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Achtes Kapitel.

Nicht tändle mit der Zeit, dem Schatz des Weisen.
Laß Thoren sie zerstreu'n: der grimme Fischer
Fängt Seelen, weil Minuten wir verlieren.

Altes Schauspiel.

Ein Novembernebel lag über dem kleinen Thale, welches langsamen aber festen Schrittes Pater Eustachius hinaufritt. Er war nicht unempfänglich für die Eindrücke, welche die Gegend und die Jahreszeit auf eine gefühlvolle Seele machen mußten. Der Bach schien in klagendem Ton zu murmeln, als beweinte er den abgeschiedenen Herbst. In den zerstreuten Gehölzen bewahrten nur noch die Eichen ihr Blaßgrün, welches der braunrothen Färbung ihres Laubes vorher geht. Die Weidenblätter lagen meist am Boden, raschelnd bei jedem Lüftchen und durch jeden Schritt des Maulthiers zerstreut, während das Laub anderer Bäume verdorrt noch an den Zweigen hing, des ersten Windstoßes harrend, der es herabwehen mußte.

Der Mönch verlor sich in die Gedankenreihe, welche zu erwecken diese herbstlichen Sinnbilder menschlicher Hoffnung so sehr geeignet sind. »Hier,« sprach er, auf die ringsumher zerstreuten Blätter blickend, »hier liegen die Hoffnungen der früheren Jugend, zuerst aufgekeimt, um zuerst zu welken, so lieblich im Lenz und so verächtlich im Winter. Aber Ihr Zögerer,« fuhr er fort, auf eine Gruppe von Buchen blickend, welche noch ihre welken Blätter trugen, »Ihr seid die stolzen Plane des wagenden Mannesalters, später entwickelt und selbst im gereifteren Alter noch festgehalten, das ihre Richtigkeit einsehen muß! Nichts bleibt, Nichts dauert, ausgenommen das Laub der kräftigen Eiche, welches erst dann zum Vorschein kommt, wenn das Blätterwerk des übrigen Waldes schon sein halbes Leben durchgelebt hat. Eine verblichene Farbe nur ist ihm geblieben, aber dieß Zeichen der Lebenskraft, es dauert bis ans Ende. Möge es so mit Eustach sein! Die zauberischen Hoffnungen meiner Jugend hab' ich unter die Füße getreten, wie diese raschelnden Blätter, – auf die stolzeren Träume des Mannesalter blick' ich zurück wie auf Luftschlösser, deren Pracht und Herrlichkeit längst vergangen ist; aber mein Klostergelübde, das aufrichtige Versprechen, welches ich in reiferem Alter abgelegt habe, das soll nicht zu Schande werden, so lange noch irgend Etwas von Eustach vorhanden ist. Gefahrvoll, schwach in seinen Wirkungen mag er sein, der stolze Entschluß, der Kirche, welcher ich angehöre, zu dienen und die sie bestürmenden Ketzereien zu bekämpfen.« So sprach oder dachte ein bei unvollkommener Einsicht eifriger Mann, der das Wesen des Christenthums mit den übertriebenen unrechtmäßigen Ansprüchen der römischen Kirche verwechselte, und seine Sache mit einer Wärme vertheidigte, die einer besseren würdig gewesen wäre.

Während er in diese Betrachtungen versunken dahin ritt, kam es ihm mehr denn einmal vor, als sehe er vor sich eine Frauengestalt in weißer Kleidung mit klagender Geberde. Doch der Eindruck war immer nur augenblicklich. Sobald er scharf nach der Stelle hinsah, wo er die Gestalt zu erblicken glaubte, zeigte es sich immer, daß er irgend einen Gegenstand in der ihn umgebenden Natur, einen weißen Felsen oder den Stamm einer verwitterten Birke mit ihrer silberweißen Rinde, für die fragliche Erscheinung angesehen hatte.

