Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitender Brief von Clutterbuck, Hauptmann außer Dienst im – – königlich großbritannischen Infanterieregiment, an den Verfasser von Waverley.

Geehrter Herr!

Obwohl ich nicht Anspruch mache auf die Ehre Ihrer persönlichen Bekanntschaft, wie so Viele, die Ihnen vermuthlich eben so fremd sind, so habe ich doch Interesse an ihren Werken und wünsche deren Fortsetzung. Nicht als ob ich großen Geschmack an dergleichen Dichtungen fände, oder als ob Ihre ernsthaften Scenen für mich anziehend oder Ihre heiter sein sollenden Beschreibungen für mich belustigend wären. Ich nehme keinen Anstand, Ihnen zu erklären, daß ich bei der letzten Zusammenkunft Mac Ivors mit seiner Schwester gegähnt habe, und sanft eingeschlafen bin, während der Schulmeister die Wunderlichkeiten von Dandie Dinmont vorlas. Sie sehen, verehrter Herr, daß ich es verschmähe, Ihre Gunst zu erlangen auf einem Wege, der Ihnen nicht fremd ist. Wenn die beigeschlossenen Papiere Nichts werth sind, will ich mich nicht bemühen, sie Ihnen durch persönliche Schmeichelei zu empfehlen, gleich einem Sudelkoch, der ranzige Butter auf einen abgestandenen Fisch gießt. Nein, geehrter Herr, was ich an Ihnen schätze, ist, daß sie gelegentlich Licht verbreitet haben über nationale Alterthümer, einen Gegenstand, auf den ich etwas spät im Leben meine Forschungen gerichtet habe, an dem ich aber mit dem Feuer einer ersten Liebe hänge, weil er das einzige Studium ist, auf welches ich je einen Pfennig gegeben habe.

Sie sollen, geehrter Herr! meine Geschichte haben (sie wird keine drei Bände stark werden) vor der meines Manuscripts. Sie pflegen gewöhnlich ein paar Zeilen in Versen (ich denke, gleichsam als Plänkler) jeder Abtheilung ihrer Prosa vorauszuschicken. Ich habe das Glück gehabt, in des Schulmeisters Abschrift von Burns eine Stanze zu finden, welche mich genau beschreibt. Sie gefallt mir um so besser, da sie ursprünglich auf Hauptmann Grose gemacht war, einen trefflichen Alterthumsforscher, wiewohl, gleich Ihnen geneigt, seine Studien etwas zu leicht zu betreiben.

Er war Soldat zu seiner Zeit,
Hat niemals die Gefahr gescheut.
Doch jetzo ist er abgegangen
Von seiner Schaar,
Hat ein Geschäftchen angefangen
Als Antiquar.

Ich habe nie begreifen können, was mich, als Knaben, bei der Wahl meines Standes bestimmt hat. Kriegerischer Sinn war es nicht, was mich veranlaßte, eine Stelle bei den schottischen Füsilieren zu suchen, während meine Vormünder mich beim alten David Stiles, einem der Beamten des geheimen Siegelbewahrers, in die Lehre geben wollten. Ich sage, kriegerischer Eifer war es nicht, denn weder war ich als Knabe ein Raufer, noch gab ich einen Pfennig auf Lesung der Geschichte der Helden, welche vor Zeiten in der Welt das Unterste zu oberst gekehrt haben. Muth besaß ich – wie ich seitdem gefunden habe, gerade so viel, als ich brauchte, und nicht einen Gran mehr. Ich fand nämlich bald, daß im Gefecht mehr Gefahr dabei war, fortzulaufen, als steh'n zu bleiben, und dann durft' ich es auch nicht darauf ankommen lassen, meine Stelle zu verlieren, welche mir den bedeutendsten Theil meines Unterhalts lieferte. Was aber jenen sprühenden Muth betrifft, von welchem ich Viele der Unseren habe reden hören, den ich aber selten an ihnen bemerkt habe, – jenen überströmenden Eifer, welcher die Gefahr sucht, wie eine Braut, – so war sicherlich meine Tapferkeit von einer minder überschwenglichen Art. Liebhaberei am rothen Rock, welche, in Ermangelung aller anderen Erfordernisse, viel schlechte und einige gute Soldaten gemacht hat, war mir ganz und gar fremd. Aus der Gesellschaft der Fräulein machte ich mir gar nichts. Wir hatten im Dorfe eine Kostschule, mit deren schönen Zöglingen wir wöchentlich in der Tanzstunde bei Simon Leichtfuß zusammentrafen; allein ich kann mich nicht erinnern, daß mein Gefühl bei diesen Gelegenheiten lebhafter erregt gewesen wäre, ausgenommen den großen Widerwillen, mit welchem ich meiner Tänzerin eine Pomeranze zu überreichen pflegte, die mir von meiner Tante in die Tasche geschoben war, um damit die Formen der Höflichkeit zu üben, die ich aber lieber zu anderweitigem Gebrauch behalten hätte. Eitelkeit oder Putzsucht waren auch meine Fehler nicht. Es hielt schwer, mich dazu zu bringen, meinen Rock auszubürsten und ordonnanzmäßig auf der Parade zu erscheinen. Nie werd' ich die Zurechtweisung vergessen, die ich von meinem alten Obristen erhielt eines Morgens, als der König die Brigade musterte, zu welcher unser Regiment gehörte. »Fähnrich Clutterbuck,« sprach er, »ich bin kein Freund des Uebertriebenen; aber an dem Tage, wo wir vor dem Beherrscher des Reichs aufziehen sollen, würd' ich ihm doch bei Gott wenigstens einen Zoll reine Leinwand gezeigt haben.«

Fremd sonach all' den gewöhnlichen Beweggründen, welche junge Leute zur Wahl des Waffenhandwerks bestimmen, und ohne den geringsten Wunsch, ein Held oder ein Zierling zu werden, weiß ich wahrlich nicht, was mich auf diese Bahn führte, wenn es nicht der glückselige Zustand von Halbsold-Unthätigkeit war, welchen der in meinem Dorfe angesiedelte Hauptmann Thuwenig genoß. Jeder andere Mensch hatte, wirklich oder scheinbar, etwas zu thun. Zwar gingen die Leute nicht in die Schule oder lernten Aufgaben – der Uebel größtes meiner Ansicht nach, – aber es entging meiner Beobachtung nicht, daß sie doch alle mit einer oder der anderen Obliegenheit oder Arbeit beladen waren, Alle bis auf den glücklichen Hauptmann Thuwenig. Der Pfarrer hatte Besuche in seiner Gemeinde zu machen und sich auf seine Predigten vorzubereiten, wiewohl er von Beidem mehr Wesens machte, als nöthig gewesen wäre. Der Gutsherr hatte seine Pachtungen und landwirthschaftlichen Verbesserungen zu beaufsichtigen, außerdem mußte er die Landtage und Gerichtsversammlungen besuchen und Gott weiß, was noch, und war so früh auf (ein Ding, das ich haßte) und so viel im Freien, bei nassem wie bei trockenem Wetter, wie sein Diener. Der Krämer (das Dorf hatte nur einen von Bedeutung) stand allerdings gar gemächlich hinter seinem Ladentische, denn seine Kundschaft war nicht übermäßig stark, allein er erfreute sich seines Status, wie der Amtmann es nennt, nur unter der Bedingung, all' seinen Kram umzuwühlen, wenn Jemand kam, der eine Mausfalle verlangte, oder eine Elle Muslin, eine Unze Kümmel, einen Brief Stecknadeln, die Predigten von Pfarrer Peden, oder das Leben Hans des Riesenerlegers (nicht-tödters, wie fälschlich geschrieben und gesprochen wird; siehe meinen Versuch über die wahre Geschichte dieses Helden, welche merkwürdig durch die Fabel entstellt ist). Kurz Jedermann im Dorfe war genöthigt, etwas zu thun, was er gern unterlassen hätte, ausgenommen Hauptmann Thuwenig, welcher jeden Morgen auf der Gasse seinen Spaziergang machte, im blauen Rock mit rothem Kragen, und den ganzen Abend Whist spielte, wenn er eine Partie zusammenbringen konnte. Diese glückliche Freiheit von allen Geschäften däuchte mir so köstlich, daß sie der erste Fingerzeig wurde, welcher nach dem System des Helvetius, wie der Pfarrer sagt, meine kindliche Neigung auf den Beruf hinleitete, in welchem ich zu glänzen bestimmt war.

