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Zweites Kapitel.

Frei ist er nun. Gewagt hab ich's für ihn.
– – – – wenn das Gesetz
Mich darum straft, dann werden ein'ge Dirnen,
Gutherz'ge Mädchen, wohl mein Grablied singen,
Verkündend, daß ich eines edlen Todes
Fast wie ein Märt'rer starb.

Zwei edle Sippen.

Als der Subprior von S. Marien wegging aus der Speisekammer, in welcher Herr Piercie Shafton verhaftet war, und in welcher, als dem zu seiner Bewachung geeignetsten Orte, Anstalten für sein Nachtlager getroffen wurden, ließ der gute Pater mehr als ein beunruhigtes Gemüth hinter sich. Mit der Speisekammer hing durch eine Thür ein kleiner Erker zusammen, welcher eine Schlafkammer enthielt. Diese Kammer gehörte Marien von Avenel und hatte in der vergangenen Nacht auch der Müllerstochter, Gretel Happer, zur Unterkunft gedient, denn die schottischen Wohnungen sind und waren in der Regel zu wenig weitläufig, um nicht bei der Aufnahme von Gästen Nothbehelfe nöthig zu machen. Durch die Nachricht von Halberts Tod waren alle früheren Anordnungen über den Haufen geworfen. Maria, deren Zustand große Sorgsamkeit erheischte, war in dasjenige Gemach gebracht worden, welches bisher Halbert und Edward inne gehabt hatten. Letzterer hatte seinen Nachtposten eingenommen, um die Flucht des Gefangenen zu verhüten. Um das arme Gretelchen hatte sich bei diesen Veränderungen Niemand bekümmert. Sie hatte sich also in das Schlafkämmerlein begeben, welches sie die vorige Nacht inne gehabt hatte, ohne zu wissen, daß die Speisekammer, durch welche der einzige Aus- und Eingang führte, das Schlafgemach von Herrn Piercie Shafton werden sollte. Die Maßregeln, ihn dort festzuhalten, waren so plötzlich ergriffen worden, daß sie dieselben erst dann gewahr wurde, als die übrigen Frauen auf Befehl des Subpriors bereits aus der Speisekammer entfernt waren. Da sie den Augenblick verfehlt hatte, sich ihnen anzuschließen, hielt Verschämtheit und die ihr eingeprägte Ehrfurcht vor den Mönchen sie ab, allein hinauszugehen und dadurch das geheime Zwiegespräch des Paters mit dem Südländer zu stören. Es blieb ihr Nichts übrig, als das Ende desselben abzuwarten, und da die Thüre dünn war und nicht gut schloß, so konnte sie jedes Wort vernehmen.

Auf diese Weise wurde sie unwillkührlich mit dem Geheimniß bekannt, welches der Subprior und der englische Ritter mit einander verhandelten. Ebenso konnte sie aus dem Erker wahrnehmen, wie nach und nach die von Edward entbotenen jungen Leute anlangten. Alles dieß ließ sie vermuthen, daß das Leben von Herrn Piercie Shafton in großer Gefahr schwebte.

Das weibliche Geschlecht ist von Natur mitleidig, um so mehr, wenn Jugend und Schönheit Eigenschaften des Gegenstandes sind, welcher sein Mitgefühl in Anspruch nimmt. Die hübsche Gestalt, die zierliche Kleidung und Redeweise des Ritters, welche nicht den mindesten günstigen Eindruck auf den ernsten und stolzen Sinn von Maria Avenel gemacht, hatte dem armen Müllermädchen ganz den Kopf verrückt. Herr Piercie hatte dieß bemerkt. Es schmeichelte ihm, daß sein Werth doch nicht von allen Seiten mißkannt wurde, und er hatte darum Greteln bedeutend mehr Höflichkeit erwiesen, als wozu sie, nach seinen Begriffen, ihr Stand berechtigte. Diese gute Saat ging nicht verloren. Gretel hatte die Höflichkeiten mit tiefer Ehrfurcht und mit innigem Dank aufgenommen, und nun, da noch die Besorgniß um sein Leben hinzukam, fingen diese Empfindungen an, ihr zärtliches Herz auf's tiefste zu bewegen.

