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Viertes Kapitel.

Ihr sagt: ein böser Engel ist's. – Wohl möglich.
Doch sicherlich aus der Gefall'nen Schaar
Wär' er der erste Geist, der Menschen rieth,
Das Heil zu suchen, das er selbst verwirkt.

Altes Schauspiel.

Wir müssen den Faden der Erzählung da wieder aufnehmen, wo Maria Avenel in das, vormals von den beiden Glendinnings bewohnte Zimmer gebracht wurde, und wo ihre treue Dienerin Tibb sich in fruchtlosen Versuchen, sie zu beruhigen und zu trösten, erschöpfte. Pater Eustachius öffnete gleichfalls das Schätzkästlein der Sprüche und Glaubenslehren, welche gewöhnlich die Freundschaft dem Schmerz darbietet, obwohl fast immer ohne Erfolg. Man ließ sie endlich allein mit ihrem Kummer. Sie fühlte gleich Denen, so zum ersten Male lieben und den Gegenstand ihrer Liebe verloren haben, ehe noch die Zeit und wiederholtes Unglück sie belehrt hat, daß jeder Verlust bis zu einem gewissen Grade ersetzlich und erträglich ist.

Solch ein Schmerz läßt sich leichter vorstellen als beschreiben, wie Diejenigen wissen, welche ihn aus Erfahrung kennen. Maria Avenel war durch ihre eigenthümliche Lage darauf geführt worden, sich als das Kind des Schicksals zu betrachten, und die damit verknüpfte schwermüthige und gedankenvolle Geistesrichtung verlieh ihrem Kummer eine besondere Tiefe und Stärke. Das Grab, – das blutige Grab hatte sich, ihrer Meinung nach, geschlossen über dem Jüngling, zu welchem sie sich im Stillen aber auf's stärkste hingezogen gefühlt hatte, da Halberts Kraft und Feuer so ganz ihrer eignen Seelenstärke entsprach. Ihr Kummer erschöpfte sich nicht in Seufzern oder Thränen, sondern schloß sich, nachdem die erste Heftigkeit vorüber war, in ihrem Inneren ein und nährte sich mit stetem Nachsinnen, erwägend, wie ein verarmter Schuldner, die ganze Größe ihres Verlustes. Es schien, als ob mit Zerreißung dieses Bandes Alles, was sie an die Erde knüpfte, für sie dahin sei. Ihre Vorstellungen waren nie so weit gegangen, sich eine förmliche Verbindung mit Halbert auszumalen, und doch war es ihr jetzt, als ob mit ihm der einzige Baum gefallen sei, welcher sie in den Stürmen des Lebens schützen konnte. Sie achtete die sanftere Sinnesart und die friedlichen Strebungen des jüngeren Glendinning, allein es war ihr nicht entgangen, (was Frauenzimmern in solchen Fällen nie entgeht), daß er diese seine Eigenthümlichkeit wetteifernd geltend machen wollte, neben dem, was ihr, der Tochter eines stolzen und kriegerischen Geschlechtes, als die eines Mannes würdigeren Eigenschaften bei Halbert erschien. Und nie ist ein Weib so wenig geneigt, einem überlebenden Liebhaber Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als wenn sie ihn mit dem bevorzugten Nebenbuhler vergleicht, den sie so eben verloren hat.

Die mütterliche aber plumpe Zärtlichkeit der Dame Glendinning und die verstandlose Zuneigung ihrer alten Dienerin schienen jetzt die einzigen sanften Gefühle zu sein, deren Gegenstand sie war. Wie konnten diese aber die Vergleichung aushalten mit der hingebenden Anhänglichkeit eines hochherzigen Jünglings, für welchen ihr geringster Blick Befehl gewesen, wie für das edle Roß, das leise Zucken des Zügels? Versunken in diese trostlosen Betrachtungen, fühlte Mariens Seele jene Leere, welche Folge ihrer nach den Vorschriften der römischen Kirche beschränkten Erziehung war. Die ganze Religion war Formenwerk, die Gebete bestanden in einer Wiederholung unverstandener Worte, welche in der Stunde der Trübsal Denen wenig Trost gewähren konnten, welche aus Gewohnheit ihre Zuflucht zu denselben nahmen. Wahrer Andacht ungewohnt verstand sie sich , aus dem Herzen zu beten, und konnte sich nicht enthalten, auszurufen: »Auf Erden ist keine Hülfe für mich, und ich verstehe es nicht, sie vom Himmel zu erflehen!«

