben, einige Worte mit ihm im Geheimen zu reden.

»Bringt den Gefangenen weg,« sprach der Subprior zu Christie, »habt wohl Acht auf ihn, daß er nicht entkommt, aber so lieb Euch Euer Leben ist, thut ihm Nichts zu Leide.«

Nachdem dieser Befehl vollzogen war und Edward und der Subprior sich allein in dem Gemache befanden, redete der Mönch den Jüngling folgendermaßen an:

»Was ist über dich gekommen, Edward, daß dein Auge so wild glüht und daß auf deiner Wange Purpur mit Blässe wechselt? Warum hast du so eilig und unüberlegt meine Rede unterbrochen, mit welcher ich jenen Ketzer zu Boden schlagen wollte? Und warum berichtest du nicht deiner Mutter, daß ihr Sohn ihr wiedergegeben ist auf Fürbitte, wie die heilige Kirche uns zu glauben berechtigt, des heiligen Benedict, des Schutzpatrons unseres Ordens? Denn wenn je meine Gebete mit Inbrunst an ihn gerichtet worden sind, so war es zu Gunsten dieses Hauses, und deine Augen haben den Erfolg gesehen; gehe hin und berichte ihn deiner Mutter.«

»Ich muß ihr alsdann berichten,« versetzte Edward, »daß, wenn sie einen Sohn wiedergewonnen hat, dagegen der andere für sie verloren ist.«

»Was meinst du, Edward?« fragte der Subprior. »Was ist das für eine Rede?«

»Vater,« sprach der Jüngling, vor ihm niederknieend, »ich will Euch meine Sünde und Schande erzählen, und Eure Augen sollen Zeugen meiner Buße sein.«

»Ich verstehe dich nicht,« erwiederte der Subprior. »Was kannst du gethan haben, das eine solche Selbstanklage verdient? Hast auch du,« fügte er mit gerunzelter Stirne hinzu, »auf den bösen Geist der Ketzerei gehört, dessen Verführungen stets am wirksamsten bei denen sind, welche, wie jener unglückliche Mann, durch ihre Liebe zum Wissen sich auszeichnen?«

»In diesem Stück bin ich schuldlos,« antwortete Glendinning. »Nie habe ich gewagt, anders zu denken, als Ihr, mein Vater, mich gelehrt habt, und als die Kirche erlaubt.«

»Und was ist es dann, mein Sohn,« fragte Eustach, »das solchergestalt dein Gewissen drückt? Sag' es mir, damit ich dir Worte des Trostes erwiedere, denn die Gnade der Kirche ist groß gegen die gehorsamen Kinder, welche nicht an ihrer Macht zweifeln.«

»Meine Beichte wird ihre Gnade in Anspruch nehmen,« versetzte Edward. »Mein Bruder Halbert – so gut, so trefflich, so sanft, welcher nicht anders sprach, dachte, handelte, als in Liebe zu mir, dessen Hand mir in jeder Noth half, dessen Auge über mich wachte, wie das des Adlers über seine Jungen, wenn sie ihren ersten Flug aus dem Horst versuchen, – dieser so gute, so sanfte, so liebreiche Bruder – ich hörte von seinem plötzlichen, blutigen, gewaltsamen Tode, und ich freute mich darüber, – ich hörte von seiner unerwarteten Rettung, und sie that mir leid!«

»Edward,« rief der Pater, »bist du von Sinnen? Was hätte dich zu einer so häßlichen Undankbarkeit bringen können? In deiner Aufregung hast du deine eignen Gefühle mißverstanden. Gehe mein Sohn, sammle dich, und bete. Wir wollen hiervon ein andermal sprechen.«

»Nein, Vater, nein,« rief Edward mit Heftigkeit, »jetzt oder nie! Ich will Mittel haben, dieß empörte Herz zu bezähmen, oder ich will es aus meiner Brust herausreißen! Seine Regungen mißverstanden? Nein, Vater, Schmerz läßt sich nicht irrthümlich für Freude nehmen. Alles um mich her weinte und schrie, – meine Mutter – die Diener – auch sie, die Ursache meines Verbrechens – Alle weinten – und ich konnte kaum meine wahnsinnige Freude verbergen unter dem Schein der Rachsucht! Bruder, sagte ich, Thränen kann ich dir nicht geben, aber ich will dir Blut geben! Ja, Vater, als ich so die Stunden zählte, während ich den englischen Gefangenen bewachte, als ich sagte: ich bin wieder eine Stunde näher der Hoffnung und dem Glück« – –

»Ich verstehe dich nicht, Edward,« unterbrach ihn der Mönch. »Ich kann nicht begreifen, wie deines Bruders vermeintliche Ermordung dich mit solch einer unnatürlichen Freude erfüllt haben sollte. Gewiß, die schmutzige Begier, seine geringe Besitzungen zu erben« – –