Es war (dachte sie) sehr unrecht von ihm, Halbert Glendinning zu tödten. Aber er war ein geborner Edelmann, ein Kriegsmann und dabei so artig und höflich, daß ganz gewiß der Streit lediglich von dem jungen Glendinning ausgegangen war. Man wußte, die beiden Jungen waren so vernarrt in diese Maria Avenel, daß sie kein anderes Mädchen im Stift ansahen, als ob sie etwas Besseres wären. Und nun war Halberts Kleidung eben so bäurisch, als seine Manieren hochmüthig, und dieser arme junge Herr, gekleidet wie ein Fürst, verbannt aus seiner Heimath, war in Streit verwickelt worden mit einem rohen Händelsucher, und wurde nun verfolgt, und sollte wahrscheinlich umgebracht werden durch dessen Verwandte.

Gretel weinte bitterlich bei diesem Gedanken. Ihr Herz empörte sich wider eine solche Grausamkeit gegen einen hülflosen Fremdling, welcher so köstlich gekleidet war und so anmuthig redete, und sie begann zu überlegen, ob sie ihm nicht einigen Beistand in seiner Noth leisten könnte.

War vorher ihre einzige Sorge gewesen, wie sie unbemerkt aus ihrem Erker hinauskommen möchte, so begann sie jetzt zu denken, daß der Himmel sie hieher geführt habe zur Rettung und Beschützung des verfolgten Fremdlings. Sie war von schlichter und liebreicher Gemüthsart, aber zu gleicher Zeit hatte sie einen regen und unternehmenden Sinn, besaß mehr als weibliche Körperkraft und mehr als weiblichen Muth – nur eben dabei ein Köpfchen, welches sich so leicht durch schöne Kleider und Redensarten verdrehen ließ, wie es sich nur immer ein feiner junger Herr wünschen mag. »Ich will ihn retten,« dachte sie, »das ist das Erste, was geschehen muß – und dann bin ich begierig zu hören, was er zu dem armen Müllermädchen sagt, welches für ihn gewagt hat, wovor alle zarten Damen in London und Holyrood zurückgebebt sein würden.«

Die Klugheit zupfte sie am Aermel, als sie sich diesen gefährlichen Gedanken überließ, und bedeutete ihr, je wärmer Herrn Piercie's Dankbarkeit, desto gefährlicher vermuthlich würde sie für seine Wohlthäterin sein. Ach arme Klugheit! du kannst mit unserem Sittenlehrer sagen:

»Ich predige ewig, doch immer vergebens.«

Während du deine Warnungen in ihr ungeduldiges Ohr flüsterst, wirft die Müllerstochter einen Blick in den kleinen Spiegel, neben welchen sie ihre kleine Lampe gestellt hat, und der Spiegel wirft ihr ein Gesicht mit strahlenden Augen zurück, hübsch wie immer, jetzt aber veredelt durch jenen Ausdruck, welcher der Entschlossenheit zu einer Handlung hochherziger Kühnheit eigen ist.

»Sollten diese Züge, diese Augen vereint mit dem Dienst, welchen ich ihm zu leisten im Begriff stehe, Nichts dazu beitragen, den Unterschied des Standes zwischen uns zu beseitigen?« So fragte weibliche Eitelkeit die Phantasie. Und da selbst die Phantasie nicht wagte, eine entschieden bejahende Antwort zu geben, so wurde als vermittelnder Schlußgedanke angenommen: »Laß mich erst dem trefflichen jungen Manne helfen, und für das Weitere mich auf das Glück verlassen.«

So entfernte das verwegene aber hochherzige Mädchen jeden Gedanken an ihre eigne Person, und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Ausführung dieser Unternehmung.

