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Zehntes Kapitel.

Hier stehen wir –
Dem Himmel Dank! so unversehrt, wie vorher,
Eh' wider uns Verrath gefällt die Lanze.

Decker.

Kaum war der Subprior von seinen jubelnden Genossen in das Refectorium eingeführt, als sein Blick auf Christie von Clinthill fiel. Er saß in einer Ecke des Kamins, gefesselt und von Wachen umgeben. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck jener finsteren Entschlossenheit, mit welcher verhärtete Verbrecher gewöhnlich ihrer Strafe entgegensehen. Als der Subprior sich ihm näherte, wurden seine Gesichtszüge noch wilder und verstörter, und er rief aus: »Der Teufel, der leibhaftige Teufel bringt die Todten unter die Lebenden zurück!«

»Nein,« sprach ein Mönch zu ihm, »sage lieber, daß Unsere Liebe Frau die Angriffe der Gottlosen auf ihre Diener zu Schanden macht. Unser theurer Bruder lebt und kann sich regen.«

»Lebt und kann sich regen?« sprach der Spitzbube, sich erhebend und sich nach dem Subprior hindrängend, so gut es seine Ketten erlauben wollten. »Nein! nun will ich nimmermehr auf Eschenschaft und Stahlspitze trauen. – Wahrhaftig,« fügte er hinzu, den Subprior mit Staunen betrachtend, »keine Schramme und keine Wunde, nicht einmal ein Riß in seiner Kutte.«

»Und woher sollte meine Wunde gekommen sein?« fragte Eustach.

»Von meiner guten Lanze, die nie vorher fehlgestoßen hat,« erwiderte Christie.

»Gott verzeihe dir deinen Vorsatz!« sprach der Subprior; »Du wolltest einen Diener des Altars erschlagen?«

»Zu dienen!« antwortete Christie. »Die von Fife sagen, wenn Eure ganze Meute erschlagen würde, wären es immer noch nicht so viele, als bei Flodden umkamen.«

»Bösewicht! Nicht nur ein Mörder bist du, sondern auch ein Ketzer?«

»Bei Sanct Gilg! nein,« versetzte der Reiter; »ich habe mit Wohlgefallen dem Herrn von Monance zugehört, wie er mir erzählte, ihr wäret alle Betrüger und Schurken. Wie er mir aber zumuthete, hinzugehen und einen gewissen Weisherz, einen Evangelischen, wie sie es nennen, zu hören, da hätte er eben so leicht das wilde Füllen, das einen Reiter abgeworfen hat, überreden können, niederzuknien und einem Anderen in den Sattel zu helfen.«

»Es ist doch noch etwas Gutes an ihm,« sprach der Küster zu dem eben eintretenden Abt: »er hat sich geweigert, einen ketzerischen Prediger zu hören.«

»Desto besser für ihn in jener Welt,« antwortete der Abt. »Bereite dich zum Tode vor, mein Sohn; wir überliefern dich dem weltlichen Arm Unseres Amtmanns zur Hinrichtung bei Tagesanbruch auf dem Galgenberg.«

»Amen!« sprach der Spitzbube; »dies Ende hätt' ich früher oder später nehmen müssen, – was liegt mir daran, ob ich die Raben zu S. Marien oder Carlisle füttere.«

»Laßt mich Ew. Hochwürden Geduld für einen Augenblick erflehen,« sprach der Subprior; »ich möchte fragen« – –

»Was?« rief der Abt, der ihn jetzt erst bemerkte, »Unser theurer Bruder ist uns wiedergegeben in einem Augenblick, wo wir an seinem Leben verzweifelten? Nein, kniee nicht vor einem Sünder, wie ich – stehe auf – du hast meinen Segen. Als dieser Schurke, durch sein böses Gewissen getrieben, an's Thor kam und rief, er habe dich ermordet, da meinte ich der Pfeiler unseres Hauptganges wäre gefallen. Nie mehr soll ein so theures Leben solchen Gefahren ausgesetzt werden, wie sie in diesem Gränzland vorkommen; nicht länger soll ein Liebling und Schützling des Himmels eine so niedere Stelle, wie die eines Subpriors, in der Kirche einnehmen. Ich werde eilends dem Primas schreiben, um deine schleunige Beförderung!«