Während sie unter den Qualen ihres Kummers so sprach, warf sie zufällig einen Blick in das Zimmer und sah hier den dienstbaren Geist ihres Hauses in der Mitte des Gemaches im Mondscheine stehen. Dieselbe Gestalt war ihr schon mehr als ein Mal erschienen. Angeborner Muth oder eine in ihrem Blut liegende Eigenthümlichkeit hatte sie stets dieselbe ohne Beben betrachten lassen. Dieß Mal aber war das Weiße Fräulein ganz besonders deutlich sichtbar und stand näher vor ihr, als je zuvor, so daß ihre Gegenwart dem Mädchen einiges Grauen einflößte. Nichtsdestoweniger würde Maria sie angeredet haben. Doch die Sage ging, daß, obwohl Andere, welche das Weiße Fräulein sahen, ihre Fragen stellen, und Antwort von ihr erhalten dürften, doch die vom Hause Avenel, welche gewagt hätten, sie anzureden, nie lange die Unterredung überlebt hätten. Ueberdem schien die Gestalt, als Maria, in ihrem Bette sitzend, sie aufmerksam ansah, ihr durch Geberden zu bedeuten, daß sie schweigen und aufmerken möchte.

Das Weiße Fräulein schien den Fuß besonders fest auf einen Diel des Fußbodens zu setzen, während es in seinem gewöhnlichen, leisen, schwermüthigen, singenden Ton folgende Verse vortrug:

Die du beweinest den lebend'gen Todten,
Sollst kennen lernen Die, so todt im Leben,
Merk', unter meinen Füßen hier im Boden
Das Wort liegt und der Weg, nach dem dein Streben
Gerichtet ist. – O, könnten Geister weinen,
Entlocken müßte Zähren mir mein Kummer,
Wenn einen Weg ich zeige, der den Meinen
Und mir verschlossen ist; denn ew'ger Schlummer
Und ach! Vergessenheit sind einst mein Theil.
O klage du nicht über deine Leiden;
Hier liegt gesichert dir das wahre Heil.
Für alles Weh kann es dir Trost bereiten;
Bück dich und nimm's für dich. – Ich muß es meiden.

Die Erscheinung bückte sich am Schluß des Gesanges nach dem Boden hin, als wollte sie die Hand auf den Diel legen, auf welchem sie stand. Allein ehe sie diese Geberde vollendet hatte, ward ihre Form unkenntlich, glich nur noch dem Schatten eines, zwischen Mond und Erde dahinziehenden, dünnen Wölkchens, und ward bald völlig unsichtbar.

Ein heftiger Anfall von Furcht, der erste in ihrem Leben, welcher so ihr ganzes Wesen ergriffen hatte, kam über Mariens Gemüth, und sie war nahe daran, ohnmächtig zu werden. Sie aber nahm ihre Kräfte und ihren Muth zusammen und betete zu Heiligen und Engeln, wie die Kirche vorschrieb. Ein leichter unterbrochener Schlummer kam endlich über ihre erschöpfte Seele und ihren ermatteten Körper, und sie schlief bis zu Tagesanbruch. Da ward sie geweckt durch den Ruf: »Verrath! Verrath! Seht nach, seht nach!« welcher sich im Thurm erhob, als man fand, daß Piercie Shafton entronnen war.