»Zum Teufel mit diesem Tand!« unterbrach Edward. »Nein, Vater, es war Eifersucht, – es war die Raserei eines Nebenbuhlers – die Liebe zu Marien Avenel hat mich zu dem Unmenschen gemacht, als welchen ich mich erkenne.«

»Zu Marien Avenel?« fragte der Priester erstaunt, – »zu einem Fräulein, das durch Namen und Rang so hoch über Euch Beiden steht? Wie konnte Halbert, wie konntest du es wagen, Eure Augen zu ihr zu erheben anders als in Ehrerbietung und Demuth, anders, als zu einer, weit über Euch erhaben stehenden Person?«

»Wann hat je Liebe die Gutheißung des Wappenkönigs abgewartet?« erwiederte der Jüngling. »Und worin anders, als in einer Reihe todter Ahnen, unterschied sich Maria Avenel, das Pflegkind unserer Mutter, von uns, mit welchen sie auferzogen worden war? Genug, wir liebten, wir Beide liebten sie. Die Liebe Halberts fand Erwiederung. Er wußte es nicht, er sah es nicht; ich war scharfblickender. Ich sah, daß selbst dann, wenn ich mehr gelobt ward, Halbert mehr geliebt wurde. Neben mir mochte sie stundenlang an unserer gemeinschaftlichen Arbeit sitzen mit der kalten Gleichgültigkeit einer Schwester; mit Halbert wagte sie es nicht. Sie wechselte die Farbe, sie ward verwirrt, wenn er sich näherte, sie war traurig, nachdenklich, einsilbig, wenn er sich entfernt hatte. Ich ertrug alles Dieß, – ich sah meines Nebenbuhlers Fortschritte, – ich trug es, Vater, aber ich haßte ihn nicht – ich konnte ihn nicht hassen!«

»Wohl dir, daß du es nicht thatest,« sprach der Subprior. »Toll, wie du bist, möchtest du deinen Bruder hassen, daß er deine Thorheit theilt?«

»Vater,« fuhr Edward fort, »die Welt hält Euch für weise und schlägt Eure Menschenkenntniß hoch an; aber Eure Fragen beweisen, daß Ihr nie geliebt habt. Es kostete mich eine Anstrengung, mich vor Haß gegen meinen liebevollen Bruder zu bewahren, welcher, meine Nebenbuhlerschaft nicht ahnend, mich stets mit Freundschaftsbezeugungen überhäufte. Ich hatte sogar Augenblicke, in welchen ich diese Bruderliebe herzlich erwiedern konnte. Nie war dieß so sehr der Fall, wie in der letzten Nacht unseres Zusammenseins. Demungeachtet konnt' ich mich nicht der Freude erwehren, als er mir aus dem Wege geschafft war, – nicht der Betrübniß, als er wieder zum Vorschein gebracht wurde, um mir ein Stein des Anstoßes zu sein.«

»Gott sei dir gnädig, mein Sohn,« sprach der Mönch; »das ist ein schrecklicher Seelenzustand. Gerade in solcher Stimmung erhob sich der erste Mörder wider seinen Bruder, dieweil Abels Opfer Gott wohlgefälliger war.«

»Ich will ringen mit dem bösen Geist, welcher mich verfolgt hat,« sprach der Jüngling mit Festigkeit; »ich will ringen mit ihm, und will ihn überwinden. Vor allen Dingen aber muß ich mich den Auftritten entziehen, welche nun hier stattfinden werden. Ich kann es nicht ertragen, Mariens Augen wieder strahlen zu sehen vor Freude über die Rettung ihres Geliebten. Es wäre ein Anblick, der mich zu einem zweiten Kain machen könnte! Meine grimmige, wirre, vorübergehende Freude ließ sich in Mordlust aus; – wie kann ich den Wahnsinn meiner Verzweiflung ermessen?«

»Rasender!« rief der Subprior, »zu welchem gräßlichen Verbrechen treibt dich deine Wuth?«

»Mein Loos ist entschieden,« versetzte Edward in entschlossenem Ton; »ich will den geistlichen Stand ergreifen, den Ihr mir so oft anempfohlen habt. Es ist mein Vorsatz, mit Euch nach S. Marien zu gehen, um mit Erlaubniß der heiligen Jungfrau, und Sanct Benedicts bei dem Abt Profeß zu thun.«

