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Vierzehntes Kapitel.

Platz! Platz! denn stampfen wird mein Pferd,
Wenn's einem Fürsten nahe kommt;
Denn Wahrheit red' ich und in Versen, –
Geboren ward es einst zur Zeit
Der Königin Elisabeth,
Als sie auf seinem Schloß der Graf
Von Leicester einst bewirthete.

Die Eulen, Maske von Ben Jonson.

Am folgenden Tage fand eine große Vorstellung von den treuen Bürgern aus Coventry statt, welche den Streit zwischen den Engländern und Dänen zum Gegenstande hatte. Während dieser Unterhaltungen war Leicester bemüht, eine Gelegenheit zu finden, sich mit Tressilian zu entfernen. Endlich gelang es ihm, Tressilian unbemerkt ein Zeichen zu geben, worauf er sich aus dem Gedränge frei machte und auf den Park zuging, wo das geringere Volk mit offenen Mäulern dastand und dem Kampfe zwischen den Engländern und Dänen zuschaute. Als er sich mit einiger Schwierigkeit durchgedrängt hatte, sah er sich nach Tressilian um, und sobald er bemerkte, daß auch dieser vom Gedränge frei sei, ging er auf ein kleines Gebüsch zu, hinter welchem ein Bedienter zwei gesattelte Pferde hielt. Er schwang sich auf das eine und gab Tressilian ein Zeichen, das andere zu besteigen, welcher ihm gehorchte, ohne ein Wort zu sagen.

Dann spornte Leicester sein Pferd an, und galoppirte zu einer Stelle hin, die von hohen Eichen umgeben, und etwa eine Meile von dem Schlosse entfernt war. Dort stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum, sprach bloß die Worte aus: »Hier wird man uns nicht stören!« legte seinen Mantel über den Sattel und zog sein Schwert.

Tressilian folgte seinem Beispiel, konnte aber nicht umhin, zu sagen, als er sein Schwert zog: »Mylord, da Viele Euch als einen Mann kennen, der den Tod nicht fürchtet, wenn er mit der Ehre zugleich in die Wagschaale gelegt wird, so dünkt mich, kann ich wohl, ohne mir Etwas zu vergeben, Ew. Herrlichkeit fragen, warum Ihr mir ein solches Zeichen der Ungnade habt zu Theil werden lassen, in Folge dessen wir hier in dem gegenwärtigen Verhältnisse zu einander stehen?«

»Wenn Euch solche Zeichen meiner Verachtung nicht gefallen,« erwiderte der Graf, »so nehmt augenblicklich Eure Waffe zur Hand, damit ich nicht die Handlung wiederhole, worüber Ihr Euch beklagt«

»Es wird nicht nöthig sein, Mylord,« sagte Tressilian. »Gott richte zwischen uns! und wenn Ihr fallet, komme Euer Blut über Euer eigenes Haupt.«

Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, als sie auch schon im heftigsten Kampfe waren. Leicester, ein vollendeter Meister in den Waffen, sowie in allen zu jener Zeit üblichen Geschicklichkeiten, hatte sich in der vergangenen Nacht hinlänglich von Tressilians Stärke und Gewandtheit überzeugt, um mit mehr Vorsicht als vorhin zu fechten und eine sichere Rache einer hastigen vorzuziehen. Einige Minuten lang fochten sie mit gleicher Geschicklichkeit und gleichem Glück, bis Tressilian sich bei einem verzweifelten Ausfall, den Leicester glücklich parirte, eine Blöße gab. Bei dem Bemühen sich zu decken, schlug der Graf ihm sein Schwert aus der Hand, und streckte ihn zu Boden. Mit grimmigem Lächeln hielt er die Spitze seines Schwertes nur zwei Zoll von der Kehle seines gefallenen Gegners entfernt, setzte ihm zu gleicher Zeit den Fuß auf die Brust, befahl ihm sein ihm angethanes Unrecht zu bekennen, und sich auf den Tod vorzubereiten.

»Ich habe kein Unrecht und kein Vergehen gegen Dich zu bekennen,« antwortete Tressilian, »und bin besser auf den Tod vorbereitet, als Du. Wende Deinen Vortheil an, wie Du willst, und möge Gott Dir verzeihen. Ich habe Dir keinen Anlaß dazu gegeben.«

»Keinen Anlaß!« rief der Graf – »aber warum soll ich mit einem solchen Schurken noch weiter reden? – Stirb als Lügner, wie Du gelebt hast!«

Er hatte seinen Arm erhoben, um den Todesstoß auszuführen, als er plötzlich von hinten ergriffen wurde.