Doch ach! wer vermag seine Zukunft richtig zu schätzen in dieser trügerischen Welt! Kaum eingetreten in meinen neuen Beruf, fand ich bald, daß wenn die unabhängige Unthätigkeit des Halbsoldes ein Paradies ist, der Officier das Fegfeuer von Dienst und Wachen durchmachen muß, um Einlaß in dasselbe zu finden. Hauptmann Thuwenig konnte seinen blauen Rock mit rothem Kragen ausbürsten oder ungebürstet lassen, je nachdem es ihm beliebte; aber dem Fähnrich Clutterbuck stand diese Wahl nicht frei. Hauptmann Thuwenig konnte, wenn er wollte, um zehn Uhr zu Bette geh'n, aber der Fähnrich mußte die Runde machen, wenn ihn die Reihe traf. Was noch schlimmer war, der Hauptmann konnte, falls er Lust dazu hatte, bis Mittag unter seinem Betthimmel liegen bleiben, aber der Fähnrich, Gott steh' ihm bei, mußte mit Tagesanbruch auf Parade. Was Wachen und Exerciren betrifft, das machte ich mir so leicht, als ich konnte, hatte den Sergeanten an der Hand, der mir die Kommandowörter zuflüsterte, und hudelte darüber weg, wie Andere auch. Feldzüge habe ich für einen ruheliebenden Mann genug mitgemacht – bin hin und her geschoben worden in der weiten Welt, habe Ost- und Westindien, Aegypten und andere ferne Gegenden gesehen, von denen meine Jugend sich kaum etwas träumen ließ. Die Franzosen hab' ich gesehen und obendrein gefühlt; Beweis: zwei Finger meiner rechten Hand, welche einer ihrer verfluchten Husaren mit seinem Säbel so säuberlich weggenommen hat, wie ein Spitalchirurg. Endlich gewährte mir der Tod einer alten Tante, die mir so ein fünfzehnhundert Pfund, fein in Dreiprocentern angelegt, hinterließ, die langersehnte Möglichkeit mich zurückzuzieh'n mit der Aussicht, wenigstens viermal in der Woche über ein reines Hemd und eine Guinee zu verfügen.

Um meinen neuen Lebenslauf zu beginnen, wählte ich zum Wohnsitz den Ort Kennaquhair in Südschottland, berühmt wegen der Ruinen seines prächtigen Klosters. Hier gedachte ich den Rest meiner Tage in otio cum dignitate, vermittelt durch Halbsold und Rente, zuzubringen. Es dauerte jedoch nicht lange, so machte ich die große Entdeckung, daß die Muße, welche man genießen will, schlechterdings eine vorhergehende Beschäftigung erheischt. Eine Zeitlang war es entzückend, bei Tagesanbruch aufzuwachen, der Reveille zu gedenken, und sich die glückliche Befreiung von jener Sklaverei zu überlegen, welche den armen Menschen verdammt hatte, auf das Rasseln eines Stücks Pergament hin, aufzustehen, – sich auf die andere Seite zu legen, die Parade zu verwünschen und wieder einzuschlafen. Allein dieser Genuß hörte bald auf; die Zeit, jetzt ganz und gar zu meiner Verfügung, fing an, mir eine Bürde zu werden.

Zwei Tage lang angelte ich, verlor während dieser Zeit zwanzig Haken, einige Dutzend Ellen Darmsaiten- und Hanfschnur, und fing nicht eine Grundel. Von Hetzjagd konnte keine Rede sein, denn der Magen eines Pferdes verträgt sich nicht mit dem Halbsold-Verhältniß. Wenn ich schoß, verhöhnten mich die Schäfer und Bauern, ja mein eigner Hund, so oft ich fehlte, welches im Allgemeinen nach jedem Abdrücken der Fall war. Dazu kam, daß die Edelleute dieser Gegend etwas auf ihr Wild halten und von Klagen und Verboten zu reden anfingen. Ich aber hatte nicht darum die Bekämpfung der Franzosen aufgegeben, um einen bürgerlichen Krieg mit den »lustigen Männern von Teviotdale«, wie sie im Lied heißen, anzufangen. So brachte ich denn drei Tage (sehr angenehm!) damit zu, meine Flinte zu putzen und an zwei Haken über meinem Kamin aufzuhängen.

Der Erfolg dieses zufälligen Geschäfts veranlaßte mich, meine Geschicklichkeit in den mechanischen Künsten auf die Probe zu stellen. Ich nahm die Kuckucksuhr meiner Hauswirthin herunter, putzte sie und brachte bei dieser Gelegenheit den Begleiter des Lenzes für immer und einen Tag zum Schweigen. Ich stellte eine Drehbank auf, und als ich den Versuch machte, darauf zu arbeiten, hätte ich mir beinahe mit einem anderthalbzölligen Stemmeisen einen der Finger weggearbeitet, welche mir der Husar gelassen hatte.

Ich versuchte es mit Büchern, sowohl mit denen der kleinen Leihbibliothek als mit den besseren der Lesegesellschaft. Allein weder die leichte Waare der einen, noch das schwere Geschütz der andern wollte mir zusagen. Ich schlief jedesmal ein bei der vierten oder fünften Seite einer Geschichte oder Abhandlung, und es kostete mich stets einen Monat, mich durch eine geheftete werthlose Novelle durchzuarbeiten, während ich von jeder halbgebildeten Ladenjungfer in der Nachbarschaft Mahnungen erhielt, den Band abzuliefern. Kurz, während die ganze übrige Stadt Etwas zu thun hatte, wußte ich nichts weiter zu treiben, als mich auf dem Kirchhof zu ergehen und zu pfeifen bis es Essenszeit war.

Während dieser Lustwandlungen ward unwillkürlich meine Aufmerksamkeit von den Ruinen in Anspruch genommen, und allmählig machte ich es mir zum Geschäft, erst die kleineren Verzierungen, und endlich den ganzen Plan dieses herrlichen Baues zu studiren. Der alte Küster unterstützte mich dabei und half mir mit seinem Schatz von Ueberlieferungen aus. Jeder Tag mehrte meinen Vorrath von Kenntnissen über den ursprünglichen Zustand des Baues, und am Ende machte ich Entdeckungen über den Zweck einzelner sehr verfallenen Nebengebäude, welcher bisher entweder ganz unbekannt oder falsch gedeutet worden war.

Die so erworbene Kenntniß hatte ich oft Gelegenheit, zur Schau zu stellen vor Besuchern, welche eine Reise durch Schottland an diesen berühmten Ort führte. Ohne in das Recht meines Freundes Küster einzugreifen, ward ich allmählig ein Hülfs-Cicerone. Oft, wenn eine neue Gesellschaft herankam, überwies er mir Diejenigen, welchen er seine Geschichte zur Hälfte erzählt hatte, mit der schmeichelhaften Bemerkung: »Was brauch i mehr dervon z'sagen. Da isch der Herr Hauptmann, der weiß mehr drüber, als ich oder sonscht Jemand in der Staadt.« Alsdann grüßte ich die Fremden höflichst und ließ mich zu ihrem Staunen aus über Krypten und Chöre und Schiffe, über Bogen, gothische und sächsische Architrave, Fensterpfosten und Strebepfeiler. Nicht selten geschah es, daß eine in der Abtei angeknüpfte Bekanntschaft im Gasthof inniger wurde, was dazu diente, Abwechselung sowohl in meine Einsamkeit zu bringen, als in meine Mahlzeiten, welche bei meiner Hauswirthin stets aus Hammelskeule bestanden, bald gebraten, bald kalt, bald als Ragout.

Der Umfang meines Wissens erweiterte sich immer mehr. Ich fand ein paar Bücher, welche mir über gothische Baukunst Aufschluß gaben, und jetzt las ich mit Vergnügen, weil das, worüber ich las, mein Geschäft betraf. Selbst meine Stellung in der Gesellschaft verbesserte sich. Meine Worte hatten mehr Gewicht im Club, weil ich wenigstens in einer Beziehung kenntnißreicher war, als irgend ein anderes Mitglied. Selbst meine Erzählungen über Aegypten, welche, die Wahrheit zu sagen, etwas kahl waren, wurden jetzt rücksichtsvoller angehört als früher. »Der Hauptmann« – hieß es – »hat halt doch etwas los; – gar wenig Leut' wissen so viel über die Abtei.«

Mit diesem allgemeinen Beifall wuchs mein Selbstgefühl und meine Behaglichkeit. Ich aß mit mehr Appetit, verdaute mit mehr Leichtigkeit, ging vergnügt zu Bett und schlief gesund bis zum Morgen, wo ich aufstand mit dem Gefühl einer wichtigen Geschäftigkeit, und hinauseilte, zu messen, zu prüfen, zu vergleichen die verschiedenen Theile des interessanten Baues. Gewisse unangenehme Empfindungen in Kopf und Magen, die sich nicht beschreiben lassen, und welche ich ehedem mehr zum Vortheil des Apothekers als zu meinem eignen beachtete, – blos weil ich an nichts weiter zu denken hatte, – wurden mir ganz und gar fremd. Ich hatte, ohne es zu merken, eine Beschäftigung gefunden, und war glücklich, daß ich Etwas zu thun hatte. Mit einem Wort, ich hatte angefangen, Ortsalterthümler zu werden, und war dieses Namens nicht unwerth.