Pater Eustachius hatte zu lange in Rom gelebt, um den Aberglauben der unwissenderen schottischen Geistlichkeit zu theilen. Um so sonderbarer kam es ihm vor, daß die Mähr des Küsters einen so tiefen Eindruck in seinem Gemüth zurückgelassen hatte. »Wundersam,« sprach er bei sich selbst, »daß diese Geschichte, welche ohne Zweifel von Philipp erfunden ist, um sein unpassendes Benehmen zu verhehlen, mir so sehr im Kopfe herumgeht und mich in ernsteren Betrachtungen stört. Ich bin doch sonst immer Herr meiner Gedanken. Ich will beten und mir diese Thorheit aus dem Sinne schlagen.«

Der Mönch begann, andächtig seinen Rosenkranz zu beten, wie sein Orden es für solche Fälle vorschrieb, und erreichte so die kleine Feste von Glendearg, ohne weiter durch Täuschungen seiner Einbildungskraft gestört worden zu sein.

Dame Glendinning, welche am Thor stand, stieß einen Schrei der Ueberraschung und der Freude aus, als sie den Pater erblickte. »Martin!« rief sie, »Kasper! Wo steckt denn das Gesinde? – Helft doch dem hochwürdigen Herrn Subprior beim Absteigen und nehmt ihm das Maulthier ab. – Ach Herr Pater! Gott hat Euch in unserer Noth gesandt – eben wollt' ich Roß und Mann nach dem Stift schicken, obwohl ich mich schämen sollte, den Hochwürdigen Vätern so viel Mühe zu machen.«

»Mit unserer Mühe hat es nichts zu sagen, gute Frau,« sprach der Pater. »Womit kann ich Euch dienen? Ich bin hergekommen, um die Frau von Avenel zu besuchen.«

»Gott sei Dank!« erwiederte Dame Elspeth; »um ihretwegen war es, daß ich mich erkühnte, Euch entbieten lassen zu wollen, denn die gute Gnädige Frau wird diesen Tag nicht überstehen. Gefällt es Euch vielleicht, in ihr Gemach zu gehen?«

»Hat sie nicht dem Pater Philipp gebeichtet?« fragte der Mönch.

»Allerdings,« antwortete die Dame von Glendearg, »dem Pater Philipp, wie Ew. Hochwürden richtig sagt, – aber – ich wünschte, es möchte eine klare Beichte gewesen sein. – Mir däuchte, Pater Philipp sah unwirsch darein – und da war ein Buch, welches er mitgenommen hat, das –« Sie hielt inne, als wollte sie nicht weiter sprechen.

»Sprecht aus, Dame Glendinning,« sprach der Pater. »Vor uns dürft Ihr kein Geheimniß haben.«

»Ach nein, erlaube Ew. Hochwürden, es ist nicht das, daß ich irgend Etwas vor Ew. Hochwürden verbergen wollte. Ich fürchte nur, der gnädigen Frau in Eurer Meinung zu schaden; denn sie ist eine vortreffliche Frau. Monate und Jahre lang hat sie in diesem Thurm gewohnt, so musterhaft, wie nur irgend ein Mensch; aber diese Sache wird sie selber Ew. Ehrwürden erklären.«

»Ich will es erst von Euch erfahren,« sprach der Mönch; »und ich wiederhole, es ist Eure Pflicht, es mir zu sagen.«

»Dieß Buch,« sagte die gute Wittwe, »welches Pater Philipp von Glendearg mitgenommen hat, ist uns diesen Morgen auf eine sonderbare Weise wieder zugekommen.«

»Wieder zugekommen?« fragte der Mönch. »Wie meint Ihr das?«

»Ich wollte sagen,« antwortete Elspeth, »daß es in den Thurm von Glendearg zurückgebracht worden ist, die Heiligen mögen am besten wissen, wie – das nämliche Buch, welches Pater Philipp erst gestern mitgenommen hat. Der alte Martin, der mein Arbeitsmann und der gnädigen Frau Diener ist, trieb die Kühe auf die Weide – denn wir haben drei gute Milchkühe – Ehrwürdiger Vater, gelobt sei Sanct Waldhave und Dank dem heiligen Stifte« – –