Der Graf wendete sich zornig um, das unerwartete Hinderniß von sich abzuschütteln; doch wie erstaunte er, als er einen seltsam aussehenden Knaben erblickte, der seinen Arm so fest ergriffen hatte, daß er ihn nur mit großer Anstrengung los machen konnte, während welcher Zeit Tressilian Gelegenheit hatte, aufzustehen und seine Waffe wieder zu ergreifen. Leicester wendete sich wieder mit großer Wuth zu ihm, und der Kampf würde mit noch größerer Erbitterung von beiden Seiten fortgesetzt worden sein, hätte nicht der Knabe Lord Leicesters Knie umfaßt, und ihn in durchdringendem Tone gebeten, ihn einen Augenblick anzuhören, ehe er den Kampf fortsetze.

»Steh auf und laß mich los,« sagte Leicester, »oder beim Himmel, ich durchbohre Dich mit meinem Schwert! – Warum hältst Du meinen Arm zurück?«

»Ach,« rief der Knabe, »meine Thorheit hat die Veranlassung zu Eurem blutigen Kampfe und vielleicht zu noch schlimmeren Handlungen gegeben. O, wenn Ihr Euch je eines unschuldigen Gemüthes erfreuen wollt, wenn Ihr hofft, je ohne Reue und Gewissensbisse zu schlafen, nehmt Euch so viel Zeit, diesen Brief zu lesen, und thut dann, was Ihr wollt.«

Während er auf so lebhafte Weise sprach, trugen seine Züge einen koboldähnlichen Ausdruck an sich und er hielt einen Brief zu Leicester empor, der mit einer lichtbraunen Haarlocke zusammengebunden war. Von Wuth ergriffen, seine Rache auf so seltsame Weise vereitelt zu sehen, konnte der Graf von Leicester dem Knaben nicht widerstehen, sondern riß ihm den Brief aus der Hand – veränderte die Farbe, als er die Ueberschrift ansah, öffnete mit bebender Hand den Knoten, der ihn zusammenhielt – überblickte den Inhalt, bebte zurück und würde hingefallen sein, hätte er sich nicht an den Stamm eines Baumes gelehnt, wo er einen Augenblick stehen blieb, seine Augen auf den Brief gerichtet, ohne sich der Gegenwart seines Feindes bewußt zu sein, dem er so wenig Gnade erwiesen, und der diesen Umstand zu seinem Vortheil hätte benutzen können. Aber zur Rache war Tressilian zu edel – auch er stand erstaunt still, und erwartete den Ausgang dieser leidenschaftlichen Handlung, hielt aber sein Schwert in Bereitschaft, um sich im Fall der Noth gegen einen neuen plötzlichen Angriff vertheidigen zu können. In dem Knaben erkannte er sogleich seinen alten Bekannten Dickie, dessen Gesicht, einmal gesehen, schwerlich zu verkennen war. Wie derselbe aber in dem entscheidenden Augenblicke gekommen sei, und besonders wie er eine so mächtige Wirkung auf Leicester habe hervorbringen können, waren Fragen, die er nicht zu beantworten vermochte.

Doch der Brief selber war mächtig genug, um noch wunderbarere Wirkungen hervorzubringen. Es war derselbe, den die unglückliche Emma an ihren Gemahl geschrieben hatte, und worin sie die Gründe, sowie die Art und Weise ihrer Flucht aus Cumnor Place angab, ihn benachrichtigte, daß sie nach Kenilworth geflohen sei, von ihm Schutz zu erhalten, die Umstände erwähnte, die sie genöthigt, in Tressilians Zimmer Zuflucht zu suchen, und ihn dringend bat, ihr ohne Aufschub einen passenderen Zufluchtsort anzuweisen. Der Brief schloß mit den lebhaftesten Versicherungen ihrer Liebe und Unterwürfigkeit in allen Dingen, besonders hinsichtlich ihrer Lage und ihres Aufenthaltsortes, indem sie ihn nur beschwor, nicht unter die Aufsicht Varney's gestellt zu werden.

Als Leicester den Brief durchgelesen hatte, fiel ihm derselbe aus der Hand. »Tressilian,« sagte er, »nehmt mein Schwert und durchbohrt mir das Herz, wie ich eben bei Euch thun wollte.«

»Mylord,« sagte Tressilian, »Ihr habt mir großes Unrecht gethan; doch eine Stimme in meinem Herzen flüsterte mir beständig zu, daß ein großer Irrthum Euch dazu veranlasse.«

»In der That war es ein großer Irrthum,« sagte Leicester, indem er ihm den Brief einhändigte; »man hat mich zu dem Glauben gebracht, daß ein Mann von Ehre ein Schurke sei, und das beste und reinste Wesen eine falsche und ungetreue Dirne. – Elender Bube, wie kommt dieser Brief erst jetzt an mich, und warum hat der Ueberbringer ihn so lange zurückbehalten?«