»Nicht jetzt, mein Sohn,« erwiederte der Subprior, »nicht in diesem krankhaften Gemüthszustand. Die Weisen und Guten nehmen keine Gaben an, welche mit erhitztem Blut dargebracht werden, und welche der Geber nachher bereut. Wie sollten wir der Weisheit und Güte selber unsere Widmungen machen mit weniger feierlicher Entschließung, mit geringerer Sammlung der Seele, als erforderlich ist, dieselben unseren gebrechlichen Gefährten in diesem dunkeln Erdenthal genehm zu machen? Ich sage dir das nicht, mein Sohn, um dich von dem guten Wege zurückzuschrecken, welchen du betreten willst, sondern auf daß du deine Berufung und Erwählung sicherstellen mögest.«

»Vater,« entgegnete Edward, »es gibt Handlungen, welche keinen Aufschub leiden, und diese ist eine solche. Jetzt muß sie geschehen, oder nie. Laßt mich mit Euch gehen, laßt mich Halberts Rückkehr nicht sehen. Scham und das Gefühl des Unrechts, welches ich ihm bereits gethan habe, würden sich mit den schrecklichen Leidenschaften vereinigen, welche mich treiben, ihm noch ferner wehe zu thun. Laßt mich darum mit Euch gehen.«

»Mit mir gehen sollst du, mein Sohn,« sprach der Subprior; »aber unsere Regel sowohl, wie Vernunft und Ordnung erheischen, daß du eine Zeitlang bei uns verweilest als Prüfling oder Novize, ehe du jene feierlichen Gelübde übernimmst, welche dich auf ewig von der Erde trennen und dem Dienste des Himmels weihen.«

»Und wann reisen wir ab, Vater,« fragte der Jüngling mit solcher Freudigkeit, als ob die Reise zu den Vergnügungen eines Sommerfeiertags ginge.

»Jetzt gleich, wenn du willst,« antwortete der Subprior, seinem Ungestüm nachgebend. »Gehe, und heiße sie Vorbereitungen zu unserer Abreise treffen. – Doch halt,« fügte er hinzu, als Edward in seinem Eifer von ihm wegeilen wollte, »kommt her, mein Sohn, und kniee nieder.«

Edward gehorchte. Trotz seiner schmächtigen Gestalt und seinen unbedeutenden Zügen, konnte der Subprior durch den Nachdruck seines Tones und durch seinen frommen Ernst seine Zöglinge und Beichtkinder mit ungewöhnlicher Ehrfurcht erfüllen.

Sein Herz war und schien immer zu sein bei der Amtsverrichtung, welcher er sich unterzog; und der geistliche Leiter, welcher so eine tiefe Ueberzeugung von der Wichtigkeit seines Amtes durchblicken läßt, verfehlt selten, eine gleiche Regung bei denen, die auf ihn merken, hervorzurufen. Bei Gelegenheiten, wie die gegenwärtige war, schien sein unansehnlicher Körper eine majestätischere Gestalt anzunehmen – sein hageres, abgemagertes Gesicht hatte einen kühneren, erhabeneren und gebietenderen Ausdruck, seine stets angenehme Stimme zitterte, wie unter der unmittelbaren Einwirkung der Gottheit, und sein ganzes Wesen schien nicht den gewöhnlichen Menschen, sondern das Organ der Kirche zu verkünden, welche ihm ihre hohe Macht übertragen hatte, Sünder von der Bürde der Bosheit zu befreien.

»Hast du, mein lieber Sohn,« fragte er, »treulich die Umstände berichtet, welche dich so plötzlich zum Klosterleben bestimmt haben?«

»Die Sünden hab' ich gebeichtet,« antwortete der Jüngling, »aber ich habe noch Nichts gesagt von einer sonderbaren Erscheinung, welche, indem sie mich erschütterte, zur Fassung meines Entschlusses beigetragen hat.«

»Erzähle sie,« sprach der Subprior, »es ist deine Pflicht, mich von Allem zu unterrichten, damit ich in den Stand gesetzt werde, die Versuchung, welche dich anwandelt, zu beurtheilen.«

»Ich erzähle sie ungern,« versetzte Edward, »denn obwohl ich, Gott sei mein Zeuge, die reine Wahrheit sage, so nimmt mein Ohr doch das, was mein Mund als Wahrheit spricht, als eine Fabel auf.«

»Sage nur Alles,« sprach Eustach, »und fürchte keinen Tadel von mir, denn ich habe Grund, als wahr anzunehmen, was Andere als fabelhaft betrachten möchten.«