Die zu überwindenden Schwierigkeiten waren nicht gering. Rachsucht bei Todfehden, das heißt bei Kämpfen, die durch Tödtung eines Verwandten veranlaßt waren, zeichnete die Bewohner dieser Gegend aus, und Edward, so sanft er auch außerdem war, liebte seinen Bruder zu sehr, als daß man erwarten durfte, er würde nicht die volle Vergeltung üben, wie sie der Brauch des Landes guthieß. Um den Ritter dieser aufmerksamen Rachsucht zu entziehen, mußte er durch die Thür seines Gemaches, durch das Thurmthor, durch das Gatter und durch das Hofthor gebracht, – es mußten ferner ein Führer und die Mittel zur weiteren Flucht herbeigeschafft werden. Alles dieß war nicht leicht. Allein wenn der Wille eines Weibes fest auf die Ausführung eines solchen Anschlages gerichtet ist, läßt sich ihr Verstand selten bewegen, die entgegenstehenden Schwierigkeiten für unüberwindlich zu halten.

Der Subprior hatte noch nicht lange die Speisekammer verlassen, als Gretel auch schon einen Plan zur Befreiung des Herrn Piercie ausgesonnen hatte. Der Plan war kühn, allein das Gelingen wahrscheinlich, sobald er mit Geschicklichkeit in's Werk gesetzt wurde. Um ihn auszuführen, mußte sie in ihrem Kämmerlein bleiben, bis alle Bewohner des Thurmes, mit Ausnahme der Wächter, sich zur Ruhe begeben hatten. Die Zeit bis dahin verwandte sie auf Beobachtung der Bewegungen des Mannes, dessen Dienste sie sich mit so kühnem Muthe widmen wollte.

Sie hörte, wie Herr Piercie Shafton in dem Gemach auf- und abging, ohne Zweifel nachsinnend über sein Mißgeschick und seine bedenkliche Lage. Weiterhin hörte sie ihn an seinen, auf Befehl des Subpriors ihm gebrachten Mantelsäcken rascheln, mit deren Durchmusterung und Auspackung er vermuthlich seine düsteren Gedanken vertrieb. Dann vernahm sie wieder, wie er auf- und abging und, als ob er durch den Anblick seiner Garderobe aufgeheitert worden wäre, ein halbes Sonnet hersagte, einen Hopser pfiff, eine Sarabande summte. Endlich bemerkte sie, wie er sich niederlegte und schnell sein Gebet hermurmelte, und es dauerte nicht lange, so hatte sie Grund zu glauben, er sei fest eingeschlafen.

Jetzt betrachtete sie nochmals ihr Unternehmen unter den verschiedensten Gesichtspunkten. Die ruhige Betrachtung der damit verbundenen Gefahren leitete sie auf das Aussinnen passender Mittel, ihnen zu begegnen. Liebe und Mitleid, Gefühle, von denen jedes für sich das weibliche Herz so mächtig anregt, waren hier vereint und gaben ihr Muth zu dem gefährlichsten Wagstück.

Es war 1 Uhr nach Mitternacht. Alles im Thurm schlief, mit Ausnahme Derer, welche die Bewachung des Engländers übernommen hatten. Wenn etwa Kummer und Unwohlsein den Schlaf von dem Lager der Dame Glendinning und ihre Pflegetochter verscheuchte, so waren diese zu sehr in ihrem Schmerz versunken, um auf das zu horchen, was sich außerhalb ihres Gemaches vernehmen ließ. Mit Hülfe eines in dem Kämmerlein befindlichen Feuerzeugs zündete das Müllermädchen ein Lämpchen an. Zitternden Schrittes und bebenden Herzens öffnete sie die Thür, welche sie von dem Gemach des Ritters trennte, und fast hätte sie ihren Vorsatz aufgegeben, als sie sich dem schlafenden Gefangenen gegenüber sah. Sie wagte kaum, ihn anzublicken, wie er dalag, in seinen Mantel gewickelt und fest schlafend auf seinem Feldbett; sie wandte die Augen weg, als sie ihn sanft am Mantel zupfte. Er regte sich nicht, bis sie abermals und zum dritten Mal an seinem Gewand gezogen hatte. Endlich blickte er auf und, betroffen über die Erscheinung wollte er einen Ausruf des Staunens thun. Da überwand Besorgniß Gretels Verschämtheit. Sie legte den Finger auf den Mund zum Zeichen, daß er das tiefste Stillschweigen beobachten müsse, und deutete auf die Thür, ihn zu erinnern, daß er bewacht sei.