»Nein, aber laßt mich hören,« sprach Eustach; »hat dieser Söldner wirklich gesagt, er habe mich getödtet?«

»Er sagt,« versetzte der Abt, »er habe dich in vollem Jagen mit seiner Lanze durchbohrt – vermuthlich hat er schlecht gezielt. Aber kaum warst du zu Boden gefallen, seiner Meinung nach tödtlich verwundet, als unsere Schutzheilige ihm erschien – wie er ausgesagt hat« – – –

»Ich hab' nichts der Art ausgesagt,« fiel der Gefangene ein. »Ich hab' gesagt, ein Weib in weißem Gewand kam mir dazwischen, als ich eben den Leibrock des Priesters untersuchen wollte, denn sie sind gewöhnlich gut gefüttert – sie hatte eine Binse in der Hand, berührte mich damit und warf mich dadurch vom Pferd, so wie ich etwa ein vierjähriges Kind mit einer eisernen Kolbe zusammen schlagen könnte, – und dann sang dieser Singteufel:

»Der Busch auf der Haube
Allein war dein Glück,
Sonst brach dir, das glaube,
Der Halm das Genick.«

Ich raffte mich mit Mühe und Angst auf, warf mich auf meinen Gaul und kam hieher, wie ein Narr, mich hängen zu lassen als Spitzbuben.«

»Du siehst, verehrter Bruder,« sprach der Abt zum Subprior, »in welcher Gunst du bei unserer Schutzheiligen stehest, daß sie selber die Wächterin deiner Pfade wird. Seit den Tagen unseres heiligen Stifters hat sie Niemanden solche Gnade erzeigt. Wir sind unwürdig, geistliche Hoheit über dich auszuüben, und bitten dich, auf deine schleunige Versetzung nach Aberbrothwick gefaßt zu sein.«

»Ach, mein Herr und Vater,« sprach der Subprior, »Eure Worte durchbohren mir das Herz. Unter dem Beichtsiegel will ich Euch sofort vertrauen, warum ich mich mehr für das Spielzeug eines Geistes von ganz anderer Art halte, als für einen Schützling der himmlischen Mächte. Doch zuvor laßt mich an diesen unglückseligen Menschen eine oder zwei Fragen richten.«

»Thut, wie Ihr wollt,« versetzte der Abt, »aber Ihr sollt mich nicht überzeugen, daß es sich für Euch gebührt, fürder in dieser untergeordneten Stellung im Stift zu S. Marien zu bleiben.«

»Ich möchte diesen armen Mann fragen,« fing Pater Eustachius an, »warum er den Gedanken gehegt hat, einen Menschen umzubringen, der ihm nie Etwas zu Leide gethan hat?«

»Gethan nicht,« sprach der Räuber, »aber angedroht hast du mir Leid, und nur ein Narr läßt sich zwei Mal drohen. Weißt du nicht mehr, was du vom Primas und von Herrn Jakob gesagt hast und vom schwarzen Loch von Jedwood? Hieltest du mich für einfältig genug, daß ich warten würde, bis du mich in den Sack geliefert? Das wäre, däucht mich, eben so dumm gewesen, wie mein Hieherkommen, meine Uebelthat selber zu erzählen, – ich glaube, der Teufel war in mir, als ich diesen Weg einschlug – ich hätte an das Sprichwort denken sollen: Der Pfaff vergißt keine Fehde.«

»Und bloß darum war es? um dies einzige unüberlegte Wort, ausgesprochen in einem Augenblick des Unwillens, und vergessen, ehe es ausgesprochen war?« fragte Eustach.

»Ja darum, und – aus Liebe zu deinem goldenen Crucifix,« antwortete Christie.