Während ich mich auf dieser Laufbahn geschäftigen Müssiggangs befand, begab es sich, daß ich eines Abends in meinem kleinen Wohnzimmer saß neben meinem Schlafgemach, wie es meine Wirthin nennt, beschäftigt mit den Vorbereitungen zu einem zeitigen Rückzug in das Gebiet des Morpheus. Vor mir lag Dugdale's Monasticon, geliehen von der Bibliothek zu A–, flankirt von einem Stück trefflichen Chesterkäses (beiläufig gesagt, ein Geschenk eines ehrsamen Londoner Bürgers, dem ich den Unterschied zwischen einem gothischen und einem sächsischen Bogen erklärt hatte) und von einem Glas von Vanderhagens bestem Ale. So vollständig gerüstet gegen meine alte Feindin Zeit, bereitete ich mich in der angenehmsten Gemächlichkeit zum Schlafengehen vor, bald eine Zeile in Dugdale lesend, bald einen Schluck Ale nehmend oder Brod und Käse kauend, bald die Knieschleifen an meinen Hosen aufziehend, oder ein paar Knöpfe meiner Weste aufmachend, in Erwartung des Glockenschlags zehn, vor welchem ich nie zu Bette zu geh'n mir zur Regel gemacht hatte. Da unterbrach ein lautes Klopfen den Gang meiner Geschäfte, und die Stimme meines ehrlichen Wirthes zum Georg Der Georg war und ist das erste Wirthshaus des Ortes Kennaquhair oder Melrose. Aber der damalige Wirth war nicht der artige, stille Mann, der es jetzt hat. David Kyle, ein bedeutender Grundbesitzer zu Melrose, eine wichtige Person in allen Stadtangelegenheiten, war der ursprüngliche Eigenthümer. Der arme David! Gleich manchen andern thätigen Leuten, befaßte er sich so viel mit öffentlichen Geschäften, daß er die seinigen einigermaßen vernachlässigte. Noch leben Leute zu Kennaquhair, welche ihn und seine Eigenthümlichkeiten wieder zu erkennen vermögen in der folgenden Skizze des Wirthes zum Georg. ließ sich vernehmen: »Was zum Teufel, Frau Grimlees, der Herr Hauptmann ist doch noch nicht zu Bett? Ein Herr in unserem Haus hat einen Hahnen und Fleischschnitten und eine Flasche Sherry bestellt, und läßt ihn zum Abendessen einladen, daß er ihm Alles, was die Abtei betrifft, erzähle.«

»Na,« antwortete Frau Grimlees in dem schläfrigen Ton einer schottischen Hausfrau, wenn es stark auf Zehn geht, »nä er ist nicht zu Bett, aber ich steh' gut derfür, er geht nit aus um diese Zeit in der Nacht, Leuten Gesellschaft zu leisten, die auf ihn warten; – der Herr Hauptmann ist ein ordentlicher Herr.«

Ich merkte, daß die letztere Artigkeit mir zu Gehör gesagt war, um mir dasjenige Verhalten anzudeuten, welches Frau Grimlees von mir wünschte. Allein ich hatte mich nicht etliche und dreißig Jahre in der Welt herumstoßen lassen und während der ganzen Zeit als schroffer Junggesell gelebt, um nach Hause zu kommen und unter dem Pantoffel meiner Wirthin zu stehen. Also öffnete ich meine Thür und ersuchte meinen alten Freund David, heraufzukommen.

»Herr Hauptmann,« sprach er beim Eintreten, »Sie noch aufzufinden ist mir so lieb, als hätt' ich einen zwanzigpfündigen Lachs an der Angel. Drüben ist ein Herr, der will diese liebe Nacht nicht gesund in seinem Bett schlafen, wenn er nicht das Vergnügen haben kann, ein Glas Wein mit Ihnen zu trinken.«

»Ihr wißt, David,« entgegnete ich mit gebührender Würde, »daß ich nicht wohl um diese Zeit der Nacht ausgehen kann, Fremde zu besuchen, oder Einladungen annehme von Leuten, die ich nicht kenne.«

David verhieß sich und sprach: »Hat man je so was erlebt? Er hat einen Hahnen mit Eiersauce bestellt, einen Pfannkuchen und Schnitten und eine Flasche Sherry. Glauben Sie, ich würde kommen und Sie einladen, so einem armseligen englischen Reisenden Gesellschaft zu leisten, der gerösteten Käse zum Nachtessen hat und sich mit ein bischen Punsch gütlich thut? Nein, da ist jeder Zoll ein Edelmann, und ein Kenner, ein ausgemachter Kenner – dunkele Kleidung und eine Perücke, kraus wie der Rücken eines Mutterschafs. Die erste Frage, welche er aufwarf, betraf die alte Zugbrücke, die seit zweihundert und so und so viel Jahren im Wasser liegt; ich habe die Grundpfeiler geseh'n, als wir Lachs stachen. Und wie zum Teufel sollt' er was von der alten Zugbrück' wissen, wär' er nicht ein Kenner? Mehr von dieser Zugbrücke siehe in der Anmerkung zu Ende des fünften Kapitels.«

David, der in seiner Art auch ein Kenner war und Erbgutsbesitzer dazu, war ein befähigter Beurtheiler aller Derjenigen, welche sein Haus besuchten, und so konnt' ich denn nicht umhin, meine Hosenschleifen wieder zuzubinden.

»So ist's recht, Herr Hauptmann,« rief David; »Sie Zwei können Raum für Drei einnehmen in einem Bett, wenn Sie einmal zusammenkommen. Meiner Seel', seines Gleichen hab' ich nicht geseh'n, seitdem ich den großen Doktor Samuel Johnson auf seiner Räse durch Schottland geseh'n habe; ich hab' seine Räse in meinem Hinterstübel zur Unterhaltung meiner Gäste; die zwei Deckel sind daran abgerissen.«

»Also ist der Herr ein Gelehrter, David?«

»Ich sollt' es denken,« antwortete David, »er hat einen schwarzen Rock an, oder einen braunen oder von sonst einer ähnlichen Farbe.«

»Ist er ein Geistlicher?«

»Ich denke nein, denn er sorgte erst für die Abendmahlzeit seines Pferdes, bevor er von seiner eignen sprach,« versetzte David.

»Hat er einen Diener?« fragte ich.

»Nichts von Diener,« antwortete David, »aber er hat so ein eignes Wesen, das Jedermann, der ihn ansieht, willig macht, ihm zu Diensten zu sein.«

»Und was bringt ihn darauf, mich zu stören? David, das kommt von Eurem Geschwätz. Ihr schickt mir stets Eure Gäste auf den Hals, als ob es meines Amtes wäre, Jeden, der im Georg absteigt, zu unterhalten.«

»Was zum Teufel, Herr Hauptmann, sollte ich thun?« versetzte der Wirth. »Ein Mann von Stand steigt ab und fragt mich ernstlich, ob wir in der Stadt einen verständigen, unterrichteten Mann haben, der ihm von den Alterthümern des Ortes erzählen kann, und besonders von der alten Abtei. Sie werden doch nicht verlangen, daß ich dem Herrn eine Unwahrheit hätte sagen sollen, und Sie wissen wohl, daß außer Ihnen Niemand ist, der ein vernünftig Wort darüber zu sagen weiß, ausgenommen der Küster, und der ist um diese Zeit so wenig zu haben, wie ein Pfeifer. So sag' ich: Da ist der Hauptmann Clutterbuck, ein sehr artiger Herr, der hat wenig zu thun, außer die alten Witze von der Abtei zu erzählen, und wohnt dicht hierneben. Da sagte der Herr zu mir: ›Herr,‹ sagt' er sehr höflich, ›sein Sie so gut und geh'n zu Hauptmann Clutterbuck, machen Sie ihm meine Empfehlung und sagen Sie ihm, ich sei ein Fremder, der hauptsächlich durch den Ruf von diesen Ruinen in diese Gegend geführt ist, daß ich bei ihm vorsprechen möchte, aber es sei zu spät.‹ Und mehr noch sagt' er, was ich vergessen habe, aber das Ende weiß ich: ›Herr Wirth, eine Flasche von Ihrem besten Sherry und Abendessen für Zwei.‹ – Sie werden doch nicht verlangen, daß ich dem Herrn eine abschlägige Antwort hätte geben sollen, ich, ein Wirth?«

»Gut denn, David,« sprach ich; »aber ich wollte, Euer Kenner hätte eine passendere Stunde gewählt; doch Ihr sagt, es ist ein Mann von Stand –«

»Das will ich meinen; die Bestellung beweist es. Eine Flasche Sherry, Schnitten und einen Hahnen – das heiß' ich, wie ein Mann von Stand sprechen. – So! Herr Hauptmann, knöpfen Sie den Rock zu, die Nacht ist rauh; aber das Wasser wird doch hell. Nächste Nacht fahren wir in den Booten des gnädigen Herrn Der Herr, dessen Boote hier erwähnt sind, war der gütige und freundliche Lord Sommerville, ein vertrauter Freund des Verfassers. David Kyles war stets und vorzugsweise dabei, wenn Lord Sommerville und seine Gesellschaft Salmen spießten. Bei solchen Gelegenheiten wurden oft achtzig bis hundert Fische zwischen Gleamer und Leaderfoot erlegt. aus, und es müßte uns schlecht geh'n, wenn ich Ihnen nicht einen kleinen Salmen schicke, damit Ihnen das Ale am Abend um so besser mundet.«

Fünf Minuten nach diesem Gespräch befand ich mich im Gastzimmer zum Georg und dem Fremden gegenüber.

