Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Ein Priester! ruft Ihr, was? – Die lahmen Hirten!
Wie wollen sie die irre Heerde sammeln?
Die trägen Schafe in den Pferch des Herrn
Eintreiben? Stumme Hunde, die nicht bell'n,
Geeigneter, am Herde sich zu wärmen,
Der zarten Phyllis Kleider zu beschnuppern,
Als auf dem Schnee zu kämpfen mit dem Wolf.

Reformation.

Die Gesundheit der Frau von Avenel war seit ihrem Unglücksfall in steter Abnahme begriffen gewesen. Es schien, als hätten die paar Jahre seit dem Tode ihres Gatten an ihr das Werk eines halben Jahrhunderts verrichtet. Ihre Gestalt verfiel, Farbe und gesundes Aussehen verloren sich, sie ward mager und kraftlos. Eine bestimmte Krankheit war an ihr nicht zu bemerken, aber wer sie sah, überzeugte sich, daß ihre Kräfte mit jedem Tage abnahmen. Am Ende verzogen sich ihre Lippen, und ihre Augen wurden blöde. Trotzdem drückte sie kein Verlangen aus, einen Priester zu sehen, bis Elspeth Glendinning in ihrem heiligen Eifer nicht umhin konnte, einen Punkt zu berühren, den sie für wesentlich zur Seligkeit hielt. Alice von Avenel nahm ihren Wink freundlich auf und dankte ihr dafür.

»Wenn ein guter Priester sich die Mühe nehmen wollte, einen solchen Weg zu machen, sollte er herzlich willkommen sein, denn die Gebete und Lehren der Guten müssen stets von Nutzen sein.«

»Dies bloße Zufriedensein war keineswegs, was Elspeth Glendinning gewünscht oder erwartet hatte. Sie ersetzte aber durch ihren eigenen Eifer, was der Freifrau an Sehnsucht nach geistlichem Trost abging, und Martin ward abgesandt; in größter Eile, so weit dies Struppels Beine gestatteten, nach dem Stift zu S. Marien zu reiten und einen der Religiösen zu bitten, er möge kommen, der Wittwe Walters de Avenel die letzten Tröstungen zufließen zu lassen.

Als der Küster dem gnädigen Herrn Abt vermeldet hatte, daß die Wittwe von weiland Walter de Avenel in großer Schwachheit im Thurm zu Glendearg liege und nach dem Beistand eines Beichtvaters verlangte, besann sich der fürstliche Mönch und sprach dann: »Wir erinnern uns Walters de Avenel, er war ein guter Ritter und mannhaft, er ward seines Landes beraubt und erschlagen von den Südländern. Kann die Frau nicht hieher kommen zum Sacrament der Beichte? denn der Weg ist weit und beschwerlich zu reiten.«

»Die Frau ist unwohl, heiliger Vater,« erwiederte der Küster, »und nicht im Stande, die Reise zu ertragen.«

»Ah! So! ja – da muß einer unserer Brüder zu ihr gehen. – Weißt du, ob sie irgend ein Witthum von diesem Walter de Avenel hat?«

»Sehr wenig, heiliger Vater,« antwortete der Küster; »seit ihres Mannes Tod wohnte sie zu Glendearg fast von der Milde einer armen Wittwe Namens Elspeth Glendinning.«

»Ei du kennst ja alle Wittwen im Land. Ho! ho! ho!«

»Ho! ho! ho!« lachte der Küster nach, in dem Ton, in welchem ein Untergebener dem Scherz seines Oberen Beifall gibt. Sodann fügte er heuchlerisch näselnd und pfiffig blinzelnd hinzu: »Es ist unsere Schuldigkeit, heiliger Vater, die Wittwen zu trösten. Hi! hi! hi!«

Dies letztere Lachen war etwas gemäßigter in Erwartung, daß der Abt erst den Scherz gutheiße.

»Ho! ho!« wieherte der Abt. »Also Spaß bei Seite, Bruder Philipp, nimm dein Reitkleid und geh hin, diese Dame Avenel Beichten zu hören.«

»Aber« – – sprach der Küster.

»Nichts von Aber!« donnerte der Abt dazwischen. »Zwischen Mönch und Abt gilt kein Aber und kein Wenn, Bruder Philipp. Die Bande der Zucht dürfen nicht erschlaffen, – Ketzerei nimmt zu wie ein Schneeball – die Menge erwartet Beichten und Predigten von dem Benediktiner, wie vom Bettelmönch – und wir dürfen den Weinberg nicht im Stich lassen, ob auch die Arbeit uns schwierig ist.«

»Und dem Gotteshaus so wenig Vortheil bringt,« fügte der Küster hinzu.