Herr Piercie Shafton sammelte sich und setzte sich in seinem Bette auf. Er blickte mit Staunen auf die anmuthige Frauengestalt, welche vor ihm stand. Ihr schöner Gliederbau, ihr fliegendes Haar und ihre Gesichtszüge zeigten sich undeutlich, nahm sich aber so weit recht gut aus bei dem theilweisen und schwachen Licht, welches sie in der Hand trug. Der romantische Sinn des Ritters würde bald ein den Umständen angemessenes Kompliment gedrechselt haben; aber Gretel ließ ihm nicht Zeit dazu.

»Ich komme,« flüsterte sie, »Euer Leben zu retten, welches in großer Gefahr schwebt. Wenn Ihr mir antwortet, dann sprecht so leise, wie möglich, denn vor Eurer Thür steht Schildwache.«

»Artigste der Müllerstöchter,« antwortete Herr Piercie in seiner sitzenden Stellung, »fürchte Nichts für mein Leben. Glaube mir, so wie ich in Wahrheit nicht den rothen Pfuhl, (oder wie es diese Villaggio nennen, das Blut) ihres ungeschlachten Verwandten vergossen habe, so schwebe ich schlechterdings auch in keiner Besorgniß um den Ausgang dieser Zwangsmaßregeln, angesehen derselbe sich unmöglich zu meinem Nachtheil gestalten kann. Nichtsdestoweniger, o höchst molendinare Schönheit! statte ich dir den Dank ab, auf welchen dein Zartsinn gerechten Anspruch hat.«

»Nein, Herr Ritter,« versetzte das Mädchen mit eben so leisem als zitterndem Flüstern, »ich verdiene keinen Dank, dafern Ihr nicht meinen Rath befolgen wollt. Edward Glendinning hat nach Daniel von Eulennest und dem jungen Adam vom Eichenbusch geschickt, und diese sind gekommen mit drei weiteren Männern, mit Bogen, Jacke und Spieß, und ich habe sie zu einander und zu Edward sagen hören, als sie im Hofe abstiegen, sie wollten Vergeltung haben für den Tod ihres Verwandten, trotz allen Kaputzen. Und die Unterthanen sind jetzt so störrig, daß der Abt selber nicht wagen darf, streng gegen sie zu sein, aus Furcht, sie möchten Ketzer werden und den Zins verweigern.«

»Wahrhaftig,« sprach Herr Piercie, »es möchte eine starke Versuchung sein, und am Ende möchten die Mönche sich damit alles Ungemachs entledigen, daß sie mich über die Gränze führen und in die Hände des Herrn Hans Foster oder des Freiherrn von Hunsdon, der englischen Markwarte, liefern und so zu gleicher Zeit sich Frieden schaffen mit ihren Unterhanen und mit England. Schönste Molinara, ich will einmal deinem Rathe folgen, und wenn es dir gelingt, mich aus dieser Schandhöhle herauszubringen, dann will ich deinen Witz und deine Schönheit dermaßen preisen, daß die Bäckernymphe Rafaels von Urbino nur wie eine Zigeunerin erscheinen soll im Vergleich mit meiner Molinara.«

»Ich bitte Euch, schweigt,« sprach die Müllerstochter. »Wenn Euer Sprechen verräth, daß Ihr wacht, dann mißlingt mein ganzer Plan. Es ist Gottes und Unserer Lieben Frauen Gnade, daß wir nicht schon behorcht und entdeckt sind.«

»Ich schweige,« sprach der Südländer, »gleichwie die sternenlose Nacht. Doch aber – wenn dein Anschlag dich in Gefahr stürzen sollte, schöne und nicht minder liebreiche als schöne Jungfer, dann wäre es meiner höchst unwürdig, meine Rettung damit zu erkaufen.«