Der Mönch stöhnte vor Ungeduld; aber er bedachte, daß ein Weib von dem Schlag, wie die gute Dame, einem Kreisel gleicht, der, wenn man ihn unberührt fortgehen läßt, am Ende sich zum Ziel legt, dessen Drehungen dagegen kein Ende nehmen, wenn man ihn peitscht. – »Aber um nicht weiter von den Kühen zu reden, wiewohl es so schönes Vieh ist, wie nur je an einen Pfahl gebunden worden: der Arbeitsmann trieb sie aus, und die Jungen, das heißt mein Halbert und mein Edward, die Ew. Ehrwürden in der Kirche gesehen hat, an Feiertagen, besonders Halbert, – denn Ihr habt ihn auf dem Kopf getätschelt und ihm ein Bild von S. Cuthbert gegeben, welches er an seiner Mütze trägt, – und die kleine Marie Avenel, die Tochter der gnädigen Frau, die liefen alle hinter dem Vieh her, und fingen an, auf der Weide herumzurennen und zu spielen, wie's Kinder machen. Und am Ende verloren sie den alten Martin aus dem Gesicht und fingen an, ein kleines Thälchen hinaufzulaufen, welches wir Corrie-nan-shian nennen, wo ein winzigklein Wässerlein ist, und da sahen sie – Gott sei bei uns! – ein weißes Weib am Wasser sitzen, welches die Hände rang. Da geriethen die Kinder in Schrecken, ein fremdes Weib da zu sehen, ausgenommen Halbert, der nächsten Pfingsten sechzehn alt wird, – der hat sich überhaupt sein Lebtag vor nichts gefürchtet. – Und wie sie auf sie zugingen, siehe da war sie weg!«

»Pfui! schämt Euch,« sprach Eustach; »wie mag ein so verständiges Weib, wie Ihr, auf solche Possen hören! Das junge Volk hat Euch Etwas vorgelogen, das ist das Ganze.«

»Nein, Herr!« entgegnete Elspeth, »es war mehr als das. Denn nicht allein, daß sie mich in ihrem Leben nicht belogen haben, – denkt Euch nur: auf derselben Stelle, wo das weiße Weib gesessen hatte, fanden sie das Buch der Frau von Avenel und brachten es mit in den Thurm.«

»Das ist wenigstens bemerkenswerth,« sprach der Mönch. »Wißt Ihr sonst noch von einem Abdruck des Buchs innerhalb dieser Gränzen?«

»Durchaus nicht, Ew. Ehrwürden,« antwortete Elspeth. »Wozu auch? Wären ihrer auch zwanzig da, es könnte sie ja doch Niemand lesen.«

»Ihr seid also sicher, es ist dasselbe Buch, das Ihr dem Pater Philipp gegeben?« fragte der Mönch.

»So gewiß, als ich eben mit Ew. Hochwürden rede.«

»Das ist höchst sonderbar!« rief der Mönch und durchschritt gedankenvoll das Zimmer.

»Ich habe auf heißen Kohlen gesessen,« hob Dame Glendinning wieder an, »zu hören, was Ew. Ehrwürden dazu sagen möchte. Ich thue gewiß alles Mögliche für die Frau von Avenel, das hab' ich bewiesen, und für ihre Leute obendrein, für Martin und Tibb, wiewohl Tibb zuweilen nicht so höflich ist, wie ich erwarten dürfte; aber ich kann es nicht für schicklich halten, daß Engel oder Geister oder Feen einer Frau aufwarten, wenn sie in eines anderen Weibes Hause wohnt, sintemal das gar keinen guten Namen macht. Was für sie zu thun war, das geschah, ohne daß es sie einen Tritt oder Deut gekostet hätte, wie die Landleute sagen; und abgesehen von dem übelen Namen glaub' ich, es ist nicht geheuer, derlei Wesen um sich zu haben. Aber ich habe den Kindern rothen Zwirn um den Hals gebunden und jedem von ihnen eine Reitgerte von Eibisch gegeben und Splitter von Hexenulme in ihre Wämser genäht; und ich möchte von Ew. Ehrwürden erfahren, ob eine arme Wittfrau noch etwas mehr gegen Geister und Feen thun kann. – Gott sei bei uns! schon zwei Mal hab' ich ihre unglückseligen Namen genannt!«