»Das ist wahr, Bruder Philipp; aber wißt Ihr nicht, was Uebel verhütet thut Gutes? Dieser Julian de Avenel führt ein leichtes und übeles Leben; vernachlässigen wir die Wittwe seines Bruders, so möchte er dafür unsere Lande plündern, ohne daß wir nachweisen könnten, wer uns weh gethan hat. Ueberdem ist es unsere Schuldigkeit gegen eine alte Familie, welche zu ihrer Zeit eine Wohlthäterin dieses Klosters gewesen ist. Also augenblicklich fort, Bruder; reite Tag und Nacht, wenn's nöthig ist, und laß die Welt sehen, wie emsig Abt Bonifacius und seine getreuen Kinder sind in Erfüllung ihrer geistlichen Pflicht, wie keine Mühe sie verdrießt, – denn die Schlucht ist fünf Meilen lang, – wie keine Furcht sie abhält – denn es heißt, Gespenster spuken darin –, wie Nichts sie entfernt von ihrem geistlichen Beruf, zur Beschämung verleumdender Ketzer, zum Trost und zur Erbauung aller wahren und getreuen Söhne der katholischen Kirche. Was wird unser Bruder Eustachius dazu sagen?«

Außer Athem von der Schilderung der Gefahren und Mühen, denen zu trotzen –, und des Ruhmes, den zu gewinnen – nämlich mittelst eines Stellvertreters – er im Begriff stand, bewegte der Abt sich langsam in's Refectorium, um seinen Imbiß zu vollenden. Der Küster dagegen saß nicht eben sehr gutwillig auf, und begleitete den alten Martin nach Glendearg, wobei die größte Beschwerlichkeit war, daß er stets sein wohlgenährtes Maulthier zurückhalten mußte, wenn es einigermaßen mit dem armen abgelebten Struppel in gleichem Schritt bleiben sollte.

Im Thurm angekommen, blieb Bruder Philipp, der Küster, eine Stunde bei seinem Beichtkind. Denn Elspeth bereitete indeß für den verehrten Gast einige Erfrischungen in dem Saal. Als er nach der Beichte eintrat, fiel ihr sein unmuthiges und gedankenvolles Wesen auf. Sie beobachtete ihn mit ängstlicher Aufmerksamkeit und glaubte zu finden, daß er eher aussah wie Einer, dem ein ungeheures Verbrechen gebeichtet worden ist, als wie Einer, der einen losgezählten Büßer dem Himmel, nicht der Erde, überliefert. Nach langem Zögern konnte sie sich am Ende nicht enthalten, eine Frage zu wagen. Sie drückte die Ueberzeugung aus, daß die Freifrau eine leichte Beichte gehabt habe. Fünf Jahre hätten sie beisammen gewohnt, und sie müsse sagen, kein Weib habe besser gelebt.

»Weib!« sprach der Küster streng, »du weißt nicht, was du sagst. Was hilft es, die Schüssel auswendig rein zu halten, wenn das Innere von Ketzerei besudelt ist?«

»Unsere Teller und Platten sind nicht so rein, als man wünschen könnte, heiliger Vater,« sprach Elspeth, die ihn nur halb verstand, und fing an, mit ihrer Schürze den Staub von den Schüsseln abzuwischen, über den er ihrer Meinung nach sich beschwerte.

»Laßt das, Dame Elspeth,« sagte der Mönch; »Eure Geschirre sind so rein, wie hölzerne Schüsseln und zinnerne Krüge sein können; die Unreinigkeit, von der ich rede, ist die der giftigen Ketzerei, welche jeden Tag mehr um sich frißt in unserer heiligen Kirche von Schottland, wie ein Wurm im Rosenkranze der Braut.«

»Heilige Mutter Gottes!« rief Dame Elspeth, das Kreuz schlagend: »hab' ich mit einer Ketzerin Haus gehalten?«

»Nein, Elspeth, nein,« versetzte der Mönch; »dies wäre zu hart gesprochen von der unglücklichen Frau; aber ich wollte, ich könnte sagen, sie sei frei von ketzerischen Meinungen. Ach! sie fliegen herum gleich der Pestilenz am hellen Mittag und stecken die Ersten und Besten in der Heerde an! Denn es ist leicht zu ersehen, daß diese Dame ausgezeichnet an Verstand, wie an Rang gewesen ist.«

»Und sie kann schreiben und lesen, fast hätt' ich gesagt, so gut wie Eure Ehrwürden,« sprach Elspeth.