Er war ein Mann von ernsthaftem Aussehen, etwa von meinem Alter (will sagen, um die Fünfzig herum), und hatte in der That, wie mein Freund David es ausdrückte, etwas in seinem Gesicht, was Einen geneigt machte, ihm zu Diensten zu sein. Der Ausdruck von Würde bei ihm war freilich nicht der Art, wie ich ihn an einem Brigadegeneral gewohnt war, noch weniger war seine Kleidung kriegerisch. Sie war einfach, eisengrau, von etwas altmodischem Schnitt. Seine Beine waren gepanzert mit starken ledernen Beindecken an den Seiten durch stählerne Krampen geschlossen, wie bei den Alten. Sein Gesicht, durch Sorgen und Alter eingefallen, beurkundete, daß er viel gesehen und geduldet. Seine Art, Jemanden anzureden, war sehr angenehm und zeigte den Mann von Erziehung. Seine Entschuldigung, daß er mich zu einer solchen Stunde und in solcher Weise gestört habe, war so artig ausgedrückt, daß ich nicht anders erwidern konnte, als mit der Versicherung meiner Bereitwilligkeit, ihm zu Diensten zu steh'n.

»Ich habe heute einen ziemlichen Weg gemacht, geehrtester Herr,« sagte er, »und ich möchte gern das Wenige, was ich zu sagen habe, bis nach dem Abendbrod verschieben, nach welchem ich ein ungewöhnlich starkes Bedürfniß fühle.«

Wir setzten uns zu Tisch, und trotz der von dem Fremden vorgeschützten Eßlust, und des artigen Vorraths von Käse und Ale, den ich mir bereits zugelegt hatte, glaub' ich doch, daß ich dem Hahnen und den Schnitten meines Freundes David wackerer zusprach, als er.

Als abgedeckt war, und jeder von uns sich einen Becher Negus bereitet hatte von dem Getränk, welches die Wirthe Sherry, die Gäste aber Lissaboner nennen, bemerkte ich, daß der Fremde nachdenkend, schweigsam und etwas verlegen zu sein schien, als ob er eine Mittheilung zu machen hätte, die er nicht recht einzuleiten wüßte. Um ihm den Weg zu bahnen, sprach ich von den alten Trümmern des Klosters und von ihrer Geschichte. Aber zu meinem Erstaunen fand ich, daß er nicht der Mann war, welcher meiner Belehrung bedurfte. Nicht genug, daß er Alles wußte, was ich ihm sagen konnte und noch bedeutend mehr: zu meiner Beschämung war er sogar im Stande, durch Hinweisung auf Jahreszahlen, Urkunden und andere Beweise, welche, wie Burns sagt, »unbestritten seynd,« manche der undeutlichen Erzählungen zu berichtigen, welche ich aus der schwankenden Ueberlieferung im Munde des Volks geschöpft hatte, und manche meiner Lieblingsansichten über Mönche und ihre Wohnungen zu nichte zu machen, die ich mir in dem Wahn tieferer Kenntniß ausgemalt hatte. Hier muß ich bemerken, daß ein großer Theil der Beweise und Schlüsse des Fremden auf die Forschungen des Herrn Vice-Reichsregistrators Thomas Thomson Esq., dessen wohlverdiente Lobrede ein Anderer schreiben sollte, als sein vertrauter Freund seit dreißig Jahren. von Schottland gegründet waren, eines Mannes, dessen unermüdliches Quellenstudium mein Geschäft sammt dem aller andern Ortsalterthümler mit dem Untergang bedroht, indem er Wahrheit an die Stelle von Sage und Roman setzt. Ach wenn der Ehrenmann doch wüßte, wie schwer es uns Kleinkrämern in Antiquitäten wird,

Uns aus dem Kopf zu bringen eine Sage,
Zu tilgen, was wir uns in's Hirn geprägt,
Und unser Herz von diesem Wust zu säubern –

und so weiter. Ich bin überzeugt, es würde ihm in der Seele weh thun, zu denken, wie manchen alten Köther er genöthigt hat, neue Sprünge zu lernen, wie manchen ehrwürdigen Papagei er gelehrt hat, ein neues Lied zu singen, wie viele Grauköpfe er toll gemacht hat über dem eitlen Versuch, ihr altes Mumpsimus mit seinem neuen Sumpsimus zu vertauschen. Doch, mag es sein. Humana perpessi sumus. Alles um uns her wechselt, Vergangenes, Gegenwärtiges und Künftiges. Was gestern Geschichte war, wird heute zur Fabel; die Wahrheit von heute, wird morgen zu einer Lüge ausgebrütet.

Da ich mich dergestalt in dem Kloster überwunden sah, welches ich bisher als meine Citadelle betrachtet hatte, begann ich, gleich einem geschickten General, die Festung zu räumen und mich durch das benachbarte Land durchzuschlagen. Ich nahm meine Zuflucht zu meiner Bekanntschaft mit den Familien und Alterthümern der Nachbarschaft, ein Boden, auf welchem ich meines Bedünkens plänkeln mochte, ohne daß der Fremde mir mit Vortheil zu Leibe gehen konnte. Aber ich war im Irrthum.

Der Mann im eisengrauen Kleid zeigte eine viel genauere Kenntniß dieser Einzelnheiten, als ich im Entferntesten ansprechen konnte. Er vermochte sogar das Jahr anzugeben, in welchem die Familie De Haga auf ihrer alten Baronie seßhaft geworden war Die Familie De Haga, in neuerer Zeit Haig von Bemerside, ist eine der ältesten und Gegenstand einer der Prophezeihungen Thomas des Reimers:
Was auch gescheh' im Lauf der Zeit,
Haig wird sein Haig von Bemerside.
. Da war weit und breit kein Thane, über dessen Familie und Verhältnisse er nicht unterrichtet gewesen, von dem er nicht gewußt hätte, wie viele seiner Ahnen unter dem Schwert der Engländer, wie viele im Bürgerzwist, wie viele unter Henkershand für Markverrath gefallen waren. Ihre Burgen kannte er von der Thurmspitze bis zum Grundstein; und was die zerstreuten Alterthümer des Landes betrifft, so war ihm keins fremd, vom cromlech bis zum cairn; er wußte darüber so genaue Auskunft zu geben, als hätte er zur Zeit der Dänen oder Druiden gelebt.

Ich befand mich jetzt in der peinlichen Lage eines Menschen, der gekommen ist, zu lehren und entdeckt, daß er ein Schüler ist, und es blieb mir nichts weiter übrig, als aus seinen Gesprächen so viel wie möglich aufzuklauben zum Besten der nächsten Gesellschaft von Besuchern. Um mich mit einiger Ehre unter dem Schutz eines letzten Feuers zurückzuziehen, erzählte ich ihm Allan Ramsay's Geschichte von dem Mönch und der Müllersfrau. Allein auch hier kam mir wieder der Fremde in die Flanke.

»Sie belieben zu scherzen,« sprach er; »aber es kann Ihnen nicht unbewußt sein, daß der von Ihnen erwähnte spaßhafte Vorfall in einer viel älteren Erzählung vorkommt, als die von Allan Ramsay ist.«

Ich nickte, nicht gemeint, meine Unwissenheit zu gestehen, obwohl ich in der That so wenig wußte, was er im Sinn hatte, als eins der Postpferde meines Freundes David.

»Ich spiele nicht,« fuhr mein allwissender Gesellschafter fort, »auf das unter dem Namen ›die Mönche von Berwick‹ durch Pinkerton nach der Maitlandischen Handschrift herausgegebene Gedicht an, wiewohl dieß ein sehr genaues und unterhaltendes Gemälde schottischer Sitten und der Regierung Jakobs V. enthält, – sondern vielmehr auf den italienischen Novellisten, welcher meines Wissens zuerst die Geschichte hat drucken lassen, wiewohl er selbst ohne Zweifel dieselbe aus irgend einem alten fabliau genommen hat Es ist merkwürdig, mit wie wenig Aufwand von Erfindung verschiedene Zeitalter nach einander sich unterhalten lassen. Dieselbe Geschichte, welche Ramsay und Dunbar nach einander bearbeitet haben, bildet auch die Grundlage der neueren Posse No Song, no Supper.

»Ohne Zweifel,« bemerkte ich, ohne recht den Satz zu verstehen, dem ich solchen Beifall zollte.

»Indeß bezweifle ich,« sprach mein Gesellschafter weiter, »daß Sie gerade diese Geschichte zu meiner Unterhaltung gewählt hätten, wenn Ihnen mein Stand und mein Verhältniß bekannt gewesen wäre.«

Er machte diese Bemerkung im muntersten Ton. Ich spitzte die Ohren bei der Andeutung, und erwiederte so höflich, wie möglich: »lediglich meine Unwissenheit in Betreff seines Ranges und Verhältnisses könne Schuld daran sein, daß ich eine unangenehme Saite berührt hätte, und ich sei bereit, mich wegen dieser unabsichtlichen Verletzung zu entschuldigen, sobald ich wüßte, worin sie bestehe.«

»Nichts von Verletzung, mein Herr,« versetzte er. »Verletzung kann nur da stattfinden, wo Empfindlichkeit dagegen vorhanden ist. Ich bin zu lange an schlimmere und peinlichere Mißdeutungen gewöhnt, als daß ich an einem landüblichen Spaß Anstoß nehmen sollte, obwohl derselbe gegen meinen Stand gerichtet ist.«

»Hab' ich dieß so zu verstehen, daß ich mit einem katholischen Geistlichen spreche?«

»Mit einem unwürdigen Mönch vom Orden St. Benedicts,« sprach der Fremde, »aus einem Kloster Ihrer Landsleute, welches lange in Frankreich bestanden hat, dessen Bewohner aber durch die Begebenheiten der Revolution zersprengt worden sind.«

