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Zwölftes Kapitel.

Den Scherz habt Ihr verbannet, und das Festmahl
Gestört durch dieses seltsame Benehmen.

Macbeth.

Die seltsame Wirkung, welche die Gemüthsverwirrung auf das Benehmen und die Unterhaltung des ausgezeichnetsten Hofmannes in England hervorbrachte, konnte der scharfsichtigen Fürstin nicht entgehen. Auch darf man nicht im Geringsten zweifeln, daß Elisabeth über die Nachlässigkeit und Unregelmäßigkeit seines Benehmens großes Mißfallen würde empfunden haben, hätte sie nicht geglaubt, daß die Ungnade, womit sie ihren Günstling bedroht, ihn dazu veranlasse und, ungeachtet seiner Bemühungen, seine anmuthige Haltung und den Reiz seiner Unterredung zerstöre. Als dieser für die weibliche Eitelkeit so schmeichelhafte Gedanke sich einmal ihrer bemächtigt hatte, diente derselbe zu einer genügenden Entschuldigung für die zahlreichen Fehler und Versehen des Grafen von Leicester, und der aufmerksame Kreis umher bemerkte mit Erstaunen, daß, anstatt seine wiederholte Nachlässigkeit zu rügen, die Königin ihm Zeit und Mittel zu gewähren suchte, sich zu sammeln, und zwar mit einer Nachsicht, die mit ihrem gewöhnlichen Charakter durchaus nicht übereinstimmte. Es war indeß klar, daß dieß nicht lange währen könne, und daß Elisabeth Leicesters unhöfliches Benehmen endlich strenger beurtheilen werde, als der Graf von Varney aufgefordert wurde, ihm in ein anderes Zimmer zu folgen, weil er ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe.

Als er ihm dies zwei Mal gesagt hatte, stand er endlich auf und war im Begriff sich gleichsam instinktmäßig zu entfernen, – stand dann still, wendete sich um, und bat die Königin um Erlaubniß, sich in einer wichtigen Angelegenheit auf eine kurze Zeit entfernen zu dürfen.

»Geht, Mylord,« sagte die Königin; »Wir glauben wohl, daß Unsere Gegenwart plötzliche und unerwartete Ereignisse herbeiführt; doch hoffen Wir Euch mit faltenloser Stirn wiederzusehen.«

Leicester verbeugte sich und ging. An der Thür begegnete ihm Varney, der ihn lebhaft auf die Seite zog, und ihm ins Ohr flüsterte: »Alles ist gut!«

»Hat Masters sie besucht?« sagte der Graf.

»Ja, Mylord; und da sie weder seine Fragen beantwortete, noch einen Grund für ihre Weigerung angeben wollte, so will er das Zeugniß ausstellen, daß sie an Verstandeszerrüttung leide, und daß es das Beste sein werde, sie der Obhut ihrer Freunde zu übergeben. Wir haben daher Gelegenheit, sie zu entfernen, wie wir verabredeten.«

»Aber Tressilian?« sagte Leicester.

»Er wird eine Zeitlang nichts von ihrer Abreise erfahren,« versetzte Varney; »es soll noch diesen Abend geschehen, und morgen wollen wir auch für ihn sorgen.«

»Nein, bei meiner Seele,« antwortete Leicester, »ich will mich mit eigener Hand an ihm rächen!«

»Ihr, Mylord? und an einem so unbedeutenden Manne, wie Tressilian? – Nein, Mylord, er hat lange gewünscht, fremde Länder zu besuchen. Laßt mich für ihn sorgen – ich werde schon machen, daß er nicht so bald zurückkehrt.«

»Nein, beim Himmel! Varney,« rief Leicester; »unbedeutend nennst Du einen Feind, der Macht genug gehabt hat, mich so tief zu verwunden, daß mein ganzes späteres Leben nur eine Scene der Reue und des Elends sein wird? – Nein, wenn ich der Rache an jenem Elenden entsagen sollte, so wollte ich lieber die ganze Wahrheit vor Elisabeths Throne enthüllen, und sie veranlassen, ihren Rachestrahl zugleich auf Jene und auf mich selber zu schleudern.«

Varney sah mit großer Unruhe, daß sein Herr so sehr aufgeregt sei, daß, wenn er ihm freies Spiel ließe, er den angekündigten verzweifelten Entschluß ausführen werde, welcher augenblicklich alle Pläne des Ehrgeizes vernichten müsse, die Varney für seinen Patron und sich selber entworfen hatte.