»An wen schreibt sie, und was liest sie?« fragte der Mönch neugierig.

»Nein,« erwiederte Elspeth, »ich kann nicht sagen, daß ich sie je hätte schreiben sehen, allein ihre ehemalige Kammerjungfer, die jetzt hier im Hause dient, sagt, sie könne schreiben. Und was Lesen betrifft, so hat sie uns oft gute Sachen vorgelesen aus einem dicken schwarzen Buch mit silbernen Schlössern.«

»Laßt mich's sehen,« rief der Mönch hastig; »bei Eurer Lehnspflicht, bei Eurer Pflicht als katholische Christin, – augenblicklich – augenblicklich laßt's mich sehen.«

Das gute Weib zögerte, bestürzt über die Weise, in welcher der Beichtvater ihre Aussage aufnahm, und überzeugt, daß eine so gute Frau, wie Alice von Avenel, nichts wirklich Böses so eifrig lesen könne. Aber überwältigt durch das Schreien und den drohenden Ton des Pater Philipp, brachte sie ihm am Ende das verhängnißvolle Buch. Sie konnte es thun, ohne daß die Eigenthümerin es merkte, denn diese lag auf ihrem Bette, erschöpft durch das lange Gespräch mit dem Beichtvater, und die kleine Runde oder Kammer im Thurm, in welcher das Buch und ihre sonstigen wenigen Habseligkeiten lagen, war durch eine andere Thüre zugänglich. Von Allem, was sie hatte, war das Buch das letzte, was ihr einfallen konnte, zu verbergen, denn was konnte eine Familie damit anfangen wollen, in welcher Niemand las, oder mit Lesern im Verkehr stand? Dame Elspeth konnte also ohne Schwierigkeit das Buch wegnehmen, wiewohl ihr Herz ihr sagte, daß sie hierin unedel und ungastlich gegen ihre Freundin und Hausgenossin handelte. Die grund- und lehnherrliche Gewalt stand ihr gegenüber, und die Wahrheit zu sagen: die Kühnheit, mit welcher sie sonst vielleicht dieser Gewalt Trotz geboten hätte, fand leider ein Gegengewicht in der Neugier, mit welcher sie, als eine Tochter Eva's, Auskunft über das geheimnißvolle, der Freifrau so theure, Buch zu haben wünschte, dessen Inhalt diese mit so viel Behutsamkeit mittheilte. Denn nie hatte Alice von Avenel Etwas aus dem fraglichen Buche vorgelesen, bevor das eiserne Thor des Thurmes verschlossen und jeder Gefahr vor ungebetenen Zeugen vorgebeugt war. Und auch dann hatte sie durch die Auswahl besonderer Stellen zu erkennen gegeben, daß es ihr mehr darum zu thun war, ihnen die in dem Buch enthaltenen Grundsätze einzuprägen, als sie in eine neue Glaubenslehre einzuweihen.

Als Elspeth, halb neugierig, halb reuig das Buch dem Mönch übergeben hatte, fuhr dieser nach einigem Blättern auf: »Nun, bei meinem Orden, es ist, wie ich vermuthet habe! Mein Maulthier! Mein Maulthier! – Ich verweile hier keinen Augenblick länger. Wohl gethan hast du, Dame, daß du dieß gefährliche Buch in meine Hände gelegt hast.«

»Es ist also Zauberei oder Teufelswerk?« fragte Elspeth in großer Aufregung.

»O behüte Gott,« sprach der Mönch, sich bekreuzend, »es ist die heilige Schrift. Aber sie ist in die Sprache des Volks übersetzt und darum nach der Bestimmung der heiligen katholischen Kirche ungeeignet, in der Hand eines Laien zu sein.«

»Aber die heilige Schrift ist doch mitgetheilt zu unser Aller Seligkeit,« warf Elspeth ein. »Guter Pater, Ihr müßt meine Unwissenheit besser unterweisen. Mangel an Einsicht kann ja keine Todsünde sein, und ich meines Theils möchte gern die heilige Schrift lesen können.«

»Ja freilich möchtest du,« entgegnete der Mönch. »Gerade so suchte auch unsere Mutter Eva die Erkenntniß von Gut und Böse zu erlangen, und so kam die Sünde in die Welt, und durch die Sünde der Tod.«

