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Drittes Kapitel.

– – – – Wahrlich er kann nicht
Schnöde verlassen mich hier,
Thut er's, dann werden nicht leicht mehr
Mädchen Männern vertrau'n.

Die zwei edelen Sippen.

Der Ritter hielt sein Roß fortwährend in so raschem Trabe, wie nur immer der Weg erlauben wollte, bis sie die Schlucht von Glendearg hinter sich hatten und eingetreten waren in das weite Thal des Tweed, der seine krystallhellen Wogen vor ihren Augen dahinrollte. Auf dem entgegengesetzten Ufer erblickten sie die hohen grauen Thürme und Zinnen des weitläufigen Klosters zu S. Marien, kaum erst beleuchtet von den Strahlen der Morgensonne, da der Bau tief am Fuße der südwärts sich erhebenden Berge liegt.

Sich links wendend setzte der Ritter seinen Weg längs dem nördlichen Ufer des Flusses fort, bis sie dem Wehr gegenüber kamen, an welchem Pater Philipp das Ziel seiner sonderbaren Wasserfahrt gefunden hatte.

Herr Piercie Shafton, in dessen Gehirn selten mehr als ein Gedanke Raum hatte, war bis dahin vorwärts geeilt, ohne zu wissen, wohin. Der Anblick des nahen Klosters erinnerte ihn, daß er sich noch immer auf gefährlichem Boden befand, und daß er nothwendig einen bestimmten Fluchtplan entwerfen mußte, wenn er entkommen wollte. Zu gleicher Zeit bedachte er auch die Lage seiner Führerin und Retterin, denn er war keineswegs rücksichtslos oder undankbar. Er horchte und entdeckte, daß die Müllerstochter schluchzte und bitterlich weinte, indeß sie ihr Haupt an seine Schulter lehnte.

»Was fehlt dir, meine edelmüthige Molinara?« fragte er. »Ist irgend Etwas, das Piercie Shafton thun kann, um seine Dankbarkeit gegen seine Befreierin an den Tag zu legen?« Gretel deutete mit dem Finger über den Fluß, wagte aber nicht, hinüberzublicken.

»O, sprich deutlich, edelmüthigste Jungfrau,« fuhr der Ritter fort, welcher jetzt eben so sehr in Verlegenheit war, wie sonst seine gezierte Redeweise Andere in Verlegenheit zu setzen pflegte. »Sprecht deutlich, denn ich schwöre Euch, daß ich Nichts entnehmen kann aus der Ausstreckung Eures schönen Fingers.«

»Dort ist meines Vaters Haus,« sprach Gretel mit einer durch einen verstärkten Ausbruch des Schmerzes geschwächten Stimme.

»Und ich habe dich unartiger Weise fern von deiner Wohnung weggeführt?« fragte Shafton in der Meinung, die Ursache ihres Kummers entdeckt zu haben. »Wehe über die Stunde, in welcher Piercie Shafton auf seine eigne Rettung bedacht, die Bequemlichkeit irgend eines Frauenzimmers vernachlässigt hätte, und nun gar die seiner hochverdienten Befreierin! Steige denn ab, o holde Molinara, es sei denn, daß du es vorziehst, daß ich dich zu Pferde nach dem Hause deines mehlschaffenden Vaters bringe, wozu ich, sobald du das Wort aussprichst, bereit bin, trotzend allen Gefahren, welche meiner Person drohen können, sei es von Mönch, sei es von Müller.«

Gretel unterdrückte ihr Schluchzen, und stammelte den Wunsch, abzusteigen und ihr Glück auf eigne Hand zu suchen. Herr Piercie Shafton, ein zu ergebener Edelknecht der Frauen, um selbst der Geringsten eine achtungsvolle Aufmerksamkeit zu versagen, stieg augenblicklich ab und hob das arme Mädchen herunter, welches noch immer bitterlich weinte, und auf dem Boden angelangt, kaum fähig schien, sich aufrecht zu erhalten, wenigstens sich von dem stützenden Arm des Ritters nicht entfernte. Er trug sie unter eine Hängebirke am Ufer, setzte sie auf den Rasen und redete ihr zu, sich zu fassen. Sein natürliches Gefühl brach hervor, bekämpfte und überwand halb seine angenommene Ziererei, als er sprach: »Glaubt mir, edelmüthige Jungfrau, Piercie Shafton würde den Dienst, so Ihr ihm geleistet habt, für zu theuer erkauft geachtet haben, hätte er vorhersehen können, daß es Euch diese Thränen und Seufzer kosten würde. Laßt mich die Ursache Eures Kummers kennen, und dafern ich irgend Etwas thun kann, denselben zu beseitigen, dann glaubt, daß die Ansprüche, welche Ihr an mich erworben habt, Eure Befehle mir so heilig machen, wie die einer Kaiserin. Sprecht also, schöne Molinara, und befehlet Demjenigen, welchen das Schicksal zu Eurem Schuldner und zu Eurem Kämpen gemacht hat. Was ist Euer Befehl?«

»Nichts weiter, als daß Ihr Euch retten und fliehen sollt,« antwortete Gretel, indem sie alle ihre Kraft zusammennahm, um diese wenigen Worte auszusprechen.

»Doch,« sprach der Ritter, »darf ich Euch nicht ohne ein Zeichen der Erinnerung verlassen.« Gretel hatte auf der Zunge, zu sagen, dessen bedürfe es nicht, und sicherlich würde sie es gesagt haben, dafern sie vor Weinen hätte sprechen können. »Piercie Shafton ist arm,« fuhr der Ritter fort, »aber laßt diese Kette bezeugen, daß er nicht undankbar ist gegen seine Befreierin.«

Mit diesen Worten nahm er die früher beschriebene kostbare goldne Kette mit dem Medaillon vom Halse und legte sie in die matte Hand des armen Mädchens. Sie nahm sie weder an, noch stieß sie dieselbe zurück. In Anspruch genommen von den lebhaftesten Gefühlen, schien sie kaum zu bemerken, was er that.