Die Wuth des Grafen schien nicht zu bändigen; während er sprach, sprühten seine Augen Feuer, seine Stimme bebte vor übergroßer Leidenschaft, und ein leichter Schaum stand auf seiner Lippe.

Sein Vertrauter machte einen kühnen und erfolgreichen Versuch, ihn selbst im Augenblick der mächtigen Aufregung zu beherrschen. »Mylord,« sagte er, indem er ihn zu einem Spiegel führte, »seht Euer Bild dort, und beurtheilt, ob diese aufgeregten Züge einem Manne angehören, der selber fähig ist, einen Entschluß zu fassen.«

»Und soll ich denn Dein Mündel, Dein Vasall werden?« sagte Leicester, betroffen über die Veränderung seiner Gesichtszüge.

»Nein, Mylord,« sagte Varney mit Festigkeit, »sondern der Herr Eurer selbst und Eurer eigenen Leidenschaft. Mylord, ich schäme mich, Euch so von der Leidenschaft überwältigt zu sehen. Geht zu Elisabeth, bekennt Eure Heirath – klagt Euer Weib und ihren Buhlen des Ehebruchs an, – bekennt vor allen Euren Pairs, daß Ihr der Thor waret, der ein Landmädchen heirathete, und sich dann von ihr und ihrem gelehrten Liebhaber übertölpeln ließ. – Geht, Mylord – aber vorher nehmt von Richard Varney Abschied. Er diente dem edlen, dem hochgesinnten Leicester, und war stolzer, von ihm abhängig zu sein, als hätte er Tausenden gebieten können. Doch der erniedrigte Lord, der sich bei jedem Mißgeschick beugt, dessen Entschlüsse wie Spreu von jedem Winde der Leidenschaft zerstreut werden, dem dient Richard Varney nicht. Er ist ihm ebensosehr an Standhaftigkeit überlegen, als er an Rang und Vermögen unter ihm steht.«

Varney sprach dieß ohne Heuchelei, denn obgleich die Festigkeit, deren er sich rühmte, Halsstarrigkeit war, so fühlte er doch seine Ueberlegenheit, während das Interesse, welches er wirklich an Leicesters Schicksal nahm, seiner Stimme und seinem Wesen ungewöhnlichen Ausdruck verlieh.

Dem unglücklichen Grafen schien es, als wolle sein letzter Freund ihn verlassen. Er streckte Varney seine Hand hin und sagte: »Verlaß mich nicht, – was willst Du, daß ich thun soll?«

»Seid wieder Ihr selber, edler Herr,« sagte Varney, indem er des Grafen Hand mit seinen Lippen berührte. »Seid Ihr denn der Erste, der Unglück in der Liebe hat? denkt, sie sei niemals dagewesen, – laßt sie aus Eurem Gedächtniß entschwinden, worin sie auf so unwürdige Weise einen Platz eingenommen hat. Führt Euren festen Entschluß von diesem Morgen aus, ich habe Muth und Eifer genug, ihn zu vollbringen. Sie hat den Tod verdient, – laßt sie sterben.«

Als Varney schwieg, hielt der Graf noch seine Hand fest, und sagte dann in gebrochenem Tone: »So sei es – sie stirbt! Doch eine Thräne wird mir noch erlaubt sein.«

»Nein, Mylord,« fiel Varney ein, der an dem bebenden Auge seines Herrn sah, daß ein neuer leidenschaftlicher Ausbruch bevorstehe, »– nein, keine Thräne, – die Zeit gestattet es nicht, – Ihr müßt an Tressilian denken!«

»Das ist in der That ein Name, der Thränen in Blut verwandeln kann,« sagte der Graf. »Varney, ich habe darüber nachgedacht, und bin entschlossen, – Tressilian soll mein Schlachtopfer sein.«

»Es ist Wahnsinn, Mylord; doch Ihr seid mir zu mächtig, um Euren Weg zur Rache zu hemmen. Wählt aber vorher Zeit und Gelegenheit, und schiebt sie auf, bis Ihr diese gefunden.«

»Du magst mir gebieten, was Du willst,« sagte Leicester, »nur tritt mir hier nicht in den Weg.«