»Also,« fragte ich, »sind Sie ein geborner Schotte und aus hiesiger Gegend?«

»Das nicht,« versetzte der Mönch; »ich bin nur der Abstammung nach Schotte, und bin in meinem ganzen Leben nicht in hiesiger Gegend gewesen.«

»Nie in dieser Gegend gewesen, und doch so genau bekannt mit ihrer Geschichte, ihren Sagen, selbst mit der Oertlichkeit? Sie setzen mich in Erstaunen.«

»Kein Wunder,« sprach er, »daß ich diese Art von Ortskenntniß besitze, wenn man erwägt, daß mein Oheim, ein eben so vortrefflicher Mensch, als guter Schotte, Vorstand unseres Klosters, einen großen Theil seiner Muße darauf verwandte, mich mit diesen Einzelnheiten bekannt zu machen, und daß ich selber, abgestoßen durch das, was um mich her vorging, mich Jahre lang damit befaßt habe, die von meinem würdigen Verwandten und von anderen bejahrten Klosterbrüdern erhaltenen Nachrichten zu ordnen.«

»Ich vermuthe, mein Herr,« sagte ich, »ohne damit eine neugierige Frage thun zu wollen, daß Sie jetzt nach Schottland zurückgekehrt sind in der Absicht, sich unter Ihren Landsleuten niederzulassen, da die politische Umwälzung unserer Zeit Ihr Corps aufgelöset hat.«

»Nein, mein Herr,« entgegnete der Benedictiner; »das ist meine Absicht nicht. Ein europäischer Herrscher, dem der katholische Glaube noch theuer ist, hat uns eine Zuflucht in seinen Landen angeboten, wo eine kleine Zahl unserer zerstreuten Brüder sich bereits gesammelt hat, Gott um Segen für ihren Beschützer und um Verzeihung für ihre Feinde anzuflehen. Ich denke, Niemand wird uns in unserem neuen Wohnsitz einwenden können, daß der Umfang unserer Einkünfte nicht zu unseren Gelübden von Armuth und Enthaltsamkeit paßt; vielmehr dürfen wir Gott danken, daß die Schlinge zeitlichen Ueberflusses von uns entfernt ist.«

»Viele Ihrer Klöster im Ausland,« bemerkte ich, »haben hübsche Einkünfte genossen, doch, bringt man die Zeiten in Anschlag, so möcht' ich bezweifeln, daß irgend eins besser versorgt war, als die Abtei dieses kleinen Ortes. Sie soll besessen haben jährliche Zinsen nahe an zweitausend Pfund in Gold, vierzehn Ladungen neun Malter Waizen, sechsundfünfzig Ladungen fünf Malter Gerste, vierundvierzig Ladungen zehn Malter Hafer, dazu Kapaunen, Hühner, Butter, Salz, Fuhr- und Pflugfrohnden, Kohlen und Torf, Wolle und Bier.«

»Nur zu viel von all' diesen zeitlichen Gütern,« fiel mein Gesellschafter ein, »Güter, welche, obwohl in guter Absicht von frommen Seelen gestiftet, nur dazu dienten, die Anstalt zu einem Gegenstand des Neides und zur Beute der Habgier zu machen.«

»Bis dahin indessen,« bemerkte ich, »hatten die Mönche ein gutes Leben und machten, wie es im alten Lied heißt,

– gar guten grünen Kohl
Des Freitags, wo sie fasteten.«

»Ich verstehe Sie,« entgegnete der Mönch; »das Sprichwort sagt: Es ist schwer, einen vollen Becher zu tragen, ohne Etwas zu verschütten. Ohne Zweifel war der Reichthum des Klosters nicht nur geeignet, die Gier mächtiger Gegner zu erwecken, sondern ward auch oft zur Schlinge für die einzelnen Brüder. Dennoch haben wir gesehen, daß Klostereinkünfte nicht nur zu Handlungen der Wohlthätigkeit und Gastfreiheit gegen Einzelne, sondern auch zu Werken von allgemeinem Nutzen für die Welt im Ganzen verwandt worden sind. Die herrliche Sammlung französischer Geschichtschreiber in Folio, begonnen 1737 unter Aufsicht und auf Kosten der Congregation von St. Maur, beweiset der Nachwelt, daß die Einkünfte der Benedictiner nicht immer in Ueppigkeit verpraßt worden sind, und daß die Mitglieder dieses Ordens nicht immer in träger Ruhe schlummerten, wenn sie die äußerlichen Obliegenheiten ihrer Regel erfüllt hatten.«

Da ich zu jener Zeit von der Congregation von St. Maur und ihren gelehrten Arbeiten schlechterdings Nichts wußte, konnte ich diesen Satz nur mit einem beifälligen Murmeln erwidern. Ich habe seitdem jenes herrliche Werk in der Büchersammlung einer Familie von Rang gesehen, und gestehe, ich bin beschämt bei der Erwägung, daß in einem so reichen Land, wie das unsere, nicht eine ähnliche Sammlung unserer Geschichtschreiber unter dem Beistand der Großen und der Gelehrten unternommen werden sollte im Wetteifer mit derjenigen, welche die Benedictiner von Paris auf Kosten ihres Klostervermögens veranstaltet haben.

»Ich merke,« sagte der Ex-Benedictiner lächelnd, »daß Ihre ketzerischen Vorurtheile zu stark sind, um uns armen Brüdern irgend ein Verdienst, wissenschaftliches oder geistliches, zuzugestehen.«

»Weit entfernt davon,« versetzte ich. »Ich versichere Sie, ich bin meiner Zeit Mönchen zu großem Dank verbunden gewesen. Nie in meinem Leben hab' ich mich besser gebettet gefunden, als in einem niederländischen Kloster, wo ich im Jahre 1793 einquartirt war. Das waren lustige Gesellen, die flämischen Kanoniker, und recht weh that es mir, mein gutes Quartier zu verlassen und zu erfahren, daß meine ehrlichen Wirthe der Gewalt der Sansculotten preisgegeben seien. Allein fortune de la guerre!«

Der arme Benediktiner schlug die Augen nieder und schwieg. Ich hatte, ohne es zu wollen, eine Reihe bitterer Erinnerungen in ihm geweckt, oder vielmehr ich hatte etwas plump eine Saite berührt, deren Schwingungen nicht sobald aufhörten. Doch war er zu sehr an diese trüben Gedanken gewöhnt, als daß er sich davon hätte sollen übermannen lassen. Ich meiner Seits beeilte mich, meinen Fehltritt wieder gut zu machen. Wenn ich ihm in irgend etwas, das Zweck seiner Reise sei, passender Weise behülflich sein könnte, so wollte ich so frei sein, ihm meine Dienste anzubieten. Ich gestehe, daß ich einigen Nachdruck auf das Wort »passender Weise« legte, denn ich bedachte, es möchte mir, als einem guten Protestanten und Staatsdiener, übel anstehen, mich bei etwa vorgehabten Recrutirungen meines Gesellschafters für auswärtige Seminarien zu betheiligen, oder bei irgend einem andern Beginnen zur Beförderung des Papstthums, für dessen Herrschaft zu wirken mir schlechterdings nicht zukam, mag nun der Papst die alte Dame von Babylon sein oder nicht.

Mein neuer Freund beeilte sich, meine Bedenklichkeit zu heben. »Ich bin,« sprach er, »im Begriff, Ihren Beistand in Anspruch zu nehmen in einer Sache, welche für Sie, als Alterthumskenner und Forscher, von Wichtigkeit sein muß. Aber ich versichere Sie, diese Sache betrifft Personen und Begebenheiten, welche dritthalbhundert Jahre von uns entfernt sind. Ich habe zu viel Uebels empfunden von der Auflösung aller Verhältnisse in meinem Geburtslande, als daß ich voreilig am Werk der Erneuerung im Land meiner Väter arbeiten sollte.«

Ich wiederholte die Versicherung meiner Bereitwilligkeit, ihm in jedem Stück zu Diensten zu sein, das nicht wider meine Unterthanenpflicht oder wider meine Religion ginge.

»Mein Vorhaben,« sprach er, »berührt weder diese noch jene. Möge Gott die in Britannien regierende Familie segnen. Sie ist nicht das Haus, für dessen Wiederherstellung meine Vorfahren vergebens gekämpft und gelitten haben; aber die Vorsehung, welche des gegenwärtigen Königs Majestät auf den Thron geführt, hat ihm die für seine Zeit nöthigen Tugenden verliehen – Festigkeit und Unerschrockenheit, eine aufrichtige Liebe für sein Land und einen klaren Ueberblick der ihn umgebenden Gefahren. – Was die Religion dieser Reiche betrifft, so begnüg' ich mich zu hoffen, daß die Macht, deren geheimnißvolle Zulassung dieselben aus dem Schooß der Kirche gerissen hat, sie zu seiner Zeit wieder in die heiligen Hürden zurückbringen werde. Die Bemühungen eines unbedeutenden und geringen Wesens, wie ich, dürften ein so gewaltiges Werk wohl hemmen, könnten es aber nie fördern.«

»Darf ich nun fragen,« sagte ich, »in welcher Absicht Sie dieß Land besuchen?«

Bevor mein Gesellschafter antwortete, zog er aus der Tasche ein zugekramptes Buch von der Größe eines Regimentsbefehlbuchs, dem Ansehen nach lauter handschriftliche Bemerkungen enthaltend, rückte eins der Lichter (David, zum Beweis seiner Achtung vor dem Fremden, hatte uns deren zwei zukommen lassen) dicht vor sich hin und schien sehr aufmerksam darin zu lesen.