»Wir treffen uns wieder,« sprach Herr Piercie Shafton, »wenigstens hoffe ich es. Mittlerweile weine nicht ferner, schöne Molinara, dafern du mich liebst.«

Diese Beschwörungsformel war eine abgedroschene Redensart, hatte aber in Gretels Ohren einen tieferen Sinn. Sie trocknete ihre Thränen, und als der Ritter in aller ritterlichen Artigkeit und Höflichkeit sich bückte, um sie zum Abschied zu umarmen, stand sie auf, um die dargebotene Ehre in einer achtungsvolleren Stellung zu empfangen, und nahm bescheiden und dankbar den Gruß an. Herr Piercie bestieg sein Pferd und ritt eine Strecke fort. Neugier, oder vielleicht ein stärkeres Gefühl, veranlaßte ihn zurückzublicken, und er sah die Müllerstochter regungslos auf demselben Fleck stehen, wo sie geschieden waren, indem sie die Augen auf ihn gerichtet und die Kette unbeachtet von der Hand herabhängen ließ.

Jetzt begann der Ritter, die Empfindungen Gretels und den Beweggrund ihres ganzen Handelns zu ahnen. Die Weltleute jener Zeit, fern von schmutziger Selbstsucht, hochstrebend und hochgesinnt selbst in ihrer Ziererei, blieben dem erniedrigenden und heillosen Treiben fern, welches man gemeine Liebschaften zu nennen pflegt. Sie machten nicht Jagd auf die geringen Mädchen des platten Landes, sie erniedrigten nicht ihren Stand, um ländliche Unschuld des Friedens und der Tugend zu berauben. Da sonach Eroberungen auf diesem Gebiet nicht Gegenstand ihres Strebens waren, so wurden dieselben, wenn sie sich von selbst machten, übersehen, nicht vermuthet, blieben, wie ein Neuerer es nennen würde, unbenutzt. Der Gesellschafter Astrophels, die Blume der Ritterschaft auf der Stechbahn von Feliciana, ließ sich so wenig einfallen, daß seine Anmuth und seine Vorzüge die Liebe von Gretel Happer wecken könnten, als eine Schönheit ersten Ranges in den Logen sich Etwas träumen läßt von der verderblichen Wunde, welche ihre Reize etwa dem Herzen eines romantischen Advokatenlehrlings im Parterre beibringen. Wahrscheinlich würde in jedem sonstigen Fall der Stolz auf Stand und Rang über die bewundernde Niedrigkeit das Urtheil ausgesprochen haben, welches Fielding, als junger Herr über die ganze weibliche Welt verhängt hat: »Laßt sie schauen und sterben.« Allein die Verbindlichkeiten, welche Herr Piercie gegen das verliebte Mädchen, wenn auch nur eine Müllerstochter, hatte, machten es ihm unmöglich, die Sache cavalièrement zu behandeln. Sehr verlegen und doch auch ein wenig geschmeichelt, ritt er zurück, um zu sehen, was sich zum Trost der Jungfer thun ließ.

Gretels angeborne Bescheidenheit vermochte nicht, sie zu hindern, unverkennbare Zeichen der Freude über Herrn Piercie Shaftons Rückkehr von sich zu geben. Diese Freude verrieth sich durch das wiederstrahlende Auge und durch ein halbverstohlenes Streicheln des Halses des Pferdes, welches den geliebten Ritter zurückgebracht hatte.

»Was kann ich weiter für Euch thun, liebreiche Molinara?« fragte der Ritter, selber stammelnd und erröthend. Zur Ehre des Zeitalters der Königin Lise sei es gesagt: ihre Hofleute hatten mehr Eisen auf der Brust, als an der Stirn, und bewahrten selbst unter ihren Eitelkeiten noch immer den ersterbenden Geist des Ritterthums, welcher weiland den edlen Ritter Chaucers belebte

»Wie eine Jungfrau voll Bescheidenheit.«

Gretel erröthete und heftete die Augen auf den Boden. Herr Piercie fuhr in demselben Ton verlegenen Wohlwollens fort: »Fürchtet Ihr Euch, allein nach Hause zurückzukehren, meine liebreiche Molinara? – wünscht Ihr, daß ich Euch begleite?«

»Ach,« sprach Gretel aufblickend – und das Roth ihrer Wangen verwandelte sich in Leichenblässe, »ich habe kein Haus mehr!«

»Wie? Kein Haus? Sagt meine edelmüthige Molinara, sie habe kein Haus, wenn dort drüben die Wohnung ihres Vaters steht, und nur ein Crystallfluß dazwischen liegt?«

»Ach!« antwortete das Müllerkind, »ich habe weder Vater noch Vaterhaus mehr. Mein Vater ist ein ergebener Diener der Abtei; ich habe mich an dem Abt vergangen, und komme ich heim, so schlägt mich mein Vater todt.«

»Er darf es nicht wagen, dir ein Leids zu thun, so wahr Gott lebt!« sprach Herr Piercie. »Ich schwöre dir bei meiner Ehre und Ritterschaft, die Streitmacht meines Vetters von Northumberland soll das Kloster so dem Boden gleichmachen, daß kein Pferd stolpern soll, wenn er darüber reitet, dafern sie es wagen, Euch ein Haar zu krümmen. Darum seid hoffnungsvoll und zufrieden, liebreiche Gretelinde, und wisset, daß Ihr Einen verpflichtet habt, welcher die geringste Euch zugefügte Unbill rächen kann und will.«

