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Neuntes Kapitel.

Habt ihr gesehen, wie das Rebhuhn bebte,
Als es den Falken in der Näh' erspähte?
Versteckt sich hinter'm Busch, und weiß
Nicht, ob es sitzen oder fliegen soll.

Prior.

An jenem denkwürdigen Morgen ereignete es sich, daß die erste von den Jägerinnen, welche in vollem Jagdanzuge aus ihrem Zimmer ging, die Fürstin war, für welche man diese Belustigung angeordnet hatte, nämlich Englands jungfräuliche Königin. Ich weiß nicht, ob es zufällig, oder vermöge der einer Gebieterin schuldigen Höflichkeit geschah, von der er so sehr geehrt wurde, daß sie kaum einen Schritt über die Schwelle ihres Zimmers gethan hatte, als sich auch Leicester schon an ihrer Seite befand und ihr den Vorschlag machte, vor der Beendigung der Vorbereitungen zur Jagd einen Spaziergang in den Garten zu machen.

Auf diesem Spaziergange diente der Arm des Grafen seiner Monarchin zur Stütze, wenn Stufen sie von einer Terrasse zur andern führten. Die aufwartenden Damen besaßen so viel Klugheit, oder auch den liebenswürdigen Wunsch, so zu handeln, wie sie wünschten, daß man ihnen thun möge, und näherten sich der Königin nicht so weit, um sich in ihre Unterhaltung mit dem Grafen zu mischen, oder dieselbe zu stören. Sie begnügten sich damit, die Anmuth dieses erhabenen Paares zu bewundern, welches seine Staatsgewänder mit fast eben so prächtigen Jagdanzügen vertauscht hatte.

Elisabeths Jagdanzug von blaßblauer Seide mit silbernen Tressen besetzt, glich dem der alten Amazonen und paßte daher sehr gut zu ihrer Größe und der Würde ihrer Miene, welche das Bewußtsein ihres Ranges und die lange Gewohnheit des Befehls fast zu männlich gemacht hatten, um in gewöhnlichen Frauenkleidern vortheilhaft zu erscheinen. Leicesters grüner Jagdanzug, mit Gold gestickt und mit einem Bande versehen, woran sein Jägerhorn hing und ein Jagdmesser statt des Schwertes, stand ihm eben so gut, wie seine andern Kleider, die er bei Hofe, oder im Kriege trug.

Die Unterhaltung zwischen Elisabeth und ihrem Günstlinge ist nicht auf uns gekommen. Auch die, welche sie aus der Ferne beobachteten, – und die Augen der Hofleute und Hofdamen sind sehr scharf, – waren der Meinung, daß Elisabeth in ihrem Benehmen noch nie so viel Unentschlossenheit und Zärtlichkeit gezeigt habe. Ihr Schritt war nicht blos langsam, sondern sogar unregelmäßig, was eine sehr ungewohnte Erscheinung bei ihr war. Ihre Blicke schienen auf den Boden gerichtet zu sein und sprachen die furchtsame Neigung aus, sich ihrem Begleiter zu entziehen, was bei Frauen oft ein entgegengesetztes Streben ausdrückt. Die Herzogin von Rutland, die sich am nächsten wagte, behauptete sogar, eine Thräne in Elisabeths Auge, und ein Erröthen auf ihrer Wange bemerkt zu haben, und sagte ferner: »Sie schlug die Blicke nieder, um die meinigen zu vermeiden; sie, die sonst einen Löwen durch ihre Blicke gezähmt haben würde!« Zu welchem Schlusse diese Symptome führten, ist klar genug, auch waren sie gewiß nicht ganz grundlos. Die geheime Unterhaltung zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts entscheidet oft ihr Schicksal, und gibt demselben eine Wendung, ganz verschieden von der, die sie erwartet haben. Galanterie mischt sich in die Unterhaltung, Zärtlichkeit und Leidenschaft mischen sich nach und nach in die Galanterie. Cavaliere, so gut wie Schäferbuben, sagen in solchen Augenblicken mehr, als sie beabsichtigen, und Königinnen, so gut wie Dorfmädchen, hören länger zu, als sie sollten.