»Denkt nicht an mich,« versetzte Gretel hastig; »ich bin geborgen, ich will mir schon zu helfen wissen, sobald ich Euch einmal aus dieser gefährlichen Wohnung heraus habe. Wollt Ihr Etwas von Eurer Kleidung oder sonstiger Habe mitnehmen, so verliert keine Zeit.«

Der Ritter verlor indeß einige Zeit, bevor er mit sich in's Reine kam, was von seiner Garderobe er mitnehmen und was er dalassen sollte; denn jedes einzelne Stück schien ihm werth durch die Erinnerung an die Feste und Lustbarkeiten, bei welchen er es zur Schau getragen hatte. Eine Zeitlang ließ ihm Gretel Muße, seine Auswahl zu treffen, denn sie hatte ebenfalls einige Vorbereitungen zur Flucht zu machen. Als sie aber, mit einem kleinen Bündel aus ihrer Kammer zurückkehrend, ihn noch immer unschlüssig fand, drang sie ohne Umschweife in ihn, entweder sein Gepäck zur Reise zusammenzumachen, oder dieselbe aufzugeben. So gedrängt, packte der trostlose Ritter hastig einige Kleider in ein Bündel, warf seinen Mantelsäcken einen schmerzvollen, stummen Scheideblick zu und gab seiner liebreichen Führerin zu verstehen, daß er bereit sei.

Bedachtsam löschte sie ihre Lampe aus, nachdem sie dem Ritter bedeutet hatte, ihr auf dem Fuße zu folgen, und trat an die Thür des Gemaches. Sie klopfte zwei Mal an. Endlich ließ sich Edwards Glendinnings Stimme vernehmen, welcher fragte, wer da klopfe und was man wolle?

»Sprecht leise,« sagte Gretel, »sonst weckt Ihr den englischen Ritter auf, ich bin's, Gretel Happer, die da klopft: Ich will hinaus. Ihr habt mich eingeschlossen, und ich habe warten müssen, bis der Südländer schlief.«

»Euch eingeschlossen?« fragte Edward verwundert.

»Ja, antwortete die Müllerstochter, »Ihr habt mich in diesem Zimmer eingeschlossen – ich war in Marien Avenels Schlafkammer.«

»Könnt Ihr nicht dableiben bis zum Morgen, da es nun einmal so ist?« fragte Edward.

»Was,« sagte Gretel im Ton verletzten Zartgefühles. »Ich, hier einen Augenblick länger bleiben, als ich unbemerkt hinaus kommen kann? Ich möchte nicht für das ganze Stift S. Marien einen Augenblick länger in der Nachbarschaft des Gemaches eines Mannes sein, als ich dazu gezwungen bin. Für wen oder für was haltet Ihr mich denn? Verlaßt Euch darauf, meines Vaters Tochter ist besser erzogen, als daß sie einen guten Namen so auf's Spiel setzen sollte.«

»Nun so komme heraus und mache, daß du ohne Geräusch in deine Kammer kommst.«

Mit diesen Worten schob Edward den Riegel zurück. Auf der Treppe war es völlig finster, wie Gretel zuvor erkundet hatte. So wie sie heraustrat, faßte sie Edwarden an, als wollte sie sich halten, um nicht fehlzutreten, und schob sich damit zwischen ihn und Herrn Piercie, der ihr auf dem Fuße folgte. So geschirmt, schlüpfte dieser auf den Zehen in den Strümpfen und schweigend vorbei, während sie bei Edward klagte, daß sie kein Licht habe.

»Ich kann Euch kein Licht schaffen,« sprach Edward; »ich darf meinen Posten nicht verlassen; aber unten ist Feuer.«

»Da unten will ich sitzen bleiben bis zum Morgen,« sprach das Müllermädchen, trippelte die Treppe hinab und hörte, wie Edward das leere Zimmer sorgfältig wieder verschloß und verriegelte.