Während dieser Rede war er vom Pferd gesprungen und im Eifer seiner Beweisführung hatte er die willige Hand Gretels – oder wie er sie jetzt getauft hatte, Gretelindens – gefaßt. Dabei sah er in ein paar große schwarze Augen, welche auf die seinigen mit einem, wenn auch durch jungfräuliche Scham gemilderten, doch unverkennbaren Ausdruck geheftet waren, – auf Wangen, wo Etwas wie Hoffnung die natürliche Farbe wiederherzustellen begann, und auf zwei Lippen, wie Rosenknospen, welche erwartungsvoll ein wenig auseinanderstanden wie eine Reihe perlenweißer Zähne zeigten. Alles das war gefährlich anzusehen, und nachdem Herr Piercie Shafton mit immer geringerem Nachdruck seine Bitte wiederholt hatte, daß die schöne Gretelinde ihm erlauben möchte, sie nach ihres Vaters Haus zu bringen, schloß er mit der Aufforderung, die holde Gretelinde möge mit ihm gehen. »Wenigstens,« fügte er hinzu, »bis ich im Stand bin Euch einen sichern Platz anzuweisen.«

Gretel Happer antwortete nicht, drückte aber halb freudig, halb verschämt erröthend, ihre Bereitwilligkeit, den südländischen Ritter zu begleiten, dadurch aus, daß sie ihr Bündel fester knüpfte und sich bereit machte, ihren Sitz auf dem Kreuz wieder einzunehmen. »Und was ist Euer Wille, daß ich hiemit machen soll?« fragte sie, die Kette emporhaltend, als ob sie jetzt erst merkte, daß sie in ihrer Hand wäre.

»Behalte sie, schönste Gretelinde, um meinetwillen,« sprach der Ritter.

»Nein,« entgegnete Gretel ernsthaft. »Bei mir zu Lande nehmen die Mädchen keine solche Geschenke von Höheren an, und ich bedarf keines Zeichens, um mich an diesen Morgen zu erinnern.«

Dringend und auf's Höflichste ersuchte sie der Ritter, das Geschenk anzunehmen, allein hier blieb Gretel fest bei ihrem Wort. Sie fühlte vielleicht, daß die Annahme von irgend Etwas, das einem Lohn gleich sähe, den von ihr geleisteten Dienst zu einer bezahlten Arbeit herabwürdigen müßte, und sie verstand sich lediglich nur dazu, die Kette in Verwahrung zu nehmen, damit dieselbe nicht den Eigenthümer kenntlich machte, insolange bis Herr Piercie sich in völliger Sicherheit befände.

Sie saßen auf und setzten ihre Reise fort. Gretel, in manchen Beziehungen eben so herzhaft und scharfsichtig, wie sie in anderen einfältig und schwach war, übernahm es, die Richtung genau zu bestimmen, nachdem der Ritter ihr mitgetheilt hatte, daß er nach Edinburgh zu gehen wünsche, wo er Schutz und Freunde zu finden hoffte. Sobald sie dieß wußte, brachte sie ihre Ortskenntniß in Anwendung, um so bald als möglich aus dem Gebiete des Stiftes heraus in das eines weltlichen Landherrn zu kommen, der für einen Anhänger der reformirten Lehre galt, und auf dessen Grund und Boden ihrer Ansicht nach die Verfolger nicht wagen würden, Gewalt gegen sie zu brauchen. Sie fürchtete überhaupt nicht sehr eine Verfolgung, denn sie rechnete darauf, daß die Bewohner des Thurmes von Glendearg Mühe finden würden, die Hindernisse zu überwinden, welche die von ihr vor der Abreise sorgfältig verwahrten Schlösser und Riegel ihnen in den Weg legen würden.

Sie setzten demnach ihren Weg ziemlich unbesorgt fort, und Herr Piercie Shafton fand Muße, die Zeit mit hochtrabenden Reden und langen Geschichtchen vom Hofe von Feliciana zu zerstreuen. Gretel horchte mit großer Aufmerksamkeit zu, obwohl sie nicht das dritte Wort von dem verstand, was ihr Reisegefährte vortrug. Sie bewunderte auf guten Glauben, so wie auch mancher verständige Mann sich die Unterhaltung einer schönen aber einfältigen Frau gefallen läßt. Herr Piercie war in seinem Element, und der Theilnahme und unbeschränkter Billigung seiner Zuhörerin sicher, gab er Euphuismus von ungewöhnlicher Dunkelheit und ungewöhnlicher Gedehntheit zum Besten. So verging der Morgen. Der Mittag brachte sie in die Nähe der Krümmungen eines Flusses, an dessen Ufer sich ein altes freiherrliches Schloß erhob, umgeben von großen Bäumen. In geringer Entfernung von dem Burgthor zeigten sich die zerstreuten Hütten eines Dorfes mit einer Kirche in der Mitte.