Maria, ein neues Unglück besorgend, ordnete ihre Kleidung, welche sie während der Nacht nicht abgelegt hatte, und wollte eben ihr Gemach verlassen, als sie von Tibb, die, einer Sybille gleich, mit grauem zerstreutem Haar von Zimmer zu Zimmer flog, die Nachricht vernahm, daß der blutige Schurke von Südländer entronnen sei, und daß Halbert, das arme Kind, ungerächt und ohne Ruhe in seinem blutigen Grabe liegen würde. In den unteren Gemächern brüllten die jungen Männer wie die Löwen, und ließen in Flüchen und Schmähungen über die Flüchtlinge ihre Wuth aus, als sie fanden, daß sie in dem Thurm eingesperrt waren, und daß die schlaue Vorsicht Gretels ihre rachsüchtige Verfolgung unmöglich gemacht hatte. Bald ließ sich auch die gebietende Stimme des Subpriors vernehmen, welcher Stille gebot. Da Maria sich nicht aufgelegt fühlte, an den jetzigen Gesprächen der Hausgenossen Theil zu nehmen, so zog sie sich wieder in ihre einsame Kammer zurück.

Die übrigen Hausbewohner hielten Rath in der Speisekammer. Edward war außer sich vor Wuth, und der Subprior zürnte nicht wenig über die Frechheit von Gretel Happer, solch eine That zu unternehmen, und über die Verwegenheit und Geschicklichkeit, mit welcher sie dieselbe ausgeführt hatte. Allein weder Staunen noch Zorn half Etwas. Die Fenster, wohl verwahrt mit Eisenstangen um Angreifer abzuhalten, waren jetzt ein eben so wirksames Mittel, die Bewohner eingesperrt zu halten. Die Zinnen waren freilich offen; allein in Ermangelung von Flügeln hätte man Stricke oder Leitern bedurft, um hinab in den Hof zu kommen, und diese waren nicht vorhanden. Zwar gelang es, die Bewohner der nahe stehenden Hütten herauszurufen, allein dieß waren bloß Weiber und Kinder, da die Männer in den Thurm genommen worden waren, um die Wache zu verstärken, und diese Weiber und Kinder konnten Nichts thun, als ihre Verwunderung ausdrücken. Außerdem waren keine Nachbarn vorhanden auf meilenweit in der Runde. Dame Elspeth, obwohl in Thränen gebadet, war indeß nicht so unbekümmert um äußere Angelegenheiten, daß sie nicht den Weibern und Kindern vor dem Thurm hätte zurufen sollen, sie möchten ihr Gaffen lassen und nach den Kühen sehen, auf welche sie selber nicht achten könne, da sie so ganz auseinander sei, und da das falsche Mensch sie so fest eingeschlossen hätte, als wäre sie im Jeddarter Zollhaus Das Hauptgefängniß von Edinburgh..

Da sich kein anderer Ausweg fand, so beschlossen die Männer einmüthig, die Thore zu erbrechen. Die Werkzeuge, welche sich hierzu im Hause vorfanden, waren zu dem Zweck nicht sehr geeignet. Das innere Thor von Eichenholz nahm sie drei Stunden in Anspruch, und sie hatten wenig Hoffnung, in doppelt so viel Zeit mit dem eisernen Gatter fertig zu werden.

Während sie mit dieser undankbaren Arbeit beschäftigt waren, war Maria Avenel mit viel geringerer Mühe dahinter gekommen, was der Geist mit seinen geheimnißvollen Reimen gemeint hatte. Als sie die von dem Gespenst bezeichnete Stelle untersuchte, entdeckte sie sehr bald, daß ein Diel losgemacht war und sich aufheben ließ. Sie that dieß und fand zu ihrem Erstaunen das, ihr wohlbekannte, schwarze Buch, in welchem ihre Mutter so gern gelesen hatte. Sie nahm Besitz davon mit so viel Freude, als ihre jetzige Lage ihr zu empfinden verstattete.