»In den Trümmern des westlichen Endes der Klosterkirche,« sprach er, zu mir aufblickend, doch immer das Buch in der Hand behaltend und zuweilen wie zur Nachhülfe für sein Gedächtniß hineinsehend, »befindet sich eine Art Vertiefung oder Capelle unter einem gebrochenen gothischen Bogen dicht bei einer der gothischen Säulen, welche einst das prächtige Gewölbe trugen, dessen Trümmer diesen Theil des Gebäudes verschüttet haben.«

»Ich glaube zu wissen,« fiel ich ein, »was Sie meinen. Ist nicht in der Seitenwand der erwähnten Capelle oder Vertiefung ein großer ausgehauener Stein eingemauert mit einem Wappenschild, welches bis jetzt noch Niemand zu deuten vermocht hat?«

»Ganz recht,« versetzte der Benedictiner, und abermals seine Bemerkungen zu Rathe ziehend, fuhr er fort: »das Wappen zur Rechten ist das von Glendinning, bestehend aus einem Kreuz, getheilt durch ein Zackenkreuz. Zur Linken drei Spornräder für die von Avenel. Beides sind alte, jetzt fast erloschene Familien. Der Schild ist mit Pfählen durchzogen.«

»Ich glaube,« sprach ich, »es ist kein Theil dieses alten Baues, mit welchem Sie nicht eben so wohl bekannt sind, wie der Maurer, der ihn aufgeführt hat. Allein wenn Ihre Nachricht nicht falsch ist, dann muß der, welcher diese Wappen entdeckt hat, bessere Augen besessen haben, als ich.«

»Seine Augen,« erwiederte der Benedictiner, »sind längst im Tode geschlossen. Vermuthlich war das Denkmal, als er es sah, noch in besserem Zustand, oder er hat seine Nachricht aus örtlicher Ueberlieferung geschöpft.«

»Ich versichere Sie,« bemerkte ich, »daß gegenwärtig keine derartige Ueberlieferung vorhanden ist. Ich habe manche Recognoscirungen bei alten Leuten angestellt, um Etwas über Wappen zu erfahren, aber davon hab' ich nie etwas gehört.«

»Diese Kleinigkeiten,« entgegnete er, »wurden ehedem als wichtiger betrachtet, und waren den Verbannten heilig, welche die Erinnerung daran bewahrten, weil sie einen ihrem Herzen theuren Ort betrafen, den ihre Augen nicht mehr sehen konnten. So mögen wir vielleicht auch am Potomac oder am Susquehannafluß Ueberlieferungen in Betreff von Oertlichkeiten in England finden, welche in der Nachbarschaft dieser Oertlichkeiten selber ganz vergessen sind. Doch zur Sache. In dieser Vertiefung, an der durch das Wappen bezeichneten Stelle, liegt ein Schatz begraben, um ihn zu heben, hab' ich diese Reise unternommen.«

»Ein Schatz!« lallte ich erstaunt nach.

»Ja,« antwortete der Mönch, »ein Schatz von unermeßlichem Werth für die, welche ihn recht anzuwenden wissen.«

Ich gestehe, die Ohren klangen mir ein wenig bei dem Worte Schatz. Ein hübsches Tilbury mit einem netten Bedienten in blau und rother Livree, mit einer gespitzten Cocarde am Glanzhut, schien vor meinen Augen durch das Zimmer zu schweben, während eine Stimme, wie die eines Ausrufers mir in's Ohr zu schreien däuchte: »Hauptmann Clutterbucks Tilbury – vorgefahren!« Doch ich widerstand dem Teufel und er hob sich weg von mir.

»Meines Erachtens,« bemerkte ich, »gehört jeder verborgene Schatz entweder dem König oder dem Grundherrn; und da ich Sr. Majestät gedient habe, kann ich mich bei keiner Sache betheiligen, die am Ende vor das Schatzkammergericht kommt.«

»Der Schatz, den ich suche,« entgegnete der Fremde, »wird nicht von Fürsten und Herren begehrt werden, er ist Nichts weiter als das Herz eines rechtschaffenen Mannes.«

»Ach! ich verstehe,« rief ich, »eine Reliquie, in Vergessenheit gerathen, während der Verwirrung der Reformation. Ich kenne den Werth, welchen Leute Ihres Glaubens auf die Leiber und Glieder von Heiligen legen. Ich habe die heiligen drei Könige zu Köln gesehen.«

»Die Reliquien, welche ich suche,« versetzte der Benedictiner, »sind nicht gerade von dieser Art. Mein bereits erwähnter trefflicher Oheim verwandte seine Mußestunden auf die Verzeichnung der Ueberlieferungen seiner Familie, besonders gewisser merkwürdigen Begebenheiten, welche beim ersten Ausbruch des Schisma in der Kirche von Schottland stattgefunden haben. Diese Arbeit regte sein Gemüth so sehr an, daß er endlich zu dem Entschluß kam, das Herz des Helden seiner Erzählung sollte nicht länger in einem ketzerischen, jetzt von seiner ganzen Verwandtschaft verlassenen, Lande ruhen. Da er wußte, wo es niedergelegt war, nahm er sich vor, selber seine Heimath zu besuchen, um diese schätzbaren Reste abzuholen. Aber Alter und am Ende Krankheit traten ihm hindernd in den Weg, und es war auf seinem Todtenbett, wo er mir auftrug, sein Vorhaben an seiner Statt auszuführen. Die wichtigen Begebenheiten, welche rasch auf einander gefolgt sind, unsere Auflösung und Verbannung haben mich viele Jahre hindurch genöthigt, diese Pflicht unerfüllt zu lassen. Wozu auch die Ueberreste eines heiligen und würdigen Mannes in ein Land versetzen, wo Religion und Tugend zum Gespött geworden sind? Jetzt habe ich eine Stätte, welche hoffentlich bleibend ist, wenn irgend Etwas auf Erden so genannt werden darf. Dorthin will ich das Herz des guten Vaters bringen, und neben der geheiligten Stelle, die es aufnehmen soll, will ich mein eigenes Grab anlegen.«

»Es muß in der That ein vortrefflicher Mann gewesen sein,« bemerkte ich, »dessen Andenken in so späten Tagen noch so große Beweise von Achtung findet.«

»Er war, wie Sie richtig sagen, ein wirklich trefflicher Mann,« sprach der Geistliche, »trefflich in Lehre und Wandel, trefflich vor allem in seiner uneigennützigen Aufopferung des Theuersten für Grundsätze und Freundschaft. Doch Sie sollen seine Geschichte lesen. Ich werde mich glücklich schätzen, Beides Ihrer Wißbegierde zu genügen und Ihnen meine Erkenntlichkeit zu beweisen, wenn Sie die Güte haben wollen, mir zur Ausführung meines frommen Vorhabens behülflich zu sein.«

Ich erwiederte: da der Schutt, unter welchem er suchen wollte, nicht zu dem gewöhnlichen Begräbnißplatz gehöre, und da ich mit dem Küster auf dem besten Fuße stehe, so zweifle ich nicht, ihm die Mittel zur Erreichung seines frommen Zweckes verschaffen zu können.

Mit dieser Zusage nahmen wir für diese Nacht Abschied von einander. Am folgenden Morgen ließ ich mir angelegen sein, den Küster aufzusuchen, der für ein kleines Trinkgeld die Nachgrabungen gestattete, doch unter der Bedingung, daß er selber dabei sei, um zu sehen, ob der Fremde Nichts von innerem Werth mitnähme.

»Zu Bänen und Schädeln und Herzen, wenn er welche finden kann, mag er willkommen sein,« sprach der Aufseher des zerstörten Klosters; »die sind in Hülle und Fülle da, wenn er darauf versessen ist; aber wenn sich Buchsen und Kelsche (er meinte wohl Büchsen und Kelche) oder sonst dergleichen papistisches Gold- und Silbergeräth vorfinden, der Teufel soll mich holen, wenn ich sie mitnehmen lasse.« Ferner bedingte er sich aus, daß die Nachsuchungen bei Nacht stattfinden sollten, weil er nicht Lust habe, Anlaß zu Klatschereien zu geben.

Ich und mein neuer Bekannter brachten den Tag zu, wie es sich Liebhabern des grauen Alterthums geziemte. Den Vormittag besuchten wir wiederholt jeden Winkel der herrlichen Trümmer, und nach einem stärkenden Mahl bei David, wanderten wir den Nachmittag nach solchen Stellen in der Nachbarschaft, welche Sagen aus dem Alterthum oder Vermuthungen aus den neueren Zeiten merkwürdig gemacht hatten. Die Nacht fand uns im Innern der Ruinen, begleitet von dem Küster, der eine Blendlaterne trug, Einer um den Andern über Gräber stolpernd und über Bruchstücke der Denkmäler, unter welchen die Todten gehofft hatten bis zum jüngsten Tag wie unter einem Betthimmel zu ruhen.