»Es sind zwei Wirthshäuser in diesem Kirchdorf,« sprach Gretel; »aber das schlechteste ist für unseren Zweck das beste, denn es steht fern von den anderen Häusern und ich kenne den Mann gut, denn er hat mit meinem Vater Geschäfte in Malz gemacht.«

Diese causa scientiae Grund der Kenntniß., um den Ausdruck der Rechtsgelehrten zu brauchen, war von Seiten Gretels übel angebracht. Denn Herr Piercie Shafton hatte sich bisher in eine große Hochachtung für seine Gefährtin hineingeschwatzt und hatte über dem Wohlgefallen an der guten Aufnahme, welche seine Redekunst bei ihr fand, beinahe vergessen, daß sie keine der hochgebornen Schönheiten war, von welchen er so manche Geschichten erzählte. Jenes unglückselige Wort »Malz« erinnerte ihn plötzlich an die unvortheilhaften Verhältnisse ihrer Abkunft. Er sagte indessen Nichts. Und was konnte er auch sagen? Nichts war so natürlich, als daß eine Müllerstochter mit Wirthen bekannt war, welche ihrem Vater Malz abkauften, und Nichts war zu verwundern, als die Verknüpfung von Umständen, welche eine solche Person in den Fall gesetzt hatten, die Begleiterin und Führerin des Herrn Piercie Shafton von Wilverton zu sein, eines Verwandten des großen Grafen von Northumberland, den Fürsten und Könige Vetter nannten in Betracht des Geblütes der Piercie's Froissart berichtet irgendwo, (Romanleser verlangen keine genaue Nachweisungen,) daß der König von Frankreich einen der Piercie's Vetter nannte, in Betracht des Geblütes von Northumberland.. Er fühlte das Unangemessene, welches darin lag, mit einem Müllermädchen hinter seinem Sattel das Land zu durchstreichen und war undankbar genug, einige Regungen von Scham zu empfinden, als er an der Thür des kleinen Wirthshauses anhielt.

Allein die Gewandtheit Gretels ersparte ihm fernere Demüthigung. Sie sprang augenblicklich vom Pferd und nahm die Ohren des Wirthes, welcher mit offenem Munde herauskam, um einen Gast von des Ritters Aussehen zu empfangen, mit einer erdichteten Geschichte in Anspruch, welche so umständlich war und ihr so geläufig vom Munde ging, daß Herr Piercie, dessen Erfindungsgabe nicht zu den glänzendsten gehörte, wirklich staunte. Sie setzte dem Gasthalter aus einander, dieß sei ein großer englischer Ritter, welcher von dem Kloster an den schottischen Hof reisete, nachdem er sein Gelübde an die heilige Maria erfüllt, und daß sie die Weisung erhalten habe, ihn so weit auf dem Wege zu führen, und daß Bläß, ihr Klepper, unterwegs gestürzt sei, weil er übermüdet worden sei, als er dem Schaffner von Langhope die letzte Ladung Mehl zugeführt habe, und daß sie den Bläß in dem Park des Arbeitsvogtes in der Nähe von Cripplecroß zum Grasen eingestellt habe, denn er habe vor Müdigkeit so still gestanden wie Lot's Weib, und daß der Ritter sie mit Artigkeit genöthigt habe, hinten aufzusitzen, und daß sie ihn lieber an das Wirthshaus eines Kunden gebracht habe, als an die Wohnung des stolzen Peddi, welcher sein Malz auf den Mellersteiner Mühlen holte, und daß er das Beste herbeischaffen müsse, was sein Haus liefern könnte, und daß er es den Augenblick zurichten müßte, und daß sie bereit sei, in der Küche zu helfen.

Alles dieß ging ihr glatt von der Zunge, ohne einen Augenblick des Besinnens dazwischen und ohne den geringsten Zweifel von Seiten des Gastwirthes. Das Pferd des Gastes ward in den Stall geführt, und ihm selber ward die reinlichste Ecke und der beste Sitz angewiesen, welche im Hause zu finden waren. Gretel, stets thätig und dienstfertig, war sofort beschäftigt, die Mahlzeit zu bereiten, den Tisch zu decken und die besten Anordnungen, welche die Erfahrung ihr an die Hand gab, zur Ehre und zur Bequemlichkeit ihres Gefährten zu treffen. Er hätte dieß gern verhindert. Denn so angenehm ihm auch das rege, zu seinem Dienst so geschäftige Wohlwollen sein mußte, so unbeschreiblich peinlich war es für ihn, Gretelinden sich mit diesen niederen Verrichtungen befassen zu sehen, wie eine Person, welcher dieselben nur zu geläufig waren. Doch diesem unangenehmen Gefühl wirkte entgegen, und hielt vielleicht die Wage, die außerordentliche Anmuth, mit welcher ihre schönen Hände alle diese Geschäfte verrichteten und dem elenden Winkel eines erbärmlichen Wirthshauses jener Zeit das Ansehen eines Gemaches gaben, in welchem eine verliebte Fee oder wenigstens eine Schäferin von Arkadien mit erfolgloser Sorgfalt ihre Anschläge auf das Herz eines Ritters in's Werk zu setzen suchte, der vom Geschick zu höheren Dingen und zu einer glänzenderen Verbindung bestimmt war.

Die Leichtigkeit und Anmuth, mit welcher Gretel den kleinen runden Tisch mit einem schneeweißen Tuche deckte und auf denselben einen in der Eile gebratenen Kapaun stellte sammt einem Krug Bordeaux, waren an sich nur plebejische gute Eigenschaften. Nichtsdestoweniger gewährte jeder Blick auf sie eine gar liebliche Ansicht. Sie war so wohlgebaut, so beweglich und dabei so anmuthig mit ihren schneeweißen Händen und Armen, mit ihrem Gesichtchen, wo ein Lächeln mit dem Erröthen kämpfte, mit ihren Augen, welche stets auf Shafton gerichtet waren, wenn er anderswohin sah, und welche sich sogleich senkten, wenn sein Blick dem ihrigen begegnete – daß sie selbst für einen stolzen Hofmann unwiderstehlich sein mußte. Die Zartheit ihres ganzen Benehmens, neben der raschen Entschlossenheit, welche sie vor kurzem bewiesen hatte, veredelte die Dienste, welche sie leistete, so daß man hätte sagen mögen, irgend eine

– – – Huldgöttin, zart und fein,
Zog Kleider an und kam herab
Und trat als Wärt'rin ein.