Mittlerweile wieherten die Pferde auf dem Hofplatze und nagten ungeduldig an ihren Gebissen; die Koppelhunde bellten und die Jäger beklagten das Verdampfen des Thaues, weil nun die Witterung nicht halten werde. Aber Leicester hatte eine andere Jagd vor, oder, um ihm mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, er wurde ohne Ueberlegung in eine Jagd verwickelt, gleich dem muthigen Renner, der dem Bellen der Hunde folgt, die ihm zufällig über den Weg gelaufen sind. Die Königin – ein vollendetes und schönes Weib – der Stolz Englands, die Hoffnung Frankreichs und Hollands, und der Schrecken Spaniens, – hatte wahrscheinlich mit mehr als gewöhnlicher Gunst jener Mischung romantischer Galanterie zugehört, mit welcher sie sich so gern anreden ließ, und der Graf hatte aus Eitelkeit, oder Ehrgeiz, oder aus beiden Veranlassungen, mehr und mehr von jenem köstlichen Gewürz eingestreut, bis die Zudringlichkeit zur Sprache der Liebe wurde.

»Nein, Dudley,« sagte Elisabeth mit bebender Stimme, »nein, ich muß die Mutter meines Volkes sein. Andere Bande, die das niedriggeborene Mädchen glücklich machen, sind ihrer Königin verweigert. – Nein, Leicester, redet mir nicht weiter zu; – wäre ich wie Andere frei, mein eigenes Glück zu berücksichtigen, – dann freilich, – aber es kann nicht geschehen. – Schiebt die Jagd eine halbe Stunde auf, Mylord, und verlaßt mich.«

»Wie, Euch verlassen, hohe Frau?« sagte Leicester; »hat mein Wahnsinn Euch beleidigt?«

»Nein, Leicester, das nicht!« antwortete die Königin hastig; »doch es ist Wahnsinn und darf nicht wiederholt werden. Geht – aber nicht weit von hier – und ertheilt den Befehl, daß mir inzwischen Niemand nahe komme.«

Während sie so sprach, verbeugte sich Dudley tief, und entfernte sich langsam und mit schwermüthiger Miene. Die Königin blieb stehen, blickte ihm nach und murmelte bei sich selber: »Wäre es möglich – wäre es nur möglich! – Aber nein – nein – Elisabeth muß allein Englands Weib und Mutter sein.«

Als sie so sprach, hörte sie Jemand näher kommen, und begab sich in die Grotte, worin sich ihre unglückliche aber nur zu sehr begünstigte Nebenbuhlerin befand.

Wenn auch Elisabeths Gemüth durch die Unterredung, der sie soeben ein Ende gemacht hatte, etwas ergriffen war, so besaß dasselbe doch einen festen und entschiedenen Charakter, der bald seine natürliche Stimmung wieder errang. Als sie mit langsamen Schritten in den innersten Raum der Grotte ging, hatte ihr Gesicht, ehe sie noch die Hälfte des Weges zurückgelegt, die Würde des Ausdrucks und das Befehlende ihrer Miene wieder erlangt.

Da bemerkte die Königin, daß ein weibliches Wesen halb hinter einer Alabastersäule versteckt war, zu deren Fuße die klare Quelle rauschte, welche den innersten Winkel der Grotte einnahm. Elisabeth dachte an die Geschichte des Numa und der Egeria, und zweifelte nicht, daß ein italienischer Bildhauer ihr die Nymphe vorgestellt habe, die den Römern Gesetze gab. Auch als sie näher trat, war sie noch zweifelhaft, ob sie eine Statue, oder ein Wesen von Fleisch und Blut vor sich sehe. Die unglückliche Emma blieb bewegungslos stehen, unentschlossen schwankend zwischen dem Wunsche, ihre Lage einem Wesen ihres Geschlechtes kund zu thun, und der Furcht vor der stattlichen Gestalt, die sich ihr näherte, und die sie, obgleich ihre Augen sie nie vorher gesehen, sogleich für die Person hielt, welche sie wirklich war. Emma war in der Absicht von ihrem Sitze aufgestanden, die Dame anzureden, welche allein, und wie sie anfangs glaubte, zu so günstiger Zeit in die Grotte trat. Doch als sie sich erinnerte, wie besorgt Leicester gewesen, daß die Königin nichts von ihrer Verbindung erfahren möge, und sich mehr und mehr überzeugte, daß die Person, die sie jetzt vor sich sah, Elisabeth selber sei, stand sie mit vorgestrecktem Fuße da, während ihre Arme, ihr Kopf und ihre Hände vollkommen bewegungslos waren, und ihre Wange so blaß aussah, wie die Alabastersäule, an die sie sich lehnte. Ihre Kleidung war von seegrüner Seide, und bei dem undeutlichen Lichte, und vermöge des Faltenwurfes, einer griechischen Nymphe ähnlich, so daß der Zweifel der Königin, ob sie wirklich ein lebendes Wesen sei, durch alle damit in Verbindung stehende Umstände gerechtfertigt wurde, sowie auch durch ihre todtenblasse Wange und ihr starres Auge.