»Ganz gewiß, und das ist wahr!« sprach Elspeth. »O hätte sie doch den Rath von Sanct Peter und Sanct Paul befolgt!«

»Hätte sie das Gebot des Himmels geehrt,« – sprach der Mönch – »der ihr Leben, Dasein und Glück verliehen hat, aber unter Bedingungen, wie sie seinem heiligen Willen gemäß sind. Ich sage dir Elspeth: Das Wort tödtet, das heißt der Text für sich, gelesen mit ungeübtem Auge und ungeweihten Lippen. Er ist gleich einer starken Arznei. Der Kranke, der solche nach Vorschrift des kundigen Arztes nimmt, erlangt Genesung, wer aber auf eigne Hand damit verfahren will, kommt um durch eigne Schuld.«

»Gewiß, gewiß,« rief das arme Weib, »Ew. Ehrwürden muß das am besten wissen.«

»Nicht ich,« sprach Pater Philipp in einem so demüthigen Ton, als er dem Küster zu S. Marien zu geziemen glaubte, – »nicht ich, sondern der heilge Vater der Christenheit und unser Vater, der Herr Abt, weiß es am besten. Ich, der arme Küster zu S. Marien, kann nur wiederholen, was ich von meinen Oberen höre. Dessen aber, gutes Weib, sei versichert: das Wort, das bloße Wort tödtet. Dafür hat die Kirche ihre Diener, auszulegen und zu erklären dasselbe ihrer gläubigen Gemeinde, und dieß, geliebte Brüder, – ich will sagen geliebte Schwester,« (der Mönch war in den Schluß einer alten Predigt hinein gerathen) – »dieß sag' ich nicht sowohl von den Pfarrern, Vicaren und Secularpriestern, also genannt, weil sie nach der Weise dieses seculi oder Zeitalters leben, ungebunden durch die Fesseln welche uns von der Welt fern halten, auch sag' ich es nicht von den bettelnden fratribus, weder von den Schwarzen, noch von den Grauen, weder von den Bekreuzten, noch von den Unbekreuzten; sondern von den Mönchen, und absonderlich von den Benedictinermönchen, reformirt nach der Regel von S. Bernard von Clairvaux, und darum Cisterzienser genannt. Von diesen Mönchen sage ich, christliche Brüder (ich wollte sagen Schwester): groß ist das Glück und die Ehre des Landes, daß es die heiligen Diener des Stifts zu Sanct Marien besitzt, von welchem ich – obwohl ein unwürdiger Bruder – sagen mag: es hat mehr Heilige hervorgebracht, mehr Bischöfe, mehr Päpste – mögen unsere Schutzheiligen uns dankbar machen! – als irgend eine andere fromme Stiftung in Schottland. Derohalben – – Aber ich sehe, Martin hat mein Maulthier in Bereitschaft, und ich will Euch nur grüßen mit dem Kuß der Schwesterschaft, welcher nicht beschämt, und mich auf meine mühselige Heimfahrt begeben, denn die Schlucht ist übel berüchtigt wegen böser Geister, die darin umgehen. Auch könnt' ich zu spät bei der Brücke anlangen, so daß ich genöthigt wäre, meinen Weg durch den Fluß zu nehmen, der, wie ich bemerkt habe, etwas angeschwollen ist.«

Also nahm er Abschied von Dame Elspeth, welche durch die Geläufigkeit seiner Zunge und durch die mitgetheilte Lehre ganz verwirrt war und beunruhigt wegen des Buchs, welches sie, wie ihr Gewissen ihr sagte, Niemanden ohne Wissen der Eigenthümerin hätte mittheilen sollen.

Trotz der Eile des Mönchs sowohl, als seines Thieres, um eine bessere Wohnstatt zu erreichen, als sie am Ende der Schlucht von Glendearg verlassen hatten, trotz der Begierde des Paters Philipp, der Erste zu sein, welcher dem Abt verkündete, daß ein Abdruck des von ihnen so gefürchteten Buches im Gebiet des Stiftes zu S. Marien aufgefunden worden sei, – trotz gewissen Gefühlen endlich, welche den Mönch trieben, recht bald aus der finsteren, übelberüchtigten Schlucht herauszukommen, – trotz allem dem machten die Schwierigkeiten des Wegs und abseiten des Paters die Ungewohnheit, schnell zu reiten, daß die Dämmerung einbrach, bevor er das enge Thal hinter sich hatte.