Am Fuße der Treppe fand sie den Gegenstand ihrer Sorge wartend auf ihre ferneren Weisungen. Sie empfahl ihm das vollkommenste Schweigen, (welches er wenigstens dies eine Mal in seinem Leben nicht ungeneigt schien zu beobachten,) führte ihn mit so viel Behutsamkeit, als ginge es über dünnes Eis, in einen dunkeln Winkel, der als Holzbehälter diente, und deutete ihm, sich hinter den Wellen zu verstecken. Sie selber ging in die Küche, zündete eine Lampe an, nahm den Rocken zur Hand und begann zu spinnen, damit ihr Dasitzen nichts Auffallendes hätte, wenn Jemand herein käme. Von Zeit zu Zeit schlich sie jedoch auf den Zehen zum Fenster, um das erste Grauen des Tages zu erspähen, dessen Anbruch sie zur Vollführung ihres Werkes abwarten mußte. Endlich erblickte sie auf den grauen Wolken im Osten den ersten schwachen Schimmer des Morgens. Sie faltete die Hände, dankte Unserer Lieben Frauen für das Geschehene und erflehte ihren Schutz für den Fortgang ihrer Unternehmung. Bevor sie ihr Gebet beendigt hatte, fuhr sie auf, indem sie die Hand eines Mannes auf ihrer Schulter fühlte, und eine rauhe Stimme ihr in's Ohr tönte: »Was? fein's Gretel, schon so früh am Gebet? Gott's Segen über die schönen Augen, die so frühe aufgehn! Ich will einen Kuß zum guten Morgen haben.«

Daniel vom Eulennest – denn er war der Löffler, welcher Greteln dieß Kompliment machte – ließ dem Wort die That folgen, und die That wurde, wie es bei solchen Fällen bäuerischer Galanterie gewöhnlich ist, mit einem Faustschlag erwidert, welchen Dan so aufnahm, wie ein feiner Herr einen leichten Fächerschlag, welcher aber, mit dem kräftigen Arm der Müllerstochter verabreicht, sicherlich einen weniger handfesten Galan aus der Fassung gebracht haben würde.

»Was fällt Euch ein, Herr Hasenfuß!« sprach sie. »Müßt Ihr Euren Posten bei dem englischen Ritter verlassen, um ruhige Leute mit Euren ochsigen Späßen zu plagen?«

»Ihr seid wahrlich irre, Gretelchen,« versetzte der Bauer, »denn ich habe Edwarden noch nicht abgelöset, und wär' es nicht eine Schande, ihn länger stehen zu lassen, so hält' ich nicht übel Lust, die nächsten zwei Stunden nicht hier vom Fleck zu gehn.«

»Ihr werdet noch manche Stunde finden, Gesellschaft zu leisten,« sprach Gretel. »Jetzt sollet Ihr billig an die Noth der Hausleute denken und den armen Edward ein wenig schlafen lassen, denn der hat die ganze Nacht Schildwacht gestanden.«

»Erst noch einen Kuß,« sagte Daniel aus dem Eulennest.

Aber jetzt war Gretel auf der Hut und setzte, der Nähe des Holzstalles gedenkend, solchen Widerstand entgegen, daß der Schäfer mit sehr unidyllischen Kraftwörtern die üble Laune der Nymphe verfluchte und die Treppe hinauflief, um seinen Kameraden abzulösen. Gretel schlich sich zur Thür und hörte wie Daniel eine kurze Unterredung mit Edward hatte und von diesem den Posten übernahm, und wie Edward sich entfernte.

Eine Zeitlang ließ sie den neuen Posten ruhig auf- und abschreiten, bis es etwas heller wurde und bis sie dachte, sein Unwille über ihre Sprödigkeit möchte sich gelegt haben. Alsdann trat sie vor ihn und verlangte von ihm die Schlüssel zu den Thurmthoren und zum Hofthor.

»Und wozu?« fragte der Wächter.

»Um die Kühe zu melken und auszutreiben,« erwiderte Gretel. »Ihr werdet doch nicht haben wollen, daß das arme Vieh den Morgen im Stall bleibt, – und die Hausleute sind in solchem Kummer, daß Niemand hier im Stande ist, eine Hand herum zu wenden außer der Stallmagd und mir.«

»Wo ist die Stallmagd?« fragte Daniel.