Elisabeth blieb noch im Zweifel, selbst als sie sich ihr schon auf wenige Schritte genähert hatte, ob sie nicht eine schön gearbeitete Statue vor sich habe, die sich bei dem ungewissen Lichte nicht von der Wirklichkeit unterscheiden lasse. Sie stand daher still, und richtete ihren fürstlichen Blick mit solcher Schärfe auf diesen interessanten Gegenstand, daß das Erstaunen, welches Emma gefesselt hatte, nach und nach in Schrecken überging, und sie ihre Augen und ihren Kopf bei dem gebietenden Blicke ihrer Herrscherin sinken ließ. Mit Ausnahme dieser langsamen und tiefen Beugung des Kopfes blieb sie noch immer stumm und bewegungslos.

Aus ihrer Kleidung und dem Kästchen, welches sie instinktmäßig in der Hand hielt, kam Elisabeth natürlich zu der Vermuthung, daß die schöne, aber stumme Gestalt, welche sie vor sich sah, eine Rolle in den Vorstellungen spiele, die an verschiedenen Orten aufgeführt wurden, um sie zu überraschen, und daß die arme Schauspielerin, vor Schrecken durch ihre Gegenwart erfüllt, entweder die ihr zugetheilte Rolle vergessen habe, oder nicht Muth genug besitze, dieselbe zu beginnen. Es war natürlich und der Höflichkeit angemessen, sie etwas zu ermuthigen, und Elisabeth sagte daher im Tone herablassender Freundlichkeit; »Nun, schöne Nymphe dieser lieblichen Grotte, bist Du bezaubert und stumm geworden durch die Künste des argen Zauberers, den die Menschen Furcht nennen? – Wir sind seine geschworene Feindin, Mädchen, und können seinen Zauber aufheben. Rede, Wir befehlen es Dir.«

Anstatt mit ihrer Rede zu antworten, warf sich die unglückliche Gräfin vor der Königin auf ein Knie nieder, ließ ihr Kästchen aus der Hand fallen, schlug die Hände zusammen, und blickte der Königin mit solchem Ausdrucke der Furcht und der Bitte in's Gesicht, daß Elisabeth dadurch sehr gerührt wurde.

»Was soll dies bedeuten?« fragte sie; »dies ist eine stärkere Leidenschaft, als für diese Gelegenheit paßt. Steh auf, Mädchen, – was willst Du von Uns?«

»Euren Schutz, hohe Frau,« stotterte die Unglückliche hervor.

»Jede Tochter Englands hat Antheil daran, so lange sie desselben würdig ist,« versetzte die Königin; »doch Euer Kummer scheint einen tiefern Grund zu haben, als eine vergessene Rolle. Warum und zu welchem Zweck nehmt Ihr Unsern Schutz in Anspruch?«

Emma besann sich rasch, was sie am besten sagen könne, um sich aus der drohenden Gefahr zu erretten, ohne ihren Gemahl in Verlegenheit zu bringen, und vermochte endlich, während ein Gedanke den andern verdrängte, auf die wiederholte Frage der Königin nichts weiter zu erwidern als: »Ach! ich weiß es nicht.«

»Das ist Wahnsinn, Mädchen,« sagte Elisabeth ungeduldig, denn es lag Etwas in der äußersten Verwirrung der Flehenden, was ihre Neugierde erregte und sie zur Theilnahme stimmte. »Der Kranke muß dem Arzte seine Krankheit sagen, und Wir sind nicht gewohnt, Fragen so oft zu wiederholen, ohne eine Antwort zu erhalten.«

»Ich bitte – ich flehe,« stotterte die unglückliche Gräfin hervor – »Ich bitte um Euren gnädigen Schutz – gegen – gegen einen gewissen Varney.« Sie wäre beinahe an dem unheilvollen Worte erstickt, worauf die Königin sogleich einfiel.

»Was, Varney? – Sir Richard Varney? – der Dienstmann des Lord Leicester? – Was bist Du ihm Mädchen, oder was ist er Dir?«

»Ich – ich – war seine Gefangene – er stellte meinem Leben nach – und ich entfloh, um – um –«

»Dich in meinen Schutz zu begeben, ohne Zweifel,« sagte Elisabeth. »Er soll Dir zu Theil werden, – das heißt, wenn Du desselben würdig bist; denn Wir wollen diese Sache auf's Genaueste ergründen. – Du bist,« sagte sie, indem sie einen Blick auf die Gräfin richtete, welcher ihr in die tiefste Seele dringen sollte, – »Du bist Emma, die Tochter des Sir Hugh Robsart von Lidcote Hall?«

»Verzeiht mir – verzeiht mir, gnädigste Fürstin!« sagte Emma, die wieder aufgestanden war und sich jetzt nochmals auf ein Knie niederließ.