Es war in der That ein schauerlicher Weg. Die beiden Seiten des Thales waren so nahe bei einander, daß bei jeder Krümmung des Flusses die Schatten von Westen auf das östliche Ufer fielen und es verdüsterten. Die dichten Gehölze bewegten ihre Zweige und Blätter mit ungewöhnlicher Heftigkeit, selbst die Felsen und Klippen kamen dem Mönch jetzt höher und wilder vor, als beim Hinaufritt am hellen Tage und in Gesellschaft. Pater Philipp war von Herzen froh, als er aus der Schlucht heraus in das offene Thal des Tweed kam, welcher in seinem prächtigen Lauf bald reißend, bald halb stillstehend, sich dadurch auszeichnet unter den schottischen Strömen, daß er auch in der trockensten Jahreszeit sein Bett ausfüllt, und nur selten die langen steinigen Flächen zu Tage liegen läßt, welche die Ufer so manchen gepriesenen schottischen Stromes entstellen.

Der Mönch, unempfindlich für Schönheiten, welche das Zeitalter nicht für beachtungswerth hielt, freute sich nur, wie ein kluger Feldherr, aus der Schlucht heraus zu sein, in welcher der Feind ihn hätte beschleichen können. Er zog den Zügel an und ließ sein Maulthier seinen natürlichen bequemen Paß gehen, anstatt des bisherigen erschütternden kurzen Trabs, wischte seine Stirn ab, und blickte behaglich nach dem vollen Mond, welcher sein Licht mit dem der Abendröthe vermischend, jetzt über Feld und Wald, und Dorf und Burg aufging und vornehmlich über der stattlichen Abtei, die sich fern und undeutlich im Schein des gelben Lichtes zeigte.

Das schlimmste Stück dieser prächtigen Ansicht war in den Augen des Mönchs, daß das Kloster auf der entgegengesetzten Seite des Flusses stand, und daß von den vielen schönen Brücken, die seitdem über diesen klassischen Strom gebaut worden sind, damals nicht eine vorhanden war. Dafür gab es eine andere, welche seitdem verschwunden ist, obwohl ihre Trümmer noch von forschenden Augen ausfindig gemacht werden können. Sie hatte eine sonderbare Gestalt. Zwei starke Strebepfeiler erhoben sich auf beiden Seiten des Flusses an einer Stelle, wo derselbe besonders schmal war. Auf einem Felsen mitten im Strom war ein Mauerwerk errichtet, in Form eines Brückenpfeilers, und wie ein solcher Pfeiler mit einem Winkel gegen den Strom. Das Mauerwerk war massiv bis dahin, wo der Pfeiler die Höhe der beiden Strebepfeiler am Ufer erreichte. Weiter hinauf nahm es die Gestalt eines Thurmes an. Das untere Stockwerk dieses Thurmes bestand lediglich aus einem gewölbten Thorweg. Vor beiden Eingängen dieses Thorweges hing je eine Zugbrücke, mit Gegengewichten, welche, wenn sie herabgelassen wurde, mit ihrem Ende auf dem gegenüberstehenden Strebepfeiler ruhte und so den Thorweg mit dem Ufer verband. Waren beide Zugbrücken herabgelassen, so war ein vollständiger Weg über den Fluß vorhanden.