»Barmherziger Gott! Und das gelbe Erz – die schimmernde Erde – konnte so jeden Gedanken an das, was dadurch vorgestellt ist, überwältigen? – Vater Abt, ich erflehe als eine Gnade, daß Ihr diesen Verbrecher meiner Gnade überlasset.«

»Nein Bruder,« warf der Küster ein, »Eurem Richterspruch, nicht Eurer Gnade. Bedenkt, daß wir nicht alle eben so von Unserer Lieben Frauen beschützt werden, und daß es nicht wahrscheinlich ist, daß jede Kutte im Kloster sich als stichfesten Harnisch gegen eine Lanze bewähren wird.«

»Gerade deßhalb,« versetzte der Subprior, »möcht' ich nicht haben, daß um meiner unwürdigen Person willen, das Stift in Fehde geriethe mit Julian von Avenel, dem Herrn dieses Menschen.«

»Möge Unsere Liebe Frau es in Gnaden verhüten!« sprach Philipp, »er ist ein zweiter Julian und Apostat.«

»Also mit unseres hochwürdigen Vaters Erlaubniß wollte ich bitten, daß dieser Mann seiner Ketten entledigt und unversehrt entlassen würde. – Und hier Freund,« sprach er zu Christie, ihm das goldene Crucifix gebend, »hier ist das Bild, um dessentwillen du deine Hand mit Mord beflecken wolltest. Betracht' es genau, und mög' es dir andere und bessere Gedanken einflößen, als die, welche sich ihm, als einem Stück Metall, zuwandten. – Veräußere es meinetwegen im Nothfall und schaffe dir eins von gröberem Stoff an, so daß der böse Geist der Habgier keinen Antheil hat an den Betrachtungen, welche das Bild erweckt. Es ist das Vermächtniß eines theueren Freundes von mir, doch besseren Dienst könnte es nicht thun, als eine Seele für den Himmel gewinnen.«

Der Gränzer, seiner Fesseln entledigt, stand da und starrte bald den Subprior, bald das goldene Crucifix an. »Bei Sanct Gilgen,« sprach er, »ich versteh' Euch nicht. – Wenn Ihr mir Gold gebt dafür, daß ich meine Lanze gegen Euch gefällt habe, was wollt Ihr mir erst geben, wenn ich sie gegen einen Ketzer einsetze?«

»Die Kirche,« sprach der Subprior, »wird versuchen, durch geistliche Strafen diese verirrten Schafe in den Pferch zurückzubringen, bevor sie die Schärfe von S. Peter's Schwert anwendet.«

»Ah!« versetzte der Spitzbube, »man sagt, der Primas empfiehlt ein Bischen Hängen und Verbrennen, um den geistlichen Strafen und dem Schwert nachzuhelfen. Nun, lebt wohl! Ich verdank' Euch mein Leben und vielleicht vergeß ich meine Schuld nicht.«

In diesem Augenblick trat geschäftig der Amtmann ein, in seinem blauen Rock und Bandelier, begleitet von drei Hellebardieren. »Ich bin um einen Gedanken zu spät erschienen, Ew. Hochwürden Gnaden meine Aufwartung zu machen. Seit dem Schlachtfeld von Pinkie bin ich etwas fetter geworden, und mein lederner Rock geht mir nicht mehr so leicht an, wie sonst, aber das Gefängniß ist bereit, und obwohl ich mich, wie gesagt, ein wenig verspätet habe« – – –

Der beregte Gefangene war bei diesen letzten Worten dem Beamten mit wichtiger Miene vor die Nase gerückt, zu dessen nicht geringem Erstaunen, und sprach: »Ihr seid wirklich etwas zu spät gekommen, Amtmann, und ich bin Eurem Büffelrock und der Zeit, die Ihr Euch genommen habt, ihn anzuziehen, höchlich verbunden. Wäre der weltliche Arm eine Viertelstunde früher gekommen, so wär' ich außer dem Bereich der geistlichen Gnade gewesen. So aber wünsch' ich Euch guten Abend und glückliche Erlösung aus Eurem Haltkleid, worin Ihr ziemlich ausseht, wie eine Sau im Harnisch.«

Der Amtmann, wüthend über diese Vergleichung, schrie zornig: »Ständ' ich nicht hier vor dem Herrn Abt, du Dieb« – –

»Hör',« sprach Christie, »wenn du was willst, so kannst du mich mit Tagesanbruch bei S. Marien Brunn treffen.«

»Verhärteter Bösewicht!« rief Eustach, »den Augenblick bist du vom Tode errettet, und schon trägst du dich wieder mit Mordgedanken?«

»Es soll nicht lange dauern, so treff' ich dich, du Spitzbube,« sprach der Amtmann, »und da will ich dich dein Oremus lehren.«

»Ich will dein Vieh treffen in einer Mondnacht vor diesem Tag,« entgegnete Christie.