»Dame Glendinning,« sprach der Mönch trocken, »kennt Ihr des Müllers Tochter?«

»Ob ich Käthe Happer gekannt habe?« versetzte die Wittwe, »so gut, wie der Bettler seinen Teller kennt. Ein lustiges Frauenzimmer war die Käthe, und sie kam oft zu mir; das kann zwanzig Jahre her sein.«

»Das kann nicht die Dirne sein, die ich meine,« entgegnete der Pater; »die, nach welcher ich frage, ist kaum fünfzehn Jahre alt, ein schwarzäugiges Mädchen, – Ihr mögt sie wohl in der Kirche gesehen haben.«

»Ew. Ehrwürden muß recht haben; die, von welcher Ihr redet, ist die Nichte von meiner Bekannten. Aber Gott sei Dank, ich habe stets der Messe zu viel schuldige Aufmerksamkeit geschenkt, um zu wissen, ob die jungen Dirnen schwarze oder grüne Augen haben.«

Der gute Pater hatte doch noch so viel Weltliches an sich, daß er nicht umhin konnte zu lächeln, als die Dame sich Etwas darauf zu Gute that, einer Versuchung zu widerstehn, die nicht so stark für sie war, wie für das andere Geschlecht.

»Ihr kennt also vielleicht ihre gewöhnliche Kleidung?« fragte er.

»Ei freilich, Herr Pater,« antwortete Elspeth, ohne sich zu besinnen; »einen weißen Rock trägt die Dirne, damit man den Mehlstaub daran nicht sieht, und eine blaue Haube, die sie wohl sparen könnte.«

»Nun? sollte diese es nicht sein, die das Buch gebracht hat und aus dem Wege gegangen ist, als die Kinder in ihre Nähe kamen?«

Elspeth besann sich – mochte die von dem Mönch dargebotene Erklärung nicht bestreiten – konnte aber doch auch nicht begreifen, wie das Müllermädchen so weit von Hause in einen so wilden Winkel des Thals gehen sollte, bloß um ein altes Buch hinzulegen, daß es drei Kindern in die Hände käme, vor welchen sie sich dann verborgen hätte. Vornehmlich konnte Elspeth nicht begreifen, warum denn das Mädchen nicht in den Thurm gekommen sein sollte, einen Bissen zu essen und zu erzählen, was es Neues am Wasser gäbe, da sie doch im Hause bekannt war und da sie, Elspeth, doch stets Mahlmetze und Trinkgeld gebührend entrichtet hatte.

Sie stellte dieß dem Mönch vor, dieser aber ward durch die Einwendungen nur um so mehr in seinen Vermuthungen bestärkt. »Dame,« sprach er, »Ihr müßt behutsam sein in dem, was Ihr sagt. Dieß ist ein Beispiel – ich wollte, es wäre das einzige – von der Macht des bösen Feindes in diesen Tagen. Alle Angaben müssen hier sorgfältig gesichert werden.«

»Ja wohl!« rief Elspeth, in der Meinung, auf die Gedanken des Subpriors einzugehen; »ich hab' immer gedacht, die Müllersleute beim Kloster wären gar zu nachlässig im Sichten und Beuteln – Manche sagen, sie machten sich kein Gewissen daraus, zuweilen eine Handvoll Asche in christlicher Leute Kornmehl zu mengen.«

»Auch das soll untersucht werden, Dame,« sprach der Subprior, nicht unzufrieden, daß die gute Alte ihn falsch verstanden hatte. »Aber nun, wenn's Euch recht ist, will ich diese Frau besuchen. Geht voraus und bereitet sie auf meine Ankunft vor.«