Aber auf der andern Seite kam der verwünschte Gedanke, daß nicht Liebe sie diese Dienste gelehrt hatte, lediglich für den Geliebten, sondern daß es die natürlichen Gewohnheiten einer Müllerstochter waren, welche ohne Zweifel dasselbe jedem reichen Bauernschlingel that, der in ihres Vaters Mühle kam. Dieser Gedanke stopfte der Eitelkeit den Mund und zugleich der Liebe, welche die Eitelkeit ausgebeutet hatte.

Während dieser mannigfaltigen Gemüthsbewegungen vergaß Herr Piercie nicht, die Ursache derselben aufzufordern, sich niederzusetzen und Theil an dem Mahl zu nehmen, welches sie so trefflich bereitet und so schön aufgetragen hatte. Er erwartete, diese Einladung würde, vielleicht verschämt, jedenfalls aber mit großem Dank angenommen werden. Allein Gretel lehnte seine Einladung so ehrerbietig und doch auch so entschieden ab, daß er sich einerseits geschmeichelt fühlte, anderseits ein wenig ärgerte. Nicht lange, so verschwand sie aus dem Gemach und ließ dem Euphuisten Muße, mit sich auszumachen, ob ihre Entfernung ihm angenehm oder unangenehm sei.

Es wäre dieß eine Frage gewesen, deren Entscheidung ihm sehr schwer gefallen sein würde, wenn er dazu genöthigt gewesen wäre. Da dieß aber nicht der Fall war, so trank er etliche Becher Claret und sang eine oder zwei Strophen von den Canzonetten des göttlichen Astrophel. Allein trotz Wein und trotz Herr Philipp Sidney, kam ihm wieder das Verhältniß in den Sinn, in welchem er zu der holden Molinara oder Gretelinde, wie er Gretel Happer benannt, jetzt stand und dasjenige, in welchem er in Zukunft zu ihr stehen wollte. Die Mode der Zeit stimmte (wie bereits angedeutet) glücklicherweise mit seinem angebornen, fast übertriebenen Edelsinn überein, welcher ihm, als eine Todsünde gegen Frauendienst, Ritterthum und Sittlichkeit, verbot, die guten Dienste, welche dieß arme Mädchen ihm geleistet, damit zu vergelten, daß er die Vortheile mißbrauchte, welche ihr Vertrauen auf seine Ehrenhaftigkeit ihm in die Hand gegeben hatte. Um Herrn Piercie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß gesagt werden: ein solcher Gedanke ist ihm nie in den Sinn gekommen, und vermuthlich würde er die allerwissenschaftlichste imbroccata, stoccata oder punto reverso, welche er in der Schule von Vincenz Saviola gelernt hatte, demjenigen verabreicht haben, welcher es gewagt hätte, ihm solchen schwarzen Undank und solche Niederträchtigkeit anzurathen. Auf der andern Seite war er ein Mann und sah voraus, daß diese Art zu reisen Andern zum Anstoß und Aergerniß gereichen, sie selber aber in Versuchung führen würde. Ueberdem war er ein eitler Narr und ein Hofmann, und es kam ihm lächerlich vor, mit einer Müllerstochter hinter dem Sattel durch's Land zu reisen, und auf diese Weise Anlaß zu Vermuthungen, welche weder für ihn noch für sie sehr ehrenvoll wären, und zu spaßhaften Deutungen seines Rittes zu geben.

»Ich wollte,« sprach er halblaut, »wenn es ohne Schimpf oder Schaden für die allzuhochstrebende und doch zu verständige Molinara geschehen könnte, sie und ich wären glücklich auseinander, und jedes von uns schlüge für sich seine Bahn ein, gleichwie wir sehen, daß das, nach fernen Meeren bestimmte, Schiff die Segel spannt und hinauseilt in die hohe See, während der bescheidene Nachen die Freunde an's Ufer trägt, welche mit wunden Herzen und nassen Augen die kühneren Abenteurer, mit denen die Fregatte bemannt ist, ihrem Schicksale überlassen haben.

Kaum hatte er diesen Wunsch ausgesprochen, so sah er ihn gewährt. Der Wirth nämlich trat ein und berichtete: »Sr. Gestrengen Pferd sei bereit, wie der Herr verlangt habe,« – und als Piercie fragte: »Wo ist die – die Jungfer – das heißt – die junge Person?« – antwortete der Wirth: »Gretel Happer ist nach Hause zurückgekehrt, hat mir aber aufgetragen, Euch zu sagen, Ihr könntet den Weg nach Edinburgh nicht verfehlen, da es weder weit dahin, noch eine schlimme Straße sei.«

Selten werden unsere Wünsche vollständig erfüllt in dem Augenblick, wo wir sie aussprechen, vielleicht weil der Himmel uns weislich vorenthält, was, wenn es gewährt würde, oft mit Undank aufgenommen werden würde. So war es wenigstens in diesem Fall. Denn als der Gasthalter sagte, Gretel sei heimgekehrt, fühlte sich der Ritter versucht, mit einem Ausruf des Staunens und des Aergers zu antworten und die hastige Frage zu thun, wohin und wann sie abgegangen sei. Den Ausruf unterdrückte seine Klugheit, aber die Frage zu stellen konnte er nicht umhin.