»Und ich will dich an einem nebeligen Morgen beim Kragen kriegen, du Gaudieb!« sprach der weltliche Diener der Kirche.

»Du bist selber ein so arger Gaudieb, als nur je Einer auf einem Gaul gesessen hat,« versetzte Christie: »und wenn einmal die Würmer deinen feisten Leichnam verspeisen, hoff' ich dein Amt zu erlangen durch die Gunst dieser ehrwürdigen Männer.«

»Ein Stückchen von ihrem Amt und ein Stückchen von meinem,« antwortete der Amtmann, »einen Strick und einen Beichtvater, das ist Alles, was du von uns haben sollst.«

»Ihr Herren,« sprach der Subprior, bemerkend, daß seine Ordensbrüder bei diesem Streit zwischen Bosheit und Gerechtigkeit mehr Unterhaltung fanden, als schicklich war; »ich muß Euch beiderseits bitten, Euch zu entfernen. Amtmann, geht mit Euren Hellebardieren nach Hause und beunruhigt nicht weiter den Mann, welchen wir losgegeben haben. Und du, Christie, oder wie du heißest, ziehe ab und vergiß nicht, daß du dein Leben der Gnade des Herrn Abtes verdankst.«

»Nun, was das betrifft,« bemerkte Christie, »so glaub' ich, daß ich es Euerer Gnade verdanke; aber schreibt es zu, wem Ihr wollt, ich verdanke Euch hier ein Leben, und damit fertig.« Und pfeifend verließ er das Gemach, als ob er sein verwirktes Leben keines weiteren Dankes werth hielte.

»Verstockt bis zu thierischer Rohheit!« sprach Pater Eustachius. »Und doch, wer weiß, ob nicht vielleicht ein guter Kern unter dieser rohen Hülle liegt!«

»Rett' nen Dieb vom Galgen, – – Ihr kennt ja das Sprichwort,« meinte der Küster. »Angenommen, was der Himmel gebe, daß unser Leib und Leben vor diesem Strauchdieb geschützt ist, wer sichert unser Mehl und Malz, unsere Rinder und Schafe?«

»Ei, damit hat's keine Noth,« sprach ein bejahrter Mönch. »Liebe Brüder, Ihr wißt nicht, was sich aus einem reuigen Räuber machen läßt. In Abt Ingelram's Tagen – es ist mir, als wär' es gestern – da waren die Freibeuter die willkommensten Gäste zu S. Marien. Ja, die entrichteten Zehnten von jeder Heerde, die sie aus dem Süden herüberbrachten; und ich weiß, sie haben, weil sie leicht dazu gekommen waren, oftmals aus dem Zehnten einen Siebenten gemacht, – heißt das, wenn ihr Beichtvater sein Handwerk verstand. O, wenn wir vom Thurm so ein zwanzig fette Ochsen oder eine Heerde Schafe das Thal herunter kommen sahen, mit zwei oder drei stattlichen Reisigen hinterher mit ihren glänzenden Sturmhauben, ihren schwarzen Jacken und ihren langen Spießen, da pflegte der gute Herr Abt Ingelram – es war ein lustiger Mann – der pflegte zu sagen: Siehe, da kommt der Zehnten von den Beraubern der Aegypter! O, und ich habe den berühmten Hans Armstrong gesehen – ein schöner, stattlicher Mann war er; Schade, daß je Hanf für ihn gehechelt worden ist –; ich hab' ihn in die Klosterkirche kommen sehen mit neun goldenen Quasten an seiner Mütze, und jede Quaste von neun englischen Nobeln gemacht, und er ging von einer Kapelle zur andern, und von Bild zu Bild, und von Altar zu Altar, auf den Knieen, und ließ da eine Quaste, und dort einen Nobel, bis so wenig Gold mehr an seiner Mütze war, wie an meiner Kaputze – nein! solche Gränzdiebe findet Ihr nicht mehr.«