Der Brückenwächter, Dienstmann eines benachbarten Freiherrn, wohnte mit seiner Familie im zweiten und dritten Stockwerk des Thurmes, der, wenn beide Zugbrücken aufgezogen waren, eine Inselfestung mitten im Strom bildete. Er war zur Erhebung eines kleinen Zolles berechtigt, der zuweilen Zänkereien zwischen ihm und den Reisenden wegen des Betrags veranlaßte. Es ist überflüssig, zu bemerken, daß der Wächter gewöhnlich bei diesen Streitigkeiten im Vortheil war, da er den Reisenden nach Belieben am Ufer warten lassen – oder, wenn er ihn den halben Weg herüberkommen ließ, im Thurm gefangen halten konnte, bis sie sich verständigt hatten Eine Brücke, genau wie die oben beschriebene, befand sich anderthalb Meilen oberhalb Melrose bei einem Weiler, welcher daher den Namen Bridge-end führte. In Gordons Iter Septentrionale geschieht ihrer folgendermaßen Erwähnung:
»Auf einer andern Reise durch Südschottland sah ich etwa anderthalb Meilen von Melrose in der Grafschaft Teviotdale die Reste einer merkwürdigen Brücke über den Tweed, bestehend aus drei achteckigen Pfeilern oder vielmehr Thürmen, die im Wasser stehen ohne verbindende Bogen. Der mittlere, welcher am besten erhalten ist, hat auf der Nordseite ein Thor und vermuthlich auch eins von der andern Seite nach Süden, welches ich nicht sehen konnte, ohne über das Wasser zu setzen. In der Mitte dieses Thurms ist ein ringsumher laufender Vorsprung; das Ganze ist hohl oberhalb des Thors und jetzt oben offen; früher war unterhalb des Daches ein kleines Fenster. Man hat mir gesagt, daß noch in neuerer Zeit ein Mann aus dem Land mit seiner Familie in dem Thurm wohnte und seinen Unterhalt damit verdiente, daß er Bohlen von einem Pfeiler auf den andern legte und so die Reisenden über den Fluß schaffte. Ob dieß eine alte oder neue Erfindung ist, weiß ich nicht, aber da sie eigenthümlich in ihrer Art ist, wollte ich ihrer Meldung thun.«
Die Spuren dieser ungewöhnlichen Art von Brücke sind noch vorhanden, und der Verfasser hat oft die Grundmauern der Säulen gesehen, wenn er Nachts den Tweed hinabfuhr zum Salmenstich bei Fackelschein. Herr Johann Mercer von Bridge-end erinnert sich, daß vor etwa fünfzig Jahren die Pfeiler noch über dem Wasser sichtbar waren, und der verstorbene Herr David Kyle im Gasthof zum Georg von Melrose, hat dem Verfasser erzählt, daß er einen aus dem Fluß gehobenen Stein gesehen habe mit einer Inschrift, die verdeutscht folgendermaßen lauten würde:
Ich, Herr Hans Pringle von Palmerstade
Geb' hundert Mark aus gutem Gemüth
Zum Bau meiner Brucken über Tweed.
Pringle von Galashiels, später von Whytbank, war der Herr der Brücke.
.

Vornehmlich mit den Mönchen von S. Maria hatte der Wärter wegen seiner Gebühr zu rechten. Die heiligen Männer verlangten und erlangten am Ende den unentgeltlichen Uebergang zum großen Verdruß des Brückenwächters. Als sie aber dieselbe Freiheit auch für die zahlreichen Pilger in Anspruch nahmen, welche zu ihrem Heiligthum wallfahrteten, stellte sich der Wächter auf die Hinterfüße und ward von seinem Herrn in seinem Widerstand bestärkt. Der Streit ward heftig von beiden Seiten; der Abt drohte mit dem Bann, und der Brückenwart, obwohl außer Stand, Gleiches zu thun, ließ jeden Mönch, der hinüber oder herüber ging eine Art Fegfeuer ausstehen, bis er ihm den Uebergang gestattete. Dieß war ein großer Uebelstand, und dieser Uebelstand würde noch ärger gewesen sein, wenn man nicht bei gewöhnlichem Wetter den Fluß hätte durchwaten können.

Es war, wie bemerkt, eine schöne Mondnacht, als Pater Philipp sich dieser Brücke näherte, deren eigenthümliche Bauart einen Begriff von der Unsicherheit jener Zeiten gibt. Der Fluß war nicht stark angeschwollen, jedoch über der gewöhnlichen Höhe, – es war schweres Wasser, wie es dort zu Land heißt, durch welches der Mönch nicht sonderlich Lust hatte zu reiten, wenn er irgend umhin konnte.

»Peter! guter Freund!« rief er mit lauter Stimme; »lieber, bester Freund! Peter, sei so gut und laß die Zugbrücke herunter. Peter! – Ei hörst du denn nicht? Dein Gevatter, Pater Philipp, ruft dir.«

Peter hörte ihn recht wohl und sah ihn obendrein. Allein da er den Küster als seinen besonderen Feind in seinem Streit mit dem Kloster betrachtete, ging er ruhig zu Bett, nachdem er den Mönch durch die Schießscharte beäugelt und gegen seine Frau geäußert hatte: ein Ritt durch's Wasser in einer mondhellen Nacht würde dem Küster nichts schaden und ihn für das nächste Mal den Werth einer Brücke schätzen lehren, auf welcher ein Mensch auf der Höhe und trocken hinüber kommen könnte bei Sommer und Winter, Ebb' und Fluth.