»Wo ist sie hingegangen?« sprach der Wirth, ihn mit großen Augen anblickend und seine Frage wiederholend – »Sie ist heimgegangen zu ihrem Vater, soll ich denken, und sie ist gegangen, gerade nachdem sie Weisung gegeben hatte wegen des Pferdes Ew. Gestrengen, und nachdem sie nachgesehen hatte, ob es ordentlich gefüttert wäre, – sie hätte mir wohl in dem Stück trauen können, aber Müller und Müllerskinder meinen, alle Welt wäre so diebisch wie sie. Jetzt mag sie eine starke Stunde Wegs weit sein.«

»Also ist sie fort?« murmelte Herr Piercie, indem er zwei oder drei schnelle Schritte durch das Zimmer machte. – »Sie ist fort? – Gut, laßt sie gehen. Sie hätte nur Schimpf und Schaden davon haben können, wenn sie bei mir geblieben wäre, und auf mich hätte ihre Gesellschaft kein sonderlich gutes Licht geworfen. Wie ich nur denken konnte, daß es so schwer sein möchte, ihrer los zu werden! Ich wette, jetzt eben lacht sie mit einem Bauernlümmel, der ihr begegnet ist, und meine kostbare Kette wird einen artigen Brautschatz geben. – Und warum sollte sie nicht? Hat sie dieselbe nicht verdient, auch wenn sie noch zehn Mal werthvoller wäre? – Piercie Shafton! Piercie Shafton! Mißgönnst du deiner Befreierin den Lohn, den sie so schwer erworben hat? Die selbstsüchtige Luft dieses nordischen Landes hat dich angesteckt, Piercie Shafton, und hat die Blüthen deines Edelmuthes getödtet, gleichwie sie die Blumen des Maulbeerbaumes welk macht. – Doch,« fügte er nach einem Augenblick des Besinnens hinzu, »hätte ich gedacht, sie würde nicht so leicht und willig von mir gehen. Doch wozu weiter daran denken. – Macht meine Rechnung, Wirth, und laßt den Stallknecht meinen Klepper vorführen.«

Der gute Wirth schien ebenfalls etliche Scrupel zu haben, denn er antwortete nicht sogleich, weil er vermuthlich erwog, ob sein Gewissen eine doppelte Rechnung vertragen könnte. Ohne Zweifel antwortete sein Gewissen verneinend, obwohl nicht ohne einige Zögerung, denn endlich erwiederte er: »Es ist schmählich zu lügen. Ich will nicht in Abrede stellen, daß die Rechnung berichtigt ist. Indessen, wenn Ew. Gestrengen Etwas für die außerordentliche Mühe gehen will« – –

»Was?« sagte der Ritter, »die Rechnung bezahlt? Ei von wem?«

»Eben von Gretel Happer, wenn ich die Wahrheit reden soll, wie ich vorhin gesagt habe,« antwortete der ehrliche Wirth, dem es eben so sauer ankam, die Wahrheit zu sagen, wie einem Andern vielleicht, eine Lüge vorzubringen. »Sie hat sie bezahlt mit dem Geld, welches der Abt für Ew. Gestrengen Reise angewiesen hat, wie sie mir sagte. Und mir sollte es leid sein, einen Edelmann zu übernehmen, der über meine Schwelle kommt.« Und mit der Zuversicht, zu welcher er sich durch sein ehrliches Geständniß berechtigt glaubte, fügte er hinzu: »Indessen, wie ich vorhin gesagt habe, wenn es Ew. Gestrengen gefiele, aus freiem Willen Rücksicht auf außerordentliche Mühe zu nehmen« – –

Der Ritter machte seiner Rede ein Ende, indem er ihm einen Rosenobel hinwarf, vermuthlich den doppelten Betrag einer schottischen Rechnung, wenn gleich nur den halben einer Zeche in den drei Kranichen oder im Weinkeller. Diese Freigebigkeit entzückte dermaßen unseren Wirth, daß er fortlief, den Steigbügeltrunk (wofür nie etwas gerechnet wurde) aus einem köstlicheren Fasse zu zapfen, als aus welchem der vorige Krug gefüllt worden war. Der Ritter ging langsam hinaus, nahm die Artigkeit des Wirthes an, dankte ihm mit der steifen Herablassung, wie sie am Hofe Elisabeths Sitte war, und stieg zu Roß. Er schlug den Weg nach Norden ein, welcher ihm als der nächste nach Edinburgh bezeichnet wurde, und welcher, obwohl einer neueren Kunststraße sehr unähnlich doch einer besuchten Landstraße so ähnlich sah, daß er nicht leicht mißkannt werden konnte.

»Es scheint, ich werde ihrer Führung nicht weiter bedürfen,« sprach er zu sich selber, während er langsam dahin ritt; »und ich denke, das war mit ein Grund ihres plötzlichen Abgangs, von dem ich mir Nichts hätte träumen lassen. – Je nun, ich bin ihrer ledig. Beten wir nicht: Und führe uns nicht in Versuchung –? – Aber daß sie sich gewaltig geirrt hat, in Schätzung ihrer und meiner Lage, daß sie daran denken konnte, die Rechnung zu bezahlen! Ich wünschte, ich sähe sie noch ein Mal, nur um ihr den Mißgriff deutlich zu machen, den sie in Folge ihrer Unerfahrenheit begangen hat. – Und ich fürchte,« fügte er hinzu, als er aus einer Baumgruppe hervorkam und eine wilde wellenförmige Moorgegend vor sich sah, »ich fürchte, bald werde ich der Hülfe dieser Ariadne bedürfen, daß sie mir ihren Faden liehe, um mich in den Windungen jenes Berglabyrinths zurecht zu finden.«

Kaum war dieß Selbstgespräch beendigt, als Hufschlag hinter ihm seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er blickte zurück, und sah einen jungen Burschen mit einem grauen schottischen Klepper, vierzehn Faust hoch, auf einem Pfad hinter den Bäumen dahertraben und bald auf der Landstraße zu sich herankommen.