»Gewiß nicht, Bruder Niclas,« entgegnete der Abt; »sie sind eher geneigt, alles Gold, was der Kirche noch geblieben ist, zu nehmen, als dergleichen zu stiften oder zu schenken – und was Vieh betrifft; der Guckguck – wenn sie sich darum kümmern, ob Ochsen auf den Weiden der Abtei von Lanercost oder von S. Marien weiden.«

»Es ist wirklich gar nichts Gutes mehr an ihnen,« sprach Pater Niclas; »gar Nichts taugen sie mehr. Ach, die Diebe, die ich gesehen habe! kostbare Leute! und so barmherzig! und so fromm!«

»Was hilft's, weiter davon zu reden?« sprach der Abt. »Brüder, ich entlasse Euch aus dieser Versammlung, zu der ich Euch um der Gefahr unseres ehrwürdigen Subpriors willen berufen habe. Wir haben deshalb den Abendgottesdienst versäumen müssen. Laßt aber demungeachtet die Glocken läuten zur Erbauung der Laien außerhalb, und daß die Novizen gebührende Reverenz machen. Und nun, Brüder benedicite! Der Kellermeister wird jedem von Euch einen Abendtrunk und einen Imbiß geben, wenn Ihr an der Speisekammer vorbeigeht, denn Ihr seid in Angst und Unruhe gewesen und es ist gefährlich in solchem Falle mit leerem Magen einzuschlafen.«

» Gratias agimus quam maximas, Domine referentissime!« antworteten die Brüder, indem sie sich in ihrer gebührlichen Ordnung entfernten.

Aber der Subprior blieb zurück, fiel vor dem Abt auf die Kniee, als dieser sich entfernen wollte, und bat ihn, unter dem Beichtsiegel den Bericht von dem, was ihm diesen Tag zugestoßen, zu vernehmen. Der Hochwürdige Gnädige Herr Abt gähnte und hätte gern Ermüdung vorgeschützt; allein vor Eustach mehr, als vor irgend sonst Jemanden schämte er sich, Gleichgültigkeit gegen seine Obliegenheiten zu zeigen. Also fand die Beichte Statt. Pater Eustachius berichtete alle die sonderbaren Begegnisse seiner Reise. Und als ihn der Abt fragte, ob er sich keiner heimlichen Sünde bewußt sei, in Folge deren er für einige Zeit den Berückungen böser Geister preis gegeben worden sein möchte, gestand der Subprior unverholen, er glaube diese Züchtigung verschuldet zu haben durch die unbrüderliche Strenge, mit welcher er den Bericht von Pater Philipp, dem Küster, beurtheilt habe.

»Vielleicht,« sprach der reuige Pater, »mag der Himmel nicht nur mich haben überzeugen wollen, daß er allein je nach seinem Wohlgefallen uns mit Wesen einer andern Art in Berührung treten lassen kann, sondern zugleich mag es auch seine Absicht gewesen sein, meinen Stolz auf höhere Weisheit, festeren Muth und größere Gelehrsamkeit zu züchtigen.«

Man sagt mit Recht: Tugend hat ihren Lohn in sich. Schwerlich wurde Pflichterfüllung je herrlicher belohnt, als des Abtes Selbstüberwindung in dem Entschluß, dem Subprior Beichte zu sitzen. Zu finden, daß der Gegenstand seiner Furcht oder seines Neides sich selber des Vergehens anklagte, welches er ihm im Stillen zur Last gelegt hatte, hieß die Richtigkeit seines Urtheils bestätigt sehen, mußte seinem Stolz schmeicheln und seine Besorgnisse mindern. Dieß Gefühl von Befriedigung erhöhte seine gute Laune, und er war so weit entfernt, in Folge dieser Entdeckung einen herrischen Ton gegen seinen Subprior anzunehmen, daß er in seiner Ermahnung sich fast spaßhaft zwischen dem Ausdruck seiner befriedigten Eitelkeit und zwischen seiner Scheu, die Gefühle Eustach's zu verletzen, bewegte.