»Was sollte ich Dir verzeihen, thörichtes Mädchen?« sagte Elisabeth; daß Du die Tochter Deines eigenen Vaters bist? Gewiß, Du bist wahnsinnig. Nun, ich sehe, ich muß diese Geschichte zollweise aus Dir herausbringen. – Du täuschtest Deinen alten und ehrwürdigen Vater – Dein Blick bekennt es, – betrogst Herrn Tressilian – Dein Erröthen beweist es – und heirathetest jenen Varney.«

Emma sprang auf, und unterbrach die Königin lebhaft; »Nein, gnädige Frau, – so wahr ein Gott über uns lebt, ich bin nicht das elende Geschöpf, wofür Ihr mich haltet! ich bin nicht das Weib jenes verächtlichen Sklaven, – jenes berechnenden Schurken! ich bin nicht Varney's Weib! ich möchte mich lieber mit meinem Tode vermählen!«

Von Emma's Heftigkeit ergriffen, stand jetzt die Königin einen Augenblick schweigend da, und erwiderte dann: »Gott sei Uns gnädig! ich sehe, Du kannst rasch genug reden, wenn Dir der Gegenstand gefällt. Nein, sage mir, Weib,« fuhr sie fort, denn zu ihrer Neugierde kam jetzt noch der unbestimmte Argwohn, daß man sie getäuscht habe, – »sage mir, Weib, – denn bei Gottes Tage, ich will wissen, wessen Weib, oder wessen Buhlerin Du bist. Rede frei heraus, – es wäre besser für Dich, mit einer Löwin zu scherzen, als mit Elisabeth.«

Auf's Aeußerste getrieben und gleichsam durch unwiderstehliche Gewalt an den Rand des Abgrundes geschleppt, den sie sehen aber nicht vermeiden konnte, antwortete Emma endlich verzweiflungsvoll, da ihr kein Augenblick zur Ueberlegung blieb: »Der Graf von Leicester weiß Alles.«

»Der Graf von Leicester!« rief Elisabeth in äußerstem Erstaunen. – »Der Graf von Leicester!« wiederholte sie, indem ihr Zorn sich entflammte. – »Weib, Du bist hiezu angestiftet, – Du belügst ihn, – er hat nichts mit solchen Geschöpfen zu thun, wie Du bist. Du bist bestochen, den edelsten Lord und den treuesten Cavalier in England zu verleumden! Doch wäre er die rechte Hand Unseres Vertrauens, oder noch theurer für Uns, so soll Dir Gehör zu Theil werden, und zwar in seiner Gegenwart. Komm mit mir, – komm augenblicklich mit mir!«

Als Emma vor Schrecken zurückfuhr, was die Königin als Bewußtsein der Schuld auslegte, ergriff sie ihren Arm und eilte mit raschen Schritten aus der Grotte, den Hauptgang dahin, und schleppte die erschreckte Gräfin mit sich fort, die mit äußerster Anstrengung nur soeben mit der beleidigten Königin Schritt halten konnte.

Leicester war in diesem Augenblicke der Mittelpunkt einer glänzenden Gruppe von Herren und Damen, welche unter einem Säulengange versammelt waren, der den Schluß der Allee bildete. Die Gesellschaft hatte sich an jenem Orte versammelt, um die Befehle Ihrer Majestät zu erwarten, wenn die Jagdpartie vor sich gehen solle, und man kann sich ihr Erstaunen vorstellen, als sie, anstatt die Königin mit ihrer gewohnten gemessenen Würde auf sich zukommen zu sehen, sie dieselbe so rasch gehen sahen, daß sie mitten unter ihnen war, ehe sie es noch gewahr wurden, und dann mit Furcht und Erstaunen bemerkten, daß ihr Gesicht von Zorn und Aufregung geröthet, und ihr Haar von der hastigen Bewegung aufgelöst war, und daß ihre Augen funkelten, als wenn der Geist Heinrichs des Achten seine Tochter beseele. Auch waren sie nicht weniger erstaunt beim Erscheinen des blassen, abgemagerten, halbtodten und noch immer liebenswürdigen Frauenzimmers, welches die Königin mit einer Hand kräftig aufrecht erhielt, während sie mit der anderen den Damen und Herren, welche sich in dem Gedanken zu ihr drängten, daß sie plötzlich krank geworden sei, auf die Seite zu treten winkte. »Wo ist der Graf von Leicester?« sagte sie in einem Tone, der alle umstehenden Hofleute mit Erstaunen füllte. – »Tretet vor, Mylord von Leicester!«