Größtentheils unbekannt mit dem Inhalt, war Maria Avenel von frühester Kindheit auf gewöhnt, dasselbe mit tiefer Ehrfurcht zu betrachten. Wahrscheinlich hatte die verstorbene Wittwe Walters von Avenel nur deßhalb gezögert, ihre Tochter in die Geheimnisse des göttlichen Wortes einzuweihen, weil sie die Zeit abwarten wollte, wo dieselbe im Stande sein würde, sowohl die Lehren desselben zu fassen, als auch die Gefahr zu begreifen, welche mit dem Forschen in demselben damals verbunden war. Ihr Tod kam dazwischen, ehe noch die Verhältnisse sich günstiger für die Reformirten gestaltet, und ehe ihre Tochter so weit herangewachsen war, um für solchen Unterricht empfänglich zu sein. Allein die zärtliche Mutter hatte Vorbereitungen für dies Geschäft getroffen, welches ihr auf Erden am meisten am Herzen lag. In dem Buch waren Blättchen eingefügt, in welchen durch Hinweisung auf verschiedene Schriftstellen und durch Vergleichung derselben die Irrthümer und Menschensatzungen nachgewiesen waren, durch welche die römische Kirche den einfachen Bau des Christenthums, wie er von dem göttlichen Meister aufgerichtet war, verunstaltet hatte. Diese Widerlegungen waren in einem solchen Geiste christlicher Liebe und mit so viel Ruhe abgefaßt, daß sie den Theologen jener Zeit als Muster hätten dienen können. Dabei waren sie einfach, verständlich, ohne Spitzfindigkeiten und überall mit Beweisstellen belegt. Noch andere Blätter waren da, welche keinen Bezug auf Streitpunkte hatten, sondern einfache Ergießungen eines frommen Herzens waren. Unter denselben befand sich ein, dem Ansehen nach viel gebrauchtes, auf welchem Mariens Mutter diejenigen Texte zusammengeschrieben hatte, zu welchen das Herz in Trübsalen seine Zuflucht nimmt, und welche uns des, den Kindern der Verheißung bestimmten Schutzes versichern. Bei Mariens gegenwärtigem Gemüthszustand mußten diese Lehren sie vor allen anderen anziehen, zumal da sie von so werther Hand herrührten und in so ergreifender Weise abgefaßt waren. Sie las die rührende Verheißung: »Ich will dich nicht verlassen noch versäumen,« und die tröstende Ermahnung: »Rufe mich an in der Noth, und ich will dir helfen.« Sie las sie, und ihr Herz kam zu dem Schlusse: »Sicherlich ist das Gottes Wort!«

Ueber die Einen kommt ein religiöses Gefühl in Sturm und Wetter, Andere empfinden dasselbe plötzlich im Saus und Braus und unter den Eitelkeiten der Welt, noch andere vernehmen seine leise Stimme in ländlicher Ruhe und Zufriedenheit. Am häufigsten aber prägt sich wohl die Kenntniß, welche nicht irre führt, dem Gemüth ein in Zeiten der Trübsal, und Thränen sind meist der Thau, welcher die Himmelssaat in der Menschenbrust aufgehen und wurzeln läßt. So war es wenigstens bei Marien Avenel. Sie war unempfindlich gegen den mißtönenden Lärm, welcher unten erschallte, gegen das Klirren der Eisenstangen und gegen das Knarren der Hebel, mit welchen man diese zu brechen suchte, gegen die taktmäßigen Rufe der Arbeiter, wenn diese ihre Kräfte zu jedem einzelnen Druck vereinigten, gegen ihre grimmig hervorgebrummten Verheißungen, Rache an den Flüchtlingen zu nehmen, welche ihnen eine solche Arbeit als Vermächtniß hinterlassen hatten. All dieß Getöse, welches so widrig durcheinander scholl und eher alles Andere ausdrückte, als Frieden, Liebe und Vergebung, vermochte nicht, Marien Avenel in ihren neuen Forschungen zu stören, zu welchen sie auf so wunderbarem Wege hingeführt worden war. »Die heitere Ruhe des Himmels,« sprach sie, »ist über mir; die Töne um mich her stammen von der Erde und von irdischer Leidenschaft.«