»Wisset denn, Vater,« hob Edward an, »daß ich, schwankend zwischen Verzweiflung und Hoffnung – und Gott weiß, welcher Hoffnung! – der Hoffnung einen verstümmelten und hastig in die blutige Erde eingescharrten Leichnam zu finden, in die Schlucht, genannt Corrie-nan-shian, eilte. Wie Ew. Ehrwürden bereits berichtet ist, war weder das Grab, welches meine gottlosen Augen, meinem besseren Selbst zum Trotz, zu schauen begehrten, noch irgend eine Spur, daß die Erde aufgegraben gewesen, an dem einsamen Orte zu sehen, wo Martin gestern Morgen den Grabhügel erblickt hatte. Ihr kennt unsere Thalleute, Vater. Der Platz hat einen bösen Namen, und dieß Blendwerk erschreckte meine Begleiter dergestalt, daß sie wie toll die Schlucht hinabliefen. Meine Hoffnungen waren zu sehr vereitelt, mein Gemüth zu sehr aufgeregt, als daß ich Todte oder Lebende hätte fürchten sollen. Ich ging langsam die Schlucht hinunter und blickte oft zurück, sehr vergnügt über die Hasenherzigkeit meiner Gefährten, welche, indem sie in die Hauptschlucht eilten, mich mit meiner wirren und ärgerlichen Stimmung allein ließen. Sie waren mir bereits hinter einer Krümmung der Hohle aus dem Gesicht verschwunden, als ich zurückblickend neben der Quelle eine Frauengestalt stehen sah« – –

»Wie, lieber Sohn?« unterbrach ihn der Subprior. »Hüte dich, in deiner jetzigen Lage Scherz zu treiben.«

»Ich scherze nicht, Vater,« versetzte der Jüngling, »ich werde vielleicht in meinem ganzen Leben nicht mehr scherzen – sicherlich in der nächsten Zeit nicht. Ich erblickte, sag' ich, die Gestalt einer Frau, in Weiß gekleidet, so – so wie der Geist, welcher das Haus Avenel umschwebt, beschrieben wird. Glaubt mir, Vater, bei Himmel und Erde, ich hab' es mit diesen meinen Augen gesehen.«

»Ich glaube dir, mein Sohn, fahre fort in deiner wundersamen Geschichte.«

»Die Erscheinung,« erzählte Edward weiter, »sang, und, so sonderbar es Euch scheinen mag, die Worte hängen in meinem Gedächtniß, als wenn sie mir von Kindheit auf vorgesungen worden wären. Sie sang folgendermaßen:

»Der du denkst und hoffen magst,
Was du zu gesteh'n nicht wagst;
Jubelte nicht wild dein Herz,
Als untröstlich schien dein Schmerz?
Fort mit dir, du Herz voll Arg!
Hier ist weder Grab noch Sarg.
Der Todte lebt auf sicherem Boden.
Geh' du zu den lebendig Todten,

Die unter ihrem Blick voll Ruh'
Oft Wünsche hegen, wie jetzt du,
Aus deren Herz sich nicht verloren
Die Lüste, so sie abgeschworen,
Die scheinbar zwar dem Himmel leben,
Doch eitler Hoffnung sich ergeben.
Während Andre heiter lachen,
Sei dein Loos Gebet und Wachen.
Nimm statt Grün ein grau Gewand,
Fort mit dir, zum Kloster, Fant!«

»Das ist ein toller Sang,« sprach der Subprior, »und, ich fürchte, nicht in guter Absicht gesungen. Doch wir haben Macht, die Tücken Satans zu Schanden zu machen. Edward, du sollst mit mir gehen, wie du wünschest. Du sollst das Leben versuchen, für welches ich dich längst geeignet gefunden habe; du sollst, mein Sohn, dieser zitternden Hand helfen, die heilige Lade aufrecht erhalten, zu welcher die Gottlosen sich herandrängen, um sie anzutasten und zu entweihen. Willst du zuvor deine Mutter sehen?«

»Keinen Menschen will ich sehen,« rief Edward hastig, »ich will Nichts wagen, was den Entschluß meines Herzen erschüttern könnte. Von S. Marien aus sollen sie meine Bestimmung erfahren, – sie Alle sollen dieselbe erfahren. Meine Mutter, Maria Avenel, mein geretteter und glücklicher Bruder – sie Alle sollen wissen, daß Edward nicht länger der Welt lebt, um ein Hinderniß ihres Glückes zu sein. Maria soll nicht länger genöthigt sein, ihre Blicke und Ausdrücke gezwungener Weise kalt sein zu lassen, weil ich in der Nähe bin. Sie soll nicht länger« – –

»Mein Sohn,« unterbrach ihn der Subprior, »nicht durch Rückblick auf die Eitelkeiten und Qualen dieser Welt machen wir uns tüchtig zur Erfüllung der Pflichten, welche nicht von dieser Welt sind. Gehe, laß unsere Pferde bereit stellen, und während wir die Schlucht hinabreiten, will ich dich in den Wahrheiten unterweisen, durch welche die Väter und die Weisen der Vorzeit die kostbare Alchymie besaßen, welche Leid in Freud' und Glückseligkeit zu verwandeln vermag.«



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