Nachdem er sich heißer geschrieen mit Bitten und Drohungen, auf welche Peter von der Brucken, wie er genannt wurde, schlechterdings nicht achtete, setzte sich Pater Philipp endlich flußabwärts in Bewegung, um sich der gewöhnlichen Furt bei der Mündung des nächsten Baches zu bedienen. Er fluchte über die bäuerische Verstocktheit Peters, fing aber dabei doch an, sich einzureden, daß der Uebergang durch die Furt nicht nur sicher, sondern auch angenehm sei. Die Ufer und einzelnen Bäume spiegelten sich so schön in dem dunkelen Strom ab, die liebliche Kühle und Stille bildete einen so angenehmen Gegensatz gegen seine vorhergehende angstvolle Aufregung und gegen die Zornsgluth, welche seine vergeblichen Bemühungen, den unbarmherzigen Brückenwart zu rühren, veranlaßt hatten, daß er sich ganz behaglich fühlte.

Als er dicht an das Wasser gekommen war, gerade da, wo er hineinreiten wollte, siehe, da saß unter einem halb verwitterten dicken Eichbaum ein weibliches Wesen, weinend, händeringend und die Augen auf den Fluß heftend. Der Mönch war erstaunt, hier zu dieser Zeit der Nacht ein weibliches Wesen zu finden. Aber er war in allen Ehren – ob auch einen Schritt weiter, das überlaß ich seinem Gewissen – ein ergebener Schildknecht der Damen. Nachdem er die Jungfrau einen Augenblick betrachtet hatte, während sie ihn gar nicht zu bemerken schien, ward er durch ihre Noth gerührt und fühlte sich geneigt, ihr seinen Beistand anzubieten. »Fräulein,« sprach er, »du scheinst in absonderlicher Noth zu sein; vielleicht hat dir der ungeschlachte Wärter, gleich mir, den Uebergang über die Brücke versagt, und du mußt vielleicht hinüber, um ein Gelübde zu erfüllen oder sonst ein wichtiges Geschäft zu verrichten.«

Die Jungfrau gab einige undeutliche Laute von sich, blickte nach dem Fluß und dann dem Küster in's Gesicht. Diesem kam in diesem Augenblicke der Gedanke bei, daß ein hochländischer Häuptling seit einiger Zeit im Kloster erwartet wurde, wo er ein Gelübde lösen wollte, und daß vielleicht diese schöne Jungfrau zu seiner Familie gehören möchte, etwa einem Gelübde zufolge allein reisend, oder durch Zufall zurückgelassen. Billig und klug mußte es ihm dünken, einer solchen Person alle mögliche Artigkeit zu erweisen, zumal da sie mit der Sprache des Niederlandes nicht bekannt zu sein schien. Solches war wenigstens der Grund, den der Küster später für sein Benehmen angab; ob er noch einen anderen hatte, muß nochmals seinem Gewissen überlassen bleiben.

Sich der Zeichensprache, als der allen Völkern gemeinsamen, bedienend, deutete der bedächtige Küster erst auf den Fluß, dann auf das Kreuz seines Maulthiers und machte dann, so anmuthig als er konnte, ein Zeichen, daß die einsame Schöne hinter ihm aufsitzen möge. Sie schien ihn zu verstehen, denn sie erhob sich, als wollte sie seiner Einladung folgen. Während der Mönch, der, wie bereits angedeutet, kein großer Reiter war, sich bemühte, durch den Druck seines rechten Beines und durch Anziehen des linken Zügels seinem Maulthier eine solche Stellung zu geben, – mit der Seite nach dem Fluß hin –, daß die Dame bequem aufsteigen könnte, machte diese eine wunderbar schnelle Bewegung und saß mit einem Sprung hinter dem Mönch, fester als er. Das Maulthier schien mit der doppelten Bürde gar nicht zufrieden zu sein, bäumte sich, bockte und würde bald den Pater vornüber abgeworfen haben, hätte die Jungfrau ihn nicht mit fester Hand im Sattel gehalten.

Endlich änderte das störrige Thier seine Laune, und wie es erst sich geweigert hatte, von der Stelle zu geh'n, so streckte es jetzt die Nase heimwärts und stürzte sich im schnellsten Trab in die Furt. Ein neuer Schrecken kam über den Mönch: die Furt schien ungewöhnlich tief zu sein; das Wasser wirbelte stark um den Hals des Thieres und ging hoch an seinen Seiten herauf. Philipp verlor die Geistesgegenwart, die er überhaupt nicht in hohem Grade besaß; das Maulthier überließ sich der Gewalt des Stromes, trieb, da der Reiter unterließ ihm die Richtung aufwärts zu geben, den Fluß hinab, verlor die Furt und den Grund und fing an stromabwärts zu schwimmen. Und was ganz sonderbar war – in demselben Augenblick, wo die Gefahr auf's Aeußerste stieg, fing die Jungfer an zu singen und vermehrte – wenn dieß überhaupt möglich war, – damit noch die Seelenangst des würdigen Küsters:

Lustig wir schwimmen, der Mond scheint hell,
Es tanzen im Lichte der Strom und die Well'.
Den Schildreiher haben wir matt gemacht
Durch unser Geplätscher in stiller Nacht
Bei dem Eichbaum mit seinen Zweigen so grün,
Deren Schatten im Wasser hüpft her und hin.
Der Reiher sprach: »Wer stört meine Brut?
Noch vor Tag meinen Schnabel soll röthen sein Blut.
Ein geschwollener Leichnam ist köstliches Mahl;
Mein Theil will ich haben mit Hecht und Aal.«

Lustig wir schwimmen, der Mond scheint klar.
Wirst du den goldenen Schimmer gewahr
Auf der fernen Höh', und den Silberregen
Auf Erl' und Weid', die sich zitternd bewegen?
Ich seh' die Abtei mit Thürmen und Zinnen;
Zur Vesper regt sich jetzt alles darinnen,
Die Mönche, sie eilen zum Gotteshaus;
Doch Philipp, der läuten sollte, bleibt aus.

Lustig wir schwimmen im Mondesstrahl,
Treiben durch Licht und Schatten zu Thal,
Dort unterm Felsen im Augenblick ruht,
Finster und tief, die sonst wirbelnde Fluth.
Der Nix, aus Tiefen, noch unergründet,
Aufsteigend, hat seine Fackel entzündet,
Die zum Tode leuchtet. Schau', ist's nicht zum Lachen,
Wie er glotzt und gegen dich aufsperrt den Rachen!

Glück auf zum Fischen! Wem gilt es heut' Nacht?
Einem Armen, oder dem Manne von Macht?
Ist's ein Lai oder Priester, nach welchem Ihr lugt?
Ist's ein Liebhaber, welcher sein Liebchen besucht?
Horch! Hast du nicht eben den Nix gehört;
»Dem Wächter Dank, der den Uebergang wehrt;
Wer mir nahe kommt, den begräbt die Welle,
Sei's Lai' oder Mönch aus der Klosterzelle.«

Wer weiß, wie lange der Gesang der Jungfrau noch gedauert haben, und wo die Reise des entsetzten Mönchs geendet haben würde. Aber als sie die letzte Stanze sang, kamen sie an oder vielmehr in eine breite ruhige Wasserfläche oberhalb eines Dammes oder Wehres, quer im Flusse, über welches dieser sich in einem breiten Wasserfall hinabstürzte. Das Maulthier, sei es freiwillig oder durch den Trieb des Wassers bestimmt, nahm seine Richtung nach dem Graben, der dazu diente, die Klostermühlen zu treiben, und lief, halb schwimmend, halb wadend in denselben ein, den Mönch fürchterlich im Sattel hin und her werfend.

Während Philipp so hin und her wackelte, ging sein Gewand los. Bemüht, es zusammenzuhalten, fuhr er mit der Hand nach der Brust und griff auf das Buch der Frau von Avenel, welches er im Busen trug. Kaum hatte er es in der Hand, so warf ihn seine Begleiterin aus dem Sattel in's Wasser, hielt ihn beim Kragen fest und tauchte ihn zwei oder drei Mal tüchtig unter, so daß sie sicher sein konnte, er war tüchtig genetzt. Dann ließ sie ihn los, als er so nahe am Ufer war, daß er mit einer geringen Anstrengung (einer großen war er nicht fähig) an's Land kriechen konnte. Er kam damit zu Stande. Als er sich umwandte, zu sehen, was aus seiner wundersamen Gefährtin geworden sei, war diese nirgends zu erblicken. Dagegen hörte er immer noch, wie von der Oberfläche des Wassers her und vermischt mit dessen Rauschen über dem Wehr, ein Stück ihres wilden Gesangs, welches so zu lauten schien:

Gelandet! – Hätt' dich das Buch nicht geborgen,
Hättest du Berwick geseh'n früh am Morgen.
Lustig du Alter! und Glück wünsche dir;
Selten landen, die schwimmen mit mir!

Das Entsetzen des Mönchs war stärker als seine Kräfte länger ertragen konnten. Der Kopf schwindelte ihm; er stolperte ein paar Schritte vorwärts, rannte mit dem Kopf wider eine Mauer und stürzte besinnungslos nieder.



 << zurück weiter >>