Ich bin nicht sonderlich abergläubisch; dennoch wollte mir das gegenwärtige Geschäft gar nicht behagen. Es lag etwas Unheimliches in dem Vorhaben, zu solcher Stunde und an solchem Ort die stille, stumme Heiligkeit des Grabes zu stören. Meine Begleiter waren frei von dieser Empfindung – der Fremde in Folge seines eifrigen Wunsches, den Zweck seiner Reise zu erreichen, der Küster in Folge angewöhnter Gleichgültigkeit. Wir standen bald in dem Gang, welcher nach dem Bericht des Benedictiners die Gebeine der Familie von Glendinning enthielt, und waren geschäftig, den Schutt wegzuräumen aus einem Winkel, den der Fremde bezeichnete. Wenn ein Hauptmann auf halbem Sold einen Grenzritter, oder ein Ex-Benedictiner des neunzehnten Jahrhunderts einen schwarzkünstlerischen Mönch des sechzehnten hätte vorstellen können, dann hätten wir ein passendes Bild abgegeben von der Nachsuchung nach Michael Scotts Zauberbuch und Lampe. Aber der Küster wäre dann de trop in der Gruppe gewesen Dieß ist eine der Stellen, die jetzt abgeschmackt klingen, seitdem Jedermann weiß, daß der Novellist und der Verfasser des Liedes des Minnesängers eine und dieselbe Person sind. Allein ehe dieß zugestanden war, sah sich der Verfasser zu dergleichen Verstößen wider den guten Geschmack genöthigt, um der oft wiederholten Bemerkung zu begegnen, es liege etwas Geheimnißvolles in dem Schweigen des Verfassers von Waverley über Sir Walter Scott, einen wenigstens bänderreichen Schriftsteller. Ich hatte große Lust, die Stellen in dieser Ausgabe zu streichen, allein der gerade Weg ist, zu erklären, wie sie hineingekommen sind..

Der Fremde hatte unter dem Beistande des Küsters nicht lange gearbeitet, als er auf einige gehauene Steine stieß, welche einst zu einer kleinen Blende gehört zu haben schienen.

»Laßt uns diese behutsam wegnehmen, mein Freund,« sagte der Fremde, »damit wir nicht das beschädigen, was zu suchen ich gekommen bin.«

»Das sind Stäine von der beschte Sort; lauter Quaderstücke; mit geringere als die beschte wär' den München nit gedient gewest, bin gut derfür.«

Einige Augenblicke nach dieser Bemerkung rief er aus: »Jetzunder hab' ich was gefunde, das steht gegen den Spaten, als wär's weder Erd' noch Stäin.«

Der Fremde bückte sich geschäftig ihm zu helfen.

»Nä, nä, Alles für mich alläins,« sagte der Küster; »käin Halbpart und käin Viertel« – und hob aus den Trümmern eine kleine bleierne Büchse heraus.

»Guter Freund,« sprach der Benedictiner, »Ihr täuscht Euch, wenn Ihr hier etwas Anderes zu finden hofft, als ein vermodertes Menschenherz in dem Porphyrbehältniß.«

Ich, als neutraler Theil, legte mich in's Mittel, nahm dem Küster die Büchse ab, und erinnerte ihn, daß wenn ein Schatz darin verborgen sei, derselbe nicht das Eigenthum des Finders werden könnte. Sodann schlug ich vor, da es hier zu dunkel sei, die nähere Untersuchung bis zur Ankunft bei David zu verschieben, wo wir den Vortheil von Licht und Feuer bei unserem Geschäft hätten. Der Fremde bat uns, vorauszugehen, versichernd, daß er in ein paar Minuten nachkommen werde.

Ich vermuthe, der alte Mattocks hegte Verdacht, diese paar Minuten möchten zu ferneren Entdeckungen in den Gräbern benutzt werden, denn er schlüpfte zurück durch einen Seitengang, um des Benedictiners Bewegungen zu beobachten. Augenblicklich aber kam er wieder zu mir und flüsterte mir zu: »Der Herr liegt auf den Knieen zwischen den kaalten Stäinen und betet wie ein Häiliger.«

Ich schlich zurück und fand den Greis wirklich so beschäftigt, wie Mattocks berichtet hatte. Was er sprach, schien Lateinisch zu sein. Bei den flüsternden, jedoch feierlichen Lauten, welche sich in den verfallenen Gängen verloren, konnt' ich nicht umhin, zu denken, wie lang es nun schon her war, seitdem dieselben nicht mehr Zeugen derjenigen religiösen Uebungen waren, um derenwillen sie mit so viel Aufwand von Zeit, Geschmack, Mühe und Kosten aufgeführt worden waren. »Komm Mattocks!« sagte ich, »überlassen wir ihn sich selber; dieß hier geht uns Nichts an.«

»Meiner Seel' nit, Herr Hauptmann,« sprach Mattocks; »nichtsdestoweniger wird's Nichts schade, ein Oug' auf ihn zu habe. Main Vater, Gott säi seiner Seel' gnädig, war ein Roßtäuscher und sagte, er wär' säiner Lebtag' nit betroge worde, außer äin Mal von einer Weschtländer Perrück aus Kilmarnock, der einen Segen über ein Glas Branntwein gesproche hätt'. Der Herr da ischt ein Römischer, drauf will ich wette.«

»Diesmal habt Ihr recht, Saunders« – sprach ich.

»Ja ich hab' zwäi oder dräi von ihren Prieschtern gesehe, die ware hier herüber versprengt so vor zwanzig Jahre. Die tanzte wie toll, wie sie die Münchsköpf' und die Nonnenköpf' dort im Kräuzgang sahe; sie thate mit ihnen wie alte Bekannte. – Wäisch Gott, er regt sich noch nit, da liegt er wie ein Grabstäin. – Ich hab' nie en'n Römischen gekannt, daß ich sagen könnt' gekannt, außer äinen – mehr nur von Anseh'n, er war der Aeinzige in der Staadt – und das war der alte Jockel von Pend. Aber Sie hätte lang warte könne, bis Sie den Jockel hätte bete funde in der Abtäi, in dunkeler Nacht mit den Knieen auf'm kalten Stäin. Der Jockel hatt' gern ein' Kirch mit ein' Ofen drin. Dort im Wirthshaus hab' ich manch luschtig Spiel mit ihm gespielt, und wie er starb würd' ich ihn ganz anständig beerdigt habe. Aber ehender als ich sein Grab fertig hatte, kamen ein Paar von der Art, unglückselige Glaubensbrüder von ihm, die brachte den Leichnam fort dem Wasser hinauf, und begruben ihn, nach ihrem Gefallen – sie muschten's am Beschte wisse. Ich hätt' käine große Rechnung gemacht. Ich hätt' das Jockli nit übernomme, nit im Tod und nit im Leben. – Halt still – der fremde Herr kommt.«

»Halt' die Laterne hin, Mattocks, daß er sieht,« sagte ich. »Ein rauher Weg, geehrter Herr.«

»Ja,« versetzte der Benedictiner, »ich kann mit einem, Ihnen ohne Zweifel bekannten, Dichter sagen« –

Ich möchte an der Bekanntschaft zweifeln, dachte ich bei mir, während der Mönch sprach:

»Mein Beistand sei Sanct Franz! Wie oft bei dunkler Nacht
Sind meine alten Bein' gestolpert über Gräber.«

»Wir sind jetzt aus dem Kirchhof heraus,« sagte ich, »und haben nur ein paar Schritte bis zu David's Hause, wo wir hoffentlich ein lustiges Feuer finden, uns zu wärmen nach unserer nächtlichen Arbeit.«

Wir traten in das kleine Zimmer, in welches sich Mattocks mit ziemlicher Unverschämtheit gleichfalls eindrängen wollte, als David mit einem greulichen Fluch ihn bei Kopf und Schultern hinausschob, seine Neugier verwünschend, welche Standespersonen nicht gestatten wollte in ihrem Gasthof allein zu sein. Offenbar betrachtete der Herr Wirth seine eigene Gegenwart als keine Zudringlichkeit, denn er drückte sich an den Tisch, auf welchen ich die bleierne Büchse gelegt hatte. Sie war morsch, wie man sich denken kann, da sie so viele Jahre in der Erde gelegen hatte. Bei der Eröffnung fanden wir darin ein Behältniß von Porphyr, wie der Fremde verkündigt hatte.

»Ich vermuthe,« sprach er, »Ihre Neugier wird unbefriedigt sein, – vielleicht sollte ich sagen: Ihr Argwohn wird nicht beseitigt werden, wenn ich nicht die Kästchen öffne; es enthält aber wirklich Nichts als die modernden Ueberreste eines Herzens, welches einst der Sitz der edelsten Gedanken war.«

Er öffnete das Behältniß mit großer Behutsamkeit; allein die verschrumpfte Substanz, welche darin lag, hatte jetzt keine Aehnlichkeit mehr mit dem, was sie einst gewesen sein mochte, da die angewandten Mittel offenbar unzureichend gewesen waren, ihre Farbe und Gestalt zu erhalten, obwohl genügend, ihre gänzliche Vermoderung zu verhüten. Wir zweifelten indessen nicht daran, daß sie war, was der Fremde sagte: die Reste eines menschlichen Herzens; und David versprach bereitwillig seinen Einfluß, welcher fast dem des Amtmanns gleichkam, im Ort anzuwenden, um alle eitlen Gerüchte zum Schweigen zu bringen. Außerdem geruhte er, uns die Ehre seiner Gesellschaft beim Abendessen zu schenken, und nachdem er den Löwenantheil von zwei Flaschen Sherry genommen hatte, gab er nicht nur gnädigste Erlaubniß zur Wegbringung des Herzens, sondern würde auch, glaub' ich, die Wegbringung der Abtei selber bewilligt haben, wenn diese nicht so wesentlich zur Förderung seiner Kundschaft beitrüge.