»Sie sitzt bei mir in der Küche für den Fall, daß die armen Leute Etwas brauchen.«

»Da hast du die Schlüssel, Gretel Käfer,« sprach die Schildwacht.

»Großen Dank, Daniel Nichtsnutz,« antwortete das Müllermädchen, und war im Nu zur Treppe hinunter.

In den Holzstall eilen, dem englischen Ritter einen Weiberrock und eine Jacke, welche sie bereit gelegt hatte, anziehen, war das Werk eines Augenblicks. Rasch ging es nun zum Thor. Sie schloß dieß und das Gatter auf und deutete seitwärts nach dem Stall, der in einer Ecke des Hofes stand. Herr Piercie, welcher die Stallmagd vorstellte, machte Einwendung gegen diesen Aufenthalt.

»Schöne und hochherzige Molinara,« sprach er, »thäten wir nicht besser, »das äußere Thor zu öffnen und von hinnen zu eilen, gleichwie ein Paar Seemöven, welche den schützenden Felsen zufliegen, wenn der Sturm zu toben beginnt?«

»Erst müssen wir die Kühe austreiben,« entgegnete Gretel »Denn es wäre ja Sünde, das Vieh der armen Wittwe verderben zu lassen, Sünde an der Frau und an dem Vieh, und auf der andern Seite will ich nicht, daß so bald Jemand aus dem Thurm herauskommt, der uns nachsetzen könnte. Und dann müßt Ihr auch Euer Pferd haben, und ein schnelles Roß werdet Ihr brauchen, bevor das Werk zu Ende gebracht ist.«

So sprechend verschloß sie doppelt das Thor sowohl wie das Gatter des Thurmes, ging dann nach dem Kuhstall, ließ das Vieh heraus, gab dem Ritter im Weiberrock sein Pferd, öffnete das Hofthor und trieb die Kühe hinaus. Eben wollte sie zurück, um ihren Klepper zu holen, da erschien auf der Zinne des Thurmes der wachsame Edward, welchen das Geräusch befremdet hatte, und rief herunter: was da vorgehe?

Gretel antwortete unbedenklich: »Ich treibe die Kühe aus, sonst würden sie Schaden nehmen.«

»Ich danke dir, gutes Mädchen,« sprach Edward. »Aber was ist denn das für eine Jungfer, die du da bei dir hast?«

Gretel wollte antworten. Aber Herr Piercie Shafton, welcher es nicht über's Herz bringen konnte, das Werk seiner Befreiung geschehen zu lassen, ohne daß er sein Licht dabei leuchten ließe, rief hinauf: »O höchst bukolischer Jüngling, ich bin Derjenige, unter deren Obhut die milchreichen Mütter der Heerde stehen.«

»Höll' und Teufel!« rief Edward betroffen und wüthend, »es ist Piercie Shafton! Verrath! Verrath! Ho! Daniel! Kasper! Martin! Der Schurke entrinnt!«

»Zu Pferd! zu Pferd!« rief Gretel, und in einem Augenblick war sie hinter dem Ritter, welcher bereits im Sattel saß.

Edward raffte seine Armbrust auf und schnellte einen Bolzen ab, welcher dicht an Gretels Ohr vorbeischwirrte. »Sport! Sport! Herr Ritter! – der nächste wird uns nicht verfehlen. Wäre Halbert der Schütze gewesen, anstatt Edward, so wären wir Beide des Todes.«

Der Ritter trieb sein Roß an, welches an den Kühen vorbeijagte und den Hügel hinab, auf welchem der Thurm stand. Und nun ging's die Schlucht hinab, wo das rasche Thier, unbekümmert um die doppelte Last, sie bald weit genug getragen hatte, daß sie das Getümmel nicht hören konnten, welches in Folge ihres Abgangs den Thurm von Glendearg erfüllte.

So geschah es sonderbarer Weise, daß zu derselben Zeit zwei Männer in verschiedener Richtung flohen, jeder von ihnen beschuldigt, des Andern Mörder zu sein.



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