Dame Glendinning verließ das Zimmer. Der Mönch, allein in demselben, schritt auf und ab, sorgfältig überlegend, wie er sich seines wichtigen Geschäftes mit Milde und doch auch mit wirksamem Nachdruck entledigen möchte. Er beschloß, an das Lager der Kranken zu treten mit Vorwürfen, gemäßigt durch Rücksicht für ihren Zustand. Für den Fall einer Entgegnung, zu welcher sie durch das Beispiel verhärteter Ketzer ermuthigt werden könnte, waffnete er sich mit Gründen, ihre Zweifel zu zerstreuen. Glühend von Eifer gegen ihren anmaßlichen Eingriff in's Priesteramt – die Lesung der heiligen Schrift, – stellte er sich die Antworten vor, die eine Ketzerseele der Neuzeit einem Priester geben möchte, – dachte er sich die Wiederlegungen aus, welche den Widerspruchsgeist überwältigt dem Beichtvater zu Füßen legen mußten, – die heilsame, aber ernste Ermahnung – die Androhung der Entziehung der letzten Tröstungen. Beschwören wollte er sie bei ihrer Seelen Seligkeit, ihm zu offenbaren, was sie von dem schwarzen Geheimniß der Einführung von Ketzerei in die abgelegensten Orte des Grundgebietes der Kirche wüßte, – die Helfershelfer zu nennen, welche gleichsam unsichtbar von Ort zu Ort schlichen, und im Stande wären, ein von der Kirche verbotenes Buch wieder an den Ort zu bringen, von welchem es auf ihr ausdrückliches Geheiß entfernt worden – jene Helfershelfer, welche, indem sie frevelhafte Begier nach einer den Laien verbotenen und nutzlosen Kenntniß weckten, dem Seelenfischer Anlaß gäben, seinen alten Köder – Ehrgeiz und Eitelkeit – auszuwerfen.

Ein großer Theil dieses Planes ward von dem guten Pater aufgegeben, als Elspeth zurückkehrte mit der Schürze vor dem Gesicht, ihre reichlich fließenden Thränen zu trocknen, und ihm einen Wink gab, ihr zu folgen. »Wie?« sprach er, »ist sie ihrem Ende schon so nahe? Nein, die Kirche darf nicht zerschmettern noch zerschlagen, wo Trost noch möglich ist.« Und, seine Polemik vergessend, eilte der gute Subprior nach dem kleinen Zimmer. Hier auf dem ärmlichen Lager, welches sie inne gehabt, seitdem ihr Unglück sie in den Thurm von Glendearg getrieben, hier hatte die Wittwe Walters von Avenel ihren Geist in die Hände ihres Schöpfers befohlen. »Mein Gott!« rief Eustach, »so hat denn mein unglückseliges Tändeln sie ohne die Tröstungen der Kirche verscheiden lassen. Seht zu, Dame, seht zu, ob nicht noch ein Lebensfunke da ist. Sollte sie nicht wieder zu sich gebracht werden können? O könnte sie nur durch ein Lallen, nur durch die leiseste Bewegung ausdrücken, daß sie die Nothwendigkeit eines reuigen Gebetes erkannt hat! – Athmet sie nicht? Bist du gewiß, daß sie nicht mehr athmet?«

»Nimmermehr,« antwortete die Hausfrau. »Ach, das arme vaterlose Mädchen, jetzt auch mutterlos! Ach, die liebe Gesellschafterin, die ich diese vielen Jahre gehabt habe, und die ich nie mehr sehen werde! Aber sie ist im Himmel, gewiß, wenn je ein Weib hineingekommen ist; denn ein Weib, das besser gelebt hätte,« – –

»Weh' mir!« rief der Mönch aus, »wenn sie nicht, des ewigen Lebens sicher, verschieden ist! – wehe dem unachtsamen Hirten, der den Wolf ein auserwähltes Schaf aus der Heerde reißen ließ, während er beschäftigt war, Schleuder und Stab zurecht zu machen, um das Scheusal zu bekämpfen: O wenn in der langen Zukunft etwas Anderes als Heil dieser armen Seele zu Theil werden sollte, was hat dann meine Zögerung gekostet? – Den Preis einer unsterblichen Seele!«