Unterdessen war der Mittag vergangen, und noch war wenig Wirkung hervorgebracht auf das eiserne Gatter, als die Arbeiter plötzlich Verstärkung erhielten durch die unerwartete Ankunft Christie's von Clinthill. Er kam an der Spitze einer Rotte von vier Reisigen, welche auf ihren Bickelhauben den Steineichenbusch, das Abzeichen Avenel's, trugen.

»Heda, ihr Herren!« rief er. »Ich bring' euch einen Gefangenen.«

»Ihr thätet gescheider, uns Freiheit zu bringen,« antwortete Daniel vom Eulennest.

Christie schaute verwundert drein. »Und wenn ich dafür gehängt werden sollte, wie es mir für etwas eben so geringes passiren könnte,« sprach er, »so könnte ich es nicht lassen, darüber zu lachen, wenn ich Leute durch ihre eignen Eisen gucken sehe, wie Ratten aus ihrer Falle, und den dahinten mit dem Bart als die ält'ste Ratt' im Kellernest!«

»Halt's Maul, du Flegel,« versetzte Edward, »es ist der Herr Subprior, und hier ist weder die Zeit, noch der Ort, noch die Gesellschaft für Euere Spitzbubenspäße.«

»Oho! Wird der junge Herr naseweis?« sprach Christie. »Und wenn's mein leiblicher Vater wäre, statt daß er der Allerweltsvater ist, so wollte ich mich satt lachen über die Geschichte. Und nun es vorbei ist, muß ich Euch helfen, denk' ich mir, denn Ihr stellt Euch ein bischen dreibeinig zu der Sache an. Setzt näher am Kloben an und reicht mir einen Brecher heraus, denn das ist der Vogel dazu, um mit einem Thürlein davon zu fliegen. Ich bin durch eben so viele Gatter eingebrochen, wie Ihr Zähne in Eurem jungen Kopf habt, und auch durch dergleichen herausgebrochen, wie der Schloßhauptmann von Lochmaben recht gut weiß.«

Christie rühmte sich nicht einer größeren Geschicklichkeit, als er wirklich besaß. Denn so wie die Eingeschlossenen ihre vereinigten Kräfte unter der Leitung dieses erfahrenen Ingenieurs wirken ließen, gab Kloben und Riegel nach, und in weniger als einer halben Stunde stand das Gatter, welches so lange ihrer Gewalt getrotzt hatte, vor ihnen offen.

»Und nun, zu Roß, Gesellen, hinter dem bübischen Shafton her!« rief Edward.

»Halt still!« sagte Christie. »Ihr Euren Gast verfolgen, meinen und meines Herrn Freund? Da muß erst noch ein Wort darüber geredet werden. Was zum Teufel, warum wollt Ihr ihn denn verfolgen?«

»Laß mich vorbei!« sprach Edward mit Heftigkeit. »Ich lasse mich von keinem Menschen aufhalten. Der Bube hat meinen Bruder umgebracht!«

»Was sagt er?« fragte Christie an die Uebrigen sich wendend. »Umgebracht? Wer ist umgebracht und durch wen?«

»Der Engländer, Herr Piercie Shafton,« antwortete Daniel vom Eulennest, »hat den jungen Halbert Glendinning gestern morgen um's Leben gebracht, und wir Alle sind aufgestanden, ihn zu fehden.«

»Das ist eine verrückte Geschichte,« sprach Christie. »Erstlich find' ich Euch in Eurem eignen Thurm eingesperrt, und zweitens komm' ich, Euch abzuhalten von der Rache für einen Mord, der nie begangen worden ist!«