»Ich wage es Euch nicht zu sagen, Mylord,« sagte der Knabe, indem er sich zurückzog, um aus seinem Bereich zu sein; »doch hier kommt der Ueberbringer.«

In demselben Augenblicke näherte sich Wayland, und erzählte auf Leicesters Frage alle Umstände, welche Emma's Flucht begleitet hatten – die niedrigen Kunstgriffe, die sie zur Flucht getrieben, und ihr lebhaftes Verlangen, sich augenblicklich in den Schutz ihres Gemahls zu begeben, wobei er sich auf das Zeugniß der Diener in Kenilworth berief, welche sich erinnern müßten, wie lebhaft sie bei ihrer Ankunft nach dem Grafen von Leicester gefragt.

»Die Schurken!« rief Leicester; »aber Varney ist der größte Schurke von allen – und noch jetzt ist sie in seiner Gewalt!«

»Aber ich hoffe zu Gott,« sagte Tressilian, »daß er keine Befehle hat, die ihr Unheil bringen können.«

»Nein, nein, nein!« rief der Graf hastig – »ich sagte freilich Etwas im Wahnsinn, doch wurde es durch einen Boten widerrufen, den ich eilig nachschickte; und sie ist jetzt – ja sie muß jetzt sicher sein.«

»Ja, sie muß sicher sein,« sagte Tressilian, »und ich muß mich von ihrer Sicherheit überzeugen. Mein Streit mit Euch ist geendet, Mylord; doch jetzt beginnt ein anderer mit Emma's Verführer, dessen Schuld jener schändliche Varney hat auf sich nehmen müssen.«

»Emma's Verführer!« versetzte Leicester mit Donnerstimme; »sage: ihr Gatte! – ihr irregeleiteter, verblendeter, höchst unwürdiger Gatte! – Sie ist so gewiß Gräfin von Leicester, wie ich ein Graf bin. Ich werde ihr aus freiem Willen jede Gerechtigkeit widerfahren lassen, die Ihr nur angeben könnt. Es wird kaum nöthig sein, zu sagen, daß ich Euren Zwang nicht fürchte.«

Tressilians Gedanken wendeten sich augenblicklich von jeder persönlichen Rücksicht ab, und beschränkten sich allein auf Emma's Wohlfahrt. Er hegte keinesweges so unbegrenztes Vertrauen zu Leicesters Entschlüssen, dessen Gemüth ihm zu heftig aufgeregt schien, als daß er der ruhigen Vernunft hätte folgen können; auch hielt er Emma ebenso wenig in den Händen seiner Dienstleute für sicher, ungeachtet der Betheuerungen, die er ihm deshalb gab. »Mylord,« sagte er ruhig, »ich will Euch nicht beleidigen, und bin weit davon entfernt, Streit mit Euch zu suchen; doch meine Verbindlichkeit gegen Sir Hugh Robsart zwingt mich, diese Sache augenblicklich vor die Königin zu bringen, damit der Rang der Gräfin anerkannt werde.«

»Das werdet Ihr nicht nöthig haben, mein Herr,« entgegnete der Graf mit Stolz; »wagt nicht, Euch in meine Angelegenheiten zu mischen. Nur Dudley's Stimme soll Dudley's Schande verkünden. Ich werde es Elisabeth selber sagen, und dann auf Leben und Tod nach Cumnor Place eilen.«

Mit diesen Worten band er sein Pferd von dem Baume los, schwang sich in den Sattel und ritt in vollem Galopp auf das Schloß zu.

»Nehmt mich vor Euch auf's Pferd, Herr Tressilian,« sagte der Knabe, als er sah, daß Tressilian mit derselben Eile sich in den Sattel schwang – »meine Erzählung ist noch lange nicht zu Ende, und ich bedarf Eures Schutzes.«

Tressilian willigte ein und folgte dem Grafen weniger schnell. Unterwegs bekannte der Knabe mit großer Reue, daß er Wayland den Brief weggenommen, um sich wegen des Mangels an Zutrauen an ihm zu rächen. Er habe Wayland den Brief zurückgeben wollen, da er darauf gerechnet, daß er die Rolle des Arion spielen werde. Da dies nicht geschehen, habe er versucht zu dem Grafen zu gelangen, sei aber beständig von den Dienern zurückgewiesen worden. Er habe das Juwelenkästchen in der Grotte gefunden und es an Leicester abgegeben, ihn aber leider in seiner Verkleidung nicht erkannt. Am Abend sei er Zeuge des Duells zwischen ihm und Tressilian gewesen, und habe die Wache herbeigerufen. Endlich habe er noch die Herausforderung auf den folgenden Tag gehört und sei ihnen mit Wayland, den er wieder getroffen, an den Ort gefolgt.



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