Die Kleidung des Jungen war ganz ländlich aber nett. Er trug eine graue Tuchjacke mit Schlitzen und Puffen, schwarze Tuchhosen, hirschlederne Schuhe mit hübschen silbernen Sporen. Ein Mantel von dunkler Maulbeerfarbe umhüllte seinen Oberleib und verbarg mit seiner Kaputze theilweise das Gesicht, welches außerdem die schwarze Sammetmütze mit ihrem kleinen Federbusch beschattete.

Herr Piercie Shafton, von Natur gesellig, zugleich sich nach einem Führer sehnend, außerdem auch an dem hübschen Jüngling Gefallen findend, unterließ nicht, ihn zu fragen, woher er käme und wohin er ginge. Der Jüngling sah einen andern Weg, indem er antwortete er ginge nach Edinburgh, Dienst im Hause eines großen Herrn zu suchen.

»Ich fürchte, Ihr seid Eurem letzten Herrn entlaufen,« sprach Herr Piercie, »weil Ihr Euch nicht getraut, mir in's Gesicht zu sehen, während Ihr antwortet.«

»Wirklich, ich habe das versäumt,« antwortete der Junge verschämt, kehrte, gleichsam ungern, dem Ritter das Gesicht zu, und wandte es sogleich wieder ab. Es war nur ein Blick, aber die Erkennung war vollständig. Das große schwarze Auge, die runde Wange, von welcher die Verlegenheit nicht gänzlich einen Ausdruck von Lustigkeit zu verbannen vermochte, und die ganze Gestalt konnte Niemanden anders angehören, als dem verkleideten Müllermädchen. Das Wiedererkennen war freudig, und Herrn Piercie war es so angenehm, seine Gefährtin wiedererlangt zu haben, daß er sich unmöglich der verschiedenen guten Gründe erinnern konnte, mit welchen er sich über ihre Abwesenheit getröstet hatte.

Auf seine Fragen in Betreff ihrer Kleidung erwiederte sie, sie habe dieselbe in dem Kirchhof von einer Freundin bekommen, deren Sohn mit dem Landherren zu Felde gezogen sei. Es sei das Feierkleid dieses Sohnes, und sie habe es geborgt unter dem Vorwand, an einer ländlichen Mummerei Theil zu nehmen. Sie habe dafür ihre eigne Kleidung zurückgelassen, welche eher zehn Kronen werth sei, als diese hier vier.

»Und der Klepper, meine erfindungsreiche Molinara,« fragte Herr Piercie, »woher kommt der Klepper?«

»Ich habe ihn von unserem Wirth im Weihennest geborgt,« antwortete sie und fügte mit halbunterdrücktem Lachen hinzu: »Er hat hingeschickt, um dagegen unseren Bläß holen zu lassen, welchen ich im Park des Vogts zu Crippelcroß eingestellt habe. Er kann von Glück sagen, wenn er ihn da findet.«

»Aber dann verliert ja der arme Mann sein Pferd, höchst schlaue Gretelinde,« sprach Herr Piercie Shafton. Sein englisches Gemüth empörte sich einigermaßen über eine Art, zu Etwas zu kommen, welche mehr zu den Begriffen der Tochter eines Müllers, und zwar eines Müllers an der Gränze, paßte, als zu denen eines Engländers von Stand.

»Und wenn er sein Pferd verliert,« versetzte Gretel lachend, so ist er sicherlich der einzige Mann auf der Mark, dem solch ein Unfall begegnet. Aber er verliert Nichts, denn ich stehe gut dafür, er macht sich bezahlt an dem Geld, welches er seit langer Zeit meinem Vater schuldig ist.«

»Aber dann ist Euer Vater der Verlierende,« warf abermals die hartnäckige Ehrlichkeit des Ritters ein.

»Wozu jetzt von meinem Vater sprechen?« versetzte ärgerlich die Jungfer, ging aber augenblicklich in einen Ton tiefen Gefühls über und fügte hinzu: »Mein Vater hat an diesem Tag dasjenige verloren, neben welchem er die Einbuße seiner ganzen übrigen Habe gering achten wird.«

Betroffen durch den Ton reuevollen Schmerzes, in welchem seine Begleiterin diese wenigen Worte aussprach, fühlte sich der englische Ritter durch Ehre und Gewissen verbunden, ihr dringende Vorstellungen zu machen über die Gefährlichkeit des Schrittes, den sie so eben gethan hatte und über die Schicklichkeit ihrer Rückkehr in's Vaterhaus. Seine Rede, obwohl mit vielen unnöthigen Blumen verziert, machte seinem Kopf und seinem Herzen Ehre.

Das Müllermädchen hörte seinen fließenden Perioden mit gesenktem Haupte zu, wie Jemand, der in tiefe Gedanken oder in noch tiefere Schmerzen versunken ist. Als er geendigt hatte, hob sie den Kopf in die Höhe, sah ihm scharf in's Gesicht und erwiederte mit großer Festigkeit: »Wenn Ihr meiner Gesellschaft müde seid, Herr Piercie Shafton, dann sagt es nur, und die Müllerstochter wird Euch nicht weiter belästigen. Glaubt aber nicht, daß ich Euch zur Last sein werde, wenn wir zusammen nach Edinburgh reisen. Ich habe Witz und Stolz genug um Niemanden von selbst zur Last zu fallen. Wenn Ihr aber jetzt meine Gesellschaft nicht verschmähet, – späterhin werd' ich Euch auf keinen Fall damit belästigen – dann sprecht mir kein Wort mehr von Rückkehr. Alles was Ihr mir sagen könnt, hab' ich selber mir gesagt, und daß ich jetzt hier bin, ist ein Zeichen, daß ich es mir vergebens gesagt habe. Laßt also diesen Gegenstand für immer ruhen. Ich bin Euch schon in geringem Maße nützlich gewesen, und die Zeit kommt vielleicht, wo ich es in noch höherem Grade sein kann. Denn hier ist nicht England, wo, wie die Leute sagen, Gerechtigkeit gehandhabt wird ohne Furcht und Gunst gegen Große wie gegen Kleine, sondern es ist ein Land, wo man mit starker Hand gewinnt und mit Geistesgegenwart bewahrt. Ich kenne besser, als Ihr, die Gefahren, denen Ihr ausgesetzt seid.«