Er näherte sich dem Leichnam voll tiefer Reue, wie es bei ihm als gewissenhaftem Mann und gläubigem Bekenner der katholischen Lehre nicht anders sein konnte. »Ach!« sagte er, die bleiche Gestalt betrachtend, aus welcher der Geist so sanft geschieden war, daß er ein Lächeln auf den dünnen Lippen zurückgelassen hatte, statt eines krampfhaften Zuckens – »Ach, hier liegt der verdorrte Baum, und wie er gefallen ist, so liegt er – entsetzlicher Gedanke für mich, daß meine Nachlässigkeit ihn vielleicht in einer verderblichen Richtung hat sinken lassen!« Und dann bat er Dame Glendinning dringend, ihm zu sagen, was sie von dem Verhalten der Verstorbenen wisse.

Alles, was Elspeth dieser Aufforderung gemäß sagte, gereichte der verstorbenen Freifrau zur größten Ehre. Trotz einiger kleinen Eifersüchteleien hatte sie dieselbe schon im Leben immer hochgeachtet; jetzt vergötterte sie ihre ehemalige Gesellschafterin, und konnte durchaus kein Lob finden, welches derselben nicht gebührt hätte.

Wenn auch die Freifrau für sich einzelne Satzungen der katholischen Kirche bezweifelt, wenn sie auch ihre Seele von dem verderbten Kirchenthum ab und auf das Buch hingewandt hatte, welches die Grundlage des Christenthums bildet: so hatte sie doch stets regelmäßig die Bräuche der Kirche beobachtet und ihre Zweifel nicht so getrieben, daß sie aus der Gemeinschaft derselben ausgetreten wäre. So war es überhaupt bei den ersten Reformatoren, weiche sich eine Zeitlang bemühten, es nicht zu einer Spaltung kommen zu lassen, bis die Heftigkeit des Papstes diese unvermeidlich machte.

Pater Eustachius horchte mit gespannter Aufmerksamkeit auf Alles, was ihn der Rechtgläubigkeit der Freifrau in den wesentlichsten Stücken versichern konnte. Er machte sich fortwährend bittere Vorwürfe, daß er nicht, anstatt das Gespräch mit Dame Glendinning in die Länge zu ziehen, augenblicklich dahin geeilt war, wo seine Gegenwart so sehr Noth that. »Wenn du,« sprach er, zu der Leiche gewendet, »nicht der schwersten Strafe der Anhänger falscher Lehren verfallen bist, – wenn du nur für eine Zeit zu büßen hast für Fehler, bei Leibesleben begangen, wenn deine Schuld mehr in menschlicher Schwäche als in Todsünde besteht, – o dann getröste dich, daß dein Verweilen am Orte der Strafe nicht lange dauern soll, dafern irgend Wachen, und Messen, und Büßungen und Kasteiungen meines Leibes, bis er dieser leblosen Hülle gleicht, deine Erlösung bewirken können. Die heilige Kirche, die fromme Stiftung, ja unsere gesegnete Schützerin selber soll Fürbitte einlegen für die, deren Irrthümern so viele Tugenden zu Seite standen. – Laß mich hier allein, Dame; hier an ihrem Sterbelager will ich die Pflichten erfüllen, welche dieser traurige Fall erheischt!«

Elspeth verließ den Mönch, der nun eifrig und aufrichtig für das Heil der abgeschiedenen Seele betete. Eine Stunde lang blieb derselbe in dem Todtengemach und kehrte dann in den Saal zurück, wo er die weinende Freundin der Verstorbenen antraf.

Man würde indeß der Gastfreundlichkeit Elspeths Unrecht thun, wollte man glauben, daß sie während dieser ganzen Zeit geweint, oder vielmehr, daß die tiefe und aufrichtige Trauer um ihre Freundin sie unfähig gemacht habe, ihre Pflichten gegen den ehrwürdigen Gast zu erfüllen, der zugleich Beichtvater und Subprior war, – mächtig in allen geistlichen und weltlichen Beziehungen der Unterthanen des Stiftes.