Wenn an einem heiteren Sommertage ein Blitzstrahl aus dem klaren blauen Himmelsgewölbe herunterführe, und die Erde dicht vor den Füßen eines sorglosen Wanderers zerspaltete, so könnte er den unerwartet vor ihm eröffneten Abgrund nicht mit halb so großem Entsetzen ansehen, als Leicester bei dem Anblick empfand, der sich ihm so plötzlich darstellte. Er hatte in dem Augenblicke mit kluger Affectation und Verstellung, als verstehe er ihre Bedeutung nicht, die halb ausgesprochenen, halb angedeuteten Glückwünsche angenommen, welche ihm die Hofleute wegen der Gunst der Königin machten, die während der Unterredung an jenem Morgen offenbar den höchsten Gipfel erreicht hatte, woraus die Meisten die Folgerung zogen, daß er sich von ihres Gleichen zu ihrem Herrn erheben werde. Und nun, während das gemäßigte, aber doch stolze Lächeln, womit er diese Andeutungen zurückwies, noch auf seiner Wange spielte, eilte die Königin mit furchtbar aufgeregten Leidenschaften in den Kreis, und unterstützte, dem Anscheine nach ohne Anstrengung, mit einer Hand die blasse und schwankende Gestalt seines hinsterbenden Weibes, während sie mit der andern auf ihre halbtodten Züge deutete, und mit einer Stimme fragte, die den Ohren des erstaunten Staatsmannes gleich dem letzten schrecklichen Trompetentone erschallte, welcher Leib und Seele vor den Richterstuhl fordern soll: »Kennst Du dieses Weib?«

Wie bei dem Tone jener letzten Trompete der Schuldige die Berge anrufen wird, ihn zu bedecken, so rief Leicester in seinen Gedanken den stattlichen Bogen an, den er in seinem Stolze erbaut hatte, aus seinen Fugen zu gehen, und sie Alle unter seinen Ruinen zu begraben. Doch die wohlverbundenen Steine blieben fest, und der stolze Besitzer selbst, wie von einem wirklichen Drucke zur Erde niedergebogen, kniete vor Elisabeth hin, und berührte mit der Stirn die marmornen Quadersteine worauf er stand.

»Leicester,« sagte Elisabeth mit einer Stimme, die vor Leidenschaft erbebte, »könnte ich denken, daß Du Dein Spiel mit mir getrieben, – mit mir, Deiner Gebieterin, – mit mir, Deiner vertrauensvollen und nur zu parteiischen Herrscherin, – bei Allem, was heilig ist, falscher Lord, so wäre Dein Kopf in eben so großer Gefahr, wie nur je der Deines Vaters!«

Leicester fühlte sich nicht unschuldig, doch besaß er Stolz, und dieser hielt ihn aufrecht. Langsam erhob er sein Gesicht, welches von streitenden Bewegungen geröthet und angeschwollen war, und erwiderte nur: »Mein Kopf kann nur nach dem Urtheilspruch meiner Pairs fallen, – vor ihnen will ich meine Sache führen, und nicht vor einer Fürstin, die meine treuen Dienste auf solche Weise vergilt.«

»Was, Mylord?« sagte Elisabeth, indem sie sich umblickte, »ich glaube gar, man trotzt Uns, – man trotzt Uns in dem Schlosse, welches Wir diesem stolzen Manne verliehen haben! – Mylord Shrewsbury, Ihr seid Marschall von England, nehmt ihn wegen Hochverraths gefangen.«

»Wen meinen Ihre Majestät?« fragte Shrewsbury mit großem Erstaunen, denn er war in dem Augenblicke erst zu der Gruppe getreten.