»Mein Bruder,« sprach er ex cathedra Von seinem hohen Sitz.: »Mein Bruder, es kann Eurer verständigen Beobachtung nicht entgangen sein, daß Wir oft auf Unser Urtheil verzichtet haben zu Gunsten des Eurigen, selbst bei denjenigen Gegenständen, welche das Stift ganz besonders nahe angingen. Leid würde es Uns thun, wenn Ihr glauben könntet, dieß sei deswegen geschehen, weil wir Unsere Ansicht für weniger treffend oder Unsere Einsicht für weniger tief, als die Unserer anderen Brüder gehalten. Es geschah lediglich deswegen, um Unseren jüngeren Brüdern, insbesondere Euch, Geliebtester, den, zur Aeußerung einer Meinung nöthigen Muth einzuflößen. Wir haben oft Unser Urtheil bei Seite gesetzt, um Unsere Untergebenen, und namentlich Unseren theueren Bruder, den Subprior, anzufeuern, muthig ihre eigenen Gedanken vorzutragen. Diese Unsere Selbstverleugnung und Demuth mag dazu beigetragen haben, in Eurem Gemüth, ehrwürdigster Bruder, diese Einbildung von Geistesgaben und Kenntnissen zu erwecken, welche Euch unglücklicher Weise zur Ueberschätzung Eurer Fähigkeiten geführt und dadurch, wie nur zu sehr am Tage liegt, den Neckereien böser Geister ausgesetzt hat. Denn es ist gewiß, daß der Himmel uns stets am geringsten achtet, wenn wir selber die höchste Meinung von uns haben. Und so mag es auch auf der anderen Seite sein, daß wir einigermaßen uns von der Richtschnur Unseres Benehmens entfernt haben, die Unsere hohe Stellung in diesem Stifte Uns geben muß, indem wir Uns durch die Stimme Unseres Untergebenen zu sehr leiten und sogar beschränken ließen. Derohalben müssen von uns beiderseits diese Fehler verbessert werden, von Eurer Seite, daß Ihr weniger auf Eure Gaben und Euer fleischliches Wissen haltet, von Meiner, daß Ich nicht so leicht Meine eigne Meinung aufgebe gegenüber der Ansicht dessen, der unter mir steht in Rang und Amt. Nichts destoweniger möchten Wir darum nicht die großen Vortheile einbüßen, die Wir aus Eurem weisen Rath gezogen haben und noch ziehen können, zumal da derselbe so oft von Unserem Hochwürdigsten Primas empfohlen worden ist. Also in wichtigen Angelegenheiten wollen Wir Euch zu Uns bescheiden und Eure Meinung unter vier Augen vernehmen. Stimmt dieselbe mit der Unsrigen überein, so wollen wir sie, als von Uns allein ausgehend, dem Kapitel vortragen und Euch so den scheinbaren Sieg ersparen, welcher so leicht geistlichen Stolz erzeugt: und Wir Selber wollen die Versuchung vermeiden, in jene bescheidene Nachgiebigkeit zu verfallen, durch welche Unsere Person – wenn diese in Betracht kommen dürfte – an Wichtigkeit verliert in den Augen der Gemeinschaft, welcher Wir vorstehen.«

Trotz dem hohen Begriff, welchen Pater Eustachius, als strenger Katholik, von dem Sacrament der Beicht hatte, drohte doch eine Empfindung des Lächerlichen ihn zu beschleichen, als er seinen Oberen mit solcher Dummpfiffigkeit ein Plänchen entwickeln sah, welches darauf hinauslief, des Subpriors Klugheit und Erfahrung zu benutzen und sich ausschließlich den Ruhm davon anzueignen. Allein sein Gewissen sagte ihm sogleich, daß derselbe Recht habe. »Ich hätte,« sprach er, »mehr an den geistlichen Oberen und weniger an die Person denken sollen. Ich hätte den Mantel der Liebe über die Schwächen meines geistlichen Vaters ausbreiten und alles mögliche thun sollen, sein Ansehen zu erhöhen und dadurch seine Nützlichkeit innerhalb wie außerhalb des Klosters zu vergrößern. Der Abt kann nicht erniedrigt werden, ohne daß zugleich die Bruderschaft mit ihm erniedrigt wird. Der Stolz der Kirche ist, daß sie allen ihren Kindern, insbesondere aber ihren Würdenträgern, die Gaben verleihen kann, die sie auszeichnen.«

Bestimmt durch diese Erwägung, war Pater Eustach bereit, zu erfüllen, was ihm der Abt in diesem Augenblick des Selbstgefühls mehr angedeutet, als auferlegt hatte, und erklärte, daß er in Demuth denjenigen Weg bei Mittheilung seines Rathes einschlagen würde, welcher dem Herrn Abt am genehmsten und zugleich am geeignetsten wäre, von ihm selber jede Versuchung zur Eitelkeit auf sein eignes Wissen zu entfernen. Sodann bat er den Hochwürdigen Vater, ihm eine passende Buße aufzuerlegen. Beiläufig bemerkend, daß er den ganzen Tag gefastet habe.