»Dann bitte ich Euch zuerst, dieses wilde, verdächtige und halb wahnsinnige Benehmen abzulegen, welches heute die Augen des ganzen Hofes auf Euch gezogen hat.«

»Bin ich in der That so nachlässig gewesen?« sagte Leicester, wie Einer, der aus einem Traume erwacht; »ich glaubte, ich hätte mir genug Gewalt angethan; doch fürchte nichts, jetzt bin ich ruhig. Fürchte nichts, sage ich – ich will augenblicklich zur Königin, – selbst Deine Blicke und Deine Sprache sollen nicht undurchdringlicher sein, als die meinigen, – Hast Du noch sonst Etwas zu sagen?«

»Ich muß Euch um Euern Siegelring bitten,« sagte Varney ernsthaft, »um denjenigen von Euren Dienern, die ich anwenden muß, zum Zeichen zu dienen, daß ich Eure Vollmacht habe zu Allem, was ich thue.«

Leicester zog den Siegelring ab, den er gewöhnlich zu gebrauchen pflegte, übergab ihn Varney und sprach leise, aber mit schrecklicher Betonung die Worte aus: »Was Du thust, thue schnell!«

Einige Verwunderung und Besorgniß fand inzwischen im Audienzsaale wegen der langen Abwesenheit des Schloßherrn statt, und groß war das Entzücken seiner Freunde, als sie ihn eintreten sahen, wie Einen, von dessen Brust so eben eine große Last der Sorge entfernt ist. Leicester hielt das Versprechen, welches er Varney gegeben, da er sich nicht mehr in die Nothwendigkeit versetzt sah, einen von dem seinigen so verschiedenen Charakter zur Schau zu tragen, wie er in der ersten Hälfte des Tages gethan, und ging nach und nach wieder zu der Rolle des ernsten, verschlagenen und witzigen Beobachters über, die er gewöhnlich in der Gesellschaft spielte.

Leicester war zu klug, um seine Rolle schnell zu wechseln. Als er wieder zurückkehrte, schien sich seine Stimmung in Schwermuth verwandelt zu haben, die einen Anflug von Zärtlichkeit an sich hatte, und die im Verlaufe der Unterhaltung mit Elisabeth, während sie ihm eine Gunstbezeigung nach der andern zu Theil werden ließ, um ihn zu trösten, in einen Strom von galanten Worten überging, die so zart und einschmeichelnd waren, und zu gleicher Zeit so respektvoll, wie nur je eine Königin von einem Unterthan ist angeredet worden. Elisabeth horchte mit Entzücken; ihre Eifersucht war eingeschlummert; ihr Entschluß, alle gesellschaftlichen und häuslichen Bande aufzugeben, und ausschließlich ihre Sorgfalt ihrem Volke zu weihen, begann zu schwanken, und noch einmal erreichte Dudley's Stern seinen Höhepunkt am Horizonte des Hofes.

Doch Leicester erfreute sich nicht seines Triumphes über die Natur und über sein Gewissen, ohne daß ihm derselbe verbittert wurde, nicht blos durch den inneren Aufruhr seiner Gefühle gegen die Gewalt, die er über sie ausübte, sondern durch verschiedene zufällige Umstände, die bei dem Banket und während der folgenden Abendunterhaltungen vorfielen.

Die Hofleute befanden sich z. B. in der großen Halle, nachdem sie das Speisezimmer verlassen, und erwarteten das Erscheinen einer glänzenden Maskerade, als die Königin einen witzigen Ausfall des Grafen von Leicester gegen Lord Willoughby, Raleigh und andere Hofleute mit diesen Worten unterbrach: »Wir werden Euch des Hochverraths anklagen, Mylord, wenn Ihr in dem Versuche fortfahrt, Uns durch Lachen zu tödten. Da kommt Jemand, der Uns nach Gefallen ernsthaft machen kann, Unser gelehrter Leibarzt Masters, wahrscheinlich mit Nachrichten von der armen Lady Varney, – nein, Mylord, Ihr dürft Uns nicht verlassen, denn da dies ein Streit zwischen verheiratheten Personen ist, so halten Wir Unsere Erfahrung nicht für hinreichend, um ohne guten Rath darüber entscheiden zu können. – Nun, Masters, was sagst Du zu jener schönen Landstreicherin?«