»Wen sollte ich meinen, als jenen Verräther Dudley, Grafen von Leicester! – Vetter von Hunsdon, laßt Eure Garde aufmarschiren und bringt ihn augenblicklich in Gewahrsam. – Eile, Kerl, sage ich Dir!«

Hunsdon, ein rauher alter Krieger, der wegen seiner Verwandtschaft mit den Boleyn's sich größere Freiheit gegen die Königin herauszunehmen pflegte, als die meisten Andern, erwiderte unerschrocken: »Und wahrscheinlich werden mich Ihre Majestät morgen in den Tower schicken, weil ich zu große Eile angewendet habe. Ich bitte Euch ruhig zu sein.«

»Ruhig! – Gottes Leben!« rief die Königin, – »nenne mir das Wort nicht, – Du weißt nicht, wessen er sich schuldig gemacht hat!«

Emma, die sich während dieser Zeit etwas gefaßt hatte, und die ihren Gemahl in der äußersten Gefahr glaubte, vergaß ihr eigenes Unrecht, ihre Gefahr bei ihrer Besorgniß seinetwegen, warf sich vor der Königin nieder, und umfaßte ihre Knie, während sie ausrief: »Er ist schuldlos, gnädigste Frau, – er ist schuldlos, – Niemand kann dem edlen Leicester Etwas zur Last legen.«

»Wie, Du Närrin,« antwortete die Königin, »sagtest Du nicht selber, daß der Graf von Leicester um Deine ganze Geschichte wisse?«

»Sagte ich das?« erwiderte die unglückliche Emma, ohne Berücksichtigung ihres eigenen Interesses. »O, wenn ich es that, so habe ich schändlich gelogen. So wahr Gott lebt, ich glaube, er hegte nie einen Gedanken, der mich verletzen konnte.«

»Weib!« rief Elisabeth, »ich will wissen, wer Dich hiezu bewogen hat; oder mein Zorn – und der Zorn der Könige ist ein flammendes Feuer – soll Dich verzehren und verbrennen, wie Unkraut im Ofen.«

Als die Königin diese Drohung aussprach, rief Leicesters besserer Engel seinen Stolz zu Hülfe, und zeigte ihm, daß er sich auf immerdar entehren würde, wollte er sich durch das großmüthige Einschreiten seiner Frau Schutz verschaffen, und sie zum Dank für ihre Güte der Rache der Königin Preis geben. Schon hatte er sein Haupt mit der Würde eines Mannes von Ehre erhoben, um seine Verheirathung einzugestehen, und sich für den Beschützer der Gräfin zu erklären, als Varney, der seines Herrn böser Genius zu sein schien, mit unordentlicher Kleidung herbeieilte.

»Was bedeutet diese Zudringlichkeit?« fragte Elisabeth.

Mit der Miene eines Mannes, der von Kummer und Verwirrung überschüttet ist, warf sich Varney zu ihren Füßen nieder, und rief: »Verzeihung, gnädigste Frau, Verzeihung! – oder laßt wenigstens Eure Gerechtigkeit das Vergehen an mir rächen, da ich der Schuldige bin; aber verschont meinen edlen und großmüthigen, meinen unschuldigen Herrn und Patron.«

Emma, die noch kniete, sprang auf, als sich der verhaßte Mann ihr näherte, und war im Begriff zu Leicester zu fliehen, als sie plötzlich durch die Unentschlossenheit und Schüchternheit, welche seine Blicke beim Erscheinen seines Vertrauten angenommen, zurückfuhr, einen leisen Schrei ausstieß und ihre Majestät bat, sie in den tiefsten Kerker des Schlosses setzen zu lassen, und mit ihr wie mit dem ärgsten Verbrecher zu verfahren, – »aber verschont mich,« rief sie, »mit dem Anblicke jenes schändlichen und schamlosen Schurken!«

»Und warum, mein Kind?« fragte die Königin, von einem neuen Antriebe bewegt; »was hat dieser falsche Ritter Dir gethan?«

»Unendliches Leid und die ärgste Beleidigung hat er mir angethan, – er hat Zwietracht ausgesäet, wo doch vor Allem Friede sein sollte. Ich werde wahnsinnig, wenn ich ihn noch länger ansehe.«

»Ei, ich glaube, Du bist schon auf gutem Wege dazu,« antwortete die Königin. – »Mylord Hunsdon, seht nach diesem armen, unglücklichen, irren Frauenzimmer, laßt sie sicher und anständig unterbringen, bis Wir sie wieder vor Uns rufen.«

Zwei oder drei Hofdamen, entweder durch ein so interessantes Wesen zum Mitleid bewogen, oder aus irgend einem andern Beweggrunde, boten ihre Dienste an, sie zu beaufsichtigen; doch die Königin antwortete kurz: »Meine Damen, das geschieht nicht. – Ihr habt, Gott sei Dank, Alle scharfe Ohren und rasche Zungen, – unser Vetter Hunsdon hat sehr taube Ohren, und eine rauhe, dabei aber sehr langsame Zunge. – Hunsdon, seht darauf, daß Niemand mit ihr redet.«