»Gerade das ist es, was mir mißfällt,« entgegnete der Abt, anstatt ihn wegen seiner Enthaltsamkeit zu beloben; »gerade diese Bußen, Fasten und Wachen mißfallen Uns, denn sie erzeugen ein krankhaftes Wesen, welches vom Magen aus auf den Kopf sich erstreckend, uns mit Eitelkeit und Selbstgefälligkeit aufbläht. Es gebührt sich und ist heilsam, daß Novizen fasten und wachen, denn von einem Theil der Brüderschaft muß es geschehen, und junge Mägen können das Fasten am ersten vertragen. Ueberdem schlägt es in der Jugend böse Gedanken nieder und die Begierde nach weltlicher Lust. Bei Solchen hingegen, welche der Welt abgestorben sind, wie ich und Du, ehrwürdiger Bruder, bei Solchen ist Fasten Ueberfluß und bloß Sache geistlichen Stolzes. Darum gebiet' ich dir, verehrter Bruder, gehe hin in die Speisekammer und trinke wenigstens zwei Becher voll guten Weines und nimm einen stärkenden Imbiß, wie er Deinem Gaumen und Magen zusagt. Und in Rücksicht darauf, daß deine Meinung von deiner Weisheit dich wieder verträglich und gesellig mit den schwächeren und ungelehrteren Brüdern gemacht hat, gebiet' ich dir, unseren ehrwürdigen Bruder Niclas zum Gesellschafter zu nehmen und eine geschlagene Stunde seiner Erzählung zuzuhören über die Begebenheiten unter unserem ehrwürdigen Vorgänger Abt Ingelram, dem Gott gnädig sein möge. Und was die frommen Uebungen betrifft, die deiner Seele nützen und die Fehler abbüßen können, deren du dich mit zerknirschtem Herzen schuldig bekannt hast, so wollen Wir diesen Gegenstand in Erwägung ziehn und dir den kommenden Morgen Unseren Willen kund thun.«

Seit diesem denkwürdigen Abend wurden die Gesinnungen des würdigen Abtes gegen seinen Rathgeber sichtlich wohlwollender und freundlicher, als früher, wo ihm der Subprior als der unfehlbare und sündenfreie Mensch erschien, an dessen Gewand von Tugend und Weisheit kein Makel zu finden war. Das Geständniß seiner Unvollkommenheiten schien dem Subprior die Freundschaft seines Oberen gewonnen zu haben. Indeß war dieß vermehrte Wohlwollen mit Aeußerungen verbunden, welche für einen Mann von Eustach's Character widerwärtiger sein mußten, als die Anhörung der Mähren des dummen und geschwätzigen Pater Niclas. So zum Beispiel sprach der Abt selten von ihm zu den andern Mönchen, ohne ihn zu nennen: unseren geliebten Bruder Eustachius, den armen Mann! – und zuweilen warnte er die jüngeren Brüder vor den Schlingen des geistlichen Hochmuthes, welche Satan den Gerechteren legt, mit Blicken und Winken, welche fast so gut waren, als deutete er mit dem Finger auf den Subprior, als auf Einen, der seiner Zeit in solche Schlingen gefallen sei. Es bedurfte des ganzen pflichtmäßigen Gehorsams eines Mönches, aller Philosophie der Schule und aller Geduld eines Christen, um dem Pater Eustach den hohen Ton seines guten aber etwas beschränkten Oberen erträglich zu machen. Er selbst fing an, sich aus dem Kloster wegzuwünschen, wenigstens behandelte er die Angelegenheiten desselben nicht mehr in der entschiedenen und gebieterischen Weise, wie früher.



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