»Die Lady Varney, gnädigste Fürstin,« sagte Masters, »ist eigensinnig, und will nicht mit mir über ihren Gesundheitszustand reden. Sie sagt, sie werde bald ihre Sache selber vor Ihrer Majestät führen müssen, und werde die Fragen untergeordneter Personen nicht beantworten.«

»Das verhüte der Himmel!« sagte die Königin. »Wir haben schon Mißverständnisse und Zänkereien genug gehabt, die dieser gemüthskranken Dame zu folgen scheinen, wohin sie nur kommt. Glaubt Ihr es nicht auch, Mylord?« setzte sie zu Leicester gewendet hinzu, während sich in Miene und Blick ein zartes Bedauern, wegen des Mißverständnisses an jenem Morgen, aussprach. Leicester verbeugte sich, war aber nicht im Stande, ein Wort hervorzubringen.

»Ihr seid rachsüchtig, Mylord,« sagte sie; »doch Wir werden schon Zeit und Ort finden, Euch zu bestrafen. Doch um noch ein Mal von dieser unglücklichen Lady Varney zu reden – wie steht es mit ihrer Gesundheit, Masters?«

»Sie ist eigensinnig, gnädigste Frau, wie ich bereits gesagt habe,« antwortete Masters, »und weigert sich auf jede Frage zu antworten. Sie läßt Winke fallen, als wäre sie eine hohe Person, – eine Gräfin, oder gar eine Prinzessin. Von der Art sind die Hirngespinnste solcher Leute.«

»Dann muß sie sobald als möglich fort,« sagte die Königin. »Varney muß sie in der Stille aus dem Schlosse führen. Sie wird sich noch einbilden, daß sie über Uns Alle zu gebieten hat. Schade ist es indeß, daß ein so schönes Wesen einen so schwachen Verstand hat. – Was denkt Ihr davon, Mylord?«

»Es ist wirklich Schade,« sagte der Graf, ihre Worte mechanisch wiederholend.

»Aber vielleicht stimmt Ihr Unserer Ansicht von ihrer Schönheit nicht bei?« sagte Elisabeth, – »und wirklich haben Wir Männer gekannt, welche eine stattliche Gestalt einer gebrechlichen vorziehen, die gleich einer geknickten Lilie den Kopf hängen läßt. Ja, die Männer sind Tyrannen, Mylord, die den lebhaften Streit der Eroberung ohne Widerstand vorziehen, und gleich rüstigen Kämpfern die Weiber am meisten lieben, welche ihnen im Streite die Spitze bieten können. – Was meint Ihr, Rutland, wenn der Graf von Leicester ein solches Stück bemaltes Wachs zur Gemahlin hätte, würde er sie nicht schon am Ende der Flitterwochen todt wünschen?«

Während sie dies sagte, blickte sie Leicester so ausdrucksvoll an, daß, während sein Herz sich gegen die Lüge empörte, er sich so viel Gewalt anthat, um leise zu antworten, daß Leicesters Liebe demüthiger sei, als Ihre Majestät glaube, da dieselbe auf einen Gegenstand gerichtet sei, dem er nimmer würde gebieten können, sondern immer würde gehorchen müssen.

Die Königin erröthete, und befahl ihm zu schweigen, sah aber aus, als erwarte sie, daß er ihren Befehlen nicht gehorchen werde. In dem Augenblicke aber kündeten die Trompeten und Pauken auf dem Balkon den Eintritt der Schauspieler an, welche Leicester aus dem schrecklichen Zustande des Zwanges und der Verstellung befreiten, in den er durch seine eigene Schuld gerathen war.

Die Schauspieler bestanden aus vier verschiedenen Abtheilungen, die einander in kurzen Zwischenräumen folgten. Jede Abtheilung bestand aus sechs Personen und eben so vielen Fackelträgern, und stellte die verschiedenen Nationen dar, welche England zu verschiedenen Zeiten in Besitz genommen.

Leicester befand sich am Schlusse der Vorstellung am unteren Ende der Halle, und hatte sich auf diese Weise unter die Zuschauer gemischt, als ihn plötzlich Jemand am Mantel zupfte, und ihm in's Ohr flüsterte: »Ich bitte um eine kurze Unterredung mit Euch.«



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