»Bei der heiligen Jungfrau!« sagte Hunsdon, indem er Emma's fast ohnmächtige Gestalt in seine kräftigen Arme nahm, »sie ist ein liebenswürdiges Kind, und obgleich Ihre Majestät ihr eine rauhe Wärterin gegeben haben, so ist es doch eine theilnehmende. Sie ist so sicher bei mir, wie eine von meinen eigenen Töchtern.«

Mit diesen Worten trug er sie ohne Widerstand und fast bewußtlos fort. Sein graues Haar und sein langer Bart vermischten sich mit ihren lichtbraunen Locken, als ihr Kopf an seiner starken Schulter ruhte. Die Königin folgte ihm mit den Augen, sie hatte bereits, vermöge ihrer Selbstbeherrschung, die einen so nöthigen Theil der Eigenschaften eines Herrschers bildet, jede Spur ihrer Aufregung verwischt, und schien auch die Erinnerung an diesen Ausbruch der Leidenschaft bei den Zuschauern vernichten zu wollen. »Lord Hunsdon,« sagte sie, »ist eine rauhe Wärterin für ein so zartes Kind.«

»Lord Hunsdon,« sagte der Dechant von St. Asaph, »ohne damit seine edleren Eigenschaften verkleinern zu wollen, führt eine sehr freie Sprache, und schmückt seine Unterhaltung etwas zu reichlich mit grausamen und abergläubischen Flüchen aus, welche zugleich nach dem Heidenthume und dem Pfaffenthume schmecken.«

»Der Fehler liegt an seinem Blute, Herr Dechant,« sagte die Königin, indem sie sich heftig zu dem Geistlichen umwendete; »und Ihr könnt mir denselben Fehler vorwerfen. Die Boleyn's sprachen immer hitzig und frei heraus, und waren mehr geneigt, ihre Ueberzeugung auszusprechen, als sorgfältig ihre Ausdrücke zu wählen. Bei meinem Wort! – ich hoffe, in dieser Betheuerung liegt keine Sünde, – ich zweifle, daß es durch die Vermischung mit dem Blute der Tudor sehr abgekühlt worden.«

Als sie diese letzte Bemerkung machte, lächelte sie gnädig, und blickte sich verstohlen nach Leicester um, dem sie, vermöge des ungegründeten Verdachtes, durch ihre Heftigkeit Unrecht gethan zu haben glaubte.

Die Königin fand den Grafen nicht in der Stimmung, das Anerbieten zur Aussöhnung anzunehmen. Seine Blicke waren mit zu später Reue der Gestalt gefolgt, welche Hunsdon so eben fortgetragen hatte, und ruhten jetzt finster auf dem Boden; doch mehr – so schien es Elisabeth wenigstens – mit dem Ausdrucke eines Mannes, der eine ungerechte Beschimpfung erlitten hat, als eines, der sich einer Schuld bewußt ist. Sie wendete sich zornig von ihm, und sagte zu Varney: »Redet, Sir Richard, und erklärt diese Räthsel, – Ihr besitzt Verstand und wißt Eure Zunge zu gebrauchen, wonach Wir Uns anderswo vergebens umsehen.«

Während sie dies sprach, warf sie Leicester noch einen zornigen Blick zu, indem der verschlagene Varney sich beeilte, seine Geschichte zu erzählen.

»Das durchdringende Auge Ihrer Majestät,« sagte er, »hat bereits die schreckliche Krankheit meiner geliebten Dame entdeckt, die ich, so unglücklich ich auch deshalb bin, nicht in dem Zeugnisse des Arztes wollte aussprechen lassen, da ich das verbergen wollte, was jetzt mit um so größerem Scandal ausgebrochen ist.«

»So ist sie denn geistesabwesend?« fragte die Königin, – »in der That, Wir zweifeln nicht daran, – ihr ganzes Benehmen beweist es. Ich fand sie in einem Winkel jener Grotte versteckt, und jedes Wort, was sie sprach, – und welches ich ihr wie auf der Folter auspressen mußte, widerrief sie sogleich. Doch wie kam sie hieher? Warum hattet Ihr sie nicht in sicherem Gewahrsam?«

»Gnädigste Fürstin,« sagte Varney, »der würdige Mann, unter dessen Obhut ich sie zurückließ, Herr Anton Foster, ist eben jetzt angekommen, so schnell nur ein Pferd galloppiren kann, um mich von ihrer Flucht zu benachrichtigen, die sie mit der eigenthümlichen Kunst ausführte, welche den mit dieser Krankheit behafteten Personen eigen ist. Er ist zum Verhör bereit.«

»Das soll ein ander Mal geschehen,« sagte die Königin. »Doch, Sir Richard, Wir beneiden Euch Euer häusliches Glück nicht; Eure Dame schalt bitter auf Euch, und schien ohnmächtig werden zu wollen, als sie Euch erblickte.«

»Das ist die Art der Personen in ihrer Lage,« antwortete Varney, »daß sie beständig gegen Die am meisten aufgebracht sind, die ihnen in ihren bessern Stunden am theuersten sind.«

»Wir haben in der That davon gehört und glauben daran,« sagte Elisabeth.