Ihr Gerstenbrod war geröstet, ihr bestes Faß Hausbier angesteckt, ihre beste Butter war auf dem Tisch im Saal aufgestellt, sammt dem schmackhaftesten Schinken und vorzüglichsten Käse, – bevor sie sich ihrem Schmerz überließ. Erst nachdem sie das kleine Mahl säuberlich auf dem Tisch geordnet hatte, setzte sie sich in die Ecke des Kamines, zog ihre buntgewürfelte Schürze über das Gesicht und ließ dem Schluchzen und dem Thränenstrom freien Lauf. Hierin war keine Heuchelei noch Ziererei. Sie hielt die Ehre ihres Hauses für eine eben so wichtige Pflicht, besonders wenn der Gast ein Mönch war, wie jede andere Gewissenssache. Erst nach Erfüllung dieser Pflicht fühlte sie sich frei, dem Kummer über ihre verstorbene Freundin nachzuhängen.

Als sie den Eintritt des Subpriors bemerkte, erhob sie sich, ihn zu empfangen. Er aber wies alle gastlichen Einladungen von der Hand. Weder ihre goldgelbe Butter, ihrer Versicherung nach die beste, welche im Stifte gemacht wurde, noch die Gerstenbrodschnitten, welche »die Selige, Gott schenk' ihr die ewige Ruhe!« immer so gut gefunden hatte, noch das Bier, noch die anderen Leckerbissen, welche die arme Elspeth aufzutischen vermochte, konnten den Subprior vermögen, sein Fasten zu brechen.

»Heute,« sprach er, »darf ich keine Speise genießen, bevor die Sonne untergeht, – glücklich, wenn ich dadurch meine eigne Nachlässigkeit abbüßen kann, glücklicher, wenn diese kleine Trübsal, die ich im Glauben und in der Einfalt des Herzens auf mich nehme, der Seele der Verblichenen frommen kann. Aber Dame,« fügte er hinzu, »um der Todten willen, darf ich die Lebenden nicht insoweit vergessen, daß ich das Buch hier lassen sollte, welches für die Unwissenden dasselbe ist, wie für unsere Ureltern der Baum der Erkenntniß – köstlich an und für sich, aber verderblich für die, denen sein Gebrauch verboten ist.«

»Ach, von Herzen gern, ehrwürdiger Vater,« sprach Simon Glendinnings Wittwe, »will ich Euch das Buch geben, wenn ich es den Kindern ablocken kann; und gewiß, in diesem Augenblick könntet Ihr ihnen das Herz aus dem Leibe nehmen, ohne daß sie es merkten, so verweint sind sie.«

»Gebt ihnen dafür dieß Meßbuch, gute Dame,« sagte der Pater, indem er aus seiner Tasche ein mit Gemälden ausgeziertes Buch zog; »ich selber will kommen oder zu passender Zeit Jemand schicken, ihnen diese Bilder zu deuten.«

»Ach was für herrliche Bilder!« rief Elspeth, für einen Augenblick ihren Schmerz in der Bewunderung vergessend; »ach das ist ein ganz anderes Buch, als das der armen Frau von Avenel. O wie glücklich wären wir heute, wenn Ew. Ehrwürden den Weg die Schlucht herauf gestern gefunden hätte, anstatt des Pater Philipp; wiewohl der Herr Küster auch ein gewaltiger Mann ist und spricht, daß man meint, das Haus müßte auseinander fahren, wenn die Wände nicht so trefflich dick wären. Simons Vorfahren (Gott sei ihnen und ihm gnädig!) haben dafür gesorgt.«

Der Mönch verlangte sein Maulthier und wollte eben Abschied nehmen, während das gute Weib ihn noch immer mit Fragen wegen des Begräbnisses hinhielt, als ein Reiter in Wehr und Waffen in den kleinen Hof einritt, der die Feste umgab.



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