Herr Piercie Shafton fühlte sich einigermaßen gedemüthigt, als er fand, daß die Kleine ihre Anwesenheit sowohl als Beschützerin, wie als Führerin ihm nützlich erachtete, und brummte, daß er lediglich von seinem Arm und von seinem guten Schwert Schutz erwarte. Gretel antwortete ruhig: sie zweifle keinen Augenblick an seinem Muth, aber gerade dieser Muth könne ihn sehr leicht in Gefahr stürzen. Herr Piercie Shafton, dessen Kopf nie lange bei einer und derselben Gedankenreihe verweilen konnte, ließ sich ihren Antrag gefallen, ohne viel zu erwiedern, und dachte für sich, das Mädchen habe jene Aeußerung bloß gethan, um darunter den wahren Grund, nämlich ihre Neigung zu ihm, zu verbergen. Das Romantische in seiner Lage schmeichelte seiner Eitelkeit und beschäftigte seine Einbildungskraft, indem es ihn in die Lage der Helden der Sage versetzte, bei welchen derlei Verwandlungen eine bedeutende Rolle spielten.

Manchen verstohlenen Blick warf er auf seinen Edelknaben, dessen ländliche Lebensgewohnheiten ihn ganz geeignet machten, seine angenommene Rolle durchzuführen. Sie lenkte den Klepper mit Geschick und selbst mit Anmuth, und Nichts verrieth die Verkleidung, außer wenn sie verschämt bemerkte, daß ihres Gefährten Augen auf sie gerichtet waren, wo sie dann etwas verlegen aber damit auch um so reizender aussah.

Das Paar ritt vorwärts, wie am Vormittag, jeder Theil mit sich selber und mit dem andern zufrieden, bis sie in ein Dorf kamen, wo sie übernachten wollten und wo alle Bewohner des kleinen Wirthshauses, männliche wie weibliche, im Lobe des hübschen Aussehens des englischen Ritters und der ungewöhnlichen Schönheit seines jungen Begleiters übereinstimmten.

Hier nun machte Gretel Happer Herrn Piercie mit der zurückhaltenden Weise bekannt, in welcher sie mit ihm zu leben gedachte. Sie gab ihn für ihren Herrn aus, zeigte gegen ihn das ehrerbietig dienstfertige Benehmen eines wirklichen Dieners und erlaubte ihm nicht die geringste, unschuldigste Vertraulichkeit. So zum Beispiel erzählte ihr Herr Piercie, als ein großer Kenner im Putzfach, ein Langes und Breites von der vortheilhaften Veränderung, welche er unmittelbar nach der Ankunft in Edinburgh mit ihrem Anzug vorzunehmen gedächte, und wie er sie in seine Leibfarben, Nelken- und Fleischroth, zu kleiden beabsichtigte. Gretel hörte mit großem Vergnügen zu, wie er salbungsreich sich über Säume, Schnüre, Schlitze und Besätze ausließ, bis dahin, wo er im Eifer, den Vorzug des Umlegekragens über die spanische Krause zu beweisen, erklärungsweise seine Hand an den Kragen des Wamses seines Edelknaben legen wollte. Sie trat augenblicklich zurück und erinnerte ihn, daß sie allein und unter seinem Schutze sei.

»Ihr könnt,« sprach sie, »den Anlaß nicht vergessen, welcher mich hieher gebracht hat. Thut den geringsten Schritt zu einer Vertraulichkeit, welche Ihr Euch nicht gegen eine, von ihrem Hofe umgebene, Fürstin erlauben würdet, und Ihr habt die Müllerstochter zum letzten Mal gesehen. Sie wird verschwinden, wie Spreu von der Tenne, wenn der Westwind bläs't.«

»Ich versichere Euch, schöne Molinara,« sprach Herr Piercie – allein die schöne Molinara war verschwunden, ehe er seine Versicherung aussprechen konnte. »Eine eigne Dirne,« sprach er für sich, »und dabei so verständig, wie hübsch. – Wahrlich Schande wär' es, ihr Schimpf oder Schaden zuzufügen! Sie macht auch Vergleichungen, obwohl etwas nach ihrem Stand schmeckende. Hätte sie nur den Euphues gelesen und die verfluchte Mühle und Tenne vergessen, so würde, glaub' ich, ihr Gespräch mit eben so vielen und ausgesuchten Artigkeitsperlen geziert sein, wie bei der beredtesten Edelfrau am Hofe von Feliciana. – Sie wird doch wohl wiederkommen, mir Gesellschaft zu leisten?«

Allein das paßte nicht in den verständigen Plan Gretels. Es wurde jetzt dämmerig, und er sah sie nicht eher wieder, als am folgenden Morgen, wo die Pferde vorgeführt wurden zur Fortsetzung der Reise nach Edinburgh.

Hier aber verläßt unsere Geschichte den englischen Ritter und seinen Pagen, und wendet sich zurück nach dem Thurm von Glendearg.



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