»Ist es denn Ihrer Majestät Wille,« sagte Varney, »daß meine unglückliche Gattin dem Schutze ihrer Freunde überliefert werde?«

Leicester fuhr zurück, überwand aber seine Aufregung vermöge einer heftigen Anstrengung, während Elisabeth zornig antwortete: »Ihr seid etwas zu hastig, Herr Varney; Wir wollen vorher einen Bericht über den Gesundheits- und Gemüthszustand der Dame von Unserm Leibarzte Masters haben, und dann über das Weitere verfügen. Ihr sollt indeß Erlaubniß haben, sie zu besuchen, daß wenn irgend ein Streit zwischen Euch obwaltet, – was, wie Wir gehört haben, auch zwischen liebenden Ehepaaren vorfällt, – Ihr denselben ausgleichen mögt, ohne weitern Scandal bei Hofe, und ohne Uns zu belästigen.«

Varney verbeugte sich tief, und antwortete nichts weiter. Elisabeth sah wieder den Grafen von Leicester an, und sagte mit einer Herablassung, die nur aus dem innigsten Interesse hervorgehen konnte: »Zwietracht, wie der italienische Dichter sagt, findet ihren Weg selbst in friedliche Klöster, sowie in den Schooß der Familien, und Wir fürchten, daß auch Unsere Garden und Thürsteher sie schwerlich von Unserem Hofe ausschließen werden. Mylord von Leicester, Ihr fühlt Euch gekränkt von Uns, und Wir haben ein Recht, Uns von Euch gekränkt zu fühlen. Wir wollen des Löwen Rolle übernehmen und zuerst verzeihen.«

Leicester glättete seine Stirn mit einiger Anstrengung; doch diese Scene hatte ihn zu tief ergriffen, als daß seine Ruhe sogleich wieder zurückkehren konnte. Er sagte indeß Alles, was der Augenblick erforderte, daß er nicht das Glück habe, zu verzeihen, weil Die, welche ihm gebiete dies zu thun, ihn nicht beleidigen könne.

Elisabeth schien mit dieser Antwort zufrieden, und sprach ihren Wunsch aus, die Morgenbelustigung zu beginnen. Die Hörner ertönten, – die Hunde bellten, – die Pferde bäumten sich, doch die Cavaliere und Damen begaben sich zu den Vergnügungen, wozu sie aufgefordert wurden, in sehr verschiedener Stimmung von der, womit sie aufgestanden waren. Es war Zweifel, Furcht und Erwartung auf jeder Stirn und Intrigue in jedem Geflüster zu bemerken.

Blount nahm die Gelegenheit wahr, Raleigh in's Ohr zu flüstern: »Dieser Sturm kam gleich dem Ostwind auf dem mittelländischen Meere.«

»Plötzlich und veränderlich,« antwortete Raleigh in demselben Tone.

»Gott sei Dank, daß Tressilian bei diesem Orkan nicht auf hoher See war,« sagte Blount, »er hätte schwerlich dem Schiffbruche entgehen können, da er seine Segel nicht nach dem Hofwinde zu richten weiß.«

»Du hättest ihn ja unterrichten können,« sagte Raleigh.

»Nun, ich habe meine Zeit eben so gut benutzt, wie Du, Sir Walter,« versetzte der ehrliche Blount. »Ich bin Ritter so gut wie Du, und zwar noch früher dazu erwählt.«

»Nun, Gott stärke deinen Verstand,« sagte Raleigh; »doch ich wollte, ich wüßte, was eigentlich mit Tressilian vorgeht. Er sagte mir diesen Morgen, er würde sein Zimmer nicht eher verlassen, als bis zwölf Stunden um wären, wozu er durch ein Versprechen verbunden sei. Wenn er von dem Wahnsinn dieser Dame hört, wird auch seine Schwäche nicht dadurch geheilt werden. Wir haben gerade Vollmond, und dann arbeitet das menschliche Gehirn wie Hefen. Aber höre, man bläst zum Aufsitzen. Laß uns unsere Pferde besteigen, Blount, wir jungen Ritter müssen unsere Sporen verdienen.«



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