Da solchergestalt der Zweck des Besuchs des Benedictiners im Lande seiner Vorfahren erreicht war, kündigte er uns seinen Entschluß an, uns den nächsten Tag in der Frühe zu verlassen, bat mich aber, ihm noch beim Frühstück vor seiner Abreise Gesellschaft zu leisten: Ich stellte mich ein, und nachdem wir das Morgenbrod genossen, nahm mich der Priester auf die Seite, zog aus der Tasche einen dicken Pack Papier und legte ihn in meine Hand. »Dies, Herr Hauptmann,« sagte er, »sind ächte Memoiren aus dem sechzehnten Jahrhundert, welche in eigenthümlicher und, wie ich denke, anziehender Weise die Sitten jener Zeit schildern. Ich habe Grund zu glauben, daß ihre Veröffentlichung eine dem britischen Publicum nicht unangenehme Gabe sein wird, und ich überlasse Ihnen gern den etwaigen Gewinn.«

Ich machte große Augen zu dieser Ankündigung, und bemerkte, daß mir die Hand zu neu schien für die Zeit, aus welcher die Schrift herrühren sollte.

»Sie dürfen mich nicht mißverstehen,« sagte der Benedictiner, »ich habe nicht sagen wollen, daß diese Memoiren im sechzehnten Jahrhundert geschrieben worden, sondern nur daß sie zusammengetragen sind aus authentischen Quellen dieser Zeit, abgefaßt jedoch im Geschmack und in der Sprache unserer Tage. Mein Oheim hat dieß Buch angefangen, und ich habe meine Mußestunden darauf verwandt, es fortzusetzen und zu vollenden, theils um mich im Englischschreiben zu üben, theils um meine trüben Gedanken zu zerstreuen. Sie werden die Stelle bemerken, wo mein Oheim in der Erzählung aufhört, und wo ich anfange. Die beiden verschiedenen Theile betreffen verschiedene Personen und verschiedene Zeiten.«

Die Papiere in der Hand behaltend, drückte ich ihm meine Zweifel aus, ob ich, als guter Protestant, die Herausgabe eines Werkes besorgen könnte, welches vermuthlich im papistischen Sinn geschrieben sei.

»Sie werden,« entgegnete er, »in diesen Blättern keine Erörterungen über Glaubenssätze finden, noch irgend Ansichten ausgedrückt, mit welchen nicht die Rechtschaffenen von jedem Glauben übereinstimmen könnten. Mir war der Gedanke gegenwärtig, daß ich für ein, unglücklicher Weise dem katholischen Glauben entfremdetes, Land schrieb, und ich habe mich bemüht, Alles zu vermeiden, was, richtig gedeutet, die Anklage der Parteilichkeit gegen mich begründen könnte. Sollten Sie jedoch, bei Vergleichung meiner Erzählung mit den zahlreichen beigefügten Beweisstücken, die Ansicht gewinnen, daß ich gegen meinen Glauben parteiisch gewesen bin, so gebe ich Ihnen völlige Freiheit, meine Irrthümer in diesem Stück zu berichtigen. Doch gesteh' ich, dieses Fehlers bin ich mir nicht bewußt, fürchte vielmehr, Katholiken möchten urtheilen, ich hätte Umstände in Betreff des Verfalls der Kirchenzucht, welcher der, von Ihnen Reformation genannten, großen Spaltung vorherging oder theilweise zum Anlaß diente, in meiner Schrift erwähnt, welche ich lieber mit einem Schleier hätte bedecken sollen. Dies ist einer der Gründe, welche mich bestimmt haben, diese Papiere in einem fremden Land und durch die Hand eines Fremden veröffentlichen zu lassen.«

Hierauf wußte ich Nichts zu entgegnen, außer daß ich der Aufgabe nicht gewachsen sei. Ueber diesen Punkt äußerte der gute Pater mehr, als seine Kenntniß von mir rechtfertigen konnte, mehr als Bescheidenheit mir gestattet zu wiederholen. Er schloß mit dem Rath: wenn ich fortwährend den von mir behaupteten Mangel an Selbstvertrauen fühlte, so möchte ich mich an einen Veteran der Literatur wenden, dessen Erfahrung mir zu Hilfe kommen könnte. So schieden wir unter wechselseitigen Versicherungen von Achtung, und nie mehr habe ich etwas von ihm gehört.

Nach verschiedenen Versuchen, die auf so sonderbare Weise in meine Hände gekommenen Blätter durchzulesen, bei welchen ich durch unerklärliche Anfälle von Gähnen unterbrochen wurde, theilte ich sie endlich in einer Art von Verzweiflung dem Club unseres Ortes mit, bei welchem sie eine günstigere Aufnahme fanden, als ihnen die unglückliche Beschaffenheit meines Nervensystems bei mir gestatten wollte. Einstimmig hieß es, das Werk sei vortrefflich, und ich würde mich eines schweren Vergehens gegen unseren blühenden Ort schuldig machen, wenn ich der Oeffentlichkeit entziehen wollte, was ein so interessantes und helles Licht über die Geschichte des Klosters S. Maria verbreitete.

Durch öfteres Anhören dieser Ansicht ward ich endlich irre an meiner eigenen, und in der That hörte ich mit der volltönenden Stimme unseres Pastors Stellen lesen, bei denen ich kaum mehr Langeweile fühlte, als bei manchen seiner Predigten. So groß ist der Unterschied zwischen eignem mühsamen Lesen einer Handschrift und dem »Selbiges Euch vorgelesen,« wie der Mann im Schauspiel sagt; es ist grade wie der Unterschied zwischen dem Ueberfahren in einem Kahn und dem Durchwaten eines Baches bis an die Kniee im Schlamm. Immer aber blieb die Schwierigkeit, Jemand zu finden, welcher die Rolle des Herausgebers übernehmen wollte, und zugleich das Geschäft der Berichtigung von Druck- und Sprachfehlern, welche nach Versicherung des Schulmeisters schlechterdings nöthig war.

Seitdem die Bäume gegangen sind, sich einen König zu wählen, ist nie ein Ehrenamt so feil geboten worden. Der Pfarrer wollte nicht die Ruhe seines Kaminwinkels verlassen, der Amtmann schützte die Würde seiner Stellung vor und die Annäherung des großen Jahrmarkts, als Gründe, die ihn abhielten, nach Edinburgh zu reisen und Vorkehrungen zum Druck der Handschrift des Benedictiners zu treffen. Nur der Schulmeister schien von biegsamem Stoff zu sein. Begierig vielleicht, einen Namen wie Jedediah Cleishbotham zu erlangen, ließ er den Wunsch merken, den wichtigen Auftrag zu übernehmen. Allein die Einwendungen dreier reichen Pächter, deren Söhne er in Kost, Wohnung und Unterricht hatte für zwanzig Pfund jährlich per Kopf, kamen wie ein Frost über die Blüthen seines literarischen Ehrgeizes, und er war genöthigt, das Geschäft abzulehnen.

Unter diesen Umständen wende ich mich nach dem Ausspruch unseres kleinen Kriegsrathes an Sie, verehrter Herr, in der zuversichtlichen Hoffnung, Sie werden nicht abgeneigt sein, diese Arbeit zu übernehmen, da dieselbe in so naher Beziehung zu denjenigen steht, durch welche Sie Sich bereits einen Namen gemacht haben. Meine Bitte ist, Sie möchten das beigeschlossene Packet durchgehen, oder vielmehr prüfen und berichtigen, und es zum Druck zurichten durch solche Abänderungen, Zusätze und Abkürzungen, die Sie für passend halten. Verzeihen Sie mir den Wink, daß der tiefste Brunnen erschöpft, daß das beste Grenadiercorps, nach dem Ausdruck unseres alten Brigadegenerals, aufgebracht werden kann. Ein paar Andeutungen können Ihnen nicht wehe thun, und was das Prisengeld betrifft, so wollen wir es auf der Trommel theilen. Ich hoffe, Sie werden Nichts von dem, was ich gesagt habe, übel deuten. Ich bin ein schlichter Soldat, wenig an Complimente gewöhnt. Ich kann hinzufügen, daß ich es zufrieden wäre, mit Ihnen in der Fronte zu marschiren, das heißt meinen Namen nebst dem Ihrigen auf das Titelblatt zu setzen. Ich habe die Ehre zu sein

Ihr unbekannter gehorsamer Diener,
Cuthbert Clutterbuck.

Kennaquhair,
– April, 18–.

 

An den Verfasser von »Waverley« u. s. w.
durch gütige Besorgung von Hrn. Joh. Ballantyne,
Hannoverstraße, Edinburgh.


 << zurück weiter >>