»Ich sag' Euch,« entgegnete Edward, »daß mein Bruder gestern Morgen von diesem falschen Engländer umgebracht und begraben worden ist.«

»Und ich sag' Euch,« versetzte Christie, »daß ich ihn vergangene Nacht frisch und gesund gesehen habe. Ich wollt', ich wüßte seine Kunst, aus dem Grab herauszukommen. Die Meisten finden es schwerer, durch einen grünen Rasen, als durch ein Gatterthor durchzubrechen.«

Alle Welt stand still und sah den Reisigen voll Staunen an. Der Subprior, welcher bisher jede Berührung mit ihm vermieden hatte, trat jetzt vor und fragte ihn angelegentlich, ob er ernstlich behaupten wolle, daß Halbert lebe.

»Herr Pater,« antwortete Christie mit mehr Ehrerbietung, als er gegen irgend Jemand, außer seinem Herrn, zu beweisen pflegte, »ich gestehe, daß ich manchmal mit Leuten von Eurer Livree einen Witz reiße, aber mit Euch thu' ich es nicht, weil ich, wie Ihr Euch vielleicht erinnert, Euch mein Leben verdanke. So gewiß, wie die Sonne am Himmel steht, hat Halbert Glendinning vergangenen Abend in dem Haus meines Herrn, des Freiherrn von Avenel, zu Nacht gegessen. Er ist dorthin gekommen in Begleitung eines alten Mannes, von dem ich jetzt gleich ein Mehres sagen muß.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Der Teufel mag's wissen,« versetzte Christie, »denn der Teufel scheint die ganze Familie besessen zu haben. Der alberne Junge entsetzte sich über Etwas, das unser Freiherr in seiner üblen Laune that, sprang in den See und schwamm an's Land wie ein wilder Enterich. Ruprecht von Rothenburg hat einen guten Wallach zu Schanden geritten über dem Nachsetzen.«

»Und warum setzte er dem Jüngling nach?« fragte der Subprior. »Was hatte er Unrechtes gethan?«

»Meines wissens Nichts,« erwiderte Christie; »der Freiherr hatte es eben befohlen, weil er seinen Rappel hatte, und weil alle Welt verrückt geworden war, wie ich vorhin gesagt habe.«

»Wohin so schnell, Edward?« fragte der Mönch.

»Zur Corrie-nan-schian, Pater,« antwortete der Jüngling. »Martin und Daniel, nehmt Pickel und Schaufel, wenn Ihr Männer seid, und geht mit mir.«

»Recht,« sprach der Mönch, »und unterlaßt nicht, uns augenblicklich zu berichten, was Ihr findet.«

»Wenn Ihr irgend Etwas findet, das Halberten gleich sieht,« schrie Christie Edward nach, »so mach' ich mich verbindlich, ihn ohne Salz aufzufressen. – Das ist ein Vergnügen zu sehen, wie sich der Bursch macht! – Wenn's an's Handeln geht, dann sieht man, aus welchem Stoff ein Junge gemacht ist. – Halbert sprang immer wie ein Reh auf und ab, und sein Bruder pflegte immer im Kaminwinkel zu hocken mit seinem Buch und ähnlichen Lumpereien. Aber der Junge war wie eine geladene Hakenbüchse, welche ruhig im Winkel steht, wie eine alte Krücke, bis Ihr mit der Hand an den Drücker kommt, und dann ist eitel Rauch und Feuer. – Aber hier kommt mein Gefangener, und andere Gegenstände bei Seite setzend, muß ich bitten, Herr Subprior, ein Wort in Beziehung auf ihn mit Euch reden zu dürfen. Ich wollte schon vorhin über ihn sprechen, allein ich ward durch den Schnack da unterbrochen.«

Während er sprach, ritten zwei andere Reisige Avenel's in den Hof ein mit einem Pferd in der Mitte, auf welchem mit gebundenen Händen und Füßen der reformirte Prediger Heinrich Warden saß.



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